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Fliegende Blätter Heft 36 (Band 2)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 36 (Band 2)
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 36, S. 89–96.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Commons
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[89]



Nro. 36.
12. II. Band.
Bestellungen werden in allen Buch- und Kunst- Erscheinen wöchentlich. Subscriptionspreis für
handlungen, sowie von allen Postämtern und den Band von 24 Nummern 3 fl. 36 kr. R.-W.
Zeitungsexpeditionen angenommen. od. 2 Rthlr. Einzelne Nummern kosten 12 kr. R.W. od. 3 ggr.



Mispel, der Kobold.
Ein Pasticcio von C. Spindler.


1.

Der Satz, daß Reichthum glücklich mache, hat sich schon lange widerlegt, und das Leben des grundreichen, jungen, blühenden und glühenden Julius bestätigte ihn auch nicht. Die Unzufriedenheit stand mit ihm auf, und die Zufriedenheit war nicht einmal in seinen Träumen zu finden. Seine Freunde hatten ihn betrogen, seine Geliebte ihn getäuscht, und auf Goldsäcken vertrauerte er ungeduldig seine Tage. Die Abwechselungen des Lebens machten ihm keine Freude mehr, und er, der Vielgereiste, Vielbekannte, vegetirte endlich in seinem Hause, wie die Auster in der Schale. – Reichthum allein macht nicht glücklich, der Irrthum ist erwiesen, und ein unserm Zeitgeiste anklebendes Vorurtheil, das ein Dasein übernatürlicher Geschöpfe läugnet, ist nicht minder irrig. Denn gewiß ist’s, daß Julius, vom Spleen der Langeweile befangen, einst auf einem seiner Speicher unter altem Geräthe herumstöbernd, ein Kästchen fand, antik und bestäubt, und seiner Schlüssel entbehrend, in welchem er, nachdem er es mit Gewalt geöffnet, ein sitzendes Männchen entdeckte, das nur spannenlang und in altspanische Tracht gekleidet war. Der kleine, ziemlich häßliche Gefangene erschreckte den Finder dermaßen, daß er im Begriffe war, das Kästchen zuzuschlagen, aber der Bewohner desselben ließ ein so feines und demüthiges: „Bitte, bitte!“ vernehmen, daß das Mitleid des neugierigen Julius rege wurde. – „Darf ich denn nicht heraus kommen?“ fragte das Männchen durch die offenstehende Deckelspalte, und erwiderte auf Julius Gegenfrage, wer denn der Herr wohl sei? „Ich bin nur ein armes, kleines, hinkendes Teufelchen, gefällig wie jenes, das Herr Lesage einst ziemlich indiskret porträtirte, ein Teufelsbanner hat mich vor etwa zweihundert Jahren hier eingesperrt, und da er zu Deiner Familie gehörte, junger Herr, so wäre es nur eine anständige Galanterie von Dir, wenn Du mich frei ließest.“ – Julius traute kaum seinem Ohre, und um einmal einen Teufel zu sehen, öffnete er behutsam den Deckel, und husch! – saß ihm gegenüber auf einer ausgespannten Wäschleine der kleine Puppenmann im Federhut, Mantel und Kragen, und schlenkerte lustig die Beine, die ihm vom langen Sitzen wohl eingeschlafen sein mochten. – „Grand merci!“ ließ er sich gegen den staunenden Julius vernehmen: „Du bist ein fideler junger Herr, und ich will Dir dankbar sein, ob es mir gleich eine Kleinigkeit wäre, ein paar niedliche Fledermausflügel auszuspannen und von dannen zu fliegen. Sage, womit kann ich Dir dienen?“ – Mit diesen Worten klapperte er mit harten Thalern in seinem Säcklein. – „Verzeihen Sie, mein Bester,“ versetzte Julius artig aber achselzuckend: „Dergleichen Zeug hab’ ich selbst im Ueberfluß, und Alles, was man sich damit verschaffen kann.“ – „Willst Du Gelehrsamkeit?“ fragte der Kleine weiter: „heraus damit. Von diesem Schatze kann ich Dir noch viel abgeben.“ – „Was man davon in’s Haus braucht, habe ich selbst,“ meinte Julius. – „Was hältst Du von der Schönheit und ihrer Gunst?“ fuhr das Teufelchen lachend [90] fort. – „Nichts da“, eiferte Julius: „ich habe Erfahrungen gemacht. Venus schwingt stets den Pantoffel, und ich möchte doch selbst Herr meines Schicksals und meiner Thaten sein.“ – Der kleine Hinkebein lächelte noch skurriler als zuvor. „Du bist herrschsüchtig, mein Guter,“ sprach er: „Aber die Langeweile ist gerade so eigensinnig wie Du. Laß ab vom Kampfe mit ihr. Beliebt Dir vielleicht zum Zeitvertreib ein Bischen zu commandiren? So eben ist hier nebenan ein Feldmarschalls-Dienstchen vakant geworden.“ Julius lächelte beifällig, denn ihm eröffnete sich ein nie geahntes Paradies, und das Koboldchen machte auf sein Kopfnicken hin den nöthigen Hokuspokus.


