MKL1888:Mimikry
[640] Mimikry (engl., Nachahmung, Nachäffung, hierzu die Tafel „Mimikry“), neuerer Kunstausdruck, der die Nachahmung bestimmter Tiere durch andre bezeichnet, die dadurch, daß sie den erstern nach Gestalt, Färbung, Zeichnung, Bewegungsweise und Aufenthalt bis zur Verwechselung gleichen, gewisse Vorteile im Daseinskampf erlangen. Manche Tiere, namentlich unter den Insekten, werden nachgeahmt, [641] weil sie eines übeln Geschmacks oder Geruchs oder ihrer zu harten Schalen wegen von insektenfressenden Vögeln und Säugetieren verschmäht werden, weshalb sie meist mit lebhaften Farben geschmückt sind oder des Nachts leuchten, um sich schon aus einiger Entfernung kenntlich zu machen, und sich langsam, dreist und offen vor aller Augen zeigen. Zu ihnen gehören ganze Familien, z. B. unter den Schmetterlingen die Danaiden und Helikoniden, unter den Käfern die Telephoriden und Lampyriden, die dann auch in ihren oft lebhaften Farben und Zeichnungen von Schmetterlingen und Käfern aus andern Abteilungen, deren Angehörige sonst starker Verfolgung unterliegen, nachgeahmt werden, mitunter Ein Vorbild durch mehrere Nachahmer aus ganz verschiedenen Abteilungen, die sich ersterm im Flug beigesellen. Eine andre Kategorie von Tieren, die häufig nachgeahmt werden, sind die mit einer gefürchteten Waffe versehenen, z. B. die Wespen und Ameisen sowie einzelne Giftschlangen. Am auffälligsten wird die Erscheinung, wenn sich Tiere ganz andrer Ordnungen an dergleichen Nachahmungen beteiligen, z. B. Wespen und Bienen durch Schmetterlinge, Käfer, Fliegen, Geradflügler und Halbflügler, oder Ameisen durch Käfer, Heuschrecken und Wanzen, Giftschlangen nicht allein durch ungiftige Schlangen, sondern auch durch große Raupen nachgeahmt werden etc. In einzelnen Fällen scheinen auch Schmarotzerinsekten ihre Wirte nachzuahmen und sich dann unerkannt in deren Nester einzuschleichen, und selbst unter den Pflanzen glaubt man analoge Erscheinungen, z. B. die Nachahmung der vom Weidevieh gemiedenen Nessel durch sogen. Taubnesseln, nachweisen zu können. – Im weitern Sinn rechnet man zur M. gewöhnlich auch die Nachahmung ungenießbarer, lebloser Gegenstände, wie z. B. diejenige welker, zerfressener und schimmelbedeckter Baumblätter durch Schmetterlinge oder Heuschrecken, von Zweigstückchen, Kothäufchen, Kokons, deren Inhalt ausgeschlüpft, oder selbst die der bloßen Verbergung dienende Nachahmung der Gegenstände, unter und auf denen ein Tier Zuflucht sucht, z. B. grüner Zweige und Baumblätter, flechtenbewachsener Steine, Baumrinden etc. Das Verständnis der Faktoren, durch welche diese oft bis auf die geringsten Einzelheiten eingehenden und bis zur vollendetsten Täuschung führenden Nachahmungen zu stande kommen, wurde erst durch die Theorie Darwins von der natürlichen Auslese möglich, und zwar waren es vor allen die Naturforscher Bates und Fritz Müller, welche zuerst richtige Erklärungen der betreffenden Verhältnisse und Vorgänge gaben, über deren Ursachen man bis dahin abenteuerliche Theorien aufgestellt hatte. Vgl. Darwinismus (S. 566). Auf beifolgender Tafel (nebst Textblatt) sind einige charakteristische Beispiele der verschiedenen Formen der M. dargestellt.
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[Ξ]Fig. 1 und 2. Anaea Phantes (Südamerika), fliegend und sitzend.
Fig. 3. Anaea opalina aus Chiriqui.
Fig. 4. Kallima Inachis (Ostindien).
Fig. 5–8. Südamerikanische Laubheuschrecken (Pterochroza colorata, erosa, cristata und arrosa; die erste Art vollständig, von den andern bloß der den Körper bedeckende linke Vorderflügel in gleicher Lage wie bei Fig. 5 dargestellt).
