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Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/185

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CCCCLX. Place Louis XVI. (der Revolutionsplatz) in Paris.




Diese beiden Paläste rechts und links: – ein Fürst kann sie nicht schöner haben. Und was waren sie? Sie wurden mit einem Aufwande von mehren Millionen aufgeführt, um Hofschranzen prächtige Wohnungen zu geben. Ludwig XV. ernährt hier dreihundert Diener, während sein Volk unter Auflagen und Erpressungen darbte. Und das kleine Häuschen, das im Vorgrunde auf der Mitte des Platzes steht? Die Hütte war’s, welche die Stelle deckt, wo Ludwig XVI., der Nachfolger jenes fünfzehnten, seinen Kopf unter das Beil der Guillotine strecken mußte.

„Wenn die Könige Weltgeschichte machen, so tauchen sie ihre Finger in Blut.“ Hier hat’s das Volk auch einmal gethan. Von der Erbauung des Louvre an, aus dessen Fenstern ein Bourbon zur Kurzweil nach seinen Unterthanen schoß, bis zur Aufrichtung des Schaffots, auf dem ein Bourbon blutete, sind viele Jahrhunderte vergangen. Die Könige eilen, denn ihre Dauer ist ungewiß; die Völker aber nicht, denn sie sind ewig. Die Vergeltung brauchte eine lange Zeit, ehe sie das herausfordernde Geschlecht erfaßte. Jedes fühlende Herz muß weinen, daß gerade das schuldloseste Glied einer schuldbeladenen Raçe zum Sühnopfer werden mußte; aber das richtende Volk darum verdammen: – wer wagt es Angesichts der monumentalen Zeugen der Bartholomäusnacht, der unzähligen Greuelthaten, Verbrechen und Volksmißhandlungen, welche die Bourbons früher und später auf dem Throne verübten? In Ludwig XVI. wurde ja nicht das Individuum, nicht der Mensch, sondern die Dynastie gerichtet, welche durch ihre Thaten längst den Stab über sich gebrochen hatte.

Kaum ist ein halbes Jahrhundert über das Blutfeld weggegangen, und die Hand der Zeit hat Richter und Gerichtete schon wieder ausgesöhnt. Die Rache der Völker hat niemals Zinsen begehrt; ein Bourbon sitzt wieder auf dem Thron und selbst die äußern Zeichen des Zwiespalts verwischte die ausgleichende Hand der Versöhnung. Der Revolutionsplatz hat unter Ludwig Philipp’s Regierung sein Ansehen gänzlich verändert; den Namen nicht einmal hat er behalten, er ist zum Platz der Eintracht (Place de la concorde) geworden. Wo die Guillotine stand und das kleine Häuschen, da steht jetzt ein hoher Zeuge des Ruhms, der Obelisk von Luxor. Die letzten Jahre haben den Platz zum herrlichsten in ganz Paris umgeschaffen. Er hat die Form eines Oktogons. Steht man in dessen Mittelpunkt, so hat man einen Anblick, wie ihn keine Stadt der Welt wieder bietet. Auf der