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Griseldis

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Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Griseldis
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 826–828
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Griseldis.
Eine Frauenstudie.

Im Reiche der Schmerzen ist die Frau allzeit Königin gewesen. Im Leiden und Dulden hat’s ihr der Mann nie gleich gethan. Ihm ist auch diese Kraft und zugleich Schwäche des Weibes nicht entgangen. Sein Egoismus hat sich dieselbe oft genug zu Nutze gemacht. Das lange Magdethum der Frau in ihrer gesellschaftlichen Stellung beruht wesentlich mit auf dieser Erkenntniß. Am stärksten aber prägte sich jene Selbstopferung des Weibes immer dann aus, wenn zwischen ihr und dem Manne die Liebe stand. Um ihrer Liebe willen hat die Frau das Höchste gethan, das Tiefste erlitten. Die schaffende und nachbildende Kunst hat diesen Duldersinn des Weibes vielfach ausgebeutet. Sie hat das Thema auf das Mannigfachste variirt, am schärfsten aber hat sie es ausgebildet, auf’s Aeußerste hat sie es gesteigert in der durch die ganze literarische Welt hin verbreiteten Geschichte der Griseldis.

Wer zählt die Thränen, welche in mehreren Jahrhunderten ihr geflossen sind, der rührenden Geschichte dieser treuen Dulderin, mag sie sich nun wiedergegeben haben auf alten vergilbten Blättern „gedruckt in diesem Jahr“, oder gefaßt in zierliche Reime in der Form des Epos, der Ballade und Novelle, oder in greiflicher Gestaltung auf den weltbedeutenden Bretern. Denn auch Griseldis hat, wie alle zu einem gewissen Classentypus herangewachsenen Figuren, im Laufe ihrer Wanderung durch die Völker und Zeiten, durch die Köpfe der Poeten gar manche Wandlung erfahren, und gerade in neuerer Zeit hat ihr die umbildende Hand eines geachteten Dramatikers ein eigenartig schillerndes, ziemlich modernes Kleid umgeworfen, gar sehr im Gegensatze zu dem altmodischen Schnitte, den sie in den Tagen ihrer ersten Kindheit trug.

In das Gewand der Schrift kleidete sie zuerst Boccaccio in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. „Griselda“ ist die letzte der Erzählungen seines Decamerone. Der gewandte Erzähler legt hier das faurnische Satyrgesicht, das aus den meisten seiner andern Geschichten hervorlugt, in durchaus ernste und gemessene Falten. Die Geschichte des Markgrafen Gualtieri und seiner Griselda beruht aber nicht auf seiner eigenen Erfindung, vielmehr folgte der Dichter, wie bei den meisten seiner Novellen, auch hier mündlichen Ueberlieferungen. Dies geht aus einem Briefe Petrarca’s an ihn deutlich hervor.

Hat Griseldis mit ihrem Schicksale, so fragen wir zuerst, wirklich existirt? Der Augustinermönch Jacobus Philippus von Bergamo im fünfzehnten Jahrhundert erwähnt in seinem Buche von bösen und ausgezeichneten Frauen ihrer als einer wirklichen geschichtlichen Person, ohne indeß die Zeit ihres Lebens angeben zu können. Auch der etwas spätere Foresti kann diese Zeit nicht feststellen, obwohl auch er an ihre Existenz glaubt. Bouchet in seinen Annalen von Aquitanien setzt ihr Leben in die Zeit um das Jahr 1025. Auch Nogouiers will in seiner Geschichte von Toulouse wissen, daß Griseldis während der Regierungszeit des Grafen Raimund des Ersten von Toulouse, im Anfange des elften Jahrhunderts als Frau des Grafen Walter von Saluzzo gelebt habe und als ein Spiegel von Geduld und Erniedrigung von verschiedenen Schriftstellern verherrlicht worden sei. Beide Schriftsteller gehören aber bereits dem sechszehnten Jahrhunderte an und mögen wohl erst durch Boccaccio und dessen Nachfolger von Griseldis Kunde erhalten haben. Markgrafen von Saluzzo, einem Landstriche im Piemontesischen, haben in der That mehrere Jahrhunderte lang bis hinein in das sechszehnte existirt, aber die Geschichte ihres Hauses weiß strenger Forschung nach von einem Grafen Walter und dessen Frau Griseldis nichts zu erzählen. Immerhin aber bliebe es möglich, daß doch unter diesen Markgrafen einer eine unstandesmäßige Heirath geschlossen und die nachdichtende Zeit dieses vielleicht an sich ganz einfache Verhältniß mit allerlei phantastischen Zuthaten versehen habe. Allen sagenhaften Volksüberlieferungen liegt doch meist irgend ein wahrer Kern zu Grunde.

