Ein in Eisen gelegter Vulcan
So, meinte der Mann, welcher den Bau einer Eisenbahn von Neapel bis zum Krater des Vesuvs unternommen hat, müsse der alte Feuerberg genannt werden, sobald dieser kühnste Schienenweg um und auf denselben vollendet sei. Ob der gewaltige Gatte der Venus, welcher am glühenden Herde der Tiefe über die rauchende Esse gebietet, so großen Respect vor den seine Lavaklippen durchziehenden Schienenfäden verspüren wird, um sich „in Eisen gelegt“ zu fühlen, mag dahingestellt sein; kann aber durch die Kunst und Macht der Technik der schaulustigen Menschheit die bis jetzt noch über alle Maßen beschwerliche, ja sogar lebensgefährliche Strecke über den obersten Aschenkegel des Vesuv bis zum Kraterschlund bequem zugänglich gemacht werden, so ist damit abermals ein gutes und ohne Zweifel auch recht einträgliches Werk vollbracht.
Der Vertreter der Gesellschaft, welche diesen Bahnbau unternehmen will, Herr E. E. Oblieght, hatte in Rom die Baupläne zur öffentlichen Prüfung ausgestellt und sandte der Redaction der Gartenlaube die von uns in Holzschnitt wiedergegebene Zeichnung und eine Beschreibung der künftigen Bahn zu, die wir übrigens in anderen illustrirten Zeitungen bereits abgedruckt finden. Wir beschränken uns deshalb nur auf die nöthigsten Andeutungen zum Verständniß der Illustration, Weiteres für den Zeitpunkt aufsparend, wo über die fertige Bahn zu berichten sein wird.
Von der Eisenbahn von Neapel nach Torre del Greco abzweigend, soll die Vesuvbahn in weitem Bogen um den nordwestlichen, nördlichen, westlichen und südwestlichen Fuß des Berges herumbiegen und Stationen bei den Ortschaften Barra, San Sebastiano, Santa Anastasia, Somma, Ottajano und San Giuseppe erhalten. So weit würde auf dem gewöhnlichen Schienenwege die Locomotive arbeiten. Die Bahnlänge bis dahin würde dreiundzwanzig Kilometer betragen. Von da an beginnt die Steigung und zwar in zwei Absätzen von zusammen drei Kilometern. Der erste Absatz erhält bei einer Länge von zweitausendeinhundert Metern eine größte Steigung von zwanzig Procent und soll bei dem Atrio del Cavallo enden; der zweite Absatz mit der stärksten Steigung bis zu fünfunddreißig Procent soll eine Strecke von elfhundert Metern überwinden und in den Ausgangsbahnhof, wenige Meter vom Kraterrande entfernt, einmünden. Die Bewältigung dieser beiden Absätze über Lava, Schlacken und Asche des Vesuvs hin geschieht durch Anwendung des Drahtseilsystems, über welches wir unseren Lesern nächstens einen besonderen Artikel bringen.
Einem Freunde, welcher soeben von einer Reise durch Italien, mit welcher er eine Besteigung des Vesuvs verbunden hatte, zurückgekehrt ist, verdanken wir noch folgende, unseren Lesern durch ihren belehrenden Inhalt gewiß willkommene Mittheilungen über die bisherige Vesuvbesteigungsweise und die Vortheile der künftigen.
„An der Südseite des Berges, längs der Küste, läuft bekanntlich schon seit länger als einem Vierteljahrhundert eine Bahnlinie, welche sich am Südost-Fuße des Vesuvs in Torre dell’Annunziata theilt und rechts am Strande noch eine halbe Meile nach Castellamare weiter geht, wo sie endet, während die andere Linie über Pompeji nach Nocera, Salerno, Eboli und weiter führt. Die Vesuvbesteiger konnten diese Bahn jetzt bis Portici oder Pompeji benutzen. Im ersteren Falle hatten sie ebenso, wie die größere Masse, welche von Neapel direct mit dem Wagen nach Resina fuhr (eine Stunde Fahrzeit), sich in’s Führerbureau in Resina zu begeben, von wo sie gewöhnlich zu Pferd oder Esel den Weg bis zum sogenannten Eremiten, neben dem Observatorium, zurücklegten. Die Entfernung beträgt zwei Stunden, die Höhe fast die Hälfte des Berges. Bis hierher geht Fahrstraße; eine Minderzahl fährt im Wagen. Die Straße war durch den vorletzten Ausbruch (1868) überdeckt, ist aber wieder hergestellt worden.
Vom Observatorium aus führt ein Fußweg, auf welchem [518] man auch reiten kann, auf den Rücken des Vorgebirges, dessen Ende das Observatorium trägt, zunächst in östlicher Richtung weiter und wendet sich dann, immer steigend, nach rechts in südöstlicher Richtung bis an den Fuß des eigentlichen Kegels. Man braucht zu dieser Strecke ungefähr drei Viertel Stunde und einen ziemlichen Aufwand von Kräften, weil man meist in Aschensand zu gehen hat. Hier ist alle Vegetation, welche unterhalb des Observatoriums durch Lavaströme streckenweise unterbrochen war, definitiv zu Ende.
