MKL1888:Marokko
[275] Marokko (von den Arabern als deren westlichster Besitz Maghreb el Aksa, „der äußerste Westen“, genannt), Sultanat im NW. Afrikas, zwischen 27–36° nördl. Br. und 0–13° östl. L. v. Gr., wird im N. vom Mittelländischen Meer und der Straße von Gibraltar, im W. vom Atlantischen Ozean, im O. von Algerien und im S. von der Sahara begrenzt (s. Karte „Algerien etc.“). Nach der letzten Richtung hin ist die Grenze aber ganz unbestimmt. Von dem ganzen auf 812,300 qkm (14,850 QM.) berechneten Gebiet ist nur ein beschränkter Teil dem Sultan von M. wirklich unterthan, nämlich das Beled el Makhzen (Land der Konskription) genannte Gebiet, bestehend aus dem ehemaligen Königreich Fes mit Tanger und Tetuan, dem eigentlichen Königreich M., dem Sus an der Küste südlich vom Kap Ghir, die Oasen Tafilet und Figig und das Land Udjda im NO. Dagegen nennt man Beled es Siba alle Regionen, deren verschiedene Stämme sowohl Steuern als Militärdienst verweigern, und die nur gelegentlich durch eine militärische Expedition unterworfen werden. Dahin gehört das ganze Er Rif am Mittelmeer von Melilla bis Tetuan, ein ausgedehntes Gebiet im N. des Atlas, und die zentralen Teile dieses Gebirges, endlich im S. von Udjda das große Territorium, dessen Zentrum der Schott Tigri bildet. Tidikelt, Tuat, Gurara und andre Oasen der Sahara erkennen höchstens die religiöse Suprematie des Sultans an. In seiner weitesten geographischen Ausdehnung hat M. eine Küstenlänge von 1750 km, wovon 425 auf das Mittelmeer, 60 auf die Meerenge von Gibraltar und 1200–1300 auf den Atlantischen Ozean entfallen. Die Mittelmeerküste ist steil und schutzlos, in der Meerenge ist nur eine mittelmäßige Reede, die von Tanger; die atlantische Küste ist dagegen niedrig, aber ebenso ungünstig für die Schiffahrt; die Häfen von El Aresch und Rabat sind Flußmündungen, die übrigen Landungsplätze nichts weiter als offene, unsichere Reeden. Die atlantische Küste hat gar keine Inseln, die der mittelländischen (Islas Chafarinas, Alhucemas, Velez de la Gomera, Peregil) sind kahle Felsen. Die Oberflächenform Marokkos ist uns nur sehr ungenügend bekannt. An der Küste des Mittelmeers erhebt sich ein 60 km breites bergiges Küstenland mit dem 2010 m hohen Beni Hassan als Kulminationspunkt; daran schließen sich südlich weitere Höhenzüge bis zur mächtigen Gebirgskette des Großen Atlas (Idrar-n-Deren), welcher sich vom Kap Ghir in nordöstlicher Richtung bis zur algerischen Grenze hinzieht und eine mittlere Höhe von 3650 m hat, die durch einzelne Piks noch um 150–240 m überragt wird. Die Breite des Gebirges ist stellenweise nur 30 km, und die Pässe erreichen nur 1100–1500 m über dem Gebirgsfuß. Südlich davon zieht sich in paralleler Richtung der 2000 m hohe Antiatlas hin, dann folgt die Wüstenregion. Der westliche Teil zwischen Atlas und Atlantischem Ozean ist ebenes, fruchtbares Land. Nicht weniger bekannt als die Orographie ist die Hydrographie des Landes. Die Flüsse sind periodisch sehr wasserreich, zu andern Zeiten des Jahrs aber seicht, zuweilen ganz trocken; alle nehmen mit der Annäherung ans Meer an Volumen ab. Nach Hooker und Ball führen alle Flüsse Marokkos insgesamt nur 225 cbm Wasser in der Sekunde dem Meer zu. Eine Barre verschließt ihre Mündung, selbst der größte, der Sebu, ist nicht schiffbar; der lange, im Oberlauf breite Wadi Draa erreicht das Meer selbst zur Zeit der