MKL1888:Löwe
[935] Löwe (Felis leo L.), Säugetierart aus der Ordnung der Raubtiere und der Familie und der Gattung der Katzen, unterscheidet sich von seinen Gattungsverwandten auffallend genug durch den kurzen, gedrungenen Körper, die kurze, glatt anliegende, einfarbige Behaarung, die ansehnliche Mähne um Hals und Vorderbrust des männlichen Tiers, das breite Gesicht mit verhältnismäßig kleinen Augen und den in eine Quaste endigenden und in dieser Quaste mit einem hornigen Nagel versehenen Schwanz. Die Mähne ist sehr veränderlich nach der Heimat des Löwen, so daß man nach ihr mehrere Arten oder wenigstens Abarten des Löwen (Perser-, Senegal-, Kaplöwe, s. Tafel „Raubtiere III“, und der kleinere, mähnenlose L. von Gudscharat) unterschieden hat. Die ausgezeichnetste Abart ist der L. der Berberei (Leo barbarus Cuv.). Derselbe wird 1,5 m lang und 80–90 cm hoch, hat einen 80 cm langen Schwanz, eine breite Brust und schlanke Weichen. Der dicke, fast viereckige Kopf verlängert sich in eine breite, stumpfe Schnauze; die Ohren sind abgerundet, die Augen von mittlerer Größe, aber lebendig und feurig, die Gliedmaßen gedrungen und außerordentlich kräftig; die Pranken sind größer als bei allen übrigen Katzenarten. Die Behaarung ist lebhaft rötlichgelb oder fahlbraun. Die dichte, fahlgelbe, stark mit Schwarz gemischte Mähne besteht aus langen, schlichten Haaren und reicht vorn bis zur Handwurzel, hinten bis fast zur Hälfte des Rückens und der Seiten herab. Auch der Unterleib zeigt seiner ganzen Länge nach eine dicht stehende, längere, schlichte, schwarze Behaarung, und an den Ellbogen und den Vorderteilen der Schenkel stehen wenigstens noch schwarze Haarbüschel. Neugeborne Löwen haben etwa 33 cm Länge, aber weder Mähne noch Schwanzquaste, sondern sind mit wolligen, gräulichen Haaren bedeckt, am Kopf und an den Beinen schwarz gefleckt, an den Seiten, über dem Rücken und am Schwanz mit kleinen, schwarzen Querstrichen gebändert und mit schwarzer Rückenlinie gezeichnet. Schon im ersten Jahr verschwinden Flecken und Streifen, im zweiten wird die Grundfarbe ein gleichmäßiges Fahlgelb, und im dritten Jahr erscheinen mit der Mähne alle Zeichen der Mannbarkeit. Bei der Löwin ist die Behaarung überall kurz und am Vorderkörper höchstens eine Andeutung der Mähne vorhanden. Der Berberlöwe findet sich in den Ländern des Atlas, der Perserlöwe von Persien bis Indien, der Senegallöwe vom 20.° nördl. Br. bis zum Kap und von der West- bis zur Ostküste, der Kaplöwe außer im Kapland, wie es scheint, auch in Habesch, der Gudscharatlöwe findet sich in den Dschangelwaldungen längs der Flüsse. Früher war der L. weit verbreiteter als gegenwärtig. Zur Zeit der Römer fand er sich nicht nur in ganz Afrika und im südwestlichen Asien, in Syrien und Palästina, sondern auch in Griechenland und Makedonien. Der L. der Berberei insbesondere lebte früher im ganzen nördlichen Afrika mit Einschluß Ägyptens. Jetzt ist er aus dem ganzen untern Nilthal völlig verschwunden. Auch wo er noch einheimisch ist, in Tunis, in der Oase Fezzan, in Algerien und Marokko, findet er sich bei weitem nicht mehr so häufig wie früher; überall hat er der andringenden Kultur weichen müssen, und namentlich haben auch die langwierigen Kriege der Franzosen in Algerien die Reihen der Löwen sehr gelichtet, abgesehen von der Thätigkeit französischer Löwenjäger, wie des berühmten Jules Gérard. Am zahlreichsten ist noch der Senegallöwe zu finden, obwohl auch er nach und nach immer weiter zurückgedrängt wird.
