MKL1888:Spanĭen
[63] Spanĭen (hierzu die Karte „Spanien und Portugal“, bei den Alten auch Iberien, bei den Griechen Hesperien genannt, span. España, franz. l’Espagne, lat. Hispania), westeuropäisches Königreich, erstreckt sich, den bei weitem größten Teil der Pyrenäischen Halbinsel einnehmend, zwischen 36–43° 47′ nördl. Br. und 9° 22′ westl. – 3° 20′ östl. L. v. Gr.
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- Grenzen, Küsten 63
- Bodengestaltung 64
- Gewässer 65
- Klima 65
- Vegetation, Tierwelt 66
- Areal und Bevölkerung 66
- Bildungsanstalten 67
- Land- und Forstwirtschaft 68
- Bergbau und Hüttenwesen 70
- Industrie 71
- Seite
- Handel und Verkehr 72
- Wohlthätigkeitsanstalten 73
- Staatsverfassung 73
- Verwaltung 74
- Rechtspflege 74
- Finanzen 75
- Heer und Flotte 75
- Wappen, Orden 75
- Geograph.-statist. Litteratur 76
- Geschichte 76
S. grenzt gegen N. an Frankreich (durch die Pyrenäen davon geschieden), an die Republik Andorra und an den Viscayischen Meerbusen, gegen W. an das Atlantische Meer und an Portugal, während es im übrigen vom Atlantischen Ozean und vom Mittelländischen Meer bespült wird. Der nördlichste Punkt Spaniens ist die Estaca de Vares, der westlichste das Kap Toriñana, beide in Galicien, der südlichste die Punta Marroqui bei Tarifa, der östlichste das Kap de Creus. Die größte Ausdehnung von N. nach Süden beträgt 856 und von O. nach W. 1020 km. Die Grenzentwickelung beläuft sich auf 3340 km. Die Nordküste verläuft fast geradlinig, bildet nur zwischen Gijon und Aviles sowie zwischen Rivadeo und La Coruña bedeutendere Vorsprünge gegen N. und zeichnet sich vor den übrigen Küsten des Landes durch Schroffheit
[64] und Unzugänglichkeit aus, indem hier die Gebirge fast überall dicht ans Meer heranrücken. Zugänglich ist sie nur an den Mündungen der Flüsse und der tief in das Land einschneidenden Meeresarme (rias), welche namentlich an der Küste von Galicien häufig auftreten. Auch die Westküste Spaniens trägt im ganzen diesen Charakter; doch ist sie viel zugänglicher als jene, weil hier die Gebirge nur in den Kaps bis an das Meer herantreten und sich im Hintergrund der Rias gewöhnlich Ebenen befinden. Die Süd- und Ostküste läßt dagegen eine Anzahl weiter, flacher Meerbusen und dazwischen befindliche, in felsige Vorgebirge endende Landvorsprünge erkennen, ist also gegliederter als die Nord- und Westküste und durch sichere Häfen zugänglich. Die wichtigsten Buchten der Südküste sind von W. nach O. die Golfe von Cadiz, Malaga und Almeria sowie die Bucht von Cartagena, an der Ostküste die Bai von Alicante und der Golf von Valencia.
Was die Bodengestaltung anlangt, so besteht die Pyrenäische Halbinsel zum großen Teil aus einem das Zentrum derselben einnehmenden Plateau oder Tafelland von trapezoidaler Gestalt, das ein Areal von etwa 231,000 qkm (4200 QM.) bedeckt und ringsum von Gebirgen umwallt ist, auch mehrere Gebirgsmassen auf seiner Oberfläche trägt. Dieses zentrale Tafelland gehört ganz und gar zu S. und besteht aus zwei großen Plateaus, einem höhern nördlichen und einem etwas niedrigern südlichen. Ersteres umfaßt die Hochebenen von Leon und Altkastilien, letzteres die von Neukastilien, Estremadura und die nördliche Hälfte von Murcia. Beide Plateaus sind durch einen hohen, von ONO. nach WSW. sich erstreckenden Gebirgszug (Kastilisches Scheidegebirge) größtenteils voneinander geschieden. Nach O. ansteigend, senken sie sich nach W., so daß die Hauptflüsse westlichen Lauf haben, im nördlichen Plateau der Duero, im südlichen der Tajo und Guadiana, zwischen welchen beiden Flüssen sich in der westlichen Hälfte des Plateaus das ziemlich bedeutende Gebirgssystem von Estremadura erhebt. Die Hochebene von Altkastilien und Leon hat eine mittlere Höhe von 810, die von Neukastilien und Estremadura von 784 m. Die vier Abhänge des zentralen Tafellandes zeigen sehr verschiedene Gestaltung. Der steil ins Meer abstürzende Nordabhang wird vom Kantabrischen Gebirge, der westlichen Fortsetzung der Pyrenäen, gebildet und ist sehr schmal. Weit breiter ist der östliche oder iberische Abhang, der in mehreren terrassenartigen Absätzen in die Tiefebene von Aragonien und zum Golf von Valencia abfällt und bloß stellenweise isolierte Gebirgsmassen aufweist. Eine ähnliche, wenn auch weniger deutlich ausgeprägte Terrassenbildung zeigt der südliche oder bätische Abhang, welcher bloß gegen O. (in den Provinzen Murcia und Alicante) bis an die Küste des Mittelmeers herantritt, im übrigen in die Tiefebene Niederandalusiens und zu den Küsten des Atlantischen Meers absinkt. Derselbe wird ganz von den welligen Bergen der Sierra Morena eingenommen, welche sich über die Hochebenen Neukastiliens und Estremaduras nur als niedrige Gebirgskette erhebt. Der westliche oder lusitanische Abhang, der breiteste und eigentümlichste, gehört größtenteils Portugal an. Im ganzen lassen sich sechs voneinander fast unabhängige Gebirgssysteme unterscheiden, nämlich: das pyrenäische System, das iberische System oder das östliche Randgebirge des Tafellandes, das zentrale System oder das Kastilische Scheidegebirge, das Gebirgssystem von Estremadura oder das Scheidegebirge zwischen Tajo und Guadiana, das marianische System oder das südliche Randgebirge des Tafellandes und das bätische System oder die Bergterrasse von Granada (mit der Sierra Nevada, der höchsten Erhebung der Halbinsel). Die eingehendere Beschreibung dieser Gebirgssysteme findet sich in den Artikeln Pyrenäen, Kantabrisches Gebirge, Iberisches Gebirge, Sierra Morena, Sierra Nevada etc. Zwischen dem iberischen und pyrenäischen Gebirgssystem breitet sich das ausgedehnte Ebrobassin oder das iberische Tiefland aus. Dasselbe erstreckt sich von NW. nach SO. und mißt gegen 300 km in der Länge und gegen 150 km in der Breite. Es zerfällt in eine nordwestliche kleinere und eine südöstliche größere Abteilung, welche, durch Höhenzüge voneinander getrennt, bei Tudela ineinander übergehen. Während das obere Bassin ein eigentliches Plateau bildet, dessen tiefste Punkte noch eine absolute Höhe von mehr als 300 m haben, trägt das untere Ebrobassin, wenigstens in seiner letzten Hälfte, wo es sich bedeutend erweitert, mehr den Charakter eines Tieflandes, dessen tiefste Punkte, z. B. die Salzseen von Bajaraloz, ungefähr 100 m ü. M. liegen. Beide Bassins enthalten neben höchst fruchtbaren Strecken auch weite öde Steppengebiete. Zwischen dem bätischen und marianischen Gebirgssystem breitet sich das bätische Tiefland oder das Bassin des Guadalquivir aus, welches sich von ONO. nach WSW. erstreckt, 330 km lang und bis 90 km breit ist und ebenfalls in zwei Hauptabteilungen zerfällt: das kleine Becken des obern Guadalquivir und das fünfmal so große Bassin des mittlern und untern Guadalquivir. Während jenes ein entschiedenes Plateau ist, das sich bis 475 m ü. M. erhebt und nicht tiefer als bis 160 m herabsinkt, bildet das letztere oder Niederandalusien ein Flachland, welches durch den Jenil in zwei ungleiche Stücke geteilt wird. Das östliche kleinere Stück, die Campiña de Cordova bildet eine hügelige Fläche mit bis über 130 m ansteigenden Punkten; das westliche größere, die Ebene von Sevilla, ein eigentliches Tiefland, dessen Boden sich nirgends über 80 m ü. M. erhebt. Das Bassin des Ebro und das des Guadalquivir sind alte Meeresgolfe und daher mit brackischen mitteltertiären Ablagerungen erfüllt. Durch jenes werden die Pyrenäen (s. d.) mit ihrem Terrassenabfall nach Katalonien und Aragonien, durch dieses die Gebirge von Granada mit der Sierra Nevada in der Art vom Hauptkörper des spanischen Hochlandes getrennt, daß dieselben nur an ihren Enden mit ihm durch Berg- und Plateaulandschaften in Verbindung stehen.
Was die geognostische Beschaffenheit des Landes betrifft, so spielen die plutonischen Eruptivgesteine und die ältern oder primären Sedimentärgesteine eine hervorragende Rolle, namentlich in der südwestlichen Hälfte der Halbinsel, wo Granit, Gneis und andre kristallinische Gesteine, Thonschiefer und Grauwacke fast ausschließlich vorherrschen, während in der nordöstlichen Hälfte die jüngern Sedimente vorwiegend sind. Nur in der Pyrenäenkette und längs der Küste von Katalonien (zwischen dem Golf von Rosas und Barcelona) treten Gneis und kristallinische Sedimentärgesteine wieder in bedeutender Mächtigkeit auf. Unter den sekundären Sedimenten erscheinen die Glieder der Kreide-, der jurassischen und der Triasperiode am meisten verbreitet. Die Kreideformation umfaßt namentlich den größten Teil der Kantabrischen Kette, der Pyrenäischen Terrasse und den Nordrand des nördlichen Tafellandes und tritt [65] außerdem am Ost- und Südrand des Plateaus von Altkastilien und im westlichen Teil des zentralen Gebirgssystems sowie im nordwestlichen Randgebirge der Terrasse von Granada auf. Die ältern Sekundärformationen, wie die Gesteine der Steinkohlenformation, treten nur in geringem Umfang und zerstreut auf. Gleichwohl besitzt S. so gewaltige Steinkohlenbecken, daß, wenn dieselben gehörig aufgeschlossen wären, das Land nicht nur keiner fremden Kohlen mehr bedürfte, sondern sogar bedeutende Mengen ausführen könnte. Am meisten ist die Steinkohlenformation in Asturien, Leon und Altkastilien entwickelt. Eine ungeheure Verbreitung haben dann wieder die tertiären und diluvialen Ablagerungen, die nicht nur den bei weitem größten Teil der beiden Zentralplateaus, sondern auch die Becken des Ebro, des Guadalquivir, des mittlern Guadiana und des untern Tajo erfüllen. Diese Ablagerungen enthalten sehr viel Salz. Vulkane, aber schon seit vorgeschichtlicher Zeit erloschen, finden sich vereinzelt, z. B. bei Rio Tinto, Ciudad Real in der Mancha, Gerona etc. Sehr verbreitet, besonders in der südwestlichen Hälfte (z. B. Estremadura), sind Eruptionen der verschiedenartigsten Porphyre und Grünsteine, daher auch das häufige Vorkommen metamorphosierter Gesteine, im SW. namentlich metamorphischer Schiefer. Über den Reichtum Spaniens an Erzen und Mineralien s. den Abschnitt „Bergbau und Hüttenwesen“ (S. 70).
In hydrographischer Hinsicht zerfällt das Land in das Gebiet des Atlantischen Ozeans und das des Mittelmeers, welch letzterm sein östliches Dritteil angehört. Die Wasserscheide zwischen beiden Gebieten beginnt auf den Parameras von Reinosa am Südrand der Kantabrischen Kette, wo die Quellbäche des Ebro und des in den Duero sich ergießenden Pisuerga nicht 10 km weit voneinander entfernt auf einer vollkommen ebenen Fläche entspringen, und endigt an der Meerenge von Gibraltar, indem sie über den Kamm des iberischen Gebirgszugs (Sierra de la Demanda, Pico de Urbion, Sierra del Moncayo, die Parameras von Molina) bis zur Sierra de Albarracin läuft, dann das Plateau von Neukastilien schneidet und über die Sierra de Alcaraz und das Gebirge von Segura auf die Plateaus der Terrasse von Granada übergeht, deren östliches Randgebirge ihr letztes Stück bildet. Der westlichen Abdachung zum Atlantischen Ozean gehören an: der Duero, Tajo, Guadiana und Guadalquivir, der östlichen zum Mittelmeer der Ebro. Unter den zahlreichen Küstenflüssen zeichnen sich die der Nordküste dadurch aus, daß sie trotz ihrer unbedeutenden Länge in ihrem untersten Lauf schiffbar sind. Die beträchtlichsten sind von O. nach W.: Bidassoa, Orio, Deva, Nervion, Besaya, Nalon, Navia, Rivadeo, Landrone, Mandeo und Allones. Die Flüsse der Westküste sind zwar länger, doch meist gar nicht schiffbar; die bedeutendern sind: der Tambre, Ulla und besonders der Minho (Miño). Die Südküste hat zwar viele Flüsse, doch nur einen einzigen im untersten Lauf schiffbaren, nämlich den Guadalete; außerdem verdienen noch der Odiel und Rio Tinto Erwähnung sowie zwischen der Meerenge von Gibraltar und dem Kap Palos: der Guadiaro, Guadalhorce, Rio de Almeria, Almanzora. Auch die lange Ostküste hat nur zwei schiffbare Küstenflüsse aufzuweisen, den Segura und Llobregat. Nächstdem sind zu nennen: der Jucar, Turia oder Guadalaviar, Millares (Mijares), Tordera, Ter und Fluvia. Größere Seen gibt es nur an der Süd- und Südostküste, nämlich die Strandseen Albufera und Mar Menor und die Laguna de la Janda in der Nähe der Meerenge von Gibraltar. Kleinere Seen sind: die wegen ihrer mephitischen Ausdünstung berüchtigte Laguna de la Nava bei Palencia, die salzhaltige Laguna de Zoñar in der bätischen Steppe und die gleichfalls salzige Laguna de Gallocanta im Süden von Daroca am Ostabhang des Tafellandes. Sehr zahlreich sind die Mineralquellen; von 1500, die S. besitzt, sind aber erst etwa 325 untersucht. Die kälteste ist die Schwefelsaline zu Loeches in Neukastilien (15° C.), die heißeste die Fuente de Leon zu Mombuy in Katalonien (70° C.).
Die eigentümliche Plastik des Landes hat eine große Verschiedenheit des Klimas zur Folge. Es lassen sich drei klimatische Zonen unterscheiden: eine mitteleuropäische oder kältere gemäßigte Zone, zu welcher der größte Teil der Nordküste, die nördlichen Gegenden der Hochebene von Leon und Kastilien und das Plateau von Alava gehören; eine afrikanische oder subtropische, welche Andalusien bis zur Sierra Morena, Granada, die südöstliche Hälfte von Murcia und den südlichsten Teil von Valencia begreift, und eine südeuropäische oder wärmere gemäßigte Zone, welche alles übrige Land umfaßt. In der mitteleuropäischen Zone haben die Litoral- und tiefer gelegenen Gegenden ein sehr angenehmes Klima, indem die Temperatur selbst im heißesten Sommer nicht leicht über +33° C. steigt, an den kältesten Wintertagen kaum unter −3° sinkt und Frost und Schneefall nur vorübergehend auftreten. Die Atmosphäre ist meist feucht, Regen besonders im Herbst und Frühling häufig. Die Thäler der Nordküste gehören zu den gesündesten Gegenden Europas. Ein ganz andres Klima herrscht auf den Hochflächen des altkastilischen Tafellandes; hier sind heftiger Frost und starker Schneefall schon im Spätherbst keine Seltenheit, und während des Winters ist durch Schneemassen oft wochenlang alle Kommunikation unterbrochen. Im Frühling bedecken kalte Nebel oft tagelang das Land, und im Sommer herrscht glühende Hitze, die selten durch Regen gemäßigt wird. Dabei sind in jeder Jahreszeit Stürme häufig. Erst die von Regengüssen begleiteten Äquinoktialstürme bringen dem Plateauland angenehme Witterung. Von Ende September bis November ist der Himmel fast stets unbewölkt, und die Fluren bedecken sich mit frischem Grün; doch oft schon im Oktober machen Frühfröste diesem zweiten Frühling ein Ende. Einen Gegensatz zu diesem der Gesundheit sehr nachteiligen Klima bieten die innerhalb der südeuropäischen Zone gelegenen Küstenstriche dar, namentlich die Flußthäler Südgaliciens, wo ein gleichmäßiges, mildes Küstenklima herrscht, indem die mittlere Temperatur des Sommers ungefähr +20°, die des Winters +16° beträgt und Frost und Schnee selten, Regen und Tau häufig sind. Die Ebenen und Thäler der Südost- und Ostküste haben im allgemeinen ein dem des südlichen Frankreich entsprechendes, nur wärmeres Küstenklima, doch nicht ohne bedeutende und häufige Temperaturschwankungen. Die afrikanische Zone der Halbinsel ist dadurch ausgezeichnet, daß in ihren Tiefebenen, Küstengegenden und tiefen Thälern Schnee und Frost fast unbekannte Erscheinungen sind, indem die Temperatur höchst selten bis 3° sinkt. Die heißesten Gegenden sind die Südostküste bis Alicante sowie die angrenzenden Ebenen, Hügelgelände und Plateaus von Murcia und Ostgranada. Weit gemäßigter sind die Küstengegenden Niederandalusiens. Der glühend heiße, alle Vegetation versengende Solano (Samum) sucht am [66] häufigsten die südöstlichen Küstenstriche heim. Im übrigen ist das Klima in den niedern Gegenden der afrikanischen Zone ein angenehmes Küstenklima mit einer mittlern Temperatur, die nicht leicht über +24,5° steigt oder unter +12° C. fällt. Der eigentliche Frühling beginnt hier Ende Februar und dauert an der Küste bis Mitte Mai, im Innern bis Anfang Juni. Während des Sommers vertrocknet auch hier die Vegetation, wie auch die Äquinoktialregen einen zweiten Frühling hervorzaubern, welcher aber nicht schnell verfließt, wie im Plateauland, sondern durch den minder blütenreichen Winter, fast die angenehmste Jahreszeit jener Gegenden, in den eigentlichen Frühling übergeht. Die Ebenen und Küstengegenden der afrikanischen Zone haben folglich acht Monate Frühling und vier Monate Sommer. Was die eigentlichen Gebirgsgegenden anlangt, so lassen sich hier fünf Regionen unterscheiden: die untere oder warme (bis 800 m) mit 27–17° mittlerer Temperatur, die Bergregion (800–1600 m) mit 16–9°, die subalpine Region (1600–2000 m) mit etwa 8–4°, die alpine Region (2000–2500 m) mit 3°–0, die Schneeregion (2500–3500 m) mit einer mittlern Jahrestemperatur von wahrscheinlich unter 0. In den Pyrenäen findet sich ewiger Schnee nur in der Zentral- und östlichen Kette, wo die Grenze desselben auf der spanischen Seite bei 2780 m liegt. In der Sierra Nevada, dem höchsten Gebirge Spaniens, nimmt man die Schneelinie am Nordabhang bei 3350, am Südabhang bei 3500 m an, weshalb hier bloß die höchsten Gipfel, und auch diese sparsam, mit ewigem Schnee bedeckt sind.
Die Verschiedenheit des Klimas und der Bodengestaltung hat eine große Mannigfaltigkeit der Flora und Fauna zur Folge. Hinsichtlich des Charakters der Vegetation zerfällt S. in folgende fünf Vegetationsregionen: 1) die nördliche oder mitteleuropäische mit mitteleuropäischer Flora (Eichen, Buchen, edle Kastanien, Erlen, Ulmen, Obst- und Walnußbäume, Getreide- und Gemüsebau; Weinbau nur in günstigen Lagen); 2) die peninsulare oder zentrale (Alpen- und Pyrenäenpflanzen, Heiden mit Cistineen, Thymian und andern Labiaten, Ginster, Centaureen, Disteln, Artemisien, hier und da ausgedehnte Nadelwälder sowie Bestände von immergrünen Eichen und Kastanien); 3) die westliche oder atlantische, im N. mit vorwiegend mitteleuropäischer, im S. mit bereits an Afrika erinnernder Vegetation (Ölbaum, Orangen-, Feigen- und Mandelbaum, Weinbau, Lorbeer, Cypresse, Agave, indische Feige, Dattel- und Zwergpalme, Johannisbrotbaum, Cistusheiden mit Myrten, Pistazien und andern immergrünen Sträuchern; in der Bergregion Eichen, Kastanien, Wacholder, Obstbau, Alpentriften); 4) die östliche oder mediterrane (Labiatenheiden und öde Steppen, Gehölze von immergrünen Eichen und von Kiefern, Ölbaum, Wein- und Weizenbau, Maulbeer-, Feigen- und Mandelbaum, Pfirsisch- und Aprikosenbaum, Walnußbaum, Mais, Hanf, Flachs; im Süden Orangen-, Johannisbrotbaum, Dattel- und Zwergpalme, Artischocken- und Melonenbau, in den sumpfigen Niederungen Reis); 5) die südliche oder afrikanische Region bis zur Höhe von ca. 630 m, charakterisiert durch das Vorherrschen solcher Pflanzen, welche Nordafrika, Sizilien, Ägypten, Syrien, Kleinasien etc. eigentümlich sind, und durch die Kultur subtropischer und tropischer Gewächse (Zuckerrohr, Baumwolle, Batate, Kochenillekaktus etc.). Nicht minder mannigfaltig und ausgezeichnet ist die Tierwelt, die außer Arten der unter entsprechender Breite gelegenen Länder Europas und außer einer Menge der Halbinsel eigentümlicher zahlreiche Vertreter der Fauna Afrikas, ja selbst des Orients und Innerasiens aufweist. Die europäische Zone, im allgemeinen der mitteleuropäischen Vegetationsregion entsprechend, wird charakterisiert durch mitteleuropäische Tiere (darunter der Wolf, Siebenschläfer, Schneehase, die Gemse, Wildkatze, der Pyrenäensteinbock, der Bartgeier, Aasgeier etc.). Die mittlere oder südeuropäische Zone, die zentrale westliche und östliche Vegetationsregion umfassend, weist ein buntes Gemisch europäischer und afrikanischer Tierformen (Pantherluchs, Genettkatze, Ichneumon, südliche Geier-, Adler- und Falkenarten, Schrei- und Klettervögel etc., zahlreiche Schmetterlinge, Skorpione etc.) auf. Die südliche oder afrikanische Zone zeigt viele echt afrikanische Tierformen (darunter der nordafrikanische Affe am Gibraltarfelsen, das Dromedar, afrikanische Vögel, Chamäleon etc.) neben andern nur im südlichsten Europa vorkommenden oder auch S. eigentümlichen (spanischer Steinbock auf der Sierra Nevada, spanischer Hase, Flamingo etc.).
Das Areal von S. und zwar des europäischen Mutterlandes mit Einschluß der Balearen und der Kanarischen Inseln sowie der nordafrikanischen Besitzungen beträgt 504,552 qkm (9163,6 QM.). Die Bevölkerung bezifferte sich nach dem letzten Zensus vom 31. Dez. 1877 auf 16,634,345 Einw., deren Verteilung auf die einzelnen Provinzen aus nebenstehender Tabelle ersichtlich ist.
Die Vermehrung der spanischen Bevölkerung ist eine sehr schwache; sie belief sich gegenüber der im J. 1857 vorgenommenen ersten ordentlichen Volkszählung, welche 15,464,340 Einw. ergab, 1877 nur auf 1,170,005 Seelen oder pro Jahr kaum auf 0,4 Proz. Der Grund liegt, abgesehen von den vielfachen Kriegen, welche S. im Innern und in den Kolonien zu bestehen hatte, in einer beträchtlichen Auswanderung, insbesondere nach Südamerika und nach Algerien (Provinz Oran). Für Ende 1886 wurde die Bevölkerung mit 17,358,404 Einw. berechnet. Bemerkenswert in der Verteilung der Bevölkerung ist, daß die Dichtigkeit derselben vom Zentrum gegen die Peripherie hin zunimmt. Die schwächste relative Bevölkerung weisen die Provinzen Ciudad Real und Cuenca auf (13 und 14 Einw. auf das QKilometer), am dichtesten bevölkert (über 100 Einw. auf das QKilometer) sind Barcelona und Pontevedra. Nach dem Geschlecht entfallen auf je 1000 männliche Personen 1044 weibliche. Nach dem Geburtsland waren von der (1877) anwesenden Bevölkerung geboren: in S. 16,591,796, in Frankreich 17,657, in Portugal 7941, in Großbritannien 4771, in Italien 3497, in Deutschland 952.
Die spanische Nation ist ein Gemisch verschiedener Völkerschaften. Zu den alten Iberern gesellten sich anfangs Kelten, dann Phöniker und Karthager, hierauf Römer, dann Goten; später mischten sich Juden, Berber und Araber (diese insbesondere in Andalusien, Murcia und Valencia), endlich auch Neger (aus Marokko und weiterher) bei. Die herrschende Sprache ist die kastilische; daneben wird das Katalonische (ein dem Provençalischen verwandtes Idiom) in Katalonien, Valencia und den Balearen, das Baskische (in den baskischen Provinzen und in Navarra) und das Galicische (welches sich dem Portugiesischen sehr nähert) gesprochen. Die spanische Sprache ist übrigens als Weltsprache in Mittel- und Südamerika stark verbreitet und gewinnt dadurch immer wachsende Bedeutung.