Schneeschmelze selten einmal. In den Atlantischen Ozean münden noch der Begreb, der fischreiche Umer Rebia, der Tensift und Sus, in das Mittelmeer der Muluja. Die Wadis Tafilet, Gir und Saura verlieren sich in den Salzseen der marokkanischen Sahara. Von Seen sind nur nennenswert die Strandseen Laguna Puerto Nuevo an der mittelländischen und die Merdja Ras-e-Dura an der atlantischen Küste; periodische Seen, die sich später in Graswiesen verwandeln, werden von den angeschwollenen Wadis gebildet. Das Klima ist in den Küstenstrichen angenehm und beständig, in den innern, von Bergen umschlossenen teils drückend heiß, teils heftigen Regen ausgesetzt. In den hohen Gebirgsgegenden bleiben die höchsten Kuppen das ganze Jahr mit Schnee bedeckt; südlich vom Atlas beginnt das heiße und trockne Wüstenklima mit gelegentlichen wolkenbruchartigen Niederschlägen. Die Mitteltemperatur beträgt in den Städten Tanger 18°, in M. 20° C. Der Regenfall ist ausreichend. Der Mineralreichtum ist noch ganz unerschlossen und, da das Suchen nach Mineralien verboten ist, wenig bekannt; doch hat man Gold und Silber an mehreren Orten gefunden; Kupferlager sind zahlreich und von großer Mächtigkeit, Eisen findet sich im Atlas im Überfluß, und in den halb unabhängigen Gebieten wird es auch gewonnen, ebenso Antimon, Blei, Steinsalz, Schwefel, Kohle, Töpfererde, im Rif Bergkristalle, Amethyste; roter Ocker ist weit verbreitet. Warme Quellen sind mehrfach vorhanden. Die Flora ist der spanischen am nächsten verwandt. Ausgedehnte Wälder gibt es nicht nur in den Berggegenden, sondern auch in den Ebenen. Im N. wachsen Pinien, Zedern, Lärchen, immergrüne Eichen, Steineichen, Walnußbäume, Thujen, wohlriechende Nadelhölzer; der Süden hat Mimosen, Palmen, darunter die Dattelpalme, und in den dürrsten Gegenden, südlich vom Wadi Tensift, den Arganbaum mit seiner Ölfrucht. Der Ölbaum wächst nur im wilden Zustand, der Weinstock ist kaum beachtet, der Tabak schlecht (man braucht hier den Haschisch); Gerberrinde wird gleichfalls wenig gewonnen, und die wild wachsende Baumwolle entbehrt aller Pflege und Zubereitung. Die früher verbreitete Zuckerrohrkultur ist jetzt aufgegeben. Sehr reich ist das Land an Früchten. Sämtliche Arten Cerealien und Hülsenfrüchte gedeihen vortrefflich und würden in großen Mengen produziert werden, wenn nicht Ausfuhrverbote den Ackerbau lähmten. Die Tierwelt gleicht der algerischen. Löwen, Panther, Bären, Affen sind jetzt selten geworden, wilde Schweine sind aber [276] in Menge da; Antilopen und Strauße gibt es im S., von wo auch als Landplage auftretende Heuschreckenzüge kommen. Die Pferde und Maultiere sind vorzüglich, Kamele gibt es viel im S.; große Herden von Schafen, Ziegen und Rindern bedecken die Weiden, aber nur die Ausfuhr der letztern ist gestattet. Fische sind ebenso zahlreich in den Flüssen wie im Meer. Die Bewohner, deren Zahl auf 10 Mill. geschätzt wird, gehören fünf verschiedenen Rassen an, autochthonen Berbern, als Eroberer ins Land gekommenen Arabern (s. Tafel „Afrikanische Völker“, Fig. 3), Mauren und Juden, beide aus Spanien vertrieben, und aus dem Sudân importierten Negern. Die Berber oder Amazirghen (Imoscharh) bewohnen den Atlas und die von diesem sich abzweigenden Gebirgszüge, die Araber die Ebenen, Mauren, Juden und Neger die Städte. Die Juden (etwa 200,000) sind die Bankiers des Staats, Händler und Handwerker, dabei