MKL1888:Schmetterlinge
[555] Schmetterlinge (Lepidoptera, Schuppenflügler, hierzu Tafeln „Schmetterlinge I u. II“), Ordnung der Insekten, umfaßt Kerbtiere mit saugenden Mundteilen, unbeweglichem, ringförmigem Prothorax, häutigen, dicht farbig beschuppten Vorder- und Hinterflügeln und vollkommener Metamorphose. Der frei beweglich eingelenkte, dicht behaarte Kopf trägt vielgliederige, faden- oder borstenförmige, häufig keulenförmige, auch gesägte oder gekämmte Fühler, große, halbkugelige Facettenaugen und zuweilen zwei Punktaugen. Die Mundteile (s. Fig.) bestehen aus einer verkümmerten Oberlippe, ebensolchen Oberkiefern und verlängerten Unterkiefern, welche zu zwei Halbrinnen
Mundteile: a von Zygaena (von der Seite), b von Noctua (von oben). A Antenne, Lr Oberlippe, Lt Lippentaster, Md Mandibel, Mx Maxilla, Mxt Maxillartaster, O Auge. | |
umgewandelt sind und sich zu dem spiralig aufgerollten Rüssel (Rollzunge) dicht zusammenlegen. Letzterer ist bisweilen bedeutend länger als der Körper, in andern Fällen sehr kurz, gewöhnlich aber mit feinen, gezähnelten Dörnchen zum Aufritzen der Nektarien besetzt und zum Aufsaugen des Blütensafts eingerichtet. Die drei Brustringe sind miteinander verschmolzen und gleich dem übrigen Körper dicht behaart. Die nur ausnahmsweise (bei den Weibchen gewisser Gattungen) verkümmerten Flügel sind teilweise oder vollständig mit dachziegelförmig sich deckenden, schuppenartigen Haaren bekleidet, welche die äußerst mannigfache Färbung, Zeichnung und Irisierung der Flügel bedingen. Die Schüppchen sind meist fein gerippt und gezähnelt und stecken mit stielförmiger Wurzel in Poren der Flügelhaut. Beide Flügel sind häufig miteinander verbunden, indem am vordern Rande der Hinterflügel Dornen oder Borsten in ein Bändchen der Vorderflügel eingreifen. Die Beine sind zart und schwach, ihre Schienen mit ansehnlichen Sporen bewaffnet, ihre Tarsen allgemein fünfgliederig. Der Hinterleib endet nicht selten mit einem stark hervortretenden Haarbüschel. Die Geschlechter sind oft an Größe, Färbung und Flügelbildung sehr verschieden, und zwar zeigen sich dann die Männchen mit lebhaftern und prachtvollern Farben geschmückt und sollen bisweilen um den Besitz des Weibchens kämpfen. Mitunter gehören derselben Art zwei oder drei verschieden gestaltete Weibchen an, welche vor der Kenntnis dieses Verhältnisses als Varietäten oder gar als verschiedene Arten beschrieben worden sind; andre Arten zeigen nach der Jahreszeit sehr verschiedene Färbungen. Mehrfach ist Parthenogenesis beobachtet worden. Von den innern Organen ist der Bauchstrang des Nervensystems gewöhnlich lang und mit 2–3 Brust- sowie 5 Bauchknoten versehen. Am Ende der Speiseröhre befindet sich an besonderm Stiel ein Kropf, der sogen. Saugmagen. Die Larven, gewöhnlich Raupen genannt, sind durch lebhafte, oft sehr schöne Färbung und durch Bekleidung ihrer Oberfläche mit Haaren, Dornen, Stacheln, Hörnern ausgezeichnet; nur die im Holz, in Wurzeln etc. vom Licht abgeschlossen lebenden Arten sind meist vollständig farblos und glatt. An ihrem großen, hornigen Kopfe finden sich beiderseits nach unten 5–6 Punktaugen und dicht neben dem Mund sehr kurze Fühler. Die beißenden Mundteile sind vollständig wie diejenigen der Käferlarven gebildet. Überall folgen auf die drei Fußpaare der Brustringe noch 2 oder 5 Paar Afterfüße. Die Larven leben meist von Pflanzenteilen, Blättern und Holz; sie befestigen sich vor der Verpuppung an geschützten Orten oder