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Place Louis XVI. (der Revolutionsplatz) in Paris

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
CCCCLIX. Treryn-Castle in Cornwall Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band (1843) von Joseph Meyer
CCCCLX. Place Louis XVI. (der Revolutionsplatz) in Paris
CCCCLXI. Guttenstein
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PLACE LOUIS XVI
in Paris

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CCCCLX. Place Louis XVI. (der Revolutionsplatz) in Paris.




Diese beiden Paläste rechts und links: – ein Fürst kann sie nicht schöner haben. Und was waren sie? Sie wurden mit einem Aufwande von mehren Millionen aufgeführt, um Hofschranzen prächtige Wohnungen zu geben. Ludwig XV. ernährt hier dreihundert Diener, während sein Volk unter Auflagen und Erpressungen darbte. Und das kleine Häuschen, das im Vorgrunde auf der Mitte des Platzes steht? Die Hütte war’s, welche die Stelle deckt, wo Ludwig XVI., der Nachfolger jenes fünfzehnten, seinen Kopf unter das Beil der Guillotine strecken mußte.

„Wenn die Könige Weltgeschichte machen, so tauchen sie ihre Finger in Blut.“ Hier hat’s das Volk auch einmal gethan. Von der Erbauung des Louvre an, aus dessen Fenstern ein Bourbon zur Kurzweil nach seinen Unterthanen schoß, bis zur Aufrichtung des Schaffots, auf dem ein Bourbon blutete, sind viele Jahrhunderte vergangen. Die Könige eilen, denn ihre Dauer ist ungewiß; die Völker aber nicht, denn sie sind ewig. Die Vergeltung brauchte eine lange Zeit, ehe sie das herausfordernde Geschlecht erfaßte. Jedes fühlende Herz muß weinen, daß gerade das schuldloseste Glied einer schuldbeladenen Raçe zum Sühnopfer werden mußte; aber das richtende Volk darum verdammen: – wer wagt es Angesichts der monumentalen Zeugen der Bartholomäusnacht, der unzähligen Greuelthaten, Verbrechen und Volksmißhandlungen, welche die Bourbons früher und später auf dem Throne verübten? In Ludwig XVI. wurde ja nicht das Individuum, nicht der Mensch, sondern die Dynastie gerichtet, welche durch ihre Thaten längst den Stab über sich gebrochen hatte.

Kaum ist ein halbes Jahrhundert über das Blutfeld weggegangen, und die Hand der Zeit hat Richter und Gerichtete schon wieder ausgesöhnt. Die Rache der Völker hat niemals Zinsen begehrt; ein Bourbon sitzt wieder auf dem Thron und selbst die äußern Zeichen des Zwiespalts verwischte die ausgleichende Hand der Versöhnung. Der Revolutionsplatz hat unter Ludwig Philipp’s Regierung sein Ansehen gänzlich verändert; den Namen nicht einmal hat er behalten, er ist zum Platz der Eintracht (Place de la concorde) geworden. Wo die Guillotine stand und das kleine Häuschen, da steht jetzt ein hoher Zeuge des Ruhms, der Obelisk von Luxor. Die letzten Jahre haben den Platz zum herrlichsten in ganz Paris umgeschaffen. Er hat die Form eines Oktogons. Steht man in dessen Mittelpunkt, so hat man einen Anblick, wie ihn keine Stadt der Welt wieder bietet. Auf der [106] einen Seite erheitern die Baumgruppen, Bosketts und Rasenplätze der elisäischen Felder; durch die prachtvolle Avenue in der Fronte sieht man die Façade der Königswohnung, der Tuillerien, rückwärts aber den Triumphbogen de l’Etoile und die Avenue von Neuilly. Die Perspektive durch die Rue Royale endigt im Tempel der Ehre, dem Pantheon, und auf der andern Seite fällt der Blick über die neue Brücke hin auf die Colonnade des Palastes der Deputirten. Man steht hier gleichsam inmitten der Werkstätte der Geschichte, – man fühlt das Treiben und Bewegen ihrer Elemente. Noch mit dem letzten Blute, das hier vergossen wurde, ward die letzte große Seite der Weltgeschichte geschrieben. Es floß in den Julitagen. Die da fielen – sie ruhen jetzt unter der „Säule des Wahnsinns“, wie ein loyaler deutscher Mann sie genannt hat. Ich lasse den Ausdruck gelten. Jegliche Aufopferung, jeglicher Heroismus läßt sich am Ende alS Wahnsinn deduciren, wenn man die Gleichgültigkeit, Unbeweglichkeit und Indolenz der gemeinen Menschen als gesunden Menschenverstand gegenüber stellt. Wahnsinn ist dann der Tod des Frommen, der für seinen Glauben stirbt; Wahnsinn der Muth des Helden, der dem Vaterland das Leben opfert; Wahnsinn das Streben des Edlen, der die verfolgte Unschuld in Schutz nimmt, und wahnsinnig ist der Mann, welcher der Freiheit Wege bahnt zu den Völkerherzen, und die Unterdrückung der Gewalt eben so, wie die Feigheit der Unterdrückten, mit dem Flammenschwerte des Wortes schlägt. Was hat er zu gewinnen? fragen die Spötter. O, die Armen! Ihnen ist’s unverständlicher, als Hieroglyphenschrift, wenn ich ihnen sage: daß das Bewußtseyn, frei zu stehen auf klarer, jeder Prüfung beständiger Ueberzeugung, sicher zu seyn vor jeglicher Täuschung und fähig zu seyn, sich die Zukunft zur Gegenwart zu machen, die kein Gott uns rauben kann, allein schon alle Opfer eines Menschenlebens aufwiegt.