Fig. 9a und 9b. Schmetterlingspuppe (von Papilio Evander, Brasilien), die täuschend einen abgebrochenen Zweig wiedergibt.
Fig. 10. Raupe des Holunder-Spanners (Urapteryx Sambucaria), Deutschland.
Fig. 11. Französische Stabheuschrecke (Bacillus gallicus).
Fig. 12. Brasilische Rindenwanze (Phloea corticata).
Fig. 13–15. Weibchen von Danais Chrysippus, einer über ganz Asien und Nordafrika verbreiteten, ungenießbaren Danaide (Fig. 13), welche durch das Weibchen von Hypolimnas Misippus (Fig. 14), einer Nymphalide, in allen ihren Lokalvarietäten nachgeahmt wird, während das Männchen der letztern (Fig. 15) nicht an der schützenden Nachahmung teilnimmt.
Fig. 16–19. Calopteron bifasciatum, ein ungenießbarer Weichkäfer (Fig. 16), wird von Tropidosoma Spencii (Fig. 17) und Lophonocerus hirticornis (Fig. 18) nachgeahmt, die ebenso wie ersterer beim Umherlaufen die ausgespreizten Flügeldecken heben und senken. Diesen Käfern schließt sich eine gleich allen vorgenannten im südlichen Brasilien heimische Widdermotte, Pionia lycoides (Fig. 19), sogar in der Nachahmung der gerippten Flügeldecken an.
Fig. 20 und 21. Brasilische Schmetterlinge (Pseudosphex-Arten), welche Ichneumoniden und Wespen nachahmen.
Fig. 22. Mexikanischer Bockkäfer (Charis-Art), der eine dortige Biene bis auf die „Höschen“ getreu kopiert.
Fig. 23–25. Europäische Schweb- und Blumenfliegen (Sericomyia borealis, Eristalis tenax und Ceria subsessilis), welche sich unerkannt unter blumenbesuchende Bienen und Wespen mischen.
Fig. 26. Brasilischer Laufkäfer (Ctenostoma unifasciatum).
Fig. 27. Deutsche Blindwanze (Myrmecoris gracilis).
Fig. 28a und 28b. Kokon eines südamerikanischen Spinners (Aides Amanda) mit scheinbaren, aber blind endigenden Schlupfwespen-Löchern.
Fig. 29. Einheimische Motte (Tortrix ocellaria), welche wie ein Häufchen Vogelkot offen auf den Blättern ruht.
Fig. 30. Südamerikanischer Bockkäfer (Desmiphora fasciculata), der dicht mit Schimmel bedeckt erscheint oder (nach Belt) eine Bärenraupe nachahmt.
[619] Mimikry. Der Zusammenhang der Färbungen und Zeichnungen der Tiere mit dem Schutz, den er ihnen gegen ihre Feinde gewährt, hat in den letzten Jahren den Gegenstand zahlreicher systematischer Beobachtungen und Versuche gebildet, welche die Erkenntnis des Nutzens und der Entstehungsweise dieser Färbungen durch die natürliche Auslese weiter vervollständigt haben. Im besondern hat sich der Engländer Poulton mit diesen Fragen mehrere Jahre hindurch eingehend beschäftigt und mehrere wichtige Punkte sicher festgestellt. Manche durchsichtige Wassertiere nehmen jederzeit die Färbung der Algen an, von denen sie leben, weil der Mageninhalt durch die Körperbedeckungen hindurchschimmert und sie rosenrot erscheinen läßt, wenn sie Rotalgen (Florideen) fressen, grün, wenn sie von grünen Algen leben. Sie gleichen dadurch stets der Futterpflanze, auf der sie gerade weiden, und sind schwer zu entdecken. So ist von den auf niedern Pflanzen lebenden Raupen der Spannergattung Eupithecia bekannt, daß sie meist annähernd die Farbe ihrer Futterpflanzen haben, und Rühl will sich noch 1888 überzeugt haben, daß die jungen Räupchen schon nach der ersten Häutung sich der Farbe der Futterpflanze näherten, auf welche man sie setze. So würden Raupen von Eupithecia scabiosata auf Skabiosen nach der ersten Häutung schiefergrau, auf Johanniskraut (Hypericum) dagegen nähmen sie eine zwischen der Blüten- und Blätterfarbe stehende gelbgrüne Färbung an. Man hatte vielfach dasselbe von der großen Raupe unsers Abendpfauenauges behauptet, die auf gelbgrünen Weiden gelbgrün, auf blaugrünen blaugrün aussehen. Der Mehrgehalt von Blattgelb (Xanthophyll) in den Blättern der Korbweide sollte die Raupe gleichfalls gelber machen. Poulton fand aber, daß die Raupen zunächst blieben, wie sie waren, mochten nun gelbgrüne auf dunkle Weiden oder umgekehrt gebracht werden; erst nach einer Reihe von Generationen war eine Anpassung zu bemerken, wahrscheinlich infolge einer Auslese der nicht dem Laube gleichartig gefärbten Raupen durch Vögel.