Der L. lebt einzeln und hält sich nur von der Brunstzeit an, und bis die Jungen ein gewisses Alter erreicht haben, zu seinem Weibchen. Jeder L. hat sein Gebiet, doch vereinigen sich oft auch mehrere Löwen zu größern Jagdzügen. Breite, waldige Thäler sind sein Lieblingsaufenthalt. In den Gebirgen steigt er bis zu 1500 m empor. An einem geschützten Ort scharrt er sich eine flache Vertiefung als Lager und ruht hier einen oder mehrere Tage lang, je nachdem er Nahrung findet und sich sicher fühlt. In größern Waldungen hält er sich oft geraume Zeit an einem und demselben Platz auf und zieht erst dann weiter, wenn die Gegend ausgebeutet ist. Er ist weit träger als die übrigen Katzen und sucht es sich stets so bequem wie möglich zu machen. Im Ostsudân folgt er regelmäßig den dort nomadisch lebenden Bewohnern, von ihren Herden Tribut erhebend. Gern richtet der L., besonders der ältere, seine Streifzüge nach Dörfern, in deren Nähe er sich daher oft ansiedelt. Bei Tage hält er sich in seinem Lager verborgen, aber bisweilen sieht man ihn an einem erhöhten Punkt Umschau in seinem Gebiet halten. Mit hereinbrechender Nacht beginnt er die Jagd, oft mit furchtbarem, donnerähnlichem Gebrüll die andern Tiere aufscheuchend und verwirrend, oft auch lautlos heranschleichend. Bei der Jagd, welche er hauptsächlich auf große Tiere richtet, zeigt er viel Verstand, List und Kühnheit. Schnellfüßigen Tieren, wie den Antilopen, lauert er auf und schleicht äußerst vorsichtig unter dem Wind an sie heran; namentlich sind die Wasserplätze in den Steppen Mittel- und Südafrikas ergiebige Jagdorte für ihn. Gewöhnlich frißt er nur selbsterlegte frische Beute; in der Not geht er auch an Aas. Er ist unstreitig neben dem Tiger und Jaguar das stärkste und furchtbarste Raubtier. Mit außerordentlicher Stärke verbindet er große Gewandtheit und Behendigkeit; er macht weite Sprünge, oft bis zu 9 m und darüber, sitzt in Einem Sprung einem Pferd oder andern großen Tier auf dem Nacken, und mit Einem Biß zermalmt er die Halswirbelknochen seiner Beute. Schakale und noch größere Tiere tötet er mit einem einzigen Schlag seiner Tatze. Ein getötetes Pferd, sogar ein zweijähriges Rind schleppt er ohne Mühe weite Strecken fort, und mit einem zweijährigen Rind im Rachen springt er über einen fast 3 m hohen Zaun. Den Menschen greift er nicht leicht an; hat er aber [936] einmal Menschenfleisch gefressen, dann soll er dieses jedem andern vorziehen. Wie behauptet wird, greift er den Menschen oder ein Tier, das nicht vor ihm flieht, nie an, ohne sich vorher in einer Entfernung von 10–12 Schritt zum Sprung niederzulegen. Wer nun entflieht, ist unfehlbar verloren; wer aber ruhig stehen bleibt, gegen den wird er den Sprung nicht wagen, wenn man nur Mut genug hat, ihm ruhig und fest ins Auge zu schauen. Nach einiger Zeit erhebt er sich langsam, geht unter beständigem Umsehen einige Schritte zurück, legt sich wieder, entfernt sich abermals in immer kürzern Zwischenräumen und nimmt endlich, wenn er ganz aus dem Wirkungskreis des Menschen zu sein glaubt, in vollem Lauf die Flucht. Durch Wachtfeuer geschützte Lager überfällt er niemals. Die körperlichen Vorzüge des Löwen, die durch eine wirklich edle Gestalt, einen gravitätischen Gang, ein ernstes, stolzes Gesicht noch erhöht werden, mögen immerhin berechtigen, den Löwen als den König der Landtiere anzusehen; was aber seine intellektuellen Eigenschaften betrifft, so ist seine Geschichte mit einer Menge von Fabeln ausgeschmückt. Seine Großmut ist meist eine poetische