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Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Dritter Brief

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Zweiter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Vierter Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: Dritter Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Första delen.
Originalsubtitel: Tredje brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Dritter Brief.
Am Hudson d. 11. Oktbr. 1849. 

Heute auf der Hochzeit, um 9 Uhr auf dem Morgenzweige. Wir fuhren bei strömendem Regen nach dem Hochzeitshause. Alle Gäste, gewiß beinahe 100 an der Zahl, waren bereits versammelt. Der Vater der Braut, ein älterer Herr von äußerst angenehmem Aeußern, bot mir den Arm, um mich in das Zimmer zu führen, wo die Trauung stattzufinden hatte. Es war die einzige Tochter vom Hause, die sich vermählen sollte. Die ältere Schwester war vor einem Jahr gestorben und die Mutter trug den Gram darüber noch immer in ihrem bleichen kummervollen Gesichte. Die Hochzeitsgesellschaft war sehr schweigsam; man konnte eher in einem Trauerhaus als bei einem Freudenfest zu seyn glauben. Und da die älteste Tochter kurz nach ihrem Hochzeitsfest und in Folge desselben, nemlich als sie Mutter wurde, gestorben war, so fehlte es nicht an Gründen dieses Fest mit ernsten Blicken anzusehen. Ladies und Gentlemen wurden mir die einen um die andern[WS 1] vorgestellt, dann wurde es wieder still im Kreise. Hierauf begann ein Geflüster, daß die Trauung jetzt bald vor sich gehen solle. Eine Thüre öffnete sich und ein junger Herr trat ein mit einer jungen Dame am Arm, die Hut und Reisemantel trug. Sie stellten sich neben einander in der Tiefe des Zimmers auf, ein alter würdiger Geistlicher trat vor die jungen Leute und weihte sie für die Ewigkeit mit einem kurzen Gebet, einer kurzen Ermahnung und dito Segen. Hierauf traten die Verwandten und Freunde vor, beglückwünschten und küßten die Neuvermählten. Auch ich ging am Arme des Vaters der Braut vor, küßte sie und drückte dem jungen Manne die Hand. Er sah glücklich aus und schien seiner Sache wie seiner selbst sicher zu seyn. Auch sie sah vergnügt aus und war überdies sehr hübsch; sie wäre wirklich schön gewesen, wenn sie im Brautkleide und nicht im Reisehabit gekommen wäre, und dies offenbar ohne alle Absicht schön zu erscheinen, sondern vielmehr mit Rücksicht auf das Regenwetter, in welchem die Neuvermählten jetzt ihre erste Reise durch das Leben antreten sollten. Sie sollten sich nemlich unmittelbar nach der Trauung an den Niagara begeben und mußten eilen, um das Dampfschiff zu erreichen. Champagner und Confect wurden gereicht. Man sah die Brautgeschenke auf einem Tisch ausgestellt. Man besah sie und jeder Hochzeitsgast erhielt ein mit einem seidenen Band umwickeltes weißes Papierschächtelchen, worin sich ein Stück von dem Hochzeitskuchen befand. So reiste Alles ab. Auch das junge Paar reiste ab, um nach einer Lustfahrt von etlichen Wochen zurück zu kommen und mit den Eltern zu leben. Alles war im Nu abgethan.

Diese neue Hochzeitsceremonie erschien mir charakteristisch für die Hast und Eile, die ich den Amerikanern oft vorwerfen hörte. Das Leben ist kurz, sagen sie, deshalb eilen sie vorwärts auf der Bahn, lassen alle unnöthige Formen und Manieren weg, welche die nothwendigen Geschäfte des Lebens aufhalten können, und machen diese so schnell als möglich ab; sie verweilen blos 5 Minuten, um sich zu verheirathen, und empfangen selbst den ehelichen Segen in den Reisekleidern, um sofort auf die Reise zu eilen — an den Niagara oder nach einer andern Richtung. Aber ich muß sagen, daß in dem vorliegenden Fall nur die Form flüchtig war. Es war klar, daß Ernst auf dem Grunde aller Herzen lag, und selbst der kurze Trauungsakt trug das Gepräge eines tiefen, feierlichen Ernstes. Man sah leicht, daß es sich nicht um ein Spiel, um eine flüchtige Sache handelte, sondern um etwas sehr Ernstes. Viele Personen waren gerührt, andere weinten; sie dachten vermuthlich an die frühere Hochzeit im Hause. Der alte Diener, ein Neger, der das Confect bot, hatte eine jener Arten von Ausdruck, worin man ein ganzes Kapitel vom innern Leben der Familie lesen kann und sieht, daß es ein Leben der Liebe ist, das dem Diener gestattet sich als Mitglied der Familie zu fühlen.

Manche Personen mißbilligen solche Vermählungen in Reisekleidern und auf reisendem Fuß und wünschen sie feierlicher zu haben. Sie sind indeß nicht die einzigen, die hier gebräuchlich sind. Man hat auch Abendhochzeiten, wo die Braut ungefähr wie bei uns gekleidet ist und alles ungefähr mit derselben Feierlichkeit zugeht, mit Ausnahme desjenigen Theils, der zur öffentlichen Ausstellung der von Kerzen, Marschällen und Brautjungfern umgebenen Braut gehört, wie wir dies in Schweden und, glaube ich, nur allein in Schweden haben.