[67]
Provinzen | QKilometer | QMeilen | Einwohner | ||
Ende 1877 | Ende 1886 | auf 1 qkm | |||
Alava | 3045 | 55,3 | 93538 | 99034 | 33 |
Albacete | 14863 | 269,9 | 219058 | 221894 | 15 |
Alicante | 5660 | 102,8 | 411565 | 423808 | 75 |
Almeria | 8704 | 158,1 | 349076 | 358486 | 41 |
Avila | 7882 | 143,2 | 180436 | 193565 | 25 |
Badajoz | 21894 | 397,6 | 432809 | 469952 | 21 |
Barcelona | 7691 | 139,7 | 836887 | 861212 | 112 |
Burgos | 14196 | 257,8 | 332625 | 351293 | 25 |
Caceres | 19863 | 360,8 | 306594 | 329707 | 17 |
Cadiz¹ | 7342 | 133,3 | 429206 | 433516 | 59 |
Castellon | 6465 | 117,4 | 283981 | 298965 | 46 |
Ciudad Real | 19608 | 356,1 | 260358 | 285341 | 15 |
Cordova | 13727 | 249,3 | 385482 | 406059 | 30 |
Coruña | 7903 | 143,5 | 596436 | 623575 | 79 |
Cuenca | 17193 | 312,3 | 236253 | 245112 | 14 |
Gerona | 5865 | 106,5 | 299702 | 309992 | 53 |
Granada | 12768 | 231,9 | 479066 | 480594 | 38 |
Guadalajara | 12113 | 220,0 | 201288 | 207030 | 17 |
Guipuzcoa | 1885 | 34,2 | 167207 | 181673 | 97 |
Huelva | 10138 | 184,1 | 210447 | 227116 | 22 |
Huesca | 15149 | 275,1 | 252239 | 263634 | 17 |
Jaen | 13480 | 244,8 | 423025 | 436184 | 32 |
Leon | 15377 | 279,3 | 350210 | 378098 | 25 |
Lerida | 12151 | 220,7 | 285339 | 290856 | 24 |
Logroño | 5041 | 91,6 | 174425 | 179897 | 36 |
Lugo | 9881 | 179,5 | 410810 | 429430 | 43 |
Madrid | 7989 | 145,1 | 594194 | 590065 | 74 |
Malaga | 7349 | 133,5 | 500322 | 522376 | 71 |
Murcia | 11537 | 209,5 | 451611 | 462039 | 40 |
Navarra | 10506 | 190,8 | 304184 | 321015 | 30 |
Orense | 6979 | 126,8 | 388835 | 399552 | 57 |
Oviedo | 10895 | 197,9 | 576352 | 596856 | 55 |
Palencia | 8434 | 153,2 | 180771 | 190724 | 23 |
Pontevedra | 4391 | 79,8 | 451946 | 467289 | 106 |
Salamanca | 12510 | 227,2 | 285695 | 311428 | 25 |
Santander | 5460 | 99,2 | 235299 | 248753 | 46 |
Saragossa | 17424 | 316,5 | 400587 | 401386 | 23 |
Segovia | 6827 | 124,0 | 150052 | 160111 | 23 |
Sevilla | 14062 | 255,4 | 506812 | 526864 | 37 |
Soria | 10318 | 187,2 | 153652 | 162555 | 16 |
Tarragona | 6490 | 117,9 | 330105 | 345601 | 53 |
Teruel | 14818 | 269,1 | 242165 | 250823 | 17 |
Toledo | 15257 | 277,1 | 335038 | 357886 | 23 |
Valencia | 10751 | 195,3 | 679046 | 692245 | 64 |
Valladolid | 7569 | 137,5 | 247458 | 261254 | 35 |
Viscaya | 2165 | 39,3 | 189954 | 204043 | 94 |
Zamora | 10615 | 192,8 | 249720 | 274312 | 26 |
Zusammen: | 492230 | 8939,9 | 16061860 | 16733200 | 34 |
Balearen | 5014 | 91,0 | 289035 | 311652 | 62 |
Kanarische Inseln | 7273 | 132,1 | 280974 | 311030 | 43 |
Spanien:[WS 1] | 504517 | 9163,0 | 16631869 | 17355882 | 34 |
In Nordafrika² | 35 | 0,6 | 2476 | 2522 | 72 |
Totalsumme: | 504552 | 9163,6 | 16634345 | 17358404 | 34 |
¹ Mit Ceuta. – ² Ohne Ceuta, welches zu Cadiz gehört. |
Die Kolonien oder überseeischen Besitzungen (s. Karte „Kolonien“ mit Tabelle), nur noch ein geringer Überrest von den unermeßlichen Gebieten, welche S. einst beherrschte, umfassen zur Zeit
in Amerika: | QKilom. | QMeilen | Einw. |
Cuba | 118833 | 2158,13 | 1521684 |
Puerto Rico | 9315 | 169,17 | 754313 |
in Asien: | |||
Philippinen | 293726 | 5334,37 | 5559020 |
Sulu-Inseln | 2456 | 44,60 | 75000 |
in Ozeanien: | |||
Marianen | 1140 | 20,72 | 8665 |
Karolinen | 700 | 12,71 | 22000 |
Palau | 750 | 13,62 | 14000 |
in Afrika (Guinea): | |||
Fernando Po, San Juan etc. | 2200 | 39,95 | 68656 |
Zusammen: | 429120 | 7793,27 | 8023383 |
Die Spanier sind im allgemeinen ein körperlich wohlgebildetes Volk, meist mittlerer Statur, hager, mit schwarzem Haar. Die Frauen zeichnen sich durch feurige Augen und anmutiges Wesen aus, entwickeln sich sehr frühzeitig, altern aber auch bald. Der Spanier ist nüchtern, mäßig, mutig, voll Nationalstolz, aber auch rachgierig, bigott und träge. Nationalkleid der Männer ist der rund geschnittene, den ganzen Körper umhüllende spanische Mantel (capa), das der Frauen die Mantilla, welche mit einem Kamm am Kopf befestigt und über der Brust gekreuzt wird. Die vorherrschende Farbe der Kleidung ist die schwarze. Im übrigen wechselt die Tracht in den einzelnen Provinzen bedeutend. Die höhern Stände haben gegenwärtig meist die französische Mode angenommen. Hauptvergnügen sind der Tanz, der mit Gesang oder Kastagnetten, Tamburin und Guitarre begleitet wird, und die Stiergefechte. Was die Konfession betrifft, so waren 16,603,959 Katholiken, 6654 Protestanten, 4021 Israeliten, 9645 Rationalisten, 271 Mohammedaner, 209 Buddhisten etc. Nach der Staatsverfassung gilt die römisch-katholische Religion als Staatskirche; doch darf niemand wegen seiner Konfession und wegen der Ausübung seines Kultus, sofern die christliche Moral nicht darunter leidet, behelligt werden. Für die Leitung der geistlichen Angelegenheiten der katholischen Kirche gibt es in S. 9 Erzbischöfe (zu Toledo, Primas von S., Burgos, Granada, Santiago, Saragossa, Sevilla, Tarragona, Valencia und Valladolid) und 45 Suffraganbischöfe. Bischöfliche Jurisdiktion übt auch der Patriarch von Indien aus, indem derselbe Generalvikar des Heers und der Flotte ist. Der unterstehende Klerus beziffert sich mit ca. 40,000 Weltgeistlichen, 800 Mönchen und 13,000 Nonnen. Eigentliche Mönchsklöster bestehen nicht mehr, da dieselben bereits 1841 gesetzlich aufgehoben wurden. Es sind nur 41 Häuser solcher religiöser Orden geblieben, welche sich der Heranbildung von Missionären, dem Jugendunterricht oder der Krankenpflege widmen. Protestantische Gemeinden gibt es 60.
In Bezug auf die geistige Kultur steht das spanische Volk trotz seiner Begabung wegen des mangelhaften Volksunterrichts noch auf einer tiefen Stufe, was darin seine Erklärung findet, daß bis 1808 das öffentliche Unterrichtswesen ganz in den Händen des Klerus war. Für den Elementarunterricht bestehen (1881) 29,828 Volksschulen. Der Schulbesuch ist obligatorisch. Während 1797 nur 393,126 Kinder die Volksschule besuchten, stieg diese Zahl allmählich, namentlich infolge der gesetzlichen Reformen der Jahre 1838, 1847 und 1857, auf 663,711 im J. 1848, auf 1,046,558 im J. 1861 und auf 1,769,608 im J. 1881. Normalschulen bestehen zur Heranbildung von Lehrern 47, für Lehrerinnen 29. Zu den Sekundärschulen gehören die seit 1845 anstatt der frühern Lateinschulen bestehenden Institute (institutos de segunda enseñanza), in welchen in einem sechsjährigen Kursus die humanistischen und Realstudien betrieben werden. Solcher Institute gibt es 61 mit ca. 35,000 Schülern. Neben ihnen bestehen die Colegios, Privatvorbereitungsschulen zu den Universitäts- und Spezialstudien. Universitäten hat S. 10: zu Madrid, Barcelona, Granada (jede mit 5 Fakultäten, für Philosophie und Litteratur, exakte Wissenschaften, Pharmazie, Medizin, Rechte), zu Salamanca, Sevilla, Valencia (jede mit 4 Fakultäten, die obigen ohne Pharmazie), Santiago und Saragossa (je 3 Fakultäten, erstere für Medizin, Pharmazie und Rechte, letztere für Philosophie, Medizin und Rechte), Valladolid (2 Fakultäten, [68] für Medizin und Rechte), Oviedo (eine Fakultät, für Rechte). Alle Universitäten zählen zusammen 475 Professoren und Dozenten und gegen 16,000 Studierende. Mit 7 Universitäten ist je eine Notariatsschule verbunden. Höhere technische Lehranstalten sind: eine Architekturschule, eine Schule für Handel und Industrie und eine Ingenieurschule für Wege-, Kanal- und Hafenbau in Madrid; ferner eine Schule für industrielle Technik in Barcelona. Zu den Fachschulen gehören: die theologischen Seminare in den Bischofsitzen, die königliche Schule für Diplomatik in Madrid, die neun nautischen Schulen, die königliche Agrikulturschule in Madrid, die königliche Forstingenieurschule im Escorial, die landwirtschaftliche Schule in Cordova, die Lehranstalten für Tierheilkunde in Madrid, Cordova, Leon und Saragossa, die königliche Bergwerksingenieurschule in Madrid, die Steigerschule in Almaden, die königliche Schule der schönen Künste, die Nationalschule für Musik und Deklamation (beide in Madrid), die Provinzialschulen für schöne Künste in Barcelona, Sevilla, Valencia und Valladolid, die Akademien für den Generalstab in Madrid, für die Artillerie zu Segovia, für das Ingenieurkorps in Guadalajara, für die Kavallerie in Valladolid, die allgemeine Militärakademie in Toledo, die Seeschule in Ferrol. Zu den Beförderungsmitteln der intellektuellen Bildung gehören außerdem acht Akademien (davon sieben zu Madrid) und die öffentlichen Bibliotheken, von denen die Nationalbibliothek zu Madrid und die des Escorial die hervorragendsten sind. Die bedeutendsten historischen und Kunstsammlungen sind: die königliche Rüstkammer, das königliche Münz- und Antiquitätenkabinett, das königliche Museum für Gemälde und Skulpturen, das Nationalmuseum für Gemälde und das naturhistorische Museum, sämtlich zu Madrid. Botanische Gärten sind zu Madrid und Valencia, ein astronomisch-meteorologisches Observatorium besitzt Madrid.
Unter den Nahrungszweigen der Bevölkerung von S. nimmt der Betrieb der Landwirtschaft die erste Stelle ein. Dabei steht aber die Bodenbehandlung noch auf einer sehr unbefriedigenden Stufe. Die Düngung ist eine ganz primitive, und auch in Bezug auf landwirtschaftliche Geräte und Betriebsart haben die Erfahrungen und Verbesserungen der Neuzeit fast gar keinen Eingang gefunden. Zu Anfang des 19. Jahrh. war noch ein sehr großer Teil vom Grund und Boden im Besitz der Toten Hand, d. h. des Klerus, der Gemeinden, der milden Stiftungen und des Staats. Der Verkauf der Kirchengüter wurde bereits 1820 und 1841 angeordnet sowie durch das Gesetz vom 1. Mai 1855 bestätigt, welches überhaupt allen Grundbesitz und alle Grundzinsen der Toten Hand der Veräußerlichkeit unterwirft. Die Bauern sind persönlich frei und teils Eigentümer ihrer in der Regel kleinen Grundstücke, teils Erbpachter. Der produktive Boden umfaßt im ganzen 79,6 Proz. der Gesamtfläche, und zwar kommen 33,8 Proz. auf Äcker und Gärten, 3,7 auf Weinland, 1,6 auf Olivenpflanzungen, 19,7 auf natürliche Wiesen und Weiden und 20,8 Proz. auf Wald. Der Boden bedarf in S. zur Ertragsfähigkeit in der Regel künstlicher Bewässerung, zu welchem Behuf großartige Anlagen teils durch die Regierung, teils durch Vereine, teils durch große Grundbesitzer und Kommunen hergestellt worden sind; gleichwohl machen die bewässerten Ländereien nur einen kleinen Teil der produktiven Bodenfläche aus. Am besten angebaut ist der Boden in den Provinzen Palencia, Pontevedra, Coruña, Valladolid und Barcelona, am wenigsten in den Provinzen Oviedo, Huelva, Almeria und Santander. Die spanischen Staatsökonomen unterscheiden in S. sieben Kulturregionen, nämlich die Region des Zuckerrohrs, der Orangen, des Ölbaums, des Weinstocks, der Cerealien, der Wiesen und Triften, der Heiden. Der Getreidebau ist zwar fast überall ein wichtiger Zweig der Landwirtschaft, am bedeutendsten aber auf den Ebenen beider Kastilien, in Leon und im Guadalquivirbecken. Die jährliche Getreideproduktion beläuft sich bei einer guten Mittelernte auf nachfolgende Mengen:
Weizen | 61142000 | hl |
Roggen | 11629000 | „ |
Gerste | 27792000 | „ |
Hafer | 4481000 | „ |
Mais | 13173000 | „ |
Reis | 1212000 | „ |
Am meisten wird Weizen gebaut, Roggen und Gerste besonders in den nördlichen, Mais in den südlichen Provinzen. In letztern kommen an verschiedenen Orten, aber vereinzelt, Reisfelder vor, während sie in der Provinz Valencia eine Hauptnahrungsquelle bilden. Einen Exportartikel bildet Weizenmehl, insbesondere für die Provinz Valladolid. Der Anbau von Kartoffeln ist minder bedeutend (18,3 Mill. hl Ertrag), jener von Hülsenfrüchten dagegen sehr ausgedehnt, indem Erbsen und Bohnen eine Lieblingsspeise der Spanier bilden und in großen Mengen als Feldfrüchte gezogen werden (Ertrag an Kichererbsen 2,354,000 hl). Kein Staat in Europa produziert so mannigfache Arten von Gemüse wie S., wo die gartenmäßige Kultur insbesondere in der Provinz Valencia betrieben wird. Außer den gewöhnlichen Küchengewächsen werden kultiviert: spanischer Pfeffer, der Liebesapfel (Lycopersicum esculentum) im großen, die Wassermelone, die Schlangengurke, der Kalebassenkürbis, stellenweise die tropische Batate (Batatas edulis) und die Erdnuß (Cyperus esculentus). Die verbreitetsten Gartengewächse sind: Kohl, Salat, Zwiebeln, Knoblauch, Gurken, Artischocken, Erdbeeren. Gemüse und Gartenfrüchte geben auch einen nicht unbedeutenden Exportartikel ab. Die Runkelrübe kennt man dagegen nur als Viehfutter. Die Handelsgewächse des Landes sind: Hanf (am besten in Granada und Murcia), Flachs, Waid, Safran, Süßholz, Zuckerrohr, welches an der südlichen und östlichen Küste, namentlich in der Provinz Malaga, gebaut wird, und zwar infolge gesetzlichen Schutzes in steigendem Maß, Raps in den nördlichen Provinzen, Kümmel in der Mancha; ferner Senf, Mohn, Sesam, Rizinus und andre Ölpflanzen. Die Baumwollstaude, welche noch vor 30 Jahren einen Ausfuhrartikel für die Balearischen Inseln bildete, wird gegenwärtig fast gar nicht mehr kultiviert. Der Tabaksbau ist untersagt. Espartogras (s. d.), das im Süden Spaniens unweit der Seeküste ohne irgend eine Pflege reichlich wächst, wird zu verschiedenen Flechtwerken, Seilen, Lauftüchern, Bundschuhen etc. sowie zur Papierfabrikation verwendet und in großen Mengen exportiert (jährlich ca. 400,000 metr. Ztr.). Ein wichtiger Zweig der Bodenkultur ist die Fruchtbaumzucht. Neben den mitteleuropäischen Obstarten, Wal- und Haselnüssen findet man die schönsten Kastanienwälder und die verschiedenartigsten Südfrüchte (Orangen, Zitronen, Granaten, Feigen, Mandeln, Datteln, Johannisbrot, indische Feigen, Bananen) nicht nur längs der Küste und in den südlichen Provinzen, sondern auch in den warmen Flußthälern des Nordens. Die Südfrüchte sowie die Wal- und Haselnüsse bilden einen ergiebigen Ausfuhrartikel. 1886 wurden an Orangen 816,666, Zitronen 73,493, Mandeln 27,730 und Haselnüssen 40,090 metr. Ztr. exportiert. [69] Ausgedehnte Landstriche sind namentlich im Süden der Olivenkultur eingeräumt, welche einen wichtigen Exportartikel liefert. Doch steht das spanische Öl wegen schlechter Behandlung der Frucht in geringem Preis und wird großenteils erst im Ausland, namentlich in Frankreich, raffiniert. Die Produktion, welche vornehmlich in Andalusien, Murcia, Valencia, Aragonien und Katalonien vertreten ist, ergibt in günstigen Jahren ca. 2,5 Mill. hl Öl; die Ausfuhr beträgt im Durchschnitt der letzten Jahre 250,000 metr. Ztr. In den letzten Jahren hat sich der Anbau von Cacahuetes oder Mani, einer Art Pistazie, aus der ein billiges und brauchbares Öl bereitet wird, zu einem besondern Zweig der landwirtschaftlichen Thätigkeit in der Provinz Valencia herausgebildet. Wichtige Bodenkulturzweige sind noch die in großem Maßstab betriebene Maulbeerbaum- und die Weinkultur. Durch die geographische Lage und durch die klimatischen Verhältnisse begünstigt, bringt das Land die feurigsten Weine in allen Abarten und in großer Menge hervor. Der durchschnittliche Ertrag beläuft sich auf mehr als 20 (1887: 28) Mill. hl. Die berühmtesten Weine sind die andalusischen, insbesondere die von Jeres de la Frontera, Puerto de Santa Maria und Malaga. Der Export dieser Weine geht hauptsächlich nach England und Amerika. Von den katalonischen Weinen sind nur die Sorten von Reus und Tarragona vorzüglich, von den Valenciaweinen die roten Benicarloweine geschätzt. Die Alicantiner Weine sind sehr fein und ziemlich alkoholreich. Die kastilischen Weine, darunter der ausgezeichnete Manchawein (Valdepeñas), werden meist im Inland konsumiert. Die Aragonweine sind am dunkelsten, feinsten und am wenigsten säuerlich. Vorzügliche Weingegenden sind außerdem: Südnavarra, das untere Duerothal, Viscaya, Orense, die Gegend von Plasencia und die Serena in Estremadura, endlich Mallorca (vgl. Spanische Weine). Großen Absatz finden die spanischen Weine seit den letzten Jahren in Frankreich, wo die durch die Reblaus und durch die schlechten Ernten verursachten Ausfälle außer durch italienische auch durch spanische Weine (meist aus den nordöstlichen Provinzen) gedeckt werden. Im ganzen werden jährlich über 7 Mill. hl, davon gegen 6 Mill. nach Frankreich, exportiert. Daneben bilden auch frische Trauben einen Ausfuhrartikel (1886: 192,000 metr. Ztr.). Von Wichtigkeit ist ferner die Kultur der Rosinen, namentlich werden Rosinen aus den Provinzen Alicante (Denia) und Malaga ins Ausland, hauptsächlich nach England und Nordamerika, geführt (1886: 384,460 metr. Ztr.). Die hervorragendsten Futterkräuter sind Luzerne und Esparsette. Eigentliche Wiesen gibt es nur in den nördlichen Provinzen und in den höhern Gebirgsgegenden. Viel ausgedehnter ist das Weideland in solchen Strecken, welche auch zum Ackerbau oder zur Forstkultur geeignet wären, jedoch vorzugsweise zur Zucht von Schafen dienen, wie in Estremadura, Niederandalusien, Aragonien, Altkastilien und Leon.
Von großer Bedeutung ist die Viehzucht. Man zählte 1878 in S. 460,760 Pferde, 941,653 Maultiere, 890,982 Esel, 2,353,247 Rinder, 16,939,288 Schafe, 3,813,006 Ziegen, 2,348,602 Schweine. Die früher so berühmte, dann in Verfall geratene Pferdezucht hat einen neuen Aufschwung genommen. Die besten Pferde sind die andalusischen und unter diesen wieder die von Cordova. Indessen reicht die Zahl der gezüchteten Pferde für den Bedarf des Landes nicht aus. Auf die Zucht der Maultiere und Esel, welche nicht nur die bevorzugtesten Haustiere sind, sondern auch in Menge ausgeführt werden, wird große Sorgfalt verwendet. Die Zucht des Rindviehs zerfällt in die der zahmen Rinder und die der zu den Stiergefechten erforderlichen wilden Stiere, welche auf einsamen, hoch gelegenen Triften und in den Gebirgen, namentlich in Navarra, in der Sierra Guadarrama, Sierra Morena und am Guadalquivir, gehegt werden. Das zahme Rindvieh ist nicht sehr groß, aber stark und gut gebaut; das beste wird in den nördlichen Provinzen gezüchtet, wo auch allein Milch-, Butter- und Käsewirtschaft getrieben wird. Die spanische Schafzucht, einst die erste der Welt und Quelle ungeheurer Einkünfte, ist, wenn auch immer noch ansehnlich, von der andrer Länder überflügelt worden und in Abnahme begriffen. Die Ursache hiervon ist besonders darin zu suchen, daß die Regierung behufs der Hebung der Agrikultur 1858 die lästige Bestimmung aufhob, daß von den Grundbesitzern, durch deren Gebiet die Herden (von und nach den Winterquartieren in Estremadura) ziehen, eine Schaftrift von 90 Schritt Breite zu beiden Seiten der Straße freigelassen werden mußte. Gegenwärtig muß, soweit das Wandern mit Schafherden noch besteht, für die Benutzung der Weiden ein Pachtgeld gezahlt werden. Die Mehrzahl der Merinoherden gehört nämlich großen Grundbesitzern von Leon, Altkastilien und Niederandalusien. Der Wollertrag der spanischen Schafe ist zwar sehr gesunken (auf ca. 20 Mill. kg, und zwar nur zum geringern Teil feine und brauchbare Wolle); doch bildet Schafwolle noch immer einen Exportartikel (1886: 92,000 metr. Ztr.). Wichtig ist die Hämmelzucht, vorzüglich für Niederaragonien, wo sich stets Käufer aus ganz S. zusammenfinden. Die Ziegenzucht ist besonders in den Gebirgsgegenden heimisch und Ziegenkäse ein wichtiger Gegenstand des innern Handels, während die Felle in Menge exportiert werden. Schweinezucht wird überall, im größten Maßstab jedoch in Estremadura betrieben. Treffliche Schinken sowie Würste und Borsten gelangen zur Ausfuhr. Schweine- und Ziegenhäute werden in S. allgemein zu Weinschläuchen, welche inwendig ausgepicht werden, verarbeitet. In den Provinzen Murcia und Cadiz kommen auch Kamele (1878: 1597 Stück) vor. Beträchtliche Ausfuhr von Vieh findet nach Portugal und England statt. Von Federvieh werden vornehmlich Hühner, in Estremadura und Andalusien auch Truthühner gezüchtet; von geringem Belang ist die Bienenzucht, von Wichtigkeit dagegen die (früher allerdings noch bedeutendere) Seidenzucht, die namentlich in Valencia und Murcia ihren Sitz hat (s. unten). Die Kochenillezucht (1820 in Südspanien eingeführt) wird jetzt um Malaga und Motril in größerm Maßstab betrieben.
Jagd und Fischerei sind in S. frei, doch wird erstere nicht besonders eifrig getrieben; das häufigste Haarwild sind Kaninchen, das meiste Federwild Rebhühner. Der Fang von Thunfischen, Sardinen, Sardellen und Salmen und das Einräuchern derselben beschäftigt an den Küsten von Viscaya, Galicien, Andalusien, Valencia und Katalonien Tausende von Menschen und liefert bedeutende Mengen für den Export. Auch die Korallenfischerei an der Küste von Andalusien hat sich in neuester Zeit gehoben. Die Waldwirtschaft steht in S. noch auf einer niedrigen Stufe. Der Holzboden nimmt zwar über 20 Proz. des gesamten Areals ein; doch sind infolge der Vernachlässigung der Kultur, der unbeschränkten Brennholznutzung, der Schädigung der Wälder durch Hirten und Herden und der planlosen Ausnutzung der Privat- und Staatsforsten nur etwa 9 Proz. noch wirklich mit Holz bestanden. [70] Das wichtigste Nadelholz ist die Kiefer, die vorzüglichsten Laubhölzer sind: die Eiche, Rotbuche, Kastanie, die Rüster und der Ölbaum, welcher besonders in Andalusien ganze Wälder bildet. Nach Gesetz vom 19. Febr. 1859 soll von den Staats-, Kommunal- und Körperschaftsforsten ein Teil (31/2 Mill. Hektar) verkauft, der andre Teil (61/2 Mill. Hektar) aber regelmäßig bewirtschaftet werden. Zu diesem Zweck ist das Land in zehn Forstdistrikte eingeteilt worden; auch besteht eine königliche Forstingenieurschule im Escorial. Sehr gesegnet mit Waldungen ist Katalonien, wo (insbesondere im Monsenygebirge) die gewinnreichsten Holzgattungen, wie Kastanien (zu Faßdauben vorzüglich geeignet), Walnußbäume (zu Holzreifen verwendet) und Korkeichen, am besten gedeihen, welch letztere wegen des Korks, des als Gerbmaterial geschätzten Bastes und des sich zu Kohlen trefflich eignenden Astholzes einen reichlichen Ertrag liefern. Außer in Katalonien findet man diese Baumgattung in Estremadura, Andalusien und Valencia. Die jährliche Produktion an Korkplatten beträgt 520,000 metr. Ztr., der Export von Pfropfen durchschnittlich 1010 Mill. Stück, an Platten und Tafeln 25,000 metr. Ztr. Nebenprodukte der Wälder sind: Sumachrinde (als Gerbmaterial), Ladanbalsam, eßbare Eicheln, Maronen, Beeren, Arzneikräuter etc.
S. ist ein an Metallen und Erzen außerordentlich reiches Land und könnte in seinem Bergbau und Hüttenwesen eine Quelle großen Nationalreichtums finden, wenn ersterer rationell betrieben und entsprechend ausgebeutet würde. Das Bergwesen untersteht dem Ministerium für Volkswirtschaft, resp. der bei demselben errichteten Junta für dasselbe. Nach dem Gesetz vom 6. Juli 1859 wurde das Land in 17 Minendistrikte eingeteilt, von denen jeder unter einem königlichen Bergingenieur steht, und in Madrid auch ein Oberbergamt eingerichtet. Laut des genannten Gesetzes hat sich der Staat die Ausbeutung der meisten Bergwerke, sämtlicher Salzbergwerke und Salinen (ausgenommen die in den baskischen Provinzen) reserviert. Durch die finanzielle Notlage wurde indessen die Regierung in neuerer Zeit genötigt, sich des größten Teils des Staatseigentums und so auch des Montanbesitzes zu entäußern, so daß jetzt nur noch die Quecksilbergruben von Almaden und einige Salinen Staatseigentum sind. Im ganzen Land gibt es etwa 6000 Minen aller Art, wozu noch die aus alter Zeit, teilweise von den Römern, zurückgelassenen Schlackenhaufen als Ausbeutungsobjekte kommen. Bei der Gewinnung von Erzen u. Metallen sind über 45,000 Arbeiter beschäftigt. Der Bergbau und Hüttenbetrieb ergaben nach der letzten Erhebung (1883) folgende Mengen: Silber 540 metr. Ztr., Quecksilber 16,670, Roheisen 1,422,240, Kupfer 321,560, Blei 993,120, Zink 68,430, Kohle 10,707,500, Salz 6,750,000, Schwefel 111,290 metr. Ztr. Bemerkenswert ist jedoch, daß das Hüttenwesen mit dem Bergbau nicht gleichen Schritt hält, und daß ein großer Teil der gewonnenen Erze nach England und andern Ländern exportiert wird und häufig in verhütteter Form wieder ins Land zurückkehrt. So wurden 1886: 49,2 Mill. metr. Ztr. Erze (davon 41,8 Mill. Eisenerz und 6,7 Mill. Kupfererz) ausgeführt. Was die einzelnen Produktionszweige betrifft, so wird Gold gegenwärtig nur in den Arsenikgruben bei Culera (Katalonien), in kleinern Quantitäten auch aus dem Sande des Flusses Sil gewonnen. Ebenso ist die Produktion von Silber herabgegangen, wenngleich mehrere Bergwerke hierfür bestehen, von welchen jene in den westlichen Abhängen der Sierra Almagrera (Provinz Almeria), die von Hiende la Encina (Provinz Guadalajara) und die von Farena (Provinz Tarragona) die mächtigsten sind. In den Quecksilbergruben von Almaden (12 Minen) sind über 3000 Arbeiter beschäftigt. Der Export beträgt durchschnittlich 11,000 metr. Ztr. An Eisenerz birgt S. in vielen Provinzen, besonders in Viscaya (zu Somorrostro), Guipuzcoa (Irun), Navarra (Lesaca, Vera), Santander, Oviedo und Granada, reiche Schätze, die aber nicht gehörig ausgenutzt werden. Die bedeutendsten Hüttenwerke befinden sich in den Provinzen Viscaya, Navarra, Oviedo, Sevilla, Malaga u. a. An Kupfer besitzt die Provinz Huelva in den Minen von Rio Tinto, Tharsis und andern schon von den Karthagern u. Römern bearbeiteten Bergwerken unerschöpfliche Lager. Die Minen von Rio Tinto (s. d.) wurden 1873 von der spanischen Regierung (um 96 Mill. Frank) an ein Syndikat von Londoner und Bremer Firmen verkauft; Tharsis gehört bereits seit längerer Zeit einer englischen Aktiengesellschaft. Hinsichtlich der Bleiproduktion überragt S. alle andern Staaten Europas. Die Hauptsitze für diesen Bergbau und Hüttenbetrieb sind: die Provinzen Murcia (bei Cartagena 76 Werke mit 150 Hochöfen und 1500 Arbeitern), Almeria (Bleiminen der Sierra Gador, Sierra Almagrera, Alhamilla etc.; 13 Schmelzwerke bei Garrucha) und Jaen (Linares und Baylen). Der Export an metallischem Blei betrug 1886: 1,150,000 metr. Ztr. Für den Zinkbergbau sind die Hauptsitze: die Provinzen Santander, Guipuzcoa, Murcia, Granada, Malaga und Almeria. Die Verhüttung ist von geringem Umfang; die gewonnenen Erze werden größtenteils nach Belgien und andern Ländern exportiert. Die wichtigsten Kohlendistrikte sind in der Provinz Oviedo, dann in Burgos und Soria, Leon und Palencia, Teruel und Santander. Die jährliche Produktion ist von 355,000 metr. Ton. im J. 1861 gegenwärtig auf mehr als 1 Mill. metr. T., größtenteils Steinkohle, gestiegen, wobei immer noch eine überwiegende Einfuhr englischer Kohle (1886: 1,4 Mill. metr. T.) stattfindet. An Salz ist S. überaus reich. Dasselbe ist kein Monopolgegenstand; es gibt zwar staatliche Etablissements dafür, welche in 20 Haupt- und 12 Unteranstalten zerfallen, aber ebensowohl befassen sich mit der Salzgewinnung und zwar aus Seewasser u. aus Bergsalinen viele Private, die aus Anlaß des Betriebs nur der gewöhnlichen Industrialsteuer unterworfen sind. Steinsalzminen gibt es zu Cardona (Provinz Barcelona), Pinoso (Provinz Alicante), Gerry y Villanova (Provinz Gerona), Minglanilla (Provinz Cuenca) u. a. O. Seesalz wird am meisten in den Lagunen der Bai von Cadiz und an den Ufern des untern Guadalquivir ausgebeutet, ferner auf der Insel Iviza, aus den Lagunen von Torrevieja (Provinz Alicante, in der Regie des Staats) etc. Der gesamte Salzexport beträgt jährlich 2,5 Mill. metr. Ztr. Manganerz (Braunstein) wird am meisten in der Provinz Huelva zu Tage gefördert, doch droht es infolge des Raubbaues bald gänzlich zu versiegen. Alaungruben finden sich an vielen Orten; Schwefel wird besonders in Murcia und Ostgranada, Schwefelkies in der Provinz Huelva (namentlich in den schon erwähnten Gruben von Rio Tinto und Tharsis mit fortwährend steigendem Export), Asphalt in der Provinz Alava, Antimon in Saragossa, Ciudad Real und bei Cartagena, außerdem Graphit, Bergöl, Naphtha und Phosphorit (letzteres für die Agrikultur äußerst wichtige Material in 9 Minen der Provinz Caceres mit einer durchschnittlichen Ausbeute von 1,8 Mill. metr. Ztr.) gewonnen.
