43) Cn. Domitius Calvinus, M. f. M. n. nach dem Zeugnis der Fasten, Inschriften und Dios, war 692 = 62 Legat des L. Valerius Flaccus in Asien (Cic. Place. 31. 68) und 695 = 59 Volkstribun. Als solcher stellte er sich mit zwei seiner Collegen, Q. Ancharius (o. Bd. I S. 2102 Nr. 3) [1420] und C. Fannius, auf die Seite des Consuls M. Calpurnius Bibulus (o. Bd. III S. 1368 Nr. 28) und suchte ihm gegen die Übergriffe des andern Consuls C. Caesar und seiner Anhänger, P. Clodius und des Tribunen P. Vatinius, beizustehen (Cic. Sest. 113; Vatin. 16 mit Schol. Bob. p. 304. 317. 318. 324 Or.; τρεῖς δήμαρχροι ohne Namen Dio XXXVIII 6, 1); bei einem der sich daraus ergebenden Tumulte wurde D. persönlich von den Gegnern misshandelt (Cic. de or. II 249). Von der Optimatenpartei unterstützt, gelangte er im J. 698 = 56 zur Praetur (Cic. Sest. 113; Vatin. 16 mit Schol. Bob. a. O.) und führte den Vorsitz in dem Gerichtshofe, der über ambitus zu urteilen hatte, so im Februar in dem Processe des L. Calpurnius Bestia (Cic. ad Q. fr. II 3, 6), vielleicht auch einmal vertretungsweise in dem Gerichtshof für Vergewaltigung, nämlich beim Processe des M. Caelius Rufus Anfang April (Cic. Cael. 32, vgl. Nr. 11); ferner machte er sich beliebt durch die Pracht seiner Spiele, der Ludi Apollinares (Cic. ad Att. IV 16, 6. 17, 3). Im J. 700 = 54 unter dem Consulat des Ap. Claudius Pulcher und Nr. 27 bewarb er sich um das Consulat für das folgende Jahr zugleich mit einem anderen Plebeier C. Memmius und zwei Patriciern M. Valerius Messalla und M. Aemilius Scaurus unter Anwendung der verwerflichsten Mittel. Er einigte sich mit Memmius zunächst zur Erkaufung der Stimmen der Centuria praerogativa (Cic. ad Q. fr. II 14, 4) und dann zu der der im Amte befindlichen, die Wahlen leitenden Consuln; der förmliche Vertrag, den die beiden Candidaten mit den beiden Beamten abgeschlossen hatten, wurde dann aber von Memmius selbst auf Veranlassung des Pompeius im Senat der Öffentlichkeit übergeben (Cic. ad Att. IV 15, 7. 17, 2; ad Q. fr. II 15, 2. III 1, 16). Trotzdem schienen die Aussichten des D. und die des Messalla die verhältnismässig günstigsten, aber die Wahlen wurden lange verschleppt. Erst gedachte man gegen sämtliche Bewerber wegen der Wahlumtriebe eine Untersuchung in besonderer Form (tacitum iudicium) einzuleiten (Cic. ad Att. IV 17, 3); dann wurden die Comitien unter allerhand Vorwänden verzögert und schliesslich die einzelnen Candidaten von verschiedenen Anklägern wegen Ambitus vor Gericht gezogen, darunter D. von dem Tribunen C. Memmius (ebd. 17, 5: ad Q. fr. III 2, 3, vgl. 3, 2). Darüber ging das Jahr zu Ende, ohne dass die Wahlen zu stande gekommen waren, und mit dem Beginn des J. 701 = 53 trat ein Interregnum ein, infolgedessen alle jene Processe nicht zur Verhandlung kamen: dieses Interregnum dauerte bis in den Juli hinein fort, ohne jedoch mit der Übertragung aller Gewalt in Form der Dictatur auf Pompeius seinen Abschluss zu finden. Vielmehr wurden nun, um ein volles Jahr zu spät, die Wahlen endlich abgehalten; D., der sich Ende 700 = 54 dem Pompeius empfohlen hatte, indem er als Richter im Majestätsprocesse des A. Gabinius in ostentativer Weise für die Freisprechung des Angeklagten stimmte (Cic. ad Q. fr. III 4, 1), wurde nun mit Messalla für den Rest des Jahres gewählt (Tessera CIL I 733. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Ascon. Mil. p. 42. Macrob. I 9, 14. Cassiod. Plut. Pomp. 54, 3. Dio XL ind. 17, 1. 