57) D. Iunius Brutus Callaicus. Er wird von Cic. Brut. 107 M. f., von den Fasti Cap. [M.] f. M. n. genannt und war jedenfalls ein Sohn von Nr. 48 und folglich jüngerer Bruder von Nr. 49, mit dem er starke geistige Interessen gemein hat. Seine Laufbahn bis zum Consulat ist nicht bekannt; dieses bekleidete er 616 = 138 (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Liv. ep. Oxyrynch. LV. Cassiod., vgl Dig. I 13, 1, 2: Decimo Druso [statt Bruto] et Porcina [cos. 617 = 137] consulibus mit Mommsens adn. = St.-R. II 532, 3). Gemeinsam mit seinem Amtsgenossen P. Scipio Nasica Serapio (o. Bd. IV S. 1502) stellte er die Untersuchung über die Mordtaten im Silawalde an (Cic. Brut. 85–88) und die Aushebungen für den spanischen Krieg, die zu einem scharfen Zusammenstoß zwischen den Consuln und zwei Volkstribunen führten. Die Berichte bei Cic. leg. III 20 und Liv. ep. LV über diesen Streit werden durch Liv. ep. Oxyr. LV dahin ergänzt, daß die den Consuln entgegentretenden Tribunen (die Mehrzahl auch in der alten ep.) C. Curiatius und S. Licinius waren und daß den Consuln, als sie von ihnen ins Gefängnis abgeführt wurden, auf Bitten des Volkes die Strafe erlassen ward. Die strenge Bestrafung von Fahnenflüchtigen durch die Consuln erwähnt ep. Oxyr. abweichend von der alten ep. nicht vor, sondern nach diesem Streit (vgl. noch Frontin. strat. IV 1, 20). Brutus erhielt das jenseitige Spanien zur Provinz, wo nach dem Ende des Viriathus der Friede noch keineswegs hergestellt war, und hat sich dort in mehreren Feldzügen hohen Ruhm erworben. Die erhaltenen Berichte gehen einerseits auf Polybios zurück, anderseits auf gleichzeitige römische Annalisten; von jenem abhängig ist Appian. Ib. 73–75 (mit dem irrigen Vornamen des Brutus im Anfang: Σέξτος Ἰούνιος Βροῦτος. über die Einfügung des Abschnitts vgl. Mendelssohns Ausg. p. 118f. adn.) und Strab. III 3, 1ff. p. 152ff. in einer Reihe Notizen (vgl. Cuntz Polybius u. sein Werk [Leipz. 1902] 34ff. Schulten Herm. XLVI 578ff.), von diesen die aus Livius abgeleitete römische Tradition. Für die Chronologie ergibt sich aus Liv. ep. Oxyr. LV mit Sicherheit, daß in das erste J. 616 = 138 die Unterwerfung der eigentlichen Lusitanier bis zum Meere und zum Durius gehört, in das zweite J. 617 = 137 der Übergang über den Fluß Oblivio und somit der Feldzug gegen die Callaiker bis zum Minius, so daß bei Appian Ib. 74 Anf. der Bericht über 617 = 137 beginnt. Es können aber
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nicht alle folgenden Ereignisse in dasselbe Jahr fallen; dagegen spricht die Verteilung der Taten des Brutus in der alten ep. des Livius auf die Bücher LV und LVI, ferner die Angabe des Appian. Ib. 74, daß einige Städte τότε μὲν τῷ Βρούτῳ προςετίθεντο, οὐ πολὺ δ’ ὕστερον ἀφίσταντο· καὶ αὐτὰς ὁ Βροῦτος κατεστρέφετο αὖτις; bei Livius wie bei Appian liegt hier offenbar die Grenze der J. 617 = 137 und 618 = 136. Der Abfall der eben unterworfenen Stämme ist gewiß eine Folge der Kapitulation des Mancinus bei Numantia gewesen, die dem Ansehen Roms auf der ganzen Halbinsel einen schweren Stoß versetzte. Infolge dieser