Verschönerung seiner natürlichen Trägheit und Apathie oder der Verachtung vieler kleinerer Tiere, die er des Raubes nicht wert hält und ungehindert vorübergehen läßt. In dem Charakter des Löwen wechseln Mut, Kühnheit und Feigheit. Verfehlt er einen Sprung auf Raub, so flieht er, als schäme er sich seines mißlungenen Angriffs. Er ist nicht so beharrlich kühn, so dreist und verwegen wie der Tiger, der ihm weder weicht, noch ihn fürchtet. Der Mut des Löwen erwacht erst, wenn ihn der Hunger plagt, oder wenn er gereizt und angegriffen wird. Immerhin zeigt er neben den übrigen Katzen Eigenschaften, welche die Bewunderung rechtfertigen, die ihm von so vielen Beobachtern entgegengebracht wird. Zur Zeit der Paarung folgen oft mehrere männliche Löwen einer Löwin, und es entspinnen sich dann blutige Kämpfe unter ihnen. Hat die Löwin aber den Gatten erwählt, so ziehen die andern ab, und beide leben nun treu zusammen. 15–16 Wochen (108 Tage) nach der Begattung wirft die Löwin in einem Dickicht, möglichst nahe einem Tränkplatz, 1–6, gewöhnlich aber 2–3 Junge, die mit offenen Augen zur Welt kommen und etwa die Größe einer halb erwachsenen Katze haben. Die Löwin pflegt sie mit großer Zärtlichkeit, säugt sie etwa sechs Monate lang und wird in der Herbeischaffung der Nahrung vom Löwen unterstützt. Im Verhältnis zum langsamen Wachstum des Löwen steht das hohe Alter, welches er erreicht; man kennt Fälle, daß Löwen sogar in der Gefangenschaft 70 Jahre gelebt haben, wiewohl sie auch bei der besten Pflege bald ein greisenhaftes Aussehen bekommen. Sie bedürfen täglich 4 kg gutes Fleisch. In den zoologischen Gärten züchtet man gegenwärtig Löwen fast ebenso sicher wie Hunde. Im Berliner zoologischen Garten züchtete Bodinus in 12 Jahren 90 Löwen. Im Atlasgebirge stellt man große Treibjagden auf den Löwen an; auch erlegt man ihn auf dem Anstand oder fängt ihn in Fallgruben. Die Hottentoten töten ihn auch mit vergifteten Pfeilen. Jung eingefangene Löwen werden bei verständiger Pflege sehr zahm und bezeigen ihrem Pfleger große Anhänglichkeit, auch hat der L. für empfangene Wohlthaten ein treues Gedächtnis. Jedoch auch im gezähmten Zustand ist ihm nicht unbedingt zu trauen, und schon mancher Tierwärter hat ein tollkühnes Wagestück mit seinem Leben bezahlen müssen. Das Fleisch des Löwen wird in Nordafrika von den Mauren gegessen, und auch die Südafrikaner verschmähen es nicht. Die Haut des Löwen, im Altertum ein Schmuck der Helden, wird jetzt nicht besonders geschätzt und nur zu Bett- und Pferdedecken verarbeitet. Auf den ältesten ägyptischen Denkmälern kommen afrikanische und asiatische, wilde und gezähmte Löwen und Löwenjagden vor. Auch im Alten Testament wird der L. häufig erwähnt; nach demselben fand er sich in Judäa, namentlich am Libanon und selbst am Jordan. Xenophon, Aristoteles, Strabon, Plinius u. a. sprechen von Löwenjagden in Syrien und Arabien, wo die Löwen stärker und zahlreicher seien als in Libyen. Bei dem Marsch des Xerxes durch Makedonien fielen Löwen über die Kamele her, welche das Gepäck trugen. Nach Pausanias kamen sie oft von den Bergen herunter in die Ebenen von Makedonien und Thessalien. Zahlreiche Erzählungen handeln von der Großmut des Löwen, welche die Alten rühmten. Den ersten Löwenkampf zu Rom gab der Ädil Q. Scävola (94 v. Chr.), nachher Sulla einen mit 100 Löwen, Pompejus einen im Zirkus mit 600, Julius Cäsar einen mit 400. M. Antonius spannte gezähmte Löwen vor seinen Wagen. Hadrian tötete im Zirkus mehrmals 100 Löwen. – Über den amerikanischen Löwen s. Puma.