Sonnabend den 20. Oktober. 

Ich habe jetzt lange nicht mehr geschrieben; so viele Leute und so viele Zerstreuungen haben meine Zeit in Anspruch genommen. Ich will Dir nun das Wesentlichste von dem erzählen, was ich in der verflossenen Zeit erlebt habe. Aus der Heimath habe ich noch keinen Brief erhalten; ich sehne mich schon so lange darnach.

Ich habe mich an dem neuen Leben hier und seinen hesperischen Früchten sehr erfreut; und kommt es nun von dem letzteren her oder von der jugendlich belebenden Luft der neuen Welt (wir haben seit einiger Zeit wieder das allerschönste Wetter) oder auch von den neuen Eindrücken, die täglich auf mich einströmen, aber ich fühle die Saiten meines Lebens gleichsam stärker zittern und die Pulse zuweilen beinahe fieberisch klopfen. Ich fühle, daß ich geistig und leiblich Nectar trinke; dies ist ein Göttertrank, aber beinahe zu stark für eine schwache Sterbliche, wenigstens als Alltagsgetränke. Das viele Gesellschaftsleben ist auch anstrengend, so schön und angenehm es auch ist. Downings haben keine Kinder und leben für das Schöne und Angenehme des Lebens in einem ausgewählten Kreis von Freunden und Nachbarn, die größtentheils an den schönen Ufern des Hudsons ansäßig sind. Ein fröhlicher, ungezwungener Umgang scheint zum Charakter des Lebens in diesem Kreise zu gehören. Man fährt immer auf Besuchen bei einander herum. Die Ufer des Hudsons stehen jetzt, seit der Herbst eingebrochen ist, in ihrer vollen Pracht, und die Laubwälder, welche die Ufer und Bergeshöhen bekleiden und aus einer großen Menge verschiedener Baumarten bestehen, glänzen in den zierlichsten Farbenschattirungen von Hellgelb bis Scharlachroth, aber dies ist zu zierlich und chaotisch prunkhaft, um meinem Auge recht zu behagen, das mehr Einheit begehrt. An Früchten ist hier jetzt der größte Ueberfluß: die schönsten Pfirsiche, obschon ihre Zeit jetzt eigentlich vorbei ist, Birnen, Pflaumen, Trauben, nämlich Treibhaustrauben etc. Downings Tisch ist täglich mit einem ganzen Korb voll der herrlichsten Früchte, wahrer Hesperiden, und mit den schönsten im feinsten Geschmack angeordneten Blumen geschmückt. Das Frühstück ist hier zu Land weit stärker, als wir es in Schweden haben. Außer Cafe und Thee hat man Fische, Fleisch, Buchweizenkuchen, Omeletten etc. und überdies Maisbrod und eine Art süßer Kartoffel, die dem Lande eigen und eine ausnehmend gute, schmackhafte Frucht ist. Sie ist lang, weich und mehlig, gelb und sehr süß. Man servirt sie gewöhnlich in ihrer Schale und ißt sie mit Butter. Bei den Mittagessen hat man ähnliche Gerichte wie in England, nebst einigen Gemüsen und Früchten, die Amerika eigen sind. Abends ißt man nicht viel; man hat gewöhnlich Thee und Butterbemmen oder Theebrödchen, und hernach eingemachte Früchte, meist Pfirsiche nebst Rahm. Eine Sitte, die ich besonders angenehm finde, ist, daß man die Gäste an ganz kleinen Tischchen für eine oder zwei Personen servirt, welche Tischchen herumgestellt werden, bevor man den Thee reicht. Man macht sich zwei und zwei zusammen und hat die allerliebsten kleinen tête-à-tête, und Du weißt ja, daß ich dies sehr liebe. Ich kann nie recht schwatzen außer so.