Die Sagenbücher des Mittelalters behandeln überdies das Thema von der treuen Liebe und der ausharrenden Geduld des Weibes mit besonderer Vorliebe. Da ist die Geschichte von der treuen unschuldig leidenden Genoveva; von der gleichfalls der Untreue falsch beschuldigten und in’s Elend gestoßenen Dusolina, der Gemahlin Kaiser Octavian’s; von der Herzogin Hirlanda, einem gleichen Opfer verleumdeter Unschuld; von der schönen Magellone, welche ein widriges Geschick von Peter von Arragonien, zu dem sie sich kaum in Liebe gefunden, trennt bis zu endlicher Wiedervereinigung; von der Königstochter Bertha von Ungarn, welche eine ränkevolle Amme um den rechtmäßigen Besitz des ihr bestimmten Gemahls Pipin von Frankreich bringt, bis die Treulosigkeit an den Tag kommt und die still ausharrende Liebe den Sieg gewinnt.

Da ist die Geschichte von Pontus und Sidonia, die sich keusche Liebe geloben und diese trotz Anfechtung und Gelegenheit bis hinein in die Nacht des Kerkers bewahren. Da ist weiter der französische Roman von der treuen „Esche“, deren Verbindung mit dem geliebten Ritter Bruon ihre unbekannte Herkunft hindernd entgegensteht und die es dann in selbstloser Liebe geschehen läßt, daß der Ritter auf Drängen seiner Unterthanen eine ebenbürtige Braut nimmt, welcher sie neidlos die Hochzeit bereitet, bis noch in letzter Stunde an der Schwelle des Brautbettes ihre adlige Geburt sich enthüllt und sie mit dem Geliebten sich vereinigen kann. Hier bleibt das damals so tief eingewurzelte Standesvorrecht gewahrt, während in Griseldis es von der Liebe überwunden wird.

Boccaccio giebt unsere Geschichte noch einfach, nüchtern, ohne tiefere Motivirung, so als ob sich das Alles von selbst verstände. Gualtieri, Markgraf von Saluzzo, hat seine Zeit mit Jagd und Vogelfang zugebracht, ohne an’s Heirathen zu denken, ein Entschluß, der in Boccaccio’s Augen für sehr weise gilt. Seine Unterthanen drängen ihn indeß lebhaft zur Eingehung einer Ehe; sie wollen ihm sogar die Braut selbst besorgen. Das will sich Gualtieri aber doch nicht nehmen lassen, er verlangt nur, daß sie seiner Wahl sich willenlos fügen. Er kennt auch bereits ein schönes Bauernmädchen, Griselda, das heimlich sein Gefallen erregte. Diese beschließt er zu wählen, weil denn einmal geheirathet sein muß. Er läßt ihren Vater kommen und verkündet ihm seinen Entschluß. Dann zieht er mit den Freunden aus, die Braut abzuholen. Er trifft sie am Brunnen beim Wasserschöpfen, geht in’s Haus, um nochmals beim Vater um sie zu werben, und läßt sich von Griselda versprechen, daß sie sich jederzeit in seinen Willen ergeben und über nichts murren [827] wolle, was er auch beginne. Dann setzt er ihr den Brautkranz auf und stellt sie dem verwunderten Gefolge vor. Sie wird festlich geschmückt und die Hochzeit feierlich begangen. Griselda findet sich vortrefflich in die neuen Verhältnisse. Beide Gatten leben glücklich. Erst als sie eine Tochter gebar, gerieth Gualtieri, wie es in der Erzählung heißt, auf den sonderbaren Einfall, die Demuth seiner Gemahlin zu prüfen. Er spiegelt ihr vor, das Volk sei unzufrieden, weil es kein Sohn sei, den sie ihm geschenkt habe. Dann läßt er durch einen Diener ihr das Kind so abfordern, daß sie glauben muß, es werde getödtet.

Nach einiger Zeit gebiert Griselda einen Sohn. Hier wiederholt sich das Gleiche, nur daß der Graf sich jetzt darauf beruft, daß das Volk sich unwillig erweise über die Enkelschaft eines Bauern.

