RE:Cognitio 1
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Im Zivilrecht | |||
Band IV,1 (1900) S. 206–218 | |||
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Cognitio. 1) Cognitio (notio) in der Civilrechtspflege.
I. Allgemeines. Die cognoscierenden Personen.
Ein Untersuchen und Erkennen (cognoscere) schreiben die Römer allen richterlichen Organen zu: einmal den Beamten, mögen sie eine Rechtssache selbst erledigen oder nur mitwirken bei der Vorbereitung und Begründung des Processes; sodann auch den Privatgeschworenen (Belege bei Wlassak Röm. Processgesetze I 217. II 65, 12) und den Unterrichtern (Ulp. Dig. IV 4, 18, 4. Iul. Victor 24; s. Bd. II S. 410f. Bd. III S. 2102). Vom Schiedsrichter ist derselbe Ausdruck gebraucht CIL I 199 = V 7749; vgl. Plin. ep. V 1, 4. Für die Entscheidung, die der ,Untersuchung‘ folgt und auf ihr beruht, begegnet in den Quellen decernere, statuere, pronuntiare, condemnare und Ähnliches; doch wird das Wort C. nicht selten so gesetzt, dass es den abschliessenden Bescheid mitbefasst, Iul. Dig. XXI 2, 39 pr. Ulp. Dig. IV 4, 13, 1. In diesem Sinn steht auch in kaiserlichen Rescripten häufig is cuius de ea re notio est, womit der zum Urteilen Berufene bezeichnet ist. Besonderer Erörterung bedarf hier nur die C. der Beamten, vor allem die der stadtrömischen Magistrate. Man hat gefragt, ob die iurisdictio dieser Beamten oder, was nach richtiger Ansicht dasselbe ist, ob ihr imperium, so weit es der Rechtspflege zugewandt ist, die C. miteinschliesse? Die Bedenken gegen die bejahende [207] Antwort gründen sich auf Äusserungen wie Suet. Nero 15. Ulp. Dig. XLII 1, 5 pr. L 16, 99 pr. Allein bei Sueton macht das cognoscere nicht den Gegensatz zur iurisdictio, sondern zur Erledigung von Postulationen per libellos (vgl. Ulp. Dig. I 16, 9, 1), und von den ulpianischen Fragmenten beweist das erste geradezu (etiam! alia dürfte zu tilgen sein), dass die C. in der iurisdictio enthalten ist. Andrerseits setzen allerdings beide Fragmente gewisse Personen voraus, quae ius habent cognoscendi (Ulp. Dig. L 16, 46 pr.), während sie der iurisdictio entbehren. Giebt es solche? Gedacht ist sicher – vielleicht ausschliesslich – an die iudices oder arbitri pedanei (,Unterrichter‘); ihre Stellung weist genau die von Ulpian hervorgehobenen Merkmale auf (s. Iustinian Cod. II 47 [46], 3 pr.).
II. Gebiet der amtlichen causae cognitio.
a) Das Vorverfahren im ordentlichen Process. Zeugnisse für die C. der Magistrate in Rom, der Statthalter, des Kaisers und seiner Beamten liegen aus der Zeit der classischen Juristen in grosser Menge vor. Dagegen fehlen uns Nachrichten über die Thätigkeit des Consuls und des Praetors in dem alten Verfahren mit Legis actio. Nach einer heute gangbaren Ansicht wäre der Magistrat in jener Zeit nur eine Art Urkundsperson, nicht selbständiger Leiter der Verhandlung in iure gewesen. Indes ist damit das nachweisbare Beamtenrecht, die Legis actio zu verweigern, schlechthin unvereinbar. Der Magistrat musste zu allen Zeiten befugt sein, das Dasein der Processvoraussetzungen zu prüfen und mindestens im Streitfall über die Angemessenheit der gewählten Spruchformel zu befinden (s. Wlassak a. O. I 124, 33. II 336; Litiskontestation 84). War sonach die Beamtencognition niemals ausgeschlossen, so darf doch die Ausübung dieses Prüfungsrechts im ordentlichen Process keineswegs als das thatsächlich Regelmässige gedacht werden. Für die Legisactionen waren im Voraus Schemata von den Juristen entworfen; Formulare für die Streiturkunden des späteren Processes waren im praetorischen Album kundgemacht (Bd. I S. 304f. 1333). Wo im einzelnen Fall das Schema der Gerichtstafel nur der Ausfüllung, nicht der Abänderung (vgl. Cic. pro Tull. 38) bedurfte, hatte der Praetor gewöhnlich keinen Anlass, untersuchend einzugreifen, sofern nicht vom Beklagten begründeter Widerspruch erhoben ist gegen die Formelfassung, wie sie der Kläger beantragt. Dagegen war eine mehr oder minder eindringende C. geboten, wenn die postulierte Processformel kein Vorbild im Album hatte noch auf alter Praxis beruhte, oder wenn zur actio vulgaris (Bd. I S. 313. 322) neue, nicht edictsmässige Zusätze, etwa bisher nicht übliche Exceptionen erbeten wurden (Gai. IV 118). Endlich weist das Album eine Anzahl von iudicium (actionem) verheissenden Edicten auf, welche die Bewilligung der Formel oder einzelner Formelstücke vom Dasein gewisser in iure zu prüfenden Voraussetzungen oder ganz unbestimmt davon abhängig machen, dass sich die Bewilligung des Iudiciums in einer praetorischen causae cognitio als billig herausstellen werde. Für das erstere bietet ein Beispiel der Satz des Dolusedictes (Dig. IV 3, 1, 1): [208] si de his rebus alia actio non erit. Diesen Umstand, dass kein anderes wirksames Rechtsmittel zur Verfügung steht, erforscht der Praetor selbst, bevor er die Actio doli zulässt, ebenso wie er nach dem Edicte in Dig. XLVII 10, 17, 10 die Abwesenheit des Gewalthabers und den Mangel eines Procurators selbst untersucht (s. Lenel Edictum 324; Ulpians Erläuterung des edictalen ,causa cognita‘ Dig. XLVII 10, 17, 17 ist meines Erachtens in den Basiliken und in der Glosse missverstanden). Häufiger ist in den Edicten der unbeschränkte Vorbehalt der C. und zwar in folgender Fassung: causa cognita (Prob. 5, 12) iudicium, (actionem) dabo (permittam): z. B. Ulp. Dig. IV 2, 14, 1. 