Fliegende Blätter Heft 28 (Band 2)
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4. | II. Band. |
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Mitternacht. Der Wächter schreit die zwölfte Stunde aus, – (ein sehr schwieriges Stück Arbeit für den Pantomimen, worauf die verehrlichen Zuschauer im Voraus aufmerksam gemacht werden ;) und sogleich erscheinen verschiedene Gespenster, welche eine infernalische Polka tanzen. Eine zahlreiche Versammlung von Eulen und Käuzchen bildet das Orchester, zu dessen Beleuchtung verschiedene Irrwische umhergeistern. Der Himmel ist mit schwarzen Wolken dicht überzogen, aus denen der Regen in Strömen niederstürzt. Rechts, links und im Hintergrunde Windsbrauttoben, Rheumatismen und Gichtschmerzen. Blandine liegt auf der Bank unter dem Apfelbaume und winkt unaufhörlich mit einem weißen Taschentuche folgendes Lied:
Es geistert mich ganz fürchterlich,
Mein armes Herz entsetzet sich!
Auch war ich nie so spät allein
Bei Donnerschlag und Blitzesschein!
Sie wiederholt diese Arie zehn- bis zwölfmal zur besseren Verständlichkeit für den Zuschauer. Unterdessen ist Lenardo aufgetreten, sucht Blandinen, findet sie aber nicht; tritt aber bald diesem, bald jenem Gespenst auf die zarten Füße, wofür er unzählige, unsichtbare Ohrfeigen einerntet. Die letzte derselben wirft ihn Blandinen vor die Füße.
Lange Umarmung, während der sich im Hintergrunde der Molch mit einer Blendlaterne herbeischleicht, die auf die Umarmung ein sehr schiefes Licht wirft. Der Molch hält in der Rechten den gezückten Dolch, und führt außerdem noch eine Fliegenklappe
[26] mit sich, weil er gern zwei Fliegen auf einen Schlag treffen möchte. Das Gewitter wird immer heftiger, der Geistertanz immer wilder; die Eulen und Käuze schreien sich fast heiser, der Regen strömt noch dichter, die Irrwische verlöschen, und das Pärchen findet es für gerathener, sich in das Schlafzimmer Blandinens zurückzuziehen. Der Molch beobachtet Alles mit der größten Aufmerksamkeit, tritt vor und will etwas Außerordentliches agiren – allein der Wächter ruft Ein Uhr, die Gespenster fahren wild durcheinander, werfen den Molch zu Boden, und können in der Verwirrung keinen Ausweg finden. Der Vorhang benützt den allgemeinen Aufruhr, und fällt, um das Publikum vor möglichen Anfechtungen des Geisterreiches zu schützen.
Ein halb zerfallenes Kellergewölbe, schwach von einem schwindsüchtigen Nachtlichtchen erhellt. Im Hintergrunde auf einem alten Sopha Lenardo und Blandine mit zärtlichem Liebesgeflüsteragiren emsig beschäftigt. Rechts strömt durch die Ritzen und Spalten der Regen herein; links eine Thüre, die in einen zerfallenen unterirdischen Gang sehen läßt. Durch denselben nahen sich der König von Burgund und der spanische Molch. Ersterer macht diverse ungläubige Gestus, die ihm Letzterer durch alle mögliche entgegengesetzte auszuagiren versucht. Große Lausch- und Horchscene, durch welche folgendes Quartett ausgedrückt wird:
Dir bin ich ewig zu eigen!
Du bist mir ewig zu eigen!
Ha! sie ist ihm ewig zu eigen!
Ja sie sind sich ewig zu eigen!
Nur dir will ich Liebe bezeigen!
Wie vergelt’ ich die Lieb’ ohne Gleichen?
Kaum kann meine Wuth ich verschweigen!
Meine Rache, sie soll euch erreichen!
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Dir bin ich ewig zu eigen,
Nur dir will ich Liebe bezeigen!