Dagegen stellte er eine unmittelbare Anpassung der Farben bei den Puppen und Kokons gewisser Schmetterlinge an ihre Umgebung fest. Ebenso wie die Puppen verschiedener Eckfalter größere Metallflecken erhielten, wenn sie auf hellem oder glänzendem Grunde vor der Verpuppung gehalten wurden, lieferte das kleine Nachtpfauenauge dunkelbraune Kokons, wenn es sich in einem dunkeln Behälter einspann, weiße dagegen, wenn die Larven an einem hellen Orte gehalten wurden. Dasselbe Verhalten stellte Newmann beim Wollafter (Eriogaster lanestris), dessen in der Helligkeit gehaltene Raupen lauter cremefarbige Kokons lieferten, während sie zwischen den Blättern der Futterpflanze stets braune Kokons gaben. Es findet hier eine Einwirkung der Umgebungshelligkeit auf die gesamte Haut der Raupen statt, denn das Bedecken der Punktaugen mit dunklem Firnis hinderte in Poultons Versuchen an Eckflüglerraupen die Wirkung nicht.
Derselbe Beobachter hat auch die Wirkung der Verkleidungen und Schutzeinrichtungen der Insekten auf verschiedene insektenfressende Tiere, namentlich Eidechsen und Affen geprüft. Er bemerkte z. B., daß die gewöhnliche grüne Eidechse eine Spannerraupe, die sich dicht vor ihren Augen wie ein steifes Ästchen ausstreckte, nicht erkannte, sobald es sich aber bewegte, fuhr sie gierig darauf los und verzehrte sie. Interessant war das Verhalten von Eidechsen sowohl als eines kleinen Äffchen der Raupe unsers Buchenspinners (Stauropus Fagi) gegenüber, die sich auf eigentümliche Art in Verteidigungsstellung setzt und die langen Vorderbeine wie eine Spinne spielen läßt. Beide Tiere sahen sich die Pseudo-Spinne erst ganz genau an, bevor sie zugriffen, ließen sich dann aber den fetten Bissen gut munden. Schon Hermann Müller hatte das Spinnengebaren dieser Raupe mit Speyer als ein Schutzmittel gegen die Stiche der Ichneumoniden erkannt, welche Spinnen nicht angreifen; Poulton fügte noch die Bemerkung hinzu, daß sie in der Angriffsstellung eine Reihe schwarzer Punkte sehen läßt, die gerade so aussehen wie Ichneumonidenstiche, und er meint, daß Ichneumoniden, die schon belegte Raupen nicht mehr angreifen, dadurch noch im letzten Augenblick getäuscht würden. In der That findet sich diese Raupe seltener als die andern von Ichneumoniden heimgesucht. Übrigens hat sich Poulton überzeugt, daß alle diese Künste nichts nützen, wenn der Insektenfresser unerfahren oder hungrig ist, und dies ist auch eine notwendige Voraussetzung für die Theorie der Trutzfarben, deren Bedeutung wohl halb und halb instinktiv erkannt werden, aber sicher doch erst durch Erfahrung probiert werden muß. Eine in den Eidechsenkäfig gesetzte Raupe des Schlehenspinners (Orgyia antiqua) wurde angegriffen, obwohl sie ihre bürstenförmigen Haarbüschel so weit wie möglich hervorspreizte. Aber die unerfahrene Eidechse ließ sofort von ihr ab, sobald sie einige dieser Haarbüschel in den Mund bekommen hatte, und ihre ganze Sorge bestand jetzt darin, die widrigen Haare wieder los zu werden. Sie nahm sich jedenfalls vor, nie wieder einen solchen Büschelträger anzugreifen.