[71]
Die spanische Industrie nimmt zwar noch lange nicht den Platz ein, der ihr in anbetracht der reichen Hilfsquellen und der günstigen kommerziellen Lage des Landes gebührt; doch hat dieselbe in neuester Zeit einen bedeutenden Aufschwung genommen. Die industriellsten Provinzen sind: Barcelona, Gerona, Tarragona, Guipuzcoa und Viscaya, nächst diesen Valencia, Murcia, Alicante, Almeria, Granada, Sevilla, Malaga, Galicien, Asturien, Santander, Madrid und Ciudad Real. Was die einzelnen Industriezweige betrifft, so wird die Verfertigung von Eisen- und Stahlwaren am ausgedehntesten in Katalonien, in den baskischen Landschaften und in den Provinzen Malaga und Sevilla betrieben. Guten Ruf hat das Land in der Erzeugung von Handwaffen, wofür Fabriken zu Toledo, Oviedo und Plasencia (Guipuzcoa) bestehen; berühmt sind insbesondere die Klingen von Toledo. Ein großes Etablissement ist auch die Nationalfabrik zu Trubio (Oviedo) für Eisengußwaren und Artilleriematerial. Neben den Eisenwaren produziert S. viel Kupfer- und Bleiwaren, Messing namentlich zu San Juan de Alcaraz (Provinz Albacete), Bronzewaren zu Barcelona, Eibar (Guipuzcoa) und in Navarra, Schmucksachen und Filigranarbeiten. Der Maschinenbau hat seine Hauptsitze zu Barcelona (4 große Werkstätten mit ca. 1700 Arbeitern), Sevilla, Malaga, Madrid und Valladolid, der Schiffbau zu Barcelona, Cartagena, Cadiz und Santander, die Verfertigung von chirurgischen und Präzisionsinstrumenten zu Madrid. Musikinstrumente, und zwar Pianos, werden zu Barcelona, Sevilla, Saragossa und Valladolid, Guitarren zu Murcia, Streichinstrumente vorzugsweise zu Palma fabriziert. Für Porzellan bestehen zwei Fabriken, für Steingut- und Fayenceerzeugung ein ansehnliches Etablissement zu Sevilla und weitere Unternehmungen in den Provinzen Valencia, Madrid und Castellon. Die Fabrikation feuerfester Thonwaren steht zu Barcelona auf einer Höhe, welche einen nicht unbedeutenden Export nach den Häfen des Mittelmeers bis nach Konstantinopel zuläßt. Eine wichtige Industrie ist auch die Erzeugung von Ziegelfliesen, glasierten Platten und Mosaikfußböden, welche namentlich als Hausindustrie Tausende von Arbeitskräften, insbesondere in der Provinz Valencia, beschäftigt und einen wesentlichen Exportartikel liefert. Hydraulischer Kalk (Zement) wird nur in Guipuzcoa in einer Menge von jährlich ca. 100,000 metr. Ztr. erzeugt. S. liefert gutes Glas in ziemlich großer Menge, aber hauptsächlich nur für den inländischen Bedarf, während der Export nach den Kolonien ein geringer ist; geschliffene Glaswaren werden eingeführt. Die Glasindustrie wird an vielen Orten, insbesondere in Badalona, Murcia, Cadalso (Madrid) und Gijon, betrieben. Die Verarbeitung des Korks zu Pfropfen, Platten und Tafeln bildet einen ergiebigen Industriezweig in der Heimat des Rohstoffs, der Provinz Gerona (Exportwert 1886 über 17 Mill. Pesetas). Tischlerwaren werden zu Madrid und Barcelona verfertigt, ohne daß jedoch in feinern Artikeln die ausländische Industrie vom Markt verdrängt wäre. Bedeutend ist namentlich für die Hausindustrie die Stroh- und Binsenflechterei. Die Lederindustrie Spaniens stand in früherer Zeit auf einer viel höhern Stufe als dies gegenwärtig der Fall ist, obschon das Land noch immer durch die Erzeugung von Saffian und Korduan hervorragt und gewisse Quantitäten von Leder ausführt. Die besten Fabrikate kommen von Cordova, Barcelona, Toledo, Burgos und aus den baskischen Provinzen. Insbesondere ist S. die Heimat der kunstvollsten Riemerartikel (Sättel und Reitzeuge). Die Seidenindustrie, für welche alle klimatischen Bedingungen vorhanden sind, ist durch die Seidenraupenkrankheit sehr beeinträchtigt worden und beschränkt sich gegenwärtig hauptsächlich auf die Provinzen Murcia, Valencia und Sevilla, in welchen übrigens die Seidenspinnerei ein vorzügliches Erzeugnis liefert. Die Produktion an Seidenkokons beträgt etwas über 1 Mill., an Rohseide durchschnittlich 85,000 kg. Die Seidenweberei war in frühern Jahrhunderten blühend und wird gegenwärtig noch, ohne den Bedarf zu decken, fabrikmäßig zu Madrid, Valencia, Barcelona, Granada, Sevilla und Toledo betrieben. Die Schafwollweberei macht große Fortschritte, arbeitet jedoch bloß für den einheimischen Markt, wobei ihr das Ausland Konkurrenz bietet. Der Hauptsitz ist Katalonien, namentlich Barcelona, Tarrasa, Sabadell, Manresa u. a. O. Barcelona zeichnet sich auch in der Fabrikation von Shawls und Möbelstoffen durch gediegene Leistungen aus. Gute Tuche und Flanelle werden in Alcoy, Palencia, Bejar (Provinz Salamanca) etc. erzeugt. Valencia und Murcia liefern Decken aus Streich- und Kammgarn, welche den Bewohnern zur Bekleidung, zum Schmuck und zum Tragen der Utensilien unentbehrlich sind. Verhältnismäßig günstig entwickelt ist die spanische Baumwollindustrie. Während die Spinnerei 1834 erst 600,000 Feinspindeln zählte, hob sich diese Ziffer 1881 auf 1,835,000. Der Baumwollkonsum betrug im Durchschnitt der letzten Jahre 490,000 metr. Ztr. Die größte Bedeutung hat die Baumwollindustrie für Katalonien. Barcelona versieht mit gewebten und bedruckten Stoffen (Indiennes) fast alle spanischen Kolonien. Außerdem ist diese Industrie noch in den baskischen Provinzen, in Malaga, Santander, Valladolid und den Balearen vertreten, obgleich immer noch ein Import (Garne 1886 für 2,1, Gewebe für 11,4 Mill. Pesetas) notwendig ist. Die Flachsspinnerei macht gute Fortschritte. Die Leinweberei arbeitet für die Bedürfnisse des eignen Landes und exportiert nach den Kolonien und Brasilien, wogegen aber auch ein Import aus Großbritannien und Irland stattfindet. Die Sitze dieser Industrie sind: die Landschaften Katalonien, Aragonien, Kastilien, Galicien u. Navarra. Die Espartoweberei, welche in Murcia, Alicante u. a. O. betrieben wird, liefert verschiedene Waren, als: Überzieher für Bergleute, Teppiche, Lauftücher etc. In Leinen- und Hanfgarn fand in den letzten Jahren ein Import von durchschnittlich 42,000 metr. Ztr., an Geweben ein solcher von 6300 metr. Ztr. statt. Färberei und Druckerei sind alte und wichtige Zweige der spanischen Industrie, zumal in Katalonien und in den baskischen Provinzen. Die Spitzenmanufaktur ist gleichfalls sehr alt und im Fortschreiten begriffen; ihre Heimat ist Katalonien. Maschinenspitzen werden zu Barcelona, Mataro u. a. O. erzeugt. Handschuhe liefern Madrid und Valladolid, Wirkwaren Barcelona. Die Industrie in Schuhwaren schwingt sich auf den Balearen sichtlich empor (Export über Barcelona nach den spanischen Kolonien). Für den Konsum der spanischen Landbevölkerung werden auch Schuhwaren aus Hanf (Alpargatas) an vielen Orten gefertigt. Neu aufstrebende Industrien sind die Fächerfabrikation in Valencia und die Knopffabrikation in Madrid. In der Papierfabrikation findet der Maschinenbetrieb immer weitere Verbreitung. Es gibt bereits ca. 40 Papierfabriken (zu Barcelona, Tolosa etc.), während die Zahl der Papiermühlen mit Büttenbetrieb immer mehr abnimmt. Ein Hauptartikel der [72] Papierfabrikation ist das Zigarrettenpapier (namentlich in Alcoy). Bedeutend ist die Industrie in Nahrungs- u. Genußmitteln. Es bestehen 18 Raffinerien für Kolonialzucker (Barcelona, Malaga und Umgebung, Granada und Almeria; Produktion jährlich ca. 150,000 metr. Ztr.), zahlreiche Schokoladefabriken, so zu Madrid und Umgebung, Barcelona, Saragossa, Ciudad Real, Leon, Astorga, Oviedo, Malaga etc., mehrere Fabriken für konservierte und kandierte Früchte, einige große Fabriken für Fisch- und Fleischkonserven (in Guipuzcoa und Coruña) und mehrere Unternehmungen für Maccaroni- und Teigwarenerzeugung (in Malaga). Weizenmehl wird von Santander aus nach den spanischen Kolonien verschifft (in den letzten Jahren durchschnittlich 275,000 metr. Ztr.). Erwähnenswert sind ferner: die Spirituserzeugung aus Wein und dessen Rückständen, die Fabrikation von Likören (besonders Anislikör in der Provinz Albacete) und die Bierbrauerei in den größern Städten. Die Tabaksfabrikation ist Staatsmonopol, welches aber seit 1887 verpachtet ist, und beschäftigt große Etablissements zu Madrid, Sevilla, Santander, Gijon, Coruña, Valencia und Alicante. Die erforderlichen Blätter kommen größtenteils aus den überseeischen Kolonien (Cuba, Puerto Rico, Philippinen), teilweise auch aus Deutschland. Doch werden daneben Massen von fremden Zigarren eingeschmuggelt. Endlich sind noch die Zinnobererzeugung, die Fabrikation von Seife (Katalonien und Andalusien, insbesondere Malaga), Kerzen und verschiedenen Chemikalien, die Buchdruckerei und Lithographie (Hauptort Madrid) hervorzuheben. In ganz S. besteht schon seit geraumer Zeit Gewerbefreiheit. Es gibt daher keine Innungen und Zünfte, sondern bloß Vereinigungen (gremios) von Handwerkern und Gewerbtreibenden zu irgend einem gemeinsam besser als einzeln zu erreichenden Zweck. Zur Beförderung der Industrie und der Gewerbe dienen außer den Handelskammern (s. unten): der Industrieverein zu Madrid, die Gewerbevereine in verschiedenen Städten und die technischen Unterrichtsanstalten.
S. hat eine für den Handel, namentlich den Welthandel, äußerst günstige Lage, und geraume Zeit war der spanische Handel einer der umfangreichsten der Welt. Wenn er in der Gegenwart kaum noch an das erinnert, was er einst gewesen, so sind daran einerseits die äußern und innern Kriege, anderseits aber die Vernachlässigung der natürlichen Hilfsquellen des Landes schuld. Das Zentrum des gesamten innern Handels bildet Madrid. Nächstdem sind Valladolid, Palencia, Burgos, Oviedo, Vitoria, Saragossa und Granada die wichtigsten Plätze des Binnenhandels. In betreff des äußern Handels zerfällt S. in mehrere selbständige Zollgebiete, nämlich: das Festland mit den Balearen, die Kanarischen Inseln, die Provinzen in Amerika, die Besitzungen in Asien und Ozeanien, die Insel Fernando Po mit deren Dependenzen, die nordafrikanischen Besitzungen. Jedes dieser Zollgebiete hat seinen besondern Tarif; die nordafrikanischen Häfen sind zu Freihäfen erklärt worden. In dem Zollgebiet des spanischen Festlandes und der Balearen wurde ein Tarif 5. Okt. 1849 eingeführt, seitdem aber vielfach modifiziert und namentlich durch die abgeschlossenen Handelsverträge ermäßigt. So hat S. 1861 mit Marokko, 1862 mit der Türkei, 1864 mit China, 1865 mit Frankreich, dann seit 1870 mit den meisten andern europäischen Staaten und mit Siam Handels- und Schiffahrtsverträge abgeschlossen, darin Einfuhrzollbegünstigungen für fremde Produkte zugestanden und sich zugleich verpflichtet, diese Zollsätze in einem spätern Termin noch weiter herabzusetzen. Die finanzielle Lage und der Vorgang der übrigen Kontinentalstaaten auf dem Weg des Schutzzollsystems veranlaßten jedoch auch S., zur Erhöhung der Einfuhrzollsätze mittels neuer Tarife (1882 und 1886) zu schreiten und in diesem Sinn modifizierte Handelsverträge mit den übrigen Staaten abzuschließen. Bemerkenswert für den auswärtigen Handel Spaniens ist, daß von seiten Portugals und von Gibraltar aus starker Schleichhandel (von letzterm Punkt namentlich mit englischen Waren) getrieben wird. Der Gesamtwert der Ein- und Ausfuhr Spaniens (und zwar des Festlandes mit Einschluß der Balearen) betrug in den letzten Jahren in Millionen Pesetas (1 Peseta = 80 Pfennig):
Jahr | Einfuhr | Ausfuhr |
1882 | 816,7 | 765,4 |
1883 | 893,4 | 719,5 |
1884 | 779,6 | 619,2 |
1885 | 764,8 | 698,0 |
1886 | 855,2 | 727,3 |
1887 | 811,2 | 722,2 |
Der auswärtige Handel von S. bewegt sich hauptsächlich auf dem Seeweg. Auf den Landhandel kamen nämlich vom gesamten Warenverkehr des letztgenannten Jahrs nur 16, auf den Seehandel dagegen 84 Proz. Die Hauptartikel des auswärtigen Handels sind in der Ausfuhr (mit Angabe des Wertes 1887 in Millionen Pesetas): Wein (281,7), Erze (86,7), Blei (22,0), Rosinen (22,2), Vieh (12,4), Kork (16,8), Orangen (15,4), Schafwolle (14,1), Olivenöl (9,7, 1885: 40,0), Schuhwaren (12,4), Esparto (8,9), Weintrauben (9,7), Weizenmehl (5,2), Konserven (6,9), Eisen und Eisenwaren (10,4); in der Einfuhr: Weizen (62,8), Baumwolle (62,5), Spiritus (45,0), Holz (35,3), Tabak (30,3), Fische (29,8), Zucker (29,7), Mineralkohle (25,6), Schafwollwaren (24,9), Maschinen (20,1), Häute und Felle (19,4), andre Cerealien (17,5), Vieh (17,1), Eisen und Eisenwaren (16,9), Chemikalien (15,8), Kakao (13,6), Flachs- und Hanfgarn (13,3). Was die einzelnen Länder betrifft, welche an dem auswärtigen Handel Spaniens partizipieren, so kommt der Hauptanteil auf Frankreich (234,7 Mill. Pesetas in der Einfuhr und 308,9 Mill. in der Ausfuhr) und Großbritannien (114,0, resp. 184,6 Mill. Pesetas). Hieran reihen sich die Vereinigten Staaten von Nordamerika (99,6 und 21,9 Mill.), Cuba (37,3 und 61,0 Mill.), Deutschland (82,9 und 9,6 Mill.), Belgien, Portugal, Italien, die Philippinen, Puerto Rico, Argentinien, Niederlande, Norwegen etc.
Die Schiffahrt Spaniens zeigt im letzten Jahrzehnt einen kräftigen Aufschwung. Die Zahl der Häfen an der spanischen Küste und auf den Balearen beträgt 116, wovon 56 auf die Küste des Atlantischen Meers, 60 auf die des Mittelmeers kommen. Die wichtigsten von erstern sind: Bilbao, Santander, Gijon, Ferrol (Kriegshafen), Coruña, Vigo, Huelva und Cadiz; von letztern: Malaga, Almeria, Cartagena, Alicante, Valencia-Grao, Tarragona und Barcelona; auf den Balearen und Pithyusen: Palma, Mahon und Iviza. In den letzten Jahrzehnten sah man die Notwendigkeit der Herstellung sicherer und verbesserter Hafenanlagen ein. Demgemäß wurden auch die Arbeiten, zunächst in Alicante, Barcelona, Cartagena, Tarragona und Valencia-Grao, in Angriff genommen und großenteils bereits durchgeführt. Die Zahl der im Betrieb befindlichen Leuchttürme beträgt 198. In dem Leuchtturm auf Kap Machichaco in Viscaya besteht eine Schule für Leuchtturmwächter. Die Handelsmarine Spaniens zählte Anfang 1884: 1544 Segelschiffe mit 308,779 Registertonnen und 282 Dampfer [73] mit 200,100 Ton., zusammen 1826 Seeschiffe mit 508,879 T. Die Schiffahrtsbewegung sämtlicher Häfen Spaniens bezifferte sich 1887 in Registertonnen:
Eingelaufen | Ausgelaufen | |
Spanische Schiffe | 4264482 | 4420130 |
Fremde Schiffe | 6900494 | 6696443 |
Zusammen: | 11164976 | 11116573 |
Hierzu Küstenschiffahrt (1885) | 5661952 | 5237227 |
Die Binnenschiffahrt ist in S. von geringem Belang. Unter den Strömen ist ein einziger, welcher bei hohem Wasserstand streckenweise befahren werden kann, nämlich der Ebro, auf welchem flache Fahrzeuge dann bis Saragossa, wohl auch bis in die Provinz Navarra gelangen können. Der Guadalquivir, Guadiana und Minho sind nur ein Stück von der Mündung an hinauf für größere Schiffe fahrbar, der erstgenannte für Seeschiffe bis Sevilla; dieselben kommen daher bei der Binnenschiffahrt nicht in Betracht. Die übrigen Ströme sind, soweit sie S. angehören, so voller Sandbänke, Löcher und Strudel, daß sie sich gar nicht zur Schiffahrt eignen. Unter den Kanälen steht der unter Karl V. begonnene Kaiserkanal von Aragonien obenan, 119 km lang, 3,35 m tief und an der Oberfläche 23,5 m breit, außer zur Schiffahrt auch zur Bewässerung dienend. Im 18. Jahrh. wurden drei schiffbare Kanäle hergestellt, worunter der 160 km lange Kastilische, der bei Alar del Rey aus dem Pisuerga ausgeht und unweit Simancas an demselben Fluß endigt, der wichtigste ist. Der Manzanareskanal (von Toledo nach Madrid, 14 km) sowie der Canale Nuevo, bei Amposta aus dem Ebro ausgehend und in San Carlos de la Rapita nach 11 km Länge endigend, werden zur Schiffahrt wenig benutzt. Aus diesem Jahrhundert datieren der Guadarramakanal (17 km) und der Murciakanal (28 km). Neuerlich hat eine Aktiengesellschaft auch die Kanalisierung des Ebro bis Saragossa unternommen. Die Gesamtlänge aller schiffbaren Kanäle und Flüsse Spaniens beträgt ungefähr 700 km.
Die erste Eisenbahn, von Barcelona nach Mataro (28 km), wurde 28. Okt. 1848 dem Verkehr übergeben. Seitdem entwickelte sich das Eisenbahnnetz Spaniens in folgender Progression: 1855: 595 km, 1865: 5226 km, 1876: 5796 km, 1886: 9185 km. Die hauptsächlichsten Linien sind: Die Spanische Nordbahn von Madrid über Irun an die französische Grenze, mit Zweiglinien nach Zamora, Salamanca, Segovia und Santander. An die Nordbahn schließen sich die Nordwestliche oder Galicische Eisenbahn mit den Linien Palencia-Coruña, Monforte-Vigo und Leon-Gijon, dann die Eisenbahn Tudela-Bilbao, welche die Nordbahn bei Miranda kreuzt. Eine wichtige Linie ist im NO. die Eisenbahn von Saragossa nach Pamplona, welche einen Zweig zur Nordbahn nach Alsasua entsendet. Von Madrid laufen außer der ersterwähnten Bahn noch die Eisenbahn über Saragossa nach Barcelona und die nach Alicante aus, welche beide miteinander durch die Küstenbahn über Tarragona und Valencia nach Almansa in Verbindung stehen, und wovon die erstere mehrere Zweiglinien in Katalonien und die Linie über Portbou nach Frankreich, die letztere die Zweiglinien nach Toledo und Cartagena entsenden. An die Eisenbahn Madrid-Alicante schließen sich endlich die andalusischen Bahnen nach Cadiz, Malaga und Granada sowie die Eisenbahn über Ciudad Real und Badajoz nach Portugal an. Von Madrid nach Lissabon führt außerdem die neue direkte Linie über Talavera. Auch die Insel Mallorca hat ihre Eisenbahn Palma-Manacor. Die Ausführung der einzelnen Eisenbahnlinien erfolgte durch Privatgesellschaften, meist mit englischen Kapitalien. Pferdebahnen bestehen zu Madrid, Barcelona und Valencia-Grao. Auch auf den arg vernachlässigten Straßenbau hat man in neuerer Zeit große Summen verwendet; die Gesamtlänge der fertigen Straßen beträgt gegenwärtig ca. 19,000 km. Weitere 3000 km sind teils im Bau, teils projektiert. Am meisten leidet noch das Zentrum des Landes durch Mangel an Verkehrswegen. Auch auf Vizinalwege wird wenig Bedacht genommen. Das spanische Staatstelegraphenwesen umfaßte 1886 ein Netz von 17,840 km Linien mit einem Betriebspersonal von 3540 Individuen. Der Korrespondenzverkehr ergab 2,8 Mill. Depeschen. Dem Postwesen standen 1886: 2655 Anstalten mit einem Personal von 7112 Individuen zur Verfügung. Der Briefpostverkehr umfaßte 111 Mill. Stück. Seit 1886 sind 15 Handels-, Industrie- und Schiffahrtskammern errichtet worden. Banken mit dem Rechte der Notenemission bestanden früher in den meisten größern Städten. Durch das Gesetz vom 19. März 1874 wurde jedoch die Kreditzirkulation in einer einzigen Bank, der Bank von S. (Grundkapital 100 Mill. Pesetas) in Madrid, konzentriert und zu ihren gunsten die Aufhebung aller andern Zettel- und Diskontobanken angeordnet. Die meisten derselben haben sich zu Filialen der Bank von S. umgestaltet. Außerdem gibt es eine größere Anzahl von selbständigen Kreditinstituten, zahlreiche Sparkassen, Leihhäuser, Börsen in allen großen Handelsplätzen etc. Die berühmtesten Messen sind die von Talavera de la Reina in Neukastilien, Palencia, Valladolid, Medina de Rioseco und Soria in Altkastilien, Puenta de la Reina, Estrella und Corella in Navarra, Granollers und Tarrasa in Katalonien, Ronda und Puerto de Santa Maria in Andalusien; Hauptwollmärkte die von Cuenca in Neukastilien und Bejar in Leon. Münzeinheit ist seit 1871 die Peseta à 100 Centimos = 1 Frank = 4 Reales de vellon (Kupferreal). Die gangbaren Münzsorten sind in Gold: der Golddoblon = 100 Realen = 21,06 Mk., der Goldthaler (escudo de oro) = 40 Realen = 8,42 Mk., der halbe Goldthaler (coronilla) = 20 Realen; in Silber: der Duro oder spanische Thaler (peso fuerte, im Ausland Piaster genannt) = 20 Realen = 4,20 Mk., der halbe Duro oder Escudo (medio duro, escudo) = 10 Realen, die Peseta = 4 Realen, die halbe Peseta = 2 Realen, der einfache Real (real de vellon). Das einzige Papiergeld des Landes sind gegenwärtig die Noten der Bank von S., deren höchste Abschnitte aber nicht auf mehr als 1000 Pesetas lauten dürfen. In Bezug auf Maß und Gewicht ist seit 1855 gesetzlich das metrische System eingeführt.
Ungemein groß ist die Zahl der Wohlthätigkeitsanstalten, deren man bereits 1859: 1028 zählte, worin 455,290 Individuen verpflegt wurden. Die Straf- und Besserungsanstalten zerfallen in Zuchthäuser für männliche Verbrecher und Korrektionshäuser für Weiber. Die schwersten Verbrecher werden in den an die Stelle der ehemaligen Galeeren getretenen Zuchthäusern in Ceuta, Alhucemas, Melilla und Peñon de Velez untergebracht.
Das Grundgesetz der gegenwärtigen Staatsverfassung des Königreichs S. bildet die Konstitution vom 30. Juni 1876. Hiernach ist S. eine eingeschränkte Monarchie, gegenwärtig unter der Dynastie Bourbon. Als Thronfolgeordnung gilt die kognatische, wonach das weibliche Geschlecht in Bezug auf die Succession gleiches Recht mit dem männlichen besitzt und nur die Nähe der Linie darüber entscheidet, wer nachfolgen [74] soll, so daß ein näher verwandter weiblicher Abkömmling einem entfernter verwandten männlichen vorangeht, in der erbenden Linie aber der jüngere Prinz vor der ältern Prinzessin den Vorzug hat. Die Successionsfähigkeit ist von dem römisch-katholischen Glaubensbekenntnis abhängig. Die Großjährigkeit tritt mit dem vollendeten 16. Jahr ein. Wenn die Erbfolge einen noch minderjährigen Succedenten trifft, oder wenn der Monarch durch längere Zeit verhindert ist, selbst zu regieren, so tritt im ersten Fall eine Vormundschaft, in beiden Fällen eine Regentschaft ein, deren Bestellung durch die Volksvertretung erfolgt. Gegenwärtiger König ist Alfons XIII., nachgeborner Sohn Alfons’ XII., geb. 17. Mai 1886. Regentin ist seine Mutter Marie Christine. Der König, bez. Regent übt die gesetzgebende Gewalt gemeinsam mit den Cortes aus, welche sich in zwei Kammern gliedern: den Senat und den Kongreß der Deputierten. Der Senat wird gebildet: von den Senatoren vermöge eignen Rechts; von den Senatoren, welche von der Krone auf Lebenszeit ernannt werden; von den Senatoren, welche durch die Provinzialvertretungen und die Höchstbesteuerten gewählt werden und sich alle fünf Jahre zur Hälfte erneuern. Senatoren von Rechts wegen sind: die großjährigen Söhne des Königs und des Thronfolgers; die Granden von S., welche eine jährliche Rente von 60,000 Pesetas genießen; die Generalkapitäne des Heers und die Admirale der Flotte; die Erzbischöfe; die Präsidenten des Staatsrats, des obersten Gerichtshofs, des Rechnungshofs, des obersten Kriegs- und des obersten Marinerats, wenn sie sich zwei Jahre im Amt befinden. Die vom König ernannten oder von den Provinzialvertretungen u. den Höchstbesteuerten gewählten Senatoren müssen bestimmten Klassen des Beamtenstandes, der Armee, des Klerus angehören oder eine jährliche Rente von 20,000 Pesetas beziehen. Die Zahl der Senatoren kraft eignen Rechts und der vom König ernannten Senatoren darf zusammen 180 nicht übersteigen, und dieselbe Zahl entfällt auf die gewählten Senatoren. Jeder Senator muß Spanier und 35 Jahre alt sein. Der Kongreß der Deputierten setzt sich aus denjenigen Mitgliedern zusammen, welche von den Wahljunten auf fünf Jahre, im Verhältnis von einem Deputierten auf 40,000 Einw., gewählt werden. Um zum Deputierten gewählt zu werden, sind die spanische Staatsbürgerschaft, der weltliche Stand, die Großjährigkeit und der Genuß aller bürgerlichen Rechte erforderlich. Das passive Wahlrecht ist durch keinen Zensus, das aktive Wahlrecht seit der Wahlreform vom 20. Juli 1877 durch einen solchen von 25 Pesetas beschränkt. Die Cortes versammeln sich alle Jahre. Der Präsident und die Vizepräsidenten der Zweiten Kammer werden von der Kammer gewählt, die der Ersten Kammer vom König ernannt. Der König und jede der beiden legislativen Körperschaften besitzen das Recht der Initiative zu den Gesetzen. Finanzgesetze müssen zuerst dem Kongreß der Deputierten vorgelegt werden. Der Kongreß besitzt das Recht der Ministeranklage, wobei der Senat als Gericht fungiert. Die Abgeordneten erhalten keine Vergütung oder Diäten. Die Staatsbürgerrechte entsprechen den in den übrigen repräsentativen Monarchien gewährleisteten Grundrechten. Die Staatsbürger teilen sich dem Stand nach in Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauern, welche Stände aber vor dem Gesetz gleich sind. Der Adel zerfällt in den hohen, der sich wieder in Grandes und Titulados teilt, und in den niedern der Hidalgos oder Fidalgos. Die „Grandeza“ wird gegenwärtig vom König teils als persönliche Auszeichnung, teils erblich erteilt und führt das Prädikat „Exzellenz“. Die Titulados sind Familien, welche von alters her den stets nur auf den ältesten Sohn übergehenden Titel Herzog, Marquis, Graf, Visconde oder Baron führen. Der äußerst zahlreiche niedere Adel zerfällt in Ritter- und Briefadel. Aber weder der hohe noch der niedere Adel hat irgend welche politische Vorrechte. Das Prädikat „Don“, früher nur dem hohen Adel zustehend, wird jetzt jedem gebildeten Mann gegeben. Die Gemeindeverfassung datiert in ihrer jetzigen Form von 1845 und ist, wie auch die Provinzialverfassung, im wesentlichen der französischen nachgebildet. In jeder Provinz sind Provinzialdeputationen eingesetzt, deren Mitglieder von den Gemeindevertretungen gewählt werden. Jede Gemeinde von mindestens 30 Mitgliedern hat ihre eigne Gemeindevertretung (ayuntamiento), welche auf zwei Jahre gewählt wird, und welcher der Alkalde, der zugleich Friedensrichter ist, präsidiert. Die Alkalden werden von den Gemeinden alljährlich neu gewählt, aber von der Regierung bestätigt.
