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MKL1888:Handels- und Gewerbekammern

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Handels- und Gewerbekammern“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 394397
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Handels- und Gewerbekammern. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 394–397. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Handels-_und_Gewerbekammern (Version vom 12.03.2025)

[394] Handels- und Gewerbekammern.[WS 1] Handelskammern sind die zur Vertretung der Interessen von Handel und Industrie berufenen Organe. Gewerbekammern liegt die Förderung der Kleingewerbe, d. h. vornehmlich der Handwerke, ob.

Staatliche Organisation. Die deutschen Handelskammern stehen unter der Leitung und Aufsicht der betreffenden Bundesstaaten. Durch Gesetz (so in Preußen durch Gesetz vom 24. Febr. 1870, in Württemberg durch Gesetz vom 4. Juli 1874, in Baden durch Gesetz vom 11. Dez. 1878, bez. 26. April 1888, in Hessen durch Gesetz vom 17. Nov. 1871 etc.) oder durch Verordnung (so namentlich in Bayern Verordnung vom 25. Okt. 1889) oder auch durch Gesetz und Verordnung (so in Sachsen) sind in den einzelnen Bundesstaaten die einschlägigen Verhältnisse geregelt. In der Wissenschaft besteht ein Streit darüber, ob freie Vereinigungen ohne staatliche Autorisation und Leitung den staatlich organisierten Handelskammern vorzuziehen seien. Die Anhänger der freien Vereinigungen weisen mit Vorliebe auf England hin, wo dieselben als die einzigen Vertretungen für Handel und Industrie Hervorragendes leisten und einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die kommerzielle Gesetzgebung des Landes üben. Es wird ferner geltend gemacht, daß der deutsche Handelstag aus einer freiwilligen Vereinigung der deutschen Handelskammern hervorgegangen sei. So sprach denn auch bei der Beratung des preußischen Gesetzes vom 24. Febr. 1870 in der Kommissionssitzung der Referent, der Abgeordnete Jacobi, den freien Vereinigungen das Wort; im Plenum des preußischen Abgeordnetenhauses wurde seitens des Abgeordneten Eugen Richter die Verwerfung der Gesetzesvorlage, durch welche die Handelskammern zu ihrem eignen Schaden von der Staatsgewalt abhängig würden, dringend empfohlen. Gleichwohl dürfte für Deutschland die staatliche Organisation am passendsten sein. Es ist in Betracht zu ziehen, daß die Handelskammern berufen sind, die örtlichen Interessen von Handel und Industrie zu vertreten. Diese gehen in einem größern Gebiet sehr weit auseinander. Ohne staatlichen Eingriff bliebe es dem Zufall überlassen, ob sich in einem Bezirk geeignete Vertretungen fänden. Der Staat muß aber Vorsorge dafür treffen, daß seine Organe von den jeweiligen Bedürfnissen zu rechter Zeit unterrichtet werden, damit er das Gedeihen von Handel und Industrie durch Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung nach Kräften fördern kann. Daneben mögen sich dann, wenn nötig, freie Vereinigungen bilden, deren berechtigten Wünschen der Staat billigerweise Rechnung tragen wird.

Die Handelskammern sind von den Regierungen in den einzelnen deutschen Bundesstaaten zum Teil mehr, zum Teil weniger abhängig. In Bayern hat z. B. das Staatsministerium des Innern (Abteilung für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel) jederzeit das Recht, mit Genehmigung des Königs die Kammern aufzulösen, während ein gleiches Recht den Regierungen der übrigen deutschen Bundesstaaten nicht eingeräumt ist. Dagegen ist in allen Bundesstaaten die Errichtung von Handelskammern nur mit Genehmigung des zuständigen Ministeriums zulässig.

Was die privatrechtliche Stellung der Handelskammern betrifft, so haben die meisten deutschen Bundesstaaten den Handelskammern die Rechte einer juristischen Person nicht eingeräumt. Eine Ausnahme machen Baden, Braunschweig und Anhalt, wo den Handelskammern diese Rechte zukommen. Natürlich können nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen die Handelskammern auch in denjenigen Bundesstaaten, in welchen ihnen Rechtspersönlichkeit nicht verliehen ist, Rechte erwerben und Verpflichtungen übernehmen, klagen und verklagt werden.