46, 1). Die Anarchie [1421] in Rom dauerte in den Monaten ihrer Amtsführung fort und verschlimmerte sich noch, da die Bewerber um das Consulat für das nächste Jahr, T. Annius Milo, Q. Caecilius Metellus Scipio und P. Plautius Hypsaeus, sowie P. Clodius, der sich um die Praetur bewarb, nicht nur in Wahlumtrieben jeder Art mit einander wetteiferten, sondern sich auch mit offener Gewalt bekämpften. Wie in Zeiten der Landestrauer beriefen die Consuln den Senat, ohne ihre Insignien anzulegen (Dio XL 46, 1, vgl. Mommsen St.-R. I 419, 8); der einzige von ihnen zu stande gebrachte Senatsbeschluss, der bekannt ist, dass zwischen der Bekleidung eines städtischen Amtes und einer Provincialstatthalterschaft fünf Jahre liegen sollten, blieb zunächst wirkungslos, wenn er auch von Caesars Gegnern bald wieder aufgenommen wurde (Dio XL 30, 1. 46, 2, vgl. Mommsen St.-R. II 241); bei einem Versuche, die Wahlcomitien abzuhalten, wurden beide Consuln (nur D. nach Dio) 2 durch Steinwürfe verwundet (Cic. de aere al. Mil. frg. 7 bei Schol. Bob. p. 343 Or. Dio XL 46, 3) und mussten schliesslich abtreten, ohne Nachfolger zu haben. In der nächsten Zeit entschloss sich D., auf Caesars Seite zu treten, wo er im Bürgerkriege in bedeutender Stellung erscheint. Im Frühjahr 706 = 48 wurde er von Caesar mit zwei Legionen und 500 Reitern von Illyrien aus nach Makedonien gesandt, um dem von Asien her anrückenden Metellus Scipio den Weg zu verlegen (Caes. bell. civ. III 34, 3). Während der Kämpfe bei Dyrrhachion hielten sich beide durch geschickte Manöver in Makedonien fest, ohne dass es zu offenem Kampfe zwischen ihnen kam (Caes. bell. civ. III 36, 1–38, 4, abweichend Dio XLI 51, 2f., auch Appian. bell. civ. II 60, vgl. darüber o. Bd. III S. 1227. 1411). Gefährlich wurde die Lage des D., als die beiden Hauptarmeen von Dyrrhachion aufbrachen, aber die Caesars zunächst südwärts nach Apollonia, die des Pompeius dagegen sehr bald ostwärts, so dass sie sich zwischen D. und Caesar schob. Von allen Verbindungen abgeschnitten, erfuhr D. nur zufällig durch die Geschwätzigkeit einiger bei Pompeius dienenden Kelten, dass er in kürzester Zeit von den zwei feindlichen Heeren des Pompeius und des Metellus Scipio in die Mitte genommen und erdrückt werden musste, und rettete sich eben noch rechtzeitig durch einen eiligen Rückzug aus seiner Stellung bei Herakleia Lynkestis nach Süden nach Aiginion am oberen Peneios, so dass er die Vereinigung mit dem inzwischen auch nach Thessalien eilenden Caesar glücklich bewerkstelligen konnte (Caes. bell. civ. III 78, 2 –79, 7). In der Schlacht bei Pharsalos führte er dann das Mitteltreffen Caesars und stand hier wieder dem Metellus Scipio gegenüber (Caes. bell. civ. III 89, 3. Plut. Pomp. 69, 1 mit dem falschen Praenomen L.; Caes. 44, 1. Appian. bell. civ. II 76). Während Caesar nach dem Siege den Pompeius verfolgte, übertrug er dem D. die Ordnung der kleinasiatischen Angelegenheiten (bell. Alex. 34, 1); aber von den drei Legionen, die er ihm mitgab, mussten zwei sehr bald dem in Alexandreia bedrängten Oberfeldherrn zu Hülfe geschickt werden (ebd. 9, 3. 34, 3). D. hatte daher nur noch die 36. Legion, als er sich veranlasst sah, gegen den bosporanischen König Pharnakes, den [1422] Sohn des Mithridates Eupator, ins Feld zu rücken, der die Gelegenheit benutzt hatte, um grosse Teile seines väterlichen Reiches an sich zu bringen. Verstärkt durch zwei von dem galatischen Tetrarchen Deiotarus (s. o. Bd. IV S. 2402) nach römischem Muster gebildete und eine in Pontus ausgehobene Legion marschierte D. durch Kappadokien, das der Feind räumte, gegen Kleinarmenien, dessen Herausgabe er verweigerte; aber die neuen Truppen bewährten sich, als es zum Kampfe kam, so wenig, dass D. bei Nikopolis eine schwere Niederlage erlitt und mit den Resten seines Heeres nach der Provinz Asia zurückgehen musste (bell. Alex. 34, 1-40, 5. 