Katastrophe fanden im Anfang von 618 = 136 in Rom eingehende Verhandlungen über Spanien statt, bei denen Scipio Aemilianus einer der Wortführer war (o. Bd. IV S. 1453,[1] 32. Bd. VIII S. 2510, 47ff.); Fest. 241 führt als Beleg für die Form potestur eine Rede Scipios de imperio D. Bruti an, und diese Rede ist wahrscheinlich damals gehalten worden, um die nochmalige Prorogation des Kommandos, die ungewöhnlich war, zu empfehlen. Dagegen ist aus Eutrop. IV 19, 1 nicht mit Bestimmtheit zu folgern, daß Brutus erst 622 = 132 triumphierte und sein Kommando so viele Jahre hindurch behielt; die Anordnung der Ereignisse ist bei Eutrop nicht so genau. Liv. ep. LV berichtet zuerst aus dem Consulatsjahre des Brutus 616 = 138, daß er den Anhängern des Viriathus Land und die Stadt Valentia als Wohnsitz angewiesen habe. Appian. Ib. 72 E. berichtet ähnliches von dem Vorgänger des Brutus, Q. Servilius Caepio, ohne Nennung eines bestimmten Ortes. Wenn Valentia bei Livius das heutige Valenca auf dem linken Ufer des unteren Minho ist, so konnte Brutus diese Stadt erst im zweiten Jahre gründen und siedelte dann die Leute des Viriathus an der äußersten Grenze des von ihm bezwungenen Gebietes an. Er erkannte die Unmöglichkeit, der Lusitanier in dem ihnen vertrauten Kleinkriege im Gebirge Herr zu werden, und ging systematisch gegen die bebauten Ebenen und die festen Ansiedlungen vor. Zunächst unterwarf er die Keltiker (Flor. I 33, 12) und drang bis zur Mündung des Tagus vor. Nun verwüstete er das Land (vgl. Liv. ep. Oxyr. LV: Lusitani vastati; Appian. 73: ἐδῄου τὰ ἐν ποσὶν ἅπαντα) und entzog so den Feinden die Lebensmittel, während er sich selbst in Olisipo einen festen Stützpunkt schuf, von dem aus er auf dem Wasserwege für die Verpflegung seines eigenen Heeres sorgen konnte (vgl. Strab. III 3, 1 p. 152). Dem Laufe des Tagus und der Küste folgend, unterwarf er die Städte der Lusitanier, die aus den Bergen vielfach zum Schutz der bedrohten Ihrigen herbeieilten und sich unter ungünstigen Bedingungen zum Kampfe stellten (Appian. 73, vgl. Liv. ep. LV: Lusitaniam expugnationibus urbium usque ad Oceanum perdomuit). Im folgenden J. 617 = 137 überschritt er den Durius und wandte sich gegen die mit den Lusitaniern eng zusammenhängenden Callaiker und Brakarer (vgl. über sie Hübner o. Bd. III S. 1356ff.). Er gelangte an den Fluß Limia, dessen anderer Name Oblivio die Gleichsetzung mit dem mythischen Strome Λήθη veranlaßte und die abergläubischen Soldaten mit Furcht erfüllte; der Proconsul ergriff selbst ein Feldzeichen
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und trug es durch den Fluß, um den Bann zu brechen (Liv. ep. und ep. Oxyr. LV. Flor. I 33, 12. Appian. 