Den Nutzen der eigentümlichen Auswüchse der sogen. Buckelzirpen (Membraciden), von denen einige auf der Tafel zum Artikel „Cikaden“ (Bd. 4) dargestellt sind, hat Schweinfurth bei einer arabischen Art sehr deutlich zu erkennen vermocht. Er bemerkte in Aden an den Zweigen von Acacia hamulosa eine solche Membracide (Oxyrrhachis Tarandus), welche sich mit ihrer flachen Unterseite an die Zweige schmiegt und mit ihrem am Vorderrücken in drei Dornen ausgezogenen Leibe eine genaue Nachahmung der am Akazienaste unter jedem Blattansatz erkennbaren drei Stacheln tragenden Anschwellung darstellt. Auch die amerikanischen Arten ahmen offenbar solche von breiter Basis sich erhebenden einfachen oder verzweigten Aststacheln nach, und ihre bald gelbbräunlichen, bald dunklern Farben geben offenbar die Rindenfarben ihrer hauptsächlichsten Nahrungspflanzen getreu wieder. Sie gehören daher derselben Gruppe von Nachahmungen an wie die Raupe des gelben Ordensbandes (Catocala paranympha), die auf Schlehdornbüschen lebt und durch mehrere lange Dornen ihres Rückens den gleichfarbigen dornigen Ästen ähnlicher wird.
Auf eine eigentümliche Klasse hierher gehöriger Erscheinungen, nämlich auf die Nachahmung optischer Erscheinungen durch Tiere, hat E. Krause zuerst im vorigen Jahre die Aufmerksamkeit gelenkt. Es gibt eine große Anzahl auf dem Laube lebender kleiner Käfer, namentlich aus der Familie der Chrysomelinen, die dem vorüberwandelnden Menschen [620] wie dem vorüberfliegenden Vogel im Sonnenschein vollständig das Schauspiel eines farbenspielenden Tautropfens gewähren. Die Täuschung, welche schon bei unsrer gewöhnlichen Chrysomela fastuosa sehr verführerisch ist, noch mehr aber bei manchen tropischen Arten hervortritt, wird dadurch hervorgebracht, daß der stark, beinahe halbkugelig gewölbte Rücken mit Streifen spiegelnder Regenbogenfarben versehen ist, die bei jedem Platzwechsel des Beobachters einen andern Farbenstrahl in sein Auge senden. Da diese Tiere hauptsächlich im Morgentau oder nach Gewitterregen im Rasen oder auf niedern Kräutern und Gebüschen auftreten, so ist der Nutzen des Farbenspiels klar. Denn Vögel, die im Morgensonnenschein überall, wo sie hinschauen, im Laube farbenfunkelnde Dinge gewahren, die bei ihrer Annäherung erst die Farbe wechseln und sich dann in ein Tröpfchen gewöhnlichen Wassers verwandeln, werden sich bald abgewöhnen, nach diesen glitzernden Scheinwesen hinzufliegen oder gar sie anzupicken. Auch verschiedene Prachtkäfer (Buprestiden), Böcke, die Helopier unter den Dämmerungskäfern (Tenebrioniden), ja gewisse Goldfliegen und Goldwespen scheinen von ihrer Ähnlichkeit mit glitzernden Tautropfen Nutzen zu ziehen.
Auch das Farbenspiel zahlreicher Fische, namentlich aus der Abteilung der Lippfische, scheint ähnlichen Nutzen für dieselben zu bringen, denn diese in Regenbogenfarben prangenden Tiere werden dadurch den „verwaschenen Spektren“ ähnlich, die bei tief stehender Sonne im bewegten Wasser spielen. Endlich dürfte auch die zarte irisierende Silberschicht, welche so viele Fische auf ihren Schuppen, namentlich nach der Bauchseite hin tragen, und die so glänzend ist, daß sie zur Herstellung künstlicher Perlen benutzt wird, die Nachahmung einer optischen Erscheinung ihren Ursprung verdanken, nämlich der „totalen Reflexion“, welche diejenigen aus der Wassertiefe emporgeworfenen Strahlen erleiden, welche unter einem sehr schrägen Winkel die Oberfläche treffen. Man kann den dadurch hervorgebrachten Silberglanz leicht sehen, wenn man schräg von unten gegen die Wasseroberfläche eines gefüllten Wasserglases blickt. Die darüber befindliche Luftschicht sieht dann wie flüssiges Quecksilber aus, und von dieser silberglänzenden Fläche würden sich Fische, welche die Sehlinie schräg nach oben blickender Tiere kreuzen, grell abheben, wenn sie nicht an ihrer nach unten gewendeten Seite ein ähnlich glänzendes Silberkleid trügen. Hier ist offenbar der Grund zu suchen, weshalb die große Mehrzahl der Fischarten am Bauche silbern gefärbt ist, und bei den Plattfischen, zu denen die Schollen, Flundern und Seezungen gehören, ist die gesamte nach unten gekehrte Körperhälfte, die bekanntlich der rechten oder linken Seite (nicht dem Bauche) des Tieres entspricht, mit einem leicht irisierenden, schwachen Silberglanz versehen, der sich mitunter ganz schroff von der dunklern, dem Seegrund angepaßten Farbe der Oberseite abhebt.