Meine schönsten Augenblicke hier verlebe ich theils an den Vormittagen, allein in meinem Zimmer mit amerikanischen Büchern, die Downing mir geliehen hat, theils an den Abenden still mit meinen Wirthsleuten in dem kleinen düstern Salon sitzend, mit den Bücherschränken und Büsten rund um uns her, und das Feuer leise knisternd in dem großen Kamin. Da bei der Abendlampe lesen mir Mr. Downing und seine Frau abwechselnd Stücke aus ihren beliebtesten amerikanischen Dichtern vor. Die Bücher bekomme ich dann auf mein Zimmer hinauf; so habe ich Bryant, Lowell, Emerson kennen gelernt, sämmtlich, obschon auf sehr verschiedene Arten, Vertreter des Lebens der neuen Welt. Bryant singt eigentlich ihr Naturleben, ihre Wälder, ihre Prärien, ihre eigenthümlichen Naturscenen und Phänomene, und sein Gesang athmet die stillen, frischen Eingebungen des Naturlebens. Man fühlt, wie der Saft durch die Adern der Pflanze circulirt und die Blätter ausschlagen. Seine Thanatopsis oder sein Nachtgesang ist ein großartiges, obschon kurzes Gedicht, worin die ganze Erde als ein großer Begräbnißplatz betrachtet wird. Lowell ist von den großen Gesellschaftsfragen der neuen Welt, sowie von den Idealen aus dem Leben der jungen Welt inspirit und ruft sie zum Bewußtsein auf in Gesängen über die Freiheit, über die Seligkeit eines freien und begnügsamen Lebens, in Gesängen auf die Ehre und Schönheit der Arbeit. Wieder und wieder mußte ich Downing bitten, das kleine schöne Gedicht: O armen Mannes Sohn! zu lesen, das mich entzückt durch seine Melodie und durch seinen rechtschaffenden Geist, welcher die moralische Melodie ist, sowie durch die fröhlichen Wahrheiten, die es in Aussichten für des armen Mannes Sohn in der neuen Welt ausspricht. Ich möchte das schöne Stück übersetzen und Downings musikalische Stimme besitzen, um es Dir vorzulesen. Seine liebe Frau, Caroline, liest von Lowells Poesien am liebsten eine kleine epische Dichtung, betitelt: Sir Launfalls Vision. Lowells Ideale sind rein sittlich, und eine[WS 2] tiefe Ader von religiösem Gefühl geht durch sie. Einer seiner schönsten Gesänge, worin ein starker und edler Patriotismus glüht, ist gegen einen Akt im Congreß gerichtet, wodurch die Beibehaltung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten begünstigt wird. Mit diesem und mehreren andern Antisklavereiliedern hat der junge Dichter seinen Platz in den Reihen der großen Partei im Lande genommen, die sich die abolitionistische nennt und die Abschaffung der Sklaverei bezweckt. Lowells Verse zeugen von einer wahren Dichternatur. Er muß sich in Versen aussprechen; er macht den Vers nicht, er singt ihn, und in seinem Gesang ist die Wallung, die das Herz wallen und den Gedanken seine Schwingen erheben macht.