Nach etlichen Jahren, geht die Erzählung weiter, fand der Markgraf es an der Zeit, seinem Weibe auch die letzte Prüfung aufzulegen. Er verstößt unter dem Widerspruche der Freunde, welche Giselda längst sich gewann, die Gattin auf Grund eines falschen Scheidebriefes. Sie will gehen, so wie sie gekommen ist, und bittet demüthig nur um ein Hemd, ihre Blöße zu bedecken. Der versammelte Hof, die Freunde des Markgrafen, vor deren Augen die Verstoßung vor sich geht, bitten, er möge ihr wenigstens das Kleid schenken, das sie trüge. Diese Bitte war, wie es in der Erzählung heißt, vergeblich, und Griselda mußte, beweint von Allen, die sie sahen, barfuß und im bloßen Hemde das Schloß verlassen. Der Vater empfängt sie ohne Groll, ja selbst ohne Verwunderung. Er findet es ganz in der Ordnung, daß der hochgestellte Fürst das Kind eines hörigen Bauern wieder verläßt sobald es ihm gefällt. Er hat, dies voraussehend, auch Griseldens alte Kleider sorglich aufbewahrt.

Nach geraumer Zeit läßt der Markgraf verkünden, daß er wieder heirathen wolle, und läßt Griselden sagen, daß sie kommen möge, sein Haus zu säubern und zu putzen und die Ehren desselben zu vertreten. Nach der Hochzeit könne sie wieder gehen. Griselda folgt diesem tiefverletzenden Rufe. Sie empfängt trotz der Dürftigkeit ihrer Kleidung die neue Braut mit dem Anstande einer Dame. Auch hier erbitten die Damen des Hofes vergeblich für sie bessere Gewänder. Mit neidloser Demuth erkennt sie die Vorzüge der neuen Braut an, und nur eine einzige Herbe schleicht sich in ihre Rede, indem sie bittet, daß der Graf jener die Kränkungen nicht anthun möge, die er seiner ersten Gemahlin zugefügt habe, denn sie fürchtet, diese würde um ihrer Jugend und weichlicheren Erziehung willen sie nicht aushalten. Nun endlich glaubt Gualtieri, von der Geduld seiner Gemahlin genügende Beweise zu haben. Er zeigt ihr in der Braut die eigene, inzwischen herangewachsene Tochter und führt ihr auch den Sohn wieder zu. Und wie rechtfertigt er seine Handlungsweise ihr gegenüber? Einfach damit, daß er sagt, er habe sie lehren wollen, wie man sich als Frau betrage, und sich eine lebenslängliche gewisse Ueberzeugung von ihrer Treue verschaffen wollen. Griselda ist mit dieser Auflösung ganz zufrieden. Sie weint sogar vor Freude. Auch unter den anwesenden Höflingen und Unterthanen war die Freude allgemein. Man lobte zwar den Verstand des Markgrafen, hielt aber doch die der Griselda auferlegte Buße für etwas zu hart und bewunderte um so mehr deren Tugend. Beide Gatten leben nun noch viele Jahre in wahrhaftem Glücke.

Diese Novelle des Boccaccio übertrug nun in etwas veränderter Fassung dessen Freund und Zeitgenosse, der große Dichter der Liebe, Petrarca, in’s Lateinische, und diese Petrarca’sche Nachdichtung kam nach Deutschland, wurde von Heinrich Steinhörtel übersetzt und in dieser Uebersetzung unter dem Titel: „Dieß ist ein epistel Francisci petrarchi von großer stätigkeit einer frowen Grisel gehaissen 1471. bei Günther Zainer in Augsburg“ zum Volksbuche, das bis zum Jahre 1620 sechszehn Ausgaben erlebte. Petrarca machte aus der Griselda eine Griseldis, milderte die fast grausame Härte im Auftreten des Markgrafen vielfach und suchte durch längere Reden, die er den handelnden Personen in den Mund legte, deren Handlungsweise besser zu motiviren. In der zweiten Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts erschienen in Deutschland wieder zwei neue Uebertragungen der Petrarca’schen Griseldis von dem gekrönten Poeten Fiedler von Reichenbach und dem Capuzinerpater Martinus von Cochem. Auch im achtzehnten Jahrhunderte erschien eine neue illustrirte Ausgabe als „anmuthige Historie von dem Markgrafen Walter, darinnen dessen Leben und Wandel und was sich mit ihm zugetragen, dem günstigen Leser kürzlich vor Augen gestellt wird, auf’s Neue mit schönen Figuren gezieret und verbessert. Gedruckt in diesem Jahr.“ Aus diesen verschiedenen Ausgaben setzen sich nun auch die neuerschienenen Volksbücher von O. Marbach, Simrock und G. Schwab zusammen.