Das Bild des Löwen galt bei vielen alten Völkern als Symbol des Heldentums. In Ägypten war der L. das Symbol der Nilflut, ein Zeichen des Tierkreises und in den spätern Fabeln vom Harpokrates das der Sonne im Zenith und das des Feuers; er war der Sonne heilig, und wenn diese im Löwen stand, hatten die Tempelschlüssel Löwenköpfe. In der Stadt Tal (Tanis) wurde eine Sonnengottheit unter dem Bild eines Löwen als siegreicher Kämpfer gegen den asiatischen Baal verehrt. Auch dem Horos (s. d.) war der L. geheiligt, ebenso der syrischen und griechischen Kybele. Er diente wohl auch als Symbol der alles durchdringenden, belebenden und bändigenden Feuerkraft. In der Architektur der Griechen und Römer ward er zum Quellwächter (Krenophylax), und aus Löwenrachen floß das Wasser der Brunnen; Löwenköpfe waren in der dorischen Bauart gewöhnliche Verzierung auf dem Karnies der Gebäude, um die Löcher zu verbergen, die zum Ablauf
Fig. 1. | Fig. 2. |
Heraldische Löwen. |
des Regenwassers von dem Dach dienten. – Als Sinnbild der Tapferkeit ist der L. auch eins der beliebtesten Wappentiere, und zwar hat er als solches eine typische Stellung, so wie er sich auf seine Beute stürzt: auf den Hinterfüßen stehend mit vorgeworfenen Vorderpranken, das Maul aufgerissen und die Zunge herausgestreckt, die Mähne flatternd, den Schwanz nach oben gestreckt (Fig. 1); seltener erscheint er „schreitend“ mit aufgehobener rechter Vorderpranke (Fig. 2), dann oft zu zweien und dreien übereinander. Vgl. Leopard.
[937] Löwe (Leo), in der Astronomie das fünfte Zeichen des Tierkreises ([WS 1]); auch Sternbild zwischen 138 und 1771/2° Geradaufsteigung sowie 32° nördlicher und 3° südlicher Deklination, in welchem Heis 161 mit bloßem Auge sichtbare Sterne verzeichnet, darunter einen erster Größe (Regulus), 3 zweiter, 4 dritter und einen zwischen fünfter und elfter Größe veränderlichen. Das Sternbild ist dadurch merkwürdig, daß es den Ausstreuungspunkt der Novembersternschnuppen (s. Sternschnuppen) enthält, die deshalb auch Leoniden heißen. Der kleine L. ist ein weniger umfangreiches Sternbild über Kopf und Nacken des Löwen, von 1401/2–164° Rektaszension und 42–261/2 nördlicher Deklination, mit 40 dem bloßen Auge sichtbaren Sternen von der vierten Größe an abwärts, darunter einem von sechster bis unter elfter Größe veränderlichen.