2. XIV 5, 2 pr. XLII 8, 10 pr. XLVII 10, 15, 34. Pomp. Dig. XLII 1, 22, 1, oder weitläufiger (vgl. Ulp. Dig. XXIX 4, 6, 3): si iusta causa esse videbitur (so im Dolusedict neben dem oben mitgeteilten Satze; vgl. Prob. 5, 10). Noch weiter sind die Grenzen des praetorischen Ermessens gezogen in den mit uti quaeque res erit, animadvertam abschliessenden Edicten (Dig. IV 4, 1, 1. XLVII 10, 15, 25), insofern hier selbst die Art der versprochenen Rechtshülfe (ob durch iudicium dare oder andere Mittel) im Ungewissen bleibt. Zu erklären ist dieses Vorgehen des Praetors, wodurch nicht festes sondern bewegliches Recht entsteht, wesentlich aus der Schwierigkeit, das zu regelnde Gebiet völlig zu überblicken und den vorschwebenden gesetzgeberischen Gedanken in ganz zutreffenden Worten auszuprägen. Immerhin bilden die Edicte, welche die Gewährung eines Iudiciums oder eine andere Massregel non simpliciter, non destricte, non temere (,nicht ohne weiteres‘), non semper, sondern causa cognita oder ex causa in Aussicht stellen, eine ziemlich kleine Minderheit. In der Regel ist der Praetor vielmehr in der Lage, – wie es die Juristen ausdrücken – passim, statim, omni modo (Ulp. Dig. XXXVI 4, 5. 5) dem auf ein Edict gestützten Parteibegehren zu willfahren. Indes ist damit nicht gesagt, dass in den Fällen des schlichten iudicium dabo keine C. in iure stattfinden konnte. Überall hatte der Prätor zu erwägen, ob die vom Kläger vorläufig edierte Formel den im Album gestellten Anforderungen entsprach. Meist wird hiezu eine blosse Vergleichung mit dem Muster auf der Tafel genügt haben. Doch konnte die Vergleichung leicht in eine Untersuchung übergehen, z. B. in Injuriensachen. Hier verlangte ein Edict (Ulp. Dig. XLVII 10, 7 pr. Paul. Coll. II 6, 1. 3) vom Kläger, dass er die Injurie in der Formel bestimmt bezeichne (certum dicat; ähnlich Paul. Dig. IV 3, 16); Paulus aber belehrt uns: certum an incertum dicat, cognitio ipsius praetoris est. Allerdings ist nach dem Inhalt gerade dieses Ediktes die magistratische C. selbstverständlich. Um darzuthun, dass sie nirgends ausgeschlossen war, auch wo der Text des Albums nicht den geringsten Anhalt bot, mag auf die Bemerkungen der commentierenden Juristen (Dig. III 3, 8, 3. frg. 9–15) zum Edict Dig. III 3, 8, 3 und auf die ebenso freie Behandlung (Labeo-Ulp. Dig. IV 8, 15) der Edictsnorm: (arbitrum) sententiam dicere cogam (Bd. II S. 409) verwiesen werden. Zudem ist die dem Praetor im Formularverfahren fraglos zustehende denegatio actionis (s. d.) nur begreiflich, wenn Verhandlung und C., [209] sei es auch in engen Grenzen, bald über die Voraussetzungen des Processes bald über die Sache selbst statthaft war.
b) In integrum restitutio. Das bisher erörterte Verfahren zur Vorbereitung des ordentlichen Processes in Privatsachen ist nicht das einzige Gebiet, auf dem magistratische Cognitionen stattfinden. Daneben kommen hauptsächlich in Betracht die in integrum restitutio, die missiones (in bona, in rem), die Auflegung von Cautionen (stipulationes praetoriae), die Zulassung zur bonorum possessio, die Ernennung von Tutoren und Curatoren und sonstige Verfügungen in Vormundschaftsangelegenheiten. Minder Wichtiges bleibt unerwähnt; wegen des duci iubere s. Bd. I S. 352 und die Artikel Ductio, Manus iniectio, Noxa. Die umfänglichsten Ermittlungen mochten den Beamten in manchen Restitutionssachen obliegen; passim zu erteilende Bescheide waren hier regelmässig ausgeschlossen. Modestin behauptet sogar (Dig. IV 1, 3): Omnes in integrum restitutiones causa cognita a praetore promittuntur; allein er beachtet dabei nicht eine für die classische Zeit durch das Edict in Dig. IV 5, 2, 1 ausser Zweifel gesetzte Ausnahme: die Restitution aus dem Grunde der status permutatio.
c) Vormundschaftssachen. Mit der Verwaltung der die Tutel und Cura betreffenden Gerichtsbarkeit ist insgemein Recht und Pflicht der C. verbunden. Ob die obrigkeitliche Ernennung (datio) der Vormünder und Pfleger vom Anfang an und unter allen Umständen causa cognita geschah (so Rudorff), das ist allerdings keineswegs sicher (vgl. Ulp. Dig. XXVI 5, 18. Schol. Sinait. XIV. XVII. Iust. Inst. I 20, 3); doch muss die Frage des Bedürfnisses wohl immer und grundsätzlich auch die Tauglichkeit des zu Ernennenden geprüft worden sein. Die Bestätigung (confirmatio, Dig. XXVI 3) der Vormünder erfolgt nach fester Norm bald omni modo (Modest. ἁπλῶς), bald ex inquisitione (dies ist der übliche Ausdruck, auch bei der datio; vgl. aber Lex Salp. c. 29, CIL II 1963. Ulp. Dig. XXVII 10, 6). Die Rechtsmittel der Excusation und der Nomination eines Besseren verlangen ihrer Natur nach eine C., ebenso die Entmündigung der Verschwender und die suspecti (tutoris, curatoris) postulatio. Vielfach bezeugt ist die Notwendigkeit eindringender Prüfung behufs obrigkeitlicher Genehmigung der Veräusserung von Mündelgut. In einem späten Kaisererlass (Valent. Theod. Cod. Theod. III 17, 3 pr. = Cod. Iust. V 33, 1 pr.) heisst der Praetor tutelarius, dem sonst iurisdictio ebenso zugeschrieben wird wie die Obervormundschaftsgeschäfte des Stadtpraetors auf iurisdictio (trotz Dig. XXVI 1, 6, 2) beruhen, praetor qui tutelaribus cognitionibus praesidet.