An der Spitze der gesamten Staatsverwaltung steht der Ministerrat (consejo de ministros), dem der königliche Staatsrat (consejo de estado) zur Seite steht. Der Staatsrat besteht aus 33 Räten, die vom König ernannt werden, und den Ministern, berät in seinen den Ministerien entsprechenden Sektionen Regierungsmaßregeln und entscheidet über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichts- und Verwaltungsbehörden. Königliche Ministerien sind: das Ministerium des Äußern (zugleich für die Angelegenheiten des königlichen Hauses), das Ministerium der Gnaden und Justiz (auch für den Kultus), das Kriegsministerium, das Marineministerium, das Finanzministerium, das Ministerium des Innern (ministerio de la gobernacion, auch für das Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen), das Ministerium für die Volkswirtschaft (ministerio de fomento, für Landwirtschaft, Bergbau, Industrie, Handel, Bauten und Unterrichtswesen) und das Ministerium der Kolonien (ministerio de ultramar). Selbständig ist der Rechnungshof. Zur Leitung der Provinzialverwaltung stehen an der Spitze der 49 Provinzen für die gesamte innere und Steuerverwaltung die Gouverneure, welchen die Provinzialdeputationen und deren permanente Kommissionen beigegeben sind. Ferner bestehen in jeder Provinz eine Sanitätsjunta und eine Hauptpostverwaltung. Die Polizei wird in den Gemeinden von den Alkalden, in größern Städten von besondern Polizeikommissaren, unter Aufsicht des Gouverneurs, gehandhabt. Für die Militärverwaltung sind 16 Generalkapitanate und unter diesen Provinzialmilitärgubernien, für die Marine 3 Departements (Generalkapitanate) errichtet. Die Kolonialverwaltung besteht für jede Kolonie aus einer Regierung mit dem Generalkapitän, dem obersten Militärkommandanten und einem Zivilgouverneur, welch letzterer unmittelbar vom König dependiert. Der Volksvertretung ist keine Beteiligung dabei eingeräumt.
Die Gerichtsverfassung beruht auf Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens und Geschwornengerichten. Römisches Recht und Landrecht bilden die Grundlage des Rechtswesens; die in den baskischen Provinzen bisher geltenden Sonderrechte (fueros) wurden 1876 aufgehoben. Die unterste Instanz bilden die Alkalden der Gemeinden als Friedensrichter. Außerdem bestehen noch 500 Untergerichtsbezirke (partidos) mit je einem Gerichtshof erster Instanz. Diese sind verteilt unter 15 Ober- oder Appellationsgerichtshöfe [75] (audiencias territoriales). Die oberste Instanz bildet der höchste Gerichtshof zu Madrid. In Preßprozessen erkennen Geschwornengerichte. Außer diesen ordentlichen Gerichten bestehen noch: geistliche und Militärgerichte, das Tribunal de hacienda publica in Steuersachen, Handelsgerichte, Berggerichte sowie Gerichte für das Post- und Straßenwesen. Das spanische Zivilgerichtsverfahren ist jetzt auch in den Kolonien Cuba und Puerto Rico eingeführt.
Die Budgetvoranschläge für das Finanzjahr 1888/89 ergaben (in Pesetas):
A. Einnahmen. | |
Direkte Steuern | 310983000 |
Indirekte Steuern | 314294394 |
Zölle | 172993000 |
Staatsmonopole etc. | 21198038 |
Nationalgüter | 7944000 |
Staatsschatz | 24255500 |
Zusammen: | 851667932 |
B. Ausgaben. | |
Zivilliste | 9350000 |
Cortes | 1940205 |
Staatsschuld | 279099611 |
Gerichtshöfe | 1361276 |
Pensionen | 50593826 |
Ministerpräsidium | 1148959 |
Auswärtiges | 5300620 |
Gnaden und Justiz | 59092859 |
Krieg | 154720262 |
Marine | 26683627 |
Inneres | 31186581 |
Öffentliche Arbeiten | 100385507 |
Unterricht | |
Finanzen | 20826781 |
Verwaltung der Steuern | 106967871 |
Zusammen: | 848657985 |
Die Staatsschuld, welche in den 70er Jahren bereits einen Stand von 12,000 Mill. Pesetas überschritten hatte, wurde seither durch eine umfassende Konversion um mehr als die Hälfte verringert; am 1. Jan. 1887 belief sie sich schon wieder auf ein Kapital von 6334 Mill. Pesetas; die Jahreszinsen betrugen 238 Mill. Pesetas.
Das Kriegswesen Spaniens ist nach der Beendigung des Bürgerkriegs in den Jahren 1877 und 1878 neu organisiert worden. Hiernach besteht in S. das System der allgemeinen Wehrpflicht, jedoch mit Loskauf (für gebildete junge Leute vom Dienst in der aktiven Armee) und Stellvertretung (unter Brüdern). Die Militärpflicht beginnt mit dem 20. Lebensjahr und dauert 12 Jahre (3 Jahre in der aktiven Armee, 3 Jahre in der Reserve derselben und 6 Jahre in der zweiten Reserve). Die Ergänzung der Kriegsflotte erfolgt nach denselben Prinzipien aus der seemännischen Bevölkerung. Die Kolonialtruppen werden teils durch die Bewohner der überseeischen Besitzungen, teils durch die Ausgehobenen im Mutterland ergänzt. Die Truppen des Heers sind: a) Infanterie: 61 Linienregimenter zu 2 Bataillonen und 21 Jägerbataillone, alle diese zu je 4 Feld- und 2 Depotkompanien, 140 Reservebataillone und 140 Depotbataillone zu 6 Kompanien (davon 2 in Kadrestärke), 31 Disziplinarbataillone; a) Kavallerie: 1 Eskadron königlicher Garden, 28 Regimenter (8 Ulanen-, 14 Jäger-, 4 Dragoner- und 2 Husarenregimenter) zu 4 Eskadrons, 28 Reserveregimenter; c) Artillerie: 5 Regimenter zu 4 Batterien Korpsartillerie, 5 Regimenter zu 6 Batterien Divisionsartillerie, 1 reitende Batterie, 2 Gebirgsartillerieregimenter (zu 6 Bataillonen), 1 Regiment Belagerungsartillerie (mit 4 Batterien), 9 Bataillone Festungsartillerie, 7 Reserveregimenter; die Batterie zählt im Frieden 4, im Krieg 6 Geschütze; d) Ingenieurtruppen: 4 Regimenter Sappeure und Mineure (zu 2 Bataillonen), 4 Reserveregimenter, 1 Pontonierregiment, 1 Eisenbahn- und 1 Telegraphenbataillon; e) die Guardia civil (Gendarmerie), die Karabiniere (Zoll- und Grenzwache) und die Provinzialmiliz auf den Kanarischen Inseln (letztere mit 7 Bataillonen). Der Friedens- und Kriegsstand betragen:
im Frieden | im Krieg | |||
Infanterie | 83808 | Mann | 734679 | Mann |
Kavallerie | 14364 | „ | 21452 | „ |
Artillerie | 11340 | „ | 30355 | „ |
Ingenieurtruppen | 4279 | „ | 7163 | „ |
Andre Formationen | 2422 | „ | 9538 | „ |
Zusammen: | 116213 | Mann | 803187 | Mann |
Die Kavallerie verfügt im Frieden über 10,233, im Krieg über 17,205 Pferde, die Artillerie zählt im Frieden 392, im Krieg 460 Geschütze. Hierzu kommen dann die Guardia civil mit 15,302 und die Karabiniere mit 10,940 Mann sowie die selbständigen Kolonialtruppen (39,924 Mann). Die Kriegsflotte ist verhältnismäßig sehr bedeutend an Zahl der Schiffe, doch entspricht nur der geringste Teil derselben den modernen Anforderungen an gefechtstüchtige Schiffe. Es ist deshalb der Plan einer Reorganisation der Flotte beschlossen und der Bau einer Anzahl neuer Schlachtschiffe, Kreuzer, Kanonen- und Torpedoboote teils in Angriff, teils in Aussicht genommen worden. Ende 1886 umfaßte die Flotte:
4 | Panzerschiffe | 74 | Kanonen, | 13300 | Pferdekr. |
13 | Torpedoboote | 4 | „ | 10444 | „ |
11 | Kreuzer u. Korvetten | 94 | „ | 38135 | „ |
63 | andre Dampfer | 95 | „ | 11775 | „ |
20 | Schulschiffe u. Hulks | 246 | „ | 13000 | „ |
Zusammen: 111 Fahrzeuge | 513 | Kanonen, | 86654 | Pferdekr. |
Die Bemannung beträgt 14,000 Köpfe; außerdem bestehen 3 aktive und 3 nicht aktive Regimenter Marineinfanterie (zu 2 Bataillonen), die aktiven mit 7033 Mann; hierzu kommen 400 Maschinisten, 180 Bootsleute, 1500 Arsenalarbeiter etc.
Das königliche Wappen (s. Tafel „Wappen“) besteht aus einem in vier Felder abgeteilten Schild mit einem Mittelschild, welcher durch das Wappen des Hauses Bourbon-Anjou, drei goldene Lilien im blauen Feld, gebildet wird. Das erste Quartier enthält die Wappen von Kastilien (drei goldene Türme im roten Feld) und Leon (ein gekrönter roter Löwe im silbernen Feld) und zwar doppelt, indem es kreuzweise in Felder abgeteilt ist. Zwischen seinen beiden untersten Feldern befindet sich das Wappen von Granada, ein aufgesprungener Granatapfel im roten Felde. Das zweite, der Quere nach gespaltene Quartier enthält die Wappen von Aragonien (vier rote Pfähle im goldenen Feld) und des Königreichs beider Sizilien. Das dritte, ebenfalls geteilte Quartier zeigt oben das Wappen des Erzhauses Österreich, unten das der alten Herzöge von Burgund, das vierte Quartier aber das neuburgundische Wappen, unten das Wappen von Brabant. Der ganze Wappenschild ist mit der Kette des Goldenen Vlieses umgeben und mit der königlichen Krone bedeckt; als Schildhalter dienen zwei aufrechte Löwen. Als gewöhnliches Wappen dient bloß der Wappenschild von Kastilien und Leon mit dem Wappen von Bourbon-Anjou im Mittelschild. Die Landesfarben sind Rot und Gelb. Die Flagge (s. Tafel „Flaggen“) ist in drei horizontale Streifen, zwei rote und einen gelben (in der Mitte), geteilt, die königliche mit dem Wappen im Mittelstreifen versehen. S. hat zehn Ritterorden: den Orden des Goldenen Vlieses (toison de oro), 1431 gestiftet, in einer Klasse, nur für Souveräne, Prinzen und Granden von S.; den Orden Karls III. (s. Tafel „Orden“), 1773 gestiftet, in drei Klassen; den Damenorden der Königin Maria Luise, 1792 gestiftet, in einer Klasse; den amerikanischen Orden Isabellas der Katholischen, 1815 gestiftet, in drei Klassen; den Militärorden von San Fernando, 1815 gestiftet, [76] in fünf Klassen; den Militärorden von St. Hermenegild, gleichfalls 1815 gestiftet, in drei Klassen; den Militärorden von Santiago, 1175 gestiftet, in vier Klassen; den Militärorden von Calatrava, 1058 gestiftet, in einer Klasse; den Militärorden von Alcantara, 1177 gestiftet, in drei Klassen; den Orden von Montesa, 1319 gestiftet, in einer Klasse. Außer diesen Orden bestehen noch mehrere Ehrenzeichen für Militärs. Königliche Residenz ist Madrid. Den Mai pflegt der Hof nach altem Herkommen in Aranjuez, den Sommer in San Ildefonso (La Granja), den Herbst im Escorial und in Pardo zuzubringen.
[Litteratur.] M. Willkomm in Stein-Hörschelmanns „Handbuch der Geographie“ (Leipz. 1862); Derselbe, Die Pyrenäische Halbinsel (Prag 1884); Carrasco, Geografia general de España (Madr. 1861 ff.); Coello, Reseña geografica de España (das. 1859); Mingote y Tarazona, Geografia de España y sus colonias (das. 1887); „Diccionario geografico-historico de España por la Real Academia de la historia“ (das. 1802–46, 8 Bde.); Madoz, Diccionario geografico-historico-estadistico de España (das. 1846–50, 16 Bde.); Mariana y Sanz, Diccionario geografico, estadistico, municipal de España (Valencia 1886); Martinez Alcubilla, Diccionario de la administracion española (4. Aufl., Madr. 1886 ff.); Cuendias, S. und die Spanier (Brüssel 1851); v. Minutoli, S. und seine fortschreitende Entwickelung (Berl. 1852); Lestgarens, La situation économique et industrielle de l’Espagne en 1860 (Par. 1860); Garrido, Das heutige S. (deutsch von A. Ruge, Leipz. 1863); Davillier, L’Espagne (Par. 1873, illustriert von Doré); Simons, S. in Schilderungen (illustr. von Wagner, Berl. 1880); Lauser, Aus Spaniens Gegenwart. Kulturskizzen (Leipz. 1872); Parlow, Kultur und Gesellschaft im heutigen S. (das. 1888); die Reiseschilderungen von v. Minutoli, Huber, Cook, O’Shea, Th. Gautier, E. Quinet, Boissier, v. Rochau, Willkomm, v. Quandt, Ziegler, Roßmäßler, Wachenhusen, Hackländer, v. Wolzogen, W. Mohr (Köln 1876, 2 Bde.), Lauser (Berl. 1881), de Amicis (deutsch, Stuttg. 1880), Bark (Berl. 1883), Passarge (Leipz. 1884), Th. v. Bernhardi (Berl. 1886), Parlow (Wien 1889); Reisehandbücher von Murray (6. Aufl., Lond. 1882), O’Shea (6. Aufl., Edinb. 1878), Roswag (Madr. 1879), Germond de Lavigne (3. Aufl. 1880); die amtlichen Publikationen („Annuario estadistico de España“, die Handels- und Schiffahrtsausweise, „Guia oficial de España“); das „Boletin de la Sociedad geografica de Madrid“; Vizaino, Atlas geografico español (Madr. 1860); eine topographische Karte wird auf Grund der Landesvermessung unter Leitung von Ibañez seit 1878 veröffentlicht; bis zu ihrer Vollendung dient Coello, Atlas de España (1 : 200,000), als offizielle Karte; geologische Übersichtskarten lieferte F. de Botella (1 : 1,000,000, 1875, und 1 : 2,000,000, 1880).
[Die Zeit der Römer und Westgoten.] Die Ureinwohner der Pyrenäischen Halbinsel waren die Iberer, von denen die ganze Halbinsel Iberien hieß. Mit ihnen verschmolzen die in vorhistorischer Zeit über die Pyrenäen aus Gallien eingewanderten Kelten nach langen Kämpfen zu dem Volk der Keltiberer. Um 1100 v. Chr. siedelten sich Phöniker an der Südküste an; unter ihren Kolonien war Cadiz (Gades) die berühmteste. Sie nannten das Land nach dem im Thal des Bätis (Guadalquivir) wohnenden Volk der Turdetaner Tarschisch (griech. Tartessos). Später setzten sich Griechen an der Ostküste fest. Nach dem ersten Punischen Krieg eroberten die Karthager 237–219 den Süden und Osten der Halbinsel; Neukarthago (Cartagena) wurde ihre wichtigste Niederlassung. In dem zweiten Punischen Krieg aber, der zum Teil in S. geführt wurde, verloren sie diese Besitzungen wieder (206). Die Römer suchten nun das ganze Land unter ihre Botmäßigkeit zu bringen, was ihnen jedoch erst nach 200jährigen blutigen Kämpfen gelang. Namentlich die Keltiberer und die Lusitanier (unter Viriathus) leisteten hartnäckigen Widerstand, und die Kantabrer wurden erst 19 v. Chr. unter Augustus bezwungen, der S. anstatt wie bisher in zwei Provinzen (Hispania citerior und H. ulterior) in drei, Lusitania, Baetica und Tarraconensis, einteilte, von welch letztern größten Provinz unter Hadrianus die neue Provinz Gallaecia et Asturia abgezweigt wurde. Nur die Basken behaupteten in ihren Gebirgen ihre Unabhängigkeit. Da die Römer das Land mit vielen Militärstraßen durchzogen und zahlreiche Soldatenkolonien anlegten, so wurde S. sehr rasch romanisiert, bald ein Hauptsitz römischer Kultur und eins der blühendsten Länder des römischen Weltreichs, dem es mehrere seiner tüchtigsten Kaiser (Trajan, Hadrianus, Antoninus, Marcus Aurelius, Theodosius) u. angesehene Schriftsteller (Seneca, Lucanus, Martialis, Flavius, Quintilian u. a.) gab. Handel und Verkehr blühten, Gewerbe und Ackerbau standen auf einer hohen Stufe der Vervollkommnung, und die Bevölkerung war eine äußerst zahlreiche. Frühzeitig gewann auch das Christentum hier Anklang und breitete sich trotz blutiger Verfolgungen mehr und mehr aus, bis es durch Konstantin auch hier herrschende Religion ward.
Zu Anfang des 5. Jahrh., als der innere Verfall des römischen Reichs auch seine äußere Macht erschütterte, drangen die germanischen Völkerschaften der Alanen, Vandalen und Sueven verwüstend in S. ein und setzten sich in Lusitanien, Andalusien und Galicien fest, während die Römer sich noch eine Zeitlang im östlichen Teil der Halbinsel behaupteten. 415 erschienen die Westgoten (s. Goten, S. 537), anfangs als Bundesgenossen der Römer, in S. und verdrängten bald die andern germanischen Stämme; ihr König Eurich entriß den Römern auch den letzten Rest ihres Gebiets, und Leovigild unterwarf nach gänzlicher Unterjochung der Sueven 582 die ganze Halbinsel der westgotischen Herrschaft. Sein Sohn und Nachfolger Reccared I. trat mit seinem Volk vom arianischen zum katholischen Glauben über (586) und bahnte dadurch die Verschmelzung der Goten mit den Römern zu einem romanischen Volk an. Allerdings hatte dieser Schritt noch die andre Folge, daß die katholische Geistlichkeit übermäßige Macht erlangte und im Bund mit dem Adel die sich schon befestigende Erblichkeit der Krone verhinderte, um bei der Wahl jedes neuen Oberhauptes die königliche Gewalt möglichst einzuschränken. Als 710 König Witiza von dem Klerus und dem Adel unter Führung des Grafen Roderich gestürzt und getötet wurde, riefen seine Söhne die Araber von Afrika zu Hilfe, welche 711 unter Tarik bei Gibraltar landeten und dem westgotischen Reich nach fast 300jähriger Dauer durch den Sieg bei Jeres de la Frontera (19.–25. Juli d. J.) ein Ende machten. Fast ganz S. wurde in kurzer Zeit von den Arabern erobert und ein Teil des großen Kalifats der Omejjaden.
Die Araber (Mauren) verfuhren in der ersten Zeit sehr schonend gegen die alten Einwohner und ließen [77] ihr Eigentum, ihre Sprache und Religion unangetastet. Ihre Herrschaft erleichterte den untern Klassen sowie den zahlreichen Juden ihre Lage, und der Übertritt zum Islam verschaffte den hart bedrückten Leibeignen die ersehnte Freiheit. Aber auch viele Freie und Angesehene traten zum Islam über; denen, die Christen blieben, wurden bloß Steuern auferlegt. Den aufreibenden Zwistigkeiten und blutigen Fehden, welche Ehrgeiz und Herrschsucht der arabischen Häuptlinge in dieser entfernten Provinz des Kalifats hervorriefen, machte 755 der bei der Vernichtung durch die Abbassiden einzig übriggebliebene Sproß der Omejjaden, Abd ur Rahmân, ein Ende, welcher nach S. flüchtete und hier, vom Volk mit Jubel begrüßt, ein eignes Reich mit der Hauptstadt Cordova, das sogen. Kalifat von Cordova, gründete, welches er auch bis zu seinem Tod (788) behauptete und auf seine Nachkommen vererbte. Obwohl diese ebenfalls wiederholte Empörungen der Statthalter und andre durch Thronansprüche und Abgabendruck hervorgerufene Unruhen zu bekämpfen hatten, so konnten sie doch Künste und Wissenschaften pflegen und die friedliche Entwickelung von Gewerbe, Handel und Ackerbau schützen. Wohlstand und Bildung mehrten sich, und Cordova ward ein glänzender Herrschersitz. Unter Abd ur Rahmân III. (912–961) erreichten arabische Kunst und Wissenschaft in S. ihre höchste Blüte. Volkreiche Städte schmückten das Land; das Gebiet des Guadalquivir soll allein 12,000 bewohnte Orte gezählt haben. Cordova hatte 113,000 Häuser, 600 Moscheen, darunter die prachtvolle Hauptmoschee, und herrliche Paläste, darunter den Alkazar; mit Cordova wetteiferten andre Städte, wie Granada mit der Alhambra, Sevilla, Toledo u. a. In gleichem Sinn wie Abd ur Rahmân III. regierte sein als Dichter und Gelehrter ausgezeichneter Sohn Hakem II. (961–976), wogegen unter dem schwachen Hischam II. (976–1013) das Kalifat zu sinken begann. Es gelang den Arabern nicht, mit den altspanischen Einwohnern sich zu verschmelzen und ein Staatswesen mit feststehenden gesetzlichen Ordnungen zu begründen. Despotismus und Anarchie wechselten miteinander ab: bald zerriß der ganze Reichsverband, wenn die Statthalter und hohen Befehlshaber den Gehorsam verweigerten; bald lag das Land blutend und demütig zu Füßen des Herrschers, wenn diesem die Unterdrückung der Empörer mittels fremder Söldnerscharen gelungen war. Das Volk verfiel in Genußsucht und Verweichlichung und ließ willenlos alles über sich ergehen. Der berühmteste unter den kriegerischen Statthaltern Hischams II. war Mansur, der ebenso kunstsinnig und klug wie tapfer und gewaltthätig den Staat mit unumschränkter Macht leitete, Santiago, den heiligen Apostelsitz Galiciens, zerstörte (994) und die Christen in vielen blutigen Fehden überwand, bis er endlich an den Wunden, die er in der heißen Schlacht am Adlerschloß (Kalat Nosur) unweit der Quellen des Duero in kühnem Handgemenge empfangen, in den Armen seines Sohns Abd al Malik Modhaffer starb (1002). Nach dem Tode dieses (1008), der mit gleicher Kraft wie sein Vater regierte, machten die Statthalter ihr Amt erblich und gründeten sich unabhängige Herrschaften; um den Thron wurde mit wilder Erbitterung gekämpft, und der letzte omejjadische Kalif, Hischam III., wurde 1031 durch einen Aufstand in Cordova gestürzt. Diesen Zustand benutzend, griffen die christlichen Spanier die Araber immer erfolgreicher an und drängten sie allmählich in den südlichen Teil der Halbinsel zurück.
Nur in den nördlichen Gebirgen, in Asturien, hatten Scharen flüchtiger Westgoten ihre Unabhängigkeit behauptet und sich unter der Herrschaft des tapfern Pelayo (Pelagius) vereinigt, der, ein Nachkomme des westgotischen Königs Receswinth, 718 (oder 734) ein arabisches Heer besiegt haben und darauf zum König ausgerufen worden sein soll; er wird deshalb el restaurador de la libertad de los Españoles genannt. Sein durch Wahl erhobener zweiter Nachfolger, Alfons I. (739–757), auch ein Abkömmling jenes Westgotenkönigs und Sohn des Herzogs Peter von Kantabrien, vereinigte dieses Land mit Asturien. Alfons II. (791–842) drang auf seinen verheerenden Streifzügen gegen die Araber bis zum Tajo vor und eroberte das Baskenland im Osten, Galicien bis zum Minho im Westen. Gleichzeitig wurde im Nordosten Spaniens von den Franken die Spanische Mark gegründet und die Herrschaft des Christentums in Katalonien durch zahlreiche Einwanderer gesichert. In den fast ununterbrochenen Kämpfen mit den Ungläubigen bildete sich ein christlicher Lehnsadel, welcher durch ritterliche Tapferkeit zugleich Ruhm, weltlichen Besitz und das ewige Seelenheil zu erlangen strebte. So bildeten sich nördlich vom Duero und Ebro allmählich vier christliche Ländergruppen, welche sich durch feste Institutionen, Reichstage, Gesetzsammlungen und den Ständen zugesicherte Rechte (Fueros) zu konsolidieren bemüht waren: 1) im Nordwesten Asturien, Leon und Galicien, welche nach vorübergehenden Teilungen im 10. Jahrh. unter Ordoño II. und Ramiro II. zu dem Königreich Leon vereinigt wurden, das 1057 nach kurzer Unterwerfung unter Navarra von Sancho Mayors Sohn Ferdinand mit den neuen Eroberungen im Süden als Königreich Kastilien verbunden wurde; 2) das Baskenland, welches mit benachbartem Gebiet von Sancho Garcias zum Königreich Navarra erhoben wurde, unter Sancho Mayor (1031–35) das ganze christliche Gebiet Spaniens beherrschte, 1076–1134 mit Aragonien vereinigt, seitdem aber wieder selbständig war; 3) das Gebiet am linken Ebro, Aragonien, seit 1035 selbständiges Königreich; 4) die aus der Spanischen Mark entstandene erbliche Markgrafschaft Barcelona oder Katalonien.
Trotz dieser Zersplitterung zeigten sich die christlichen Reiche den Arabern gewachsen. Als nach dem Untergang der Dynastie der Omejjaden (1031) das Araberreich in mehrere Teile unter besondere Dynastien in Sevilla, Toledo, Valencia und Saragossa zerfallen war, gerieten 1085 Toledo, das Haupt von S., dann Talavera, Madrid und andre Städte in die Gewalt der Christen. Die vom Emir von Sevilla zu Hilfe gerufenen Almorawiden aus Afrika befestigten zwar den Islam durch ihre Siege bei Salaca (1086) und bei Ucles (1108) und rissen die Herrschaft über das arabische S. an sich; aber der Glaubenseifer und Kampfesmut der Christen erhielt durch die gleichzeitige Bewegung der Kreuzzüge ebenfalls einen neuen Aufschwung. Alfons I. von Aragonien, der durch seine Vermählung mit Urraca, der Erbtochter von Kastilien, zeitweilig (bis 1127) dies Reich mit Aragonien vereinigte und sich Kaiser von Hispanien nannte, eroberte 1118 Saragossa und machte es zu seiner Hauptstadt. Auch nach der Trennung von Kastilien und Aragonien blieben beide Reiche zum Kampf gegen die Ungläubigen verbunden, und letzteres Reich ward durch die Vereinigung mit Katalonien infolge der Heirat der aragonischen [78] Erbtochter Petronella mit Raimund Berengar II. von Barcelona 1137 bedeutend vergrößert und gekräftigt. Nun erlangten die Christen bald völlig die Oberhand über die Araber. Als die Herrschaft der Almorawiden in Afrika 1147 von den Almohaden gestürzt wurde, riefen jene, um sich in S. zu behaupten, die Christen zu Hilfe, welche sich Almerias und Tortosas bemächtigten. Gegen die Almohaden, welche auch das südliche S. unter ihre Gewalt brachten, bewährten besonders die spanischen Ritterorden ihre glaubensmutige Tapferkeit und machten die Niederlage bei Alarcos (1195) durch den glänzenden Sieg bei Naves de Tolosa (16. Juli 1212) wieder gut, welcher den Sturz der Almohadenherrschaft zur Folge hatte. In Andalusien gründete Aben Hud (Motawakkel) eine Dynastie, welche sich unter den Schutz der Abbassiden von Bagdad stellte; in Valencia regierte eine andre arabische Dynastie. Durch die Schlacht bei Merida (1230) wurde Estremadura den Arabern entrissen; nach dem Sieg bei Jeres de la Guadiana (1233) eroberte Ferdinand III. von Kastilien 1236 Cordova, 1248 Sevilla und 1250 Cadiz. Die Moslemin wanderten zu Tausenden nach Afrika oder nach Granada und Murcia aus, aber auch diese Reiche mußten die Oberherrschaft Kastiliens anerkennen. Die unter kastilischer Herrschaft zurückgebliebenen Mohammedaner nahmen mehr und mehr die Religion und die Lebensformen der Sieger an, und zahlreiche vornehme Araber traten nach empfangener Taufe in den spanischen Adel ein.