spinnen mit dem Saft ihrer zwei großen Spinndrüsen (s. d.) Kokons und verwandeln sich in Puppen, bei denen die Gliedmaßen des künftigen Insekts dem Körper dicht anliegen und mit ihm zusammen von einer harten, hornigen Hülle umgeben sind. Aus der Puppe schlüpft nach wenigen Wochen oder nach der Überwinterung der Schmetterling, welcher in der Regel nur kurze Lebensdauer hat, nach der Begattung, resp. nach der Eiablage zu Grunde geht und nur selten überwintert. Bei einigen Arten sind diejenigen Exemplare, welche im Frühling aus der Puppe ausschlüpfen, in Färbung und Zeichnung der Flügel so sehr von der Sommerform verschieden, daß man sie früher für besondere Varietäten oder gar Arten gehalten hat (z. B. Vanessa levana und prorsa gehören zusammen als Winter- und Sommerform; sogen. Saisondimorphismus). Manche S. fliegen zuzeiten aus unbekannten Ursachen in großen Schwärmen, so z. B. Plusia gamma, Vanessa cardui etc. Durch massenhaftes Auftreten werden die Raupen den Pflanzen oft sehr schädlich, sind jedoch auch in ausgedehntem Maß Verfolgungen durch andre Insekten (Schlupfwespen etc.) ausgesetzt. Die Zahl der existierenden Arten wird auf viel mehr als 100,000 geschätzt, doch ist davon erst ein geringer Teil genau bekannt. Fossile S. sind schon in der Steinkohlenformation aufgefunden worden.
Einteilung: A) Kleinschmetterlinge (Microlepidoptera), kleine, zarte S. mit meist langen, borstenförmigen Fühlern. Hierher die Familien: Motten (Tineidae), Lärchenminiermotte, Apfelbaumgespinstmotte, [556] Wickler (Tortricidae), Kieferntrieb-, Kieferngallenwickler, Tafel II, und Zünsler (Pyralidae), Rübsaatpfeifer. B) Großschmetterlinge (Macrolepidoptera): 1) Spanner (Geometrina), Kiefernspanner, Birken-, Frostspanner, Tafel II. 2) Eulen (Noctuina), Quecken-, Feldulmen-, Forleule, Ordensband. 3) Spinner (Bombycina), Buchen-, Ringelspinner. 4) Schwärmer (Abendfalter, Sphingina), Kiefern-, Hornissenschwärmer, Bär, mit meist sehr langem Rüssel und langen Vorderflügeln. Hierher die Familien: Schwärmer (Crepuscularia oder Sphingidae), Holzbohrer (Xylotropha), Cheloniarier (Cheloniaria) u. a. m. 5) Tagfalter (Rhopalocera oder Diurna), Baumweißling, Curius, Neoptolemus, Amphrisus.
Vgl. Esper, Die europäischen S. (Erlang. 1777–1805, 7 Bde.); Borkhausen, Naturgeschichte der europäischen S. (Frankf. a. M. 1788–94, 5 Bde.); Ochsenheimer und Treitschke, Die S. von Europa (Leipz. 1807–35, 10 Bde.); Hübner, Sammlung europäischer S. (Augsb. 1805–41); Derselbe, Sammlung exotischer S. (das. 1816–41, 3 Bde.); Herrich-Schäffer, Systematische Bearbeitung der S. von Europa (Regensb. 1843–55, 5 Bde.); Derselbe, Lepidopterorum exoticorum species novae (das. 1850–56); Freyer, Neuere Beiträge zur Schmetterlingskunde (Augsb. 1831–58, 7 Bde.); Speyer, Geographische Verbreitung der S. Deutschlands und der Schweiz (Leipz. 1858–62, 2 Tle.); Heinemann, Die S. Deutschlands und der Schweiz (Braunschw. 1859–1877, 2 Bde.); Ramann, Die S. Deutschlands und der angrenzenden Länder (Arnstadt 1872–75); Weismann, Über den Saisondimorphismus der S. (Leipz. 1875); Derselbe, Die Entstehung der Zeichnung bei den Schmetterlingsraupen (das. 1876). Der Schmetterling war schon im Altertum Symbol der Unsterblichkeit der Seele, und besonders wird das Hervorgehen des Schmetterlings aus der Puppe auf die Befreiung der Seele aus den Banden des Körpers im Tod bezogen. Psyche ward daher gewöhnlich mit Schmetterlingsflügeln dargestellt, ebenso auch der Gott des Schlafs.