2.

Die Trommeln wirbelten, die Fahnen flogen und in großer Uniform stand Julius vor dem salutirenden Heere. Er rieb sich die Augen, und konnte auf das wüthende Hurrah! Nur mit einem steifen Bücklinge antworten. Die Obersten und Adjutanten fragten glückwünschend nach seinen Befehlen. Die Generale umstanden ihn mit demüthiger Vertraulichkeit, und seinem Adjutanten, der sich zu ansehnlicherer Länge gestreckt und das ungestaltete Füßlein in einen mächtigen Reiterstiefel verborgen hatte, machten die niederen Staabsoffiziere die Cour. Julius strahlte vor Vergnügen heller als der Stern auf seiner Brust, und das glänzende Waffenspiel, die lärmende Musik, die Feldherrngewalt schienen ihm herrliche Säulen seines künftigen Glückes. Mispelchen, sein wunderthätiger Freund, commandirte aus seinem Munde, lehrte ihm die nöthige Repräsentation, und bald war in allen Gesellschaften nur von dem liebenswürdigen neuen Feldmarschall die Rede. Tausend schöne Augen winkten ihm, tausend weiße Hände boten sich ihm, wie lockende Früchte aus der Ferne dar; er war aber nur allein für seinen hohen Stand eingenommen, und manövrirte und exercirte, daß es eine Lust war. Monate lang hatte das blanke Festleben gedauert, da stellte sich sein Trübsinn wieder ein, den Bemühungen des dankbaren Mispel zum Trotz. – „Das ewige Maschinenwesen!“ brummte Julius öfters in den Bart, und die Soldaten jubilirten, denn nun wurden ihrer Rast- und Ruhetage immer mehrere. – „Du mußt Dich zerstreuen,“ sprach das Teufelchen; „was begehrst Du, kranke Seele?" – „Ach,“ rief Julius, „das Feldmarschalliren wäre schon recht, existirte nur die verdammte Langeweile nicht. Davor schützen aber, wie ich merke, nicht Epaulette, nicht Stern noch Stab. Ich wollte wahrhaftig, es gäbe Krieg. Wo soll der aber herkommen?“ „Will gleich welchen machen,“ tröstete Mispel, klatschte in die Hände, und flugs war der Teufel los, des Königs Manifest über die Gränze, die Marschordre da. „Im Felde ist der Mann noch was werth!“ jauchzte Julius, und ritt seinen Truppen vor auf der Bahn der Ehre und des Ruhms. Das Glück wich nicht von ihm. Mispelchen agirte treu als Adjutant, Spion und Hexenmeister, und eine Schlacht, vorbereitet mit der größten Kunst, sollte den besten Lorbeerzweig zu des Feldmarschalls Ruhmeskrone fügen, als am Vorabend der Erbprinz bei dem Heere eintraf, und seines Vaters Wunsch zufolge, den sogenannten Oberbefehl übernahm. Freilich hatte Julius dennoch Alles zu thun und zu schaffen, und der junge Prinz war noch mit seiner Toilette beschäftigt, als der Feldmarschall schon die Schlacht eröffnete, in eigener Person, auf dem zum Rosse umgewandelten Mispel mehrere glänzende Angriffe leitete, und Wall und Verhau mit Sturm wegnahm. Seine Tapferkeit errang den bedeutenden Sieg; aus war der Kampf, als der Prinz auf dem Felde erschien, und bald nach ihm die väterliche Majestät in der bequemen achtspännigen Kalesche. – „Hast brav gefochten,“ sprach der König mit Freudenthränen, den Sohn umhalsend; „aber so ist es einmal; so erben sie fort in unserm Stamme, die Herrschertugenden. Heil dem Prinzen, dem Sieger, der gleich Cäsar nur kam, sich umsah und überwand.“ – „Heil dem Sieger!“ brüllte das folgsame Heer und Volk, und ein Regen von Orden und Bändern fiel auf des Prinzen wohlwattirte Brust. – „Leidest Du das?“ fragte den versteinerten Feldmarschall sein Roß. – Und er, glühend vor Unwillen, widersprach dem lauten Jubel, forderte Ehre und Lohn für sich, – und erhielt von der Kalesche herab, – die ungnädige Entlassung. – Entrüstet fuhr der König ab, hohnlachend verließen den Gefallenen Offiziere und Gemeine. „Du hast kein Glück als Landgeneral,“ sprach zu dem Zürnenden das Mispelchen; „willst Du’s etwa auf der See tentiren? Einen Admiral habe ich für Dich in der Tasche.“ – Und kaum dachte sich Julius das „Ja“, so war schon Alles geschehen.


