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Moderne Kunstindustrie

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Textdaten
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Autor: Dr. H. Beta
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Titel: Moderne Kunstindustrie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 518, 520, 521
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[518]
Moderne Kunstindustrie.


Drei große Fragen der Zeit waren es, welche mich im October 1838 lebhaft erregten. –

Mit dem kostbarsten Schatze von einem Manuscript in der Tasche eilte ich, wie nachher noch zehn Jahre lang fast alle Tage, nach der Kochstraße Nr. 70 zu Berlin, eine Treppe hoch, zu dem grauen Männchen mit dem Kopf voll weißen Haaren. Er saß in dem einfenstrigen Stübchen mit nur einem Stuhle, einem unwandelbaren, nicht polirten, nicht gestrichenen Tische am Fenster und einem ebenfalls unwandelbaren birkenen Stehpulte an der Seite. Die meisten Schauspieler damaliger Zeit, Künstler, Schriftsteller Berlins haben wohl alle mehr oder weniger oft in diesem kleinen Käfig von Zimmer gestanden. Nur für Damen holte der kleine, unwandelbare Professor Gubitz zuweilen einen gewöhnlichen Rohrstuhl aus dem Nebenzimmer, aber auch nicht für alle. Wenn ich nicht irre, beehrte er blos Charlotte von Hagen, die Birch-Pfeiffer, Clara Stich und vielleicht noch zwei oder drei andere weibliche Größen der königlichen Bühne mit einer solchen Gelegenheit und Aufforderung zum Sitzen. Männliche Größen, selbst Herr von Küstner, Seydelmann, Rott, Varnhagen von Ense, Karl von Holtei, Fouqué, Wilibald Alexis, Franz von Gaudy, der damalige Assessor und Verfasser des „Grad’ aus dem Wirthshaus“, Kopisch, Chamisso, ja sogar der alte ehemalige Minister und Dichter von Stägemann mußten stehen, während er, vielleicht um bei der Unterhaltung keine Zeit zu verlieren, tief über ein Buchsbaumblöckchen gebeugt saß und emsig den neuesten Holzschnitt corrigirte. Nur in dem noch kleineren Hinterzimmer saß sehr lange immer ein junger Mann, um Holzschneiden zu lernen, was ihm aber nicht so gut gelang, als seitdem sein Eindringen in das tiefste Leben des größten germanischen Dichters Shakespeare. Dieser Holzschneidelehrling war nämlich Rudolph Genée.

Die drei großen Zeitfragen, die damals zum ersten Male in meinem Kopfe zusammen wirthschafteten, hatten während des darauffolgenden Vierteljahrhunderts unsere ganze Zeit umgewandelt, nur nicht den Professor Gubitz. Als ich ihn 1861 zum ersten Male wiedersah, war’s noch ganz dasselbe graue Männchen mit dem Kopf von weißen Haaren, in demselben einfenstrigen Käfig mit dem unwandelbaren Tische und demselben birkenen Stehpulte. Nur um ihn herum und weit auf der ganzen runden Erde war Alles anders, Vieles um Hunderte von Procenten besser, Einiges freilich auch viel schlimmer geworden. Davon wollte er nun endlich nichts mehr wissen. Und so legte er sich bald darauf eines Tages hin zum Sterben, ohne je vorher krank gewesen zu sein.

Ja, das graue Männchen mit dem Kopf voll weißen Haaren war beinahe während der ganzen ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine merkwürdige, ungemein bekannte Größe Berlins für Bühne, Kunst und Literatur. Wer aus diesen Kreisen etwas auf dem Herzen hatte, begab sich nach der Kochstraße Nr. 70, eine Treppe hoch. Neulinge und Nestors, Alle wanderten zum Professor Gubitz. Ich that dies pflichtgemäß zehn Jahre lang, so daß ich auf diese Weise alle damaligen Größen Berlins und auch viele aus anderen Orten irgend ein oder mehrere Male hinter dem holzschneidenden Professor stehen sah. An diesem erwähnten Octobertage 1838 waren’s der damalige Pietsch der „Vossischen Zeitung“, Rellstab, und ein blasser, langer, mir unbekannter Mann. Begeistert über den Inhalt meines Artikels platzte ich gleich damit heraus und erzählte mit schwimmenden Blicken in die Zukunft von der in meinem Artikel geschilderten fabelhaften Entdeckung eines Franzosen, Namens Daguerre. Er verstehe es, Glasplatten chemisch so zu behandeln, daß sie einem beleuchteten Gegenstande gegenüber diesen in ganz kurzer Zeit genau auf dem Glase im Portrait wiedergäben. Auf diese Weise könne man menschliche [520] Gesichter, wie sie leibten und lebten, aber zugleich in einer gewissen geisterhaften Veredelung beliebig oft portraitiren, wie natürlich auch von allen anderen Gegenständen die allergetreusten Lichtabbildungen erhalten „Denken Sie sich nur, Herr Professor, das Licht selbst ein Xylograph, ein Maler!“

