Weihnachtsfeier in Australien
Zu Weihnachten des Jahres 1850 leuchtete in Melbourne der erste deutsche Weihnachtsbaum, entzündet von deutschen Männern, denen Engländer dazu freundlich die Hand geboten. Von den deutschen Männern aber, die den ersten deutschen Christbaum unter dem Himmel des südlichen Kreuzes aufrichteten, darf der Name Anton Markert’s aus Dresden nicht vergessen werden. Entzückt und schweigend standen die englischen Gäste, und unter ihnen selbst der Gouverneur der Colonie, vor der neuen Erscheinung und blickten in die Flammen und sahen den Jubel der reichbeschenkten Kinder, und wärmten ihre Herzen daran, denn sie erkannten plötzlich den ihnen bis jetzt fremdgebliebenen deutscher Geist. Dieser erste Christbaum leuchtete nicht vergeblich, er ergoß seine Strahlen weit hin, und wenn er auch nicht jährlich brannte, so hatte er doch das deutsche Element gehoben, Vereinigung gefördert und der englischen Mitcolonisten Sympathie geweckt.
Hinübergeführt in diese neue Welt war unser alter Weihnachtsbaum aber erst durch die Revolutionen der Jahre 1848 und 1849 geworden; sie warfen ein anderes und größeres Contingent Deutscher nach Australien, als früher je geschehen. Während bisher nur fromme Secten und einzelne Arbeiter und kleine Landbauer aus Deutschland eingewandert waren, die nicht vermochten den Deutschen emporzubringen, landeten damals intelligente, muthige deutsche Männer aus allen Lebensstellungen, die sich nicht scheuten, sich jeder Arbeit zu unterziehen, den härtesten Entbehrungen und Drangsalen die Stirn zu bieten, um als freie Bürger einer freien Erde dazustehen. Dazu brachten sie das Gefühl der Zusammengehörgkeit mit, das Gefühl eben, welches zu jener Zeit als Hochverrath in der Heimath galt und welches die Geißel wurde, die sie hinauspeitschte. Dies waren die eigentlichen deutschen Pioniere, die dem deutschen Namen die Erde lockerten, daß er wachsen und reifen konnte. Viele mußten sofort hinaus in die Wildniß, um auf ferngelegenen einsamen Stationen vorerst ihr Dasein zu fristen; diejenigen aber, welche Unterkommen in der Stadt fanden (denn Städte gab es dazumal in Victoria noch nicht), traten zusammen, gründeten einen deutschen Verein, sammelten Mittel zur Unterstützung weiterer deutscher Ankömmlinge, und sie waren es dann auch, die einen riesigen Christbaum zum Besten armer Kinder schmückten. Wahrhaftig, nur der weiß es, der lange Jahre in weiter Ferne geweilt, daß Weihnacht mehr als jedes andere Fest die Sehnsucht zur Heimath heraufbeschwört und stilles Heimweh in seinem Gefolge führt, das nur durch rechte und echte liebe alte deutsche Feier des herrlichsten Herzens- und Glaubensfestes gemildert wird.
Ehe diese deutsche Feier bis zu unseren Antipoden vorgedrungen war, hatte sie bei den civilisirten Bewohnern Australiens durchweg eine andere, den englischen Christfestsitten und den klimatischen Anforderungen gleicherweise Rechnung tragende Gestalt. Der deutsche Einwanderer muß sich nämlich erst klar werden, wo er ist, ehe er sich überreden kann: es ist Weihnacht! Vor einem kurzen Jahre noch lagen zu dieser Zeit Flur und Wald im Schnee vergraben, mächtige Krystalle hingen vom Dache seiner Hütte herab und wunderliche Eisblumen bedeckten seine Fenster. Das war in der Heimath. Hier glüht, blüht und duftet es!
Der Engländer nimmt die Gewohnheiten seines Lebens mit in die Welt hinaus. Roastbeef und Pudding, die zwei Hauptbedingungen seines Weihnachtsfestes, fehlen niemals, und Kirchegehen und Schmausen wechseln mit einander ab. Der zweite Weihnachtstag, der sogenannte Boxing-day (box gleich Kistchen, Schachtel) ist der hervortretende Freudentag, da an diesem Tage sich Alles Geschenke zuschickt, was sich liebt oder zu lieben vorgiebt.