3.

Als er die Kanonenschlünde um sich her donnern hörte, alle Schiffe auf der weiten Rhede flaggen sah, die Raaen von Matrosen beladen, wie der Baum von Früchten; als er das Admiralschiff bestieg, und sich auf der großen Treppe von den wichtigsten Unterbefehlshabern empfangen sah, da wurde ihm das Herz weit, und er dankte mit verstohlenem Augenwink seinem treuen Mispel, der in Affengestalt auf dem Geländer saß, und lustig ein Wimpel schwang. – „Gottlob!“ sagte Julius in seiner prächtigen Kajüte zu sich selbst: „Hier ist’s besser. Der bequeme Ueberrock drückt nicht wie die enge Uniform, die Schuhe nicht wie die bespornten Stiefel, und der Jabot, der der Sitte gemäß aus der Weste bauschen muß, dünkt mir angenehmer als der Galanteriekram, den ich früher auf der Brust trug. Und welche despotische Gewalt steht mir hier zu Gebote? Hier auf dem Meere ist Niemand über mir, und, bin ich am Lande, nur der Senat des freien Volks, dem ich diene, und nicht ein verzärtelter Prinz, oder ein neidischer König. Mispelchen habe Dank, hier bin ich glücklich!“ – Mispelchen, der Affenrolle getreu, fletschte die Zähne und lachte possierlich, denn er wußte wohl, daß gar zu bald die Reize der neuen Seewelt für Julius abgeblüht haben würden. – Richtig. Einige Wochen noch, und Punsch und Cigarren schmeckten dem Admiral nicht mehr. Der seemännische Brauch behagte ihm nicht mehr, und er verwünschte seine Instruktionen, die ihm befahlen, als ruhiger Beobachter die freie See zu halten, sich aber durchaus in kein Gefecht einzulassen, ohne fernere Weisung. – „Dort liegen die feindlichen Schiffe!“ zürnte er; die Lauerer wagen sich nicht an uns heran, und wir vergehen hier als langweilige Tagdiebe.“ Die Ungeduld [91] wuchs von Tag zu Tag. Das Fernrohr brachte der Admiral nicht vom Auge, und endlich schwamm der Feinde Flotte heran. „Die wäre verloren“, meinte Mispel, der von Zeit zu Zeit mit durch’s Fernrohr sah; „wenn Du nur nicht retiriren müßtest.“ – „Wer sagt das?“ fragte Julius heftig und voll Kampfbegierde; „danken muß mir’s das Land, wenn ich einen vollen Sieg erringe, und diese Gelegenheit lasse ich nicht vorbeigehen. Der Kapitän lasse die Signale aufziehen! Zur Schlacht rüste sich die Flotte, und Sie, werthester Mispel, geben ein bischen acht auf mich. Die Feinde sind verloren und uns fehlt nur ein ziemlicher Sturm, um sie gänzlich zu zerstreuen.“ – „Den will ich gleich machen“, erwiderte das Teufelchen dienstfertig, kratzte sich hinter den Ohren, und der Wind sprang plötzlich um, wüthete gegen die feindliche Flotte, und ein tüchtiges Unwetter zog mit Donner und Blitz am Horizont herauf. Vom Orlogschiffe donnerten die Lärmkanonen, flatterten die Signale auf und nieder. – Die Schlacht begann, und Julius siegte unter dem Toben der Elemente. Was seinen Kriegern entkam, ging im Meeresstrudel oder unter den Meilenweit nachreichenden Zündraketen, die Mispelchen austheilte, zu Grunde. – Die frohe Botschaft sandte Julius zur Heimath, und erhielt, statt Lohn und Ruhm, die Weisung, sich vor der Nation zu stellen und erschießen zu lassen, weil er seinen Instruktionen zuwider gehandelt. Er fiel aus den Wolken und über seinen armen Teufel her, der ihn nicht gewarnt. – „Ei, was weiß ich von Euren Gesetzen!“ schalt dieser; „ich bin nicht Jurist. Aber, damit Du Dich von meiner Ehrlichkeit überzeugst, will ich Dich mit heiler Haut zu retten suchen.“ „Was willst Du jedoch beginnen?“ „Man sucht unfern von hier einen König. Möchtest Du vielleicht“ – – Freudentrunken sprach Julius sein Bejahen aus, und während er an die Lust dachte, gar keinen Herrn über sich zu haben, hatte er schon die Krone auf dem Kopfe.