aber verachtet und beständig verfolgt; die Neger (500,000) sind Sklaven aus dem Sudân. Die Zahl der Europäer, meist Spanier und Franzosen, wohnhaft in Tanger, ist etwa 2000. Die Religion ist der Islam, der bei Berbern wie bei Negern manche Modifikation erfahren hat. Die Industrie ist seit Jahrhunderten stationär geblieben, doch ermangeln ihre Produkte nicht des Geschmacks und der Originalität. Die Gewebe, Stickereien, Leder- und Töpferarbeiten, Waffen, Möbel erfreuen sich einer gewissen Berühmtheit. Gold- und Silberarbeiten sind eine Spezialität der Juden. Der Handel wird durch das Verbot der Ausfuhr einer Anzahl von Artikeln gehemmt. Die Karawanen nach dem Sudân (von Tuat nach Timbuktu in 68 Tagen) gehen besonders von Fes aus. Ausgeführt werden: Häute und Felle, Wolle, Ochsen, Mais, Bohnen, Mandeln, Harze, Straußfedern, Wachs, Eier, Elfenbein (aus dem Sudân), Olivenöl, Schuhzeug. Eingeführt werden: Baumwolle und Baumwollenstoffe, Zucker, Eßwaren, Thee, Seide und Seidenwaren, Wollenstoffe, Spirituosen, Papier, Eisen und Stahl, Lichte, Geld. Die Einfuhr betrug 1884 ohne Edelmetalle 17,164,000, die Ausfuhr 15,368,000 Mk. und beides verteilte sich wie folgt (in Mill. Mark):
Einfuhr | Ausfuhr | |
England | 13,13 | 7,55 |
Frankreich | 3,47 | 3,72 |
Spanien | 0,06 | 1,71 |
Portugal | – | 2,36 |
Deutschland | 0,17 | 0,01 |
Die dem europäischen Handel geöffneten Häfen sind: Tetuan, Tanger, El Araïsch, Saleh, Rabât, Casablanca, Mazagan, Saffi und Mogador. Es liefen 1883 ein: 1132 Schiffe mit 322,744 Ton., deren Ladung 16,2 Mill. Mk. wertete, während der Ausgang sich auf 14,6 Mill. Mk. belief. Die Verkehrsmittel im Innern sind bei jedem Mangel an fahrbaren Straßen sehr schlecht; Maulesel im N., Kamele im S. befördern die Lasten. Postbüreaus sind in Tanger von England, Frankreich und Spanien errichtet; die Post nach Fes u. a. O. wird durch Boten besorgt. Eine Telegraphenlinie besteht zwischen Tanger, Tetuan und Fes. Die Staatsform ist die einer absoluten Monarchie. Der Sultan ist unumschränkter Herr über Leben und Tod; seine Einkünfte (10 Mill. Mk.) bestehen in Zöllen, Monopolen, Zehnten vom Bodenertrag und Geschenken, während die Ausgaben nur 61/2 Mill. Mk. betragen sollen. Der Großscherif hat daneben aber eine Gewalt, welche der des Sultans in mancher Hinsicht überlegen ist und in seiner Eigenschaft als Großmeister der mächtigen religiösen Brüderschaft von Mulei Tajeb über Algerien, Tunis, Tripolis bis nach Ägypten reicht. Der Koran ist das einzige anerkannte Gesetzbuch, und das Zeugnis eines Christen oder Juden gegenüber dem eines Mohammedaners ist ungültig. Daher entscheiden die Konsuln, wenn Streitigkeiten zwischen ihren Staatsangehörigen und Eingebornen entstehen. Der oberste Richter, Kadi el Dschemma, wird vom Sultan ernannt, er ernennt wiederum die Kadis der Provinzen, deren es 20 gibt. Die halb unabhängigen Stämme haben aber teils vom Sultan eingesetzte, teils von ihnen selber gewählte Scheichs. Das Heer soll mit allen Aufgeboten eine Stärke von 300,000 Mann (meist Reiter) erreichen können, in Wirklichkeit ist es in den letzten Jahren nicht über 25,000 stark gewesen. Eine Kriegsflotte besitzt M. ebensowenig wie eine Handelsflotte. Das Geld Marokkos besteht aus viereckigen, jetzt seltenen Silbermünzen und kleinen Kupfermünzen; im Umlauf sind meist spanische und französische Geldstücke. S. Tafel „Flaggen“.
