Meißner Künstler:Johann Joachim Kändler
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[43] Johann Joachim Kändler[1] stammte aus Seligstadt bei Bischofswerda, wo er als erster Sohn des Mag. Johann Joachim Kändler, Pastors zu Fischbach und Seligstadt, 1706 geboren wurde. Als sein Vater die Begabung desselben für die Kunst erkannte, unterwies er ihn selbst in der Mythologie und den Kunstwerken des Altertums und übergab ihn dann zur künstlerischen Ausbildung 1723 dem Hofbildhauer Thomä in Dresden. Einige vom jungen Kändler für das Grüne Gewölbe bossierte Stücke gefielen August II. so, dass dieser ihn 1730 zum Hofbildhauer ernannte und ihm 1731 als Modellmeister, wie es damals hieß, die Oberaufsicht über die Gestaltungsbranche der Meißner Manufaktur übergab. 1749 erhielt er den Titel eines Hofkommissars. Direktor der Manufaktur ist er aber nicht gewesen, denn einen solchen gab es nicht. Am 17. Mai 1775 starb er und wurde auf dem St. Afrakirchhofe oben bei dem Coenakel der Fürstenschule beigesetzt. Seine Witwe verzog nach Neustadt bei Dresden, wo sie in ihrem 88. Jahre 1798 verschied.
Über die künstlerische Bedeutung Kändlers, welche bisher eine genügende Würdigung nicht gefunden hat – am wenigsten in den neuesten Artikeln über ihn –, teilt Herr Vorsteher Andresen, der dessen Thätigkeit wohl am besten zu beurteilen vermag, unter Benutzung eines Aufsatzes von Dr. Winter in der Beilage zum Meißner Tageblatt 1888 nr. 91 folgendes mit:
Der Einfluß Kändler’s auf die Königl. Porzellanmanufaktur ist ein ganz außerordentlicher und weittragender gewesen, ja er ist bis auf unsere Tage maßgebend sowohl im Hinblick auf die technische Behandlung des spröden Materials, für das er als leitender Meister einer Anzahl Genossen seine Thonmodelle entwarf und ausführte, als insbesondere auch wegen ihres hohen künstlerischen Wertes. Es ist in der That erstaunlich, welche Fülle von Modellen in seiner Zeit entstanden ist; ein Teil derselben sei hier erwähnt. Für den russischen Hof wurden 40 allegorische und mythologische Gruppen angefertigt: Die Eroberung und Befreiung der Krim,* Sieg über die Türken, Neptun auf Wagen,* Venus auf Wagen (Galathea),* Phöbus auf Wagen,* Luna auf Wagen,* Mars auf Wagen,* Venus auf Wagen*, Jupiter [44] auf Wagen,* Merkur auf Wagen,* Saturn auf Wagen, Sieg Apollos über die Schlange,* Justitia mit Rußlands neuem Gesetzbuche, Asträa, die göttliche Gerechtigkeit, die Parzen als drei Jungfrauen, die Bildhauerkunst,* die Malerkunst,* die Baukunst,* die Mathematik,* die Musik,* die Dichtkunst* die Rechenkunst,* die Astronomie,* Eris und Fama, Pallas und Fama, Elefant mit Kastell* (zwei Modelle), Sphinx mit Kind* (zwei Modelle), der Handel,* ein Frauenzimmer auf einem Schiff sitzend, das Urteil des Paris, Vulkan, Bellona, Irene mit Fackel, die Gelehrsamkeit, Herkules, die Stärke, Atlas und Perseus, Juno und Iris. Die mit * bezeichneten Gruppen werden noch heute vielfach begehrt. Der Papst Clemens XHI. erhielt eine figurenreiche Gruppe: die. Kreuzigung Christi, außerdem sechs Heilige: Petrus, Paulus, Antonius, Laurentius, Josephus und Franziscus, sowie zwei Altarleuchter, der Wiener Hof eine Reihe Kaiserbüsten. 1750 fertigte Kändler ein besonderes Meisterstück: einen mit Blumenketten, Laubwerk, Figuren ins Erhabene gearbeiteten Rahmen von Porzellan, sieben Ellen hoch, zu einem in der Dresdner Spiegelfabrik gegossenen Trumeauspiegel und dazu einen Konsoltisch. Beide Stücke hatte August III. für den König von Frankreich zum Geschenk bestimmt, und Kändler überbrachte sie selbst nach Paris, wo er neidlose Anerkennung fand. Von andern Arbeiten verdienen Erwähnung: der Apostel Paulus in Lebensgröße, der sterbende Xaver, die Geißelung Christi, die Kreuzigung von verschiedener Größe, die zwölf Apostel, Gellerts Bildnis in Medaillon und Büste. Eine der letzten Arbeiten des Meisters ist die 24 Figuren enthaltende Apotheose Augusts III., als König von Polen und Kurfürst von Sachsen. Zu oberst eines terrassenartigen Aufbaues steht der in polnische Königstracht gekleidete Fürst, über dem die behelmte Minerva den Schild hält; während zwei Frauengestalten ihn geleiten und das kurfürstliche Sachsen, ebenfalls eine Frauengestalt, zu seinen Füßen gesunken ist. Den zweiten Absatz nehmen die vier Haupttugenden ein, weibliche Wesen von entzücken- dem Liebreiz, welche eine Blumenguirlande anmutig bewegen. Zu ihren Füßen, meist gepaart, sitzen die neun Musen, deren Thätigkeit teilweise durch nackte Kindergestalten verdeutlicht wird. Die Anordnung dieser Gruppen ist eine so zwanglose, reizvolle, die Engelgestalten sind so vollkommen in der Modellierung, so vielgestaltig in Ausdruck und Bewegung, daß man die allegorische Bestimmung dieser Frauen ganz vergißt und nur ihre lebensvolle, Schönheit empfindet. Dies unvergleichliche Kunstwerk soll dem Fürsten am 24. December 1776 dargebracht worden sein. Aus Kändlers Periode stammt auch die [45] Gruppe, welche zur Feier des Hubertusburger Friedens 1763 angefertigt wurde. Vor dem Altar, auf dem das Dankopfer brennt, neigt sich die Göttin des Friedens liebevoll zu der Frauengestalt herab, die, in den kurfürstlich sächsischen Purpur gekleidet, matt und verlangend dem Frieden, der ihr vom Boden aufhelfen wird, entgegenschaut.