d) Cautionen. Unter den Cautionen (meist mit Bürgschaft) sind manche, so die usufructuarische (Dig. VII 9), die cautio legatorum servandarum (Dig. XXXVI 3), die mit dem dinglichen Process (Gai. IV 88–94) und mit der Processstellvertretung (Gai. IV 98. 101) verbundenen, an Voraussetzungen geknüpft, deren Dasein leicht erkennbar und häufig unbestritten ist, so dass der Praetor gewöhnlich den Befehl zum Abschluss des Vertrags ,ohne weiteres‘ erteilen mochte, zumal da Formulare für die fraglichen Stipulationen [210] im Album aufgestellt waren. Erhebt sich aber Streit über die Pflicht zu cavieren, so soll nach Ulpian (Dig. XLVI 5, 1, 9; dazu XXXVI 4, 3, 1) der Praetor selbst summatim cognoscieren. Doch zeigt der Rechtshandel des von Cicero (p. Quinct. 30) verteidigten P. Quinctius, dass jene Frage durch Vermittlung einer Praejudicialsponsion auch zum Gegenstand eines durch Geschworenenspruch zu erledigenden Privatprocesses werden konnte. Die Entscheidung über die Tauglichkeit der angebotenen Bürgen pflegte der Magistrat durch Bestellung eines Gehülfen (arbiter datus, Bd. II S. 411. 414) von sich abzuwälzen. Übrigens fehlt es keineswegs an Beispielen für eingehendere eigene C. des Praetors. Nach einem Edict (Gai. IV 102) muss der von einem Erbschaftsgläubiger zu verklagende Erbe auf dessen Begehr cautio iudicatum solvi leisten, wenn ihn der Beamte für ,unsicher erachtet‘ (suspectum aestimaverit). Das erforderliche Ermittlungsverfahren legt Ulp. Dig. XLII 5, 31 pr. dem Praetor selbst auf, indem er beifügt, die Caution dürfe nicht sofort (statim) sondern nur causa cognita angeordnet werden. Einen anderen Fall, wo die amtliche Untersuchung nicht wie im vorigen einen bestimmten, im Edict bezeichneten Punkt betrifft, sondern überhaupt die Angemessenheit (si iusta causa esse videbitur) der Cautionsauflage feststellen soll, enthält Paul. Dig. XXXV 3, 4 pr.; vgl. auch Ulp. Paul. Dig. II 8, 7, 1. II 8, 8, 4–6. Lenel Edictum 419f. 106. Aus dem Edict de damno infecto (Dig. XXXIX 2, 7 pr.) gehört der Eingangssatz hieher, der im wesentlichen so lautet; damni infecti ... promitti ... iubebo ei, qui iuraverit non calumniae causa id se postulare ... in eam diem, quam causa cognita statuero. Darnach bewilligte der Magistrat die verlangte Stipulation ohne nähere Prüfung, wenn nur der Postulant bereit ist, zu beschwören, dass er seinen Antrag in redlichem Bewusstsein stelle. So ersetzt der Calumnieneid die C. Dagegen behält sich der Praetor ausdrücklich causae cognitio vor über die Bestimmungen des der Stipulation einzufügenden Endtermins, der aus nahe liegenden Gründen (s. Ulp. Paul. Dig. XXXIX 2, 13, 15. frg. 14. 15 pr. § 1) im Schema des Albums nicht festgelegt war. Wie hier zur Ergänzung, so tritt allemal amtliche C. oder, wie sich Ulp. Dig. XLVI 5, 1, 10 ausdrückt, die praetoria iurisdictio ein, wo im einzelnen Fall eine Abänderung des zum Muster dienenden Cautionsformulars wünschenswert erscheint.