Die Hauptstadt M. (Marrakesch), welche diesen Rang mit Fes teilt, liegt nördlich vom Atlas inmitten einer weiten, wohlbewässerten Ebene, am linken Ufer des Tensift, wird von einer 8–10 m hohen, alle 100 m mit Türmen gekrönten Lehmmauer umgeben, die aber völlig verfallen ist. Die Straßen sind eng und schmutzig, die Häuser elend; nur wenige Moscheen, namentlich der hohe Turm der Kutubia, verdienen als Bauwerke Beachtung. Durch Wasserleitungen wird M. gut versorgt, seine Märkte sind ansehnlich, von Industrie ist aber heute kaum noch die Rede. Die aus allen Teilen Afrikas stammenden Einwohner, ca. 60,000 (wenn der Sultan hier Hof hält, 100,000), wovon 6000 Juden, betreiben meist Ackerbau. Nahezu auf drei Seiten wird die Stadt von prächtigen Anpflanzungen von Oliven-, Feigenbäumen, Dattelpalmen umgeben. Außerhalb der Stadt und im S. derselben liegt der große kaiserliche Palast, dessen Mauern von fast 6 km Umfang große Gärten einschließen. Von den früher hochberühmten Schulen und Bibliotheken ist kaum noch eine Spur vorhanden.
[Geschichte.] Die Geschichte Marokkos ist in älterer Zeit mit der der Berberei (s. d.) verbunden. Es hieß ursprünglich Mauretanien (s. d.) u. stand unter eignen Königen. 43 n. Chr. wurde es von den Römern ihrem Reich einverleibt und in zwei Provinzen, Mauretania Tingitana (der Westen) und Mauretania Caesariensis (der Osten), geteilt. Nach der kurzen Herrschaft der Vandalen (429–534) und des oströmischen Reichs (bis Ende des 7. Jahrh.) kam M. unter die Herrschaft der Araber. Um 790 machten sich die Edrisiden zu unabhängigen Herrschern von M., wurden aber 986 von den Fatimiden unterworfen. Gegen diese erhoben sich wieder die Zeiriden, bis Abu Bekr 1059 die Herrschaft der Almorawiden mit dem Herrschersitz M. begründete und auch Spanien sich unterwarf. An ihre Stelle traten 1146 die Almohaden, deren Macht in Spanien 1212, in M. 1269 vernichtet wurde. Nach ihnen herrschten die Meriniden bis zum Ende des 15. Jahrh. Um diese Zeit wurden die Meriniden von den Sanditen gestürzt, denen 1546 die Scherifs von Tafilet folgten, welche ihren Ursprung vom Propheten ableiteten, und unter welchen trotz der innern Thronstreitigkeiten gegen das Ende des 16. Jahrh. das Reich seine größte Ausdehnung erlangte, indem es den westlichen Teil von Algerien umfaßte und im S. bis Sudân reichte. Unter ihnen wurden auch die Portugiesen aus ihren Besitzungen vertrieben und König Sebastian bei Alkazar (1578) geschlagen. Seeräuberei wurde um diese Zeit selbst gegen die größern [277] Mächte getrieben. Nach dem Tod Achmeds, des mächtigsten der Scherifs, um 1603, entstand ein Bruderkrieg unter seinen Söhnen, bis der älteste derselben, Mulei Zidan, König von Fes, auch die Herrschaft von M. wiedererlangte. Unter ihm kamen die 1610 aus Spanien vertriebenen Mauren nach M. Mit Mulei Arschid kam 1669 eine Seitenlinie der Scherifs, die Dynastie der Aliden oder Hoseini, auf den Thron. M. führte von jetzt ab den Titel eines Königtums. Mulei Arschids Nachfolger (1672), sein Bruder Mulei Ismail, erwarb sich den Ruf eines der grausamsten Tyrannen. Gegen 5000 Menschen richtete er eigenhändig hin, zum Teil unter den ausgesuchtesten Martern. Nach seinem Tod 1727 kam es zwischen seinen Söhnen Achmed Deby und Mulei Abdallah wegen der Thronfolge zum Krieg, welcher 