Wie sehr durch die Siege Ferdinands III. die Macht Kastiliens (s. d.) gestiegen war, so blieb es doch auch nicht von innern Wirren verschont, welche namentlich unter dem Beschützer der Künste und Wissenschaften, König Alfons X., dem Weisen (1252–84), das Reich zerrütteten und die Macht des Adels vermehrten. Auch unter Sancho IV. (1284–95), Ferdinand IV. (1295–1312) und Alfons XI. (1312–50) dauerten die Zwistigkeiten in der Königsfamilie fort. Ordnung und Zucht lösten sich auf, das königliche Ansehen schwand, die Krongüter wurden entfremdet, Gemeinden, Korporationen und mächtige Edelleute griffen zur Selbsthilfe und befreiten sich von jeder Obrigkeit. Dennoch errangen die Kastilier über die Araber große Erfolge; sie erfochten 1340 den glänzenden Sieg bei Salado und schnitten durch Eroberung von Algeziras Granada von der Verbindung mit Afrika ab, so daß dessen Fall nur eine Frage der Zeit war. Auch das Reich Aragonien (s. d.) nahm einen mächtigen Aufschwung. Jakob I. (Jaime), der von 1213 bis 1276 regierte, unterwarf 1229–33 die Balearen, 1238 Valencia und drang erobernd in Murcia ein; sein Sohn Pedro III. (1276–85) entriß 1282 den Anjous die Insel Sizilien; Jakob II. (1291–1327) eroberte Sardinien und setzte 1319 auf dem Reichstag zu Tarragona die Unteilbarkeit seines Reichs fest. Freilich mußten die aragonischen Könige diese Eroberungen mit großen Zugeständnissen an die Stände (Cortes) erkaufen, besonders durch das Generalprivilegium von Saragossa (1283), welches Aragonien fast in eine Republik verwandelte. In beiden Reichen war unter den Ständen der Klerus der mächtigste: jeder Sieg über die Ungläubigen vermehrte seine Rechte und seinen Reichtum, durch prunkvollen Kultus und phantastische Mystik bemächtigte er sich des Volksgeistes und pflanzte ihm einen verfolgungssüchtigen Religionsfanatismus ein. Der hohe Adel maßte sich das Recht an, dem König die Treue aufzusagen; nicht bloß er, auch die niedern Adligen waren steuerfrei. Aber auch Städte und Landgemeinden erhielten ihre verbrieften Sonderrechte (Fueros). In Aragonien waren die Rechte der Unterthanen dem König gegenüber durch den Gerichtshof der Justicia geschützt. Die Stände traten in beiden Reichen zu Reichstagen (Cortes) zusammen, welche über Wohlfahrt und Sicherheit des Reichs, Gesetzgebung und Besteuerung berieten. Handel und Gewerbe standen in den volkreichen Städten unter dem Schutz weiser Gesetze; an den Höfen wurde die Dichtkunst der Troubadoure gepflegt.
Am besten wurden die Dinge in Aragonien geordnet, von Pedro IV. (1336–87) nach dem Sieg über die Union von Epila (1348) auch das Waffenrecht des Adels beseitigt, und daher kam es, daß in diesem Reich nach dem Erlöschen der alten Dynastie mit Martin (1395–1410) die kastilische Dynastie, welche mit Ferdinand I. (1412–16) den Thron bestieg, die Herrschaft auch über die Nebenlande: Balearen, Sardinien und Sizilien, behauptete und auf kurze Zeit auch Navarra wiedererwarb. In Kastilien dagegen waren der hohe Adel und die Ritterorden von Santiago, Calatrava und Alcantara übermächtig. Mit Hilfe der Städte, welche eine Verkaufs- und Verbrauchssteuer, die Alcavala, bewilligten, suchte sich das Königtum eine freiere, unabhängigere Stellung gegenüber der Feudalaristokratie zu verschaffen. Aber Peter der Grausame (1350–69) machte den Erfolg dieser Bemühungen durch seine wilde Leidenschaft und grausame Tyrannei wieder zu nichte. Er wurde 1366 von seinem Halbbruder Heinrich von Trastamara mit Hilfe französischer Söldnerscharen vertrieben und, nachdem ihn der schwarze Prinz durch einen Zug über die Pyrenäen wieder auf den Thron erhoben, durch die Niederlage bei Montiel (14. März 1369) von neuem gestürzt und kurz darauf ermordet. Heinrich II. (1369–79), welcher Viscaya erwarb, und Johann I. (1379–90) schwächten das Königtum durch unglückliche Versuche, Portugal zu erobern, welches 1385 in der Schlacht bei Aljubarrota seine Unabhängigkeit siegreich verteidigte. Heinrich III. (1390–1406) stellte die Ordnung wieder her und nahm die Kanarischen Inseln in Besitz. Von neuem wurde jedoch Kastilien zerrüttet unter der langen, aber schwachen Regierung Johanns II. (1406–54); das Unternehmen seines Günstlings de Luna, ein absolutes Königtum zu errichten, endete mit dessen Sturz (1453). Der steigenden Verwirrung unter Heinrich IV. (1454–74) wurde endlich durch die Thronbesteigung seiner Schwester Isabella ein Ende gemacht. Dieselbe besiegte den König Alfons von Portugal, der als Gemahl der unechten Tochter Heinrichs IV., Johanna Beltraneja, auf Kastilien Anspruch machte, 1476 bei Toro und zwang ihn zum Frieden von Alcantara; darauf unterjochte sie die ihr feindliche Partei der Großen mit Waffengewalt. Und als König Ferdinand von Sizilien, mit dem sie sich 1469 vermählt hatte, durch den Tod seines Vaters Johann II. von Aragonien 1479 König dieses Reichs geworden war, wurde durch Vereinigung der kastilischen und der aragonischen Krone das Königreich S. geschaffen.
Die Thronbesteigung des Königspaars Ferdinand und Isabella bewirkte aber nicht nur die Vereinigung der zwei Hauptreiche der Halbinsel, sondern auch ihre staatliche Reorganisation und die Begründung einer machtvollen Königsgewalt in derselben. Vor allem in Kastilien war der unbotmäßige Adel ein Haupthindernis für Aufrechterhaltung von [79] Recht und Frieden. Um diese zu sichern, wurde die „heilige Hermandad“, alte Verbrüderungen einzelner Städte zu gegenseitigem Schutz gegen Gewaltthaten, wieder belebt und zu einem Verein (Junta) der Städte und Landschaften zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit umgeschaffen, welcher 2000 berittene Gendarmen und zahlreiches Fußvolk zur Verfügung hatte, um die 1485 erlassene Gerichtsordnung durchzuführen. Die Großen wurden gezwungen, die geraubten Güter herauszugeben und den Fehden zu entsagen. Der Adel mußte sich den königlichen Gerichtshöfen beugen und auf alle königlichen Vorrechte, auch auf die hohen Staatsämter, welche jetzt nur nach Verdienst verliehen wurden, verzichten. Indem Ferdinand sich zum Großmeister der drei Ritterorden erwählen ließ, machte er sie zu Werkzeugen der Krone; die hohe Geistlichkeit wurde der königlichen Jurisdiktion unterworfen. Die Verwaltung wurde vorzüglich organisiert, die königlichen Einkünfte vermehrt, Künste und Wissenschaften gepflegt. Die Inquisition, welche in dem fanatischen Glaubenseifer des Volkes eine Hauptstütze fand, wütete nicht nur gegen Juden, Morisken und ketzerische Christen, sondern war auch ein Schreckmittel in der Hand der Krone, um Adel und Volk in Furcht und Unterwürfigkeit zu halten und jede freiheitliche Bewegung zu unterdrücken. Die zahlreichen Juden (160,000) wurden 1492 aus dem Reich vertrieben und die alleinige Herrschaft des Kreuzes auf der Iberischen Halbinsel durch die Eroberung von Granada (2. Jan. 1492) vollendet. Die gleichzeitige Entdeckung Amerikas eröffnete der spanischen Nation ein unermeßliches Feld ruhmvoller zivilisatorischer Thätigkeit und die Aussicht auf einen glänzenden Aufschwung des Handels und Gewerbes. Die militärische Tüchtigkeit der spanischen Heere bewährte sich zuerst in den Kämpfen um Italien, wo 1504 Neapel unter spanische Herrschaft gebracht wurde.
Erbin Ferdinands und Isabellas wurde die älteste Tochter, Johanna, welche mit ihrem Gemahl Philipp I., dem Sohn des deutschen Kaisers Maximilian I., nach Isabellas Tod (1504) zunächst in Kastilien zur Regierung kam; mit Philipp bestieg das Haus Habsburg den spanischen Thron. Als Philipp 1506 jung starb und Johanna wahnsinnig wurde, ward zum Vormund ihres Sohns Karl von den kastilischen Ständen Ferdinand erklärt, welcher 1509 Oran eroberte und 1512 Navarra mit seinem Reich vereinigte. Nach Ferdinands Tod (1516) übernahm Kardinal Jimenez die Regentschaft bis zur Ankunft des jungen Königs Karl I., welcher 1517 selbst die Regierung antrat und den verdienten Staatsmann sofort entließ. Da Karl 1519 auch zum deutschen Kaiser (Karl V.) gewählt wurde und deshalb schon 1520 Spanien wieder verließ, brach der Aufstand der Comuneros aus, welcher sich die Verteidigung der volkstümlichen Institutionen Spaniens gegen die absolutistischen Gelüste Karls und seiner niederländischen Räte zum Ziel setzte. Als die Comuneros aber einen durchaus demokratischen Charakter annahmen und, seitdem sie siegreich um sich griffen, eine völlige Umwälzung der Dinge anstrebten, wurden sie durch den Sieg des Adelsheers bei Villalar (21. April 1521) und durch die Hinrichtung ihres Führers Padilla unterdrückt. Karl V. erließ zwar nach seiner Rückkehr (Juli 1522) eine allgemeine Amnestie, benutzte aber den durch die Bewegung erregten Schrecken des Adels und der Städte, um, ohne die Formen und Institute der alten Volksfreiheit geradezu zu beseitigen, doch sie so eng zu begrenzen, daß die Cortes zu einem Widerstand gegen den Willen der Krone unfähig wurden, der Adel in einer übertriebenen Loyalität seine erste Pflicht sah und auch das Volk dem Königtum und seinen Weltherrschaftsplänen bereitwillig folgte. Ohne Zögern bewilligten fortan die Cortes die Gelder für die Kriege Karls V. gegen Frankreich, für die Unternehmungen gegen die seeräuberischen Mauren in Afrika, für die Unterdrückung des Schmalkaldischen Bundes in Deutschland. Für die Begründung einer habsburgischen Weltmacht und die Ausbreitung des römisch-katholischen Glaubens kämpften die spanischen Heere am Po, an der Elbe, in Mexiko und Peru. Dem Stolz der Spanier schmeichelte es, die gebietende Macht in Europa zu sein, ihrem Glaubenseifer, für die Ausrottung der Ketzerei, wie früher des Islam, zu streiten. Erfüllt von dem Ideal eines Siegs des wahren Glaubens durch Spaniens Macht, ließ das Volk die Wurzeln seiner Kraft verdorren. Mit Beifall sah es zu, wie die unglücklichen Morisken bedrückt und außer Landes getrieben, Tausende von Landsleuten von der Inquisition auf den Scheiterhaufen geschleppt, jede freie geistige Regung unterdrückt, jeder Widerstand gegen die unbeschränkte Königsgewalt niedergeschlagen ward, wie Gewerbe, Handel und Ackerbau durch ein willkürliches Steuersystem zu Grunde gerichtet wurden, um die Kriegskosten aufzubringen. Nicht bloß der Adel, auch Bürger und Bauern drängten sich zum Kriegsdienst; wer nicht in den Krieg zog, suchte in einem Staatsamt, wie gering es auch war, ein bequemes Brot; der bürgerliche und bäuerliche Erwerb wurde verachtet. Die Kirche bestärkte das Volk in dieser Sinnesrichtung und beutete sie zu ihrer Bereicherung aus; immer mehr Grund und Boden fiel an die Tote Hand und ward Weideland oder blieb öde und unbebaut, wogegen die Kirchen und Klöster den Bettelstolz durch ihre Almosen nährten. Der Handel ging an die Fremden über, welche S. und seine Kolonien für sich ausbeuteten.
Als Karl V. 1556 die Regierung niederlegte, wurden die österreichischen Besitzungen des Hauses Habsburg und die Kaiserkrone von S. wieder getrennt, das in Europa nur die Niederlande, die Franche-Comté, Mailand, Neapel, Sizilien und Sardinien behielt. Indes das Ziel der spanischen Politik blieb dasselbe und wurde mit noch mehr Fanatismus und mit noch rücksichtsloserer Vergeudung der Volkskraft verfolgt. S. wurde der Mittelpunkt einer mit großartigen Machtmitteln ins Werk gesetzten katholischen Reaktionspolitik, welche den Sieg des römischen Papismus zugleich über Türken und Ketzer erstreiten wollte. Zu diesem Zweck unterdrückte Philipp II. (1556–98) den Rest der politischen Freiheiten und unterwarf alle Stände einem unumschränkten Despotismus. Durch das furchtbare Werkzeug der Inquisition wurde jeder Unabhängigkeitssinn erstickt. Die drückenden Maßregeln gegen die Morisken reizten diese 1568 zu einem gefährlichen Aufstand, der erst 1570 nach den blutigsten Kämpfen erstickt wurde. 400,000 Morisken wurden aus Granada nach andern Teilen des Reichs verpflanzt, wo sie zu Grunde gingen. Die unaufhörlichen Kriege zehrten nicht nur die reichen Einkünfte der Kolonien auf, sondern zwangen den König, auf immer neue Mittel zu sinnen, seine Einnahmen zu vermehren; jedes Eigentum (außer dem der Kirche) und jedes Gewerbe wurde mit den drückendsten Steuern belegt, Schulden aller Art aufgenommen, aber nicht bezahlt, die Münze verschlechtert, Ehren und Ämter verkäuflich gemacht, schließlich sogen. Donativen, Zwangsanleihen, den [80] Einwohnern abgefordert. Dabei hatte die spanische Reaktionspolitik nicht einmal Erfolge aufzuweisen. Wohl bedeckten sich die spanischen Regimenter auf allen Schlachtfeldern mit Ruhm durch ihre Kriegskunst und Tapferkeit, aber sie verfielen auch in eine schreckliche moralische Verwilderung. Zwar siegte Juan d’Austria 1571 bei Lepanto über die türkische Seemacht; aber der Sieg wurde nicht benutzt, sogar Tunis ging wieder verloren. Albas Schreckensregiment in den Niederlanden rief deren Verzweiflungskampf hervor, welcher ungeheure Summen verschlang und Spaniens See- und Kolonialmacht einen tödlichen Schlag versetzte. Der Versuch, England der katholischen Kirche wieder zu unterwerfen, scheiterte 1588 mit dem Untergang der großen Armada. Die Einmischung in die Religionswirren Frankreichs hatte nur die Einigung und Kräftigung dieses Staats zur Folge. Die widerrechtliche Besetzung Portugals 1580 schädigte dies Land außerordentlich, brachte aber S. keinen Nutzen. Als Philipp II. 1598 starb, war die Bevölkerung auf 81/4 Mill. zurückgegangen, die eine Steuerlast von 280 Mill. Realen aufzubringen hatten. Dagegen hatte das Land 750 Bistümer, gegen 12,000 Klöster und 400,000 Geistliche, ferner 450,000 Beamte; außer diesen und dem verarmten Adel gab es fast nur noch Bettler, welche sich von den Almosen der Kirche nährten. Gleichwohl täuschte die glänzende Machtstellung, welche S. in Europa an der Spitze der katholischen Gegenreformation einnahm, die Regierung wie das Volk gänzlich über die wirkliche Lage. Von dem unerschütterten Selbstgefühl und der Begeisterung der Nation für ein ideales Ziel, die Macht und Einheit der Kirche, zeugt der außerordentliche Aufschwung, welchen am Anfang des 17. Jahrh. Dichtkunst, Malerei und Baukunst in S. nahmen.
Unter der Regierung des schwachen Königs Philipp III. (1598–1621), welcher sich ganz von seinem Günstling Lerma beherrschen ließ, wurden zwar die auswärtigen Kriege ohne Thatkraft geführt, 1609 sogar mit den Niederlanden ein Waffenstillstand geschlossen; aber durch das Gnadenedikt vom 22. Sept. 1609 wurden 800,000 Morisken vertrieben, und das fruchtbare Valencia verödete völlig. Philipp IV. (1621–65), welcher einen prächtigen Hof hielt und die Kunst pflegte und unterstützte, nahm die kriegerische Politik Philipps II. wieder auf. Im Bund mit Österreich wollte er die Alleinherrschaft des Papsttums wiederherstellen und ein habsburgisches Weltreich errichten. Der Krieg mit den freien Niederlanden begann von neuem. Im Dreißigjährigen Krieg kämpften wieder spanische Truppen in Deutschland und Italien, und der spanische Gesandte in Wien hatte in deutschen Angelegenheiten die entscheidende Stimme. Aber auf einmal brach das glänzende Gebäude schmählich zusammen, und es ergab sich, daß die Weltmacht Spaniens nur trügerischer Schein gewesen. Die offene Verletzung der provinzialen Sonderrechte durch den allmächtigen Minister Olivarez rief 1640 einen Aufstand in Katalonien hervor, dem der Abfall Portugals und Empörungen in andern Provinzen folgten. Portugal konnte gar nicht, Katalonien erst nach 13jährigem Kampf bezwungen werden. Das hierdurch tief getroffene S. war nun dem mächtig emporstrebenden Frankreich nicht mehr gewachsen. Nach 80jährigem Kampf mußte es 1648 im Frieden zu Münster die Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande und in Deutschland die Gleichberechtigung der Ketzer anerkennen. Im Pyrenäischen Frieden 1659 verlor es Roussillon und Perpignan sowie einen Teil der Niederlande an Frankreich, Dünkirchen und Jamaica an England. Als nach dem Tod Philipps IV. der schwächliche Karl II. (1665–1700) den Thron bestieg, erhob der französische König Ludwig XIV. als Gemahl von Philipps Tochter Maria Theresia Erbansprüche auf die spanischen Niederlande und wurde im sogen. Devolutionskrieg nur durch das Eingreifen der Tripelallianz daran verhindert, sich derselben ganz zu bemächtigen; im Frieden von Aachen 1668 erhielt er zwölf niederländische Festungen, im Frieden von Nimwegen wiederum eine Anzahl fester Plätze und die Franche-Comté; mitten im Frieden bemächtigte er sich 1684 Luxemburgs. S., welches einst ganz Europa mit seinen Heeren beherrscht hatte, über die Schätze beider Indien gebot, konnte jetzt seine Grenzen nicht mehr verteidigen und war auf den Beistand der früher so erbittert bekämpften Ketzer angewiesen. Die Seemacht war völlig zu Grunde gegangen, so daß S. seinen eignen Handel nicht zu beschützen vermochte, die Häfen verödeten, die Bevölkerung sich von den schutzlosen Küsten ins Innere zurückzog, Westindien ungestraft von den Flibustiern geplündert und gebrandschatzt wurde. Am Ende der Regierung Karls II. war die Bevölkerung auf 5,700,000 Seelen herabgesunken, von zahllosen Ortschaften war die Bevölkerung verschwunden, ganze Landstriche glichen Wüsten. Die Staatseinkünfte verminderten sich trotz des härtesten Steuerdrucks und fast räuberischer Finanzmaßregeln so, daß der König seine Dienerschaft nicht mehr bezahlen konnte, oft nicht einmal seine Tafel. Weder Beamte noch Soldaten wurden besoldet. Aus Geldmangel kehrte man in vielen Provinzen zum Tauschhandel zurück. Dies war die Lage Spaniens, als die spanischen Habsburger nach 200jähriger Herrschaft 3. Nov. 1700 mit Karl II. erloschen, dies das Resultat ihrer selbstmörderischen katholisch-absolutistischen Politik.
Durch den Streit, der zwischen Österreich und Frankreich über die Thronfolge in S. entstand, ward S. in einen verderblichen Krieg verwickelt (s. Spanischer Erbfolgekrieg). Es verlor in demselben zwar seine europäischen Nebenlande und Gibraltar, jedoch der Sieg des bourbonischen Prätendenten über den habsburgischen in S. selbst war für das Land ein Gewinn, weil er die Möglichkeit einer Regeneration versprach. Der neue König, Philipp V. (1700–1746), obwohl selbst von keiner großen Bedeutung, brachte doch aus seiner Heimat ein ganz andres Regierungssystem und neue Kräfte in das zerrüttete Staatswesen. Die Fremden, Franzosen und Italiener, welche Philipp an die Spitze der Behörden und des Heers stellte, und unter denen Alberoni hervorragte, führten nun, wenn auch in etwas gewaltsamer Weise und in nur beschränktem Umfang, die Grundsätze der französischen Staatsverwaltung durch: alle die einheitliche Staatsgewalt hemmenden Mißbräuche wurden beseitigt, Handel und Gewerbe, Wissenschaft und Kunst gefördert, die Privilegien der Provinzen aufgehoben, eine einheitliche Besteuerung und Steuererhebung eingerichtet. Die wohlthätigen Folgen einer zwar unumschränkten, aber thätigen und verständigen Königsmacht zeigten sich auch überraschend schnell. Aber als sie auch die Herrschaft der Kirche anfocht und deren Mißbräuche abschaffen wollte, stieß die Regierung beim Volk auf allgemeinen energischen Widerstand, dem Philipp V. unter dem Einfluß seiner zweiten Gemahlin, Elisabeth Farnese, nachgab; die Hierarchie feierte einen glänzenden Triumph, und die Kurie und die Inquisition [81] herrschten nach wie vor in S. Ebenso verderblich wurde für das wieder erstarkende Land der Rückfall in die alte Eroberungspolitik, welche sich besonders auf Erwerbung spanischer Besitzungen für spanische Infanten richtete. In der That wurden im polnischen und österreichischen Erbfolgekrieg (1738 und 1748) Neapel und Parma als bourbonische Sekundogenituren gewonnen. Aber sie waren mit der Zerrüttung der Finanzen und dem Stocken aller Reformen teuer erkauft. Gleichwohl war die einmal gegebene Anregung nicht fruchtlos: das Volk war wenigstens aus seiner Apathie aufgerüttelt und wendete sich wieder der Arbeit und wirtschaftlichen Unternehmungen zu.
Die Regierung des schwächlichen, hypochondrischen Ferdinand VI. (1746–59) war segensreich, weil sie sparsam und friedliebend war. In materieller Beziehung nahm das Land einen bedeutenden Aufschwung. Die Staatseinnahmen stiegen von 211 auf 352 Mill., trotz der erheblichen Steuererleichterungen, und obwohl die Verwaltung verbessert und reichlicher ausgestattet, eine stattliche Flotte geschaffen und die Zinsen der Staatsschuld bezahlt wurden, hatte man fast 100 Mill. jährlichen Überschuß. Wenn auch die Geistlichkeit noch 180,000 Personen zählte und ein Einkommen von 359 Mill. besaß, so ward ihre Macht durch das Konkordat von 1753 doch nicht unerheblich beschränkt, namentlich aber der finanziellen Ausbeutung des Landes durch die Kurie ein Ende gemacht. Einen bedeutenden Fortschritt aber in der Entwickelung zum modernen Staat bezeichnete die Regierung Karls III. (1759–88), des Stiefbruders Ferdinands VI., der, obwohl strenggläubig, doch vom damals herrschenden Staatsbewußtsein erfüllt und S. den andern Staaten ebenbürtig zu machen bestrebt war. Ihm standen bei seinen Reformen drei bedeutende Staatsmänner, Aranda, Floridablanca und Campomanes, zur Seite. Die unglückliche Beteiligung Spaniens am Krieg Frankreichs gegen England 1761–62 infolge des nachteiligen bourbonischen Familienvertrags störte anfangs die Reformthätigkeit. Diese erhielt indessen eine wesentliche Förderung 1767 durch die Ausweisung der Jesuiten. Nun konnten eine Menge Mißbräuche und Übergriffe der Geistlichkeit beseitigt oder beschränkt und ein erfreuliches Zusammenwirken des Staats und der Kirche hergestellt werden, welches auf Bildung und Gesittung des Volkes einen höchst heilsamen Einfluß ausübte. Viele Reformen blieben freilich auf dem Papier stehen, da es bei der beispiellosen Versunkenheit Spaniens in Ackerbau, Gewerbe und Unterricht an allen Voraussetzungen ihrer Durchführbarkeit fehlte. Die 30jährige angestrengteste Thätigkeit der Regierung, die Verwendung ungeheurer Summen auf Ansiedelungen, Bergwerke, Fabriken, Straßen etc., die Freigebung des Handels mit Amerika brachten daher nur zum Teil Früchte. Die Bevölkerung war 1788 erst auf 10,270,000 Seelen gestiegen, die Einnahmen auf 400 Mill. Realen. Der zweite unglückliche Krieg gegen England (1780–83), in den S. durch den Familienvertrag verwickelt wurde, verschlang solche Summen, daß ein verzinsliches Papiergeld ausgegeben werden mußte. Die unleugbaren Fortschritte in Volksbildung und Volkswohlfahrt hätten aber doch bei dem frischen Geist, bei der zugleich patriotischen und freiheitlichen Bewegung, von denen die Nation durchweht war, wohl günstige und dauernde Ergebnisse zur Folge gehabt, wenn S. eine längere Reformperiode vergönnt gewesen wäre. Die vielversprechenden Anfänge gingen aber unter Karls III. Nachfolger Karl IV. (1788–1808) völlig zu Grunde, und S. wurde durch eine heillose, verbrecherische Politik dem Untergang nahegebracht.
Karl IV., ein gutmütiger, aber unfähiger Fürst, wurde ganz beherrscht von seiner klugen und entschlossenen, jedoch sittenlosen Gemahlin Marie Luise von Parma, welche durch Günstlingswirtschaft und Verschwendung die Staatsverwaltung und die Finanzen in Verwirrung brachte und ihrem Geliebten Godoy, dem Friedensfürsten, den herrschenden Einfluß, endlich nach Beseitigung Floridablancas und Arandas im November 1792 auch die oberste Leitung der Staatsgeschäfte verschaffte. Nachdem S. dem Sturz der Bourbonen in Frankreich unthätig zugesehen, ward es 1793 doch durch die Hinrichtung Ludwigs XVI. und die Insulten des Konvents veranlaßt, Frankreich den Krieg zu erklären, welcher mit einer so beispiellosen Unfähigkeit geführt wurde, daß er trotz der Schwäche der Franzosen und trotz der Opferwilligkeit der Nation mit einer feindlichen Invasion in Navarra, die baskischen Provinzen und Aragonien endete. Die Gunst der Umstände verschaffte S. noch den vorteilhaften Frieden von Basel (22. Juli 1795), der ihm nur die Abtretung von San Domingo auferlegte. Aber es geriet durch denselben in völlige Abhängigkeit von Frankreich, welche der leichtfertige Godoy durch den Vertrag von San Ildefonso (27. Juni 1796) besiegelte. Derselbe zwang S., das kaum die Kosten des letzten Kriegs hatte aufbringen können, zum Krieg mit England, und gleich die erste Schlacht beim Kap St. Vincent (14. Febr. 1797) zeigte die Unbrauchbarkeit der spanischen Flotte. Dazu unternahm Godoy 1801 in französischem Interesse noch einen ruhmlosen Krieg gegen Portugal. Im Frieden von Amiens (23. März 1802) mußte S. zwar an England bloß Trinidad abtreten; aber seine Herrschaft in den amerikanischen Kolonien war erschüttert, seine Finanzen zerrüttet; das Defizit belief sich trotz Papiergelds und andrer verderblicher Maßregeln 1797 auf 800 Mill., 1799 sogar auf 1200 Mill. Das Kriegsministerium verbrauchte für ein Heer von 50,000 Mann 935 Mill., da die Zahl der Oberoffiziere übermäßig war; 1802 wurden auf einmal 83 Generale ernannt. Der Hof nahm allein 105 Mill. in Anspruch, während das Volk infolge von Pest und Mißernten darbte. Die Korruption am Hofe verbreitete sich bald über das ganze Land; die edelsten Patrioten wurden mit brutaler Gewaltthätigkeit verfolgt, dagegen war man gegen rohe Pöbelexzesse schwach und nachgiebig.
Trotz dieser Zustände stürzte Godoy durch einen neuen ungünstigen Vertrag mit Frankreich (9. Okt. 1803) das finanziell erschöpfte S. in einen Krieg mit England, in welchem bei Finisterre (22. Juli) und bei Trafalgar (20. Okt. 1805) Spaniens letzte Flotte zu Grunde ging. Das Volk ließ dies alles geduldig über sich ergehen und wankte nicht in seiner unbedingten Loyalität; die Entrüstung richtete sich nur gegen den schamlosen Günstling Godoy, der in seiner Verblendung sich sogar mit der Hoffnung schmeichelte, Regent von S. zu werden oder sich die Königskrone von Südportugal aufs Haupt zu setzen. Als er, um dies letztere zu erreichen, sich mit Frankreich im Vertrag von Fontainebleau (27. Okt. 1807) zu einem Kriege gegen Portugal verband und Napoleon französische Truppen über die Pyrenäen in S. einrücken ließ, kam es 18. März 1808 in Aranjuez zu einer Erhebung des Volkes gegen Godoy. Derselbe wurde gestürzt, und unter dem Eindruck der Wut des erbitterten Volkes ließ sich der König bewegen, 19. März zu gunsten seines Sohns, des Infanten Ferdinand, abzudanken; [82] derselbe hielt 24. März als Ferdinand VII. seinen Einzug in Madrid. Karl IV. nahm aber kurz darauf in einem Schreiben an Napoleon seine Thronentsagung als erzwungen zurück, und der französische Kaiser entbot nun die spanische Königsfamilie nach Bayonne, wo Ferdinand nach längerm Sträuben 5. Mai auf die Krone zu gunsten seines Vaters verzichtete, dieser aber sofort seine Rechte an Napoleon abtrat. Nun wurde dessen Bruder Joseph, König von Neapel, 6. Juli im Beisein einer Junta von spanischen und amerikanischen Abgeordneten in Bayonne zum König von S. ernannt und hielt, nachdem er und die Junta 7. Juli die neu entworfene Verfassung beschworen hatten, 20. Juli seinen Einzug in Madrid. Karl IV. ließ sich in Compiègne, Ferdinand VII. in Valençay nieder.
