RE:Absentia 4
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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im Privatprozess, Abwesenheit nach dem Recht der classischen Zeit | |||
Band I,1 (1893) S. 119 (IA)–121 (IA) | |||
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4) Ihre Bedeutung für den römischen Privatprocess. A) Nach dem Recht der classischen und der älteren Zeit sind 3 Fälle zu unterscheiden. a) Zur Begründung eines Processes ist die Gegenwart beider Parteien in iure (vor dem Praetor) unerlässlich. Sache des Klägers ist es, den zu Belangenden nach der Gerichtsstätte zu bringen (in ius uocatio). Ist er daran durch die Abwesenheit des Gegners vom Gerichtsort (Rom) gehindert, so kann er kraft eines praetorischen Edictes, welches nur in Bruchstücken bei Cic. Quinct. 60 (wegen der Textüberlieferung Keller Semestria ad Cic. I 61–68. C. F. W. Müller Adnot. crit. p. VII) und Paul. Dig. XLII 4, 6, 1 erhalten ist (Wiederherstellungen, die schwerlich vollständig sind, bei Rudorff Edictum perp. [120] 188. Lenel Edictum 333f.), missio in bona (Beschlagnahme) und später uenditio bonorum (zu Gai. III 78 Karlowa Beiträge 133–135) des absens begehren, falls kein Dritter in ausreichender Weise dessen Verteidigung (defensio iudicio) übernimmt. b) Statt die Vocation ins Ius durchzusetzen, kann sich der Kläger mit einem aussergerichtlichen Vadimonium (s. diesen Artikel) begnügen. Auch vor dem Praetor (im ersten Termin) vereinbarten die Parteien häufig ein Vadimonium, um die Fortsetzung des Verfahrens zu sichern. War der zu Belangende trotz seines Versprechens (uadimonium desertum) zur bestimmten Zeit auf der Gerichtsstätte nicht anwesend (A. in diesem Sinn), und meldete sich auch kein Dritter zur gehörigen Verteidigung des Ausgebliebenen, so hatte der Kläger (richtiger: der Postulant) auf Grund des oben genannten Edictes (darüber und wegen des Edictes in den Dig. XLII 4, 2 pr. Rudorff Ztschr. f. Rechtsgesch. IV 43 u. Edictum perp. 38. Lenel Ztschr. für Rechtsgesch. Rom. Abt. XV 43–47 und Edictum 57–59. Kipp Litisdenuntiation 116, auch Keller a. O. 44–61) dieselben Befugnisse wie unter a. Übrigens mochte sich der Kläger, wenn das Vadimonium durch Bürgen versichert war, in der Regel lieber an die Sponsoren halten. Unter besonderen Voraussetzungen (Edict Dig. XLII, 4, 6, 1. L. Iul. mun. CIL I p. 122. Keller Civilpr. N. 1049f.) gewährte der Praetor im Fall a. und b. nur missio in bona, nicht auch die Verkaufsbefugnis. Der Rechtsbestand der bewilligten possessio, proscriptio und uenditio bonorum hing in beiden Fällen davon ab, dass der Postulant wirklich ein gegen den unvertretenen absens verfolgbares Recht hatte (was der Praetor nicht näher untersuchte). Daher konnte nachträglich über die Gültigkeit der missio etc. eine Entscheidung erzielt werden, sei es in einem Verfahren ex sponsione (so zwischen Quinctius und Naevius, s. Cic. Quinct. dazu Keller Semestr. I. Bethmann-Hollweg Civilproz. II 784–804), sei es durch einfaches Praeiudicium (Pap. Iust. Dig. XLII 5, 30. Keller-Wach Civilproz. § 29 a. E. § 85 N. 1064. Bekker Aktionen I 283). Auch war es noch bis zur addictio bonorum dem absens und jedem Dritten gestattet, die Defension (allerdings mit Satisdation) zu übernehmen. Ein besonderes Edict im praetorischen Album handelte von demjenigen, qui exsilii causa solum uerterit (Cic. Quinct. 60. Bethmann-Hollweg l. c. I 113. Lenel Edictum 338). Irrig ist es, aus dem Vadimonium auch für den „Kläger“ die Pflicht abzuleiten, sich in iure zu stellen, oder doch Sachfälligkeit als Folge des Ausbleibens anzunehmen. Nur wenn der Gegner als Widerkläger auftreten wollte, wurden gegenseitige Vadimonien contrahiert, woraus sich dann für beide Teile die Gestellungspflicht ergab. Vgl. Bethmann-Hollweg a. a. O. I 112. II 572 (anders Keller-Wach Civilpt. § 49) und wegen Horat. Sat. I 9, 35–37 und Suet. Cal. 39 Artikel Vadimonium.