Zusammensetzung der Handelskammern. Die Mitglieder der Handelskammern gehen zumeist aus direkten Wahlen hervor. Nur im Königreich Sachsen erfolgen die Wahlen indirekt.

[395] Die Zahl der Mitglieder der einzelnen Kammern pflegt durch das Ministerium festgesetzt zu werden. Das aktive Wahlrecht zur Handelskammer ist in den meisten Bundesstaaten durch die Eintragung der betreffenden Handelsfirma in das für den Bezirk der Handelskammer geführte Handelsregister und durch die Zahlung einer Gewerbesteuer, deren Höhe in den einzelnen Gesetzgebungen mehr oder weniger genau oder auch gar nicht bestimmt wird, bedingt. Im Königreich Sachsen tritt an die Stelle der Gewerbesteuer die allgemeine Einkommensteuer. Hinsichtlich der Wählbarkeit gehen die Gesetzgebungen der einzelnen Staaten weit auseinander. Im allgemeinen werden nur diejenigen Personen wählbar sein, welche auch aktives Wahlrecht besitzen. Außerdem aber wird noch ein bestimmtes Alter gefordert, während zur Wahlberechtigung das Alter der gesetzlichen Volljährigkeit genügt. In Preußen verlangt das Gesetz die Zurücklegung des 25. Lebensjahrs, ebenso in Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig etc., während in Bayern nach dem Vorbild Österreichs und Frankreichs ein Alter von 30 Jahren gefordert wird. Diejenigen Personen, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet ist, sind nicht wählbar, nach den meisten Gesetzgebungen auch nicht wahlberechtigt, natürlich nur während der Dauer des Konkursverfahrens. Die Wahlen erfolgen zum Teil auf drei Jahre (so in Preußen und in Hessen), in den bei weitem meisten Staaten auf sechs Jahre (in Sachsen, Bayern, Baden, Württemberg, Braunschweig etc.; ebenso in Frankreich und in Österreich). In den letztern wird alle drei Jahre die Hälfte erneuert, der erstmalige Austritt wird durch das Los bestimmt; in den erstern scheiden am Schlusse jedes Jahres so viele aus, daß im ganzen der dritte Teil sämtlicher Stellen zur Wiederbesetzung gelangt. Mit Recht sind in einigen neuern Gesetzen, bez. Verordnungen auch darüber Bestimmungen getroffen worden, inwieweit eine Ablehnung der Wahl seitens des Gewählten zulässig ist, während in den meisten Staaten diese wichtige Frage vom Gesetzgeber offen gelassen wird. Nach der bayrischen Verordnung vom 25. Okt. 1889 ist eine Ablehnung der Wahl oder eine freiwillige Niederlegung des Amtes nach erfolgter Annahme nur im Falle der Wiederwahl, ferner wegen zurückgelegten 60. Lebensjahrs, wegen erwiesener körperlicher oder geistiger Unfähigkeit oder aus sonstigen triftigen Gründen zulässig. Ähnliche Bestimmungen enthält das Ministerialausschreiben für Sachsen-Meiningen vom 20. Juni 1883. Die Handelskammermitglieder walten ihres Amtes unentgeltlich. Nach dem preußischen Gesetz wird denjenigen Mitgliedern, welche nicht am Sitze der Handelskammer, sondern im Bezirk derselben ihr Domizil haben und behufs Teilnahme an den Sitzungen eine Reise machen müssen, nicht einmal Reisekostenentschädigung gewährt. Die meisten andern Gesetze gewähren billigerweise eine Entschädigung des Reisegeldes.

Gewerbekammern.

