MKL1888:Baupolizei
[96] ✽ Baupolizei. Das natürliche Recht eines Besitzers, sein Grundstück in der ihm zweckmäßig erscheinenden Weise zu bebauen, erfährt eine Beschränkung durch die bei engem Zusammenwohnen erforderlichen Rücksichten auf die Wahrung der öffentlichen Sicherheit, des unbehinderten Verkehrs, der Reinlichkeit und der Gesundheit. Auf dem platten Land ist manches unbedenklich, was schon in kleinen Städten schädlich wirkt und in großen Städten die höchsten Gefahren mit sich bringen würde. Die Hygiene beschäftigt sich daher fast ausschließlich mit den größern und größten Städten, und die B. beschränkt hier die Freiheit des Individuums mehr als auf irgend einem andern Gebiet des öffentlichen Rechts. Eine Beschränkung finden wieder die Forderungen der B. durch Rücksichten auf Verhältnisse verschiedenster Art, namentlich auf den Vermögensstand des Volkes. Die Menge der Bevölkerung ist viel zu arm, um die Wohnung strengen Anforderungen der Sanitätspolizei anzupassen; es besteht hier eine Kluft, welche nur durch den Fortschritt in der Erkenntnis des Nutzens einer gesundheitsgemäßen Bauweise in Verbindung mit dem Steigen des Wohlstandes allmählich verkleinert werden kann.
Die Aufstellung, resp. Kontrolle der von großen Unternehmern aufgestellten Bebauungspläne ist [97] Sache der Behörde, welche die volle Verantwortlichkeit trägt. Die Baupolizeiordnungen enthalten daher keine Vorschriften über Aufstellung von Bebauungsplänen, und die betreffenden Gesetze beschäftigen sich nur mit dem rechtlichen und formalen, nicht mit dem technischen Teil der Frage, für welchen allgemein gültige Grundsätze bis jetzt kaum existieren. In großen Städten überwiegen die Rücksichten auf den Verkehr so außerordentlich, daß neben denen auf Ökonomie, Sicherheit und Schönheit für die Gesundheitspflege in der Regel nicht viel übrigbleibt. Die Bauquartiere sollten in großen Städten möglichst klein sein, da das Hinterland doch nur zur Errichtung von Gebäuden benutzt wird und bei der üblichen geschlossenen Bauweise selbst die größten Höfe weniger Luftwechsel haben als die engsten Straßen, auch die Gebäudefronten an Straßen viel mehr von der Sonne beschienen werden als die auf den Höfen, welche von den im Winkel anstoßenden Gebäuden beschattet werden. Die kaum 1 m breiten Zwischenräume zwischen je zwei Häusern, die man in alten Städten findet, werden gegenwärtig wegen ihrer Feuergefährlichkeit und der Reinlichkeit halber nicht mehr geduldet. Die großen Städte haben durchweg die geschlossene Bauweise angenommen, und nur an den Peripherien findet sich noch die offene, bei welcher zwischen je zwei Häusern ein meist sehr reichlich bemessener Zwischenraum bleibt, der den Höfen frische Luft zuführt. Erzwingen läßt sich diese Bauweise ohne sehr große Härte gegen die Grundbesitzer nicht. Die Richtungslinie der Straßen mit Rücksicht auf die Sonnenstrahlen läßt sich kaum bestimmen, und bei der allgemein üblichen Anlage von Seiten- und Quergebäuden hat das auch wenig Bedeutung. Für die Beleuchtung der Vorderzimmer ist die nordsüdliche Richtung am vorteilhaftesten, für eine möglichst gleichmäßige Verteilung des Lichts aber die Richtung von NW. nach SO. oder von NO. nach SW. Straßen, die von W. nach O. verlaufen, sollten vermieden oder wenigstens breiter angelegt werden als andre Straßen. Im Interesse der Feuersicherheit fordern die Bauordnungen, daß jedes Grundstück, sofern es nicht an eine öffentliche Wasserleitung angeschlossen ist, einen eignen Brunnen besitze. In Bezug auf die Güte des Wassers beschränkt sich die Polizei darauf, die Benutzung von Brunnen mit gesundheitsschädlichem Wasser zu untersagen und die Verunreinigung von Grund und Boden nach Möglichkeit zu verhindern. Sie verbietet daher Abtrittsgruben gänzlich oder fordert wenigstens, daß die Gruben undurchlässig seien (was sich auf die Dauer doch nicht kontrollieren läßt). Versitzgruben dürfen nicht geduldet werden. Gesundheitsschädliche Abfälle aus Fabriken sind so zu beseitigen, daß weder Grund und Boden noch die Luft oder die öffentlichen Wasserläufe verunreinigt werden. Die Abwässer (s. d., Bd. 17) und die Meteorwässer dürfen nur in kleinen Städten in offenen Rinnsteinen mit gutem Gefälle und guter Spülung abgeleitet werden. Für größere Städte ist ein Netz unterirdischer Röhren (Kanalisation) anzuwenden, in welches vorteilhaft auch die Exkremente eingeleitet werden, da hierdurch eine Steigerung der Kosten kaum verursacht wird.