e) Bonorum possessio. Missionen. Verwandt mit dem erörterten Gegensatz der passim und der causa cognita ergehenden Bescheide ist die bei den Missionen und bei der Bonorum possessio auftretende Unterscheidung dessen, was der Magistrat ex edicto (daher bonorum possessio edictalis Ulp. Dig. XXXVIII 6, 1, 4) und was er decreto (bon. p. decretalis Ulp. Dig. XXXVIII 9, 1, 7) verfügt. Wie u. a. Cic. ad Att. VI 1, 15 zeigt, ist hier, bei der Regulierung der Erbschaften und bei der Beschlagnahme, die Erledigung ex edicto das gewöhnliche; Cicero zählt beide Sachen zu denjenigen, die ex edicto et postulari et fieri solent. Auch aus der Quinctiana 25. 30 ersehen wir, dass Naevius vom Praetor P. Burrienus Mission in die bona des Quinctius erbeten und erhalten [211] hatte ex edicto eben dieses Praetors. Eine Bemerkung Ciceros in derselben Rede 60 darf man vielleicht dahin verstehen, dass die gewährende praetorische Verfügung ausdrücklich den Zusatz: ex edicto enthielt. Was aber ist der Sinn dieser Worte? Sicher genügt nicht die nächstliegende Deutung, wonach alles ex edicto geschieht, was der Magistrat seinem edictalen Versprechen gemäss anordnet. Dem widerspricht Ulp. Dig. XXXVIII 6, 1, 4, der die (decretale) carbonianische bonorum possessio, mag sie auch, wie er selbst sagt, ex edicto Carbonis verliehen sein, in Gegensatz bringt zur edictalis. Vielmehr kommt jenem Zusatz hier der besondere Sinn zu, dass der bewilligende praetorische Bescheid, dem Antrag entsprechend, nur gelten soll, wenn die für ihn in dem berufenen Edict aufgestellten Erfordernisse, die vom Postulanten zwar behauptet, doch nicht bewiesen sind, wirklich vorliegen. Folgeweise musste über die Rechtfertigkeit des ex edicto, d. h. unter Vorbehalt Gewährten ein gerichtliches Nachverfahren offen stehen. Ein Process dieser Art ist der unter Ciceros Beistand von P. Quinctius als Kläger wider S. Naevius durchgeführte (Bd. I S. 120); der Streit betraf die Gültigkeit der ex edicto gestatteten Beschlagnahme der Güter des ersteren. Die Frage des Rechtsbestands einer ex edicto gewährten bonorum possessio kann zur Entscheidung kommen im Process mit dem Interdictum quorum bonorum (Dig. XLIII 2, 1 pr.) oder mit einer der ficticischen Einzelactionen des wahren oder vermeintlichen praetorischen Erben (s. Lenel a. O. 143). Wie sehr nun Sachen, die ein praetorischer Bescheid ex edicto erledigte, sich dazu eigneten, passim ohne C. behandelt zu werden, das ist ohne weiteres klar. Doch wäre es auch hier falsch, den Beamten als eine blos zum Jasagen bestellte Solennitätsperson aufzufassen; ohne Zweifel war er befugt, ein Begehren abzuweisen, das auf Behauptungen beruhte, deren Unwahrheit sich ihm sofort oder, wenn er Verdacht schöpfte, nach gepflogener Untersuchung ergab (vgl. Cic. pro Quinct. 51). Gegenübergestellt sind den ex edicto erlassenen Verfügungen die decreta (s. d.). Mit diesem letzteren Ausdruck, der eigentlich alle Beschlüsse befasst, bezeichnen die Römer technisch und im engeren Sinn nur die in bestimmter Form ergehenden Bescheide der Beamten. Da in genauer Rede die auf die Eingabe (libellus) selbst geschriebene Erledigung (subscriptio und wiederum libellus) den Gegensatz zum decretum macht, so war für das letztere neben der Verkündung pro tribunali wohl die Ausfertigung einer besonderen amtlichen Urkunde erforderlich. Den Zusammenhang mit der Lehre von der C. vermittelt uns der Ausspruch Ulpians Dig. I 16, 9, 1. L 17, 71: Ubi decretum necessarium est, per libellum id expedire proconsul non poterit: omnia enim quaecumque causae cognitionem desiderant, per libellum non possunt expediri. Darnach war überall, wo das Edict oder eine andere Rechtsquelle eine amtliche causae cognitio vorschreibt, ein decretum notwendig und die Ausfertigung des Beschlusses per libellum ausgeschlossen, z. B. bei der Zulassung der Actio doli (Ulp. Dig. IV 3, 1, 1. 4), bei der Gewährung der carbonianischen bonorum possessio (Ulp. Dig. XXXVII 10, 1 pr. frg. 3, 4f. Iul. frg. 7, 4–6). Dagegen lässt Ulpian [212] a. O. sowohl die Annahme ungebotener C. zu ohne Abschluss durch ein förmliches Decret, wie auch die Möglichkeit der Erledigung gewisser Sachen per decretum, wo keinerlei causae cognitio voraufging. Das erstere ist deutlich bestätigt durch Ulp. Dig. XXXVII 1, 3, 8: durch die Sonderung der bonorum possessio decreto data (= decretalis) von der bonorum possessio (edictalis) causa cognita data (s. Huschke Krit. Jahrbücher v. Richter-Schneider V 27f.; bei Ulp. Dig. XXXVIII 15, 2, 1 schlägt Noodt vor, die Worte: vel quae decretum exposcit als altes Glossem zu streichen); das andere, Decret ohne C., lässt sich ziemlich sicher belegen bei der Confirmation von Vormündern (vgl. Mod. Dig. XXVI 3, 1. 2 mit Ulp. Paul. Vat. Fr. 159. 246) und beim Auflegen von Cautionen (Ed. Dig. XXXIX 2, 7 pr.: ex decreto meo). Dass auch die Zulassung zur Klage durchaus decreto erfolgte, wird wohl allgemein gelehrt (s. Art. Dare actionem); dasselbe nehmen die meisten (s. aber Keller Röm. Civilprocess⁶ § 85 S. 438) stillschweigend hinsichtlich aller Missionsbescheide an (arg. Ulp. Dig. XXXIX 2, 15, 16, wo ein primum decretum vorausgesetzt ist; Ulp. Dig. XLIII 4, 3 pr. dürfte interpoliert sein; vgl. noch Maec. Dig. XXXVI 4, 12), ohne jedoch den Gegengrund im Cod. Iust. VII 57, 5 (Gordian) zu beachten. Beispiele von Missionen, die der Beamte ausnahmsweise nur causa cognita bewilligt, finden sich im Edict Dig. XXXIX 2, 7 pr. (die sog. missio ex secundo decreto), bei Iul. Dig. VIII 5, 18. Ulp. Dig. XXXVI 4, 5, 5. XXXVII 9, 7, 1. XLII 4, 8.