1730 mit dem Sieg des erstern endigte. Ihm folgte 1757 sein Sohn Mulei Sidi Mohammed, dessen Regierung sich durch Milde und das Bestreben, europäischer Kultur Eingang zu verschaffen, auszeichnete. Das Reich erstreckte sich bis Timbuktu. Nach seinem Tod (1789) entstanden neue Kriege zwischen seinen Söhnen, bis sich endlich Mulei Yezid behauptete, dem 1794 sein jüngerer Bruder, Mulei Soliman, in der Regierung folgte. Derselbe schaffte die Christensklaven ab, schritt gegen die Seeräuberei ein und trat mit den europäischen Mächten, namentlich mit Frankreich, in diplomatischen Verkehr. 1810 fiel Sidi Hescham von M. ab. Auf Mulei Soliman folgte 1822 der älteste Sohn seines Bruders Mulei Hescham, Mulei Abd ur Rahmân. Dieser trat die Regierung unter wenig günstigen Umständen an. Im Innern herrschten Aufstände gegen die weltliche Herrschaft des Sultans, religiöser Fanatismus und Haß gegen die Fremden. Handel und Verkehr lagen danieder. Die Besitznahme Algiers durch die Franzosen verwickelte M. in Konflikte mit Frankreich; die fanatisch mosleminische Bevölkerung gewährte Abd el Kader nicht nur Zuflucht und Schutz, sondern zwang auch den Sultan 1844, demselben 15,000 Mann zu Hilfe zu schicken, welche die Franzosen im Juni unversehens angriffen, aber zurückgeschlagen wurden. Nach Ablehnung des französischen Ultimatums bombardierte die französische Flotte unter dem Prinzen von Joinville im August Tanger und Mogador, und 14. Aug. kam es zwischen den Franzosen unter Bugeaud und dem großen marokkanischen Heer unter Sidi Mohammed, einem Sohn des Sultans, beim Fluß Isly zur Schlacht, in welcher die Marokkaner geschlagen wurden und ihr ganzes Lager in die Hände der Sieger fiel. Auf Veranlassung Englands bot endlich der Sultan von M. Frankreich den Frieden an, der am 10. Sept. in Tanger zu stande kam. Als Abd el Kader 1845 die algerischen Stämme nach M. übersiedeln und durch sie dies Land von neuem zum Kriege gegen Frankreich nötigen wollte, rief M. die Hilfe Frankreichs gegen ihn an, worauf dieses 1847 durch eine nachdrückliche Intervention in M. dem Sultan zur Unterwerfung seiner Unterthanen verhalf und Abd el Kader 22. Dez. zur Ergebung zwang. Doch erneuerten sich die Konflikte mit Frankreich und andern Mächten fortwährend, da die Regierung, selbst wenn sie einmal den guten Willen hatte, mit jenen Frieden zu halten, der Macht ermangelte, ihre Unterthanen im Zaum zu halten und an Räubereien und Mißhandlungen der Fremden zu hindern, zumal die Regierungstruppen fast unaufhörlich mit dem Eintreiben der Abgaben beschäftigt sind. Im August 1856 wollte die Bemannung der preußischen Korvette Danzig unter dem Befehl des Prinzen Adalbert an der Rifküste in M. ans Land steigen, wurde aber von den wilden, meist von Seeräuberei lebenden Bewohnern derselben aus einem Hinterhalt mit Gewehrschüssen empfangen und mußte sich mit einem Verlust von 7 Mann Toten und 18 Verwundeten zurückziehen. Nachdem Abd ur Rahmân 1858 noch eine bedeutende Empörung unterdrückt hatte, starb er im August 1859 und hatte seinen ältesten Sohn, Sidi Mohammed, zum Nachfolger. Nur durch blutige Kämpfe vermochte sich dieser gegen seine vielen Nebenbuhler auf dem Thron zu behaupten. Diese Unruhen sich zu nutze machend, unternahmen die Rifbewohner im September Einfälle in die