Zu den lehrreichsten Fällen der M. im engern Sinne, in denen ein Tier, welches stark verfolgt wird, ein andres, welches irgend einer Eigenschaft wegen nicht gefressen wird, in Gestalt und Färbung genau nachahmt, gehört das Beispiel von Papilio Merope, eines über weite Gebiete Afrikas verbreiteten Schmetterlings, welchen Trimen schon früher beschrieben, aber in seinem kürzlich vollendeten Werke über afrikanische Schmetterlinge neu untersucht hat. Bei diesem großen Schmetterling sieht das Weibchen dem Männchen meistens gar nicht ähnlich, und Trimen war im stande, zu zeigen, daß es an verschiedenen Orten der Kapkolonie und der angrenzenden Länder verschiedene Danaiden nachahmt, z. B. bei Knysna Amauris Echeria, in Natal Amauris niavius, bei Kapstadt Danais Chrysippus etc. Während die Männchen trotz der weiten Ausdehnung des von dieser Art bewohnten Gebiets kaum merklich ihr Aussehen verändern, wechseln die Weibchen mit den daselbst vorkommenden Danaiden in jedem Bezirk ihr Aussehen, mit Ausnahme von Madagaskar und Abessynien, wo sie den Männchen gleich gefärbt erscheinen. Es ist dies ein besonders deutlicher Beweis der Thatsache, daß überall die Weibchen mehr als die Männchen gezwungen sind, unter fremden Masken die Art zu erhalten, und diese Masken annehmen, wie und wo sie sie finden. Die Nachahmung verschiedener Masken durch ein und dasselbe Weibchen ist gewissermaßen der umgekehrte Fall von dem nicht weniger auffälligen, wenn zwei verschiedene Schmetterlinge einen dritten geschützten nachahmen und dadurch untereinander gleich werden. So ahmen Papilio Ridleyanus und Pseudacraea Boisduvalii am Congo beide die gemiedene Acraea Egina nach und sind sich daher, obwohl unter sich und mit dem Vorbild zu ganz verschiedenen Familien gehörig, sehr ähnlich geworden. Über einen besondern Fall, in welchem ein Schlauch mit den Keimen von Eingeweidewürmern einer bunten Insektenlarve gleicht, s. Würmer.
[618] Mimikry. Auf der englischen Naturforscherversammlung in Leeds (Herbst 1890) hat Poulton eine neue systematische Einteilung der in der Neuzeit so lebhaft studierten Mimikryerscheinungen vorgelegt, die hier als Rahmen benutzt werden soll, um einige teils von ihm angeführte, teils seitdem neu beobachtete Fälle mitzuteilen. Er unterscheidet vier Klassen der bestimmte Lebensvorteile einschließenden Färbungen, Zeichnungen und Gestaltungen der Tiere, nämlich: 1) kryptische (verbergende), 2) sematische (auffallende und warnende), 3) pseudosematische (täuschende oder fälschlich warnende) und 4) epigamische (geschlechtlich erregende) Färbungen und Gestaltungen. Bei jeder dieser Erscheinungsgruppen lassen sich aber nach Zweck und Ausführung Unterabteilungen aufstellen, die gesondert zu betrachten und durch Beispiele zu erläutern sind.