Wenn Napoleon auch die königliche Familie leicht beseitigt hatte, so sah er sich doch bald in seiner Erwartung, auch S. rasch nach französischem Vorbild umgestalten und seinen Interessen dienstbar machen zu können, getäuscht. Das spanische Volk war nicht im stande, die wohlthätigen Wirkungen der französischen Staatsumwälzung zu würdigen; es fühlte dagegen tief die ihm zugefügte Schmach der Fremdherrschaft. Edle und unedle Gefühle, Nationalstolz und wilder Fremdenhaß, patriotische Begeisterung und religiöser Fanatismus, stachelten es zum Widerstand auf; die beispiellose Erregtheit der Nation ließ die Schwäche der eignen Mittel und die ungeheure Übermacht des Gegners ganz vergessen, so daß niemand am Sieg zweifelte. Der geringe Kulturstand des Landes, der Mangel an Ordnung und Sicherheit im Staatswesen, welcher bisher geherrscht hatte, machten die völlige Auflösung aller Verhältnisse weniger fühlbar und ermöglichten so die mehrjährige Dauer eines verzweifelten Widerstandes, den ein höher kultiviertes Land nur wenige Monate hätte aushalten können. Bereits 2. Mai 1808, bei der Kunde von Ferdinands Entführung nach Bayonne, war in Madrid ein Volksaufstand ausgebrochen, den die Franzosen erst nach vielem Blutvergießen zu unterdrücken vermochten. Nun erhoben sich auch die Provinzen, zuerst Asturien; Provinzialjunten bildeten sich, die Guerillas bewaffneten sich in den Gebirgen, und alle Anhänger der Franzosen (Josefinos oder Afrancesados) wurden für Feinde des Vaterlandes erklärt. Zwar hatten die Franzosen beim ersten Zusammentreffen mit einer spanischen Feldarmee 14. Juli bei Rioseco glänzend gesiegt; aber Monceys Angriff auf Valencia wurde zurückgeschlagen, und eine Expedition des Generals Dupont endete mit seiner Umzingelung und der Kapitulation von Baylen (20. Juli 1808). Die tapfere Verteidigung Saragossas, die Räumung Madrids durch Joseph und der allgemeine Rückzug der Franzosen vermehrten die Begeisterung. Zugleich war Wellington mit einem englischen Korps in Portugal gelandet und hatte die Franzosen zum Abzug gezwungen. Zwar behaupteten diese, namentlich so oft Napoleon selbst sich an ihre Spitze stellte, in S. in offenem Felde die Oberhand; sie siegten bei Burgos (10. Nov.), Espinosa (10. u. 11. Nov.) und Tudela (23. Nov.) und zogen 4. Dez. wieder in Madrid ein, wo 22. Jan. 1809 Joseph von neuem seine Residenz aufschlug. Die Expedition des englischen Generals Moore in Galicien scheiterte. Allein nun nahm der Krieg immer mehr den Charakter des furchtbarsten Volkskampfes an und wurde durch die im Sept. 1808 in Aranjuez errichtete Zentraljunta einheitlich geleitet. Diese beging zwar manche Fehler, griff oft in höchst verkehrter Weise in die Kriegsoperationen ein und setzte tüchtige Generale ab, gab aber durch den Aufruf zum Guerillakrieg (28. Dez. 1808) dem Kampf den für die Franzosen so verderblichen Charakter des kleinen Kriegs. In diesem kamen die Vorzüge der Spanier, verwegener Mut, unbändige Leidenschaftlichkeit und große Ausdauer in Strapazen und Entbehrungen, recht zur Geltung; die fortwährenden kühnen Unternehmungen der Guerillas rieben die Kräfte der Franzosen auf und entrissen ihnen die Früchte ihrer Siege im offenen Felde. Die Franzosen siegten 27. März 1809 bei Ciudad Real, 28. März bei Medellin, und die Zentraljunta mußte nach Sevilla flüchten. Zwar wurde Soult im Mai 1809 von Wellington aus Portugal vertrieben und mußte Galicien und Asturien räumen, worauf Wellington in S. eindrang und die Franzosen 27. und 28. Juli bei Talavera schlug; doch mußte er sich vor einem neuen französischen Heer nach Portugal zurückziehen, und der spanische General Vanegas wurde 11. Aug. bei Almonacid, der englische General Wilson in den Engpässen bei Baros geschlagen. Im Januar 1810 waren die Franzosen Herren von Andalusien, und nach der Einnahme von Ciudad Rodrigo und Almeida drang Masséna im August mit 80,000 Mann in Portugal ein, um die Engländer wieder ins Meer zu werfen. Die Sache der Spanier schien hoffnungslos verloren. Namentlich die höhern, wohlhabendern Volksklassen schlossen sich immer zahlreicher dem bonapartistischen König an. Die Zentraljunta, deren Unfähigkeit das Mißgeschick der spanischen Heere hauptsächlich verschuldet hatte, wurde 2. Febr. 1810 in Cadiz, wohin sie von Sevilla geflüchtet war, zur Abdankung und Einsetzung einer Regentschaft gezwungen, in welcher der Radikalismus die Oberhand bekam.
Schon 28. Okt. 1809 hatte die Zentraljunta die Cortes zusammenberufen. Diese, unter den größten Schwierigkeiten und nur zum Teil gewählt, zum Teil kooptiert, traten 24. Sept. 1810 in Cadiz zusammen und nahmen unter den Kanonen der französischen Batterien, welche die Isla de Leon umringten, bedroht von der in der überfüllten Stadt wütenden Pest, das große Werk der Reform des verrotteten Staatswesens in die Hand. Unerfahren, teilweise von den radikalen Ideen der französischen Revolution beherrscht, zum Teil in den altspanischen Vorurteilen befangen, schwankten die Cortes unter leidenschaftlichen, erbitterten Debatten zwischen den entgegengesetztesten Beschlüssen: man proklamierte die Volkssouveränität und das allgemeine Stimmrecht und hob die Grundherrlichkeit auf, wagte aber nicht, die Inquisition oder die Rechte des Adels und der Kirche anzutasten. Im ganzen aber war die Verfassung vom 18. März 1812 eine sehr liberale. Trotz des hitzigen Parteikampfes bewährten die Cortes in der Hauptsache, im Kampf gegen den verhaßten Feind, eine große Einmütigkeit und aufopfernde Thätigkeit. Die Illusionen der verblendeten Nationaleitelkeit wurden zerstört, die Schäden der Verwaltung aufgedeckt, das korrumpierte Beamtentum in heilsamen Schrecken versetzt. Die Truppen wurden verstärkt, geschult und gut verpflegt und ihre nützliche Verwendung dadurch gesichert, daß die Cortes Wellington, der 1811 in den Linien von Torres Vedras bei Lissabon sich so lange behauptet hatte, bis Masséna abziehen mußte, zum Oberbefehlshaber sämtlicher Streitkräfte in S. ernannten. Im Jan. 1812 eroberte Wellington Ciudad Rodrigo und 7. April Badajoz, schlug 22. Juli die Franzosen unter Marmont bei Salamanca und zog 12. Aug. in Madrid ein. Zwar mußte er sich vor der Übermacht der bedeutend verstärkten Franzosen aufs [83] neue nach der portugiesischen Grenze zurückziehen, und Madrid wurde zum letztenmal von den Franzosen besetzt; aber die Katastrophe in Rußland veränderte auch die Lage der Dinge in S. Soult wurde zu Anfang 1813 abberufen, Suchet räumte Valencia im Juli; schon 27. Mai hatte König Joseph Madrid für immer verlassen und sich mit der französischen Armee auf Vittoria zurückgezogen. Hier wurde dieselbe von Wellington 21. Juni 1813 gänzlich geschlagen. Die Franzosen zogen sich über die Pyrenäen zurück, und Wellington rückte 9. Juli in Frankreich ein. Spaniens Unabhängigkeit war hiermit hergestellt.
Die ordentlichen Cortes, welche im Oktober 1813 in Cadiz zusammengetreten waren, aber im Januar 1814 ihren Sitz nach Madrid verlegten, erließen, obwohl die Servilen (Konservativen) die Mehrheit hatten, 3. Febr. 1814 eine Einladung an Ferdinand VII., sich nach Madrid zu begeben und die Verfassung von 1812 zu beschwören; den Vertrag des Königs mit Napoleon I. (13. Dez. 1813 in Valençay abgeschlossen), der seine Herrschaft in S. herstellte, aber den französischen Einfluß sicherte, erkannten sie nicht an. Ferdinand betrat 24. März 1814 in Gerona den spanischen Boden und nahm 4. Mai von Valencia aus vom Thron Besitz, weigerte sich aber, die Verfassung anzuerkennen, nachdem General Elio mit 40,000 Mann sich ihm angeschlossen, und ließ 11. Mai die Cortes durch Truppen auseinander jagen. Dennoch begrüßte ihn das Volk mit Jubel, als er 14. Mai in Madrid einzog; denn er war als Gegner des verhaßten Godoy noch immer populär. Zwar versprach er in einem Manifest vom 24. Mai Amnestie und die Verleihung einer Verfassung; doch wurden diese Versprechungen nicht gehalten. Alle Offiziere bis zum Kapitän und alle Beamten bis zum Kriegskommissar herab, welche Joseph gedient hatten, wurden mit Weib und Kind auf Lebenszeit verbannt. Die Liberalen, wenn sie auch durch aufopfernde Vaterlandsliebe im Befreiungskampf sich ausgezeichnet hatten, wurden geächtet oder in den Kerker geworfen, zwei Generale, Porlier und Lacy, die für die Verfassung ihre Stimmen erhoben, hingerichtet. Jesuiten, Klöster und geheime Polizei wurden wiederhergestellt. Dabei fehlte es der Regierung doch an Stärke und Beständigkeit. Von 1814 bis 1819 lösten 24 Ministerien einander ab. Der König, unwissend, charakterlos, von launischer, feiger Despotenart, ließ sich ganz von einer gewissenlosen Kamarilla beherrschen, welche jeden durch die Zerrüttung des Staatswesens gebotenen und von den Großmächten dringend angeratenen Reformversuch vereitelte. S. war daher nicht im stande, die abgefallenen Kolonien in Amerika wieder zu unterwerfen, und verlor seinen ganzen Besitz auf dem Festland von Süd- und Mittelamerika; Florida in Nordamerika trat es 1819 für 5 Mill. Dollar freiwillig an die Union ab.
Die Gewaltthätigkeit und der Hochmut der unfähigen Regierung erstickten die frühere Anhänglichkeit an das Königtum, und erbitterte Feindschaft gegen dasselbe oder gleichgültiger Pessimismus traten an ihre Stelle. Besonders in dem durchaus vernachlässigten Heer wuchs die Unzufriedenheit und kam unter den für die Überfahrt nach Amerika bestimmten Truppen zum Ausbruch: 4 Bataillone unter dem Oberstleutnant Riego proklamierten 1. Jan. 1820 zu San Juan die Verfassung von 1812 und setzten auf der Isla de Leon eine Regierungsjunta ein, die einen Aufruf an das spanische Volk erließ. Mehrere Provinzen schlossen sich der Empörung an, angesehene Generale, wie O’Donnell und Freire, vereinigten sich mit Riego, als derselbe auf Madrid marschierte. Als auch in Madrid das Volk sich erhob, beschwor der König 9. März die Verfassung von 1812, hob die Inquisition auf und berief die Cortes zum 9. Juli 1820. Die Liberalen hatten in denselben die Mehrheit, und einer ihrer Führer, Arguelles, ward Präsident des Ministeriums. Doch traten sie gemäßigt auf, suchten die zügellose Freiheit der Zeitungen und Klubs durch ein Preß- und Vereinsgesetz zu beschränken und begnügten sich, die Majorate, Fideikommisse und Klöster (bis auf 14) aufzuheben und die Besteuerung der Geistlichkeit (148,290 Personen, ohne die Nonnen, darunter bloß 16,481 eigentliche Pfarrer) durchzuführen. Der erbittertste Feind der neuen Regierung war der König selbst, der im geheimen Einverständnis mit mehreren reaktionären Schilderhebungen in der Provinz, so der „apostolischen Junta“, war und alle positiven Maßregeln der Minister und der Liberalen in den Cortes nach Möglichkeit vereitelte, wodurch der Einfluß der Exaltados (Radikalen) wuchs; die extremste Partei derselben, die Descamizados, forderte durch ihre Zügellosigkeit eine Reaktion heraus. Die Anarchie wurde noch durch die Finanznot vermehrt, der auch die Einführung einer direkten Steuer und der Verkauf der Nationalgüter nicht abzuhelfen vermochten; die Schuldenlast stieg auf 14 Milliarden. Als die Exaltados bei den Wahlen für die neuen Cortes, die 1. März 1822 eröffnet wurden, die Mehrheit erlangten, wählten sie Riego zum Präsidenten und überschwemmten das Land mit einer Masse von Reformgesetzen, die bei der Stimmung der Masse nie verwirklicht werden konnten.
Nachdem ein vom Hof angestifteter Versuch der Garden, 7. Juli 1822 vom Prado aus Madrid zu überrumpeln, vom Volk vereitelt worden war, wandte sich der König im geheimen an die Heilige Allianz um Hilfe gegen die Revolution. Auf dem Kongreß zu Verona (Herbst 1822) wurde eine bewaffnete Intervention in S. beschlossen, welche Frankreich auszuführen übernahm. Die Gesandten von Frankreich, Österreich, Rußland und Preußen forderten von der spanischen Regierung und den Cortes die Herstellung der königlichen Souveränität und verließen, als dies 9. Jan. 1823 abgelehnt wurde, den spanischen Hof. Im April rückte die französische Interventionsarmee, 95,000 Mann unter dem Herzog von Angoulême, über die Grenze. Die schlecht organisierten Streitkräfte der Spanier leisteten geringen Widerstand. Von einer Erhebung des Volkes gegen die Franzosen war nichts zu spüren, da diesmal die Geistlichkeit für sie war und ihren Vormarsch unterstützte. Schon 11. April flüchteten die Cortes mit dem König aus Madrid, wo der Herzog von Angoulême 24. Mai unter dem Jubel des Volkes einzog und eine Regentschaft unter dem Herzog von Infantado einsetzte, die sofort das Werk der Restauration mit Verfolgung der Liberalen begann. Überall erhob sich das Volk, vom Klerus aufgehetzt, für den absoluten König; die meisten spanischen Generale kapitulierten mit den Franzosen. Diese schlossen Cadiz, wohin sich im Juni die Cortes mit dem König zurückgezogen hatten, zu Wasser und zu Land ein, eroberten das Außenfort Trocadero (31. Aug.), bombardierten die Stadt (23. Sept.) und bereiteten alles zum Sturm vor, als die Cortes 28. Sept. dem König die absolute Gewalt zurückgaben und sich auflösten; die meisten Mitglieder und Beamten der liberalen Regierung, über 600 Personen, flüchteten ins Ausland, bevor die Franzosen 3. Okt. Cadiz besetzten. Auch die letzten von den Liberalen [84] noch behaupteten Städte, Barcelona, Cartagena und Alicante, ergaben sich im November, und Angoulême kehrte nach Frankreich zurück; doch blieben 45,000 Mann Franzosen unter Bourmont bis 1828 im Land zum Schutz der neuen Regierung.
Ferdinands VII. erste Regierungshandlung nach seiner Befreiung aus der Gewalt der Cortes war eine Proklamation vom 10. Okt. 1823, welche alle Akte der konstitutionellen Regierung vom 7. März 1820 bis 1. Okt. 1823, „indem er während dieses Zeitraums der Gewalt beraubt gewesen sei“, für null und nichtig erklärte, dagegen alle Beschlüsse der Madrider Regentschaft genehmigte. Alle Anhänger der Liberalen wurden als „Feinde des Königs“ der Rache der Glaubensbanden preisgegeben, welche die abscheulichsten Gewaltthaten verübten. Die apostolische Junta, an deren Spitze des Königs Bruder Don Karlos stand, und welche die Hierarchie, vor allem die Inquisition, herstellen wollte, erlangte eine solche Macht, daß sie eine Art Nebenregierung bildete und alle Minister, die sich ihrem Willen nicht fügten, wie Zea-Bermudez (1824–25), auch den absolutistisch gesinnten Infantado (1825–26) stürzte. Die apostolische Partei war um so siegesgewisser, als bei dem Alter des kinderlosen Königs ihr Haupt, Don Karlos, der mutmaßliche Thronfolger war. Als ihre Anhänger im August 1827 in Katalonien indes eine bewaffnete Schilderhebung versuchten, schritt der König mit Strenge gegen sie ein und vermählte sich nach dem Tod seiner dritten Gemahlin 10. Dez. 1829 mit der Prinzessin Christine von Neapel, die 10. Okt. 1830 eine Tochter, Isabella, gebar. Schon 29. März 1830 hatte Ferdinand VII. eine Pragmatische Sanktion erlassen, welche das 1713 in S. von den Bourbonen eingeführte Salische Gesetz aufhob und im Einklang mit den altkastilischen Rechten die weibliche Thronfolge einführte. Eine Verschwörung der bitter enttäuschen Anhänger des Don Karlos gegen das Leben des Königspaars wurde entdeckt und vereitelt, ein dem schwer erkrankten König im September 1832 abgepreßter Widerruf der Pragmatischen Sanktion von demselben nach seiner Genesung für ungültig erklärt. Im Oktober 1832 ward Christine zur Regentin ernannt, berief Zea-Bermudez an die Spitze des Ministeriums, erließ eine Amnestie und versammelte die Cortes, welche 20. Juni 1833 Isabella als Thronerbin den Eid der Treue leisteten. Somit gelangten, als nach dem Tod Ferdinands VII. (29. Sept. 1833) Isabella II. unter der Vormundschaft ihrer Mutter Christine den Thron bestieg, die Liberalen wieder zur Herrschaft.
Don Karlos hatte von Portugal aus, wo er bei Dom Miguel Zuflucht und Beistand gefunden hatte, schon 29. April 1833 Protest gegen die neue Thronfolgeordnung erhoben und nach Ferdinands Tod sich als Karl V. zum König proklamiert. Ihm schlossen sich außer der apostolischen Partei besonders die baskischen Provinzen und Navarra an, deren aus uralten Zeiten bestehende Freiheiten (Fueros), zu denen freilich auch Mißbräuche, wie der Schmuggel, gehörten, von den Liberalen angefochten worden waren. Die Erhebung der Karlisten begann im Oktober 1833 mit der Einsetzung einer Junta und der allgemeinen Volksbewaffnung, welche Zumala-Carreguy leitete. Derselbe treffliche Feldherr verschaffte den Karlisten im Gebirgskrieg immer mehr Erfolge und bemächtigte sich eines Teils von Katalonien. Auch Don Karlos, nach dem Sturz Dom Miguels aus Portugal vertrieben, erschien in den aufständischen Provinzen. Der Bürgerkrieg nahm bald einen grausamen Charakter an, und seitdem Mina die Mutter des Karlistengenerals Cabrera hatte erschießen lassen, wurden die Gefangenen auf beiden Seiten nicht mehr geschont. Die Christinos (Anhänger der Regentin) welche an Machtmitteln den Karlisten bei weitem überlegen waren, da ihrer Regierung der größte Teil des Landes, der Armee und der Beamten, namentlich die Bevölkerung der Städte und die zahlreichen amnestierten Spanier (50,000 Personen) anhingen, würden den Karlistenaufstand ohne große Schwierigkeiten haben unterdrücken können, wenn sie sich nichts durch Zwistigkeiten geschwächt hätten. Die Progressisten, wie sich jetzt die vorgeschrittenen Liberalen nannten, waren mit der neuen Verfassung, welche nach der Entlassung von Zea-Bermudez (15. Jan. 1834) der neue Minister Martinez de la Rosa gegeben hatte, dem Estatuto real (mit zwei Kammern, den Proceres und den Procuradores), nicht zufrieden und verlangten die Herstellung der Verfassung von 1812. Alle weitern Zugeständnisse der Regentin, welche auf den Beistand der Liberalen angewiesen war, genügten nicht; die Progressisten veranstalteten 1836 in zahlreichen Städten Aufstände, bei denen die Verfassung von 1812 ausgerufen wurde. Schließlich, 12. Aug. 1836, empörte sich auch eins der in San Ildefonso liegenden Milizregimenter, zog nach dem Palast La Granja, wo die Königin Christine sich aufhielt, und zwang sie, die Konstitution von 1812 anzunehmen. Der Minister Isturiz, ein Moderado, floh, Quesada wurde vom Pöbel ermordet. Der neue Ministerpräsident Calatrava berief zum 24. Okt. 1836 die Cortes, welche 1837 die Verfassung von 1812 im gemäßigten Sinn revidierten.
Der Zwiespalt im liberalen Lager ermutigte die Karlisten zu kühnen Unternehmungen: nach seinem Sieg bei Huesca (24. Mai 1837) überschritt Don Karlos den Ebro und bedrohte Madrid, während gleichzeitig in Andalusien ein karlistischer General, Gomez, bedenkliche Fortschritte machte. Dieser wurde von Narvaez besiegt; im Norden errang Espartero den entscheidenden Sieg von Huerta del Rey (14. Okt.); und brachte nach und nach die nördlichen Provinzen in seine Gewalt. Denn auch bei den Karlisten war Zwietracht zwischen einer Hofkamarilla unter der Prinzessin von Beira, Don Karlos’ zweiter Gemahlin, und dem Oberbefehlshaber Maroto, der sogar 20. Febr. 1839 mehrere Häupter der Kamarilla erschießen ließ. Um sich vor der Rache seiner Gegner zu schützen, schloß Maroto 31. Aug. 1839 mit Espartero den Vertrag von Vergara, nach welchem er mit 50 Karlistenchefs die Waffen streckte. Don Karlos trat 15. Sept. auf französisches Gebiet über; ihm folgte 6. Juli 1840 Cabrera, welcher in Niederaragonien und Katalonien den Widerstand noch fortgesetzt hatte. Den baskischen Provinzen wurden die Fueros von den Cortes bestätigt. Im Spätsommer 1840 war ganz S. der Königin Isabella unterworfen und der Karlistenkrieg beendet.
Durch seine Erfolge im Karlistenkrieg hatte Espartero so großes Ansehen erlangt, daß die Regentin, welche durch Bestätigung des von den konservativen Cortes beschlossenen Ayuntamiento- (Gemeinde-) Gesetzes eine Erhebung der Progressisten in Madrid hervorgerufen hatte, ihn im September 1840 zum Ministerpräsidenten ernennen mußte und 12. Okt. abdankte und sich nach Frankreich einschiffte, als Espartero ihr ein unannehmbares Regierungsprogramm vorlegte. Dieser war nun 8. Mai 1841 zum Regenten gewählt. Aber trotz seiner Popularität, und [85] obwohl er eifrig und mit Erfolg bemüht war, das materielle Wohl des Landes zu fördern, hatte er doch unaufhörlich mit den Ränken seiner Gegner, der Regentin und der Moderados (Konservativen), der Unbotmäßigkeit seiner eignen Anhänger, der Progressisten, und Aufständen (Pronunciamentos) ehrgeiziger Offiziere zu kämpfen. Im Juni 1843 brach eine allgemeine Empörung aus, der sich sogar die Radikalen anschlossen, und vor der Espartero nach England flüchten mußte. Nachdem die den Moderados angehörige Mehrheit der Cortes 8. Nov. 1843 die noch nicht 14jährige Königin Isabella für volljährig erklärt hatte, übernahm Bravo Murillo, dann (1844) Esparteros Nebenbuhler Narvaez die Leitung des Ministeriums; die Königin Christine wurde zurückgerufen und die Verfassung im Mai 1845 in reaktionärem Sinn geändert; für die Cortes ward ein hoher Zensus eingeführt, der Senat von der Krone auf Lebenszeit ernannt, die katholische Religion als Staatsreligion proklamiert.
Narvaez veruneinigte sich schon 1846 mit den Cortes und trat zurück, worauf die Königin Isturiz in das Kabinett berief. Die Errichtung einer festen, zielbewußten Regierung wurde durch die Vermählung Isabellas II. erschwert. Der Plan, dieselbe mit dem Grafen von Montemolin, Don Karlos’ Sohn, zu verheiraten und dadurch die Legitimität der Dynastie außer Frage zu stellen, wurde durch Ludwig Philipp von Frankreich vereitelt, der einem seiner Söhne zur Herrschaft in S. verhelfen wollte. Das Ränkespiel der „spanischen Heiraten“ endete damit, daß Ludwig Philipp, durch ein England gegebenes Versprechen gebunden, seinen Sohn, den Herzog von Montpensier, nicht mit Isabella, sondern mit deren Schwester, der Infantin Luise, vermählte, aber, um indirekt seinen Zweck doch zu erreichen, durchsetzte, daß Isabella mit ihrem Vetter Franz d’Assisi, einem körperlich und geistig schwachen Prinzen, eine Ehe schließen mußte, die jede Hoffnung auf Leibeserben ausschloß. Indes Isabella, den ihr aufgedrungenen Gemahl verachtend und über die Schranken der Sitte sich hinwegsetzend, erwählte sich Günstlinge, von denen sie zahlreiche Kinder gebar, welche die eigennützigen Berechnungen der Familie Orléans zu Schanden machten. Diese Günstlinge, in deren Wahl Isabella allmählich von Serrano auf Marfori herabsank, beuteten ihre Stellung aufs schamloseste für Befriedigung ihres Ehrgeizes und ihrer Habsucht aus, und so wurde in dem sonst so loyalen Volk das moralische Ansehen des Königtums durch die lasterhafte, heuchlerische Aufführung des Hofs vernichtet. Die Regierung des unglücklichen Landes ward zu einem unwürdigen Intrigenspiel in der vertrauten Umgebung der Monarchin, durch welches trotz mehrjähriger Aufrechterhaltung der äußern Ruhe die wenigen Fortschritte in der geistigen und materiellen Entwickelung des Landes gefährdet und die sittlichen Grundlagen des Staatswesens untergraben wurden. Die Minister wechselten so oft, daß S. 1833–58 nicht weniger als 47 Ministerpräsidenten, 61 Auswärtige, 78 Finanz- und 96 Kriegsminister hatte.
Nach der kurzen Regierung der Progressisten unter Serrano stand 1847–51 Narvaez an der Spitze des Ministeriums, der, obwohl Moderado, doch mit Mäßigung vorging und nicht nur die Ruhe aufrecht hielt, sondern auch den nationalen Wohlstand förderte. Sein Nachfolger Bravo Murillo (1851–52) erzeugte jedoch durch den Plan, die Verfassung in absolutistisch-klerikalem Sinn umzugestalten, eine Aufregung, welche sich 1854 in Pronunciamentos zahlreicher Generale äußerte. Schließlich kam es in Madrid zu einem Aufstand, welchen die Königin nur durch die Berufung Esparteros zum Ministerpräsidenten (Juli 1854) beschwichtigen konnte. Nachdem er das Gesetz über den Verkauf der National- und Kirchengüter der Königin 1855 abgerungen hatte, wurde Espartero 14. Juli durch O’Donnell gestürzt, der nach Unterdrückung eines Aufstandes in Madrid (16. Juli) die Nationalgarde entwaffnete, die Verfassung vom Mai 1845 herstellte und den Verkauf der Kirchengüter sistierte. Zwischen O’Donnell und Narvaez wechselte nun eine Reihe von Jahren die Herrschaft: ersterer, 1855–56, 1858–63 und 1865–1866 oberster Minister, früher selbst Progressist, wollte sich auf eine Mittelpartei, die „liberale Union“, stützen, stieß jedoch bei allen seinen Vorschlägen und Maßregeln auf das unüberwindliche Mißtrauen seiner ehemaligen Parteigenossen und suchte sich daher durch Erfolge auf dem Gebiet der auswärtigen Politik zu befestigen. Diesem Zweck sollte der Krieg mit Marokko (s. d., S. 277) 1859–60 dienen, in welchem O’Donnell indes nur kriegerische Lorbeeren, keine wesentlichen Vorteile gewann. 1861 wurde San Domingo auf Haïti wieder mit S. vereinigt, und im Bund mit England und Frankreich schritt S. Ende 1861 gegen Mexiko ein, das für die Verletzung spanischer Interessen die Genugthuung verweigerte; doch zog sich der spanische Befehlshaber Prim 1862 vom Unternehmen zurück, als er die eigennützigen Absichten der Franzosen erkannte (s. Mexiko, S. 566). Ein Konflikt mit Peru und Chile (s. d., S. 1022), der 1866 zu einer förmlichen Kriegserklärung Perus, Chiles, Bolivias und Ecuadors an S. (14. Jan.) führte, endete nach der erfolglosen Beschießung Valparaisos (31. März) und Callaos (2. Mai) ohne Ergebnis. San Domingo wurde 1865 wieder aufgegeben. Unter diesen Umständen konnte sich O’Donnell, obwohl er mehrere Militärrevolten niederschlug und auch einen Landungsversuch des karlistischen Prätendenten, des Grafen von Montemolin (1. April 1860), vereitelte, auf die Dauer nicht behaupten. Wenn O’Donnell nicht im stande war, die Ruhe aufrecht zu erhalten, so zog die Königin Isabella Narvaez vor, dessen moderadistische Gesinnung der ihrigen mehr entsprach. Narvaez, 1856–57, 1864–65 und 1866–68 Ministerpräsident, begünstigte den Klerus, unterdrückte die Preß- und Vereinsfreiheit und schritt, besonders in seinem letzten Ministerium, mit rücksichtsloser Strenge gegen die Häupter der Progressisten und der liberalen Union ein. Rios Rosas, Serrano u. a. wurden verhaftet, andre, wie O’Donnell, Prim, flüchteten in das Ausland. Die Cortes, deren Wahlen in S. die Regierung allerdings stets beherrscht, gaben zur Aufhebung der konstitutionellen Freiheiten und zur Verhängung des Belagerungszustandes bereitwilligst ihre Zustimmung, und Isabella war des Siegs der klerikalen Richtung so sicher, daß sie sogar ihre Absicht, für die weltliche Herrschaft des Papstes mit der Macht Spaniens einzutreten, offen äußerte.