Für die Salubrität eines Gebäudes ist die Reinheit des Baugrundes von großer Bedeutung. Ist der Boden stark verunreinigt, so sollte er durch reinen ersetzt oder die ganze Fläche, auf welcher sich das Gebäude erhebt, durch eine Betonschicht od. dgl. isoliert werden. Dies ist namentlich, auch bei reinem Boden, wichtig für ein nicht unterkellertes Gebäude. In der Regel verlangt die B. nur, daß der Fußboden von bewohnten Kellergeschossen um etwa 30–50 cm über dem höchsten bekannten Grundwasserstand liegt; indes liegt es im Interesse des Bauherrn selbst, bei jedem Bau, dessen Fundamente vom Grundwasser erreicht werden können, die Mauern durch horizontale Isolierschichten (Asphalt) gegen aufsteigende Feuchtigkeit und durch vertikale Isoliermauern zugleich gegen das von oben eindringende Niederschlagswasser zu sichern. Feuchtigkeit der Wände hindert die Ventilation und macht die Luft in den geschlossenen Räumen feucht und kalt, so daß namentlich bei Armut der Bewohner nachhaltige Krankheiten entstehen können. Dies gilt besonders für Kellerwohnungen, deren Wände ohnehin zum Teil, weil sie in der Erde stecken, nicht ventilieren, und bei denen die Fensterfläche eine erheblich geringere zu sein pflegt als in den Räumen der obern Geschosse. In sanitätspolizeilichem Interesse sind Wohnungen, deren Fußboden niedriger liegt als das umgebende Terrain, zu verbieten; da eine solche Maßregel aber nicht überall durchzuführen ist, so sollten wenigstens Maßregeln ergriffen werden, um die Nachteile der Kellerwohnungen möglichst zu vermindern. Dies geschieht durch Isolierung des Fußbodens und der Mauern, durch die Forderung, daß ein möglichst großer Teil (mindestens zwei Drittel) der Kellerhöhe über dem Terrain liegt, und daß die Räume ausreichende Höhe und Fensterfläche erhalten. Isoliert man die Außenmauer von Kellerwohnungen mittels eines Luftraums (Lichtgrabens), dessen Tiefe mindestens den Kellerboden erreicht, und dessen Breite mindestens dem Höhenabstand zwischen Terrain und Kellerboden gleichkommt, so hören die Wohnungen auf, Kellerwohnungen zu sein. Für Straßenfronten ist solche Konstruktion freilich nicht durchführbar, wohl aber für Hoffronten, wo sie überdies viel wichtiger ist. Im übrigen ist die Schädlichkeit der Kellerwohnungen von der Lage zur Himmelsrichtung und zur Umgebung abhängig; doch handelt es sich hier so sehr um besondere lokale Verhältnisse, daß kaum allgemeine Bestimmungen zu geben sind. Man kann fordern, daß Kellerwohnungen nur in Hauptgebäuden und in solchen Räumen angelegt werden, welche nach O., S. oder W. gelegen sind, und welchen die Zuführung des Lichts in einem Winkel von 45° gewahrt ist; besser noch wären Kellerwohnungen nur nach der Straße hinaus oder nach ganz freien Höfen zu gestatten.
Die Höhe der zu bewohnenden Räume richtet sich nach der Lage und nach der Anzahl von Personen, denen der Raum zum regelmäßigen Aufenthalt dienen soll. Als Minimalhöhe kann man 2,5 m im Lichten (zwischen Fußboden und Decke) ansehen, und ein geringeres Maß sollte für Keller, Dachwohnungen und Hängeböden nicht gestattet sein. Letztere sollten als Aufenthalts- oder Schlafräume gar nicht geduldet werden, am wenigsten, wenn sie nicht einmal direkt ins Freie führende Fenster besitzen. Über Zahl und Größe der Fenster lassen sich keine allgemeinen Bestimmungen geben. Nur ist selbstverständlich zu fordern, daß jeder zum Wohnen und Schlafen bestimmte Raum wenigstens ein direkt ins Freie führendes und zum Öffnen eingerichtetes Fenster besitze. Vom hygienischen Standpunkt erfordern die untern Geschosse, zumal der Keller, mehr Fensterfläche als die obern. Zu ausreichender Beleuchtung ist erforderlich, daß für je 30 oder doch für je 40 cbm Zimmerraun 1 qm freie, zum Öffnen eingerichtete Fensterfläche vorhanden sei. Im Interesse der Ventilation [98] des Hauses ist das Treppenhaus im obern Teil mit leicht zu öffnenden Fenstern oder Abzugsöffnungen zu versehen. Wie weit im übrigen Ventilationseinrichtungen zu treffen sind, läßt sich im allgemeinen nicht bestimmen, hängt vielmehr ganz und gar von den speziellen Verhältnissen ab.