Auch als Monumentalbildhauer hat sich Kändler bewährt, wenngleich die Ausführung in Porzellan seines im Johanneum in Dresden befindlichen Entwurfs zu einem kolossalen Reiterstandbild Augusts III. mißlang, weil die einzelnen Stücke, aus welchen dasselbe zusammengesetzt werden sollte, nicht zusammenpaßten, nachdem sie gebrannt waren.
Dauernd aber hat sich sein Ruhm in seinen für Herstellung in Porzellan angefertigten kleineren Gruppen, Figuren u. s. w. befestigt. Lebendig spricht aus ihnen die hohe Bildung des Meisters, ein ungewöhnlicher Reichtum des Geistes und eine originelle und heitere Laune. Unerreicht von den Fachgenossen seiner Zeit, bewundert von ihnen und den nachgeborenen, heute, wie vor hundert Jahren, von Kennern und Liebhabern der keramischen Kunst hochgeschätzt und vielfach gekauft, daher nicht antiquiert, sondern bei ihrer Ideenfülle, frischen Natürlichkeit und maßvollen Behandlungsweise der Stilrichtung jederzeit sich anschmiegend, geben Kändlers Werke Zeugnis von der Unsterblichkeit eines Meisters, ohne dessen Wirken die Königl. sächsische Porzellanmanufaktur die Höhe ihres Ruhmes nie erreicht haben würde.
Nach seinem Tode erschien in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste 1775, Bd. 18, 296 u. f. unter Hinweis darauf, daß Deutschland einen seiner größten Künstler verloren habe, ein gut geschriebener Aufsatz über sein Leben und Wirken, aus dem noch folgende Mitteilung hervorgehoben sein mag: „Kändlers Einbildungskraft war feurig, seine Ausführung edel, und er besaß die seltene Leichtigkeit, das Eigene und Charakteristische eines jeden Gegenstandes auf den ersten Blick zu ergreifen. Er bildete seine schönsten Stücke aus freier Hand, ohne erst Skizzen und Zeichnungen davon zu entwerfen. Auf sein Herz hatte sein Geschmack den besten Einfluß. Das moralisch Fehlerhafte und Häßliche war ihm äußerst zuwider und keine Rücksicht konnte ihn abhalten, den Abscheu, den er daran empfand, laut zu bezeugen. Er war ein redlicher Vater seiner Familie, ein sorglicher, warmer Freund, ein eifriger, nicht zu ermüdender Patriot. Er hatte die alten Schriftsteller in der Jugend mit solchem Erfolge studiert, daß sie auch in seinen hohen Jahren noch seine Ergötzung ausmachten, [46] und es ist anerkennenswert, daß er, als er bereits seinem wichtigen Posten zu Meißen vorstand, noch viele Jahre bei dem damaligen dritten Kollegen der Fürstenschule, Herrn Mag. Weißen, täglichen Unterricht zur Erklärung der schweren mythologischen Dichter nahm. Seine bekannte Uneigennützigkeit und seine treue Zuneigung gegen die Porzellanmanufaktur, deren Flor er durch seinen Fleiß merklich emporgebracht hatte, verstatteten ihm nicht, die Vorteile unterschiedener auswärtiger Berufungen anzunehmen, selbst den Ruf des preußischen Monarchen, welcher ihm in dem letzten Kriegsjahre einen ansehnlichen Gehalt anbieten ließ, suchte er abzulehnen.“
- ↑ Mannschaftsbuch der Königl. Manufaktur 1744/95. Daßdorf, Beschreibung Dresdens 1782. S 610. Hasche, Magazin 1 (1784). S. 258 u. f. 2, 663 u. f. Haymann, Dresdens Schriftsteller und Künstler 1809. S. 401. Füßli, Künstlerlexikon 1, 338. Nagler 6, 518. Müller, die Künstler aller Zeiten und Völker 2, 462 und Allgemeine deutsche Biographie 15, 76 verwechseln beide Bischofswerda mit Marienwerder. Engelhardt, J. F. Böttger. S. 526. Klemm, die Königl. sächs. Porzellansammlung 1834. S. 39. 103 u. ö Böhmert, Geschichte und Statistik der Meißner Porzellanmanufaktur. S. 5. 25. Totenbuch von St. Afra z. g. J.