Narvaez starb plötzlich 23. April 1868. Sein Nachfolger Gonzalez Bravo mußte den Günstling Isabellas, Marfori, in das Ministerium aufnehmen. Nachdem im Juli eine unionistische Verschwörung, deren Ziel die Erhebung Montpensiers auf den Thron war, entdeckt und ihre Häupter, die angesehensten Generale, wie Serrano, Dulce u. a., nach den Kanarischen Inseln deportiert worden waren, begab sich die Königin nach San Sebastian, um von hier aus mit Napoleon die Besetzung Roms durch spanische Truppen [86] zu verabreden. Inzwischen aber vereinigten sich die liberale Union, die Progressisten und die Republikaner zu einer gemeinsamen Erhebung gegen die Mißregierung Isabellas. Die unionistischen Generale wurden von den Kanarischen Inseln durch einen Dampfer abgeholt und nach Cadiz gebracht, wo auch Prim erschien und die Flotte unter Admiral Topete 18. Sept. 1868 die Absetzung Isabellas verkündete. Der Aufruhr verbreitete sich rasch über ganz S. General Pavia sammelte die treu gebliebenen Truppen und rückte den Aufständischen nach Andalusien entgegen, ward aber 28. Sept. bei Alcolea in der Nähe von Cordova geschlagen. Serrano hielt 3. Okt. seinen Einzug in Madrid, während Isabella 30. Sept. nach Frankreich floh.
Die Unionisten und die Progressisten unter Prim bildeten nun eine provisorische Regierung unter Serranos Vorsitz, welche sofort den Jesuitenorden aufhob, die Klöster beschränkte und volle Preß- und Unterrichtsfreiheit einführte; das Volk schwelgte im Genuß der Freiheit und ergoß sich in Lobreden auf die Helden der glorreichen Revolution. Die konstituierenden Cortes, welche nach einem neuen Gesetz gewählt wurden, traten 11. Febr. 1869 zusammen: die Unionisten zählten nur 40 Mitglieder, womit ihr Thronkandidat Montpensier beseitigt war, die Republikaner 70; die Progressisten hatten die Mehrheit. Auch diese wünschten die Errichtung einer konstitutionellen Monarchie und brachten 1. Juni 1869 eine monarchisch-konstitutionelle Monarchie in den Cortes zur Annahme. Doch lehnte König Ferdinand von Portugal 6. April die ihm angebotene spanische Krone ab, ebenso der junge Herzog von Genua, so daß die Cortes die Einsetzung einer Regentschaft beschlossen und Serrano 18. Juni zum Regenten ernannten. Die Ungewißheit über die politische Gestaltung des Landes ermutigte Don Karlos, den Enkel des ältern Don Karlos, im Juli den spanischen Boden zu betreten und mit Hilfe der Geistlichkeit in den Nordprovinzen karlistische Aufstände zu erregen, während in mehreren Städten, namentlich in Barcelona, die Republikaner sich erhoben. Endlich gelang es dem Ministerpräsidenten Prim, den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern zur Annahme der Krone zu bewegen, und 4. Juli 1870 beschlossen Regent und Ministerium, dessen Kandidatur den Cortes vorzuschlagen. Der unerwartete Einspruch Frankreichs vereitelte dieselbe, da der Erbprinz 12. Juli auf seine Kandidatur verzichtete, um nicht Ursache eines großen Kriegs zu werden. Als der deutsch-französische Krieg dennoch ausbrach, verhielt sich die spanische Regierung, welche sich sofort mit dem Verzicht des Prinzen einverstanden erklärt hatte, streng neutral. An Stelle des Hohenzollern gewann Prim in dem Herzog Amadeus von Aosta, zweitem Sohn des Königs Viktor Emanuel von Italien, einen neuen Thronkandidaten, der 16. Nov. von den Cortes mit 191 gegen 98 Stimmen zum König gewählt wurde.
An demselben Tag, an welchem König Amadeus in Cartagena landete, 30. Dez. 1870, starb Marschall Prim, der 27. Dez. in Madrid von Meuchelmördern tödlich verwundet worden war. Damit verlor der junge Herrscher seine festeste Stütze. Dennoch trat er 2. Jan. 1871 die Regierung an und beauftragte Serrano mit der Bildung eines Kabinetts. Die Granden gaben Amadeus ihre Geringschätzung in schroffster Weise zu erkennen; eine Anzahl Offiziere verweigerte den Eid. Die Wahlen für die Cortes im März ergaben eine knappe Mehrheit für die Regierung; unter der Opposition befanden sich 60 Republikaner und 65 Karlisten, welche den König aufs heftigste angriffen. Dabei war unter den Anhängern des Königs keine Einigkeit: Serrano wurde von dem ränkevollen Zorrilla, einem radikalen Progressisten, schon im Juli aus dem Ministerium gedrängt, der sich aber auch nur bis zum Oktober an der Spitze der Regierung behauptete. Der konservative Progressist Sagasta, seit Ende 1871 Ministerpräsident, erlangte nach der Auflösung der Cortes bei den Neuwahlen im April 1872 eine Mehrheit und machte im Juni wieder Serrano Platz, der gegen die Karlisten mit Erfolg gekämpft, ihnen aber in der Konvention von Amorevieta (24. Mai 1872) Amnestie gewährt hatte, um die Ruhe in S. herzustellen. Hierfür verlangte er vom König außerordentliche Vollmachten, die derselbe jedoch auf Anstiften Zorrillas verweigerte. Dieser trat 16. Juni wieder an die Spitze des Kabinetts, vermochte aber weder den Parteikämpfen in den neuen Cortes, in denen die ministerielle Mehrheit immer deutlicher ihre republikanischen Grundsätze kundgab, noch den Aufständen im Land ein Ende zu machen. Überzeugt, daß er keine feste Autorität in dem unterwühlten Land gewinnen könne, dankte Amadeus 10. Febr. 1873 ab und begab sich über Lissabon nach Italien zurück.
Die Cortes erklärten sofort mit 256 gegen 32 Stimmen S. für eine Republik und erwählten Figueras zum Präsidenten, einen föderalistischen Republikaner, der die Befugnisse der Zentralregierung und der Cortes auf das Notwendigste beschränken, den Provinzen, Städten und Gemeinden aber möglichst ausgedehnte Autonomie gewähren wollte. Der Eid und die Konskription für die Armee wurden abgeschafft. Nachdem die Anhänger des Einheitsstaats verjagt worden waren, errangen die Föderalisten bei den Corteswahlen 10. Mai eine erdrückende Mehrheit. Figueras erschien dieser nicht extrem genug, und Pi y Margall trat an seine Stelle, unter dem völlige Anarchie eintrat. Im Norden breiteten sich die Karlisten wieder aus; der Prätendent Don Karlos nahm in Estella sein Hauptquartier. In den großen Städten des Südens, wie Malaga, Cadiz, Sevilla und Cartagena, suchten die roten Kommunisten (Intransigenten) durch sofortige Verwirklichung der Föderativrepublik ihre Herrschaft zu begründen, proklamiertem die Autonomie Andalusiens, errichteten Wohlfahrtsausschüsse und bemächtigten sich mehrerer Kriegsschiffe. Die Cortes sahen nun die Notwendigkeit ein, Karlisten und Intransigenten energisch zu bekämpfen. Zu diesem Zweck trat der bisherige Föderalist Castelar 9. Sept. an die Spitze der Regierung, vertagte die Cortes, nachdem er sich zu Ausnahmemaßregeln hatte ermächtigen lassen, suspendierte 21. Sept. die konstitutionellen Garantien und verkündete die Kriegsgesetze in voller Strenge. Sevilla, Malaga und Cadiz wurden sofort unterworfen, Cartagena mußte aber regelrecht belagert werden und ergab sich erst 12. Jan. 1874. Im Norden machten die Karlisten immer größere Fortschritte, und das Gebaren der Cortes, die nach ihrem Zusammentritt (2. Jan. 1874) Castelar jeden Dank für seine energische Thätigkeit verweigerten und ihn zum Rücktritt zwangen, ließ das Schlimmste befürchten: da ließ Serrano 3. Jan. durch den General Pavia die Versammlung auseinander sprengen und trat als Präsident der Exekutivgewalt an die Spitze einer neuen Regierung, die sich vor allem die Beendigung des Karlistenkriegs zum Ziel setzte. Der Kampf drehte sich um Bilbao, das die Karlisten seit dem Dezember 1873 belagerten. Zwar zwang Serrano [87] sie im Mai, die Belagerung aufzugeben; doch schlugen sie die Regierungstruppen unter Concha 25. bis 27. Juni bei Estella, und Don Karlos’ Bruder drang wiederholt über den Ebro, im Juli sogar bis Cuenca vor. Endlich bereitete Serrano für Anfang 1875 einen energischen konzentrischen Angriff auf die Karlisten vor und verstärkte die Armee auf 80,000 Mann, als auch er plötzlich gestürzt wurde.
Nachdem die Versuche, einen fremden Fürsten auf den spanischen Thron zu erheben, gescheitert waren, das Experiment mit der Republik S. völliger Anarchie überliefert, Don Karlos aber durch seine enge Verbindung mit dem Ultramontanismus und seine barbarische Kriegführung sich unmöglich gemacht hatte, blieb nur der älteste Sohn Isabellas, Alfons, der durch den Verzicht seiner Mutter vom 25. Juni 1870 Erbe der Thronansprüche der jüngern bourbonischen Linie geworden war, als Kandidat der gemäßigt Liberalen für den Thron übrig. Seine Erhebung erschien besonders den Offizieren als die einzige Rettung aus dem Chaos, und im Einverständnis mit den einflußreichsten Generalen proklamierte Martinez Campos 29. Dez. 1874 in Sagunto Alfons XII. als König von S. Die Nordarmee und die Garnison von Madrid erklärten sich für ihn, und Serrano legte sein Amt ohne Widerstandsversuch nieder. Das Haupt der alfonsistischen Partei, Canovas del Castillo, wurde an die Spitze eines liberal-konservativen Ministeriums berufen, welches der König nach seinem Einzug in Madrid (14. Jan. 1875) bestätigte. Die neue mit Notabeln vereinbarte Verfassung hob zwar die Geschwornengerichte, die Zivilehe und die Lehrfreiheit auf und machte dem Klerus noch einige andre Zugeständnisse, um dem Karlismus den Boden zu entziehen; doch versprach sie, ehrlich und mit Mäßigung gehandhabt, eine friedliche und freiheitliche Entwickelung. Der Karlistenkrieg wurde nun von den Generalen Quesada und Moriones nach einem systematischen Plan und mit ausreichenden Streitkräften geführt und durch die Eroberung von Vittoria (8. Juli 1875), von Seo de Urgel (26. Aug.) und Estella (19. Febr. 1876) glücklich beendet; Don Karlos trat 28. Febr. im Thal von Roncesvalles auf französisches Gebiet über. Die Fueros der baskischen Provinzen wurden aufgehoben. Die 20. Jan. 1876 gewählten neuen Cortes, in denen die Regierung eine starke Mehrheit hatte, wurden 15. Febr. vom König eröffnet und genehmigten 24. Mai die neue Verfassung. Der finanziellen Zerrüttung beschloß der Finanzminister durch Suspension der Zinszahlung für die Staatsschulden bis 1. Jan. 1877, von da ab durch nur partielle Zahlung abzuhelfen. Der Aufstand in Cuba (s. d., S. 358) wurde Anfang 1878 endlich auch beschwichtigt, allerdings nur durch den Vertrag von Tanjon (10. Febr. 1878), in welchem General Martinez Campos den Insurgenten Amnestie, Aufhebung der Sklaverei und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Insel zugestehen mußte. Da Canovas sich weigerte, dies letztere Zugeständnis vor den Cortes zu vertreten, trat er im März 1879 zurück und überließ die Leitung des Ministeriums Martinez Campos, der jedoch die Genehmigung der von ihm vorgeschlagenen Reformen für Cuba nicht erreichte und daher schon 7. Dez. 1879 seine Entlassung nahm. Canovas, wieder Ministerpräsident, brachte 1880 ein Gesetz über die Aufhebung der Sklaverei in Cuba in den Cortes durch; aus Rücksicht auf die spanischen Finanzen blieben aber die Ausfuhrzölle daselbst sowie die Monopole zu gunsten des spanischen Handels und Gewerbes bestehen.
Da Martinez Campos nach seinem erfolglosen Ministerium zu den Gegnern Canovas’ übertrat, so bildete sich in den Cortes aus den Parteien der Konstitutionellen und Zentralisten eine einflußreiche liberal-dynastische Opposition unter Führung Sagastas, der König Alfons XII., um sich die Liberalen nicht zu entfremden, im Februar 1881 die Führung der Geschäfte übertrug; Sagasta wurde Ministerpräsident, Martinez Campos Kriegsminister. Das neue Ministerium löste die Cortes auf und erlangte bei der Macht der Regierung über die Wahlen eine bedeutende Majorität in der Kammer wie im Senat. Der Finanzminister Camacho nahm sofort eine Umwandlung der teilweise hohe Zinsen tragenden Staatsschulden in eine einheitliche vierprozentige Staatsschuld vor und sicherte eine Reform des Tarifs durch einen Handelsvertrag mit Frankreich (1882). Gleichwohl konnte sich Sagasta nicht lange behaupten, auch nachdem er im Januar 1883 sein Kabinett in liberalem Sinn umgestaltet hatte. Aus der Mitte der Konstitutionellen selbst wurde, besonders durch Serrano, das Verlangen nach durchgreifenden Reformen, namentlich aber nach Wiederherstellung der Verfassung von 1869, laut, das zu erfüllen Sagasta sich entschieden weigerte; im August 1883 brachen in Badajoz, Barcelona, Seo de Urgel und andern Garnisonen des Nordens Soldatenaufstände aus, bei welchen die Republik mit der Verfassung von 1869 ausgerufen wurde. Der König beschloß, nachdem die Aufstände unterdrückt waren, die dynastische Linke in die Regierung zu ziehen, und berief im Oktober 1883 Posada Herrera an die Spitze eines neuen Ministeriums, das eine Verfassungsrevision mit Einführung der Zivilehe, der Geschwornengerichte und des allgemeinen Stimmrechts versprach. Dasselbe scheiterte aber an der Opposition Sagastas, dessen Adreßentwurf, welcher die Politik der dynastischen Linken entschieden tadelte, im Januar 1884 von den Cortes angenommen wurde. Der König übertrug daher wieder den Liberal-Konservativen unter Canovas das Ministerium.
Alfons XII. erstrebte neben dem Ziel, im Innern die monarchisch gesinnten Parteien zu versöhnen und auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie zu vereinigen, in der auswärtigen Politik die Wiederherstellung von Spaniens Ansehen und Einfluß in Europa. Zu diesem Zweck widmete er sich mit Eifer der Wiederherstellung und Verbesserung seiner Streitmacht zu Land und zur See; ferner suchte er eine Anlehnung an die mitteleuropäischen Mächte und unternahm im Sommer 1883 eine Reise nach Österreich und Deutschland, wo er bei den Kaisermanövern in Homburg von Kaiser Wilhelm mit besondern Ehren aufgenommen und zum Chef eines Ulanenregiments ernannt wurde. Er wurde deswegen auf seiner Rückreise durch Frankreich in Paris 29. Sept. aufs gröblichste beschimpft, aber durch einen begeisterten Empfang in Madrid (2. Okt.) dafür entschädigt. Ein Besuch des deutschen Kronprinzen in S. im November bekundete die Achtung, die der König in Deutschland genoß. Mitten in eine Gärung, welche ein schreckliches Erdbeben in Andalusien, der Ausbruch der Cholera und die Einführung der drückenden Verbrauchssteuern 1885 im spanischen Volk erzeugt hatten, fiel wie ein zündender Funke im September die Nachricht, daß ein deutsches Kriegsschiff auf den Karolinen (s. d.) die deutsche Flagge geheißt habe: nicht bloß der Madrider Pöbel ließ sich zu Wutausbrüchen gegen Deutschland und seine Gesandtschaft in Madrid hinreißen, sondern auch die Führer der Parteien, namentlich der von je zu Frankreich hinneigenden Radikalen, [88] ja selbst die Minister ergingen sich, um ihre Popularität zu vermehren, in kriegerischen Prahlereien und Drohungen. Nur der König blieb fest in seinem Widerstand gegen eine verhängnisvolle Überstürzung und ermöglichte hierdurch eine ehrenvolle Verständigung mit Deutschland. Leider starb er schon 25. Nov. 1885.
Alfons XII. hinterließ als Witwe seine zweite Gemahlin, Maria Christine, eine österreichische Erzherzogin, welche sofort als Regentin proklamiert wurde und 17. Mai 1886 einen Sohn, Alfons XIII., gebar. Die Veränderungen auf dem Thron vollzogen sich, abgesehen von einigen durch Zorrilla angestifteten republikanischen Militärrevolten in Cartagena und Madrid und von Ränken Montpensiers, die aber wirkungslos blieben, ohne Störung. Canovas hielt es für nützlich, die liberalen Parteien für die Erhaltung der Dynastie zu interessieren, und empfahl daher der Regentin, an seiner Stelle Sagasta zum Ministerpräsidenten zu ernennen (27. Nov.). Derselbe verschaffte sich durch Neuwahlen die Mehrheit in den Cortes, welche 10. Mai 1886 eröffnet wurden, die Einführung von Geschwornengerichten genehmigten (7. Mai 1887) und die Beratung der vom Kriegsminister Cassola vorgelegten Heeresreform mit allgemeiner Wehrpflicht in Angriff nahmen. Die Einnahmen wurden durch Verpachtung der Postdampferlinien und des Tabaksmonopols vermehrt. Die Regentin verstand es, durch ihr würdiges und kluges Benehmen die Achtung und Liebe des Volkes in demselben Grad zu gewinnen wie ihr verstorbener Gemahl. Spaniens Zustände sind indes noch durchaus unfertig. Der alte klerikale Absolutismus ist zwar durch die Unfähigkeit seiner Vertreter und das Eindringen liberaler Ideen äußerlich gestürzt und lebensunfähig, aber im Geiste des Volkes so wenig überwunden und vertilgt, daß sich auch keine liberale Regierung auf die Masse des Volkes selbst stützen kann, sondern die Hilfe der Parteiführer und ehrgeizigen Generale in Anspruch nehmen muß, die wieder ihren Schützling ausnutzen, diskreditieren und schließlich ins Verderben fortreißen. Im Bund mit andern Parteien ist jede Partei im stande, nach einigen Jahren das herrschende Regiment zu stürzen.
[Litteratur.] Lembke, Geschichte von S. (Bd. 1, Hamb. 1831; Bd. 2 u. 3 von Schäfer, Gotha 1844–1861; fortgesetzt von Schirrmacher, das. 1881 ff.); Lafuénte, Historia general de España (Madr. 1850–66, 30 Bde.; neue Ausg., Barcelona 1888, 22 Bde.); Cavanilles, Historia de España (Madr. 1861–65, 5 Bde.); Rico y Amat, Historia politica e parlamentaria de España (das. 1860–62, 3 Bde.); Alfaro, Compendio de la historia d’España (5. Aufl., das. 1869); Rosseeuw Saint-Hilaire, Histoire d’Espagne (Par. 1836–79, 14 Bde.); Gebhardt, Historia general de España (Madr. 1864, 7 Bde.); Havemann, Darstellungen aus der innern Geschichte Spaniens, 15.–17. Jahrh. (Götting. 1850); Fapia, Historia de la civilisazion d’España (Madr. 1840, 4 Bde.); Montesa u. Manrique, Historia de la legislazion etc. de España (das. 1861–64, 7 Bde.); Aschbach, Geschichte der Omaijiden in S. (2. Aufl., Wien 1860, 2 Bde.); Derselbe, Geschichte Spaniens und Portugals zur Zeit der Herrschaft der Almorawiden und Almohaden (Frankf. 1833–37, 2 Bde.); Dozy, Histoire des Musulmans de l’Espagne (Leid. 1861, 4 Bde.; deutsch, Leipz. 1873); Derselbe, Recherches sur l’histoire et la littérature de l’Espagne pendant le moyen-âge (3. Aufl., Leid. 1881, 2 Bde.); Prescott, History of Ferdinand and Isabella (deutsch, Leipz. 1842); Derselbe, History of the reign of Philipp II. of Spain (deutsch, das. 1856–59, 5 Bde.); Häbler, Die wirtschaftliche Blüte Spaniens im 16. Jahrhundert (Berl. 1888); „Actas de las cortes de Castilla 1563–1713“ (Madr. 1861–85); Morel-Fatio, L’Espagne au XVI. et au XVII. siècle (Heilbr. 1878); Baumgarten, Geschichte Spaniens zur Zeit der französischen Revolution (Berl. 1861); Derselbe, Geschichte Spaniens vom Ausbruch der französischen Revolution bis auf unsre Tage (Leipz. 1865–71, 3 Bde.); Arteche y Moro, Guerra de la independencia 1808–14 (Madr. 1868–83, Bd. 1–5); Hubbard, Histoire contemporaine de l’Espagne (Par. 1869 bis 1883, 6 Bde.); Lauser, Geschichte Spaniens vom Sturz Isabellas bis zur Thronbesteigung Alfonsos (Leipz. 1877, 2 Bde.); Borrego, Historia de las cortes de España durante el siglo XIX (Madr. 1885); Cherbuliez, L’Espagne politique 1868–73 (Par. 1874); Leopold, Spaniens Bürgerkrieg (Hannov. 1875); de Castro, Geschichte der spanischen Protestanten (deutsch, Frankf. 1866); Wilkens, Geschichte des spanischen Protestantismus im 16. Jahrhundert (Gütersl. 1887); Kayserling, Geschichte der Juden in S. (Berl. 1861–67, 2 Bde.); Solvay, L’art espagnol (Par. 1886).
[868] Spanien. Über die 31. Dez. 1887 in S. vorgenommene Volkszählung sind vorläufig die ersten amtlichen Daten veröffentlicht worden. Hiernach betrug die Gesamtbevölkerung des europäischen S. samt den Balearen und Kanarischen Inseln sowie den nordafrikanischen Besitzungen 17,550,246 gegen 16,634,345 zu Ende des Jahres 1877 und 15,673,536 im J. 1860. Die stärkstbevölkerte Provinz ist Barcelona mit 899,264 Einw. (1877: 836,887). Dieser folgen zunächst die Provinzen Madrid mit 684,630 (1877: 594,194) und Coruña mit 613,792 (1877: 596,436) Einw. Unter den Städten stehen an Bevölkerungszahl obenan: Madrid mit 472,228 (1877: 397,690), Barcelona mit 272,481 (1877: 249,106), Valencia mit 170,763 (1877: 143,856), Sevilla mit 143,182 (1877: 133,938) und Malaga mit 134,016 (1877: 115,882) Einw.
Der Weinbau Spaniens lieferte im J. 1888 bei einer Anbaufläche von 1,8 Mill. Hektar (1887: 1,2 Mill.) einen Ertrag von 35,8 Mill. hl (1887: 17,8). Während das Jahr 1887 ein besonders schlechtes Weinjahr bildete, war das darauffolgende Jahr ein sehr günstiges. Der Durchschnittsertrag der letzten fünf Jahre ist bei einer Anbaufläche von 1,6 Mill. Hektar jährlich 28 Mill. hl. Im J. 1889 blieb die Weinernte mit 20 Mill. hl wieder hinter dem Durchschnitt zurück. Die spanische Weinproduktion hat sich im Laufe der letzten zehn Jahre infolge der Verheerung [869] der Weinberge in Frankreich durch die Reblaus und der dadurch dort hervorgerufenen starken Nachfrage nach fremden Weinen sehr gesteigert. (Über die Ausfuhr s. unten.) Eine königliche Verordnung vom 13. Mai 1890 verfügt im Interesse des spanischen Weinexports die Einrichtung önotechnischer Stationen in Paris, Bordeaux, Cette, Hamburg und London zur Unterstützung und Förderung des spanischen Weinhandels. Diese Stationen sollen die Reinheit und Echtheit des Weins, welcher nur aus S. kommen darf, verbürgen.
Der auswärtige Handel Spaniens hatte im J. 1888 einen Gesamtwert von 1479,2 Mill. Pesetas; dieses Ergebnis ist gegen die Jahre 1887, 1886 und 1883 zurückgeblieben, hat aber die Jahre 1885 u. 1884 übertroffen. Von der bezeichneten Summe entfallen auf die Einfuhr 716,1 Mill., auf die Ausfuhr 763,1 Mill. Pesetas. Ein Vergleich mit den vorhergehenden Jahren ergibt folgende Werte (in Millionen Pesetas):
Jahr | Einfuhr | Ausfuhr |
1883 | 893,4 | 719,5 |
1884 | 779,6 | 619,2 |
1885 | 764,8 | 698,6 |
1886 | 855,2 | 727,3 |
1887 | 811,2 | 722,2 |
1888 | 716,1 | 763,1 |
Hiernach hat in den vorhergegangenen fünf Jahren der Wert der Einfuhr den der Ausfuhr durchschnittlich um etwa 100 Mill. überstiegen, während umgekehrt im J. 1888 der Wert der Ausfuhr die Einfuhr um 47 Mill. übertrifft, eine Erscheinung, die sich in den letzten 40 Jahren nur noch fünfmal gezeigt hat und zwar 1853, 1854, 1855, 1873 und 1881. Der Hauptanteil an dem Rückgang der Einfuhr fällt auf Getreide, Spiritus, Stockfisch, Seidengewebe, Holz, Farben und rohe Baumwolle. Hierunter erscheint Spiritus allein mit einer Mindereinfuhr von 33 Mill. Liter im Werte von 25 Mill. Pesetas. Der Grund dieser Erscheinung liegt in dem Gesetz vom 26. Juni 1888, welches den Spiritus mit einer Konsumsteuer von 75 Centimos auf den hundertteiligen Grad reinen Alkohols in jedem Hektoliter, d. h. mit 72 Pesetas pro Hektoliter, nebst dem Eingangszoll von 21 Pesetas pro Hektoliter, belastete und die Spriteinfuhr so unmöglich machte. Seither ist durch Gesetz vom 21. Juni 1889 die Konsumsteuer von dem Betrag von 75 Centimos pro Grad, resp. von 72 Pesetas pro Hektoliter auf den fixen Betrag von 25 Pesetas ohne Rücksicht auf den Gradgehalt herabgesetzt und hierdurch die Einfuhr fremden Sprites nach S. wieder ermöglicht worden. Einen erheblichen Rückgang zeigt ferner die Einfuhr in Getreide (19 Mill. Pesetas weniger). Dagegen ergibt sich eine Steigerung der Einfuhr gegen das Vorjahr hauptsächlich bei Weizenmehl (um 3 Mill. Pesetas), Steinkohle (51/2 Mill.), Vieh (1 Mill.), Maschinen und Maschinenbestandteilen (11/2 Mill.), Schiefer, Erdharz und Petroleum (51/2 Mill.), Industrieölen (2 Mill.), Kaffee (21/2 Mill.) und bei einzelnen Kategorien von Geweben (21/2 Mill. Pesetas). Der verringerten Einfuhr entspricht eine bedeutende Mindereinnahme an Zöllen. Der Ertrag derselben wird im J. 1888 mit 79,8 Mill. Pesetas angegeben, d. h. mit 101/2 Mill. weniger als im Durchschnitt der vorhergegangenen fünf Jahre. Die wichtigsten Einfuhrländer waren: Frankreich (211,8 Mill. Pesetas), England (121,8 Mill.), Nordamerika (76,1 Mill.) und Deutschland (57,8 Mill.). Von der Mehrausfuhr entfällt der größte Teil auf den Export von gewöhnlichem Wein. Die durchschnittliche Ausfuhr der Jahre 1883–87 (7,05 Mill. hl im Werte von 251 Mill. Pesetas) wird im J. 1888 infolge des zwischen Frankreich und Italien bestandenen Zollkriegs durch eine Ausfuhr von 8,7 Mill. hl im Werte von 261,7 Mill. Pesetas erheblich übertroffen. Rechnet man noch die edlen Weinsorten hinzu, so ergibt sich, daß der Wert der ausgeführten Weine ungefähr 2/5 des ganzen Exports ausmacht. An der Zunahme der Ausfuhr sind weiter die meisten wichtigern Waren beteiligt, unter ihnen hauptsächlich Orangen, Kork, Baumwollgewebe und Vieh. Anderseits ergibt sich bei einzelnen Artikeln ein Ausfall in der Ausfuhr, so bei Blei und bei gewissen Südfrüchten, die beide mit 5 Mill. weniger verzeichnet werden, Eisen, Stahl, Mineralien u. a. Die Schiffahrtsbewegung in den spanischen Häfen umfaßte im J. 1888: 35,985 Schiffe mit 22,333,688 Registertonnen u. 10,005,118 Ladungstonnen (1887: 37,176 Schiffe mit 22,281,549 Register- u. 10,095,751 Ladungstonnen). Von dem Gesamtverkehr des Jahres 1888 kamen auf den Einlauf: 18,754 Schiffe von 11,443,457 Registertonnen mit einer Ladung von 2,983,039 T., auf den Auslauf 17,231 Schiffe von 10,890,231 Registertonnen mit einer Ladung von 7,022,079 T. An dem durch die Schiffahrt bewegten Warenverkehr hatten den Hauptanteil die britische, spanische und französische Flagge, und zwar die britische in der Einfuhr mit 1,623,580, in der Ausfuhr mit 4,417,953 Ladungstonnen, die spanische mit 661,972 T. in der Einfuhr und 970,185 T. in der Ausfuhr, die französische mit 151,977 T. in der Einfuhr und 720,618 T. in der Ausfuhr. Auf die deutsche Flagge kam eine Einfuhr von 57,981 und eine Ausfuhr von 231,388 Ladungstonnen.