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SCHMETTERLINGE I. |
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[1] Kiefernschwärmer (Sphinx pinastri) nebst Eiern, Raupe und Puppe. Nat. Gr. (Art. Kiefernschwärmer.)
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SCHMETTERLINGE II. |
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[1] Kiefernspanner (Fidonia piniaria) mit Raupe. Nat. Gr. (Art. Spanner.)
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[834] Schmetterlinge. Unsre Kenntnis der fossilen Arten dieser zerbrechlichen Tiere war bisher sehr gering; man kannte in größerer Zahl nur Nachtschmetterlinge, namentlich Motten, Wickler und andre Kleinschmetterlinge aus Bernsteinstücken, und neigte, da man aus bestimmten Gründen die Nachtschmetterlinge als die ältere Gruppe ansehen muß, zu der Annahme, daß die Tagschmetterlinge erst in jüngster Zeit aufgetreten seien und ihre Mannigfaltigkeit ausgebildet hätten. Allein diese Ansicht hat beträchtlich modifiziert werden müssen, seit zu dem knappen Dutzend bisher bekannter Tagfalter eine größere Anzahl in vortrefflicher Erhaltung aus oligocänen Schichten von Florissant (Colorado) gekommen und von Skudder beschrieben worden ist. Bei den lebenden Schmetterlingen fällt uns, wenn wir die Stufenleiter der Familien hinaufsteigen, eine zunehmende Verkümmerung der Vorderbeine auf. Bei den beiden niedriger stehenden Familien der Hesperiden und Papilioniden sind sie normal entwickelt und im Bau den beiden andern Paaren ähnlich. Bei den Lycäniden (inkl. Lemoniinae und Lycaeninae) sind sie bei den Männchen in größerer oder geringerer Ausdehnung verkümmert, bis zum gänzlichen Verlust der Endbewaffnung, während sie beim Weibchen noch vollständig sind. Bei der höchststehenden Familie der Nymphaliden sind sie (mit alleiniger Ausnahme der kleinen Gruppe der Libytheinae, welche darin mit den Lycaeninae übereinstimmt) in beiden Geschlechtern und oft bis zu einer außerordentlichen Ausdehnung verkümmert. Bei der fossilen Prolibythea sehen wir die Vorderbeine der Weibchen erhalten und bei Nymphalites verkümmert, in beiden Fällen stimmen sie in allen wesentlichen Punkten mit dem überein, was wir bei lebenden Angehörigen der Gruppe zu finden erwarten müßten, und beweisen so, daß schon in der frühsten Epoche, aus der bis jetzt S. bekannt geworden sind, die eigentümlichen Verschiedenheiten, welche den Fortschritt der Formen bezeichnen, vorhanden waren. Wir müssen demnach entweder eine große Beschleunigung der Entwickelungsweise in jener Zeit, zu welcher S. (und Blumen) zuerst erschienen, [835] annehmen, oder das Auftreten der S. auf eine viel ältere Periode zurückverlegen, als diejenigen sind, aus denen wir bisher Proben besitzen. Was den Charakter dieser fossilen amerikanischen S. betrifft, so ist ihre Allgemeinerscheinung deutlich subtropisch und amerikanisch, die tertiären S. Europas zeigen vorwiegend ein subtropisches ostindisches Gepräge.