I. Bei der kryptischen (verbergenden) M. ist zu unterscheiden, ob dieselbe ein Tier zu seinem Schutze (prokryptisch), oder für den Angriff (antikryptisch) verbirgt und ob dies durch seine eignen Farben, Zeichnungen und Formen oder durch Fremdkörper (allokryptisch), mit denen es seinen Leib bedeckt, geschieht. Bei dem letztern Fall, der gewöhnlich als Maskierung (s. Bd. 18, S. 605) bezeichnet wird, müßten eigentlich nochmals pro- und antikryptische Allokryptie unterschieden werden, je nachdem dieselbe Laub- oder Fleischfresser verbirgt. Ferner hätten hier die Tiere mit chromatischer Funktion, die sich verschiedenfarbigen, bald hellern, bald dunklern Umgebungen anpassen können, eine besondere Klasse verdient. Aus dieser letztern, in die erste Abteilung Poultons fallenden Kategorie hat Jameson, der Genosse Barttelots im Nachtrab Stanleys, ein eigentümliches Beispiel in seinem unlängst erschienenen Tagebuch verzeichnet, einen kleinen Laubfrosch mit hellem, zitronengelbem Bauch, dunkelorangenen Zehen und im übrigen [619] schneeweißem Körper. Das Tier wurde in der Nähe eines Gebüsches mit ganz weißen und einigen hellroten Blättern gefunden, auf denen es kaum erkennbar sein würde, nahm aber in der Schachtel bald die hellrötlichweiße Farbe des Bodens an. Ob die Farbenänderung willkürlich oder reflektorisch, wie beim Chamäleon, erfolgt, konnte nicht ermittelt werden. Auch bei unsern Fröschen ist das Vermögen der Farbenveränderung nach dem jeweiligen Standort viel größer, als gewöhnlich angenommen wird, und schon Pouchet zeigte, daß bei ihnen unter der Haut sowohl gelbe als blaue Chromatoblasten und darunter eine Schicht schwarzer Chromatophoren liegt, um alle möglichen Mischungen von Grau, Gelbbraun, Olivengrün und Grün zu erzeugen. Im Oktober 1890 veröffentlichte Dutartre darüber neue Beobachungen, aus denen hervorgeht, daß das Licht einen direkten Einfluß auf die Zusammenziehung der Chromatophoren äußert und durch deren Zusammziehung der Haut an hellen Orten eine lichtere Färbung verleiht. Die weißen und gelben Strahlen wirkten am stärksten, die blauen und violetten fast gar nicht ein. Die Wirkung geht reflektorisch von der Netzhaut aus, wie bei den Fischen, und während normale Frösche an hellen Orten und auf heller Unterlage sich sehr bald aufhellten und an dunkeln dunkel wurden, erfolgte dieselbe Wirkung bei geblendeten sehr viel langsamer. Gute Beispiele von antikryptischer Färbung liefern die weißen Polarraubtiere, der gestreifte Tiger und gefleckte Leopard, grüne Baumschlangen und Raubheuschrecken (Mantiden), ein großer Frosch (Ceratophrys cornuta) des tropischen Südamerika, welcher sich in einem Erdloch vergräbt, während der herausgestreckte, auf Beute lauernde Kopf genau mit der Umgebung harmoniert. Zu den allokryptischen Färbungen gehören die Maskierungen mit harmlosen Gegenständen der Umgebung, also bei Erdtieren mit Staub, Schmutz, grünen Luftalgen etc., bei Meerestieren mit abgerissenen Algen, Scherben- und Schalenfragmenten des Grundes.
II. Bei den sematischen Färbungen lassen sich wieder drei Gruppen unterscheiden, die nur das Gemeinsame haben, daß die Farben und Zeichnungen grell und auffällig sind, weil diese Tiere Vorteil davon haben, gesehen zu werden: 1) aposematische (Warnungs-) Färbung für ungenießbare und widerwärtige Tiere, wie die sehr auffallend schwarz und weiß gefärbten Stinktiere (Mephitis-Arten) Amerikas, viele rot-, gelb- und schwarzbunte Raupen und Schmetterlinge. Hier hätten wohl auch die bunten Wespen und Giftschlangen sowie die Leuchttiere besondere Unterklassen erfordert; 2) episematische oder Signalfärbungen nennt man die namentlich von Wallace in seinem neuen Buche über den Darwinismus erläuterten Zeichnungen zur gegenseitigen Erkennung. Wenn ein Kaninchen in seinen Bau hineinschlüpft, so wird es dem Jäger und allen Raubtieren durch den aufgerichteten weißen Schwanz leicht bemerkbar. Das könnte nachteilig scheinen, ist aber für gesellig lebende Tiere ein Signal von großer Wichtigkeit, weil es die andern Tiere der Herde und namentlich die jungen, ebenso wie die Warnungsrufe der Vögel und Murmeltiere, vor der nahenden Gefahr warnt. Darum finden sich diese Zeichen in Gestalt heller, weißer Flecken gewöhnlich am Hinterteil der Herdentiere (Hirsche, Antilopen, Rinder, Schafe), doch auch am Kopfe, da sie auch der gegenseitigen Erkennung in der Ferne dienen. Wenn sich die Tiere niederlegen, werden diese episematischen Zeichnungen gewöhnlich verdeckt; 3) allosematische (Trutz-) Färbungen werden die durch gemiedene Fremdkörper (nesselnde Schwämme und Seerosen) erzeugten Maskierungen genannt, wie die bekannten der Krabben und Einsiedlerkrebse (s. Bd. 18, S. 605).