Waldo Emerson, mehr Philosoph als Dichter, aber poetisch in seinen prosaischen philosophischen Aufsätzen, ist mir als eine neue eigenthümliche Natur, die ungewöhnlichste von den Dreien, merkwürdig. Er kommt mir wie ein amerikanischer Thorild vor, der aus seiner eigenen mächtigen Natur die Welt umschaffen will, indem er nur in seiner eigenen Brust Gesetz und Eingebung sucht. Stark und rein, besonnen und ruhig, aber zugleich phantastisch, entsendet er von seinem transcendentalen Standpunkt aus seine Aphorismen über Natur und Geschichte, über Gott (der aber für ihn nicht ein persönlicher Gott, sondern eine „Oberseele“, eine Harmonie von Gesetzen ist) und über die Menschen, indem er sie und ihre Wirksamkeit vom Ideal des höchsten Wahren und höchsten Schönen aus kritisirt. „Die Erde hat noch nicht einen Mann gesehen,“ sagt Emerson, und er sieht mit Sehnsucht diesem Manne, diesem Menschen der neuen Welt entgegen, an dessen Erscheinung er glaubt. Was dieser neue Mensch eigentlich sein oder wirken soll, ist etwas Unbestimmtes, nur soll er wahr und schön in des Wortes höchster Bedeutung sein, und überdieß fürchte ich, daß er sehr schön und hochgewachsen sein muß, um vor Emerson Gnade zu finden, der selbst ein Mann von seltener Schönheit sein soll und körperliche Mängel als eine Art Sünde betrachtet. Dieser neue Mensch befolgt keine Gesetze, als die in seiner eigenen Brust; aber da findet er unverfälschte Quellen der Wahrheit und Schönheit. Der neue Mensch glaubt an sich selbst allein, verlangt Alles von sich selbst und thut Alles selbst, ruht auf sich selbst und in sich selbst. Der neue Mann ist ein Stoiker, aber kein so herber, sondern schön und mild. Wohin er kommt, da blüht das Leben; im Kreise der Freunde ist es ein Festtag, Nektar und Ambrosia duften in seiner Nähe; er selbst aber bedarf keines Freundes. Er bedarf keines, nicht einmal Gottes; er wird selbst Gott gleich, indem er seiner nicht bedarf; er erobert den Himmel, indem er zum Himmel sagt: ich begehre Dich nicht. In der Natur zeigt er sich als ein Wiederhersteller, er beherrscht und entzückt sie, und sie ist seine Freundin. Mit ihr hat er genug; die Waldesgötter flüstern ihm ihren Frieden und ihre Selbstgenügsamkeit zu, „es gibt kein Hügelchen, das nicht einen Stern über sich hätte“; es gibt keinen Kummer, den nicht das heilige Leben der Natur beschwichtigen kann. Er sagt der stolzen Welt Lebewohl, er tritt Roms und Griechenlands Größe mit Füßen in seiner ländlichen Heimath, wo er „im Gebüsch Gott begegnen kann.“ Emersons Sprache ist gedrängt und kräftig, einfach, aber treffend und klassisch. Die Wendungen sind originell, alte Sachen kommen auf eine so neue und glänzende Art zum Vorschein, daß man sie zum ersten Mal zu hören meint. Die Wünschelruthe des Genies ruht in seiner Hand. Er ist Meister auf seinem Feld. Seine eigentliche Stärke scheint die Kritik zu sein, eine gewisse göttergroße Verachtung und ein maßloser Hohn gegen das Mittelmäßige, Schwache und Erbärmliche, wo er es sieht; und er sieht es in Vielem und in Vielen. Er geißelt es ohne Schonung, aber dabei mit seltener Schönheit. Emersons Leistungen in dieser Richtung sind wahrhaft athletisch und dabei königlich. Sie erinnern mich an unsern König Gustav Adolph den Großen, als er den Soldaten beim Haar nahm und ihn zur Bestrafung übergab mit den freundlichen Worten: „Komm, mein Junge, es ist besser, Dein Körper leidet jetzt Böses, als daß Deine Seele in die Hölle kommt.“ Doch da ist mehr als Emerson, auch in der Absicht der Bestrafung. Wie das nun sein mag, so hat dieser Verächter des Unvollkommenen, Niedrigen und Kleinen, dieser kühne Mann, der Vollkommenheit beim Menschen fordert, in seinen Schriften eine beinahe magische Zauberkraft für mich. Ich mache oft Einwendungen gegen ihn, ich hadere mit ihm, ich sehe, daß sein Stoicismus eine Einseitigkeit, sein Pantheismus eine Unvollkommenheit ist, und ich weiß Etwas, was größer und vollkommener ist; aber ich befinde mich unter dem Zauber, ich meine größer zu werden durch seine Größe, stärker durch seine Stärke, und ich athme in seinen Werken eine Hochlandluft, die unbeschreiblich erfrischend auf mich wirkt. Emerson hat mehr Idealität, als bei Denkern englischen Stammes gewöhnlich ist, und man könnte sagen, in ihm habe sich Germaniens Idealismus mit Brittanniens Realismus vermählt. Ich bin noch niemals einen Schritt gegangen, um einen literarischen Löwen zu sehen, aber Waldo Emerson, diesen Pionier in den moralischen Wäldern der neuen Welt, der seine Axt an die Wurzeln der alten Bäume setzt, um sie niederzuhauen und für neue Pflanzungen den Weg zu bahnen, diesen Mann zu sehen, würde ich ein schönes Stück Wegs gehen. Und sehen möchte ich ihn auch, den Mann, der in einem so streng kirchlichen Staat, wie in Massachussetts und in Boston (Emerson war Geistlicher in einer unitarischen Gemeinde zu Boston), den Muth hatte, offen seinem Priesterstand, seiner Kirche und dem christlichen Glauben abzusagen, weil er an einigen seiner Hauptlehren zum Zweifler geworden, edel genug, um sich dennoch die allgemeine Achtung und seine alten Freunde zu erhalten, stark genug, um sich mit Vermeidung aller Polemik und jedes bittern Wortes in die Stille zurückzuziehen, um allein für die Wahrheit zu wirken, die er als vollkommen erkannt, für die Lehren, zu welchen der Heide und der Christ sich auf gleiche Weise bekennen. Emerson hat ein Recht von Stärke und Wahrheit zu sprechen, denn er lebt für diese Tugenden. Und die Welt, die in der Kirche schläft aus Mangel an lebendigem Christenthum, kann nur dabei gewinnen, wenn sie durch solche frische Winde vom Himalaya des Heidenthums aufgeweckt wird. Aber wie kann Emerson unbeachtet lassen … Doch ich will jetzt nicht darnach fragen. Emerson ist gerecht und wahrhaftig. Wären Viele wie er!