Nur in wenigen deutschen Bundesstaaten bestehen Gewerbekammern. In Preußen gibt es außer den Innungen, welche nach der deutschen Gewerbeordnung (§ 97 ff.) berufen sind, die gemeinsamen gewerblichen Interessen zu fördern, keine offiziellen Vertretungen des Handwerks. Das Institut der durch Verordnung vom 9. Febr. 1849 geschaffenen Gewerberäte, welche zu gleichen Teilen aus Wahlen der Handwerker, Industriellen und Kaufleute hervorgingen, ist schon in den 60er Jahren in Preußen so gut wie verschwunden. Somit fehlt es in Preußen an einer organisierten Vertretung der gewerblichen Interessen, da die Handelskammern nur Handel und Großindustrie umfassen, und da sich in den oben erwähnten Innungen, deren Bildung eine freiwillige ist, nur ein sehr kleiner Teil des Handwerks vereinigt findet. Die in den Jahren 1881 und 1884 in dieser Hinsicht im Reichstag eingebrachten Anträge blieben ohne Erfolg. Weit besser ist es mit der Vertretung der gewerblichen Interessen in Süddeutschland bestellt. In Bayern sind die Gewerbekammern mit den Handelskammern verbunden, ebenso in Württemberg, Sachsen-Meiningen und im Königreich Sachsen. In dem letztern macht nur der Bezirk Leipzig eine Ausnahme; hier existiert außer der Handelskammer eine selbständige und von ihr getrennte Gewerbekammer. In einer Reihe von Staaten bestehen Privatvereine, welche von der Regierung unterstützt werden, so in Hessen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha. In den drei Hansestädten bestehen selbständige Gewerbekammern, welche von den schon viel früher gegründeten Handelskammern völlig geschieden sind (also ähnlich wie in Leipzig).

In denjenigen Staaten, welche neben den Handelskammern Gewerbekammern, sei es getrennt von diesen, sei es mit ihnen vereint, aufweisen, pflegen die Wahlen zur Gewerbekammer gesondert vor sich zu gehen. Aktives Wahlrecht zur Gewerbekammer haben alle Personen, welche am Sitze der Kammer selbständig ein zur Gewerbesteuer veranlagtes Gewerbe betreiben. Behufs Aufnahme in die Wählerlisten bedarf es noch der rechtzeitigen mündlichen oder schriftlichen Anmeldung bei der betreffenden Behörde, was bei der Wahl zur Handelskammer nicht nötig ist, da hier die Aufstellung der Wählerliste auf Grund der Einträge im Handelsregister (s. oben) erfolgt. Auch die Wahlhandlung (Abgabe der Stimmzettel) geschieht für jede Kammer gesondert. So ist wenigstens der herrschende Rechtszustand in Bayern und im Königreich Sachsen. Anders liegt es in Württemberg, wo weder hinsichtlich des aktiven und passiven Wahlrechts zwischen den beiden Kammern ein Unterschied gemacht noch die Wahlhandlung getrennt ist (Art. 4 und 13 des Gesetzes vom 4. Juli 1874).

Bezirksgremien.