In der Hauptsache bleibt sich der Engländer in der Feier dieses Festes auch in Australien gleich, aber statt wie daheim beim behaglichen Kaminfeuer zu verweilen und durch die angelaufenen Fensterscheiben in den nebligen, dämmerungsartigen Tag zu blicken, ruft ihn hier die strahlende Sonne, die blühende Natur, die summende Käferwelt in’s Freie, und er verläßt die erhitzten Räume und flieht hinaus, wo schattiges Dunkel und wohlthuende Kühle ihn umgiebt. Aus diesem Grunde hört Weihnachten auf, ein häusliches Fest zu sein – es wird ein Sommerfest, ein Johannisfest der Antipoden.
Welche reizenden bunten Bilder würden unsere Augen bezaubern, könnten wir aus der Vogelperspective das bunte Leben und Treiben an diesem Feste, besonders des zweiten Tages, beobachten, da dies aber nicht möglich, so wollen wir die Freuden dieses Tages in einzelnen Bildern genießen und nehmen zum Schauplatze unserer Beobachtungen wiederum Melbourne, die stolze Metropolis Victorias.
Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag. Die Sonne geht glühend auf, so dunkelglühend, daß wir, indem sie sich über den Horizont erhebt, ungeblendet in ihre feurige Scheibe blicken können. Dies verspricht einen sehr heißen Tag, a smoking-day, wie der Australier ihn benennt. Bald aber wird sie heller, strahlender, flammender, sie saugt die Kühle des Morgens schnell auf und läßt uns ihre brennenden Pfeile fühlen.
Nun werden die Straßen belebt. Fuhrwerke aller Art, vom gewöhnlichen Fabrikskarren bis zum feinsten Gig oder Phaeton, bevölkern sich mit lustigen, lebensfrohen Wesen, deren heitere Gesichter und fröhliches Gelächter verkünden, daß sie diesen Tag zur Freude bestimmt haben und kein Mißton dieselbe stören soll. Reisetaschen, Kistchen, Körbe und Schachteln, die nöthigen Speisen und Getränke enthaltend, werden vorn und hinten, wohl auch zwischen d’rein gestopft und endlich, nach vielem Busteln und Scherzen ertönt die gewöhnliche Frage: „All on board?“ (Alles herein?) und fort geht es dem Ziele entgegen. Das ist ein Kreuzen, ein Wirrwarr von Gefährten, dazwischen Reiter und Reiterinnen, die nicht allein, sondern deren Pferde selbst coquettiren. [825] „Merry Christmas! Merry Christmas!“ (fröhliche Weihnacht) schallt es hin und zurück, überall grüßend, lachend, scherzend, wie eine fröhliche Kinderschaar.
Außerhalb der Stadt sieht man auf allen Straßen Wagen an Wagen, Trupps von Reitern und Reiterinnen in langen Zügen, oft vom aufwirbelnden Staube verhüllt; sie eilen nach verschiedenen Richtungen den schönsten Plätzen der schönen Umgebung Melbournes zu. Ein ebenso lustiges, buntes Treiben gewahrt man auf der schönen Yarra-Yarra, der „Immerfließenden“. Boote aller Art, mit bunten Wimpeln und Flaggen, bevölkern dieselbe, denn Hunderte benutzen den schattigen, kühlen Wasserlauf, um weiter oben, an reizenden Picknickplätzen unter Melaleucen und Eucalypten mit der größeren Gesellschaft wieder zusammen zur treffen. Lange Eisenbahnzüge mit Tausenden kommen von oder gehen nach entfernten Stationen, besonders aber nach den lieblichen See- und Badeplätzen St. Kilda und Brighton.
In der Stadt ist es jetzt sehr öde geworden, kehren wir daher nicht zurück, sondern besuchen wir einen der verschiedenen Picknicksplätze. Verschiedene Gruppen lagern auf dem weichen Grunde, blendend weiße Tücher sind ausgebreitet, darauf alle möglichen Speisen servirt. Dutzende von Flaschen, deren Etiquetten Porter, Ale und verschiedene Weinsorten bezeichnen, und die zum Theil schon geleert, als „todte Männer“ bei Seite geworfen sind, verrathen, daß man sich hier schon gütlich gethan. Wir treten näher, und obgleich wir Fremde sind, geniren wir uns durchaus nicht und entbieten unser „merry Christmas“.