Viel enger begrenzt als die Cognitionsthätigkeit der stadtrömischen Beamten und der Provincialregenten ist die der Municipalmagistrate unter den Kaisern, vermutlich seit Augustus (Wlassak Röm. Processgesetze I 193–200). Zu den leitenden Gedanken der Gerichtsverfassung jener Zeit gehört auch der, den landstädtischen Magistraten alle Sachen zu entziehen, die nicht wohl anders als nach freiem Ermessen des Beamten zu regeln waren. In diesem Sinne äussert sich Paulus, offenbar im Hinblick auf die Vorsteher der Municipien, Dig. L 17, 105 (Lenel Paling. I 967): Ubicumque causae cognitio est, ibi praetor desideratur. Natürlich geht der Jurist nicht davon aus, dass die Inhaber der Niedergerichtsbarkeit im Gegensatz zum Praetor überhaupt des Prüfungsrechtes entbehren. Der nächste Anlass für seine Bemerkung war der Ausschluss der Municipalbehörden von dem nur causa cognita ergehenden decretum secundum wegen verweigerter cautio damni infecti (s. Ulp. Dig. XXXIX 2, 4, 3f. Rudorff Edictum perp. 27. 29, 3). Indes haben seine Worte doch auch allgemeinere Bedeutung, insofern die Versagung des Rechtes in integrum zu restituieren (Paul. Dig. L 1, 26, 1) und wohl noch andere Beschränkungen der landstädtischen Gerichte auf den von Paulus angedeuteten Gedanken zurückzuführen sind.
III. Formen und Gang des Verfahrens. Das summatim cognoscere.
Das Verfahren, welches die cognoscierenden Beamten in den vorerwähnten Sachen einhielten, ist wenig bekannt. Hier sind nur die allgemeinen Formen ins Auge zu fassen, nicht die Eigentümlichkeiten, die sich aus der besonderen Natur [213] des verhandelten Gegenstands ergaben, so sehr durch sie die Gestaltung des Verfahrens bestimmt sein mochte. Dass die Bewegungsfreiheit des Beamten in erheblichem Masse weder durch legale noch durch edictale Vorschriften eingeengt war, darf für nahezu sicher gelten. Wenn man geneigt ist, die heute sog. Verhandlungsmaxime als etwas mit der privaten Natur des Gegenstandes der C. von selbst Gegebenes anzusehen, so sind jedenfalls Abweichungen von jenem Grundsatz für die causae cognitio der römischen Beamten, auch nach Ausscheidung der Vormundschaftssachen, anzuerkennen. Besonders im Interesse schutzbedürftiger Personen entfaltet der Praetor gelegentlich aus eigenem Antrieb, ohne hierauf gerichtete Postulation, eine inquisitorische Thätigkeit, wobei er selbst von seiner Evocationsbefugnis Gebrauch macht. Zum Beleg diene Ulp. Dig. XLII 4, 5, 1, wo es sich um die causa cognita zu gewährende Mission in die bona eines Pupillen oder Wahnsinnigen handelt. Wie aus dieser und deutlicher aus anderen Pandektenstellen erhellt, gehört Zweiseitigkeit der Verhandlung (eine ,contradictorische‘ Verhandlung) nicht schlechthin zum Wesen der magistratischen C., weder der oben (II) besprochenen noch der extraordinären C. Die mehrfach (z. B. Rudorff Röm. Rechtsgeschichte II 201, 3. Bethmann-Hollweg Civilprocess d. gem. Rechts II 758, 4. III 252) begegnende Behauptung des Gegenteils ist anscheinend hervorgerufen durch einen späten, zuverlässig bei Iustinian (Cod. Iust. VII 63, 5, 4: sive ex una parte sive cognitionaliter) nachweisbaren Sprachgebrauch, der fälschlich schon den classischen Juristen zugeschrieben wurde. Dass der Beamte im Extraordinarprocess, auch wenn der peremptorisch geladene Beklagte ausbleibt, ,cognosciert‘, sagt ausdrücklich Ulp. Dig. V 1, 71; Fälle einseitiger causae cognitio über Missionsgesuche bieten Iul. Dig. VIII 5, 18. Pomp. Dig. XXVIII 5, 23, 4. Ulp. Dig. XLII 4, 8 (s. Lenel Edictum 336), über den Antrag, Actio doli zuzulassen, Constantin Cod. Theod. II 15, 1; betreffs der coqnitio suspecti tutoris vgl. Ulp. Dig. XXVI 10, 3, 4. Iul. Aquila Dig. XXVI 10, 12. Ein wesentliches Stück der C. ist das Einfordern von Beweisen und deren Würdigung. Bindende Regeln hinsichtlich der Beweismittel wie der ihnen zukommenden Beweiskraft kennt die alte und die classische Zeit weder für die Privatrichter noch für die Beamten. Auf eine Besonderheit des Beweisrechtes weisen nach der herrschenden Ansicht die Quellen hin, wo sie für die Untersuchung die Wendung summatim cognoscere (aestimare und ähnliches) gebrauchen. In Iustinians Compilation steht dieser Ausdruck zwölfmal (eine Aufzählung der Stellen bei Briegleb Summarische Processe 239f.); doch ist in einem Fragment (Paul. Dig. IX 2. 40) das summatim nur auf die Thätigkeit der Partei (rem exponere) bezogen. Von den Summatimstellen handeln sechs von der praetorischen causae cognitio, drei vom classischen Extraordinärverfahren (IV), die constantinische Constitution Cod. Iust. III 19, 2, 1 vom nachclassischen Process; bei Ulp. Dig. X 4, 3, 9 und Paul. Dig. IX 2, 40 wäre ein Privatrichter der summatim prüfende, wenn diese Fragmente nicht justinianisiert sind (so Pernice Ztschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. [214] XXVII 169, 1. Briegleb a. O. 271). Darnach erscheint es gewagt, ohne weiteres denselben Begriff der ,oberflächlichen Untersuchung‘ in allen Fällen vorauszusetzen, und nach dem Inhalt der Stellen ziemlich aussichtslos, eine bestimmte scharfe Ausprägung des Begriffs