Die Zahl der Stockwerke wird in der Regel nicht bestimmt, wohl aber die Höhe der Gebäude. Dies ist nicht rationell, weil es zur Erniedrigung der einzelnen Geschosse führt. In sehr großen Städten sollten nicht mehr als fünf, in kleinern höchstens vier Geschosse, Keller-, Halb- und Dachgeschosse eingerechnet, zugelassen werden. Für die absolute Höhe von an Straßen gelegenen Häusern gilt jetzt fast allgemein als Norm, daß dieselbe die Breite der Straße nicht überschreiten soll, so daß dem tiefsten Punkte des Gebäudes das Licht in einem Winkel von höchstens 45° gegen die Horizontale zugeführt wird. Nur in alten Städten mit engen Straßen pflegt hiervon abgewichen zu werden. Mansardengeschosse sollten, sobald ihre schrägen Wände und die Fenstervorbauten die vom Fußpunkt des gegenüberliegenden Hauses im Winkel von 45° gezogene Linie überschreiten, nicht geduldet werden, weil in ihrer Anlage lediglich eine Umgehung der Bestimmung über die Höhe der Gebäude liegt. Was man bezüglich der Höhe für die Häuser an Straßen fordert, sollte auch für die Hofgebäude gelten, auch sie sollten nicht höher sein, als der Horizontalabstand am gegenüberliegenden Haus beträgt. In dieser Hinsicht wird aber in erschreckender Weise gesündigt, und so entstehen Höfe, welche, schachtförmig von Gebäuden umgeben, Luft und Licht entbehren und für die Zimmer, deren Fenster auf dieselben münden, kaum noch in Betracht kommen. Auf keinen Fall sollten die Hofgebäude mehr als doppelt so hoch aufgeführt werden, wie ihre Entfernung von dem gegenüberliegenden Gebäude auf demselben Grundstück oder von der Nachbargrenze, gleichgültig, ob diese bebaut ist oder nicht, beträgt. Nur wenn die Freihaltung der Grenze grundbuchlich gesichert ist, tritt an Stelle derselben die derselben zunächst liegende Gebäudefronte. Mehrfach ist zur Abhilfe bestimmt worden, daß jedes Haus nur einen Seitenflügel haben darf, und daß das eine von zwei benachbarten Häusern den Flügel an der linken Seite bauen muß, wenn ihn das andre an der rechten Seite besitzt. So entstehen größere Höfe mit erheblich gesündern Verhältnissen. Wird die Höhe der Gebäude an den Höfen bestimmt, so verliert die Frage wegen der Größe der Höfe an sich und im Verhältnis zur bebauten Fläche in sanitärer Hinsicht ihre Bedeutung, und es kommen nur noch sicherheitspolizeiliche Rücksichten in Betracht. Existiert eine solche Bestimmung nicht, oder wird eine zu bedeutende Höhe der Hintergebäude im Vergleich zu deren Abstand zugelassen, dann sollte die Freihaltung um 1/3 oder mindestens 1/4 des Grundstücks und die Bildung eines Hofs von bestimmten Abmessungen verlangt werden. Nur bei sehr kleinen und bei Eckgrundstücken, bei welchen eine größere Anzahl von Zimmern an der Straße liegt, sind Ausnahmen zulässig. Wo sehr enge Höfe aus älterer Zeit vorhanden sind, ist es vorteilhaft, in den Ecken derselben Röhren anzulegen, welche nahe über dem Pflaster beginnen und bis über das Dach führen, um so durch Temperaturdifferenz, welche durch eine Gasflamme noch gesteigert werden könnte, eine Ventilation zu erzielen. Eine Bedeckung der sogen. Lichthöfe mit Glas ist ganz verwerflich, da dadurch jede Ventilation abgeschnitten wird.