Über die Farben der S., deren Anordnung bestimmte genealogische Schlüsse gestattet (vgl. Insekten, S. 446), hat F. G. Hopkins einige Untersuchungen angestellt, welche zeigten, daß die meisten Farben auf physikalischer Wirkung beruhen, sogen. optische Farben sind, die nur wenig durch die natürliche Färbung der Grundlage beeinflußt werden. Indessen sind doch viele Farben auch durch Pigmente bedingt, wie die grünen und karminroten, die einem schnellen Ausbleichen im Lichte unterliegen, und namentlich der lebhaft zitronengelbe vieler Verwandten unsrer Weißlinge (Piëriden). Letzterer Farbstoff, der sich bei den einheimischen Arten in reinster Entwickelung bei den Zitronen- und Aurorafaltern findet, kann durch einfache Behandlung mit heißem Wasser ausgezogen werden und gibt dann, mit Salpetersäure eingedampft, auf Zusatz von Ammoniak oder Kalilauge eine deutliche Murexid-Reaktion. Es ist dies ein lehrreicher Hinweis darauf, daß die Farben der Schmetterlingsschuppen, ähnlich wie man es bei Vogelfedern schon lange angenommen hat, hauptsächlich aus den Abfallstoffen des Körpers (also hier der Puppen) gebildet werden, denn dieser Farbstoff ist ein Derivat der Harnsäure. Die blasser gefärbten einheimischen Arten geben auf den Kopf etwas weniger als 1 mg Farbstoff, größere ausländische Verwandte, wie namentlich die Callidryas-Arten, lieferten 4–5 mg. Die nähere Untersuchung ergab eine nahe Verwandtschaft mit Mycomelinsäure, einem gelben Abkömmling der Harnsäure. E. Krause hat beobachtet, daß, abgesehen von der gelben oder orangefarbenen Grundfarbe bei vielen dieser Piëriden, ein blauer Schiller vorhanden ist, der nur bei wenigen Arten für das unbewaffnete menschliche Auge erkennbar, aber sogleich wahrzunehmen ist, wenn man den Schmetterling durch Kobaltglas betrachtet, welches das leuchtende, den Schiller verdeckende Gelb abblendet. Es ist daraus auf eine erhöhte Farbenempfindlichkeit des Schmetterlingsauges zu schließen.
Auf einem andern Felde bewegen sich die Beobachtungen, welche A. Fritze über den Saison-Dimorphismus und -Polymorphismus japanischer S. angestellt hat. Wir haben in Deutschland meist nur dimorphe Arten, bei denen aus der überwinterten Puppe ein oft von dem der Sommerbrut ganz verschieden aussehender Schmetterling erscheint, wobei dann Weismann gezeigt hatte, daß hier ein unmittelbarer Einfluß der äußern Temperatur auf die Entwickelung stattfindet, sofern durch Aufbewahrung von Sommerpuppen in einem Eiskeller die Entwickelung so verzögert wurde, daß daraus die kleinere Frühlingsform hervorging. Die Art, bei welcher die Verschiedenheit der beiden Formen bei uns am auffallendsten ist, so daß sie zu der Doppelbenennung Vanessa Levana und V. prorsa Anlaß gegeben, kommt nun auch in Japan vor, aber merkwürdigerweise kannte man dort keine verschiedene Frühlingsform. Fritze stellte nun fest, daß ein von unsrer Frühlingsform ganz verschiedener und bisher als besondere Art betrachteter Schmetterling (V. burejana Brem.) dort die Stelle der Levana-Form vertritt. Ähnliche Doppelgängerei treiben dort auch Terias biformis Pryer und Thecla arata Brem., auffallender aber ist der Polymorphismus mancher japanischer Arten. Zu ihnen gehört dort unser Schwalbenschwanz (Papilio Machaon L.), dessen erste Generation in Gestalt kleiner Individuen mit vorwiegend gelblicher Färbung auftritt, worauf bedeutend größere und dunkler gefärbte Generationen folgen. Die gegen den Herbst auftretenden Formen sind dann wieder etwas kleiner und heller. Ein noch auffälligeres Beispiel liefert Terias multiformis Pryer, der in der Frühlingsform einfarbig gelb, in der Sommerform mit schwarzem Rande auf Vorder- und Hinterflügeln versehen ist; bei den vielen Zwischenformen sind aber nur selten zwei völlig gleiche Individuen der Art zu erhalten.