Löwe, 1) Name einer vielverzweigten Schauspielerfamilie, deren Stammvater Johann Karl (geb. 1731 zu Dresden) nebst seiner Frau Katharina Magdalena Ling (geb. 1745) bei verschiedenen Truppen (unter anderm in Berlin) angestellt war, längere Zeit auch die Direktion des Hoftheaters in Schwedt führte und 1807 in Lübeck starb. Er glänzte in komischen, seine Frau besonders in Soubrettenrollen. – Sein Sohn Johann Heinrich, geb. 1766 zu Berlin, wurde 1799 Konzertmeister in Bremen, später Musikdirektor und machte sich auch als Komponist und Violinvirtuose bekannt. 1815 zog er nach Bromberg und starb nach 1835. – Dessen Bruder Friedrich August Leopold, geb. 1767 zu Schwedt, gest. 1816 als Theaterdirektor in Lübeck, war ein tüchtiger Sänger und Schauspieler; seine Operette „Die Insel der Verführung“ fand allgemeinen Beifall. – Dessen Sohn Ferdinand, geb. 1787 zu Mansfeld, wirkte nacheinander an den Bühnen zu Magdeburg, Braunschweig, Düsseldorf, Kassel, Leipzig, Mannheim und Frankfurt und war namentlich als Held im Trauerspiel ausgezeichnet; er starb 13. Mai 1832 in Wien. – Seine Tochter Johanna Sophie, eine der berühmtesten Sängerinnen Deutschlands, geb. 24. März 1815 zu Oldenburg, bildete sich seit 1831 in Wien unter Ciccimara und trat 1832 mit solchem Glück im Kärntnerthortheater auf, daß sie alsbald engagiert wurde. Eine Gastspielreise in Norddeutschland hatte 1837 ihr Engagement an der Berliner Hofbühne zur Folge. Nach mehreren Kunstreisen nach England, Frankreich und Italien vermählte sie sich 1848 mit dem k. k. Feldmarschallleutnant Fürsten Friedrich von Liechtenstein; sie starb 29. Nov. 1866 in Pest. Mit vollendeter Gesangskunst vereinigte sie ein fein nüanciertes, geistreiches Spiel. Ihr Organ war weniger imposant als voll und gediegen. Mit gleicher Virtuosität war sie in der deutschen, italienischen und französischen Schule heimisch. – Ihr Bruder Franz Ludwig Feodor, geb. 5. Juli 1816 zu Kassel, wirkte erst an den Bühnen zu Hamburg und Frankfurt, seit 1841 an der Hofbühne zu Stuttgart, wo er noch gegenwärtig thätig ist und sich namentlich auch als Regisseur Ruf erworben hat. Er reiht sich den tüchtigsten Künstlern seiner Zeit würdig an; insbesondere gelten sein Hamlet, sein Leicester (in „Maria Stuart“, sein Faust, Bolingbroke und Karl Moor für vollendete Kunstleistungen. Auch hat L. durch Schwung und Formschönheit ausgezeichnete „Gedichte“ (Stuttg. 1854, 2. Aufl. 1860), „Neue Gedichte“ (das. 1875) sowie Freimaurerdichtungen: „Den Brüdern“ (2. Aufl., Leipz. 1874), „Aus eigner Werkstatt“ (Stuttg. 1881), „Zwischen den drei Säulen“ (das. 1884) u. a. veröffentlicht. – Seine jüngere Schwester, Lila, geb. 1817, betrat die Bühne 1833 in Mannheim mit dem besten Erfolg, war erst hier, später und bis 1844 in Petersburg engagiert und entfaltete im Fach der naiven jugendlichen Liebhaberinnen ein schönes Talent, verließ aber das Theater seit ihrer Vermählung mit dem livländischen Freiherrn von Küster. – Julie Sophie, Tochter von Friedrich August Leopold L., geb. 1786, war bis 1809 Mitglied des Petersburger deutschen Theaters, kam später nach Prag, 1812 an das Theater an der Wien und war von 1813 bis 1842 eine Zierde des Hofburgtheaters in Wien, namentlich im höhern Lustspiel und Konversationsstück; sie starb 11. Sept. 1852 daselbst. – Ihr Bruder Johann Daniel Ludwig, der berühmteste unter den männlichen Sprossen der Familie, geb. 29. Jan. 1795 zu Rinteln, trat 1808 in die Kindergesellschaft des Direktors Nuth ein, wirkte 1811–19 in Prag erst im Fach der niedern Komik, trat später auch in Liebhaber- und Heldenrollen auf und folgte 1821 einem Ruf an die Hofbühne zu Kassel, 1826 einem solchen an das Hofburgtheater zu Wien, an dem er 1838 Regisseur, später Ehrenmitglied wurde. Er starb 7. März 1871 daselbst. L. hat auf fast allen bedeutenden Bühnen gastiert und überall mit gleichem Beifall. Ausgezeichnetes leistete er namentlich in Rollen, welche ein psychologisches Studium bedingen. Im Lustspiel glänzte er durch feinen, ungezwungenen Ton, liebenswürdigen Humor und die Sicherheit, mit der er den gesellschaftlichen Anstand behauptete. – Auch seine Tochter Anna (Nina), geb. 1821 zu Kassel, war eine geschätzte Schauspielerin im Fach der jugendlichen Liebhaberinnen und in hochtragischen Rollen. Sie hatte 1833 am Hofburgtheater debütiert, gehörte demselben bis 1849 als Mitglied an und war darauf in Lemberg engagiert, wo sie später einen Grafen Potocki heiratete und 27. April 1884 starb.