Jetzt muß ich Dir ein wenig von meinem gesellschaftlichen Leben in dieser Zeit erzählen. Miß Catharina Sedgewick (Verfasserin von Redwood) kam nebst einer jungen Nichte, Susanna Sedgewick, einige Tage nach meiner Zurückkunft hieher. Mr. Downing, der sie sehr schätzt, wünschte, daß ich sie kennen lernen möchte. Sie hat zwischen fünzig und sechzig Jahren, und ihr Aeußeres verräth zwar viel verständige Güte und Wohlwollen, aber kein eigentliches Genie. Ihre Gestalt ist weiblich schön, und ihr ganzes Wesen weiblich, redlich offen, ohne alle Manierirtheit. In den ersten Tagen war es mir als schliefe meine Seele ein wenig bei ihr, aber dieses Gefühl wurde in einem Augenblick gleichsam weggeblasen durch einen rührenden schönen Ausdruck von Herzlichkeit auf ihrer Seite; — dieser eröffnete sie gleichsam für mich und mich für sie, und seitdem fühle ich, daß ich mit ihr leben könnte, wie mit einer himmlischen Seele, zu welcher man das reinste Vertrauen haben kann. Ich erfreue mich auch an dem tiefen Verstand in ihren Worten und an ihrem wahrhaft weiblichen Sinn für die Verhältnisse des Lebens. Sie ist eine wahre und milde Seele, und ich fühle, daß ich sie recht lieben könnte. In den letzten Jahren soll sie viel für das geschrieben haben, was ich die geringeren Leute in der Gesellschaft nennen möchte, denn hier, wo beinahe alle Menschen arbeiten, um zu leben, kann man nicht von einer eigentlichen arbeitenden Klasse sprechen, wohl aber von einer solchen, die sich noch nicht emporgeschwungen hat. Für diese Klasse schrieb Franklin, selbst ein Arbeiter, der sich hinaufgearbeitet; für sie schreibt auch Miß Sedgewick, und ihre kleinen Novellen und Erzählungen sollen sehr beliebt sein und viel Gutes wirken. Man rühmt insbesondere eine Erzählung, betitelt: das Haus, die ich zu bekommen suchen will. Auch ich möchte so gerne für die geringen Leute in der Gesellschaft mehr schreiben, als ich bisher gethan habe. Miß Sedgewick war jetzt mit einer neuen Auflage ihrer gesammelten Werke beschäftigt. Sie sprach mit mir von einigen Veränderungen in ihren früheren Arbeiten, und ich sagte ihr, daß ich für meinen Theil nie Etwas an solchen verändern würde, die ich schon weit hinter mir hätte, selbst wenn ich ihre Fehler einsähe und sie leicht verbessern könnte. Denn da ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin eine längere Reihenfolge von Jahren lebt und schreibt, so bilden seine oder ihre Schriften eine Geschichte ihrer eigenen Entwicklung, die als eine Geschichte für sich stehen bleiben muß, und für sie selbst, wie für Andere immer lehrreich ist. Die Arbeiten eines Schriftstellers sind Theile einer Selbstbiographie, die er schreiben muß, er mag wollen oder nicht.

Miß Sedgewick lud mich auf nächsten Sommer in ihre Wohnung in Lennox, im westlichen Theil von Massachusetts, ein, und versprach mit mir den Schäckerstaat in Neulibanon zu besuchen, das nicht weit von ihrem Sitze abliegt. Während Miß Sedgewick hier war, machten Downings mit ihr und mit mir einen Ausflug auf den Gipfel des Berges South beacon, eines der höchsten Punkte des Hochlandes in dieser Gegend. Mr. Downing führte mich, und bei diesem kletternden Bergbesuch bedurfte es wirklich eines geschickten Kutschers und eines guten Pferdes, denn der Weg war steil und nichts weniger als gute Bahn. Aber wir ließens uns nicht verdrießen und hüpften über Stock und Stein in unserem leichten Carriol, bis wir ungefähr 900 Fuß hinaufkamen und vom Gipfel des waldbewachsenen Berges herabschauten, auf ungefähr die halbe Erde, meinte ich, aber sie sah aus wie ein wogendes Chaos von waldigen Höhen und Thälern, wo man die Menschenwohnungen blos wie kleine helle Flecken unterschied, kaum deutlich für einen unbewaffneten Blick. Solche Aussichten haben, wie Du weißt, immer etwas Bedrückendes für mich. Der Mensch, der in seinem Leiden, in seinem Kampfe so groß ist, verschwindet, von diesen materiellen Berghöhen herab gesehen, zu Nichts, und darum liebe ich sie nicht. Was diese Aussicht hier für mich Erfrischendes hatte, das war der Anblick des Hudson, der wie ein klarer, aus dem Chaos hervorbrechender Gedanke sich aus dem Walde seinen Weg bahnte und glänzend ins Unendliche hinausfloß. Unsere Gesellschaft war etwas zu groß und etwas zu munter für mich. Ich weiß nicht, welche ängstliche Stummheit in solchen fröhlichen Gesellschaften über mich kommt, zumal außen in der Natur. Und hier wäre es mir ein Bedürfniß gewesen, mit dieser großartigen Naturscene allein zu sein. Eine kleine Weile der Einsamkeit theils mit ihr, theils mit Downing, der mit dem Fröhlichen fröhlich und scherzhaft, mit der stillen Natur still sein kann, war für mich ein Leckerbissen auf der Reise, bei welcher übrigens Champagner, Scherze, wie auch solidere gute Dinge für die Zunge, sammt artigen Herrn und schönen jungen Frauen nicht fehlten. Ja, an hübschen Frauenzimmern ist hier wirklich Ueberfluß vorhanden, aber sie sind mehr zierlich fein, als eigentliche Schönheiten. Eine wirkliche Schönheit habe ich hier noch nicht gesehen, aber auch noch nicht ein einziges häßliches Gesicht, eine einzige verwachsene Figur. Was mir besonders gefällt, ist die leichte, freie und dennoch bescheidene, freundliche Art des Umgangs unter der Jugend beider Geschlechter.

Recht tüchtig müde kamen wir Abends von unserer Bergfahrt nach Hause, und schön war die Ruhe in der lieblichen, stillen Wohnung der freundlichen Downings. Was mir von diesem Ausfluge immer bleiben wird, das ist die klare Fluth, wie sie aus dem dunkeln Wald hervorbricht. Sie glänzt gleichsam in mir.

