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Fliegende Blätter Heft 41 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 41 (Band 2)
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 41, S. 129–136.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
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[129]



Nro. 41.
17. II. Band.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst- Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis für
handlungen, sowie von allen Postämtern und den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W.
Zeitungsexpeditionen angenommen. od. 2 Rthlr. Einzelne Nummern kosten 12 kr. R.W. oder 3 ggr.

Eine Nacht aus dem Leben eines Dichters.
(Fortsetzung.)


Nach und nach vergaß Meister Thomas seine Noth, die dicke Hausfrau, die Gauner, kurz Alles, was ihn sonst härmte; er sang und zechte wacker mit den lustigen Burschen, denen seine muntern Schwänke und witzigen Reden Beifall entlockten. Im Taumel der Begeisterung machte er Liedlein von Liebe und Wein, und sang sie nach eigener Melodie auf eine höchst rührende Weise, zumal da seine Stimme ganz rauh und heiser durch das lange Fasten geworden, und außerdem fürs Singen wenig geeignet war. Auf das allgemeine Dringen der Gesellschaft mußte er seinen bisherigen Lebenslauf erzählen. Nach einigem Räuspern begann er folgendermaßen:

Wenn die Herren meinen, dass ein großer Geist nicht in Elend und Noth gerathen könne, so lehrt die Geschichte gerade das Gegentheil. Wenn wir ihre inhaltsschweren Blätter aufschlagen, so sehen wir schon in den Urzeiten, ich möchte fast sagen in der Kindheit des Menschengeschlechtes den göttlichen Homer, trotz seiner Talente, die ihn vielleicht zu einem Nestor oder Odysseus gemacht hätte, mit seiner Harfe im Arme das Land durchstreichen, und ums liebe Brod singen, auf den Hochzeiten und Kirchweihen und Jahrmärkten der griechischen Bauern. Gehen wir weiter, meine Herren, so finden wir im Lateinerland unter dem vielgepriesenen Augustus einen Dichter, der, wenn auch nicht ausgezeichnet, doch einzig in seiner Art, den schwärmerischen Naso, welchen der Haß und die Rache des Tyrannen, ob mit Recht oder Unrecht, das lasse ich dahingestellt sein, in die wüsten Gegenden des schwarzen Meeres verwies. Man lese seine Trauerlieder; man fühlt seinen Schmerz, seine Klagen, man sieht den Mann, gewohnt des milden Klimas, im Schnee des Nordens zittern, man sieht ihn hinschwinden und ermatten an Körper und Geist; seine Saiten sind verstummt, seine Sinne sind krank aus immerwährender Sehnsucht nach der Heimath, nach dem treuen Weibe, nach dem Töchterlein, nach dem heimischen Herde. Hätte ich die Gabe der unerschöpflichen überraschenden Gleichnisse, der spielenden Witze, des tönelnden schwebenden Ganges der Verse, die Gabe, Alles darstellen zu können, das Hohe wie das Niedrige, ich wäre zufrieden. Lassen wir ihn ruhen im Lande der Barbaren und gehen einige Säcula weiter. Wir sehen den alle Herzen erschütternden Sänger der Hölle, des Fegfeuers und des Himmels, irrend von Land zu Land, verstoßen und verbannt, von der Gnade launischer Fürstlein lebend. Ich will nichts sagen von Tasso, den sie Jahre lang als toll ins Irrenhaus sperrten; ich will nichts reden vom einhändigen Verfasser des Ritters von der Mancha, noch vom weitgereisten Sänger der Lusiade, der in den Straßen zum Betteln gezwungen war, dem armen Camoens; aber unsre großen Geister will ich betrachten, unsre Helden der Literatur durchgehen. Wer hat uns schönere, wer anmuthigere Gedichte geliefert, als Bürger, der edle Bürger, dem sie rauben wollten den Namen eines Volksdichters, und doch singt heut zu Tag noch das Volk die Lieder, die er gedichtet; er aber litt Mangel an Allem, als das Alter ihm nahte, obgleich viele Schuld auf seine eigene Rechnung fallen mag. Und Hölty, der sanfte gutmüthige Jüngling? ich will schweigen von ihm. Aber Schiller? er, den die eine Hälfte Deutschlands zu den Sternen hob, dessen Werke meines Lobes nicht bedürfen, litt sein ganzes Leben hindurch Mangel, und als kurz nach seinem Tode ein kunstliebender Fürst die Asche des Frühverblichenen besuchen wollte, wußte keine Seele ihm die Stätte zu zeigen, wo die sterbliche Hülle moderte. — O Weltundank, du bist groß! Und Sie meine Herren, Sie können sich noch wundern, daß ein großer Geist widrige Schicksale erdulden muß, daß er zu kämpfen hat mit Noth, Entbehrung, Mangel, kurz mit allen möglichen Uebeln? Ich wundere mich nicht, sondern freue