Aber er pustete ruhig die kleinen Spähnchen von seinem Buchsbaumblocke und meinte, es werde wohl wieder so ein französischer Schwindel sein, aber interessant sei der Artikel, und er werde ihn natürlich sofort im „Gesellschafter“ zum Besten geben. Der dicke, haarige Rellstab brummte etwas von Dampf und Dunst, der nun die Welt beherrschen werde, aber gewiß nicht lange. Der erste Eisenbahnzug, der heute Morgen von Berlin abgegangen sei, werde entweder alle Cultur zum obdachlosen Strolche machen oder dem ganzen Dampfschwindel das Todesurtheil sprechen. Bei allem Respecte vor dem damaligen Unfehlbaren der „Vossischen Zeitung“ widersprach ich doch, wenn auch bescheiden. Auch der blasse, lange Mann neben mir am birkenen Stehpulte meinte, man müsse nicht so schnell urtheilen; jedenfalls seien die Eisenbahnen ebenso wie meine erste Kunde von der Pariser Lichtdruckerfindung, so wie seine eigne Idee einer näheren Prüfung würdig und der größten Vervollkommnung fähig.

„Welche Idee, wenn ich fragen darf?“

„Oelbilderdruck.“

„Oelbilderdruck? Wie meinen Sie das?“

„Wollen Sie sich darüber näher unterrichten, so bitte ich Sie, mich zu besuchen. Ich heiße Liepmann[WS 1], wohne da und da.“ –

Erster Eisenbahnzug aus Berlin, erste Kunde von der Photographie, erster Klang vom Oelbilderdruck an diesem einzigen Tage des Octobers 1838. Gegen Abend desselben Tages sah ich nun auch mit eignen, leibhaftigen Augen zum ersten Male dieses wasserdampf- und feuerspeiende, Raum und Zeit zermalmende Ungeheuer vor mir vorbeirasen, und ich gestehe, daß ich jetzt nach sechsunddreißig Jahren immer noch große Augen mache, wenn ich eine solche ungeheuerliche Verkehrsschlange in voller Raserei dahinbrausen sehe. Erquickender und anmuthender ist für mich freilich die jetzige kosmopolitische Blüthe der beiden anderen Culturmächte der Gegenwart, dieser Typographie der Malerei in der Photographie und im Oelbilderdruck. Letzterer hat für mich außerdem noch eine tragische Seite. Ich habe den Erfinder desselben, diesen blassen, langen Liebmann unter den furchtbarsten Opfern, Mißgeschicken und Verhöhnungen langsam und sicher sinken, moralisch und materiell umkommen sehen, ohne ihm mit meinen besten Bemühungen helfen zu können. Und welcher Glaube, welcher Heldenmuth, welche Hartnäckigkeit des hungernden Genius in fester Ueberzeugung von der Größe und Zukunft seiner Erfindung, allem Hohne der Fachmänner, aller Gleichgültigkeit und Niederträchtigkeit des Publicums gegenüber! O, könnte er jetzt den Triumph dieser seiner Kunst, für welche er sich langsam todtmartern ließ, in diesen farbigen Blüthenmeeren gedruckter Oelbilder, durch welche die theuersten, unzugänglichen Originale unserer großen Meister jeder gebildeten Häuslichkeit zugänglich werden, mit eigenen Augen genießen!