spanischen Besitzungen auf Nordafrika, wurden aber mit Verlust zurückgeschlagen. Spanien verlangte nun von der marokkanischen Regierung als Genugthuung für eine Reihe von Unbilden und als Garantie für die Sicherheit seiner afrikanischen Besitzungen die Abtretung eines Gebiets. Die eingeleiteten Unterhandlungen blieben ohne Resultat, und es erklärte daher Spanien 22. Okt. 1859 an M. den Krieg. General O’Donnell erhielt den Oberbefehl über die aus 35–40,000 Mann Fußvolk, 2000 Mann Kavallerie und 150 Geschützen bestehende spanische Heeresmacht, ward zwar anfangs (Dezember) von den Kabylen und Mauren der Ebene, ungefähr 60,000 Mann Reiterei, heftig angegriffen, drang aber bald siegreich vor. Nach vielen kleinen, aber sehr blutigen Gefechten besetzten die Spanier 4. Febr. 1860 die Stadt Tetuan, und nach einer 23. März westlich von derselben erlittenen entscheidenden Niederlage baten die Marokkaner um Waffenstillstand, der, zumal auch im Innern Marokkos Unruhen ausbrachen, bald zum Frieden führte. Derselbe ward 25. April in Tetuan von O’Donnell und Mulei Abbas unterzeichnet und bestimmte, daß M. an Spanien eine Entschädigung von 20 Mill. Piaster zahlen und bis zur Erlegung dieser Summe die Stadt Tetuan den Spaniern überlassen mußte. Diesem Frieden folgte 20. Nov. 1861 ein Handelsvertrag. 1873 starb Sidi Mohammed, und ihm folgte 25. Sept. sein Sohn Mulei Hassan, der durch wiederholte große Gesandtschaften freundschaftliche Beziehungen mit den europäischen Mächten anknüpfte, dadurch aber Unruhen in seinem Reich erregte, ohne daß doch dem Aussaugungssystem der Beamten gesteuert und Reformen angebahnt worden wären. Das Schutzrecht der europäischen Mächte in M. wurde 1880 auf einer Konferenz zu Madrid geregelt.
Vgl. außer den ältern Werken von Ali Bei el Abassy (1816), Jackson (1811), Graberg de Hemsö (1838), Drummond-Hay (1841) u. a.: Renou, Description géographique de l’empire du Maroc (Par. 1846); L. Godard, Description et histoire du Maroc (das. 1860, 2 Bde.); Richardson, Travels in Marocco (Lond. 1859, 2 Bde.); Maltzan, Drei Jahre im Nordwesten von Afrika. Reisen in Algerien und M. (2. Aufl., Leipz. 1868, 4 Bde.); Rohlfs, Reise durch M. (2. Aufl., Brem. 1869); Derselbe, Mein erster Aufenthalt in M. (das. 1872); Leared, Marocco and the moors (Lond. 1876); Derselbe, A visit to the court of M. (das. 1879); Pietsch, M., Briefe von der deutschen Gesandtschaftsreise nach Fes 1877 (Leipz. 1878); D. Hooker und J. Ball, Journal of a tour in Marocco and the Great Atlas (Lond. 1879); v. Conring, M., das Land und die Leute (Berl. 1880); De Amicis, Marokko (deutsch, Wien 1883); Lenz, Timbuktu. Reise durch M. etc. (Leipz. 1884, 2 Bde.); Erckmann, Le Maroc moderne (Par. 1885); Mackenzie, Report on the condition of the empire of Marocco (Lond. 1886); Stutfield, El Maghreb (das. 1886); Horowitz, M., Land und Leute [278] (Leipz. 1887); Jannasch, Die deutsche Handelsexpedition 1886 (Berl. 1887); Dombay, Geschichte der Scherife oder der Könige des jetzt regierenden Hauses von M. (Wien 1801); E. Schlagintweit, Der spanisch-marokkanische Krieg in den Jahren 1859 und 1860 (Leipz. 1863); Campou, Un empire qui croule; le Maroc contemporain (Par. 1886); Ezziani, Le Maroc de 1631 à 1812 (das. 1886); Martinière, Essai de bibliographie marocaine (das. 1886).
