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MKL1888:Brieftauben

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Brieftauben“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 140142
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Brieftauben. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 140–142. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Brieftauben (Version vom 03.08.2023)

[140] Brieftauben (Militärbrieftaubenwesen). Die dem belagerten Paris 1870/71 von den B. geleisteten [141] bedeutsamen Dienste veranlaßten das preußische Kriegsministerium bald nach dem Friedensschluß, den Lehrer Lenzen aus Köln zum Studium der Zucht und Dressur von B. nach Belgien zu entsenden. Als dann im Februar 1872 dem Fürsten Bismarck einige Paare B. als Geschenk mit dem Wunsche zugingen, sie als erste Gaben für die Einrichtung eines Militärbrieftaubenwesens anzusehen, kam die Sache in Fluß.

Von der Ansicht ausgehend, daß für belagerte Festungen, denen aller Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten, die Taubenpost insofern von höchster Bedeutung werden kann, als noch durch B. Nachrichten in die Festungen gelangen könnten, welche unter Umständen auf den Fortgang der Belagerung und die allgemeine Kriegslage von größtem Einfluß sein würden, wenn die Zuverlässigkeit dieses Verkehrsmittels in dauernder Friedensorganisation Gewähr finde, wurde Deutschland der erste Staat, welcher das Brieftaubenwesen in seine Heereseinrichtungen aufnahm. Da die Taube für den Flug in einer bestimmten Richtung dressiert wird, so muß man für eine solche so viel Tauben bereit halten, daß sie, kurz vor Beginn einer Belagerung vom Heimatsschlag nach dem andern Endort der Fluglinie geschafft, für die mutmaßliche Dauer der Belagerung den Nachrichtendienst versehen können. Man rechnet für eine Linie gewöhnlich 200–250 Tauben und muß dann für jede Linie, auf welcher man Verkehr unterhalten will, diese Zahl Tauben bereit halten, so daß für vier Linien ein Taubenschlag von 1000 Köpfen erforderlich ist. Sind alle Tauben in ihren Heimatsschlag zurückgekehrt, so bleibt nur übrig, dieselben für weitern Verkehr mittels Luftballons wieder hinauszuschaffen.

Vor einigen Jahren gelang es dem Leiter des Militärbrieftaubenwesens in Italien, Kapitän Malagoli, für die Linie Rom-Civitavecchia, 65 km Luftlinie, Tauben für den Hin- und Rückflug abzurichten. Er ließ die Tauben in Rom sich paaren, wo demnach ihr Heimatsschlag war, fütterte sie aber nur in Civitavecchia, von wo sie, nach der Fütterung frei gelassen, nach Rom zurückkehrten. Da sie hier nichts zu fressen bekamen, flogen sie bald von selbst nach Civitavecchia und gewöhnten sich bald an diesen regelmäßigen Hin- und Herflug. A. J. Bronkhorst jun. in Haarlem hat durch diese Fütterungsweise bereits 1878 zwischen Haarlem und Leiden, etwa 27 km, und später zwischen Haarlem und Utrecht, etwa 46 km, einen regelmäßigen Verkehr durch Hin- und Herfliegen unterhalten; 1889 haben acht Tauben diesen Weg in 2,5 Monaten 421mal hin und zurück gemacht, wozu im Durchschnitt 2,5 Stunden erforderlich waren; die Tauben flogen auch bei Sturm, Schnee, Nebel und Regen. Hoerter hat den Hin- und Rückflug zwischen Hildesheim und Hannover, 28 km, vom Juni 1888 bis 9. Jan. 1889 täglich bei jedem Wetter unterhalten. Auch die deutschen Militärbrieftaubenstationen haben diese Flugweise schon mit Erfolg gefördert, welche, wenn sie auch auf größere Entfernungen gelingt und sich dauernd bewährt, eine wesentliche Umgestaltung des Brieftaubenwesens herbeiführen wird.