2) Karl, Balladenkomponist, geb. 30. Nov. 1796 zu Löbejün bei Halle, besuchte das Gymnasium zu Halle, daneben Türcks musikalischen Unterricht genießend, und studierte dann daselbst Theologie. Aus dieser Zeit, während welcher er seine Mußestunden ausschließlich der Musik widmete, stammen einige seiner schönsten Balladen, z. B. „Der Erlkönig“. 1822 wurde er Kantor und Lehrer am Gymnasium zu Stettin und später Musikdirektor an der Jakobikirche daselbst. Seit 1866 in den Ruhestand versetzt, starb er 20. April 1869 in Kiel. Von Löwes zahlreichen Kompositionen sind zunächst seine infolge ihrer leichten Ausführbarkeit und ihres Reichtums an einfachen, eindringlichen Melodien beliebt gewordenen Oratorien: „Die Siebenschläfer“, „Gutenberg“, „Die Festzeiten“, „Die eherne Schlange“ und „Die Jünger in Philippi“ (beide letztern für Männerstimmen ohne Begleitung) zu nennen. Außerdem schrieb er eine Oper: „Die drei Wünsche“, zahlreiche geistliche und weltliche Gesänge für Männer- und gemischten Chor (Psalmen etc.), Sonaten und Charakterstücke für das Piano, Ouvertüren, Streichquartette u. a. Am bedeutendsten und fruchtbarsten aber war er als Komponist von Liedern, namentlich Balladen, von denen sich viele durch Originalität der Erfindung wie durch Feinheit der Charakteristik und Treue des Kolorits auszeichnen. Als Schriftsteller trat L. auf mit einer „Gesanglehre für Gymnasien“ (Stett. 1826, 2. Aufl. 1828) und mit einem Kommentar zum zweiten Teil von Goethes „Faust“ (Berl. 1834). Seine „Selbstbiographie“ wurde von Bitter (Berl. 1870) herausgegeben. Vgl. Runze, Karl L. (Leipz. 1884); Wellmer, Karl L., ein deutscher Tonmeister (das. 1886).
3) Wilhelm, deutscher Politiker (L.-Kalbe), geb. [938] 14. Nov. 1814 zu Olvenstedt bei Magdeburg, studierte in Halle Medizin, ließ sich in Kalbe als Arzt nieder und ward 1848 hier in das Frankfurter Parlament gewählt, in welchem er zur demokratischen Linken gehörte. 1849 wurde er zum ersten Vizepräsidenten, bei der Übersiedelung nach Stuttgart zum Präsidenten erwählt. Er ward hierauf, wie alle Teilnehmer an den Stuttgarter Beschlüssen, angeklagt, allein in zwei Instanzen freigesprochen. Erst das Obertribunal fand L. lebenslänglicher Zuchthausstrafe schuldig. L. lebte inzwischen in der Schweiz, in London und acht Jahre lang in New York, wo er die ärztliche Praxis ausübte, bis ihm der Amnestieerlaß vom 12. Jan. 1861 die Rückkehr ermöglichte. 1863 trat er für den Kreis Bochum-Dortmund in das Abgeordnetenhaus ein, wo er sich der Fortschrittspartei anschloß und durch schwungvolle Beredsamkeit sich hervorthat. Auch dem Sechsunddreißiger-Ausschuß gehörte er an. Während er sich 1867 für das Abgeordnetenhaus in Berlin wählen ließ, nahm er für den norddeutschen Reichstag die Wahl in Bochum an, das er auch im deutschen Reichstag 1871–81 vertrat. Auch hier gehörte er zur Fortschrittspartei, schied aber im April 1874 aus derselben aus infolge seiner Abstimmung über das Militärgesetz. 1879 war er ein eifriger Verteidiger des Schutzzolltarifs. Im Abgeordnetenhaus war er von 1871 bis 1875 Vizepräsident; 1876 lehnte er aber eine Wiederwahl ab, da er sich nicht mehr als einen Vertreter seiner frühern Partei betrachten konnte. Er starb 2. Nov. 1886 in Meran.