65, 3. Liv. ep. CXII. Suet. Caes. 35. 36. Plut. Caes. 50, 1. Appian. bell. civ. II 91; Mithr. 120. Dio XLII 46, 1f. 47, 2). Nach der Rückkehr aus Ägypten machte Caesar den Schaden durch den Sieg bei Zela am 2. August 707 = 47 bald wieder gut; D. hatte die Genugthuung, den geschlagenen Pharnakes nach Sinope zu verfolgen und zur Capitulation zu zwingen, worauf er ihn als unschädlich entlassen konnte (Appian. Mithr. 120); er behielt vorläufig die Leitung der kleinasiatischen Dinge, da Caesar selbst weiter nach Rom eilte (Dio XLII 49, 1). Doch im folgenden J. 708 = 46 begleitete D. den Dictator wieder in den africanischen Krieg und wurde nach der Schlacht bei Thapsus am 6. April mit zwei Legionen gegen Thysdra gesandt, das der feindliche Commandant C. Considius Longus auf die Kunde von seinem Anmarsch schleunigst verliess (bell. Afr. 86, 3. 93, 1). Im J. 709 = 45 war D. in Rom und anwesend beim Process des Deiotarus, für den er als Entlastungszeuge auftreten konnte (Cic. Deiot. 14. 25. 32). Ebenso war er an den Iden des März 710 = 44 in Rom, denn nach Val. Max. VIII 11, 3 trafen am frühen Morgen dieses Tages Caesar und der Haruspex Spurinna in seinem Hause ad officium zusammen; da es sich hier wohl um ein Opfer handelt, so bestätigt diese Stelle die Vermutung, dass er von Caesar eine der erledigten Stellen im Collegium der Pontifices erhalten hatte (Bardt Die Priester der vier grossen Collegien 16), denn die Inschrift CIL VI 1301 und die Darstellung der Insignien auf seinen Münzen (s. u.) bezeugen, dass er Pontifex war. Als weitere Auszeichnung hatte ihm Caesar die Würde des Magister equitum für 711 = 43 zugedacht, doch die Ermordung des Dictators liess ihn nicht zum Antritt des Amtes gelangen (Fasti Cap., vgl. Mommsen CIL I² p. 42). Im Herbst 712 = 42 nach dem Übergange des M. Antonius und Octavianus nach Griechenland sollte er diesen die Verstärkungen aus Italien von Brundisium aus zuführen, darunter die berühmte Legion des Mars; er wurde unterwegs von der Flotte der Caesarmörder unter L. Statius Murcus und Cn. Domitius Ahenobarbus Nr. 23 angegriffen und geschlagen; seine Schiffe wurden grösstenteils zerstört, die Marslegion vernichtet, er selbst, den man schon verloren glaubte, kam am fünften Tage wieder in Brundisium an (Appian. bell. civ. IV 115f., vgl. Plut. Brut. 47, 1. Dio XLVII 47, 4). Im J. 714 = 40 erhielt er das Consulat zum zweitenmal, zusammen mit C. Asinius Pollio, doch mussten sie vor Ablauf des Jahres den Platz einem andern Consulpaare, L. Cornelius Balbus und P. Canidius, räumen (Fasti augur. CIL I² [1423] p. 60. Fasti Colot. ebd. p. 64. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Cassiod. Dio XLVIII ind. 15, 1. 32, 1, vgl. die Bezeichnung des D. als consul iterum auf den Münzen und CIL VI 1301. II Suppl. 6186). Er erhielt darauf die Statthalterschaft von ganz Spanien und den Oberbefehl sämtlicher dort stehender Truppen und blieb dort von 715 = 39 bis 718 = 36 (vgl. Ganter Provincialverwaltung der Triumvirn [Strassb. 1892] 16). Er kämpfte namentlich gegen die Cerretaner und andere Pyrenaeenstämme; gegen seine eigenen Soldaten und Centurionen, die unter Führung eines Legaten infolge ihrer Feigheit eine Niederlage erlitten hatten, verfuhr er mit furchtbarer Strenge, dann besiegte er den Feind mit leichter Mühe (Vell. II 78, 3. Dio XLVIII 42, 1–3), wahrscheinlich in der Nähe der Stadt Osca (jetzt Huesca), deren Name auf seinen in Spanien geprägten Münzen erscheint, freilich auch nur die Prägstätte bezeichnen kann (Eckhel D. N. V 203, vgl. Mommsen Münzw. 