Abtritte, mit Ausnahme der Wasserklosette, sollen niemals mit Wohn- und Schlafzimmern in Verbindung stehen, stets aber, auch die Wasserklosette, ein nach außen sich öffnendes Fenster und Ventilationsröhren besitzen. Auch Küchen sollen ins Freie führende Fenster besitzen, was freilich bei sehr kleinen Wohnungen leicht zur Folge hat, daß die Küche als Wohn- und Schlafzimmer benutzt wird. Die Steigung der Treppen, namentlich in Hinterhäusern, darf nicht zu steil sein, um an das oft belastete Dienstpersonal und an schwangere Frauen nicht gesundheitsgefährliche Anforderungen zu stellen. Die Stufenhöhe darf nicht mehr als 20, bei Treppen, welche durch mehr als zwei Geschosse reichen, höchstens 18 cm bei entsprechender Stufenbreite betragen. Die Heizungsanlagen sind noch recht häufig mangelhaft und belästigen die Bewohner desselben oder benachbarter Häuser durch Rauch, welcher bei Krankheiten der Atmungsorgane geradezu verderblich wirken kann. Bei dem heutigen Stande der Feuerungstechnik lassen sich allgemeine baupolizeiliche Vorschriften, die für alle Fälle Erfolg versprechen, nicht geben; aber man kann verlangen, daß alle Schornsteine mindestens 0,5 m über den Dachfirst hinausgeführt werden, daß sie eine Höhe von mindestens 12 m erhalten, wenn sie weniger als 3 m von der Straßenflucht oder von der Nachbargrenze entfernt liegen, und daß sie im letztern Fall mindestens 2 m über die Oberkante der Fenster im benachbarten Gebäude erhöht werden.
Wohnungen, welche in ihrer Anlage den Anforderungen der Sanitätspolizei entsprechen, können gesundheitsschädlich sein, wenn sie zu früh bezogen werden, und zwar namentlich, wenn die Bewohner auf Heizung und reichliche Lüftung nicht hinreichende Sorgfalt verwenden. Das Austrocknen des Neubaues ist abhängig von der Stärke der Mauern, der Beschaffenheit des Baumaterials, der mehr oder minder freien Lage, der Witterung während des Baues etc. Das Hygrometer bietet ein Mittel zur Beurteilung der Luftfeuchtigkeit in dem geschlossenen Zimmer eines Neubaues; doch erscheinen die Angaben des Instruments nicht ausreichend, und man begnügt sich daher mit der Bestimmung einer Frist, die zwischen Vollendung des Rohbaues und dem Beziehen des Hauses vergehen muß. Es ist wichtig, daß das Mauerwerk hinreichend trocken sei, bevor der Mörtel aufgetragen wird. Letzterer bildet stets nur eine dünne Schicht, die auf trocknem Mauerwerk sehr schnell trocknet. Bei Gebäuden mit starken Mauern, wie sie alle vielstöckigen Gebäude in den untern Geschossen besitzen, sollte zwischen der Vollendung des Rohbaues und dem Beziehen ein Zeitraum von neun Monaten verstreichen, der nur dann verkürzt werden darf, wenn durch starkes Heizen oder durch besondere günstige Umstände ein schnelleres Austrocknen herbeigeführt worden ist. Man befördert das Austrocknen durch Aufstellen von Kokskörben und hat auch für diesen Zweck transportable Heizapparate konstruiert, welche einen ausgiebigen Strom stark erhitzter Luft gegen das Mauerwerk treiben. Gesunde Wohnungen können ungesund werden, wenn einzelne Räume nachträglich in andrer Weise benutzt werden, als ursprünglich vorgesehen war, wenn z. B. niedrige Hängeböden als Schlafräume dienen müssen, wenn in benachbarten Räumen Stallungen eingerichtet werden etc. Die B. verlangt daher, daß in den dem Antrag auf Bauerlaubnis beigefügten Bauzeichnungen der beabsichtigte Nutzungszweck für die einzelnen Räume angegeben und daß vor jeder Veränderung [99] in der Benutzung die Genehmigung der B. einzuholen ist. Große Gefahren können auch in den besten Wohnungen durch Überfüllung, Unreinlichkeit und mangelhafte Lüftung entstehen. Hier steht die B. ziemlich machtlos gegenüber der Armut einerseits und der Ausbeutung derselben durch Gewinnsucht anderseits. Zu große Strenge würde zur Obdachlosigkeit führen, und die Bekämpfung der aus der Armut hervorgehenden üblen Angewohnheiten gehört einem andern Gebiet an. Eine Abhilfe ist nur auf dem Weg möglich, der von Privaten, Behörden, Vereinen etc. zur Beschaffung gesunder und billiger Arbeiterwohnungen mehrfach eingeschlagen worden ist. Vgl. Eulenberg, Handbuch des öffentlichen Gesundheitswesens, Bd. 1 (Berl. 1881); Baumeister, Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung (das. 1876); Derselbe, Normale Bauordnung (Wiesbad. 1880); Krüger u. a., Bauführung und Baurecht (im „Handbuch der Baukunde“, 1. Abt., Berl. 1887); v. Ösfeld, Rechtsprechung in preuß. Bausachen (Bresl 1887).