Von Miß Sedgewick schied ich mit dem Gefühl, daß ich mich nie wieder von ihr trennen möchte. Ihre Nichte Susanna Sedgewick war ein anmuthiges und gebildetes Mädchen. Ein junger Herr, der ihr Anbeter sein soll, folgte ihr auf der Spur hieher.

Ein paar Tage nach diesem Ausflug unternahmen wir einen andern, den Hudson hinauf zu einer Familie Donaldson, die zur Aristokratie dieser Ufer gehört. Wir fuhren Morgens bei guter Zeit ab. Die Luft war lieblich, es gieng kein Wind, die Ufer glänzten in der zierlichsten Herbstpracht in der etwas umschleierten Sonne. Die Segel auf dem Fluß bewegten sich kaum, und über den Höhen stand eine Art von Sonnenrauch, ein feiner Nebel, welcher diejenige Periode des Jahrs und denjenigen Zustand der Atmosphäre bezeichnen soll, der hier indianischer Sommer genannt wird. Er kommt, sagt man, am Ende Oktobers und währt oft den ganzen November, wie auch einen Theil des Decembers hindurch; er gilt für einen der schönsten Theile des Jahres. Und soll ich nach diesen Tagen urtheilen, so kann man sich kaum ein willkommeneres Wetter denken, warm, ruhig, die reinste, hellste Luft, beständiger Sonnenschein, gemildert durch den leichten Sonnenrauch, der einen mystisch romantischen Flor über die in Herbstpracht glänzende Landschaft wirft. Woher kommt dieser poetische Nebelschleier? „Er kommt von den Indianern, die jetzt in ihren großen Pahaws (Rathsversammlungen) ihre Pfeifen rauchen,“ antwortete die heitere Mrs. Downing; „mir liegt daran, daß Sie richtige und genaue Begriffe, von den Dingen hier im Lande erhalten.“ Die genaue Wahrheit ist, daß Niemand die Ursache dieses Rauches und dieses Sommers im Herbste anzugeben vermag. Aber zu unserm Ausflug zurück, der wirklich entzückend war. Wir kamen aus den eigentlichen Hochlanden am Hudson, und die Ufer wurden niedriger, der Fluß wurde breiter und umfaßte mehrere Inseln. Aber bald ragten in der Ferne noch größere und massivere Bergmassen empor, als ich bisher gesehen hatte, die prächtigen, 1000 Fuß hohen Catskillberge, die einen Theil der großen Alleghanykette bilden, welche Nordamerika vom Norden bis in den Süden durchschneidet. Am Fluß entlang war das Land wohl bebaut, sah reich und cultivirt aus. Keine Schlösser, keine Ruinen; meistens kleine, aber oft sehr geschmackvolle Wohnungen mit Terrassen und Obstgärten, und oft ganze Pärke von Pfirsichbäumen. Einige Traditionen aus dem Krieg mit den Indianern sind die einzigen geschichtlichen Erinnerungen dieser Ufer. Ich sehne mich nicht nach den Ruinen und Sagen des Rheins. Ich liebe dieses Frische, Neue, das eine große Zukunft hat. Unter der Gesellschaft an Bord befand sich ein Schäfer in graugelbem Aufzug und mit breitkrempigem Hut. Sein Gesicht glich einem sauern Apfel; es war just kein schöner Repräsentant des Schäkerstaates.

Nach einer Flußfahrt von ungefähr drei Stunden gelangten wir an unser Ziel, nach Blithewood, der schönen Residenz Donaldsons, wohin wir zu einem großen Frühstück geladen waren. Hier wie an einigen andern Orten bemerkte ich, wie man das Tageslicht von den Zimmern ausschließt. Dies genirt mich, die ich an unsere hellen Zimmer in Schweden gewöhnt bin und das Licht liebe. Aber man sagt, die Sonnenhitze sei hier einen geraumen Theil des Jahres hindurch so groß, daß man ihr Licht möglichst von den Zimmern fern halten müsse. Eine schöne, stattliche Frau, vortrefflich proportionirt und etwas corpulenter, als die andern Frauenzimmer, die ich gesehen habe, empfieng uns freundlich. Es war Mrs. Donaldson. Sie ist katholisch und stammt, glaube ich, aus einer irischen Familie; Mr. Donaldson, ein schöner, etwas steifer älterer Gentleman, und seine Schwester sind Calvinisten. Sie sollen indessen wohl übereinstimmen in Liebe und guten Werken, dieser Centralkirche, worin alle Sekten im Namen desselben Herrn sich vereinigen können.