[130] mich vielmehr, darin den großen Geistern ähnlich zu sein, und werde fast versucht, bei mir selbst zu denken, du wirst entweder noch ein großer Mann, oder ein Narr. Das ist nun einmal der Gang der Welt; so lange man lebt, kümmert sich keine Maus um den großen Geist, hat er aber auf seinem ärmlichen Strohlager seinen himmelanstrebenden Geist ausgehaucht, dann baut man ihm Monumente und Statuen, gleich als ob sich die Menschen schämten, ihn im Leben verkannt zu haben."

„Beim Teufel aber auch!" sprach einer, den die Herrn Zeisig nannten, „wer will denn die Aehnlichkeit wissen, die du mit den großen Geistern aller Nationen zu haben dir einbildest? Deine Lebensbegebenheiten sollst du uns erzählen."

„Alles zu seiner Zeit," entgegenredete Thomas und fuhr fort, nachdem er erst seine Kehle angefeuchtet hatte: „In einem stillen anmuthigen Thal mit silberglänzenden, dunkelfarbigen Erlen, himmelanragenden Eichen und säuselnden Birken geziert, bewässert von einem Bächlein, in dessen klarer Fluth muntere Forellen scherzen und Wasserspinnen sich tummeln, dessen Ufer mit einem Kranze von Bachweiden, Schilfrohr und wildem Kalmusgestaude bewachsen sind, liegt ein Weiler am Fuße eines steilaufragenden Berges, von welchem die stolze Burg Seyfriedsberg herabschaut über die schwarzen Tannenwälder, die gelben Eichenbühle und breiten Thalgegenden, weit hinein in die blauen Schneeberge. Zerstreut liegen unten am Berg umher die ärmlichen Hütten der ziegenmelkenden Bewohner, und blicken düster und finster um sich. Sind sie außen unansehnlich, schmutzig und abstoßend, so sind sie innen dies in erhöhterm Maaße. Selten raucht hier ein Kamin bei festlichen Gelagen; nie vernimmt das Ohr den Schall beim Tanze stampfender Füße, oder die Walzer und Ländler vagabundirender Musikanten, weil kein Wirthshaus da ist; nie läutet die Glocke zur Vesper, es müßten nur die Glöcklein der am Abende heimkehrenden Ziegen sein. Hier wurde ich geboren. Mein Vater ist Ziegenhirte im Ort, und heißt der krumme Märtin, weil er auf einem Fuße hinkt, was er den Franzosen zu danken hat, und hütet vielleicht noch heutigen Tages seine Heerde, wenn er nicht unterdeß gestorben ist, wie meine Mutter, die mit Zunder, Feuerstein und Schwefelhölzlein handelte, wobei sie mich mitnahm auf ihre Handelsreisen weit und breit im Schwabenland umher. Da kamen die kongrev'schen Zündhölzlein in die Mode, und dies kostete dem guten Weiblein viele Zähren, und auch ihrem Söhnlein, das nun nicht mehr so herrliche Tage erleben sollte, und so unbesorgt und unbekümmert in die Welt hineinschauen, wie ein junger Spatze." —