III. Als pseudosematische (d. h. falsche Warnungs- oder Signal-) Färbungen können die Erscheinungen der M. im engern Sinne definiert werden, durch welche sich das Tier für eine andre schlecht schmeckende oder gefährlich anzugreifende Art ausgibt, oder endlich bei Raubtieren einen Leckerbissen vorspiegelt, der ihre Opfer herbeizieht. Man unterscheidet dabei: 1) pseudoaposematische Färbungen, welche genießbaren und harmlosen Arten das Aussehen schlechtschmeckender, harter oder gefährlicher Arten des Gebietes geben. Es werden namentlich nachgeahmt unter den Vögeln streitbare Arten, unter den Schlangen giftige, unter den Käfern harte Rüßler, übelschmeckende Leucht- und Pilzkäfer, unter den Hautflüglern Bienen, Hummeln, Wespen und Ameisen, unter den Schmetterlingen die beiden großen Abteilungen der altweltlichen Danaiden und der neuweltlichen Helikoniden sowie die beiden Weltteilen angehörigen Akräiden und manche Papilioniden. Die große Mannigfaltigkeit der hierbei möglichen Fälle hat Poulton an den indischen und afrikanischen Schmetterlingen erläutert, wobei er namentlich sieben Fälle hervorhebt, die hier, aber in andrer, verbesserter Form wiedergegeben werden: a) Gewöhnlich ahmen nur die Weibchen andre Arten nach, weil sie mehr Gefahren ausgesetzt sind als die schneller fliegenden Männchen, und werden letztern dadurch oft völlig unähnlich. So ahmt das Weibchen von Hypolymnas bolina die Euploea Core nach, während das Männchen nicht mimetisch ist. Dasselbe gilt für Hypolymnas Misippus, dessen Weibchen Danais Chrysippus nachahmt, und viele ähnliche Fälle. b) Mitunter ahmen die Weibchen einer Art in verschiedenen Gegenden zwei oder mehr geschützte Vorbilder nach, während das Männchen sich durch das ganze Gebiet gleich bleibt und zwei oder mehr ganz verschiedene Weiber besitzt. Hierher gehört vor allem das Weibchen von Papilio Merope, dessen Verhalten Bd. 18, S. 620, geschildert ist. c) Der umgekehrte Fall, in welchem mehrere verschiedene Schmetterlinge derselben Gegend dasselbe Vorbild nachahmen und dadurch unter sich ähnlich werden, ist ebendaselbst an Acraea Egina und ihren Nachahmern erläutert. d) Aber auch beide Geschlechter einer Art können als Nachahmer auftreten, und zwar derselben Form, wie z. B. diejenigen von Papilio Agestor, welche die viel häufigere und auch von andern Faltern nachgebildete ungenießbare Euploea Tytia kopieren. e) Auch können Männchen und Weibchen die unter sich verschiedenen Geschlechter einer andern Art zu Vorbildern nehmen, und so ergab Epicopeia Philenora in Indien ein Doppelgängerpaar zu Papilio Protenor. f) Ebenso können Männchen und Weibchen zwei verschiedenen Arten als ihren Vorbildern folgen und vermindern dadurch die aus der Häufigkeit der Nachbilder etwa entstehende Gefahr, erkannt zu werden. So ahmt das Männchen der indischen Elymnias leucocyma die Euploea binotata, das Weibchen dagegen die weibliche Euploea Linnaei nach, und diese beiden Euploea werden außerdem von Amesia Midama genau kopiert. Schmetterlinge, welche Wespen, Bienen und Hummeln gleichen, bieten die einheimischen Gattungen Trochilium und Sesia in großer Anzahl (s. Schmetterlinge), [620] ebenso enthalten die einheimischen Bockkäfergattungen Necydalis und Clytus sowie viele Blumenfliegen Wespen nachahmende Arten.
