92) C. Sempronius Tuditanus, war C. f. C. n. (Acta triumph.), und zwar Sohn von Nr. 91 (Cic. ad Att. XIII 4, 1. 6, 4). Cicero warf ihn irrtümlich mit seinem Vater zusammen und wurde erst von Atticus, Ende Mai 709 = 45 über die Verschiedenheit beider aufgeklärt (vgl. Herm. XLIX 208f.). Tuditanus nahm 608 = 146 am Feldzuge des Mummius in Griechenland als Offizier teil (Cic. ebd. XIII 33, 3), begann die politische Laufbahn im folgenden Jahre 609 = 145 als Quaestor (ebd. 4, 1) und erhielt die curulischen Ämter ohne Mühe in den gesetzlich zulässigen Fristen (legitimis annis ebd. 32, 3), offenbar als Anhänger der Scipionenpartei. Nicht zwingend ist der Beweis, daß er 619 = 135 die curulische Aedilität bekleidete (Seidel Fasti aedilicii [Diss. Breslau 1908] 42f.; vgl. Cichorius Untersuch. zu Lucilius 236). Zur Praetur gelangte er 622 = 132 (Cic. ad Att. XIII 30, 2. 32, 3. Unsicher die Identifikation mit C. Sempronius Cn. [?] f. Falerna Joseph. ant. Iud. XIII 260, s. Nr. 5f.) und zum Consulat 625 = 129 (Cic. ad Q. fr. III 5, 1; rep. I 14; nat. deor. II 14. Vell. II 4, 4. Oros. V 10, 9. Cassiod.; entstelltes Kognomen Hydat. Chron. Pasch. Ganz zweifelhaft G. Sempr. Amphoreninschrift CIL I2 653[1] o. Nr. 4). Sein Amtsgenosse M’. Aquillius erhielt Asien zur Provinz, er selbst Italien. Die Einziehung von unrechtmäßig okkupierten Ländereien durch die gracchische Ackeranweisungskommission hatte Beschwerden der Bundesgenossen zur Folge gehabt; ein von Scipio Aemilianus veranlaßter Senatsbeschluß übertrug dem Tuditanus die Entscheidung darüber; er nahm den in Illyrien drohenden Krieg zum Vorwand, um sich dieser Aufgabe zu entziehen und damit die weitere Landverteilung unmöglich zu machen (Appian. bell. civ. I 80). In Illyrien kämpfte er gegen die Iapyden anfangs ohne Glück, erfocht dann aber mit Hilfe seines kriegserfahrenen consularischen Legaten D. Brutus Callaicus einen großen Sieg (Liv. ep. LIX. Appian. Illyr. 10) und erhielt einen Triumph über dieses feindliche Volk (Acta triumph., vgl. o. Bd. IX S. 725, 30. X S. 1024, 18). Er sorgte für die Verewigung seiner Taten durch eine Statue, deren Aufschrift Plin. n. h. III 129 teilweise erhalten hat, und durch eine vielleicht davon gar nicht verschiedene Weihung an den Flußgott Timavus in Aquileia, von der nach einem Funde von 1906 zwei Bruchstücke, mit Resten von sechs saturnischen Versen vorliegen (Dessau 8885 = CIL I2 652[2] mit Angabe der Literatur; dazu Birt Rhein. Mus. LXXIII 1920, 306–321, nicht überzeugend); er erwähnte darin als Gegner die Histrer (Plin.) und Taurisker, die Zahl der Gefechte, die Entfernung der feindlichen Posten (Plin.), den Triumph. Außerdem bemühte er sich anscheinend um die poetische Verherrlichung seines Feldzuges, namentlich bei Hostius, der seinen Wunsch mit dem Bellum Histricum erfüllte (vgl. Kroll o. Bd. VIII S. 2516. Leo Gesch. d. röm. Lit. I 405), und vielleicht bei Lucilius, der ihn in der Einleitung zu B. XXX ablehnte, jedoch in einer für Tuditanus schmeichelhaften