Wie man allgemein annimmt, ist es die Heimatsliebe, welche die Tauben nach ihrem Heimatsschlag zurücktreibt, wie es aber kommt, daß die Tauben, diesem Drange folgend, den Heimatsschlag oft aus sehr großer Entfernung (bis 1600 km) wiederfinden, das ist noch nicht genügend aufgeklärt. Schneider glaubt durch Versuche, die er bei Pößneck angestellt, nachgewiesen zu haben, daß der Orientierungssinn, das Zurechtfinden mittels des Auges, die Tauben leitet, doch fehlen hierfür die Beweise bei Flügen von Rom oder Madrid nach Köln und Belgien, oder von Königsberg i. Pr. nach Elberfeld (980 km). Die Annahme, daß Tauben nicht fähig seien, hohe Berge und weite Meeresflächen zu überfliegen, und daß Kälte, Schnee, Regen etc. ihnen den Orientierungssinn rauben, ist durch Flugversuche als irrtümlich erwiesen. In Italien werden die Tauben für den Verkehr zwischen den Sperrforts in den Alpen schon seit Jahren dressiert, dabei ist beobachtet worden, daß sich dieselben mit großer Sicherheit über die zwischenliegenden hohen Berge hinwegfinden, z. B. vom Thal der Dora Riparia in das des Chisone oder der Stura und umgekehrt, wobei sie häufig den in diesen Thälern wehenden heftigen Stürmen mutig und mit Erfolg trotzen. Ebenso sind die Apenninen bei Versuchen wiederholt in allen Richtungen überflogen worden. Italien hält auch zwischen dem Kriegshafen auf der Insel Maddalena und Rom sowie zwischen Cagliari auf Sardinien und Neapel Brieftaubenlinien im Betrieb und hat damit den Beweis geliefert, daß Tauben weite Meeresflächen überfliegen, denn auf ersterer Linie ist das Meer 240, auf letzterer sogar 450 km breit; die Linie Rom-Maddalena wird in 5–6, die Linie Cagliari-Neapel in etwa 9 Stunden durchflogen. Auch zwischen dem 67 km in See vor Tönning liegenden Feuerschiff und Tönning besteht seit Jahren Taubenpostverbindung, im Oktober 1883 konnte das Feuerschiff, welches, von einem Orkan losgerissen, abtrieb, dadurch gerettet werden, daß vier losgelassene Tauben in 58 Minuten die Nachricht nach Tönning überbrachten. In Italien haben Flugversuche bei Temperaturen bis zu −14,6° keinen Unterschied in der Flugsicherheit gegen höhere Temperaturen erkennen lassen. In Frankreich hat man mit günstigem Erfolg Taubenschläge auf Kriegsschiffe gesetzt, in welchen sich die Tauben bald vollkommen heimisch machten und sich selbst an den Geschützdonner gewöhnten, so daß sie während des Schießens ihren Schlag auf Deck aufsuchten. Man erwartet deshalb Nutzen von der Taubenpost nicht nur im Verkehr der Handelsschiffe auf See, sondern auch in der Kriegsmarine selbst während des Gefechts, sowohl für den Verkehr von Schiffen nach dem Lande als von hier nach Schiffen in See und zwischen Schiffen eines Geschwaders, die wegen großer Entfernung durch Signale sich nicht mehr verständigen können. In Italien sind 1888 bei einer großen Belagerungsübung vor Verona von hier nach Rom (415 km), Ancona (285 km), Alessandria (200 km), Piacenza (115 km), Bologna (109 km) B. mit Erfolg verwendet worden. Es wurden Fluggeschwindigkeiten bis zu 95 km in der Stunde beobachtet, die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 55 km; sie hängt von vielen Umständen ab, kann aber zu 1 km in in der Minute im allgemeinen angenommen werden. Von 271 bei diesen Übungen aufgelassenen Tauben gingen nur 23 verloren, verhältnismäßig die wenigsten auf den größten Entfernungen, man schreibt das Verlorengehen deshalb weniger dem Verfliegen, als vorwiegend lokalen und zufälligen Ursachen, namentlich dem Abfangen durch Raubvögel zu. Ob das Bestreichen der Tauben mit stark riechenden Ölen oder das Anbinden einer leichten Bambuspfeife an die Steuerfedern die Raubvögel abschrecken wird, darüber fehlt es noch an hinreichenden Erfahrungen. Das Abschießen durch den Feind ist weniger zu befürchten, da die Tauben in der Regel nicht unter 150 m Höhe fliegen, noch weniger Erfolg verspricht das Abfangen durch gezüchtete Falken, das in Rußland umfangreich versucht wurde. Die Belastung der Tauben mit Depeschen kann bis zu 1 g hinaufgehen. Für die Herstellung [142] der photomikroskopischen Depeschen hat sich am besten weißes Hautpapier (Pellure) in 8- oder 16facher Verkleinerung unter Anwendung von Eisensalzen statt Silbersalzen, in Rücksicht auf die Feinheit und Durchsichtigkeit des Papiers am besten bewährt. Die Depesche wird, in eine Federpose eingeschlossen, an einer Schwanzfeder festgebunden.