4.

Welche Lust, Regent zu sein! Aus dem Balkon des Schlosses stand Julius der Erste, und sah vornehm, – er war schon an Wunder gewöhnt, dem Prunk- und Festzuge zu, den sein treues Volk ihm brachte. Alle Zünfte, mit Gaben ihres Fleißes beladen, triumphirten an ihm vorüber, und unter dem Krönungsmantel klopfte ihm höher das Herz, als das tausendstimmige „Vivat!“ ihm gebracht wurde, als die Mützen flogen und der Weihrauch in balsamischen Säulen empordampfte. „Nun werde ich doch zufrieden sein,“ sprach er leise vor sich hin und klopfte dankbar dem als Page dastehenden Mispel auf die Schulter; „nun bin ich doch frei und meinem Winke stehen alle Freuden des Erdballs zu Gebot.“ – Und da er nun hineinging in den weiten Saal, in welchem die Stände seines Reichs versammelt waren, ihre Huldigung ihm darzubringen, da mehrte sich sein Vergnügen und sein stolzes Bewußtsein – „Heil dem Könige!“ sprachen die Pairs und Repräsentanten des Landes; „doppelt Heil ihm, gibt er bald dem Reiche eine Mutter und kräftige Söhne, Erben seiner Vorzüge!“ – Diese Anspielung war nicht nach seinem Geschmacke, und mit einem kurzen: „J’y penserai,“ entließ er die Getreuen, eine Epoche beginnend, die jeden Tag mit Rosen seinen Weg bestreute. Jagd und Ball, Concert und Illumination, Fackelzug und Heerschau, folgten rasch aufeinander. In langen Zügen schlürfte er den Becher der Wonne; aber so wie dieser der Neige sich näherte, so füllte auch seine Brust sich mit einer Leere, die je länger, je unbehaglicher wurde. Der Teufelspage verschwendete all seinen Scharfsinn, um neue Freuden zu ersinnen, aber auch des Teufels Scharfsinn hat Gränzen, wie jeder geschaffene Geist. – „Mir gefällt’s hier nicht mehr“, sagte Julius einst im trüben Unmuthe, „ich will reisen, nach Jahren erst mein Erbe wiedersehen.“ – „Wenn’s nur angeht,“ meinte Mispel achselzuckend. „Welche Sprache!“ zürnte der unwillige König; man spanne an, man fülle die Chatoulle; morgen schon will ich fort.“ – Da versammelten sich die Stützen des Thrones abermals und sprachen ein gebieterisches „Nein“, weigerten sich, die Chatoulle zu füllen, und ihn von dannen zu lassen. – Julius stand wie verdutzt. „Wer ist denn hier der Fürst?“ rief er, „Ihr oder ich?“ – „Die Verfassung, Herr!“ antwortete der unerschrockene Sprecher, „sie spricht durch unsern Mund. Des Hausvaters Platz ist bei den Seinen; anders wäre es, hätten Ew. Majestät dem Wunsche des Volkes nachgegeben, der Ehe Band geknüpft, und einen Erben uns geschenkt, den wir bewachen könnten als Pfand des künftigen ungestörten Friedens.“ – „Vermessene!“ schalt der König! „Zwang soll ich leiden? Ich werde niemals mich vermählen, und reisen, wenn es mir beliebt.“ – „So werden wir einen andern Herrn wählen,“ erwiderten die Abgeordneten, „denn das erlaubt uns das Gesetz im vorliegenden Falle.“ – Sie gingen davon um den Ohnmächtigen abzusetzen. – „Rathe, hilf!“ sprach Julius, vor Wuth zitternd zu Mispel. – Der Kobold zuckte die Achseln und schwieg. – „Soll ich denn immer Unterthan sein und selbst im Hermelin eines Popanzes Knecht?“ fragte Julius heftig weiter; „lieber wollt’ ich über Heiden regieren, als ferner hier mich necken lassen.“ – „Zu Befehl,“ versetzte der treue Kobold; „zu Damask ist man um einen Sultan in Verlegenheit. Beliebt auch da zu kosten?“ „Herrlich!“ rief Julius, dem alle Märchen der Tausend und Einen Nacht vor’s Gedächtniß traten und schon lag er auf weichen Polstern im Kiosk der Sultane von Damaskus.