Das ist die Parole des Tages. Ha, wie das zündet! „Merry Christmas!“ ruft man von allen Seiten uns zu, Hände und gefüllte Gläser bieten sich uns dar, und in der kürzesten Zeit fühlen wir uns heimisch, essen und trinken, lachen und scherzen, treten mit in das Spiel ein: „Kiss in the ring“ (küssen im Ring) und drücken die süße Spende auf manchen lieblichen Mund, der sich zu einer andern Zeit vielleicht schmollend von uns abwenden würde, oder wir engagiren zu einem Tanze nach den Tönen einer Harmonika und einer Violine. Zu diesem Freudentaumel in der Waldeinsamkeit kreischen Kakadus und Papageien, schillernde Eidechsen blicken mit ihren klugen Augen verwundert aus verborgenen Schlupfwinkeln und ein Feind des Menschen, eine Schlange, zieht sich scheu zurück vor solchem Jubel, den sie wohl leicht in Trauer verwandeln könne, hätte die gütige Gottheit ihr nicht die Feigheit als Erbtheil gegeben.
Und solche Bilder wiederholen sich an tausend Orten, bunt und wechselnd, wie es die Umgebung mit sich bringt. Am Seegestade waten die Kleinen im Wasser und jauchzen hoch auf, wenn eine flache Welle weiter hereinschwillt und sie höher benetzt, Andere fischen im krystallenen Seewasser prächtige Algen, noch Andere sammeln Muscheln oder bauen vom glänzenden Seesande Dämme, Burgen und Brücken, während auf höheren Stellen des Meeresufers zwischen Melaleucen und Leptospermen sich ein ähnliches Bild entwickelt wie das vorher geschilderte. Von hier aus aber schweift der Blick über das blaue glänzende Meer, tausendfach belebt durch Boote und Segel.
Aber auch andere Vergnügungen giebt es noch an diesem Tage für Solche, die weniger Sinn für reizende Picknicks haben. Hierzu gehören Races, Regattas und Manöver. Auch sie ziehen Tausende an, besonders die Bewohner der Inlandstädte, die massenhaft an solchen Tagen nach der Hauptstadt eilen, um den großartigeren Festen derselben beizuwohnen.
Dies ist eine kurze, aber treue Skizze der Weihnachtsfeier Australiens, in welcher sich alle Nationen, die auf jener Erde weilen, vereinen, um gleich beizutragen zur Freude und Lust dieses Tages. Aber der Weihnachtsbaum, der deutsche, mit seinem Schmucke und seinen Lichtern, brachte doch erst die rechte Feier in das neue Land, und er gedieh und breitete sich mächtig aus in dem frischen Boden freien Volkslebens.
Selbst ein solcher Herzensherrlichkeit nicht ungefährliches Ereigniß brachte ihm keine dauernde Störung. Die Goldfelder brachen aus, alle Verhältnisse lösten sich und eine Zerstreuung begann, als wenn ein Wirbelwind Alles in die Lüfte führte. Lange Jahre dauerte es, ehe ein ruhigeres Wiederfinden und Zusammentreten, besonders an den Goldfeldern, eintrat, und erst im Jahre 1857 gelang es Schreiber dieses mit einigen Anderen nach vielen Mühen und Opfern, an den Goldfeldern deutsche Vereine zu gegenseitigem Schutze und brüderlicher Unterstützung zu gründen, um unabhängig von den englischen Colonisten dazustehen. Jetzt leuchteten auch die Christbäume, unter großem Zudrang und Jubel der englischen Bevölkerung, an den Goldfeldern, und die deutschen Feste sind es geblieben, die sich der größten Sympathie und der regsten Betheiligung der Engländer erfreuen.
So ist auch seit 1860 das Picknick des deutschen Turnvereins zu Melbourne an jedem zweiten Weihnachtsfeiertage ein hervortretender Punkt unter diesen Festivitäten. Mittags ziehen die Turner mit Musik und wehenden Fahnen von ihrer Halle hinaus nach ihrem Picknickplatze an dem schattigen Ufer der Yarra-Yarra, stürmisch begrüßt von den Tausenden der bereits wartenden deutschen und englischen Freunde. Hier erheben sich Flaggen und Wimpel, Reck, Barren, Ringlauf, Klettermast, Sprungapparate, kurz alles nöthige Turngeräth zu einem Schauturnen. Ein geschmücktes riesiges Refreshments-Zelt mit einem seine ganze Länge durchschneidenden Büffet ist den colossalen Anforderungen des Tages gewachsen.
Da ertönt deutscher Männergesang, die Liedertafel ist zusammengetreten. Alles schweigt – Alles lauscht:
„Deutschland, Deutschland über Alles,
Ueber Alles auf der Welt.“
braust es dahin auf fremder Erde, und
„Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da droben?“
tönt es in die Wipfel uralter Eucalypten. Könnt Ihr ahnen, was da das deutsche Herz empfindet? –
Hierauf beginnt das Turnen, wechselnd mit weiterer Gesängen. Weiter ab spielt ein gutes Musikcorps zum frohen Tanz auf und lustig schweben die Paare auf dem Rasen dahin, und dies bei fünfunddreißig bis vierzig Grad Réaumur.