Litteratur zu a. b.: Puchta Instit. I § 160. H. Dernburg Über die emtio bonorum 48–68. 151–153. Keller-Wach Civilpr. § 49. 84. 85. N. 1047–1050. 1063. 1064. O. E. Hartmann Röm. Contumacialverfahren 4–101. Rudorff a. a. O. u. Röm. Bechtsgesch. II 297f. Karlowa Beiträge [121] z. Gesch. d. Röm. Civilproz. 101–140. Bethmann-Hollweg Civilpr. d. gem. R. I 111–114. II 559–565. Karlowa Röm. Civilpr. 338–341. Lenel a. a. O. Ubbelohde Verhältnis d. bon. venditio z. ordo 4–15.
c) Ist vor dem Praetor die Lis contestiert und das Spruchgericht bestellt, so haben sich die Parteien hiedurch (ein römischen Grundsätzen widerstreitendes Verfahren schildert Cic. Verr. II 42, dazu 59) dem Urteil des oder der Geschworenen (iudices) im Voraus unterworfen. Versäumte der Kläger oder der Beklagte (lis a reo deserta, Ulp.: eremoiudicium) den Schwurgerichtstermin (A. in iudicio) ohne anerkannte Entschuldigung (L. XII tab. II 2, Schoell Leg. XII tab. reliquiae 120 f.), so hinderte dies keineswegs den Fortgang des Verfahrens. Nach einer Norm der Zwölftafeln (Gell. XVII 2, 10, Schoell 118f.) hatte der Richter ohne weitere Untersuchung das Urteil zu Gunsten des Anwesenden zu fällen. Anscheinend galt dieser strenge Satz ohne Abschwächung noch für die Geschworenen der classischen Zeit (vgl. Eisele Abhandl. z. röm. Civilpr. 187, 54). Möglich war die Entkräftung des Urteils durch in integrum restitutio (Ulp. Dig. IV 4, 7, 12).
Litteratur: Zimmern Gesch. d. röm. Privatrechts III § 136. Puchta Instit. § 174 a. E. Keller-Wach Civilpr. § 69. O. E. Hartmann Contumac. 80. 124–132. Rudorff R. Rechtsgesch. II 65. 310. 317–319. Bethmann-Hollweg Civilpr. I 186–188. II 603–606. Karlowa Röm. Civilproz. 268–271. 315–317. 366–368. Zu den cit. Stellen d. L. XII tab. vgl. noch die bei Kuntze Excurse über R. Recht² 138 angeführten Schriften, ferner Bruns Fontes iur. R.⁵ 18f. Dirksen Zwölftafelfragm. 180–188. 191–208. E. Huschke in I. Huschke Analecta litt. 106. Wetzell R. Vindicationsproz. 54–57. Dernburg Ztschr. f. Rechtsgesch. II 80. M. Voigt Die Zwölftafeln I 541–543. 696–699. Marquardt-Mau Privatleben d. Römer² 254f. Bechmann Legis actio sacramenti 26f.
B) In der classischen Zeit gab es eine beträchtliche Zahl von Rechtssachen, die nicht im ordentlichen Process mit Geschworenen verhandelt wurden, sondern extra ordinem (cognitio extraordinaria). In diesem Verfahren fiel das Ausbleiben des geladenen Beklagten unter den Gesichtspunkt der contumacia (s. diesen Art.). Das Ausbleiben des Klägers hatte regelmässig nur die Aufhebung des Termins zur Folge. Die Erneuerung des Verfahrens war zulässig; Ulp. Dig. V 1, 73, 1. 2. Keller-Wach Civilpr. § 81. Bethmann-Hollweg Civilpr. II § 122, bes. S. 776f.
C) Über die A. der Parteien im Denuntiationsprocess der christlichen Kaiserzeit s. Art. Litis denuntiatio.
D) Wegen der Behandlung der A. im Iustinianischen Privatprocess s. Art. Contumacia.