als römisch erweisen zu wollen. Der gemeinen Meinung nach (Savigny, Wetzell, Bethmann-Hollweg) begnügt sich das Summarverfahren mit der blossen ,Bescheinigung‘, statt einen den Richter völlig überzeugenden Beweis zu verlangen; ,das Gericht greift nur nach den zunächst sich darbietenden Beweisgründen und lässt die tiefer steckenden unbeachtet‘ (Schrutka). Dagegen findet Briegleb (a. O. 171) das Wesen der Summarcognition in der Beschränkung der Untersuchung ,auf die nächsten und unerlässlichsten Voraussetzungen‘ des erhobenen Anspruchs mit Ausschluss der ,Verteidigung durch Gegenbeweis und Einreden‘, es müssten denn ,unverzüglich evidente Defensionen‘ zu Gebote stehen. Werden gerichtliche Entscheidungen zugelassen auf Grund einer blos ,oberflächlichen‘ Untersuchung, so scheint es gerechtfertigt, ein Verfahren offen zu halten, in dem die nämliche Frage nach gründlicher Prüfung vom Gerichte nochmal und jetzt endgültig zu beantworten ist. Dies wird denn auch mit gutem Grund für alle Fälle der praetorischen, summarisch gestalteten causae cognitio angenommen. Dagegen dürfte in Dig. IX 2, 40 und Cod. Iust. III 19, 2 trotz der Summarietät der Untersuchung an Entscheidungen über solche Punkte gedacht sein, die im zweiten Process, der andere mit jenen nur zusammenhängende Fragen betrifft, nicht weiter Gegenstand der C. sind. Diese Erwägung und eine neuerdings erst bekannt gewordene Äusserung des Sinai-Scholiasten (XIV) zu Ulpian ad Sabinum (Collectio libr. iur. Anteiustiniani III 278: ἡ σύντομος διάγνωσις in einem Fall der tutoris datio) machen es sehr unsicher, ob die Römer nur einen, und zwar einen genau bestimmten Begriff der Summarcognition hatten. In welchem Verhältnis die causae cognitio zum förmlichen decretum stand, das ist oben (S. 211) schon gesagt. So wie die Unterscheidung des Decrets im technischen Sinn von den anderen obrigkeitlichen Verfügungen in unseren Quellen erscheint, hat sie deren schriftliche Ausfertigung zur Voraussetzung. Doch folgt daraus nicht, dass sie erst aufkam, als die Magistrate anfingen, sich der Schrift zu dem gedachten Zwecke zu bedienen. Noch engere Beziehungen als zum Decret hat die causa cognitio zum Tribunal (Gegensatz: Verfügung de plano; s. Art. Tribunal), das Raum bietet wie für den Beamten, der sitzend Recht spricht, so für seine Gehülfen, unter denen auch protocollierende Schreiber sind (Cic. Brut. 290). Nach unseren Zeugnissen ist es kaum zu bezweifeln, dass im Gebiete der Rechtspflege alle amtlichen Cognitionen, die diesen Namen verdienen, mit Einschluss der extraordinären (IV) an das Tribunal gebunden waren; vgl. besonders Ulp. Dig. XXXVII 1, 3, 8. XXXVIII 15, 2, 1. 2 und die Belege bei Pernice Ztschr. f. Rechtsgesch. Rom. Abt. XXVII 153f. Nicht widerlegt ist dieser Satz durch den Sinai-Scholiasten (a. O.) aus dem 5. oder 6. Jhdt. n. Chr., der eine σύντομος διάγνωσις kennt, die in plano stattfinde. Wie eine Bemerkung des sog. Enantiophanes (zu Bas. XLV [215] 2, 29, 1, Heimb. IV 516) zeigt, der die Fälle der decretalen bonorum possessio als solche bezeichnet, welche διαγνώσεως πολλῆς χρῄζουσιν, unterschieden die Juristen der christlichen Zeit je nach der Ausdehnung zwei Arten der ,Untersuchung‘, während nach dem Sprachgebrauch der Classiker dort, wo die Griechen eine ,kurze‘ διάγνωσις annehmen, überhaupt keine causae cognitio vorliegt. Wie sich mit dem Tribunal und mittelbar mit der C. die Vorstellung der ,Sitzung‘ verbindet, zeigt Gai. Dig. XL 2, 7 (vgl. Gai. I 20). Ulp. Dig. XXXVIII 15, 2, 1. 2. Constant. Cod. Iust. III 11, 4. Der pro tribunali cognoscierende Beamte sitzt auf dem curulischen oder einem Stuhl niederer Art (sessio); gewisse Verfügungen aber (nicht ,Decrete‘) sind ohne Untersuchung und demnach in transitu möglich, sie können erbeten werden vom procedens iudex. Wegen des Zusammenhangs der Verhandlung vor der Gerichtsbühne mit der Protocollierung ist zu verweisen auf Cic. Brut. 290. Carus Cod. Iust. V 71, 6; vgl. indes auch Paul. Fragm. Vat. 112, der über eine sog. sessio de plano (s. Pernice a. O. 154f.) berichtet. Welche Folgen es hatte, wenn der Beamte das Gebot missachtet, pro tribunali die C. vorzunehmen und vom Tribunal aus das Decret zu erlassen, auf diese Frage geben die Quellen keine allgemeine und keine ganz deutliche Antwort. Mommsen (St.-R. I³ 400, 1; dazu 397, 5) vermutet Nichtigkeit der vorschriftswidrig de plano erlassenen Verfügung, jedoch nur für die ,älteste Zeit‘. Wenn aber selbst ein spätclassischer Jurist wie Ulp. Dig. XXXVII 1, 3, 8 von der bonorum possessio, quae causae cognitionem desiderat sagt: alibi quam pro tribunali dari non potest, so deuten diese Worte doch eher auf Nichtigkeit als auf eine rechtlich unerhebliche Ordnungsvorschrift. Noch weniger zweifelhaft dürfte es sein, mindestens für einzelne Fälle, dass wie die Unterlassung der gebotenen C., so die Erledigung einer Sache per libellum statt in gehöriger Weise per decretum die Unwirksamkeit des fraglichen Bescheides nach sich zieht; vgl. Ulp. Dig. I 16, 9, 1. Carus und Diocl. Cod. Iust. V 71, 6. 12, auch Alex. Cod. Iust, VII 57, 3.