74. Plut. quaest. Rom. 34, vgl. Strab. III 3, 4 p. 153. Mela III 10. Plin. n. h. IV 115: flumen Oblivionis antiquis dictus multumque fabulosus). Sein Siegeszug führte ihn bis an den Minius (Appian.: μέχρι Νίμιος … προελθών Strab.: τῆς … Βρούτου στρατείας ὅρος οὗτος); überall warf er den Widerstand der tapferen Feinde, bei denen auch die Frauen mit Todesverachtung am Kampfe teilnahmen, siegreich nieder (Appian.), scheint ihnen auch zur See oder auf dem Flusse seine Überlegenheit gezeigt zu haben (vgl. Strab. III 3, 7 p. 155) und einen großen Sieg in einer Feldschlacht errungen zu haben, der wohl in seinen eigenen Siegesberichten und infolgedessen in den römischen Annalen besonders hervorgehoben wurde, um seinen Anspruch auf den Triumph und den Siegesbeinamen zu rechtfertigen (vgl. namentlich die aufgebauschten Zahlen bei Oros. V 5, 12: 60 000 Feinde, von denen 50 000 getötet und 6000 gefangen sein sollen [referuntur], auch Vell. II 5. 1); der Schlachttag war nach Ovid. fast. VI 461f. der 9. Juni, wahrscheinlich der Tag, an dem Brutus dem Mars einen Tempel gelobte. Die Unterwerfung Spaniens bis zum Ozean, der Grenze der Welt, wird von Brutus vielfach gerühmt (vgl. bes. Flor. I 33, 12: peragrato victor Oceani litore non prius signa convertit, quam cadentem in maria solem … deprendit. Liv. ep. LV. LVI. LIX. Vell. Ruf. Fest. brev. 5, 1. Euseb. chron. II 128 i. 129m, auch Cic. Balb. 40. Ampel. 47, 3). Aber auf die Unterwerfung folgte, wahrscheinlich 618 = 136 (s. o.), vielfach eine neue Erhebung. Appian. 75 handelt ausführlich von der Wiedergewinnung von Talabriga; da diese Stadt südlich des Durius lag, brach der Aufstand wohl im Rücken des ins Gebiet der Callaiker vorgedrungenen Feldherrn aus; sein Verhalten gegen Talabriga zeigt, daß er die Treulosigkeit anderer römischer Feldherren gegen die Spanier nicht mitmachte, aber als Schreckmittel anwandte; Habsucht wird auch ihm von den Feinden vorgeworfen in einer Anekdote bei Val. Max. VI 4 ext. 1 über die Verhandlungen mit der sonst unbekannten Stadt Cinginnia (vgl. Hübner o. Bd. III S. 2560 und zu der Antithese: ferrum sibi a maioribus … non aurum … relictum o. Bd. VII S. 332f. Norden Ennius und Vergilius [Leipzig 1915] 108, 2). Nachdem Brutus in seiner eigenen Provinz die Ordnung wiederhergestellt hatte, zog er dem mit ihm verschwägerten Statthalter der diesseitigen Provinz, M. Aemilius Lepidus Porcina, zu Hilfe gegen die Vaccaeer, aber ihr gemeinsamer Angriff gegen Pallantia (jetzt Palencia auf der altkastilischen Hochebene nördlich von Valladolid) endete nach längerem Bemühen mit einem Mißerfolg und beträchtlichen Verlusten. Appian. Ib. 80–82 berichtet diesen Feldzug unter dem Consulat des Lepidus; da dieser erst spät im J. 617 = 137 seinen Amtsgenossen C. Hostilius Mancinus ablöste, fällt die Unternehmung nicht vor den Winter und die Teilnahme des Brutus vielleicht erst in die spätere Zeit von 618 = 136, obgleich die scheinbar beim Abzug der Römer von Pallantia eintretende Mondfinsternis die des 1. April 136 ist (vgl. Schulten Numantia I
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364f.). Nach seiner Heimkehr feierte Brutus einen Triumph über die Lusitanier und Callaiker (Eutrop. VI 19, 1: de Callaecis et Lusitanis; Plut. Ti. Gr. 21, 1: ἀπὸ Λυσιτανῶν; vgl. noch Liv. ep. LVI?) und empfing den Siegesbeinamen Callaicus, für den zahlreichere Zeugnisse vorliegen, als Mommsen (Röm. Forsch. I 53, 80) annahm (Fasti Cap.: [qui postea] Cal[la]icus appell[atus est]. Ovid. fasti VI 461f. Vell. II 5, 1. Plin. n. h. XXXVI 26. Schol. Bob. Arch. 359 Or. = 179 Stangl. Ampel. 