Bezirksgremien für Handel und Gewerbe, d. h. Unterabteilungen der H. u. G., welche Teile des Bezirks der letztern umfassen, bestehen dermalen nur im Königreich Bayern. Hier gibt es außer den 8 H. u. G., welche auf die 8 Regierungsbezirke des Königreichs verteilt sind, 49 Bezirksgremien. Das hat dann zur Folge, daß in Bayern schon auf 100,000 Einw. eine Handelsvertretung entfällt, während in Sachsen erst für 500,000, in Preußen für 300,000, in Baden für 200,000 Bewohner eine Kammer bestellt ist. Die Bezirksgremien sollen nach § 17 der bayrischen Verordnung in der Regel aus zwei Abteilungen, für Handel und für Gewerbe, bestehen, ebenso wie die H. u. G. selbst. Es ist indes zulässig, daß für einen Ort oder Bezirk je nach Bedürfnis nur ein Handels- oder nur ein Gewerbegremium gebildet wird. Die Mitgliederzahl der beiden Abteilungen kann bei den Bezirksgremien verschieden sein, während dieselbe bei den H. u. G. gleich sein soll. Über den Wert der ganzen Einrichtung wird lebhaft gestritten. Ihr Vorteil besteht darin, daß es ermöglicht wird, den in einem größern Bezirk häufig sehr verschiedenartigen Handels- und Gewerbsinteressen gerecht zu werden. Von den Gegnern der Bezirksgremien wird geltend gemacht, daß dieselben infolge ihrer Abhängigkeit von den Kammern nichts Selbständiges zu [396] leisten im stande seien. Dem gegenüber ist zu bemerken, daß die bestehenden Einrichtungen sich der Zufriedenheit der beteiligten Kreise erfreuen. Auch ist gerade die neue bayrische Verordnung vom 25. Okt. 1889 für ein gedeihliches Zusammenwirken der Bezirksgremien und der Kammern eingetreten (vgl. § 1 der neuen Verordnung mit § 1 der Verordnung vom 20. Dez. 1868). – Bezirksgremien werden nur auf Antrag der Beteiligten für solche Orte oder Bezirke gebildet, an welchen ein Bedürfnis hierfür obwaltet, während H. u. G. für jeden Regierungsbezirk bestehen müssen. Auch zur Errichtung der Gremien bedarf es der Genehmigung des Staatsministeriums des Innern. Letzteres bestimmt zugleich die Bezirke der Gremien. Die Zusammensetzung der Bezirksgremien erfolgt in gleicher Weise wie die der Kammern. Wahlberechtigt und wählbar sind die im Gremialbezirk befindlichen Personen, bei welchen die Voraussetzungen der Wahlfähigkeit für die H. u. G. gegeben sind.

Geschäftsgang der Kammern.

Die Kammern regeln ihren Geschäftsgang im einzelnen selbständig in ihren Geschäftsordnungen. Dieselben sind der Regierung in Vorlage zu bringen, nach einigen Gesetzen, z. B. dem württembergischen, unterliegen sie der Genehmigung der Regierung. Nur den allgemeinen Geschäftsgang ordnen die Gesetze. In fast allen Gesetzen, bez. Verordnungen ist bestimmt, daß die Sitzungen der Kammern regelmäßig öffentlich sind. In Preußen hat zwar das Gesetz im § 27 den entgegengesetzten Grundsatz aufgestellt, das Prinzip der Öffentlichkeit der Sitzungen ist aber durch den Erlaß des preußischen Handelsministeriums vom 30. Nov. 1881, über dessen rechtliche Verbindlichkeit allerdings sehr erhebliche Zweifel bestehen, durchgeführt worden. Die Kammern wählen durch einfache Stimmenmehrheit aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter desselben. In denjenigen Staaten, in welchen H. u. G. bestehen, wählt jede der beiden Abteilungen ihren eignen Vorsitzenden und Stellvertreter. Vorstand der Kammer ist hier der Vorsitzende der Handelsabteilung. Die Wahl des Vorsitzenden gilt in der Regel auf drei Jahre, in Preußen nur auf ein Jahr. In den Geschäftsordnungen wird zumeist über die Zahl und über die Aufgaben der zu bildenden Ausschüsse bestimmt, von welchen jeder wiederum seinen besondern Vorsitzenden wählt. In Bayern wählen auch die Gremien (s. oben), und zwar jede Abteilung, ihren Vorsitzenden. Die Beschlüsse der Kammern werden durch einfache Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. Zur Beschlußfähigkeit ist in der Regel die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder erforderlich. In Bayern fungieren als auswärtige Mitglieder bei den Sitzungen die Abteilungsvorsitzenden der Handels- und Gewerbegremien des Regierungsbezirks, bez. in Verhinderungsfällen deren Stellvertreter. Einzelnen Handels- und Gewerbegremien kann von der Regierung das Recht zur Abordnung von mehr als zwei Mitgliedern zugestanden werden. Durch die Geschäftsordnung kann im allgemeinen oder für einzelne Fälle bestimmt werden, daß die Beschlußfähigkeit der Kammer und ihrer Abteilungen durch die Anwesenheit einer gewissen Anzahl von auswärtigen Mitgliedern bedingt ist (§ 11, Absatz 2, der bayrischen Verordnung vom 25. Okt. 1889). Die bayrischen Kammern werden sich aber hüten, eine solche Bestimmung in ihre Geschäftsordnungen aufzunehmen, weil dann im Falle des Ausbleibens der auswärtigen Mitglieder (ein nicht zu seltener Fall) die Erledigung der Vorlagen in Frage gestellt werden könnte.