IV. Die Cognition extra ordinem. Der Civilprocess des Kaiserrechts der christlichen Zeit.
Die Beamtencognition ist, wie sich gezeigt hat, mit dem ordentlichen Civilprocess keineswegs unverträglich. Sie beherrscht häufig das auf die Begründung solcher Processe gerichtete Vorverfahren und ist überdies verbunden mit verschiedenen anderen Verfahrensarten, die – mit Ausnahme der Gerichtsbarkeit in Vormundschaftssachen – mehr oder minder den Zwecken des Ordinarprocesses zu dienen bestimmt sind. Nun kommt aber schon in frühclassischer Zeit auch eine Beamtencognition vor, die in Gegensatz tritt zum ordentlichen Civilprocess. Dies erklärt sich daraus, dass in den einschlägigen Fällen etwas Gegenstand der obrigkeitlichen Untersuchung wird, was regelmässig nicht den Beamten beschäftigt, sondern dem Bereich der Geschworenenthätigkeit angehört. Wenn also die Juristen der c. consulis, praetoris oder praetoria den ordentlichen Rechtsgang mit Formeln entgegenstellen, so wird diesem nicht etwa die Beamtencognition überall abgesprochen, [216] vielmehr soll damit nur gesagt sein, dass in jenem Verfahren die magistratische Untersuchung viel weiter greift, da sie die Erledigung der Streitsache durch Endurteil oder sonst durch abschliessenden Bescheid zum Ziele hat. Auf das Regelwidrige der so gearteten Gerichtshülfe weisen die juristischen Classiker hin mit den Worten extra ordinem (s. die Belege bei Wlassak a. O. II 66, 15); ähnlich unterscheidet Suet. Claud. 15 die ,Cognitionssache‘ von den res ordinari iuris (vgl. Ulp. Dig. L 16, 178, 2). Die heute gangbare Benennung des ausserordentlichen Processes: extraordinaria cognitio ist der Digestenrubrik L 13 entnommen. Eine Übersicht der extra ordinem behandelten Rechtssachen giebt E. I. Bekker Die Aktionen II 194–199; andere Processe ohne Privatgericht s. bei Bethmann-Hollweg a. O. II 762. 767. Wegen der Abweichungen des schwerlich für alle Fälle gleichgeformten Extraordinarverfahrens vom ordentlichen Process vgl. Art. Ordo. Nach dem Untergang der Privatgerichte kommt die zur Sachentscheidung führende C., soweit der Kaiser nicht selbst eingreift, lediglich den kaiserlichen Beamten (iudices ordinarii und vice sacra iudicantes) und den zu ihrer Vertretung bestellten Unterrichtern (Bd. II S. 410f. III S. 2102) zu. Hatte die classische Zeit für den Process im ganzen den Ausdruck cognitio nur gebraucht, wo extra ordinem verfahren wurde, so stand jetzt nichts im Wege, darunter auch andere Processe zu begreifen und den richterlichen Beamten allgemein den Namen cognitores beizulegen (so im Cod. Theod. Grat. IX 27, 5: privatarum litium cognitor und öfter cognitor ordinarius = iudex ordinarius = rector provinciae). Indessen bezeichnet C. häufig auch in späten Kaisererlassen nicht das Verfahren vom Anfang bis zum Ende, sondern die einzelne amtliche Untersuchung und den diesem Zwecke gewidmeten ,Gerichtstermin‘ (Belege bei Bethmann-Hollweg a. O. III 252, 2; vgl. Paul. Dig. I 22, 1). Jedenfalls ist die Annahme Bethmann-Hollwegs (a.O. III S. VII. 32. 252) mit den Quellen völlig unvereinbar, dass das Wort C. in der Epoche der absoluten Monarchie als Kunstausdruck den Begriff ,Civilprocess‘ vertrete an Stelle von iudicium und actio (s. Wlassak a. O. II 67–69). Mit dem alten Sprachgebrauch dürfte sich trotz Wegfalls der Privatrichter auch die Unterscheidung des Ordinär- und Extraordinarverfahrens zunächst erhalten haben. Weder ist in der Zeit Diocletians – wie Keller Röm. Civilprocess⁶ § 81 a. E. behauptet – ,die bisherige extraordinaria c. zum Typus des neuen ordentlichen Processen erhoben‘, noch bedeutet die spätere Ausgleichung der beiden Systeme, wie sie abgeschlossen bei Iustinian vorliegt, auf allen Punkten ein Zurückweichen des reich entwickelten älteren Rechts gegenüber der jüngeren C. Vgl. wider Keller, der durch Iustinian Inst. III 12 pr. IV 15, 8 beeinflusst ist, Zimmern Röm. Civilprocess § 89f. Bekker a. O. II 212–243 und o. Bd. I S. 306.