19, 4. 23. 26, 2. Strab. III 3, 1 p. 152. 3, 2 p. 153); aus dem Ertrage der Beute errichtete er dem Mars einen Tempel im Marsfeld (Plin. a. O., vgl. Cic. Arch. 27 mit Schol. Bob. a. O. Wissowa Rel. u. Kult. d. Röm.² 146. Fornari Bull. com. XXXIX 261-264; Stiftungstag 23. September verschieden von dem Tag des Gelübdes 9. Juni [s. o.]). 625 = 129 begleitete er als Legat den Consul C. Sempronius Tuditanus in den Krieg gegen die illyrischen Iapuden und verhalf durch seine Kriegserfahrung dem anfangs geschlagenen Consul zu einem ruhmvollen Siege (Liv. ep. LIX, vgl. Bücheler Rh. Mus. LXIII 325). Noch einmal bewährte er diese seine Kriegserfahrung, aber um Bürgerblut zu vergießen, nämlich 633 = 121 bei der Katastrophe des C. Gracchus an der Seite des Consuls L. Opimius auf dem Aventin (Oros. V 12, 7. Ampel. 19, 4. 26, 2). Brutus war Augur (Cic. Lael. 7, wo übrigens seine Anwesenheit in Rom im J. 625 = 129 angenommen wird, während er damals in Illyrien war) und scheint in religiösen Dingen seine eigene Meinung gehabt zu haben (Cic. leg. II 54 mit einer Lücke, angeführt von Plut. quaest. Rom. 84, vgl. Mommsen Histor. Schr. I 102, 24; St.-R. I 600,1 und dagegen Wissowa a. O. 233). Er war als Redner nicht ungewandt und mit römischer wie mit griechischer Bildung verhältnismäßig wohl vertraut (Cic. Brut. 107; vgl. leg. II 54). Für seinen Philhellenismus zeugt namentlich, daß er den Bau des Marstempels dem griechischen Architekten Hermodoros übertrug (Nep. frg. 26 Peter aus Priscian. VIII 17; G L. II 383, 4) und ihn mit erlesenen Meisterwerken des Skopas, einer Kolossalfigur des sitzenden Ares und einer Aphrodite, schmückte (Plin. n. h. XXXVI 26). In der Vorhalle, wie auch auf anderen Siegesdenkmälern, ließ er Epigramme und zwar in Saturniern anbringen, die Accius gedichtet hatte (Cic. Arch. 27. Schol. Bob. z. d. St. 359 Or. = 179 Stangl. Val. Max. VIII 14, 2); dieser Dichter stand in nahen Beziehungen zu ihm, hatte wahrscheinlich ihm zu Ehren die Praetexta ,Brutus‘ gedichtet, deren Held der angebliche Ahnherr des hohen Gönners war, und wird noch von Cicero aus eigener Erinnerung als Zeuge für seine ganze Persönlichkeit angeführt (Brut. 107, vgl. Arch. 27; leg. II 54. Schol. Bob. Val. Max.; o. Bd. I S. 143, 19ff.). Brutus war verheiratet mit einer Clodia, die ihn lange überlebte (Cic. ad Att. XII
22, 2; o. Bd. IV S. 105 Nr. 65); der Sohn beider war Nr. 46. Nach Cornelius Nepos (frg. 9 Peter bei Plut. Ti. Gr. 21, 1; ebenso Ampel. 19, 4. 26, 2) war eine Tochter des Brutus die Gemahlin des C. Gracchus, während nach den übrigen (auch von Plut. a. O. bevorzugten) Quellen dessen Frau vielmehr eine Licinia, Tochter des P. Licinius Crassus Mucianus, war. Vielleicht ist die Behauptung
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des Nepos so zu erklären, daß Brutus die Witwe des Crassus geheiratet hatte und daher seine Stieftochter mit Gracchus vermählt war, denn der Name dieser Frau wird nicht etwa mit Iunia angegeben. Der Sohn Nr. 46 ist aber dem Brutus offenbar erst spät, gegen 634 = 120 geboren worden.