Du bist mir ewig zu eigen,
Wie vergelt’ ich die Lieb’ ohne Gleichen?
Ha! sie ist ihm ewig zu eigen,
Kaum kann meine Wuth ich verschweigen!
Ja sie sind sich ewig zu eigen,
Doch die Rache, sie soll euch erreichen.
In der höchsten Aufregung entfällt dem Molch der Dolch, Lenardo erschrickt bei dem Geräusch, springt auf, will durch den unterirdischen Gang entfliehen, wird aber sogleich von unzähligen Dolchstichen durchbohrt, sinkt mit etlichen verliebten Abschiedvomlebengestikulationen zu Boden und stirbt. Der Molch beweiset seine anatomischen Kenntnisse, indem er dem Unglücklichen geschickt das Herz herausschneidet, worauf sich die Beiden meuchlings entfernen. Blandine ist auf dem Sopha sanft eingeschlafen und agirt einen
süßen Traum. Zuletzt verlischt das Nachtlicht und der Vorhang verhüllt wehmüthig die Scene.
Die Sonne küßte mit ihren heißesten Strahlen die stillen grünen Fluthen des majestätischen Rheines und vergoldete die Rebhügel und Waldesgipfel mit ihrem reinsten Golde. Der Himmel prangte im schönsten Blau und die Luft war so frisch und klar, daß eine unaussprechliche Lebensfreudigkeit jede Brust durchströmte. –
Diese poetische Einleitung ist um so nothwendiger, als die merkwürdige Begebenheit, die ich dir, freundlicher Leser und holde Leserin, jetzt erzählen will, sich im jüngsten Juli ereignete, in welchem Monat bekanntlich das deutsche Wetter so verdrüßlich war, daß der Sonnenschein in’s Reich der Fabel verbannt wurde, und die arme Menschheit nicht mehr wußte, ob sie auf dem Lande gehen oder schwimmen sollte.
Ich befand mich auf dem berühmten Dampfer „Elberfeld.“ Merkwürdigerweise hatten sich nur wenig Passagiere am Bord eingefunden, und deßhalb mußte eine von den übrigen Reisenden abgesonderte Gruppe doppelt auffallen. Diese Gruppe, eine Berliner Familie, bestand aus fünf Personen. Der Patriarch derselben, ein hypochonderischer Justizrath aus Berlin, gönnte von seinem sterblichen Theile dem Auge seiner Nebenmenschen nichts als eine lange Nase. Dieses sehr hervorragende Geruchsorgan abgerechnet, war sein vergänglicher Leib wie eine egyptische Mumie von Shawls, Makintoshs, Wämmsern und Jacken so eng umwickelt und umhüllt, als ob er seine Kleidungsstücke als schweißtreibende Mittel gebrauchen wollte. Und dennoch war er eigentlich gar nicht angekleidet, sondern immer nur im Ankleiden begriffen. Bald zog er, aus Furcht vor einem tückischen Zugwind, einen Pelz über den Sackpaletot; bald vertauschte er den Sackpaletot mit einem weiten, doppelt wattirten Schlafrock und den Pelz mit einen kragenreichen Mantel. Kurz, der Hypochonder hatte seinen Koffer und Mantelsack auf dem Leibe, so daß man sich gar nicht denken konnte, was eigentlich von ihm übrig bleiben könne, wenn er Abends in’s Bett stiege.
Die menschlichen Kräfte dieses Mannes hätten bei diesem ewigen Ankleiden und Kleiderwechseln nicht ausgereicht, wäre er nicht dabei von seiner Tochter Mina auf’s hülfreichste und sorgfältigste unterstützt worden.