In Deutschland ist das Militärbrieftaubenwesen dem Inspekteur der Militärtelegraphie in Berlin unterstellt und steht unter Leitung des Direktors Lenzen; die Stationen in Festungen stehen unter der örtlichen Fortifikation und unter Aufsicht eines Wallmeisters. Berlin ist Zentralstation und Zuchtanstalt. Die Stammtauben sind belgischer Rasse. Stationen bestehen in Königsberg, Danzig, Posen, Thorn, Breslau, Torgau, Spandau, Stettin, Kiel, Tönning, Wilhelmshaven, Köln, Mainz, Metz, Straßburg, Würzburg. Thorn unterhält Linien mit Posen, Königsberg und Danzig, Würzburg mit Straßburg, Metz und Mainz, Köln mit Metz und Mainz; außer Thorn, Straßburg, Metz, Mainz und Tönning stehen alle Stationen mit Berlin in Verbindung. Belgien, welches über 1000 Brieftaubenvereine besitzt, hat noch kein Militärbrieftaubenwesen organisiert, doch ist ein solches mit Stationen in Lüttich, Namur und Antwerpen vorgeschlagen. In Dänemark besteht eine Brieftaubenstation beim Ingenieurregiment, doch liegt die eigentliche Bedeutung in den Brieftaubenvereinen, die staatliche Unterstützung erhalten; die Oberleitung hat der Generalstab. In Frankreich wurde durch Gesetz vom 3. Juli 1877 dem Kriegsminister für den Kriegsfall das Requisitionsrecht von Privattauben gesichert und durch Dekret vom 15. Sept. 1885 die staatliche regelmäßige Musterung der Privattaubenschläge angeordnet, welche mit der Pferdemusterung verbunden wird; falsche oder unterlassene Angaben sind mit Strafen bis 2000 Frank belegt. 1878 wurde mit der Einrichtung von Militärbrieftaubenschlägen begonnen, die jetzt in Paris, Marseille, Perpignan, Verdun, Lille, Toul, Belfort, Vincennes, Douai, Langres, Mézières, Besançon, Lyon, Briançon und Grenoble bestehen; Paris und Langres sind Zentralstationen. Durch Dekret vom 9. Jan. 1889 ist das Brieftaubenwesen dem Generalstab unterstellt. Ein Dekret vom 28. Okt. 1890 regelt die Teilnahme an den vom Staate veranstalteten Wettflügen der Tauben. An denselben dürfen nur solche Taubenbesitzer teilnehmen, welche einen eignen Taubenschlag besitzen, in demselben mindestens 10 Paar B. unterhalten und Mitglieder eines behördlich bestätigten Brieftaubenvereins sind. Es bestehen in Frankreich jetzt etwa 80 Privattaubenvereine. Neuerdings haben in Roubaix unter staatlicher Teilnahme Versuche mit Briefschwalben stattgefunden. Bei einem Fliegeversuch wurden 242 km in 1,5 Stunde zurückgelegt, also in der Minute etwa 2 km. In Italien wurde 1876 mit staatlicher Genehmigung von Malagoli in Ancona der erste Versuchstaubenschlag und nach dessen Erfolg 1878 das Militärbrieftaubenwesen eingerichtet. Es bestehen jetzt Stationen in Gaeta, Rom, Ancona, Bologna, Piacenza, Alessandria, Fenestrelle, Mont Cenis, Exilles, Vinadio, Cagliari und Maddalena; außerdem in Massaua, Assab und Saati. Die Privattaubenliebhaberei ist noch wenig verbreitet, aber unter Malagolis Anregung in steigender Entwickelung. In Österreich begann das Militärbrieftaubenwesen 1875 mit Errichtung einer Station in Komorn, außerdem bestehen jetzt Stationen in Krakau, Wien, Olmütz, Semmering, Franzensfeste, Katsburg, Sarajewo und Mostar. In Rußland begann 1874 das Militärbrieftaubenwesen mit 60 belgischen Tauben in Moskau, 1875 folgte eine Station in Moskau, heute bestehen außerdem noch Stationen in Petersburg, Krasnoje Selo, Kiew, Nowogeorgiewsk, Iwangorod, Brest-Litowsk, Luminez; weitere Stationen sollen noch in einer Anzahl Grenzorte eingerichtet sein. Für jede Fluglinie werden 250 Tauben gehalten. In Deutschland zählte 1890 der Verband deutscher Brieftauben-Liebhabervereine 175 Vereine mit 2544 Mitgliedern und 63,536 Tauben. Dem Verband hat sich der bayrische Landes-Geflügelzuchtverein mit 58 Vereinen und 3388 Tauben angeschlossen.

Vgl. Hörter, Handbuch über die Behandlung und Zucht der B. (Hamb. 1890); Bungartz, Modellbrieftaubenalbum (Leipz. 1888); Derselbe, Der Brieftaubensport. Taschenbuch für Brieftaubenzüchter (das. 1888); Malagoli, Il colombo viaggiatore (Rom 1887) und Colombaie militari (das. 1888–89), beides Sonderdrucke aus der „Rivista militare italiana“; Richou, La poste par pigeons (Par. 1888); Fellmer, Experimente über Hin- u. Rückflug. Übersetzung aus Malagoli (Berl. 1889); Roeder, Die Brieftaube und die Art ihrer Verwendung zum Nachrichtendienst (Heidelb. 1890); Rosoor, La colombophilie (Jahrbuch, Tourcoing 1891).