Eine Reihe sehr merkwürdiger Beobachtungen sind an den Raupen und Puppen verschiedener Schmetterlingsarten angestellt worden. W. Müller beobachtete in Brasilien die Blattrippen bauenden Raupen sehr vieler Nymphalidenarten aus den Gattungen Gynaecia, Ageronia, Myscelia, Catonephele, Eunica, Temenis, Epiphile, Callicore, Haematera, Catagramma, Adelpha, Prepona, Siderone, Anaea und Protogonius. Die Eier dieser Raupen werden auf der Unterseite der Blätter ihrer Futterpflanzen abgesetzt, und das junge ausgeschlüpfte Räupchen sucht dann so lange am Blattrand, bis es die Spitze entdeckt hat, bei der es zu fressen anfängt und nicht eher ruht, bis es die Mittelrippe des Blattes von der Spitze aus mehrere Zentimeter freigelegt hat. Dann trägt es seinen Kot in kleinen Ballen dorthin und verlängert die Rippe gewöhnlich um mehr als das Doppelte der freigelegten Ausdehnung, indem es den Kot geldrollenartig anklebt und mit Gespinstfäden verfestigt. So verfahren die Raupen bis zur zweiten, ja in manchen Fällen bis zur vierten Häutung und ruhen an der künstlich verlängerten Rippe, wo ihr dunkler Körper fast unkenntlich erscheint, um so mehr, als manche Arten die Gewohnheit haben, sich durch Anheftung kleiner, unregelmäßiger Fraßstückchen an ihrer Ruhestelle noch besser zu verbergen. Bei einzelnen Arten, wo die Eier in größerer Zahl auf einem und demselben umfangreichern Blatte abgelegt werden, nehmen die Räupchen je eine Nebenrippe des Blattes in Angriff und verlängern dieselbe durch ihren Anbau, um sich die gewohnte Schlafstelle herzurichten; nach der vierten Häutung aber hören alle mit dem Rippenbauen auf, da die Raupe zu schwer geworden ist, um an den verlängerten Rippen zu ruhen, und gewöhnlich durch Ausbildung von Farben, Zeichnungen, Dornen etc. andre Mittel, nicht leicht erkannt zu werden, erlangt haben.
Alle Arten der vorgenannten Nymphaliden-Gattungen, mit Ausnahme der vier letzten, besitzen lichtempfindliche Puppen, über die ebenfalls W. Müller eingehende Beobachtungen angestellt hat. Die meisten dieser Puppen sind, wie die Mehrzahl der Schmetterlingspuppen überhaupt, am Hinterende ihres Körpers aufgehängt, und der Kopf hängt in der Ruhelage senkrecht nach unten. Sobald aber Licht zu ihrem meist schattigen Aufhängungsplatz dringt, krümmen sich die meisten vom Lichte hinweg, einige so stark, daß der Vorderkörper nahezu einen rechten Winkel mit dem Aufhängungslot bildet, und verharren in dieser nicht ohne Muskelanstrengung denkbaren Stellung, bis es wieder dunkel geworden ist. Einige empfinden den Lichtreiz nur langsam und bedürfen einer Erschütterung, gleichsam eines Aufrüttelns aus dem Puppenschlaf, um sich vom Lichte fortzuwenden; andre aber, wie diejenigen der Dynamine- und Adelpha-Arten, sind gegen den Reiz des zerstreuten Tageslichtes so empfindlich, daß sie [836] sich zu oft wiederholten Malen von der einen nach der andern Seite wenden, wenn sie innerhalb eines mit Klappen versehenen dunkeln Behälters bald von der einen, bald von der andern durch direktes Tageslicht getroffen werden. Der Reiz wirkt, wenn nicht gar zu oft innerhalb eines Tages wiederholt, jedesmal nach wenigen Minuten. Viele Puppen, die an der Unterseite von Blättern aufgehängt sind, wie die der letztgenannten beiden Gattungen, werden durch diese Abwendung vom Licht und Krümmung um 45–90° nicht nur für alle schräg von oben nahende Puppenfresser schwerer findbar, sondern entgehen außerdem der Gefahr, von den unter das Laub eindringenden Strahlen der Morgen- oder Abendsonne erreicht zu werden. Denn direkte Besonnung betäubt die Puppen, daß sie sofort schlaff herabsinken u. sich nur wieder erholen, wenn die Besonnung nicht lange gedauert hat.