Wir wurden in unsere Zimmer geführt, erfrischten und kleideten uns; dann kam das Frühstück und die Nachbarn alle; ich hatte 60—70 freundlich ausgestreckte Hände zu drücken, was just keine schwere Arbeit wäre, wenn man nicht immer beinahe dieselben Worte und Sachen dabei sagen müßte, deren beständige Wiederholung zuletzt ermüdet und mir eine Empfindung giebt, als wäre ich ein Papagei. Die Gesellschaft war schön und heiter, das Frühstück prächtig; es endete mit einem Tanz. Ich hatte das Vergnügen einige sehr schöne und lebhafte junge Mädchen zu sehen, feine, aber unkräftige Gestalten. Die Frauenzimmer kleiden sich mit Geschmack, haben kleine Hände und Füße, erinnern an die Französinnen, sind aber schöner als diese. Etwas vermisse ich in ihren Gesichtern, weiß aber noch nicht recht was; ich glaube, es ist Ausdruck. Ich war nicht in der heitersten Stimmung und der Tag wurde mir etwas mühselig. Aber als ich am Abend unter den freien Himmel hinauskam, als ich am Arm des schweigsamen Downing stille an dem herrlichen, ruhigen Fluß hinwandeln und die Massen der sammtweichen Schatten und Lichtscheine über den majestätischen Catskillbergen betrachten durfte, hinter denen die Sonne in wolkenfreier Pracht untersank, da erweiterte sich das Herz und athmete frei in der hohen herrlichen Landschaft, da trank ich von den Quellen im Gebirge, da lebte ich zum erstenmal an diesem Tage. Am Abend hatte ich ein unerwartetes Vergnügen. Mrs. Donaldson spielte Harfe und Klavier, dazu sang sie ausgezeichnet gut und belebend, wie eine wahre Musikerin, was, glaube ich, hier zu Lande etwas Seltenes ist. Ihr Gesang hatte Worte und Ausdruck, und so ist es auch in ihrem Wesen; sie ist eine edle, selbständige Gestalt, die sich selbst trägt, wie Du es zu nennen pflegst. Sie singt weder, noch spricht sie nach dem Gehör. Sie singt und spricht aus ihrer eigenen frei fühlenden und denkenden Seele. Ihr ältester Sohn, ein Junge von 13 Jahren, schien mir ein wahres Musikgenie zu sein, auch darin, daß er sich unterbrach und sich durch nichts bestimmen ließ (ich glaube wirklich, er konnte nicht), ein kleines phantastisches Lied zu Ende singen, dessen erste Töne jedoch genügten, um uns mehr als Talent bei dem Jungen ahnen zu lassen. Auch er war nicht in der Stimmung und ohne diese konnte er nicht singen.

Am folgenden Tage sah ich wieder eine ganze Menge Nachbarn, welche kamen, um den schwedischen Gast zu sehen. Nachmittage besuchte ich einige schöne Plätze in der Umgegend. An einem derselben war auf einem Vorgebirge, das in den Fluß hinausreicht, eine Ruine gebaut, aus verschiededenen Figuren und Stücken von Mauern und Säulen aufgeführt, die unter den merkwürdigen, neuerdings entdeckten Ruinen in Central-Amerika und Mexiko gefunden worden waren. Die Gesichter und Kopfbedeckungen glichen denen an ägyptischen Bildsäulen; besonders frappirte mich ein Sphynxgesicht und ein Kopf, welcher dem eines Isispriesters glich. Diese Ruine und ihre Auschmückungen mitten in einem wild romantischen Felsenhorst sind eine Anlage vom besten Geschmack. Am Abend dieses Tages verließen wir das schöne Blithwood, seine schöne Wirthin und seinen freundlichen Wirth. Wir fuhren bei Nacht nach Hause. Die Kajüte, worin wir saßen, war eng und sehr heiß. Ganz nahe bei uns saßen zwei junge Männer, von denen der eine Tabak kaute und unaufhörlich Mrs. Downing und mir vor die Füße spuckte. Ich sagte leise zu Downing: „Dieser Gentleman bedarf eines Dickens.“ Downing antwortete ebenso: „Aber dann würde Dickens den Irrthum begangen haben ihn für einen Gentleman zu nehmen.“

Ein anderes Fest, dem ich dieser Tage bei der Großmutter von Mrs. Downing anwohnte, war ein Familienfest zur Feier ihres 90. Geburtstages. Sie wohnt auf dem Ufer gegenüber, und bei ihr versammelten sich dem Tag zu Ehren Kinder und Kindeskinder und Kinder der Kindeskinder, nebst andern nahen Angehörigen, eine Gesellschaft von 50 bis 60 Personen. Die gute 90jährige Matrone war noch lebhaft und beweglich, beinahe wie ein junges Mädchen. Wir aßen und tranken und brachten auch einige Toaste aus; der meinige galt der Heimath in Amerika, wie auch in Schweden. Nachmittags hatten wir ein wenig Musik; ich spielte schwedische Volkslieder, und ein junger Künstler, Mr. Cranch, eigentlich ein Landschaftsmaler und Gemahl einer der Sohnes- oder Tochtertöchter des Hauses, sang eine italienische Bravourarie so vortrefflich und mit einer so schönen Stimme, daß wir alle dadurch sehr belebt wurden, und man wohl hörte, daß er die Kunst in Italien studirt hatte. Ich habe auch noch einige andere Wohnungen an den Ufern des Hudson besucht und sah in der einen eine schöne lebhafte Wirthin, sowie eine Masse schönen Luxus, jedoch ohne die Sinnigkeit, welche Downings Wohnung auszeichnet, und in der andern eine originelle Dame, die man unter den Nachbarn hier mit Ma chère mère in den Nachbarn vergleicht, eine Vergleichung, die wirklich guten Grund hat. Ich traf da auch einen sehr angenehmen Dr. Hull, einen starken Swedenborgianer, mit dem sichs weit interessanter sprechen läßt, als mit den meisten seiner Glaubensgenossen, die ich sonst gesprochen habe. Hier zu Lande sollen die Swedenborgianer sehr stark sein.