Mina war ein bleiches schwärmendes und schwärmerisches Mädchen, über dessen blondes Haupt mehr als sieben und zwanzig Berliner Lenze dahingegangen. Mina hatte nicht allein blaue Augen, sondern auch blaue Ränder um dieselben; sie trug nicht allein ein blaues Kleid, sondern auch ein blaues Tuch und ein blaues Band im Haar, so daß sie aussah wie die verwelkte Unschuld im Gewande der Sanftmuth. Mina war stets in Extase, und zwar in jener Extase, die gern Proselyten macht. Alles, was in ihrer Nähe war, mußte sich mit ihr der Begeisterung unterwerfen. Sie begnügte sich nicht mit ihrer eigenen Schwärmerei; sie wollte Mitschwärmer.
[28] Man kann sich nun denken, welche Nahrung Mina in der herrlichen Naturumgebung für ihren poetischen Fanatismus finden mußte. Leider aber fand sie in der Hypochondrie ihres Vaters oft die heftigste Störung für ihren Enthusiasmus. Wenn Mina so recht in dem Ausbruch ihrer Begeisterung war, wenn (um mich bildlich auszudrücken) dem Vulkan ihres Herzens die kühnsten Gefühlsflammen entloderten, da tönte es: „Minchen, gib mir die Pillen!“ oder: „Minchen, reich’ mir die Filzschuhe!“ Solche prosaische Wünsche eines hypochonderischen Gemüthes kühlte wie ein Douchebad die heiße Extase der Blondine, glücklicherweise aber doch nur auf wenige Augenblicke. Mina’s Begeisterung brannte wie das griechische Feuer auch unter dem Wasser.
Mina’s Mutter, eine Frau, wenn auch nicht im weitesten, doch wenigstens vom weitesten Umfange, suchte ihre feste Gesundheit durch die unausgesetzte Thätigkeit ihres Appetits noch mehr zu befestigen. Ihr Strickbeutel war beständig auf eine ganze Woche verproviantirt. Brödchen mit Umständen, Göttinger Wurst, Kuchen, gebrannte Mandeln, Makaronen, Biscuits, kurz: Alles, was das Leben verschönt und versüßt, befand sich in diesem Beutel, und die gute Frau Räthin that ihr Möglichstes, um diese herrlichen Dinger nicht allzusehr altern zu lassen. Sie kam übrigens ihrem Gatten nicht von der Seite, und schützte ihn durch ihre Breite wenigstens theilweise vor verderblichen Erkältungen. Die Frau Räthin kannte indessen nichts Höheres in der Welt, als ihre Tochter Mina. Sie war noch einmal so stolz, wenn sie der begeisterten Tochter in’s Antlitz sah; sie betete in dieser gewissermaßen sich selbst an.
Das vierte Glied dieser seltenen Familie war Edgar, ein langer dürrer rothhaariger Junge, der trotz dem häufigen Turnen auf der Hasenhaide so dünn war, wie eine gespaltene Pechfackel. Seine Beine wären ohne die gewürfelten Hosen gar nicht sichtbar gewesen; er stand so zu sagen auf nichts. Indessen war er als jüngster Sohn der Gegenstand heißer Liebe. Das fünfte Familienglied war Friedrich, der alte Bediente, ein Familienstück, das sich von den Eltern des Justizraths auf diesen fortgeerbt, eine treue, gute, deutsche Haut, zum Diener wie geboren, zum Gehorchen wie geschaffen. – Ich hatte diese Familie in einem Kölner Gasthof kennen gelernt. Ich weiß nicht, ob ich mich ihr, oder ob sie sich mir angeschlossen; genug: wir machten die Reise nach Mainz auf gemeinschaftliche Begeisterung. Mina hatte mich zu ihrem Mitschwärmer gewählt. Kaum waren wir Bonn vorübergereist, als ihr Enthusiasmus erst[1] recht ausbrach. Sie bewunderte, und ich mußte mit bewundern; sie deklamirte, und ich mußte mit deklamiren; sie weinte vor Entzücken, und ich mußte vor Entzücken wenigstens schluchzen.[2]
„Ha!“ rief Mina, als wir Nonnenwerth und Rolandseck vorbeifuhren, „da oben hat jenes ritterliche Gemüth geliebt und gelitten, jenes ritterliche Gemüth, das jeden Morgen hinuntersah,“ „bis die Liebliche sich neigte?“
„Zu dienen, mein theures Fräulein!“ erwiderte ich „ Es war ein frommer, keuscher Ritter, der im Ausland sich durch vieles Fechten einen großen Ruf erworben und im Inland durch seine Liebe die deutsche Balladendichtung bereichert hat. Ritter haben wir zwar noch jetzt; aber wenn sie auch zuweilen fechten, an keuscher Liebe sterben sie nicht mehr.“
„Welche Poesie! Welche Romantik!“ rief Mina begeistert. „Wie herrlich muß es sein, hier zu sterben!“
„Doch noch herrlicher hier von Renten zu leben,“ seufzte ich.