Aber nicht blos in Deutschland wurde Griseldis heimisch, sie nahm auch ihren Weg nach Frankreich, Holland, England, Dänemark und Schweden, selbst bis in das ferne Eiland von Island.

In England goß sie schon dreißig Jahre nach dem Erscheinen von Boccaccia’s „Decamerone“ Chaucer in Reime. Der Dichter kommt dabei zu der Schlußbemerkung, daß eine solche Demuth in Italien und auch sonst wohl nicht mehr vorkomme und es kaum räthlich erscheine, ein Eheweib so wie sie zu prüfen. Wer es versuche, dürfte wohl, statt des Sieges sich zu erfreuen, es zu spät bereuen. Wurde die Geschichte der Griseldis in England zur Ballade, so wurde sie in Spanien zur Romanze. In Frankreich bestieg sie schon am Ausgang des vierzehnten Jahrhunderts die Bühne. In Deutschland brachte sie Hans Sachs auf die Breter. Er läßt dieselbe in fünf Actus und mit dreizehn Personen getreu nach der Ueberlieferung sich nach einander abwickeln und ist dabei so wenig auf das Einheitsgesetz des Aristoteles bedacht, daß er den Markgrafen in einem Acte zweimal Kindtaufe halten läßt. In der Schlußmoral, ohne die es bei unserm braven Schuster nie abgeht, zieht derselbe aus der Geschichte drei beherzigenswerthe Lehren: Erstens sollen die Mütter ihre Töchter nicht zu zart, sondern arbeitsam in Häuslichkeit und Tugend erziehen, sollen ihren Starrsinn brechen, damit sie schon zeitig lernen im Stande der Ehe geduldig alles Wohl und Wehe zu tragen. Zweitens soll die Frau lernen unterthan sein dem Manne, weil der Mann des Weibes Haupt sei, wie’s Gott gebot im Anfange.

Denn durch ihre Geduld und Demuth,
Ueberwindet sie das Bös’ und Gut’
Und wird durch ihre gütige Geberd’
Dem Manne angenehm, lieb und werth.

Drittens soll aber auch der Mann sein Weib halten „schön“ und lieben wie seinen eigenen Leib, also daß zwischen Mann und Weib Fried’, Lieb’ und Treue aufwachs. Solches wünsche er, Hans Sachs.

Auch englische Dramatiker bemächtigten sich des Stoffes; nur der große Shakespeare, der die Boccaccio’schen Novellen sonst ziemlich stark benutzte, hat sich von demselben nicht begeistern lassen. Doch hat er in Cymbeline einen verwandten Stoff, dem auch das Thema der geprüften und verleumdeten Frauentreue zu Grunde liegt, nach der Boccaccio’schen Novelle „Frau Ginevra“ behandelt. Englische Komödianten führten die Komödie von der „geduldigen Grisill“ im siebenzehnten Jahrhundert in Deutschland an den Höfen von Dresden und Torgau auf.

Um dieselbe Zeit, nur etwas später, führte Perrault „Griseldis“ als gereimte Novelle den Pariserinnen vor. Er will sie, sagt er in den einleitenden Strophen, ihnen nur als Gegengift geben, sogar nur als Stoff zum Lachen, denn die „Patience“ sei keine Tugend der Damen von Paris, wohl aber hätten dieselben durch eine lange Uebung die Kenntniß erlangt, sie durch ihre eigenen Gatten ausüben zu lassen.

