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Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 40.

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§. 40.
Das nicht freie System.


 Das System der Punkte ist nicht frei, wenn zwischen den Punkten oder zwischen einigen von ihnen, solche Verbindungen vorhanden sind, vermöge deren die einzelnen Punkte zu anderen Bewegungen gezwungen werden, als sie bloss unter dem Einfluss der auf sie wirkenden Kräfte ausgeführt hätten. Dieser Fall soll jetzt betrachtet werden.

 Nehmen wir den Punkt von der Masse . In Folge der vorhandenen Verbindungen vollführt er eine andere Bewegung, als wenn er frei und nur dem Antriebe der Kraftcomponenten ausgesetzt wäre. Es fragt sich dann, welche Kräfte man noch hinzufügen müsse, damit sie mit jenen Componenten zusammen den völlig frei gedachten Punkt gerade in die Bewegung versetzen, die wirklich zu Stande kommt. Kennt man diese Zusatzkräfte für jeden Punkt, so kann man die Bewegung des Systems aus einem doppelten Gesichtspunkte betrachten. Einmal kommt sie wirklich zu Stande unter Einwirkung der gegebenen bewegenden Kräfte und der vorhandenen Verbindungen. Das andere mal würde sie in genau derselben Weise zu Stande kommen, wenn die Punkte des völlig frei gemachten Systems von den gegebenen Kräften und von den eben betrachteten Zusatzkräften getrieben würden. Da nun die Wirkung in beiden Fällen dieselbe ist, und nur die Wirkung in Betracht kommt, so hat man das Recht, die eine Ursache durch die andere zu ersetzen. D. h. man darf die Bewegung so auffassen, als ob die Punkte des Systems frei wären und ausser den gegebenen Kräften noch die Zusatzkräfte in Wirksamkeit träten. Die gegebenen Kräfte sollen |[164]wieder so beschaffen sein, dass ein Potential vorhanden ist. Dann spricht sich das Princip des Lagrange in der Gleichung aus:


(1)


Es kömmt nun darauf an, für jeden Punkt des Systems die Zusatzkräfte wirklich ausfindig zu machen. Zu dem Ende kann man die Sache auch so auffassen. Es ist erlaubt, für jeden Punkt des unfreien Systems solche Kräfte hinzuzufügen, die sich gegenseitig im Gleichgewicht halten. Für den Punkt fügen wir parallel den Coordinatenaxen die Kräfte



und die Kräfte



hinzu. Die letztgenannten sollen so gewählt werden, dass ihre Wirkung und die Wirkung der vorhandenen Verbindungen sich gegenseitig vernichten. Dadurch wird eben das System zu einem freien, und zu den gegebenen Kräften treten die Zusatzkräfte hinzu. Diese sind aber völlig bestimmt, sobald man die
Fig. 29.
Fig. 30.
Kräfte kennt, durch welche die Wirkung der Verbindungen aufgehoben wird.

 Es ist also vor allem nothwendig, zu untersuchen, wie die Kräfte beschaffen sind, welche durch die Verbindungen aufgehoben werden und ihrerseits die Wirkungen der Verbindungen aufheben. Wir betrachten deshalb die verschiedenen Arten der Verbindungen.

 Erstens. Zwei Punkte und seien durch eine starre Verbindungslinie gezwungen, in constanter Entfernung von einander zu bleiben (Fig. 29 u. 30). Die Bedingung, welche |[165]dadurch eingeführt wird, lässt sich durch die Gleichung aussprechen:


(2)


wenn



gesetzt wird. Durch diese Verbindung können nur solche Kräfte aufgehoben werden, welche die Entfernung der beiden Punkte zu vermehren oder zu vermindern streben, d. h. zwei gleich grosse Kräfte, deren Richtungen einander entgegengesetzt in die Verbindungslinie der beiden Punkte fallen, und von denen die eine auf den Punkt , die andere auf den Punkt wirkt. Folglich sind auch die Componenten einer Kraft , welche in der Richtung oder in der Richtung auf den Punkt wirkt. Und es sind die Componenten einer ebenso grossen Kraft , die der vorigen entgegengesetzt auf den Punkt wirkt. Es ist also


(3)







 Das virtuelle Moment der Zusatzkräfte ist demnach


(4)


d. h.


oder auch


Die Grösse der Kraft bleibt vorläufig unbestimmt. Ihr Vorzeichen kann sowohl positiv als auch negativ sein. Es ist positiv für |[166]Fig. 29, negativ für Fig. 30. Man hat aber zu bemerken, dass ist in Folge der Bedingungsgleichung (2).