2) Als pseudoepisematische Färbungen werden solche Fälle bezeichnet, in welchen Nachahmungen in feindlicher Absicht stattfinden, entweder, um sich zwischen die Beutetiere unbemerkt einzuschleichen oder dieselben als Köder anzulocken. So schleichen sich bei uns Fliegen der Gattung Volucella in die Nester der Hummeln, deren Gestalt sie genau nachahmen, um dort ihre Brut einzuschmuggeln, die von den Larven der Hummeln zehrt. In der besonders interessanten Gruppe der Lockfärbungen ist eine asiatische Eidechse (Phrynocephalus mystaceus) anzuführen, welche an den Mundwinkeln rötliche, blumenartige Gebilde trägt, die wahrscheinlich Fliegen und andre Beuteinsekten anlocken. Eine südamerikanische Schildkröte (Macrolemmys Temminckii) öffnet, wenn sie hungrig ist, den Mund und streckt zwei an dem Vorderrande der Zunge befindliche Fäden hervor. Diese gleichen Würmern, die sich in einer Felsspalte bewegen, und locken Beute an, während das Tier im übrigen völlig bewegungslos bleibt und einem mit Grün bedeckten Stein gleicht. Mehrere Fische, wie Lophius piscatorius u. a., locken ihre Beute mittels eines glänzend gefärbten, an einer Art von Angelrute befindlichen Köders an, der sich oberhalb seines großen Maules bewegt. Gewisse mit Lophius verwandte Tiefseefische (Ceratius bispinosus, C. uranoscopus u. a.) besitzen einen phosphoreszierenden Köder, der die Tiere, von denen sie sich nähren, anzieht. Bei manchen Fangheuschrecken (Mantiden) Afrikas und Indiens gleicht das ganze Tier einer roten oder blauen, lebhaft gefärbten Blume und lockt, unbeweglich sitzend, Schmetterlinge und andre Blumeninsekten an, die es dann ergreift und verzehrt. Eine indische Art (Hymenopus bicornis) gleicht schon im Larvenzustand einer purpurroten Orchideenblume, und ähnliche Arten gibt es auf Java. Andre Mantiden von der Gattung Gongylus haben weiße, karminrote oder blaue Rücken, und Wood-Mason in Kalkutta erzählt, daß ein Botaniker ein solches Tier als Blume vom Busche nahm.
3) Als pseudoallosematische Färbungen bezeichnet Poulton solche Fälle, bei denen sogar ein Fremdkörper, der gewöhnlich in Verbindung mit einer gemiedenen und gefürchteten Art gesehen wird, von dem Nachahmer mit nachgebildet wird. Ein ausgezeichnetes Beispiel hierzu entdeckte Sclater im tropischen Südamerika. Die wohlgeschützten und zahlreichen Blattschneiderameisen (Oecodoma-Arten) werden von einem unreifen homopteren Insekt nachgeahmt, das in Gestalt und Farbe der Ameise mitsamt dem Blattstück, welches sie gewöhnlich trägt, auffallend gleicht. Hierher können auch die scheinbar mit Schimmelpilzen bedeckten Käfer gerechnet werden, von denen auf der Tafel zum Artikel M. (Bd. 11, Fig. 30) ein Beispiel abgebildet wurde.
IV. Die zur Anlockung und Erregung der Geschlechter dienenden epigamischen Farben, welche ihre Pracht in der Paarungszeit entfalten, gehören eigentlich nicht in dieselbe Gruppe und bedürfen auch keiner Erläuterung durch Beispiele, von denen einige besondere in dem Art. „Spinnen“ des vorliegenden Bandes mitgeteilt werden. Als allepigamische Färbung (?) bezeichnet Poulton solche Fälle, wo der Reiz durch bunte Fremdkörper ausgeübt wird, wie bei Lauben- und Gärtnervögeln (s. Bd. 18). Vgl. Poulton, The colours of the animals (Lond. 1890); Wallace, Der Darwinismus (deutsch, Braunschw. 1891).