Perrault’s Marquis Walter ist ein Melancholiker, der alles Weibliche für treulos und betrügerisch hält und deshalb geschworen hat, nicht zu heirathen. Als man ihn zu bestimmen sucht, diesem Gelübde untreu zu werden, entwirft er eine nicht eben schmeichelhafte Schilderung der Frauennatur, zu der jedenfalls seine damaligen Landsmänninnen Modell gesessen haben. Wenn sie ihm Eine brächten, sagt er den Andrängern, die alle die Gebrechen der Anderen nicht besitze und vor allen Dingen keinen eigenen Willen habe, die wolle er heirathen. Sagt’s und geht zur Jagd. Da verirrt er sich, trifft auf eine junge Bäuerin und findet in ihr das geträumte Frauenideal. Nach der Hochzeit verfällt er wieder in die alte melancholische Stimmung. Die große Tugend seiner Frau wird ihm mit der Zeit geradezu lästig. Er hört auf Verleumder, beargwöhnt seine Frau, sperrt sie ein, hält sie ängstlich von der Welt und ihren Vergnügungen fern, nimmt ihr den Schmuck, den er ihr eben erst schenkte, wieder ab, und [828] quält sie auf alle Weise. Als sie ein Kind bekommt und mit diesem zärtlich thut, glaubt er, sie übertrage ihre Liebe ganz auf das Kind, und entzieht es ihr. Da sie es ohne Klage weggiebt, zweifelt er nun zwar nicht mehr an ihrer Liebe, gleichwohl will er sie von Neuem prüfen, diesmal, um der ganzen Welt ihre Güte, Milde und Weisheit zu offenbaren, also aus einer Art Egoismus der Eitelkeit. Der Ausgang ist dann der frühere. Hier ist die Geschichte schon in eine sehr moderne Beleuchtung gerückt und psychologisch wahrscheinlicher gemacht!

Auch Ludwig Heinrich Nicolay setzt in seiner Ballade „Griselde“ (1810) die arme Dulderin den gleichen Quälereien eines mißtrauischen und mürrischen Gatten aus. Die erste strengere Prüfung der jungen Frau besteht in dem Verbote, ihren alten Vater zu besuchen, dann folgt die Wegnahme der Tochter und die Verstoßung der Mutter. Diesmal motivirt der Graf – hier Anton genannt – sein Handeln damit, daß er sie verstoßen müsse, weil sie keinen Sohn bekomme. Die neue Braut ist dabei die Schwester des Grafen. Der alte Vater wird mit in’s Grafenschloß geholt, beide Gatten leben minniglich miteinander und der Himmel bescheert Griselden, zum Lohn für ihre Treue, den ausgebliebenen Sohn.

Inzwischen war auch die arme Dulderin in Musik gesetzt worden, in einem Melodram von Zeno und einer Oper von Paer.

Eine neue Metamorphose mit reicher dichterischer Verklärung gewann dieselbe in dem bekannten dramatischen Gedichte von Halm, der sie zunächst in eine ganz andere romantisch-phantastische Atmosphäre rückte, indem er sie an den sagenhaften Hof des Königs Artus verlegte. Der zum Ritter Percival umgetaufte Markgraf Walter theilt mit dem Perrault’schen die schlimme Meinung von der Frauenwelt. Er ist aber kein Grillenfänger wie jener, sondern ein rauher Naturmensch, dem eben die Natur über Alles geht, auch im Weibe. Das ist’s, was ihn zur Griseldis, dem reinen und unverfälschtem Naturkinde, hingezogen hat. Er hat ihre treue Liebe schon vor dem Beginne der dramatischen Handlung einmal prüfen können, nicht in Folge eigenen Entschlusses, sondern bei einem durch den Zufall der Umstände herbeigeführten Conflicte. Sie hat, als gleichzeitig ihre Mutter im Sterben und ihr Gatte schwer verwundet darniederlagen, das Lager des Gatten nicht verlassen und jene ohne Abschied sterben lassen. Er lebt mit ihr nicht blos glücklich, er hat auch die höchste Meinung von ihr. Er schätzt sie über alle Frauen, und als er damit, daß er sie noch über die Königin stellt, diese selbst beleidigt, giebt diese die sühnenden Proben auf, die sonst als Ausflüsse von des Grafen eigener Entschließung erscheinen. Das Ganze spitzt sich dabei zu einer Art Wette zu, wie wir das ähnlich bei Nicolay finden. Walter-Percival sucht sich dann die Scrupel über sein Handeln, welche sich in seiner schlichten Seele denn doch einfinden, mit Sophismen hinwegzuphilosophiren, wie diese: Griseldis sei als sein Weib Fleisch von seinem Fleische, wer aber wolle es Jemand verwehren, in sein eigen Fleisch zu stoßen? Oder dem weit schwächeren: Ich prüfe mein Schlachtroß, meine Klinge, weshalb soll ich nicht mein Weib prüfen? Griseldis selbst macht es ihm hier weit schwerer, die Prüfung durchzuführen. Ihre Mutterliebe ist nahezu ebenso stark, wie ihre Liebe zum Gatten, und Percival muß schon hohe Trümpfe ausspielen, muß die Gefahr seines eigenen Lebens vorspiegeln, ehe er das Kind von ihrem Herzen bringt.