 Zweitens. Die beiden Punkte und seien durch einen biegsamen, aber unausdehnsamen Faden verbunden. Sie werden dadurch an eine Bedingung geknüpft, deren analytischer Ausdruck ist


(5)


wenn gesetzt wird. In diesem Falle bildet die Verbindung gar kein Hindernis, so lange ist, und es ist ebenso lange die Zusatzkraft . Wenn aber ist, so hebt die Verbindung zwei gleich grosse Abstossungskräfte auf, deren Richtungen einander entgegengesetzt in die Verbindungslinie der beiden Punkte fallen, und von denen die eine auf den Punkt , die andere auf den Punkt wirkt. Bezeichnet man also mit die absolute Grösse der beiden Zusatzkräfte, welche im Punkte und im Punkte anzubringen sind, so hat man (Fig. 30) für die Componenten die Gleichungen


(6)







 Das virtuelle Moment dieser Zusatzkräfte ist


(7)


Dieses Moment ist gleich Null für , weil dann ist. Es ist gleich Null oder positiv, wenn ist. Denn dann ist vermöge der Bedingung (5). Der Werth der absoluten Grösse bleibt für vorläufig unbestimmt.

 Drittens. Die beiden Punkte und seien so mit einander verbunden, dass ihr Abstand von einer gegebenen |[167]Grösse an beliebig vermehrt, aber unter diese Grösse herab nicht vermindert werden kann. Diese Bedingung lässt sich durch (5) ausdrücken, wenn



gesetzt wird. Die Verbindung bildet kein Hindernis, so lange , und ebenso lange ist demnach die Zusatzkraft . Wenn aber ist, so hebt die Verbindung zwei gleich grosse Anziehungskräfte auf, deren Richtungen einander entgegengesetzt in die Verbindungslinie der beiden Punkte fallen, und von denen die eine auf den Punkt die andere auf den Punkt wirkt. Bezeichnet man wieder mit die absolute Grösse der beiden Zusatzkräfte, welche im Punkte und im Punkte anzubringen sind, so gelten (Fig. 29) für die Componenten die Gleichungen (3). Das virtuelle Moment dieser Zusatzkräfte ist demnach


(8)


Es ist gleich Null für weil dann Es ist gleich Null oder positiv, wenn ist. Denn dann ist vermöge der Bedingung (5). Der Werth der absoluten Grösse bleibt für wieder vorläufig unbestimmt.

 Viertens. Der Punkt sei gezwungen, in einer Fläche zu bleiben, welche durch die Gleichung


(9)


charakterisirt wird. Die Fläche scheidet zwei Räume von einander. Für jeden Punkt in dem einen Raume für jeden Punkt in dem anderen Raume ist Für irgend einen Punkt in der Fläche selbst unterscheiden wir die positive und die negative Normale. Die positive Normale geht von dem Punkte aus in den Raum, für welchen positiv ist. Sie schliesst mit den positiven Richtungen der Coordinatenaxen Winkel ein, deren Cosinus die Werthe haben





Die Bedingung, an welche die Bewegung des Punktes geknüpft ist, lässt sich durch die Gleichung ausdrücken: |[168]


(10)


wenn gesetzt wird. Das Hindernis, welches dadurch der freien Bewegung des Punktes entgegengesetzt wird, kann nur eine Kraft aufheben, deren Richtung stets in die negative oder in die positive Normale der Fläche fällt. Also wird auch die Zusatzkraft welche im Punkte anzubringen ist, die Richtung der positiven oder der negativen Normale haben. Setzen wir zur Abkürzung


(11)


so hat jene Zusatzkraft die Componenten



und ihr virtuelles Moment ist


(12)


Das Vorzeichen von ist positiv oder negativ, je nachdem die Zusatzkraft in die positive oder in die negative Normale fällt. Der Werth von bleibt vorläufig unbestimmt. Aber das virtuelle Moment ist gleich Null, weil vermöge der Gleichung (10).

 Fünftens. Der Punkt soll sich frei bewegen können in dem Raume, für welchen ist, und auf der Fläche (9). Er werde aber verhindert, durch diese Fläche hindurch in den Raum überzutreten, für welchen Diese Bedingung lässt sich so aussprechen:


(13)


wenn gesetzt wird. Hier ist die Zusatzkraft , welche dieselbe Wirkung ausübt wie das Hindernis, gleich Null, so lange Sie ist positiv, wenn Ihr virtuelles Moment ist


(14)


wobei wieder durch die Gleichung (11) definirt wird. Dieses Moment ist so lange weil dann ist. Es ist Null oder positiv für Denn dann ist positiv und vermöge der Bedingung (13).

 Fassen wir die gewonnenen Resultate zusammen. Die Bedingungen, welche den Punkten des unfreien Systems durch die |[169]vorhandenen Verbindungen auferlegt werden, lassen sich analytisch ausdrücken durch Gleichungen oder Ungleichungen von der Form



Die Functionen sind abhängig von den Coordinaten der Punkte des Systems oder von einigen derselben. Das Princip des Lagrange ist jetzt in der Gleichung enthalten


(15)


Dafür kann man auch schreiben


(16)


Die durch das Zeichen vorgeschriebene Summirung bezieht sich auf sämmtliche Functionen , die in den Bedingungen des Systems vorkommen. Die Variationen sind der Reihe nach mit den vorläufig noch unbestimmten Grössen zu multipliciren. Die rechte Seite der Gleichung (16) ist entweder Null oder negativ, weil jedes einzelne gleich Null oder positiv ist.