„Stoßt an Brüder! der Poet soll leben! Vivat hoch!" -

Nach manchen Unterbrechungen erzählte nun der betrunkene Dichter, wie seine Mutter gestorben, und er mit seinem Kameraden, dem bucklichten Kasparle im Lande herumgebettelt, wie sein Vater, der krumme Märtin, eine Scheerenschleifertochter geheirathet, und diese seine zweite Mutter ihn nicht wohl leiden mochte; wie er ihr deßhalb einen Possen spielte, indem er nämlich alle Häfen und Schüsseln und Fensterscheiben mit der Ofengabel zertrümmerte, ein Loch in den irdenen Ofen stieß und davon lief und im Allgäu Hirtenbube wurde; wie ein menschenfreundlicher Pfarrer ihn studiren ließ, und wie nach dem Tode desselben seine Noth anging, da er ohne Geld, ohne Freunde und Rekommandationen nicht weiter sein Brodstudium fortsetzen konnte, und sich am Ende auf die Schriftstellerei verlegte, und wie er diese schon eine lange Reihe von Jahren getrieben bis auf den heutigen Tag. Zuletzt wollte die Zunge mit den Gedanken nicht mehr gut harmoniren, und es kostete große Geduld, den Unsinn, den er oft schwatzte, anzuhören. Der lange Hans drückte ihm den Hut so tief an den Kopf, daß er nicht mehr sehen und hören konnte, und unmuthig vor sich hinmurmelte: „Sogar das Licht ist erloschen und wie ein Rauschen vieler Gewässer dringt es in meine Ohren, u—" er konnte nicht mehr weiter reden, denn Zeisig zerwalkte mit seinen Fäusten den Hut und das Haupt des armen Poeten dergestalt, daß derselbe vom Stuhl auf den Boden sank und betäubt liegen blieb.

„Erzähl weiter, Dichter, erzähl weiter!" schrieen Alle dem auf dem Boden liegenden Poeten zu; aber der murmelte noch einige unzusammenhängende Worte, und streckte sich lautschnarchend zum Schlafe.

„Der Held der Verse ist selig," sprach der lange Hans lachend und zündete seine Pfeife an; „aber sagt mir einmal, was fangen denn wir an; ich glaube gar, sie läuten schon in die Kirchen?"

„Hast du Geld gefischt, Brüderchen?" fragte der mit der Narbe im Gesicht; „ich brauche jetzt Kniffe."

„Keinen Deut," war die kurze Antwort.

„Will die Tante nicht spinnen? Mußt sie bearbeiten; altes Fleisch will starke Beize."

„Morgen, morgen!"

Während dessen suchte Zeisig vergebens seinen Krug aus dem auf der Neige stehenden Fasse zu füllen. So sehr er rüttelte und das Faß neigte, der köstliche Inhalt floß nur tropfenweise.

„Hol mich der Teufel! die Kufe ist rein ausgepicht," sprach er verdrießlich und stellte seinen Krug auf den Tisch.

„Laßt uns aufbrechen," schrieen Andere; „für heute sei unser Tagewerk geschlossen."

Ein fideler Streich, meinten die einen, sollte heute das überstandene Tagewerk krönen, ein recht fideler Streich, von dem die ganze Philisterschaft reden würde.

„Geht nur mit mir," sprach Zeisig; „da sollt ihr des Lachens genug finden; nicht wahr, Hans?"

„Ja, ja!" bekräftigte, der lange Hans; „geht mit, es wird euch bei meiner Seele kaum reuen."

Einige entschlossen sich mitzuwandern, indeß die übrigen schlaf- und biertrunken nach Hause taumelten, und den versäumten Schlaf nachzuholen suchten, indem sie ein großes Stück vom folgenden Tage dazu benützten. Beim allgemeinen Aufbruche hätten sie beinahe den Dichter vergessen, wenn nicht der erst eingetretene Kellner an den auf dem Boden liegenden Herrn erinnert und gefragt hätte, ob man ihn soll in ein Bett oder nach Hause schaffen. Mit großer Anstrengung und gewaltigem Lärm wurde er auf die Beine gebracht, und folgte taumelnd den Lautlärmenden auf die Straße.

[131]

3.

Gefährlich ists den Leu zu wecken.
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Doch der schrecklichste der Schrecken
Ist der Mensch in seinem Wahn.