Budget der Handelskammern.

Finanziell sind die deutschen Handelskammern im allgemeinen ziemlich selbständig gestellt. Sie beschließen über den zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben (s. unten) erforderlichen Kostenaufwand und ordnen ihr Kassen- und Rechnungswesen. Die nötigen Arbeitskräfte, also insbesondere der fachwissenschaftlich gebildete Sekretär, werden von der Kammer angestellt. Die Kosten der Handelskammern werden durch Beiträge der Wahlberechtigten gedeckt. In Bayern können im Bedürfnisfall mit Genehmigung der Regierung auch die Bezirksgremien zur Leistung von angemessenen Beiträgen herangezogen werden. Die Erhebung der Steuern (als solche sind ja die Beiträge aufzufassen) geschieht in den meisten deutschen Staaten durch die Kammern selbst. Die Höhe der von den Wahlberechtigten zu zahlenden Steuern bestimmt die Kammer. In Bayern bedarf es der Genehmigung der Regierung, welche auch die Verteilungsgrundsätze feststellt. In den meisten andern Staaten werden die Beiträge als Zuschlag zur Gewerbesteuer, im Königreich Sachsen als Zuschlag zur allgemeinen Einkommensteuer von den Handelskammern festgesetzt. Nur wenn der Beitrag einen bestimmten Prozentsatz der Gewerbesteuer (in Preußen 10 Proz., in Württemberg 5 Proz.) übersteigt, bedarf es der Genehmigung der Regierung. Letztere ist alsdann berechtigt, die etatmäßigen Kosten in der Gesamtsumme so weit herabzusetzen, daß der zu ihrer Deckung erforderliche Zuschlag nicht mehr als den nach dem Gesetz höchstzulässigen Prozentsatz beträgt. Es ist noch besonders hervorzuheben, daß im Königreich Sachsen die Handelskammern zur Bestreitung ihrer Kosten jährlich einen festen Zuschuß aus der Staatskasse empfangen, der in das Staatsbudget eingestellt wird. Ebenso erhält in Hamburg die Handelskammer jährlich aus Staatsmitteln einen Zuschuß von 40,000 Mk., abgesehen von sonstigen ihr zugewiesenen Einnahmen aus der Börse. Auch in Lübeck und Bremen werden sowohl den Handels- als den Gewerbekammern, die ja hier voneinander getrennt sind (s. oben), jährlich kleinere Beiträge vom Staate geleistet.

Wirkungskreis der Handels- und Gewerbekammern.

Die Kompetenzen der H. u. G. ergeben sich aus ihrer Bestimmung. Sie sollen die Interessen des Handels, der Industrie und der Gewerbe vertreten und fördern (s. oben). Dem entsprechend haben sie in allen einschlägigen Fragen den Staatsbehörden als begutachtende sachverständige Organe zu dienen. Sie sind befugt, die zur Förderung des Handels in ihrem Bezirk nötigen Einrichtungen nach vorgängiger Beratung bei der zuständigen Behörde anzuregen. Nach den Gesetzen der meisten deutschen Bundesstaaten sind die Handelskammern behufs wirksamer Vertretung der örtlichen Handelsinteressen verpflichtet, alljährlich an das vorgesetzte Staatsministerium einen Bericht über die Lage und über die Bedürfnisse von Handel und Gewerbe ihres Bezirks zu erstatten. Bei dieser Gelegenheit können sie geeignet scheinende Wünsche und Anträge bei der Landesregierung vorbringen. Häufig sind den Handelskammern durch besondere Gesetze, Verordnungen oder Ministerialvorschriften noch anderweitige Aufgaben übertragen, so z. B. die Verwaltung von Verkehrsanstalten (Börsen, Maklerinstituten etc.) oder die Aufsicht über bestimmte Zweige ihrer Verwaltung. [397] Kraft Reichsgesetzes (Gerichtsverfassungsges., § 112) hat ferner jede deutsche Handelskammer für ihren Bezirk ein gutachtliches Vorschlagsrecht bei der Besetzung der Handelsrichterstellen in den „Kammern für Handelssachen“ (s. Handelsgerichte, Bd. 8). Auch bei Ernennung der Makler (Sensale) haben die Handelskammern nach einigen Landesgesetzen ein Vorschlagsrecht.