Dieser Jubel hält an bis Abends, wo in der großen Turnhalle oder einem sonstigen Saale ein solenner Ball und ein flammender riesiger Christbaum, dessen massenhafte Gaben verloost werden, das Fest beschließt, dessen Ende die neue Sonne begrüßt.
Die Engländer lieben die deutschen Feste sehr und gestehen, daß sie Derartiges nicht zu arrangiren verstehen. Besonders aber ist es der Geist, die ungetrübte Heiterkeit und Herzlichkeit, die bei denselben waltet, ohne jegliche Störung. Der Deutsche feiert eben sein schönes Weihnachtsfest in dem Gefühle der Vereinigung auf ferner, fremder Erde.
„Ihr Deutschen seid ein sonderbares Volk,“ sagte einst ein gebildeter Engländer bei solcher Gelegenheit zu mir, „je länger Ihr jubelt, je liebenswürdiger und heiterer werdet Ihr; wir boxen uns gewöhnlich zuletzt.“
Giebt es ein besseres Lob?
Aber der Weihnachtsmorgen bricht auch für Solche an, die einsam auf fernen Stationen, von aller Gesellschaft abgeschnitten, ihren Heerden folgen oder, von Station zu Station wandernd, oft den härtesten Entbehrungen ausgesetzt sind. – Solche Weihnacht ist auch über mich ergangen.
Ich war den ganzen Tag in glühender Hitze gewandert, um womöglich Abends noch eine gastliche Hütte zu erreichen, welche im Lande oft Tagereisen auseinander lagen. Weg und Stege gab es nicht, man mußte die auf letzter Station angegebene Richtung streng beibehalten, oder im günstigen Falle, wenn man einen Fluß als Führer hatte, denselben in allen seinen Schlangenwindungen verfolgen, um ihn nicht bei einer scharfen Wendung zu verlieren. Ich freute mich auf eine Tasse Thee, ein Stück Damper (in Asche gebackenes Buschbrod) und ein Stück saftigen Fleisches. Aber es dunkelte mehr und mehr und kein Anzeichen einer Hütte erschien, und obgleich ich den weitdringenden gebräuchlichen Hülferuf „Coo-eh!“ in die Ferne sandte, das Todesschweigen der Wildniß wurde durch keine Antwort unterbrochen.
Da war es Zeit, innezuhalten, um nicht in der Finsterniß eine falsche Richtung einzuschlagen, die oft verderblich werden kann. Ich warf mein Bündel ab, häufte Holz zusammen, was überall trocken in Massen umherlag, zündete Feuer an, daß die Flammen bald mächtig emporloderten, kaute zur Stärkung etwas Thee, da Wasser nirgends vorhanden, und rauchte dann ein Pfeifchen Tabak.
[826] “Heiliger Abend! In der Heimath brennen die Christbäume!“ dachte ich, und was ich noch mehr dachte, davon braucht’s keiner Meldung.
Das Feuer brannte nieder, ich warf noch etwas Holz nach, breitete meine Decken aus, legte mich auf den harten Waldgrund nieder und blickte nach oben. Dort aber, über den dunkeln Wipfeln der Bäume, flammte es wie tausend Sonnen am dunkelblauen Firmamente, das südliche Kreuz stand hoch über mir und seine Strahlen fielen senkrecht herab in die einsame Waldesnacht. Die Heimathssehnsucht löste sich wie eine Rinde vom Herzen und gab dem neu erwachten Gefühle frommen Vertrauens Raum. Ich stand auf, und beim Scheine des Feuers schrieb ich in mein Tagebuch:
„Heiliger Abend 1851.
Du fragst nach Deinem Weihnachtsbaum? –
So sieh ihn denn dort oben,
Dort in des Himmels dunkeln Raum
Gar golden eingewoben.
Das ist Dein Baum von Gott geschmückt,
Er strahlt und flammt so heiter!
So lang’ noch der Dein Aug’ entzückt.
Was willst Du, Mensch, noch weiter?“
So und ähnlich wird Mancher noch seine Weihnacht feiern auf fremder Erde; möge die Heimath nur Jedem, der wieder zu ihr zurrückkehrt, einen Theil des Wehs und der Sorgen vergelten, die er ihrethalben in treuer Liebe getragen.