„Große Natur, wie reich bist du!“ rief Mina in der heftigen Feuersbrunst ihrer Extase. „Wie unaussprechlich beseligend ist es, aus dem Born der Natur zu trinken! Mein Herz erweitert sich; mein“ –
„Mein Luftkissen, liebes Minchen,“ unterbrach der Justizrath, und mit erstickter Poesie im Herzen eilte die Tochter das Verlangte zu holen. Als sie zurückkehrte, reichte sie mir eine kleine Phiole mit den Worten: „Sie sind wohl so gut und leisten mir einen Dienst?“
Diese Worte sprach Mina mit einem solch sonderbaren Ausdrucke, daß ich nicht wenig erschrack. Ich glaubte nämlich, sie wolle, daß wir uns aus Liebe zur Romantik ein wenig vergifteten. Ich sah ihr also, ohne zu antworten, starr in’s Antlitz.
„O gewiß,“ lispelte sie, „werden Sie mir meine Bitte nicht abschlagen. O gewiß werden Sie mir den kleinen Dienst erweisen, dessen ich mich in der fernen Heimath stets auf’s dankbarste erinnern werde.“
Der räthselhaften[3] Rede endliche Auflösung war, daß ich das Fläschchen mit Rheinwasser füllen sollte. Ich mußte mich dieses Auftrages vor ihren Augen entledigen, und als das Fläschchen mit dem heiligen Naß in ihren Händen war, küßte sie es und verbarg es in ihren keuschen, blauumhüllten Busen.
Ich muß gestehen, daß diese unbändige Gefühlsschwelgerei, dieses ewige Uebersetzen der prosaischsten Dinge in sublime Poesie mir endlich höchst lästig wurde, so daß ich froh war, als ich bei Andernach eine schickliche Gelegenheit fand, mich wenigstens auf eine kleine Weile an den andern Theil des Bootes zu begeben. In Andernach stiegen nämlich zwei Verwandte der justizräthlichen Familie ein, und so riß mich der glückliche Moment des Wiedersehens aus den Klauen unbarmherziger Begeisterung.
[29] Ohngefähr eine halbe Stunde war verflossen. Aber wie groß war mein Schrecken, als ich, mich wieder der Gruppe nähernd, diese in tiefster Trauer fand! Mina weinte; die Justizräthin weinte; der Justizrath schien zu weinen; Edgar schnitt wenigstens ein weinerliches Gesicht, und der alte Friedrich wischte sich die Augen. „Was ist denn vorgefallen?“ fragte ich den guten Bedienten.
„Ich weiß es nicht,“ antwortete dieser schluchzend;[4] „aber da die Herrschaft weint, muß ich doch wohl auch weinen. Es ist ganz gewiß ein großes Familienunglück arrivirt; denn sie sprechen von plötzlichem Tod und von unschuldiger Jugend. Ich glaube, daß der Herrschaft einige Verwandte gestorben sind.“
Bei den letzten Worten vergoß die treue Seele Zähren des bittersten Kummers.