5.

Die Neuheit der Gegenstände versetzte den Exkönig in eine Art von Taumel. Vor seinen Fenstern wiegte sich in hoher Luft die Palme, schöne Itschaglans servirten ihm Kaffee und Opium; der Chasnadar bot die Schlüssel zum Schatze, der Kislar Aga die des Harems an; feierlich schweigend umringten ihn seine Kapidschipaschis, und Alles hing nur an dem Zucken seiner Wimpern. Der dienstbare Kobold saß als Papagei auf der Stange. „Ich will ausreiten!“ befahl der Herr und vor seiner Thüre schnaubte das Roß, der Papagay flatterte auf seine Faust, und federgeschmückte Trabanten geleiteten den unumschränkten Fürsten. – Aber, wo er sich auch hinwendete, floh Alles von den Straßen; Thüren und Fensterladen schlossen sich. Kein menschlich Gesicht ließ sich vor dem Herrscher sehen. – „Was ist das?“ fragte er. – „Seit der letzten Plünderung sind die [92] Leute so scheu,“ antwortete der Wessyr. – „Wer plünderte?“ – „Die Wachen Deines Vorfahren, Herr.“ – „Ungestraft?“ – „Herr, die Gerechtigkeit schläft, wenn sie muß. Die Leibwache zählt Tausende und der Sultan ist nur Ein Mann.“ – Julius stutzte und kehrte straks um, aus den öden Gassen und dem leeren Bazar. – „Ich will Zeitvertreib!“ sprach er zu seinem Mispelchen. – „ Besieh Deine Schätze, Dein Serail,“ erwiderte Papchen; „laß Tänzerinnen und Gaukler kommen, oder Einigen, deren Gesicht Dir etwa zuwider ist, den Kopf abschlagen.“ – „Pfui“, donnerte Julius, und dies Wort setzte alle Umstehende in solchen Schrecken, daß sie auf ihre Stirn zu Boden fielen und riefen: „Herr, warum zürnst Du? Befiehl und unser Leben nimm, wenn es Dir ein Lächeln abzuschmeicheln vermag.“ – „Heuchlerbrut!“ brummte Julius zwischen den Zähnen und folgte dem vorwatschelnden Verschnittnen zu den Frauen des Harems. – Welche Reihenfolge von abgehärmten, frechen und phlegmatischen Gesichtern! nirgends Liebe, nirgends Reiz; pure Sklaverei. Julius, die stumm und zitternd Dastehenden musternd, sagte dieses dem Kislar Aga, der seine Peitsche schüttelte, und meinte, er getraue sich wohl, die Damen zärtlicher zu machen. Verächtlich drehte sich Julius ab und ging hinweg. –