Technisch und künstlerisch immer originalähnlicher, hat sich der Oelbilderdruck namentlich während der letzten zehn Jahre zu einem so reizenden Verschönerungsmittel gebildeter Häuslichkeit bis in kleinbürgerliche und anständige Arbeiterkreise hinein entwickelt und ausgebreitet, daß man ihn nun nachgerade als eine der schönsten Culturmächte der Zeit würdigen lernen muß. Die Maler und Kunstkritiker von Fach, sowie reiche Leute, die sich Originalölbilder kaufen, sprechen zwar noch gern geringschätzig von dieser Typographie der Malerei; aber ihre Einwendungen können sich jetzt nur noch hauptsächlich auf die geringere Dauerhaftigkeit der aufgedruckten Farben beschränken. Dies will aber wenig sagen, seitdem man weiß, daß gute Oeldruckbilder doch mindestens fünfzehn bis zwanzig Jahre Farbe halten. Der Preis beträgt im Durchschnitt etwa den hundertsten Theil des Originales, welchem es für den künstlerischen Genuß oft schon so vollkommen gleicht, daß man Ur- und Abbild nebeneinander nur mit scharfen Augen ganz in der Nähe unterscheiden kann. So gewinnt also die Ausbreitungsfähigkeit des gemalten Originalbildes eine Breite und Tiefe in alle Welt hinein, die man kaum hoch genug schätzen kann.

Der schöne Luxus reichster Leute wird immer mehr zu einem bürgerlichen Gemeingut, so daß Schönheitssinn und durchheiterte Häuslichkeit aus den Bel-Etagen bis in die Dachkammer hinauf- und in die Keller hinuntersteigen, der Rohheit und Häßlichkeit den Mund stopfen und die Faust lähmen. Schon der technisch und künstlerisch vollendete Holzschnitt, von welchem der Vater der neueren Xylographie, Gubitz, sich noch nichts träumen ließ und wie ihn heut zu Tage wöchentlich Millionen Menschen immer wieder frisch durch die Gartenlaube genießen, wird eine immer erfreulichere und wirkungsvollere Macht der Cultur und des guten Geschmacks; aber man muß erst aufschlagen und dazu lesen, während das originalgleiche, farbenfreudige, schön eingerahmte Oelbild bei jedem Aufblick im Zimmer unwillkürlich erheiternd und geschmackbildend wirkt. Wer mit der Zeit hundert Thaler in diese Verschönerung seiner Häuslichkeit wendet, hat, wenn er eine künstlerische Auswahl trifft, eine annähernde Entschädigung für die Bildergalerie des reichen Mannes. Und tritt eine Zeit der Erlöschung ein, so können mit den geringsten Opfern immer neue und jedenfalls vollendetere Meisterwerke der Malerei an die Stelle veralteter Schönheiten treten.

Ja, das Schmerzenskind des Märtyrers Liebmann ist längst eine Schwester des Schiller’schen Mädchens aus der Fremde geworden und bietet aus besonderen Anstalten in allen civilisirten Ländern und aus unzähligen Schaufenstern jedem verschönernden Häuslichkeitssinne anmuthige Gaben. Der „Allgemeine deutsche Kunstverein zur Förderung des Oelbilderdrucks“ in Berlin, Hölzel in Wien, Seitz in Altona, E. Gaillard in Berlin u. A. haben sich um diesen Zweig der Kunstindustrie große Verdienste erworben. Da nun die Kunst aus allen ihren wahrhaften Blüthen bildend, veredelnd, vermenschlichend durch die Sinne auf Sinnes-, Denkungs- und Handlungsweise irgendwie wohlthätig wirkt, so kann man sich nur freuen, daß auch durch die Kunstindustrie des Oeldrucks immer weiter und breiter Schönheit und Lebensfreude selbst bis in die Häuslichkeit des Bürgers, des Bauern und des strebsamen gemeinen Arbeiters getragen wird.