Schiller

In der Pavianstraße steht ein hohes altmodisches Haus, das vielleicht schon den Einzug der Schweden mitangesehen, in welchem gar verschiedene Arten von Menschen wohnen. Jedes Fensterlein ist besetzt vom Dachgiebel bis zu den Kellerlöchern, und es müßte ein wunderbarer Anblick sein, alle diese Menschen, vom Hafenbinder an, der unter den Ziegeln horstet, bis zum Salzstößler, der die Regionen um den Keller behauptet, mit ihren Familien auf einem Haufen versammelt zu sehen. Welchein Gemisch von Trachten, Physiognomien und Dialekten würde sich da zeigen und mancher Künstler dürfte vielleicht hier finden, was er vergebens in Bierkneipen und Trödelbuden, in Schnapsstübchen und Wursthäusern für seine Staffelei gesucht. Von allen Bewohnern des Hauses ist jedoch unstreitig am merkwürdigsten ein Schneiderlein mit seiner Familie, nicht so fast wegen der Kunstfertigkeit seiner Nadel, als vielmehr wegen seiner Figur, seinem Benehmen, und der Gabe, Alles zu wissen, über Alles zu raisonniren, jeden Vortheil sowohl im Spiel als in Raufereien los zu haben, überall gewesen zu sein, Jedermann überlisten zu können, Gott und den Teufel nicht zu fürchten und Staat und Religion reformiren zu wollen. War doch das kleine bleiche Männlein mit seinen stahlgrauen Haaren weit herumgekommen in der Welt in früheren Zeiten, und hat mit mancher Jungfer Schwester geliebäugelt, und mancher grobe Bauernhund hat in seinen Stock gebissen oder das Kittelein ihm zerfetzt, und er weiß manches Kloster zu nennen, wo treffliche Kapuzinersuppe und köstliches Schwarzbrod den Gebrüdern Vagabundus gereicht wird, und manches Bauernhäuslein ist ihm bekannt, wo man umsonst auf duftendem Heu oder rauschendem Stroh beherbergt wird. Und, wie kennt sich der kleine Mann in seinem wolligen Röcklein erst in der deutschen Belletristik aus? Mögen sich Andere rühmen, gelesen zu haben die Mysterien von Paris, oder den ewigen Juden und andere Abenteuerlichkeiten, oder Romane von Spindler und Spieß und Kramer, Novellen von Tieck und Goethe und anderes schöngeistige Geschreibe, das heißt ihm nichts; aber die abenteuerliche Historie von der schönen Magelone und vom Doktor Faust, die witzigen Streiche von Till Eulenspiegel und die gräßlichen Thaten vom Schinderhannes und bayerischen Hiesel, die anmuthige Legende von Fortunatus mit dem Glücksseckel und dem Wünschhütlein, und ähnliche treffliche Marktbüchlein ziehen seinen Geist an; diese sind seine Lektüre, und er und sein Töchterlein, welche ihm diese Geschichten bei der Arbeit vorliest, bedauern gar sehr, daß sie so spät in die Welt gekommen, zu einer Zeit, da jene glücklichen Tage verflogen, in denen Quellnymphen und Feen an die Wiege der Kinder traten, sie aus der Taufe hoben, und drei Wünsche zu bitten erlaubten; wo der Nibelungenhort versenkt wurde, und Bettlerinnen zu Königinnen erhoben worden sind. Manche süße Stunde verträumten diese zwei harmlosen Leutchen in jenen Schlaraffenländern, und denken sich Prinz und Prinzessin, Ritter und fahrende Ritterin, und oft läßt der Vater unmuthig die Nadel fahren, wenn er hört, wie dort Alles Geld gehabt und lustig gelebt, und er muß sich jetzt schinden und plagen um sein

bischen Brod, und in jenen Zeiten wäre er sicher ein Paladin geworden oder an König Arthurs Tafel ein berühmtes Mitglied. Gerade das Gegentheil vom Schneiderlein und seiner Tochter ist die Frau. Sie findet größeren Gefallen an der nackten Wirklichkeit, und fühlt sich behaglicher bei Bier und Wurst, und macht auch nicht den geringsten Versuch, den Idealen ihres Gemahls und ihrer Fräulein Tochter nachzufliegen; zwar mag dies auch daher kommen, weil die Flügel ihres Geistes ziemlich erlahmt sind, und überhaupt ihr nur die sichtbare Wirklichkeit zum Aufenthalt angewiesen worden. Trotzdem hat sie einen ungeheuren Respekt vor dem Alles erfassenden Geiste ihres Mannes, der ihr oft Stundenlang vorraisonnirt, und ihr zeigt, was Rechtens ist, und nur, wenn er in rauchigen Wirthsstuben politisirt, wagt sie es, mit Fräulein Tochter auch einige Mäßlein auf sein ferneres Wohl zu trinken.