„Schon der Zugang zu dem Weiberkerker ist finster wie die Hölle“, sprach er, das schwarze Pfortengewölbe betrachtend. – „Der Platz ist merkwürdig“, entgegnete der Neger grinsend; „hier ward Sultan Hussein ermordet, da er zu seinen Weibern fliehen wollte.“ – Julius schauderte. – „Wer war dieser Hussein?“ fragte er. – „Dein vorletzter Vorfahr“, versetzte der Eunuch; „der Letzte, o Herr, ward in dem Schatzgewölbe erdrosselt, was Dir der Chasnadar bezeugen wird, denn er selbst hat die Trabanten angeführt.“ – „Scheußlich!“ schrie Julius; „ist denn Damask eine Mordgrube und bin ich von Missethätern umringt?“ – „Allah ist gerecht!“ sagte der Kislar Aga, sich demüthig verbeugend; „des Menschen Leben ist aber kurz und seit undenklichen Zeiten kein Fürst von Damaskus eines natürlichen Todes gestorben.“ – Wie vor einem Verpesteten floh Julius vor dem schwarzen Unglücksvogel und rief seinem Kobold zu: „Fort Mispel, fort mit mir! Lieber in eine Einsiedelei der Wüste, als länger hier verweilen, wo der Knecht dem Herrn mit dem Schwerte gebietet.“ – „Nach Gefallen!“ krähte der bunte Vogel; „halte Dich an meinen Schwingen fest. Am Berg Sinai steht just eine Anachoretenwirthschaft ledig. Ehe Dein Mund dem schönen Damask „Adieu!“ zurückrufen mag, sind wir dort!“


6.

Für Julius, den Diogenes der Wüste, waren die Sorgen der unkultivirten Welt ein Unding geworden, so wie ihre Bedürfnisse. Das benachbarte Kloster sandte ihm Lebensmittel; in der Verlassenschaft seines Vorgängers fand er Lumpen zur Bedeckung, ein Moosbett zur Ruhe, ein Kopfkissen von Stein, und ein coptisches Sentenzenbuch, das er – Dank sei’s dem Koboldchen, das ihn häufig besuchte, – bald verstand. Der Welt müde, lebte er geraume Zeit in der Ruhe eines Weisen, und achtete sich glücklich, keinem Menschen unterthan zu sein in seiner dürftigen Beschränktheit. Lange hörte Mispelchen bei seinen Visiten nur die Versicherung aus Julius Munde, daß er zufrieden sei. Nach und nach wurden aber die Unterhaltungen einsilbiger; Julius gähnte und der Kobold nicht minder. – „Du hast wieder Langeweile,“ sagte endlich Mispel; „und, meiner Treu, ich bin davon angesteckt. Wie kann man es Dir denn recht machen, Du Unbestand?“ – „Ei,“ versetzte Julius: „wie sollte man auch nicht unwirsch werden? Sieh einmal den Himmel an, der ewig blau und klar ist, ohne Veränderung und ohne Regen. Sieh diese Klosterkost; ewig dieselbe abgeschmackte Küche. Das Buch hier weiß ich auswendig; zur Bearbeitung gibt sich der dürre Boden nicht her. Dies Kleid wird in die Länge unerträglich, und zudem … wäre ich nur, wie ich mir schmeichelte, mein eigener Herr! Aber die Beduinen sind’s, Verehrtester, die mir von Zeit zu Zeit wegnehmen, was ich sammelte, meinen Brunnen durch ihre Kameele verunreinigen, und mir beim leisesten Widerstand den Tod androhen. – „Ach!“ – er schwieg mit einem Seufzer. – „Was soll ich denn für Dich thun?“ fragte Mispel lachend! „Fünfmal that ich Dir zu Willen. Ein sechstesmal nur vermag ich noch Deinen Stand zu ändern. Merke jedoch auf: Behagt Dir auch die neue Sphäre nicht, so bist Du mein Serviteur ohne Widerrede, und ich werde Dir in meiner Heimath ein Bedientenkämmerchen anweisen lassen. Bedenke also genau und wähle.“ – „Das lange Fasten hat meinen Geist schwach gemacht,“ versicherte Julius! „Ich weiß nicht mehr, was ich will und was ich soll. Aber um Alles in der Welt; aus dieser Streusandbüchse schaffe mich fort. Wäre ich nur ein geringer Mann, hätte ich sogar Weib und Kind, ich würde glücklicher sein, als in dieser Einsamkeit, in welcher selbst Deine seltne Nase mir alltäglich wurde. – „Topp!“ jauchzte das Koboldchen! „in diesem Augenblicke ersäuft bei Ceylon ein Gärtner, der, exotische Gewächse zu holen, den Ocean überschiffte, und schon wieder auf der Heimkehr begriffen war. Tröste Du die Hinterbliebenen.“ – „Wen?“ – „Die Frau, die Kinder, den Hausfreund.“ – „Gott bewahre mich!“ rief der entsetzte Julius, der sich beim Worte genommen sah; aber in diesem Augenblicke stürzte eine Araberhorde herbei, um dem armen Julius den Garaus zu spielen. Dieser hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als sich in sein Schicksal zu fügen. Mispel verwandelte sich daher in riesigen Spuck, nahm den Schützling unter den Arm, schlug sich mit ihm durch die Beduinen, und setzte ihn in Deutschland, mit einem Ränzchen bepackt, vor einem niedlichen Hause nieder.