Ich hielt es nicht für rathsam, mich den Thränenquellen zu nähern, sondern blieb in einiger Entfernung stehen und hörte Mina seufzend ausrufen: „Aber mein Gott, warum mußten Beide zugleich sterben?“
„Ach, die unschuldigen Kinder!“ ächzte ein etwas abgeblaßtes Fräulein (die Cousine Mina’s wie ich später erfuhr); „aber sie mußten untergehen. Es war des eisernen Schicksals Stimme, die dies gebot.“
„O Gott im Himmel!“ rief Mina zerknirscht, „was wird er, was wird der arme Vater, der schon so viel Jammer erduldet, bei der Schreckensnachricht empfinden!“
„Der arme Vater ist am meisten zu bedauern,“ seufzte die Justizräthin, indem sie, auf’s heftigste erschüttert, ein Stück geräucherter Zunge verspeiste. „Ja, der arme Vater ist am meisten zu bedauern. Nicht wahr, Väterchen?“
„Freilich, meine Liebe,“ antwortete der Justizrath hüstelnd; „aber es zieht hier verdammt stark.“
„Hatten sie nicht blaue Augen?“ fragte Mina mit feuchten Blicken einen jungen Mann, ihren Vetter, der mit dem bleichen Fräulein, seiner Schwester, bei Andernach, eingestiegen war, und die gräßliche Nachricht auf’s Schiff gebracht hatte.
„Sie hatten blaue Augen,“ sagte der junge Mann höchst gleichgültig; sie hatten blaue Augen und blondes Haar; sie waren gewachsen wie die Lilien und waren unschuldig wie die Lilien. Da aber bekanntlich für den Tod kein Kraut gewachsen ist, und die guten Kinder doch einmal des Todes verblichen sind, so denk’ ich, liebe Cousine, daß wir uns trösten.“
„Du Grausamer! Du Barbar! Du Alltagsmensch! Du modernes Wesen!“ herrschte ihn Mina an. Was liegt Dir an der gequälten Unschuld? Was liegt Dir an der beleidigten Tugend? Du hast immer eine Freude, wenn das Erhabene untergeht und die Prosa triumphirt.“
Der junge Mann, der nicht Lust hatte, sich von seiner lieben Cousine noch länger solche Schmeicheleien sagen zu lassen, zog sich zurück, und ich benutzte diesen Umstand, um über die plötzliche Familientrauer nähere Nachrichten einzuziehen.
Ich erfuhr nun den Tod der beiden wunderlieblichen Mädchen, von welchen meine freundlichen Leser und anmuthigen Leserinnen gewiß ebenfalls gehört haben werden. Es waren die beiden Töchter des berühmten und tapfern Marschalls Simon; sie hießen Rose und Blanche und sind gestorben an der Cholera im zehnten Kapitel des siebenten Bandes des ewigen Juden von Eugen Sue.
Ich suchte Mina so gut wie möglich zu trösten; aber ihr Berliner Herz war durch die Nachricht des doppelten Todesfalles allzusehr erschüttert. „Ach!“ schluchzte sie, „ich ahne nichts Gutes. Ich fürchte vielmehr, daß der Tod noch mehr Opfer fordert. Mir ist’s bange um den trefflichen Marschall Simon, um die liebenswürdige Adrienne und besonders um – den schönen indischen Prinzen Dschalma,“ setzte sie nach einer kleinen Pause jungfräulich verschämt hinzu.
Mina’s Ahnung hat nicht gelogen; denn in den folgenden Kapiteln des ewigen Juden räumt der Tod so gewaltig auf, daß am Ende sogar der Leser für sein eigenes Leben besorgt wird. Wahrlich, hätte der treffliche Eugen[5] Sue nur im entferntesten ahnen können, welch bittere Schmerzen ein sanftes Berliner Gemüth ob dem Tod so vieler edlen Wesen empfinden mußte, er hätte sich von seiner menschenfresserischen Muse gewiß nicht zu solchen unerhörten Grausamkeiten verleiten lassen. Und damit schließ’ ich diese traurige Novelle.