Die Bestrebungen zur Förderung des spanischen Exporthandels haben 1888 zur Ausrüstung einer spanischen schwimmenden Ausstellung geführt, welche auf dem Dampfer Conde de Vilana mehrere südamerikanische Hafenplätze anlief, aber mit einem Mißerfolg endete. Als ein gelungenes Unternehmen muß dagegen die Weltausstellung zu Barcelona im J. 1888 bezeichnet werden. Zu den im J. 1892 zu führenden Verhandlungen über die Erneuerung der Handelsverträge werden gegenwärtig die Vorbereitungen getroffen. Auch in S. macht sich die Partei der extremen Schutzzöllner geltend. Speziell die katalonischen Industriekreise nehmen eine äußerst vertragsfeindliche Haltung ein und verlangen die Kündigung sämtlicher Handelsverträge sowie eine den Bedürfnissen der nationalen Industrie Rechnung tragende Revision des allgemeinen Zolltarifs. Im Juli 1890 ist in Katalonien, und zwar zunächst in Manresa, ein Arbeiteraufstand ausgebrochen, welcher sich über die ganze Provinz ausgedehnt und auch entfernt liegende Distrikte in Andalusien und Valencia in Mitleidenschaft gezogen hat. Die Veranlassung des Streiks bildeten in Manresa und den Gebirgsbezirken des katalonischen Industriegebiets die verhältnismäßig sehr niedrigen Arbeitslöhne bei übermäßiger Arbeitszeit. Den streikenden Fabrikarbeitern im Gebirge schlossen sich aus Solidarität die günstiger gestellten Arbeiter der Fabriken in der katalonischen Ebene an. Doch endete die groß angelegte Bewegung bald wegen der ungenügenden Mittel der Arbeiter mit der vollständigen Unterwerfung derselben.
Die Eisenbahnverbindungen Spaniens mit Frankreich, welche gegenwärtig auf die zwei Schienenwege am Viscayischen Busen und Mittelländischen Meere (über Irun und Port-Bou) beschränkt sind und dem Verkehr beider Länder nicht genügen, sollen durch eine dritte Bahn von Lerida in S. über Balaguer und Tremp nach St.-Girons in Frankreich zum Anschluß an die Linie nach Toulouse ergänzt werden. Die neue Linie, welche in acht Jahren fertig gestellt [870] sein soll, macht einen 6,56 km langen Tunnel erforderlich. Das spanische Eisenbahnnetz hat im J. 1888 einen Zuwachs um 177 km erfahren und hatte Ende 1888 eine Ausdehnung von 9669 km.
Die Verhältnisse der Staatsfinanzen von S. haben sich in letzter Zeit nicht günstig gestaltet. Der Voranschlag für 1890/91 beziffert die Einnahmen auf 805,551,337 Pesetas, die Ausgaben auf 810,663,413 Pesetas, woraus sich ein Defizit von mehr als 5 Mill. Pesetas ergibt. Die Staatsschuld betrug 1889: 6257 Mill. Pesetas, während die aus dem Defizit früherer Jahre herrührende schwebende Schuld auf 266 Mill. Pesetas gestiegen ist. Die Bank von S. hat 650 Mill. in Staatsschuldverschreibungen und in Vorschüssen an den Staat angelegt und muß an eine Veräußerung ihres umfassenden Besitzes an spanischen Staatspapieren denken oder ihre Barmittel zur Bestreitung von Zahlungen verwenden, da die Grenze der Notenausgabe von 750 Mill. Pesetas nahezu erreicht worden ist. Der Metallbestand der Bank betrug im Juli 1890 nur etwas über 200 Mill. Pesetas, davon etwa die Hälfte in Gold. Ein Versuch, das Notenausgaberecht der Bank um ein Drittel, bis zu 1000 Mill. Pesetas, zu erhöhen, ist fehlgeschlagen.
[Geschichte.] Unter mancherlei Schwierigkeiten, welche ihm die ehrgeizigen und wankelmütigen Parteipolitiker bereiteten, behauptete sich der Ministerpräsident Sagasta im Besitz der Herrschaft, durch den Takt und die Klugheit der Königin-Regentin wirksam unterstützt. Obwohl S. durch die Erhebung der großmächtlichen Gesandtschaften zu Botschaften 1888 formell als europäische Großmacht anerkannt worden war, beobachtete Sagasta in der auswärtigen Politik eine kluge Zurückhaltung, um jeden Konflikt mit den andern Mächten, namentlich mit Frankreich wegen Marokkos, zu vermeiden. Im Innern geriet die von Sagasta versprochene Reformgesetzgebung infolge der Unzuverlässigkeit der Kammermehrheit wiederholt ins Stocken. 1888 wurden die Zivilehe, 1889 das bürgerliche Gesetzbuch und die Militärreform Cassolas, letztere allerdings in sehr geschwächter Gestalt, angenommen. Schon aber erreichten 1889 in den Cortes die Eifersüchteleien und Streitigkeiten der Politiker einen so hohen Grad von Leidenschaftlichkeit, daß bei den politischen Debatten im Mai und Juli Sturmszenen sich ereigneten, wie sie selbst in der spanischen Volksvertretung selten sind. Sagasta liebte es, seine Ministerien aus „neuen Leuten“ zusammenzusetzen; nur der Minister des Äußern, Vega de Armijo, ein langjähriger Gefährte Sagastas, gehörte zu den ältern Politikern. Dadurch zog sich Sagasta aber den Haß der Männer zu, die, wie Gamazo, Moret, Romero Robledo, Martos, Cassola und Lopez Dominguez, durchaus eine einflußreiche Rolle spielen wollten, und deren Ränke erschütterten Sagastas Regierung immer wieder, obwohl seine Partei in den Cortes über 236 Mitglieder zählte, also über eine große Mehrheit verfügte. Wiederholte Ministerwechsel waren die Folge hiervon. Im Dezember 1889 forderten der Marineminister Rodriguez Arias und der Minister der Finanzen Venancio Gonzalez ihre Entlassung, während mehrere jener Politiker immer stürmischer auf eine Vertretung im Kabinett drangen. Um Sagasta vor dem Zusammentritt der Cortes (10. Jan. 1890) die Neubildung eines Kabinetts zu erleichtern, reichten 2. Jan. sämtliche Minister dem Ministerpräsidenten ihre Entlassung ein. Aber erst nach langen Verhandlungen, bei denen eine Versöhnung Sagastas mit seinen Nebenbuhlern nur sehr unvollkommen erreicht wurde, gelang die Bildung eines neuen Ministeriums, in welchem Sagasta wieder den Vorsitz führte, Vega de Armijo und zwei andere Minister ihre Portefeuilles behielten und fünf Demokraten, darunter der Kriegsminister Bermudez Reina, ein Freund Cassolas und Lopez Dominguez’, Aufnahme sanden. Damit war die Annahme der Vorlage über die Einführung des allgemeinen Stimmrechts entschieden; 24. Jan. 1890 nahm die Kammer mit 143 gegen 31 Stimmen den 1. Artikel derselben an, und 26. Juni wurde die Vorlage Gesetz. Sagasta hatte durch seine Reformen den republikanischen Agitatoren ihre wirksamsten Mittel entrissen und damit sich um die Krone und S. sehr verdient gemacht. Aber die liberale Partei hatte sich während der fast fünfjährigen Herrschaft Sagastas mehr und mehr aufgelöst, der beim letzten Ministerwechsel nicht berücksichtigte rechte Flügel verbündete sich mit den Konservativen, und die Anträge dieser vereinigten Opposition wurden in den Cortes von der Mehrheit nur lau bekämpft. Daher reichte Sagasta Anfang Juli seine Entlassung ein. Die Regentin nahm sie an und beauftragte auf den Rat Sagastas Canovas del Castillo, das Haupt der Konservativen, mit der Bildung eines neuen Ministeriums, das 5. Juli zu stande kam. Canovas vermied jede schroffe Parteifärbung und nahm mehrere ehemalige Liberale, wie den Marineminister Beranger, den Kolonialminister Fabié und den Herzog von Tetuan, in das Kabinett auf, das Sagasta zu unterstützen versprach. Dagegen erklärte das neue Ministerium, die liberalen Reformen achten und ausbauen und durch eine Amnestie auch die Republikaner versöhnen zu wollen. Schon die Wahlen für die Hälfte der Provinzialräte, welche 7. Dez. 1890 nach dem neuen Wahlgesetz vom 26. Juni stattfanden, zeigten, daß auch unter dem neuen Gesetz die Regierung die Wahlen beherrschte; dieselben fielen überwiegend zu ihren gunsten aus. Dasselbe fand statt bei den Neuwahlen für die Cortes 1. Febr. 1891. Dieselben ergaben eine Mehrheit von 291 Konservativen gegenüber 154 Mitgliedern der aus allen möglichen Schattierungen zusammengesetzten Opposition. Auch im Senat gebot die Regierung über eine große Mehrheit. Die neuen Cortes wurden 2. März von der Königin mit dem üblichen Pomp eröffnet. Die Thronrede bestätigte die von Canovas bei Übernahme des Ministeriums gegebenen Versprechungen des Ausbaues der beschlossenen Reformen und einer Amnestie für die politischen Flüchtlinge; außerdem wurde besonders die Notwendigkeit, den Fehlbetrag aus dem Staatshaushalt zu beseitigen, betont. – Zur Litteratur: Danvila y Collado, El poder civil en España (Mad. 1885 ff., Bd. 1–6); Torres Campos, Staatsrecht des Königreichs S. (Freib. i. Br. 1889).
[853] Spanien. Der auswärtige Warenhandel Spaniens zeigte in den letzten 4 Jahren folgende Bewegung (Werte in Millionen Pesetas):
Jahr | Einfuhr | Ausfuhr | ||
1888 | 716,1 | 763,1 | ||
1889 | 866,3 | 896,9 | ||
1890 | 810,1 | 824,8 | ||
1891 | 862,3 | 855,0 |
Die spanische Handelsbilanz welche in den Jahren 1888–90 aktiv war, ist sonach im J. 1891 infolge der stark vermehrten Einfuhr wieder passiv geworden (Mehreinfuhr 7,3 Mill. Pesetas). Die 13 Warenklassen des spanischen Zolltarifs weisen im J. 1891 in der Einfuhr und Ausfuhr folgende Werte (in Millionen Pesetas) auf:
Einfuhr | Ausfuhr | |
Steine, Erden, Erze, Glas- und Thonwaren | 82,6 | 83,6 |
Metalle und Metallwaren | 36,9 | 130,6 |
Drogen und Chemikalien | 54,8 | 28,0 |
Baumwolle und Baumwollwaren | 101,6 | 28,8 |
Hanf, Flachs, Jute und Waren daraus | 34,4 | 4,0 |
Wolle und Wollwaren | 41,6 | 11,5 |
Seide und Seidenwaren | 20,1 | 5,2 |
Papier und Bücher | 7,6 | 10,1 |
Holz und Holzwaren | 54,6 | 35,5 |
Tiere und tierische Produkte | 46,0 | 45,6 |
Maschinen und Instrumente | 49,1 | 0,8 |
Nahrungsmittel und Getränke | 173,2 | 469,0 |
Verschiedene Artikel | 159,8 | 2,3 |
Zusammen: | 862,3 | 855,0 |
Gegen das Jahr 1890 zeigt sich in der Einfuhr hauptsächlich nur bei den Nahrungsstoffen (insbesondere in Mehl, Zucker und Sprit) eine Verminderung (um 46 Mill. Pes.), dagegen in den meisten Klassen eine Zunahme, welche namentlich bei den verschiedenen Artikeln (Eisenbahnmaterial, Tabak, edle Metalle, zusammen um 68 Mill. Pes.), bei Baumwolle (+17 Mill.) und bei Schafwollwaren (+7 Mill.) in die Augen fällt. In der Ausfuhr weist nur die Tarifklasse der Steine, Erze etc. einen bedeutenden Rückgang gegen 1890 (−16 Mill.) auf, wogegen die meisten und wichtigsten Klassen, wie die der Metalle, Drogen, Baumwollwaren, Holzwaren, vor allem die [854] der Nahrungsmittel eine ansehnliche Mehrausfuhr ergeben. Speziell die Weinausfuhr übertrifft mit 362 Mill. Pesetas weitaus die Ergebnisse der Vorjahre (308 Mill. im J. 1890 und 285 im J. 1889).
Die Schiffahrt in den spanischen Häfen umfaßte im J. 1890, verglichen mit dem Vorjahre:
1889 | 1890 | ||
Eingelaufene Schiffe | 18161 | 19557 | |
Tonnengehalt | 11528399 | 12285930 | Tonnen |
Beförderte Waren | 3062986 | 3434190 | „ |
Ausgelaufene Schiffe | 18555 | 18669 | |
Tonnengehalt | 12758024 | 12100910 | Tonnen |
Beförderte Waren | 7726824 | 8438463 | „ |
Es zeigt sich somit im J. 1890 ein Aufschwung namentlich in der Verkehrsrichtung des Einlaufs, im Auslauf speziell eine Zunahme der Schiffszahl und der beförderten Warenmenge bei einer Abnahme des Tonnengehaltes der ausgelaufenen Schiffe.
[Handelspolitik.] Auch die spanische Handelspolitik ist vom System des Freihandels zu dem des Schutzzolles übergegangen. Durch Dekret vom 24. Dez. 1890 wurde die Bestimmung des Budgetgesetzes vom 1. Juli 1869, womit die allmähliche Ermäßigung der Einfuhrzölle bis zu 15 Proz. des Wertes angeordnet worden war, aufgehoben und zunächst mit der Absicht des Schutzes der landwirtschaftlichen Produktion Spaniens die Erhöhung der Einfuhrzölle für 16 Tarifpositionen, namentlich für Vieh, Fleisch, Reis, Getreide und Mehl, verfügt. Mit 1. Febr. 1892 ist ein neuer allgemeiner Zolltarif (vom 31. Dez. 1891) ins Leben getreten, welcher nach dem französischen Vorbilde Minimalsätze für die Einfuhr aus jenen Ländern, welche S. größere Zollbegünstigungen gewähren, und Maximalsätze für Länder, welche mit S. kein Übereinkommen geschlossen haben, feststellt. Mit Ausnahme des unabänderlichen Zollsatzes auf Sprite und Liköre (160 Pesetas pro Hektoliter) können übrigens die Minimalzollsätze im Vertragswege noch herabgesetzt werden. Zugleich wurden für den Termin des 1. Febr. 1892 sämtliche die Klausel der Meistbegünstigung enthaltende Handelsverträge gekündigt. Da jedoch die Verträge mit Großbritannien, den Niederlanden und Finnland erst 30. Juni 1892 zu Ende gehen, wurden diesen Ländern bis dahin die vertragsmäßigen Rechte gewahrt und mit einer Reihe von Staaten eine provisorische Verlängerung des Vertragsverhältnisses bis Ende Juni 1892 vereinbart (s. Handelsverträge, S. 428). In die neu abzuschließenden Handelsverträge soll die Klausel der Meistbegünstigung nicht mehr Eingang finden. Für Cuba und Puerto Rico wurde 1. Aug. 1891 ein Handelsvertrag mit Nordamerika abgeschlossen, durch welchen gegenseitige handelspolitische Konzessionen gewährt werden. Für die Philippinen ist mit 1. April 1891 ein neuer Zolltarif erlassen worden, welcher dem Handel und der Industrie sowohl des spanischen Mutterlandes als des Archipels gegenüber der fremden Konkurrenz Schutz gewährt.
Den Boden der Arbeiterschutzgesetzgebung hat die spanische Regierung vorläufig nur durch Schaffung einer speziellen Kommission für soziale Reformen betreten, welcher die Beratung der Projekte, betreffend Aufhebung der Sonntagsarbeit, Einschränkung der Frauen- und Kinderarbeit und betreffend die Arbeitsunfälle, überwiesen wurde.
[Volkszählung.] Nach den endgültigen Ergebnissen der letzten Volkszählung vom 31. Dez. 1887 betrug die Gesamtbevölkerung Spaniens 17,565,632, die Zunahme gegen 1877: 931,287 Seelen. Auf die einzelnen Provinzen verteilt sich die Bevölkerung wie folgt.
Provinzen | Einwohner | ||
Ende 1887 | Zunahme gegen 1877 (− Abnahme) | auf 1 QKil. | |
Alava | 92915 | −623 | 31 |
Albacete | 229105 | 10040 | 15 |
Alicante | 433050 | 21485 | 77 |
Almeria | 339452 | −9624 | 39 |
Avila | 193098 | 12657 | 25 |
Badajoz | 481508 | 48699 | 22 |
Balearen | 312593 | 23558 | 62 |
Barcelona | 902970 | 66083 | 117 |
Burgos | 338551 | 5926 | 24 |
Caceres | 339793 | 33199 | 17 |
Cadiz (mit Ceuta) | 429872 | 666 | 59 |
Castellon | 292437 | 8456 | 45 |
Ciudad Real | 292291 | 31933 | 15 |
Cordova | 420728 | 35246 | 31 |
Coruña | 613881 | 17445 | 78 |
Cuenca | 242462 | 6209 | 14 |
Gerona | 306583 | 6881 | 52 |
Granada | 484638 | 5572 | 38 |
Guadalajara | 201518 | 230 | 17 |
Guipuzcoa | 181845 | 14638 | 97 |
Huelva | 254831 | 44384 | 25 |
Huesca | 255137 | 2898 | 17 |
Jaen | 437842 | 14817 | 32 |
Kanarische Inseln | 291625 | 10651 | 40 |
Leon | 380637 | 30427 | 25 |
Lerida | 285417 | 78 | 24 |
Logroño | 181465 | 7040 | 36 |
Lugo | 432165 | 21355 | 44 |
Madrid | 682644 | 88450 | 86 |
Malaga | 519377 | 19055 | 71 |
Murcia | 491436 | 39825 | 43 |
Navarra | 304122 | −62 | 29 |
Orense | 405127 | 16292 | 58 |
Oviedo | 595420 | 19068 | 55 |
Palencia | 188845 | 8074 | 22 |
Pontevedra | 443385 | −8561 | 161 |
Salamanca | 314472 | 28777 | 25 |
Santander | 244274 | 8975 | 45 |
Saragossa | 415195 | 14608 | 24 |
Segovia | 154443 | 4391 | 23 |
Sevilla | 544815 | 38003 | 39 |
Soria | 151530 | −2122 | 15 |
Tarragona | 348579 | 18474 | 54 |
Teruel | 241865 | −300 | 16 |
Toledo | 359562 | 24524 | 24 |
Valencia | 733978 | 54932 | 68 |
Valladolid | 267148 | 19690 | 35 |
Viscaya | 235659 | 45705 | 109 |
Zamora | 270072 | 20352 | 26 |
Spanien: | 17560352 | 949775 | 35 |
Nordafrika (ohne Ceuta) | 5280 | 2804 | 72 |
Insgesamt: | 17565632 | 931287 | 35 |
[Staatsfinanzen.] Der Staatsvoranschlag für das Jahr 1891/92 ist von der Regierung in den Einnahmen mit 733,8 Mill. Pesetas, in den Ausgaben mit 752,7 Mill., sonach mit einem Fehlbetrag von rund 18,9 Mill. Pesetas beziffert worden. Um dieses verhältnismäßig günstige Ergebnis zu erreichen, wurden an den Budgets sämtlicher Ministerien starke Abstriche gemacht. Indessen dürften sich in Wirklichkeit die Einnahmen niedriger, die Ausgaben und der Fehlbetrag dagegen, wie in den Vorjahren, höher stellen. Die offiziell zugestandenen Fehlbeträge beliefen sich für 1885/86 auf 108, für 1886/87 auf 100, für 1887/88 auf 89, für 1888/89 auf 138, für 1889/90 auf 81 Mill.; für 1890/91 wird der Ausfall statt der angenommenen 5 voraussichtlich 80–100 Mill. Pesetas ausmachen. Seit der letzten vor neun Jahren abgeschlossenen Anleihe ist etwa 1 Milliarde mehr ausgegeben als eingenommen worden; durch Veräußerung oder Verpfändung von [855] Staatseigentum wurden ca. 200 Mill. beschafft; die Gesellschaft, welche das Tabaksmonopol pachtete, borgte 84 Mill.; an fälligen Eisenbahnsubventionen ist die Regierung 120 Mill. schuldig geblieben; die anerkannte schwebende Schuld beträgt etwa 1/3 Milliarde; den Rest hat die Bank von S. für Vorschüsse in laufender Rechnung zu fordern. Die Regierung hat nun beschlossen, um einige Ordnung in die Finanzlage zu bringen, eine 4proz. innerhalb 30 Jahren rückzahlbare Anleihe von 250 Mill. aufzunehmen, bei der Bank von S. 150 Mill. zinsenfrei zu entleihen und gleichzeitig die Bank, welche längst am Ende ihrer verfügbaren Mittel angelangt ist, in die Lage zu versetzen, weitere Vorschüsse machen zu können. Bisher war die Bank nur zur Ausgabe von 750 Mill. Pesetas in Papiergeld und unter der Voraussetzung berechtigt, diesen Notenumlauf mit einem Viertel durch Barreserven zu decken. Nach dem neuen Bankgesetzentwurf soll die Bank künftig ohne Kapitalserhöhung in der Banknotenausgabe nicht beschränkt sein, vorausgesetzt, daß sie den wirklichen Notenumlauf mit einem Drittel durch Barbestände deckt. Dieses Drittel hat zur Hälfte aus Gold, zur Hälfte aus Silber zu bestehen. Gleichzeitig[WS 2] sollte der Bank zur Entschädigung für die der Regierung zinsfrei zu gewährende Anleihe ihre im Jahre 1904 ablaufende Konzession schon jetzt bis 1921 verlängert werden. Gegen diesen Entwurf hat sich lebhafter Widerstand seitens der Handelskammern erhoben, welche in der unbeschränkten, mangelhaft bedeckten Banknotenausgabe den ersten Schritt des Überganges zur Papiergeldwährung sahen, bei der nächsten größern Krisis die Einführung des Zwangskurses befürchteten und behaupteten, daß 750 Mill. Papiergeld das Maximum dessen bedeute, was der spanische Geldmarkt tragen könne. Die Bestimmung wurde auch wenigstens dahin beschränkt, daß das Recht der Bank zur Ausgabe von Noten auf das Maximum von 1500 Mill. Pesetas begrenzt wurde. – Vgl. auch die S. betreffenden Abschnitte der Artikel Getreideproduktion, S. 390, Kolonien, S. 538, und Volksvertretung.
[Geschichte.] Den dringlichsten Geldbedürfnissen des Staates wurde im Sommer 1891 durch ein Gesetz abgeholfen, welches der Bank von S. gegen einen unverzinslichen Vorschuß von 150 Mill. Pesetas an die Regierung die Vermehrung ihrer Banknoten um 750 Mill. gestattete. Das bei der Eröffnung der Cortes 2. März versprochene Amnestiegesetz wurde von beiden Kammern genehmigt. Wenn dasselbe auch nicht so weit ging, die eidbrüchigen Unteroffiziere wieder in die Armee aufzunehmen, wie mehrere republikanische Abgeordnete verlangten, so gewährte es doch zahlreichen Republikanern die straffreie Rückkehr nach S., obwohl die Gemeinderatswahlen im Mai ein starkes Anwachsen der republikanischen Partei in den Städten bewiesen hatten. Zorrilla und andre Unversöhnliche machten dennoch von der Amnestie keinen Gebrauch. Auch ein Rekrutierungsgesetz, welches im Grundsatz für S. die allgemeine Wehrpflicht anordnete, wurde den Cortes vorgelegt, jedoch, noch ehe dieselben dies Gesetz und den Staatshaushalt durchberaten und genehmigt hatten, deren Sitzungen 15. Juli vertagt.
Die schwierige finanzielle Lage Spaniens wurde aufs äußerste bedroht durch die schutzzöllnerische Politik Frankreichs, dessen von der Deputiertenkammer beschlossener neuer Zolltarif den Zoll auf Wein in einer Höhe und unter Bedingungen festsetzte, die eine fernere Einfuhr spanischen Weines nach Frankreich, die in den letzten Jahren 400 Mill. Frank jährlich betragen hatte, einfach unmöglich machten. Das Mißtrauen gegen den nördlichen Nachbar, das durch die herausfordernde französische Politik in Nordafrika schon erregt war, wurde dadurch gesteigert. Die öffentliche Meinung verlangte eine energische Abwehr der französischen Zollpolitik und eine wachsame Verteidigung der spanischen Interessen im Ausland. Der Marineminister Beranger wurde wegen Vernachlässigung der spanischen Seemacht heftig angegriffen und seine Verwaltung geradezu der Vergeudung der zum Ausbau der Flotte bestimmten Gelder beschuldigt. Beranger nahm infolgedessen seine Entlassung, und sein Rücktritt gab den Anstoß zu einer vollständigen Umgestaltung des konservativen Ministeriums Canovas, welche demselben eine bei der heikligen Finanzlage und der schwierigen Zolltariffrage dringend notwendige feste Mehrheit in den Cortes sichern sollte. Zu diesem Zwecke verständigte sich Canovas mit dem konservativen Parteiführer Romero Robledo und dem liberalen Finanzpolitiker Camacho. Im November reichte das gesamte Ministerium seine Entlassung ein, die von der Regentin angenommen wurde. Darauf wurde Canovas mit der Neubildung des Kabinetts beauftragt, die Ende November zu stande kam. Die bisherigen Minister des Innern (Silvela), der öffentlichen Arbeiten (Isada) und der Kolonien (Fabié) schieden aus, Cos-Gayon übernahm statt der Finanzen die Justiz. Canovas de Castillo blieb Ministerpräsident, der Herzog von Tetuan behielt das Portefeuille des Auswärtigen, General Azcarraga das des Krieges. Neu traten ein Romero Robledo für die Kolonien, Concha Castañeda für die Finanzen, Elduayen für das Innere, Linares Rivas für öffentliche Arbeiten und Admiral Montojo y Trillo für die Marine. Camacho wurde zum Gouverneur der Bank von S. ernannt. Nach dem in den Zeitungen veröffentlichten Programm der neuen Regierung sollte die schutzzöllnerische Richtung beibehalten, in der innern Politik aber der konservative Standpunkt der Regierung kräftiger zum Ausdruck gebracht und gegen die Republikaner weniger Nachsicht als bisher geübt werden. Zur Besserung der Finanzen beabsichtigte man Ersparnisse im Budget und die längst geplante Aufnahme einer Anleihe von 250 Mill. Pesetas zur Tilgung der schwebenden Schuld. Ein neuer Zolltarif wurde ausgearbeitet und 1. Jan. 1892 veröffentlicht, der für die neu abzuschließenden Handelsverträge zur Grundlage dienen sollte. Derselbe setzte sehr hohe Zölle fest, unter anderm für Alkohol 160 Pesetas für das Hektoliter, um die inländische Erzeugung von Weinsprit zu fördern, überhaupt die Zolleinnahmen zu erhöhen. Doch erschwerte der neue Tarif die Verhandlungen mit den andern Mächten über die Erneuerung der Handelsverträge, die nur mit wenigen zu stande kam. Mit Frankreich hörte 1. Febr. 1892 jedes Vertragsverhältnis auf; indes hatte S. seine Weinernte (6,2 Mill. hl) vorher nach Frankreich ausgeführt. Das den Cortes im Februar vorgelegte Budget setzte die Ausgaben auf 750, die Einnahmen auf 749 Mill. Pesetas fest; die Ersparungen beliefen sich auf 7, der Ertrag der neu einzuführenden Steuern auf 26 Mill. Doch erklärte das Ministerium noch weitere Steuern für unvermeidlich.