Noch muß ich, um das Bild dieser Familie ganz auszumalen, hinzufügen. daß das Töchterlein, etwa siebenzehn Jahr alt, eine Schönheit zweiten Ranges sich däucht, obgleich ihr ein Auge in der Bataille mit den Blattern verloren gegangen, und ihr Wuchs also beschaffen ist, daß, wenn man einem Aefflein in ihre Garderobe Zutritt gestattete, und sein Gesichtlein mit Kalk anweißete, der Unterschied kaum merkbar wäre. Sie ist noch nicht über alle Vorurtheile, die in Schulen eingeimpft werden hinaus, hat aber eine bedeutende Portion Hochmuth und Eigendünkel, und stolzirt wie eine Noblesse durch die Straßen, und rümpft gar oft das zarte Spitznäschen über das elendige Bettelgesindel; nur Schade ist es, daß sie wegen ihrer Duodezfigur nicht bemerkt wird, was sie gar sehr ärgert, und Leuten bei jeder Gelegenheit zu erkennen gibt, welche über das naseweise Kind lachen und spotten.

[132] Diese Schneiderfamilie bewohnte die Nobel-Etage über eine Stiege mit der Aussicht in den Hofraum; über zwei Stiegen wohnten drei Studenten, mit langen schönen Bärten, lockigen Haaren und rauhen Bierstimmen. Ihr Benehmen war etwas derb und polterhaft, da es gewöhnlich jungen lebensfrohen Menschen nicht eigen ist, mit den bedächtigen Schritten des Alters ihre Wege zu gehen. Aber dadurch machten sie dem sentimentalen Schneider gar manchen Unmuth und Aerger, und eben so seiner Tochter. Wenn beide gerade den süßesten Phantasien sich überließen, polterten die Wilden entweder die Stiegen herauf, oder sangen und schrieen wie toll, oder machten ein Geklapper und Geklirre mit ihren Rappieren, wie ein Kupferschmied, oder trieben sonst noch andern Skandal, der dem Schneiderlein das Leben verbitterte. Mir nichts dir nichts rannte er eines Tages, als eben das Geklirr und Geklapper am lautesten war, in das Zimmer derselben, und von der Wichtigkeit seiner Person überzeugt, forderte er trotzig Ruhe im Haus; aber die Studenten lachten das blaße Männlein im blauen Biberrock aus, und wiesen ihn höhnisch zur Thür hinaus; da ergrimmte er, und zeigte die ganze Begebenheit ohne Schonung und Mitleid beim Gerichte an, aber dieses konnte dem Ergrimmten keine Hilfe schaffen, da ja Niemand ihn beleidigt hatte, und gebot ihm Ruhe.

Die Studenten erfuhren, was der Schneider gethan, und trieben nun den Lärm aufs Aeußerste; Tag und Nacht ließen sie ihm keine Ruhe, so daß der arme Tropf nicht wußte, was er anfangen sollte, und sich fast den Kopf zerriß und verstudirte, wie er dem Ding ein Ende machen könnte, und zugleich an den Muthwilligen Rache nehmen; aber es fiel ihm kein guter Gedanke ein. So war es schon einige Tage lang gegangen, und das Schneiderlein war ergrimmt bis zur Wuth. Heute war Samstag vor Weihnachten, und am heutigen Tage wollte er den Studentlein zeigen, er, das blasse Männlein mit den stahlgrauen Haaren und dem blauen Biberrocke, was der sei, dem sie den Fehdehandschuh hingeschleudert.

(Schluß folgt.)




Des Herrn Barons Beisele und seines Hofmeisters Dr. Eisele
Kreuz- und Querzüge durch Deutschland.




Reise nach München.
(Fortsetzung.)


Eine Produktion der Münchener Liedertafel, in welcher die Knödel gesotten werden.

[133]

Das Münchener Odeon.
Eingang für Fußgänger.


(Fortsetzung folgt

[134]

Großes keroplastisches Kabinet.
(Fortsetzung.)

(Facsimile: aus einem Schreiben desselben an Don Carlo, in der Bibliothek des Barfüsserkloster Toledo befindlich.)