Griseldens Vater ist auch nicht mehr der alte Janicula, der die Heimkehr der Tochter gleichgültig und wie selbstverständlich hinnimmt. Er empfängt sie, wie das schön bei Hans Sachs der Fall war, mit Groll und lautem Hohne. Sie habe Abgötterei mit ihrem Gatten getrieben, nun empfange sie ihren Lohn. „Du warst,“ schleudert er ihr entgegen, „nicht sein Gemahl, nur seine Dirne.“ Halm begnügt sich nicht mit zweien, er fügt steigernd noch eine dritte Probe hinzu. Er stellt die Arme noch vor die Alternative zu wählen zwischen dem Tode des Vaters oder dem des Gatten, eine Alternative, vor welche auch in der oben gedachten Erzählung „Pontus und Sidonia“ die Letztere sich gestellt sieht. Griseldens Liebe besteht auch noch diese Probe, was sie aber nicht mehr besteht, das ist die nunmehr kommende Entdeckung des mit ihr getriebenen Spiels. Noch meint Percival: Sie liebt mich, darum wird sie mir vergeben. Er täuscht sich tief, denn die Liebe leidet nur um Liebe, nicht aber um der Sättigung männlicher Eitelkeit Willen. Der Lorbeerkranz, den er ihr erstritten zu haben meint, ihr ist er ein Dornenkranz. Ihr Glaube ging verloren und nichts, auch nicht die heiligsten Versicherungen, die verheißendsten Betheuerungen bringen ihn wieder zurück. Sie scheidet sich von ihm. Er hat ihre Liebe für immer verscherzt.

Diese Lösung entspricht allein dem sittlichen Bewußtsein der Gegenwart, dem Geiste eines gebildeten Zeitalters. Freilich schneidet sie auch dem Griseldis-Thema seine fernere Existenzberechtigung ab. Die eigenthümliche Fortentwickelung, welche dasselbe im Laufe der Zeiten erlebt hat, fällt gleichsam zusammen mit der Fortentwickelung der socialen Stellung der Frau.

Die Entstehung der Griseldis Mythe oder ihre geschichtliche Existenz gehören oder müssen wohl einer Zeit angehören, wo die freie Entfaltung der Person überhaupt, namentlich aber der Person des Weibes noch im Banne einer künstlich geschaffenen Lebensordnung stand, wo der tiefe Stand zu dem höheren noch mit einem unterwürfigen Gehorsamsgefühle hinaufsah. Was Markgraf Walter da forderte, das war noch sein Recht. Schon zu Boccaccio’s Zeiten war wenigstens in den höheren Gesellschaftsschichten die Stellung der Frauen eine freiere geworden. Deshalb macht auch Dioneo, der einleitende Erzähler Boccaccio’s, die Bemerkung, daß der Markgraf es verdient habe, wenn die Sache schlimmer geendet habe. Auch Chaucer hält das Verfahren Walter’s, wie wir sahen, für ein Wagniß. Dagegen bestand in den bürgerlichen Kreisen, in welchen Hans Sachs lebte, noch die ältere Anschauung von der Unterthänigkeit des Weibes gegenüber dem Manne, wenn diesem auch ein liebendes Entgegenkommen noch nebenbei zur Pflicht gemacht wird. Besonders in Frankreich, in Paris vollzog sich eine freiere Basirung der Frau. Da konnte Markgraf Walter schon blos noch als melancholischer Grillenfänger und seine Handlungsweise als veraltetes Curiosum existiren. Als die socialen Revolutionen die alten Standesbegriffe mehr und mehr über den Haufen warfen, verfiel dieselbe geradezu dem moralischen Strafgerichte. Und doch konnte bei einer Aufführung der Halm’schen Griseldis in Tirol die dortige Landbevölkerung gegen den Ausgang des Dramas noch lebhaft protestiren und die Rückkehr der Griseldis zu ihrem Manne gebieterisch verlangen. So stark war dort im Volke noch die Macht des Alten.

Seit der Composition des Halm’schen Dramas sind weitere vierzig Jahre verflossen, Jahre des mächtigsten Fortschritts auf allen Gebieten, besonders auch in Bezug auf die sociale Stellung der Frau. Das Griseldis-Drama würde heutzutage kaum über den ersten Act hinauskommen. Darum ist die Liebe, auch die treue und aufopfernde, noch nicht aus der Welt hinausgestoßen, sie verlangt nur jetzt Maß für Maß, gleiches Maß für Beide.

Fr. Helbig.