Am Fuß des Kegels müssen die Reiter ihre Pferde zurücklassen. Es treiben sich da immer eine Menge Leute herum, welche theils die Obhut über die Pferde übernehmen, theils sich als Träger oder zum Beistand anbieten. Man kann nämlich die Vesuvbesteiger von hier an in drei Gruppen theilen; ein Theil will die Ueberwindung der Anstrengung nur den eigenen Kräften verdanken; ein anderer Theil nimmt Hilfe an, gewöhnlich einen Mann zum Ziehen an einem Riemen mit Handhaben und einen zweiten zum Schieben; Einzelne endlich lassen sich auf Tragsesseln hinauftragen. In der That ist es der Mehrzahl der fremden Vesuvbesteiger, besonders den Damen, nicht möglich, ohne Unterstützung hier hinaufzugelangen. Die Höhe beträgt vierhundertfünfzig bis fünfhundert Meter, die Neigung dreißig bis fünfunddreißig Grad, und der Weg ist tiefer Aschensand, in welchen man bei jedem Schritt einsinkt und zurückrutscht.
Als ich im Winter 1850 bis 1851 zwei Mal den Vesuv bestieg, ging der Weg in’s Atrio del Cavallo hinein, die breite, etwas gebogene, nach Süden concave Thalfläche, welche sich zwischen dem eigentlichen Kegel des Vesuv (im Südost und Süd) und den schroffen Wänden der Somma (im Nord) hinstreckt. (Auf unserem Bilde ist die Somma der Gipfel rechts.) Der Anstieg erfolgte somit an der Nordseite, nicht wie jetzt an der Westseite. Damals stieg man auf Lava hinauf, und wenn dieselbe auch großentheils aus lockerem Geröll bestand, doch sehr viel leichter, als jetzt. Der frühere Weg soll erst seit dem Ausbruch vom April 1872 verlassen worden sein, wahrscheinlich, weil sich in derselben Gegend bei diesem Ausbruch eine tiefe Schlucht gebildet hat, durch welche jetzt der Krater nach dem Atrio zu offen ist. Man kann den Vesuv auch von der Ostseite, von Pompeji aus, besteigen. Diesen Weg kenne ich nicht.
Die geplante Bahn wird den Besuch des Vesuv außerordentlich viel leichter und billiger machen. Der Plan ist mit großer Ueberlegung entworfen. Die Bahn soll, wie bereits angegeben, um die Nordseite des Vesuv, am Fuß der Somma hin, in großem Bogen herumführen auf die Südwestseite und erst hier, auf der Seite, wo Pompeji liegt, hinauf. So weit sie in der Ebene hinführt, durchschneidet sie höchst fruchtbares und reichbevölkertes Land, wird somit einen großen, von der Vesuvbesteigung unabhängigen Ertrag gewähren. Die Bergbahn ersteigt den Vesuv auf einer Seite, wo nach den bisherigen Erfahrungen neue Lava-Ausbrüche am wenigsten wahrscheinlich sind. Das oberste Ende, am Rande des Kraters, soll gedeckt werden, wahrscheinlich theils zum Schutz der dort stationirten Angestellten und Arbeiter vor den aus dem Krater aufsteigenden Wolken von Rauch und nicht athembaren Gasen, theils zum Schutz der Bahn und der Maschinen vor den zuweilen aus dem Krater emporfliegenden und am Rande niederfallenden Steinen.
Die Besteigung wird durch die Bahn nicht nur wegen des Wegfalls aller Anstrengung, die kürzlich noch einem Besteiger das Leben gekostet hat (durch ‚Herzschlag‘), wie wegen der großen Verminderung des Kosten- und Zeitaufwandes sehr viel angenehmer und leichter werden, sondern auch die Erreichung der mit der Vesuvbesteigung verbundenen Absichten viel mehr sichern. Jetzt kommen die Meisten so vollständig erschöpft oben an, daß sie weder für die Aussicht noch für die Eigenthümlichkeiten des Vulcans Sinn und Genußfähigkeit mehr haben. Der Krater selbst ist meist mit Rauch erfüllt und gewährt nur auf Augenblicke, wenn ein Windstoß den Rauch auf die Seite treibt, einen Einblick. Jetzt haben die Besucher weder so viel Zeit, um auf günstige Momente zu warten, noch genügende Körperkräfte übrig, um auf dem Rande vielleicht um den halben Krater herumzugehen und die Windseite aufzusuchen. In Zukunft wird man am Rande des Kraters aussteigen, also völlig frisch ankommen und über Zeit und Kräfte frei verfügen, auch im Nothfall leicht wiederkommen können.“