(Schluß folgt.)

·



[93]

Ansicht des Versammlungsortes. a) Die Burg. b) Das Antiquarium. c) Das Rathhaus. d) Der Schnaps- oder Storchenthurm. e) Der Löwenthurm. f) Das Observatorium. g) Das Johannisbergerthor. h) Das Ständehaus. i) Die neue Schlafrockfabrik. k) Das allgemeine Krankenhaus.


Die Journale begeben sich in feierlichem Aufzuge unter dem Vortritte


des Rathspedells und Stadtbannerträgers nach dem Sitzungssaale.

(Fortsetzung folgt.)



[94]

à Zweifi.



s’ Red’t der Herr Pfarra
s’ red’n die Leut
So viel vo ̃ an Himmi
Und der himmisch’n Freud. –

5
Dees will i ̃ aa ̃ zua ̃ geb’n

Und i ̃ moa ̃ es is gwiß,
Das schöna in Himmi
Als bei uns herumt is.

Aber oa ̃s muaß i ̃ sag’n

10
Dees bigreif i ̃ nit recht

Und oa ̃s nur dees waar’s
Wo i ̃ aufi nit möcht! –

Wenn oam der lieb Herr Gott
A ̃ Dienderl hat b’scheert

15
A ̃ liebs und a ̃ guats

Die o ̃am’s’ Herz ganz vokehrt.

Und´s kimmt der sel Stöffi
Reißt d’Herzln vo’nand,
Wie auf dera Welt all’weil

20
Nix Schö ̃s hat an ̃ B’schdand.


Wie waar’s dir denn nacha,
Wannst in Himmi ’nauf fliegst,
Und drunt aber ’s Dienderl
Am Grab sitzen siegst?! –

25
Sie schaugt aa ̃ ’nauf zum Himmi

Mit rothgwoa ̃ nti Aug’n
Als wollt’s vo’ da dromat
Ihra Glück aba schaug’n. –

Aber alles was s’ g’habt hat

30
Des weni was’ s’ will

Dees allero ̃anzigi Herzl
Steht für allaweil still. –

Und ohni dees Herzl
Da ko ̃ ’s nimmer sey ̃

35
Und es waar ihr dees liebsti

Ma grabat’s aa ̃ ei ̃.

Wenn drunt’n ’as Diendl
So in Herzload vogeht
Glaabt’s ebba in Himmi

40
Da gmahnat’s oa ̃m net?


Denn a ̃ Lieb, die schö ̃ frumm is,
Und wahrhafti und treu,
Glangt weiter als ’s ’Leb’n,
Geht in Himmi mit ’nei.

45
Wo kaam nacha d’Freud her,

Und waar’s wie d’er will schö ̃,
Und waar's wie d ̃er will lusti
Es thaat dir vo ̃geh ̃.

Wie’s da der lieb Herr Gott

50
Wohl ei ̃ g’richt mag hab’n,

I ko ̃s nit bigreif’n
Es kinnt’s mir’s nit sag’n! –

H. Glockner.


[95]

Großes keroplastisches Museum.
(Fortsetzung.)



(Diese beiden Facsimiles sind der Mauer der Akropolis und einer Wand des Tempels in Aegina entnommen, wohin Sokrates, wahrscheinlich zum Zeichen seines Dagewesenseins seinen Namen schrieb, wie ja bei uns auch noch Manche thun, z. B. KYSELAK u. s. w. Eine gar schöne Sitte und nicht ohne Nutzen, die aber leider in Verfall zu kommen droht.)