Bei dieser Lichtflucht der Mehrzahl ist es um so auffälliger, daß die Puppen einer kleinern Gruppe, namentlich die Arten von Myscelia, Catonephele und Callicore, nicht die Gewohnheit teilen, sich an der Unterseite horizontaler Flächen, also im Schatten, aufzuhängen, sondern sich frei an der Oberseite wagerechter oder an den Seiten senkrechter Flächen anheften, so daß sie nicht hängen, sondern mehr oder weniger aufrecht stehen und dadurch natürlich viel mehr der Gefahr ausgesetzt sind, vom Lichte getroffen zu werden. Beobachtungen und Versuche, die W. Müller an derartigen Puppen anstellte, ergaben nun, daß sich diese Puppen nicht vom einfallenden Lichte weg, sondern demselben zuwenden, wofür sie eine dreiseitige Beweglichkeit nach rechts, links und dem Rücken besitzen, während sich die andern Puppen ihrer Familie meist nur nach rechts und links wenden können. Vielleicht sind sie ungenießbar, so daß sie sich frei sehen lassen dürfen, und stellen sich (wie die Kompaßpflanzen) nur darum in die Achse des einfallenden Lichtes ein, weil sie dann am wenigsten von demselben belästigt werden.
Eine sehr merkwürdige Beobachtung hat J. Fallou an den Puppen der Bombyciden gemacht, nämlich: daß sich schon im Puppenzustand die geschlechtliche Differenzierung und Anziehungskraft geltend macht. Er beobachtete bei der Zucht des gewöhnlichen Seidenspinners (Bombyx Mori), wie Männchen in großer Zahl geflogen kamen und sich auf eine Schachtel setzten, in welcher einige dem Ausschlüpfen nahe Individuen weiblichen Geschlechts enthalten waren. In entsprechender Weise beobachtete Seebold, daß Kokons des großen Nachtpfauenauges (Saturnia Pyri), die er in einem Gewächshause aufbewahrte, eines Abends Männchen herbeizogen, die sich außen an die Glasfenster setzten und dort die ganze Nacht über ausharrten, obwohl erst am darauffolgenden Tage ein Weibchen auskroch.
Bei vielen Schmetterlingen ermöglichen sekundäre Geschlechtscharaktere eine leichte Unterscheidung der Geschlechter. So sind z. B. bei den Bläulingen die Geschlechter in der Farbe unterschieden, bei andern in der Bildung der Fühler, wieder bei andern, besonders bei auswärtigen Arten, ist die Gestalt der Flügel eine abweichende, bei manchen Arten besitzen nur die Männchen ausgebildete, die Weibchen dagegen verkümmerte Flügel, und bei der Gattung Psyche gleicht gar das Weibchen eher einem in einem Sack steckenden Wurm als einem Schmetterling, während das Männchen normal gebildet ist. Eine wichtige Rolle spielen auch die Männchenschuppen, eigentümlich gestaltete, nur den männlichen Individuen der einzelnen Arten zukommende Schuppen, welche entweder, wie bei den Weißlingen, unter den andern, die Flügel bekleidenden Schuppen verstreut und dann nur bei mikroskopischer Untersuchung nachweisbar, oder in ihrem Vorkommen auf bestimmte Teile der Flügel oder des Körpers beschränkt und dann, indem sie sich auch durch Gestalt und Färbung auszeichnen, mit bloßem Auge erkennbar, zum Teil sogar sehr auffallend sind. Da sie häufig auch mit Duft absondernden Organen in Verbindung treten, indem sie wesentlich mit zur raschen Verflüchtigung des duftenden Sekretes beitragen, werden sie auch als Duftschuppen, Duftflecken etc. zusammengefaßt. Sie erscheinen häufig in Gestalt dicker Büschel oder langer, in diesem Fall in einer Furche der Beine befindlicher Pinsel, die im Moment des Gebrauches entfaltet werden. Bei sehr vielen Schmetterlingen fehlen aber derartige auffallende Unterscheidungsmerkmale, beide Geschlechter gleichen sich völlig und erst genauere Untersuchung läßt Differenzen erkennen. Es finden sich nämlich unterscheidende Merkmale an der Brustregion des neunten Abdominalsegments beim Männchen und an entsprechender Stelle beim achten und neunten Abdominalsegment des Weibchens. Dort zeigt das Männchen eine feine kurze Linie, welche die mit zwei kleinen ovalen Lippen versehene Öffnung des Samenstranges darstellt, während das Weibchen zwei feine lineare Vertiefungen besitzt: die Öffnungen der Begattungstasche und des Eierganges. Bei mehreren Heteroceren findet sich aber nur eine Öffnung an der Spitze einer dreieckigen Platte des neunten Segments, welche sich in das achte Segment hineinschiebt.