Aber erst die in jetziger Vollendung und Fülle wirksame Erfindung Daguerre’s schließt die Schätze der Kunst aller Zeiten und Zonen für Erheiterung und Veredelung der ganzen Menschheit auf. Schon vor Jahren hieß es in einem Berliner Possencouplet: „Auf jedem Dache sitzt ein Photograph.“ Manche derselben ziehen das vorübergehende Publicum halb mit Gewalt auf ihre Höhen hinauf, ohne ihm die Mühe des Treppensteigens zuzumuthen. Man braucht sich nur auf einen Stuhl zu setzen und wird flink durch Flaschenzug emporgehoben. Die Industrie der photographischen Albums und des Tauschhandels mit photographischen Portraits setzt jährlich viele Millionen Thaler um und jedenfalls noch viel höhere Werthe der Neigung von Herzen zu Herzen zwischen Familien, Freunden, Verwandten und Bekannten, zu denen in Amerika sogar unzählige Geister unserer Dahingeschiedenen gehören. Man mag über diesen Humbug nach Belieben lachen und spotten; aber ich habe eine ungeheure Sammlung von amerikanischen Geisterphotographien gesehen, die in technischer Vollendung wahrhaft bewundernswürdig sind und so zu sagen der Unmöglichkeit, Geister zu citiren und zu sehen, meisterhaft spotten. Man sieht Mütter mit ihren verstorbenen Kindern klar unsichtbar-sichtbar auf dem Schooße, verstorbene Mütter, die aus duftig weißen Gewändern heraus ihre durchsichtig gehauchten Arme um den Hals des noch körperlich lebenden geliebten Kindes legen; corpulente, massive Väter im traulichen Vereine mit ihren in der Blüthe der Jahre hinweggerafften Söhnen, sieht anmuthig hingehauchte liebe Angehörige von jenseits des Grabes in deutlichster Portraitähnlichkeit, wie sie um das kräftige Portrait des noch Lebenden Blumen streuen; kurz eine Fülle von Glauben, Aberglauben, Sehnsucht, Hoffnung und Ahnung verwirklicht und festgebannt auf das geliebte Lichtbild. Ohne Amerika um diese zweifelhaften Vorzüge zu beneiden, kann sich doch Jeder auch bei uns bis zum Kutscher herab im Laufe weniger Jahre mit einem guten Album voll geliebter Gesichter und Gestalten bereichern, die ihn in genauester Individualität bei jeder Durchblätterung mit klaren Augen und freundlichem Blicke begrüßen. Welche Fülle von Freuden fließt auf diese Weise in millionenfachen Hin- und Herströmungen durch die jetzige Menschheit!

Nun hat sich außerdem die Photographie der kostbarsten Kunstschätze der Welt bemächtigt, die sonst unbezahlbar in allen [521] möglichen Museen weit umher zerstreut und gefesselt hingen. Ich erinnere nur an die trefflichen Hanfstängel’schen Nachbildungen der Dresdener und Münchener Galerien und der Kasseler Kunstschätze, namentlich aber an die Unternehmungen der „Photographischen Gesellschaft“ in Berlin, die sich außer ihren vortrefflichen großen Nachbildungen besonders durch die billigeren Photographien der Kunstschätze aller Galerien ein hervorragendes Verdienst erworben hat. Die Zweiganstalten dieser Gesellschaft in London, New-York, Paris, wie ich höre, sogar in Indien, China und Japan, sowie die in aller Welt reisenden Agenten machen diese Schätze immer mehr zu einem veredelnden Gemeingute der ganzen Menschheit. Wenn wir noch hinzufügen, daß der jetzige Director der Gesellschaft für alle seine Beamten und Arbeiter Einrichtungen getroffen hat, welche denselben für ihren Abgang oder für ihr Alter die Früchte ihres treuen Fleißes mit Zins auf Zinseszins sichern, so kommt zu ihrer Bildungs- und Geschmacksförderung auch noch ein socialer Segen, dem wir gerade heut zu Tage einen besonderen Werth für Nachahmung zuerkennen müssen.

Unter den vervielfältigenden Künsten, dem Holzschnitt, Kupfer- und Stahlstich, nimmt neuerdings die Typographie der Malerei als Oeldruck und Photographie einen immer höheren Rang ein, weil dadurch der großen Menge die seltensten und theuersten Schätze aller Zeiten und Zonen allgemein zugänglich gemacht werden. Kommt nun noch dazu die Erfüllung der mir geheimnißvoll gewordenen Prophezeiung der farbigen Photographie genau nach dem Leben, so können wir uns vorläufig kaum einen schöneren Triumph auf dem Gebiete der Kunst und Lebensverschönerung denken. Wer daran selbst genießend möglichst theilnehmen will, nehme sich zu guter Letzt noch Goethe’s Ausspruch zu Herzen: „Das Nützliche fördert sich selbst, denn die Menge bringt es hervor und Niemand kann es entbehren; das Schöne muß befördert werden, denn Wenige stellen es dar und Viele bedürfen es.“

Dr. H. Beta.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Liebmann