V. C. und postulatio (simplex) haben, nebeneinander gestellt bei Paul. Dig. I 22, 1. Ulp. Dig. XXXVIII 15, 2, 2 (wo allerdings der Text nicht heil ist), in Diocletians Maximaltarif 7, 72f. (CIL III Suppl. p. 1936) und in [217] jüngeren Kaisererlassen eine eigentümliche Bedeutung, die der Erläuterung bedarf. ,Postuliert‘ (statt dessen steht häufig petitio) wird von der Partei vor einer Behörde durch Stellung eines Antrags (Ulp. Dig. III 1, 1, 2), ,cognosciert‘ wird von der Obrigkeit. Nicht selten ist die Postulation dahin gerichtet, dass der Beamte eine Verhandlung und Untersuchung eröffne (Ulp. Dig. III 3, 39, 6: postulata est cognitio); giebt er dem Begehren statt, so heisst es von ihm cognitionem suscipit, auch wohl c. datur. In einem besonderen Sinne gebrauchen die späteren Quellen postulatio, bald schlechtweg, bald deutlicher mit dem Beiwort simplex (vgl. hiezu das vermutlich interpolierte simplici iussione et non cognitione habita bei Ulp. Dig. IV 2, 23, 3), wo der Parteiantrag vorerst oder überhaupt keine Verhandlung, mindestens keine genauere Untersuchung hervorruft, wo sich die Behörde also wesentlich receptiv verhält, ohne weiteres genehmigt oder nur protocolliert, z. B. bei der Zulassung zur bonorum possessio, zumal seit Constantin (Cod. Iust. VI 9, 9. 8), oder seit derselben Zeit (Constant. Cod. Theod. II 4, 2) bei der litis denuntiatio (s. d.). Der so gefassten postulatio konnte man füglich die C., d. h. den Gerichtstermin mit Verhandlung vor dem untersuchenden Beamten, entgegenstellen. Freilich musste zu diesem Behuf wie bei der Postulation die Behörde, so umgekehrt bei der C. die Partei und ihr Anwalt als mithandelnd gedacht werden. Dem gemäss zählt Paulus a. O. zu den Pflichten des Adsessors (Bd. I S. 423), der dem Beamten zur Seite steht, die Mitwirkung bei Cognitionen und Postulationen, andererseits spricht Diocletian a. O. im J. 301 dem Parteianwalt für die C., d. h. für jeden einzelnen Verhandlungstermin, eine Summe (1000 Denare) zu, die das Vierfache des für die Postulation bewilligten Honorars darstellt. Ähnlich setzt die etwa 60 Jahre jüngere Sportelordnung des Ulp. Mariscianus CIL VIII Suppl. 17896 Z. 26–39 als Anwaltshonorar in postulatione simplici 5 Modien Getreide fest, in contradictione das Doppelte, als Vergütung für die Exceptoren in postulatione ebenfalls 5 Modien, in contradictione 12. Die von den meisten Gelehrten (Pernice, Kipp, Mitteis u. a.) angenommene Deutung der contradictio, für die nach Z. 42–44 viermal so viel Papier zur Verfügung steht als für die postulatio, lässt manche Zweifel übrig (vgl. Kipp selbst Litisdenuntiation 222). Dagegen wird der höhere Preis und die viel grössere Menge Papiers begreiflich, wenn man das fragliche Wort mit der C. Diocletians gleichsetzt und von der ,contradictorischen Verhandlung‘ versteht (so Mommsen). Schliesslich mag hier noch des kaiserlichen Bureaus a cognitionibus (s. d. und vgl. O. Hirschfeld Röm. Verwaltungsgeschichte I 208–210. Mommsen St.-R.³ II 965, 2. Ruggiero Dizion. epigr. II 320f.) gedacht werden, welches in den ersten drei Jahrhunderten der Kaiserherrschaft neben einem Amt a libellis steht. Für die Sonderung der Geschäftskreise dieser Ämter ist vermutlich der Gedanke, auf dem der Gegensatz von C. und Postulation, Decret und Subscription (libellus, s. o. S. 211) beruht, mit von Einfluss gewesen. Dass er gerade ausschlaggebende Bedeutung hatte, soll nicht behauptet werden (s. Hirschfeld a. O. I 207f). [218]
Litteratur. Eine zusammenfassende Darstellung des hier behandelten Gegenstandes giebt es meines Wissens nicht. Einzelne Punkte erörtern Keller Semestria ad Ciceronem I 79–89;. Röm. Civilprocess⁶ § 85, 1051. Rudorff Röm. Rechtsgeschichte II 201–203; Recht der Vormundschaft I 438–441. Bethmann-Hollweg Civilprocess d. gemeinen Rechts II S. XIII. 217. 758–763. III 32. 252. E. I. Bekker Die Aktionen II 28f. 101, 38. 149, 28. 268. 273. H. Burkhard in Glücks Pandekten Ser. d. Bücher 37. 38 II 484–495. Eisele Zur Geschichte der processualen Behandlung der Exceptionen 12–17. Wlassak Kritische Studien 81–94. Pernice in Juristische Abhandlungen. Festgabe f. Beseler 51–78 (übersetzt im Archivio giuridico XXXVI 116–148); Ztschr. f. Rechtgeschichte Rom. Abt. XVIII 30. XXVII 143-146. Ubbelohde in Glücks Pandekten Serie d. Bücher 43. 44 II 53–59. [J. C. Naber Mnemosyne N. F. XXV (1897) 288. 290. 293f. 302. 304. 307f.]. Über die C. im Kaisergericht s. Mommsen Röm. St.-R.³ II 964–988; dazu die Sammlung inschriftlicher Zeugnisse über die durch kaiserliche Delegation zur C. Berufenen bei Ruggiero Dizion. ep. II 322–324. Betreffs der Summarcognition vgl. Savigny Vermischte Schriften II 242–253. H. K. Briegleb Summatim cognoscere (Erlangae 1843); Einleitung in die Theorie der summarischen Processe 239–302 (1859). Wetzell in Kritische Jahrbücher für Rechtswissenschaft von Richter-Schneider XXIV 774–776 (1848); System des Civilprocesses³ 302f. Bethmann-Hollweg a. O. II 779. III 343–345. E. v. Schrutka-Rechtenstamm Zur Dogmengeschichte und Dogmatik der Freigebung fremder Sachen I 25–48 (1889). – Von der Postulation und C. handeln H. F. Hitzig Die Assessoren der röm. Magistrate u. Richter 100–106 (1893) und aus Anlass der Inschrift von Timghâd (CIL VIII Suppl. 17896): Mommsen Ephem. epigr. V p. 640–642. Pernice Ztschr. f. Rechtsgeschichte Rom. Abt. XX² 124, 2. 129–134. Kipp Die Litisdenuntiation 204. 206f. 218. 222. Baron Abhandlungen aus dem röm. Civilprocess III 230f. 235. Joh. Merkel Abhandlungen aus dem Gebiete d. röm. Rechts III 133–139. Mitteis Reichsrecht u. Volksrecht 519; Corpus papyrorum Raineri I 85. 98. I. C. Naber Mnemosyne N. F. XXII 260f. S. auch Blümner Maximaltarif d. Diocletian 120.