4) Ludwig, Industrieller, geb. 20. Nov. 1837 zu Heiligenstadt, widmete sich dem Kaufmannsstand, wandte sich aber bald ausschließlich dem Maschinenfach zu und gründete 1864 in Berlin ein Geschäft, in welchem er mit Erfolg den Vertrieb von Arbeitsmaschinen kultivierte. 1870 ging er nach Nordamerika, um den dortigen Maschinenbau zu studieren, und begründete, nach Berlin zurückgekehrt, eine große Fabrik in amerikanischem Stil, in welcher zunächst Nähmaschinen gebaut wurden. Er arbeitete mit amerikanischen Werkzeugmaschinen, die hier zum erstenmal in Deutschland zur Verwendung kamen, und wußte die dem amerikanischen System eignen Vorzüge, namentlich die Erzielung von Präzision bei der Massenfabrikation, in so hohem Maße zur Geltung zu bringen, daß das preußische Kriegsministerium 1871 beschloß, die eigne Waffenfabrikation nach gleichem System einzurichten, zumal die Löwesche Fabrik durch die Bereitwilligkeit zur Anfertigung von 1 Million Visieren Garantien für den Erfolg übernommen hatte. L. baute jetzt auch selbst amerikanische Werkzeugmaschinen der verschiedensten Art und beschäftigte gegen 2000 Arbeiter. Für die russische Regierung übernahm er die Anfertigung ihrer Armeerevolver; nebenbei lieferte er noch zahlreiche Maschinen und Ausrüstungsgegenstände für die preußischen Staats- und für Privatwerkstätten, wie Krupp u. a. Im öffentlichen Leben bethätigte L. eine sehr große Rührigkeit. Seit 1864 gehörte er den Berliner Stadtverordneten an und wirkte hier namentlich für die Entwickelung des Volksschulwesens. 1876 wurde er vom ersten Berliner Wahlkreis ins preußische Abgeordnetenhaus und 1878 in den Reichstag gewählt, in welchem er sich der Fortschrittspartei anschloß. Er starb 11. Sept. 1886 in Berlin.
[539] ✽ Löwe, 5), Gustav, Philolog, geb. 18. Febr. 1852 zu Grimma, studierte, besonders unter Ritschl, in Leipzig klassische Philologie, durchforschte seit Dezember 1875 die Bibliotheken Italiens mit besonderer Rücksicht auf die handschriftliche Überlieferung des Plautus und die lateinischen Glossarien, sodann seit Herbst 1878 die Bibliotheken Spaniens und Portugals [540] behufs Aufnahme einer „Bibliotheca patrum latinorum“, daneben zahlreiche Klassikerhandschriften kollationierend, wurde im Herbst 1879 in Leipzig zweiter Adjunkt des kaiserlich russischen Seminars, Ostern 1880 Kustos an der Bibliothek zu Göttingen und starb 16. Dez. 1883 daselbst infolge eines Sturzes in den Fahrstuhlschacht. Er veröffentlichte: „Prodromus corporis glossariorum latinorum“ (Leipz. 1876); „Conjectanea Plautina“ (in den „Analecta Plautina“ von F. Schöll, G. Götz, G. Löwe, das. 1877); „Exempla scripturae Visigoticae“ (mit Ewald, Heidelb. 1883). Auch verband er sich mit Götz und Schöll zur Neubesorgung von Ritschls „Plautus“ und edierte mit Götz die „Asinaria“ (Leipz. 1881), den „Amphitruo“ (das. 1882) und den „Poenulus“ (das. 1883). Die „Glossae nominum“ gab aus seinem Nachlaß Götz heraus (Leipz. 1884), den ersten Band der „Bibliotheca patrum latinorum Hispaniensis“ bearbeitete nach seinen Aufzeichnungen v. Hartel (Wien 1887).
Anmerkungen (Wikisource)
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