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Daß aus dem vollen Kruge sich los die Wahrheit ringt!
Als bei dem frischen Trunke der Held Gambrinus sitzt,
Ein lieblicher Gedanke ihm durch die Sinne blitzt.
Schnell schickt er den Salvator in’s Lager zu dem Feind,
’S war zwischen Licht und Dunkel, da kamen sie zusamm’,
Gambrin, der große König, und Bacchus lobesam.
„Herr Bruder – sprach Gambrinus – ihr seid ein wack’rer Held,
„Doch seht ihr, daß den Meinen auch nichts am Muthe fehlt.
„Da ein Vergleich in Frieden dieselbe Wirkung thut?
„Ihr wißt aus der Geschichte, durch Heirath und Vergleich
„Da werden Volk und Fürsten – insonders diese reich!
„D’rum wollen wir in Frieden hier auseinander gah’n,
„Ich will die Nacht behalten; nehmt mit dem Tag vorlieb,
„So lösen wir den Knoten mit einem einz’gen Hieb." –
„Topp – sprach der Thyrsusschwinger – ihr seid ein kluger Mann,
„Man sieht es Eurer Größe – bei meinem Eid – kaum an!
„Des Weines gold’ne Perle im Humpen auf zumal,
„Doch bricht herein der Abend mit seiner dunklen Pracht,
„Sei euch von allen Völkern die Huldigung gebracht!“ – –
So schieden sie als Freunde, die sich als Feind’ bekriegt;
Da zogen heim die Mannen, die Schwerter in der Scheid,
Und dachten sich im Sinne: Das war einmal gescheid!
Was sollen wir uns beide aufreiben in der Schlacht, –
Damit das pure Wasser sich traun in’s Fäustchen lacht?
Zum Trotz dem Elemente, zum Trotz der Nüchternheit!
Es sei Europa trunken, von Welschland bis zum Belt,
Daß hie und da ein Dichter auftauche in der Welt,
Und trunken von Begeist’rung noch hebe seinen Flug:
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So meldet uns die Chronik. Und aber bald hiernach,
Just als ein schöner Abend rings auf der Erde lag,
Da sahen kühne Lauscher den Bacchus im Kloset,
Ein Mäßlein kühlen Bieres vor Seiner Majestät.
Dem König war’s zu Muthe, als wie im Paradies!
Durch’s Rebenlaub da blinkte der Sterne gold’nes Spiel,
Dem Herrscher dünkt, als wären’s just noch einmal so viel.
Und unbewußt entrang sich aus seinem Mund das Wort:
Haben Sie schon von Herrn Jahns gehört? — Herr Jahns ist ein alter Jäger in Pommern, dem mancherlei seltsame Dinge passirt sind. Er erzählt sie in seinem plattdeutschen Dialekt; wenn aber vornehme Herren in der Geschichte vorkommen (zu denen beiläufig auch der Teufel gehört), so werden diese missingsch sprechend (wahrscheinlich meißnisch, — hochdeutsch, wie es die Plattdeutschen aussprechen), eingeführt.
Herr Jahns hatte schon öfter bemerkt, daß nicht Alles im Walde geheuer sei. Er sah wohl, der Teufel wollte ihm etwas anhaben. So begegnete er ihm eines schönen Tags; der Teufel that, als wäre er ein feiner Herr; Herr Jahns kannte ihn wohl, ließ sich aber nichts merken. Sie gingen zusammen; der Teufel verwunderte sich über sein Jagdgeräth und ließ sich das erklären. Als sie zur Erklärung der Flinte kamen, dachte Herr Jahns, er wolle ihm schon seinen Vorwitz eintränken. Die Flinte war mit ein Paar guten Rehposten geladen; Jahns sagte, es sei seine Tabakspfeife. Der Teufel bekam Lust, die Pfeife zu probiren. Herr Jahns sagte, er solle sie nur in den Mund nehmen, er (Jahns) wolle ihm Feuer geben. Es geschieht; paff! knallt es los und der Teufel liegt auf dem Rücken. Steht aber doch bald wieder auf, spuckt aus und sagt: „Ei Herr Jahns, Sie roochen einen sehr starken Tobak.“ Ist indeß nicht wieder gekommen.