669, 18. Babelon Monnaies de la rép. rom. I 457). Ziegelstempel mit seinem Namen finden sich in einer andern Stadt dieser Landschaften, Emporiae (jetzt Ampurias) an der Küste (CIL II Suppl. 6186). Infolge seines Sieges nahm er den Imperatortitel an, den er auf den Münzen und auf der Inschrift CIL VI 1301 führt, und triumphierte am 17. Juli 718 = 36 (Acta triumph. Tab. triumph. Barberin. Dio). Aus der Beute stellte er ein Weihgeschenk auf dem Palatin auf, dessen Inschriftbasis noch dort steht (CIL VI 1301 = Dessau 42); auch die Inschrift eines Ziegels aus Tarracina: [... Do]-mitius M. f. [C]alvinus [co]loneis dedit wird sich auf eine damals von ihm gemachte Zuwendung an diese Stadt beziehen (CIL X 6314 = 8043, 1). Das Aurum coronarium, den Beitrag zu den Kosten des Triumphes, nahm D. nur von den Städten seiner Provinz an und verwendete es blos teilweise für seinen eigentlichen Zweck, hauptsächlich aber zum Aufbau der durch Feuer zerstörten Regia (Dio XLVIII 42, 4f), in deren Nachbarschaft übrigens sein eigenes Haus stand (Fest. p. 154, vgl. Val. Max. VIII 11, 3). Von der prächtigen Wiederherstellung und Ausschmückung der Regia spricht Dio a. O., nach dem D. für die Einweihung von Octavian Statuen entlehnte und ihre Rückgabe in feiner Weise ablehnte; von dem Gebäude selbst, in dessen Marmorwände D. die Listen der Consuln und der Triumphe, jetzt als die capitolinischen Fasten bekannt, eingraben liess, sind Reste erhalten, die eine annähernde Reconstruction ermöglichen (vgl. Huelsen Archäol. Jahrb. IV 228ff. CIL I² p. 4f. mit Tafeln. Richter Topogr. der Stadt Rom² 91 f. 359f; abschliessende Publication nach den Ausgrabungen und Untersuchungen von 1899 in Aussicht gestellt). Bormann (Festschrift f. O. Benndorf [Wien 1898] 283–286) sucht wahrscheinlich zu machen, dass D. als angesehenstes Mitglied des Pontificalcollegiums auch später an den Bemühungen des Augustus um Belebung der alten Religion Anteil nahm. Im Anschluss an Hula (Arch.-epigr. Mitt. XV 23ff.) bezieht Bormann das Bruchstück der Arvalacten Eph. epigr. VIII p. 317 auf das J. 733 = 21 und sieht in dem hier unter den Arvalen genannten Cn. Dom[itius] diesen Calvinus. Etwa im folgenden J. 734 = 20 ist dann der im Arvalenhaine [1424] aufgefundene Kalender CIL I² p. 214f. aufgestellt worden und zwar von einem [I]mp(erator) mag(ister) frat(rum) Arval(ium), dessen Name nicht erhalten ist; wegen des Titels und seiner ganzen Stellung erscheint keine andere Ergänzung wahrscheinlicher, als die des Namens des Cn. Domitius Calvinus, der demnach bei der Reorganisation der Arvalbrüderschaft in hervorragendem Masse mitgewirkt hätte. Die Voraussetzung der Richtigkeit dieser Vermutung bleibt natürlich die auch von Wissowa (o. Bd. II S. 1468) angenommene Datierung des Fragments der Arvalacten und die auch dann noch nicht selbstverständliche Identification des darin genannten D. mit Calvinus, von dessen Leben die letzte Kunde um anderthalb Jahrzehnte zurückliegt, weshalb Dessau (Prosopogr. imp. Rom. II 20 nr. 120) zweifelt, ob er die Alleinherrschaft des Augustus noch erlebt hat. Keinesfalls hat der D. auf einer bilinguen Inschrift aus Lydien (CIL III Suppl. 7113) mit ihm etwas zu thun, weil diese, wegen der Titulatur des Augustus erst in dessen letzte Zeit gehört. Das Inschriftfragment aus Erythrai: ὁ δῆ[μος ....]| Γναῖον Δομί[τιον ...] (Athen. Mitt. XXVI 117) ist zu unbedeutend, um sicher auf ihn oder einen andern bekannten D. bezogen zu werden. Ob Perrot (Exploration archéol. de la Galatie et de la Bithynie I 379 nr. 162) eine von ihm publicierte Inschrift aus Zela: Καλουείνο | θεῶ | Φίλων mit Recht auf D. bezogen und überhaupt richtig gelesen und gedeutet hat, darf vielleicht bezweifelt werden. Seine Tochter s. Nr. 93.