Zur Litteratur: Spannert, Die wissenschaftlichen Benennungen der europäischen Großschmetterlinge (Berl. 1889); Eimer, Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen (Jena 1889).
[814] Schmetterlinge. Unter den einheimischen Schwärmerarten gibt es eine durch Schuppenlosigkeit der Flügel ausgezeichnete Gruppe, die Glasflügler (Sesiidae), die dadurch befähigt werden, den Wespen, Hornissen und Hummeln ähnlich zu werden. Wenn diese Schmetterlinge aus der Puppe schlüpfen, sind ihre Flügel noch dünn mit Schuppen bedeckt, welche beim ersten Ausfluge abgeschüttelt werden. Man hat jetzt gefunden, daß der Verlust der Schuppen auf der rudimentären Beschaffenheit ihres Stieles und des Grübchens, in welchem derselbe eingefügt ist, beruht. Diese Thatsachen legten die Annahme nahe, daß alle S. mit durchscheinenden Flügeln im Laufe ihrer individuellen Entwickelung die Geschichte der Veränderung wiederholen, durch welche die betreffende Art die transparenten Flügel erwarb. Eine von Poulton ausgeführte Untersuchung hat diese Annahme bestätigt. Besonders lehrreich war die Prüfung zweier den Hornissen oder Wespen gleichenden Arten. Bei einer derselben (Sesia apiformis) ist die Nachahmung nicht so vollkommen, wie bei der andern und daher vermutlich jüngern Datums; bei diesem Schmetterling sind die abfallenden rudimentären Schuppen verhältnismäßig gut ausgebildet, während sie bei der andern Art (Sesia bembeciformis) weit mehr entartet sind, so daß wahrscheinlich ein längerer Zeitraum vergangen ist, seitdem sie nutzlos geworden sind. Bemerkenswert ist, daß diese zurückgebildeten Schuppen bei keiner der beiden Arten in der Größe reduziert worden, sondern im Gegenteil viel größer sind als die Schuppen, welche der Schmetterling Zeit seines Lebens behält. Bei einigen verwandten Arten wird übrigens die Durchsichtigkeit der Vorderflügel sowohl durch die Transparenz bleibender, als durch den Verlust von Schuppen herbeigeführt. – In Bezug auf die bekannte Thatsache, daß der Totenkopfschwärmer nachts in Bienenstöcke eindringt, um dort Honig zu naschen, ist die Nachricht eines englischen Entomologen von Interesse, daß ein solches Tier in flagranti ertappt wurde, als es eines Abends in dem Bienenkorb einen Besuch abstattete. Es verriet sich durch seinen singenden Ton und wurde mittels einer Zange, über und über mit Bienen bedeckt, herausgezogen. Er fuhr fort, seinen eigentümlichen Ton von sich zu geben und bezeigte keine Lust davonzufliegen. Da an seinem Körper keine Verletzung, mit Ausnahme der durch die Zange hervorgerufenen, trotz sorgsamster Untersuchung wahrgenommen werden konnte, so liegt die Annahme nahe, daß die Laute, welche der Totenkopf von sich gibt, die Bienen abhält, ihm ein Leid zuzufügen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Nummerierung der Figuren ist in der Vorlage nicht vorhanden und wurde zur Orientierung eingefügt.