Roderich Marquis von Posa,
geboren zu Tarragona in Spanien 1554.

Auf der Universität Alcala der Zimmerbursch vom jungen Don Carlos: war beim jungen Spanien und wollte immer Gedankenfreiheit haben; wurde aber eben deshalb und ehe es noch dazu kam, zufällig erschossen am 13. October 1578.

Er war klein von Statur mit einem edlen Antlitz, aber wie man hier sieht nicht ohne melancholischen Ausdruck.


(Facsimilie: gleichfalls durch gütige Verwendung unsers Herrn Vire-Consuls in Tetuan.)


Abd El Kader,
Rebell der Franzosen, Exemir und Emir, geboren den 3. Ramasan 1230 (1814 christl. Zeitrechnung) genannt der Sohn der Wüste.

Ein abgefeimter Verbrecher und Rebell - schwärzlich-braun, wie sein Gesicht, ist auch seine Seele. Fanatisch dem Heidenthume ergeben, kämpft er blind gegen das Glück seines Vaterlandes, und läßt scharf feuern auf die offerirte französische Civilisation; wofür man ihm aber auch heiß zusetzt durch Schwert, Feuer und Rauch. Er erkannte auch bis jetzt die Franzosen nicht an als rechtmäßige Besitzer von Afrika, noch die großen Opfer derselben für Algier, und ist jetzt gar Wilens, mitten in der französischen Provinz Algerienne sich zu etabliren und daselbst afrikanische Colonieen zu grün- den. O England?. . . . . Groß fürwahr sind die Opfer Frankreichs — aber es ist zu hoffen, daß Deutschland als nächster Nachbar von Frankreich, und hochherzig wie immer, die Kriegskosten in Algier decken wird.

(Allenfallsige Beiträge beliebe man an den Herrn Philipp, Diener beim Wachsfiguren-Cabinet, zu mehrerer Sicherheit gegen Quittung abgeben zu lassen.)


(Fortsetzung folgt.)

[135]

Der Regierungsrath.

.

Melodie: Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!

Der Morgen graute, der Regierungsrath
Sitzt schon bei seinen Geschäften,
Ist ausgerüstet für Kirch' und Staat
Mit frisch erneuten Kräften.

5
Er denkt mit Freuden an seine Pflicht

Und schreibet einen neuen Bericht.


Er sitzet und sitzet in den Akten tief.
Hat Weib und Kinder vergessen.
Und hätte, wenn ihm die Frau nicht noch rief.

10
Sogar auch die Mahlzeit vergessen.

Er setzt sich zu Weib und Kindern und spricht
Von nichts als von seinem neuesten Bericht.


Der Regierungsrath nimmt kaum sich die Zeit,
Mit Ruhe das Mahl zu verzehren.

15
Da sieht man ihn schon mit Geschäftigkeit

Zurück an die Arbeit kehren.
Zwar hat er gegessen, doch weiß er es nicht.
Er dachte nur stets an seinen Bericht.


Der Regierungsrath ist geladen zum Thee,

20
Doch denkt er an seine Pflichten,

Gern kann er auf Ball und Assemblée,
Concert und Theater verzichten.
Die Welt hat so große Genüsse doch nicht.
Als ihm gewährt ein guter Bericht.


25
Der Regierungsrath und sein Aktenstoß

Sind ewiglich treu verbunden.
Beneidenswerthestes Menschenloos!
O selig verlebte Stunden!
Und wenn ihm endlich das Herz nun bricht,

30
So stirbt er an seinem letzten Bericht.


Auf dem Büreau.

„Verehrtester Herr Collega! Rehmen Sie gefälligst die eben erschienene Nummer der fliegenden Blätter in Augenschein. Wie ist es möglich, daß die Censur so etwas hat passiren lassen können!? Mir um so unbegreiflicher, da der ganze ehrenwerthe Stand der k. Staatsdiener persiflirt, respective in specie lächerlich gemacht werden zu wollen scheinen dürfte! Was sagen der verehrliche Herr Collega dazu?"



[136]

Die große Pause.
Ja Element, warum fallen denn die Pauken nicht ein? —


Aerztlicher Rath.
Wissen Sie was, gehen Sie in ein auflösendes Bad, das ist das beste, was Sie thun können.


Vor und hinter den Coulissen.

Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. – München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.