Immerhin üben die deutschen Handelskammern gerade in den wichtigsten Dingen, also namentlich auf dem Gebiete der Handels- und Gewerbegesetzgebung, nicht den Einfluß aus, welchen die Handelskammern mancher ausländischer Staaten bethätigen. In diesen Staaten wird den Handelskammern durch das Gesetz ein größerer Wirkungskreis zugewiesen. So ist namentlich in Österreich durch Gesetz vom 29. Juni 1868, betreffend die Organisierung der H. u. G., bestimmt, daß jeder Gesetzentwurf, welcher die Handels- oder Gewerbsinteressen berührt, bevor derselbe an die gesetzgebenden Vertretungskörper zur verfassungsmäßigen Behandlung gelangt, den Handelskammern zur Begutachtung vorgelegt werden muß. Auch in andrer Hinsicht nehmen die Handelskammern in Österreich eine privilegierte Stellung ein. So werden die Handelsregister (s. d., Bd. 8) von den Handelskammern geführt, während in Deutschland diese Thätigkeit den Gerichten obliegt. Ferner ist den österreichischen Handelskammern im brieflichen Verkehr mit dem Handelsminister und andern Behörden, mit den Gemeinden sowie in der Korrespondenz der Kammern untereinander und in Wahlangelegenheiten zwischen der Wahlkommission und den Wählern Portofreiheit gewährt. Endlich bilden die Handelskammern nach den Landtagswahlordnungen von 1861 und dem Verfassungsgesetz über direkte Wahlen in den Reichsrat von 1873 eigne Wahlkörper, oder sie wählen mit den Städten zusammen und entsenden Abgeordnete in die Landtage und in das Abgeordnetenhaus des Reichsrats. So delegiert die Handelskammer zu Wien vier Abgeordnete in den Landtag und zwei Abgeordnete in den Reichsrat, ebenso die Handelskammern in Prag und Reichenberg, während beispielsweise die Handelskammer in Innsbruck nur einen Abgeordneten in den Landtag und mit der Stadt Innsbruck zusammen einen Abgeordneten in den Reichsrat sendet. Man ersieht, daß die wichtigsten Forderungen, welche die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher Industrieller im August 1882 behufs Herbeiführung einer geeigneten Reform in der Vertretung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands stellte, in Österreich bereits erfüllt sind. Dagegen ist in Frankreich die Kompetenz der Handelskammern ähnlich beschränkt wie in Deutschland (vgl. Lyon-Caen u. L. Renault, Précis de droit commercial, gegen Schluß des 2. Bandes, wohl die beste Zusammenstellung und Kritik des geltenden französischen Rechts über Handelskammern). Über den außerordentlich bedeutenden Einfluß, welchen die freien englischen Vereinigungen, die sich insgesamt in der Association der vereinigten Handelskammern zentralisiert haben, auf die Gesetzgebung und Verwaltung Englands üben, s. oben unter „Staatliche Organisation“.