[601] Marokko. Von dem auf 812,300 qkm geschätzten Gesamtareal entfallen 197,100 auf die weiten fruchtbaren Ebenen und die Gebirgsregion, 67,700 auf die Steppen und 547,500 auf die Sahara mit Tuat. Der Sultan hat seinen Einfluß auf die bisher sehr unbotmäßigen Stämme am Wadi Draa ausgedehnt, indem er Glimim am Wadi Assaka durch 1000 Soldaten besetzen ließ, auch hat er seine Ansprüche auf die Landschaften um Kap Juby dadurch dokumentiert, daß er die von der Mackenzy-Gesellschaft beanspruchte Entschädigung für Verluste durch die dortigen Eingebornen zahlte. Die Stärke der Armee wird auf 435,000 Mann angegeben, davon reguläre Infanterie 12,000, reguläre Kavallerie (Boachr 5000 und Mehasnia 40,000 Mann, letztere in Friedenszeiten Gendarmeriedienste leistend) 45,000, Feldartillerie 1500, Festungsartillerie 900, Marinetruppen 900 Mann, wozu noch als irreguläre Truppen die ganze waffenfähige Bevölkerung kommt. Die dem Handelsverkehr offenen Häfen von Tetuan, Tanger, El-Araisch, Saleh, Rabat, Casablanca, Mazagan, Safi und Mogador wurden 1889 von 23 Schiffen angelaufen, darunter 34 deutsche. Seit kurzem ist eine direkte Dampferverbindung mit Deutschland eröffnet durch die von Hamburg über Antwerpen und Lissabon nach Tanger laufende Atlaslinie; auch die Linien Sloman und Wörmann lassen die marokkanischen Häfen einmal im Monat von ihren Dampfern anlaufen. Die Gesamteinfuhr betrug 1890: 35,848,581 Mark, davon deutsch (Tuche, Zucker, Kurzwaren, Eisenwaren, Kerzen, Glaswaren, Seidenwaren u. a.) 795,700 Mk. Die Ausfuhr betrug 32,247,420 Mk.; nach Deutschland gingen 1889 für 141,543 Mk. Waren. Ein großer Teil des deutschen Handels wird indes durch englische und französische Dampfer vermittelt. Es liefen 1889 ein 2316 Schiffe von 773,241 T. (52 deutsche von 29,620 T.), 1890 2655 Schiffe von 597,019 T. Der Verkehr deutscher Schiffe verdoppelte sich gegen das Vorjahr. Ein Handelsvertrag wurde 1. Juni 1890 abgeschlossen, wodurch Deutschland unter die meistbegünstigsten Nationen gestellt wird. Zugleich wurde das bisherige Verbot der Ausfuhr von Weizen und Gerste für drei Jahre versuchsweise aufgehoben. Auf das Ansuchen der französischen Regierung, eine Eisenbahn von der algerischen Grenze bis nach Fes zu bauen, beauftragte der Sultan acht Minister mit Prüfung der Frage. Während Deutschland einen Erfolg zu verzeichnen hat, indem ein deutscher Offizier das Fort in Rabat erbaute, welches durch zwei große Kruppgeschütze im Werte von 1 Mill. Mk. armiert wurde, haben die Engländer die Ermächtigung erlangt, das Land auf Kork auszubeuten und an der ganzen marokkanischen Küste Thunfischfang und Fischhandel zu treiben, eine Vergünstigung, um welche sich Spanier wiederholt, aber immer vergebens bemühten. In den letzten Jahren hat die türkische Regierung, wie nach dem übrigen Nordafrika, so auch nach M. zahlreiche Lehrer und Missionare entsandt, um den Islam neu zu beleben. Diese Sendlinge gehören meist der Senussisekte an. Nach dem Herausgeber des „Réveil du Marocco“, Kernec Schénys, ist mehr als anderwärts in M. der Senussismus von der größten Bedeutung und von hervorragendem Einfluß auf das religiöse wie politische Leben des Landes. Außer elf großen Gesellschaften, die über ganz M. vom Mittelmeer bis zum Wadi Draa verbreitet sind, gibt es noch zahlreiche andre, welche alljährlich durch Hauptmissionare, die von Algerien bis zum Senegal reisen, inspiziert und reorganisiert werden. Auch der Sultan gehört einer dieser Sekten an.
Zur Litteratur: De la Martinière, Marocco, journeys in the kingdom of Fez and to the court of Mulai Hassan (Lond. 1889); R. Brown, The [602] adventures of Thomas Pellow of Penrhyn, mariner (das. 1890); Foucauld, Reconnaissance au Maroc, 1883–84 (Par. 1888, mit Atlas).