(An Ort und Stelle wurden diese Inschriften copirt von unserm Landsmann, dem ehemaligen Philhellenen Jakob Schneckenberger, jetzt Eisenbahnwärter in Donauwörth.)


Sokrates,

Dr. philos. geboren in Athen, am 2. Februar 472 (am Lichtmeßtag).

Rühmlich bekannter Philisoph im alten Griechenland, widmete sich dem Schulfache. Bei uns hauptsächlich durch seine Frau bekannt, die böse Xantippe, die jeder kennt. (Diese unglückliche Ehe, wie man weiß, war aber die glückliche Veranlassung, daß Sokrates Schüler, Plato, einige Jahre später die sogenannte platonische Liebe erfand, nach dem Erfinder so benannt. Diese Liebe hat sich, beiläufig gesagt, bis auf unsre Zeit erhalten, und wird noch häufig, wiewohl nicht immer mit gleich günstigem Erfolge, angewendet.)

Sokrates hat sehr vieles geschrieben. Seine Werke sind alle in Leipzig bei Tauchnitz erschienen.

Sein Costüm, wie wir hier sehen, ist ein neuer Beweis für die Abstammung der heutigen Griechen von denen des alten Griechenlands; Der Feß z. B. hat sich ganz so bis auf unsere Zeit erhalten.





(Aus der k. Bibliothek in Paris.)
Peter Freiherr von Steinguet,
bekannter unter dem Namen: Bayard der Ritter ohne Furcht und Tadel, geboren am 1. Oktober 1475.

Zu Anfang des 15ten Jahrhunderts verließen die Freiherrn von Steinguet, die Ahnen unsers Helden, wegen den verderblichen Unruhen in Deutschland ihre Besitzungen, (Schlösser Lehming und Steinguet an der böhmischen Gränze, jetzt beide in Ruinen) und wandten sich nach Frankreich, wo Carl VII. sie freundlich aufnahm. Daselbst erwarben die von Steinguet das Schloß Bayard in der Dauphiné, und gallisirten ihren Namen in du Terragli oder du Terraill.

Die bekannten ritterlichen Eigenschaften derer von Steinguet, so wie besonders die Denk- und Landesweise dieses unsers Bayards selber, der durch Vermittlung von soliden Leihbibliotheken und Schaubühnen ehedem das Ideal aller unserer gebildeteren Stubenmädchen zwischen dem 16ten und 25ten Jahre war, passen übrigens ganz und gar nicht mehr in unsere Zeit, und gehören überhaupt jetzt zu den Ridiculitäten; die Familie Bayard ist überdieß auch ganz ausgestorben, und jetzt höchstens noch als historische Rarität zu betrachten.

NB. Der Kopf an der Figur ist beweglich, und wenn man ihn hier auf dein Bilde sehr lang, aber sehr lang anschaut, so meint man wirklich, er drehe sich langsam herum, was bei dem noblen ritterlichen Aussehen des Helden wirklich ungemein gut läßt.




(Fortsetzung folgt.)

[96]

Carneval-Erinnerungen.



„Mein Herr, ich bedauere unendlich, bis zum Jahre 1851 bereits auf alle Tänze schon engagirt zu sein; wenn Ihnen indeß der erste Walzer 1852 beliebt – avec infinement de plaisir.“




Wissen Sie, wie Herr Weichselberger zu seiner Frau gekommen ist? – Ich will es Ihnen sagen! – Herr Weichselberger sitzt im Concert, neben ihm eine Dame; die Symphonie reißt ihn hin – Alles vergessend drückt er seiner Nachbarin krampfhaft die Hand, sie aber lispelt mit holdem Erröthen: „Sprechen Sie mit meiner Mutter.“





„Aber ich bitte, sich jetzt auch zu demaskiren.“

„Fräulein belieben in der That zu scherzen – ich bin ja gar nicht maskirt.“





„An solch’ einem Abend wissen die Fiaker so nicht, was sie begehren müssen, und für die achtzehn Kreuzer, die das Hinfahren kostet, mache ich den ganzen Ball mit.“




Redaction: Caspar Braun und Friedr. Schneider. München, Verlag von Braun & Schneider.
Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.