Für Deutschland wird auf allen Gebieten der wirtschaftlichen Interessenvertretung, ganz besonders auch auf dem Gebiet der Handels- und Gewerbevertretung, eine Reform angestrebt. Man will einerseits neue wirtschaftliche Vereinigungen ins Leben rufen, so namentlich für Preußen obligatorische Vertretungen der Handwerke bilden (s. oben), ferner für das Reich auch den Arbeiterstand in einer offiziellen Vertretung, den Arbeiterkammern, zusammenschließen, anderseits die bereits bestehenden Vertretungen der verschiedenen wirtschaftlichen Berufszweige, also die Kammern für Handel, Industrie, landwirtschaftliches Gewerbe und Kleingewerbe eines Bezirks in gemeinschaftliche H. u. G. zusammenfassen. Die Vertreter der letztern Richtung, der Berliner Universitätsprofessor R. v. Kaufmann und der Sekretär der Handelskammer zu Osnabrück, F. Stumpf, gehen entschieden zu weit. Die in Süddeutschland bestehenden H. u. G. dürften für die Neugestaltung als Musterbild dienen. Die Einbeziehung der Landwirtschaft in die H. u. G. wäre bei der Verschiedenheit der Interessen und der Anschauungen der beteiligten Kreise äußerst bedenklich. In diesem Sinne hat sich denn auch die Eisenacher Kommission des Zentralverbandes deutscher Industrieller, welche die Reformfrage eingehend erwogen hat, ausgesprochen. Die Kommission ist nämlich für ein Zusammengehen von Handel, Fabrikation und Handwerk eingetreten, hat dagegen von einer Beteiligung der Landwirtschaft abgesehen. Die mit der Landwirtschaft verbundenen technischen Gewerbe sollen in den Handelskammern vertreten sein, da sie zur Großindustrie zählen. Weniger begründet erscheint die Forderung der Kommission, es solle die wirtschaftliche Interessenvertretung durch ein Reichsgesetz einheitlich für den ganzen Umfang des Deutschen Reiches geregelt werden. Allerdings ist zuzugeben, daß in den verschiedenen deutschen Bundesstaaten die gesetzlichen Bestimmungen über Handelskammern weit auseinander gehen. Es ist aber zu bestreiten, daß dieser Umstand irgend welche wirtschaftlichen Nachteile im Gefolge habe. Die äußere Übereinstimmung der Normen im ganzen Reiche mag für den Studierenden, der sich jetzt mühsam durch die verschiedenen Gesetze hindurcharbeitet, von großem Reize sein, für die Handelskammern ist es gleichgültig, ob die einschlägigen Verhältnisse in Preußen durch ein preußisches oder durch ein Reichsgesetz geregelt sind. Für die letztern ist nur der Inhalt der Gesetze, nicht die Person des Gesetzgebers bedeutungsvoll. Entscheidend kommt aber in Betracht, daß das Reich durch Erlaß eines Reichsgesetzes über unsern Gegenstand in die Verwaltung der Einzelstaaten eingreifen würde, was nach der Reichsverfassung nicht zulässig ist. Endlich wurde auf der Eisenacher Kommission eine Erweiterung des Wirkungskreises der Handelskammern in Aussicht genommen (s. oben). Die Kommission trat insbesondere für eine obligatorische Mitwirkung der Handelskammern beim Erlaß von Gesetzen, welche die Interessen des Handels- und Gewerbestandes berühren, sowie für die Übertragung der Aufsicht über die Führung der Firmenregister an die Handelskammern ein.

Vgl. v. Kaufmann, Die Vertretung der wirtschaftlichen Interessen in den Staaten Europas (Berl. 1879); Derselbe, Die Reform der H. u. G. (das. 1883); „Beratungen der Handelskammer zu Osnabrück über die Frage einer allgemeinen Reorganisation der H. u. G. Deutschlands“ (Osnabr. 1880); „Verhandlungen des Zentralverbandes deutscher Industrieller“ (Berl. 1882); Steinmann-Bucher, Die Nährstände und ihre zukünftige Stellung im Staate (2. Aufl., das. 1886); Fischer, Fürst Bismarck u. die Handelskammern (Köln 1882); Grätzer, Die Organisation der Berufsinteressen (Berl. 1890); Hager, Taschenbuch für Mitglieder von Handelskammern, Gewerbekammern etc. (Halberst. 1890).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. im Hauptteil: Gewerbekammern (Band 7) und Handelskammern (Band 8).