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Form (vgl. Cichorius a. O. 181–192, freilich recht unsichere Hypothesen; dazu auch Leo a. O. 413, 3). Von dem Leben des Tuditanus ist sonst nichts bekannt (vgl. über C. Sempronius C. f. Falerna tribu im S. C. de Adramyt. Nr. 6), und von seiner literarischen Betätigung sehr wenig. Cic. Brut. 95 sagt allgemein: C. Tuditanus cum omni vita atque victu excultus atque expolitus, tum eius elegans est habitum etiam orationis genus, eodemque in genere est habitus ... M. Octavius; mit diesem Amtsgenossen und Gegner des Ti. Gracchus im Tribunat von 621 = 133 gehörte Tuditanus wohl nicht nur als Redner, sondern auch als Politiker eng zusammen. Seine Schriftstellerei war dem Cicero nicht näher bekannt und beschränkte sich nach dem von Cichorius (Wien. Stud. XXIV 588–595) überzeugend gelieferten und von Peter (Hist. Rom. rel. I2, CCIIf.) und Rosenberg (Quellenkde. d. röm. Gesch. 133) nicht entkräfteten Beweise auf die von Macrob. Sat. I 13, 21 zitierten Libri magistratuum in mindestens 13 Büchern (in commentario tertio decimo G. Tuditani Messalla Augur bei Gell. XIII 15, 4; vielleicht Tuditanus tertio decimo Plin. n. h. XIII 84; vgl. Peter a. O. CCII, 4). Diese Schrift und die mindestens sieben Bücher de potestatibus des M. Iunius Congus Gracchanus waren die ersten in ihrer Art (vgl. Mommsen St.-R. I 4, 3) und waren Erzeugnisse der damaligen Parteikämpfe; Iunius wollte den Anhängern der Gracchen und Tuditanus ihren Gegnern das staatsrechtliche Rüstzeug liefern; ein Beispiel ihres Gegensatzes ist, daß jener die Schaltung auf Servius Tullius zurückführte und dieser auf das zweite Decemviralkollegium (Macrob. a. O.), und wahrscheinlich ein weiteres Beispiel, daß jener die Einrichtung der Nundinen wiederum dem Servius zuschrieb (Varro bei Macrob.) und dieser dem Romulus (Macrob. I 16, 32; vgl. Cichorius Untersuch. zu Lucilius 125f., zustimmend Leo a. O. 351, 1. Wissowa o. Bd. X S. 1032, 60ff.). Die wenigen Zitate aus Tuditanus sind stets mit solchen anderer Autoren republikanischer Zeit verbunden, das über die Aboriginer bei Dionys. I 11, 1. 13, 2 mit einem des Cato, die über die angeblichen Bücher des Numa (Plin.), über die Interkalation, über die Nundinae (Macrob.) mit solchen des Cassius Hemina, die über Numa und über die Einsetzung des Volkstribunats mit solchen aus Piso (dieser zitiert von Liv. II 58, 1 und Livius wieder neben Tuditanus von Ascon. Cornel. 68 Kiessl. = 60 Stangl); der Vermittler ist stets Varro, der die Abhängigkeit des Tuditanus von den Vorgängern Cato und Hemina und sein Verhältnis zu den Zeitgenossen, Übereinstimmung mit Piso, Abweichung von Iunius Gracchanus, feststellte. Das Zitat über die Leitung der Wahlen bei Gell. XIII 15, 4 ist durch den Augur Messalla vermittelt und das über Regulus ebd. VII 4, 1 durch Tubero, also durch Zeitgenossen Varros; das auf einer Konjektur beruhende bei Plut. Flamin. 14 ist von Cichorius (Wien. Stud. XXIV 591ff.) mit Recht beseitigt worden. Nur bei der Angabe über Regulus (dazu Klebs o. Bd. II S. 2089f.) kann man sich schwer vorstellen, in welchem Zusammenhänge sie in einem staatsrechtlichen Werke gestanden haben mag; alle übrigen fügen sich einem solchen ebensogut und besser ein, als einer annalistischen Geschichtsdarstellung.
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Doch die dürftigen Reste lassen eine klarere Anschauung von seiner Art und Anlage nicht zu, da auch nichts Vergleichbares erhalten ist. Letzte Zusammenstellung des Materials bei Peter Hist. Rom. rel. I2, CCI–CCIII. 143–147, vorher teilweise auch bei Huschke Iurisprud. Anteiust. I 9f. Bremer Iurisprud. Antehadr. I 35f. Die Kinder des Tuditanus sind Nr. 89 und 100.