Zu Würzburg in der güldnen Blum
Da, sagt man, geht ein Geist herum,
Der hat dem Wirth um Mitternacht
Bis Eins schon manchen Schreck gemacht.
Mit knappem Reitwamms, Lederhosen
Und hellem Sporenklang daher,
Denen erzählt der Wirth die Mähr.
Die Herren machten ein klug Gesicht,
Sei’n gewitzt und vielgereist,
Und forcht’ten sich vor keinem Geist,
Wollten noch heut die Probe machen,
Den Geist zu bannen und auszulachen.
In die verruf’ne Kammer sich hin,
Stellten drei Lichter auf den Tisch;
Der Wirth bracht ihn’n vom Weißen frisch,
Sie diskurirten hin und her,
Und als es schlug die zehnte Stunden,
Der Weiße wollt’ ihn’n nicht mehr munden;
Ließen sich d’rum vom Rothen bringen.
Der machte sie alsbalde singen,
Viel neuer Schwänk’ und Liedl wußt’.
Doch als die Thurmuhr Elfe schlug,
Sie hatten des Rothen auch genug;
Forderten mit geschliffenen Kelchen
Der hell im Glase rauscht und säuselt
Und lichten Schaum und Perlen kräuselt.
Deß tranken sie nun auch ihr Theil,
Hatten dabei nicht lange Weil’,
Umgingen ihnen die Gedanken.
Ein leiser Frost sie überkam,
Der Kopf ward schwer, die Zunge lahm.
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Da schlug es Mitternacht vom Thurm,
Und trat herein zu ihrem Graun
Der Geist, entsetzlich anzuschaun,
Aschfarb vom Antlitz, Kleid und Schopf,
Hinten mit einem langen Zopf,
Hellglühend wie Karfunkelstein.
Hertrat zum Tisch das Ungethüm,
Fuhr an die Herrn mit heis’rer Stimm:
Was treff’ ich euch, ihr bösen Buben
Könnt ihr nicht ruhig schlafen aus,
Oder mit rechtem Fleiß zu Haus
Aristotelem exponiren,
Euch auf’s Examen präpariren?
Eure steinharten Köpfe ein,
Verstört die Nacht aus ihrer Ruh;
Und was beginnt ihr morgen fruh?
Was ist dann eurer Seele Nahrung?
Denn wie wohl fändet ihr den Weg
Zu bessrer Atzung ins Kolleg? –
Damit packt’ er den Ersten frisch,
Warf kurz und gut ihn unter’n Tisch,
Der meint, es führ’ ihm aus die Seelen,
Den Dritten pantscht er auf den Bauch,
Daß von ihm ging manch Seufzerhauch.
Das war ein ungefüges Raufen,
Bis bei dem ersten Schlag der Uhr
Der Geist mit Stank von dannen fuhr.
Den Herren war nicht wohl zu Muth,
Verspürten kalten Schweiß und Gluth,
Schliefen die Nacht auf harten Bänken;
Und als der Wirth früh Morgens kam,
Von ihnen die schwere Zeche nahm,
Bekannten sie mit bleichen Mienen,
Noch läg’s ihn’n in den Gliedern schwer,
Und wollten ihn bannen nimmermehr.
Der Geist zu Würzburg in der Kammer
Heißt insgemein: Herr Katzenjammer,
Auf Weißen trinkt kein’n Rothen nicht,
Und setzt ihr gar Champagner drauf:
Der Geist von Würzburg wart’t euch auf.
Gnädige Frau, ich bin allerdings gern galant gegen Damen, allein Sie sehen selbst – mehr zu thun ist unmöglich. –