Viel Freude macht mir in diesem Augenblick ein Besuch Bergfalks, seine Gemüthsstimmung und der gesunde, vorurtheilsfreie[WS 3] Blick, womit er Gutes und Böses in dieser neuen Welt betrachtet hat, wie auch sein warmes Gefühl für Schweden und seine gute Hoffnung für die künftige Entwickelung unseres Vaterlandes. Er ist gesund, voll Leben und Mittheilungslust. Und obschon seine Engländerin zuweilen die wunderlichsten Launen hat, von denen ich je gehört, so bricht sich doch sein Geist durch sie und mit ihnen Bahn, zuweilen auf glänzende Weise. So z. B. gestern Abend in einer Charakteristik von Macaulays Geschichtswerk, seinen Fehlern und Vorzügen, so daß der nicht sehr demonstrative Downing einmal ums andere rief: Vortrefflich! herrlich! Downing interessirte sich in hohem Grad für Bergfalk und lud ihn ein über Nacht zu bleiben; aber Bergfalk hatte bereits in der Stadt ein Zimmer bestellt. Wir begleiteten ihn in seinen Gasthof und ich gab ihm Lowells und Emersons Schriften zur Gesellschaft.




Heute Sonntag den 29., wo ich meinen Brief fortsetze, ist Bergfalk wieder hier und mit ihm ein schwedischer Doctor Uddenberg, der in Barthelemy wohnt und gekommen ist, mich zu begrüßen. Die Morgenstunde war besonders reich während eines Gesprächs über Lowells Gedicht Prometheus, und über die Art, wie ein amerikanischer Sänger diesen uralten Stoff für alle Zeiten und Dichter aufgefaßt hat. Bergfalk zeichnete sich wieder aus durch sein Talent, das Charakteristische in den Dingen zu sehen, und für Downing geht nichts davon verloren. Auf meine Bitte las Downing das schöne Stück von Prometheus Trotz gegen den alten Tirannen vor, worin der Dichter der neuen Welt gegen den Dichter der alten Welt eigentlich in Gegensatz tritt; denn nicht die Freude des Hasses und der Rache im Bewußtsein, daß die Gewalt des Tirannen einmal ein Ende nehmen wird, ist es, was das zerfleischte Herz des Märtyrers tröstet, wie im Prometheus des Aeschylus; es ist nicht, wie bei Byron, blos der Trotz nicht nachzugeben, sich größer zu fühlen als Zeus in der Kraft des Leidens und Wollens; — nein es ist keine selbstsüchtige Freude, die den Prometheus der neuen Schöpfung stärkt; es ist die Gewißheit trotz dem Tirannen und durch seine eigene Kraft die Freiheit und das Glück des Menschengeschlechtes bereitet zu haben. Die Drohung, womit er sich gegen seinen Henker waffnet, der Trotz, womit er fühlt, daß er ihn zermalmt, ist die Prophezeiung von der schönen Zukunft der neuen Welt, Amerikas. „Denn unendliches Weh hat mein inneres Auge geschärft und mich zu einem Seher gemacht, zu einem Richter zwischen der Wahrheit und dem Schein.“

„Die gewisse Macht des ewig Guten, doppelt gewiß durch die Zeugnisse von Märtyrern gleich mir, das ist meine Rache, eine Rache, die aus all meinem erlittenen Unrecht eine Ehrenpforte errichtet, durch welche hindurch ich einen Scepter und einen Thron erblicke.“

„Fröhlich flötende Hirten auf den Hügeln, ihre Heerden weidend, die nicht mehr bestimmt sind für Dich zu bluten; —“

„Singende Mädchen, mit weißen Füßen die Frucht des Weinstockes pressend, die nicht mehr auf Deinen Altären ausgegossen werden soll; — Seligkeit der Liebenden, die im Schatten von Weintrauben flüstern, deren purpurne Beeren sich minder dicht an einander schließen, als ihre warmen Wangen, nicht mehr gestört von Deinen rohen Lüften; —“

„Bienenartiges Gesumme friedlicher Staaten, wo die sonnenverbrannte Arbeitskraft für sich selbst die Früchte der reichen Erde pflückt, die sie zu ihrem Eigenthum gemacht hat durch eigene Arbeit, erleichtert durch fröhliche Lobgesänge auf eine Allmacht, mit welcher Deine Narrenfeste zu streiten suchen, wie ein Funke mit dem großen Meer; —“

„Geist freier Liebe und fröhlichen Friedens, der Tugend sicherer Lohn im Leben und im Tod; —“

„Das sind die Erndten, die alle Meistergeister zwar nicht immer auf Erden einheimsen, aber doch nichtsdestoweniger sicher, ob auch die Garben von andern Händen gebunden werden als den ihrigen; das sind die blutlosen Dolche, womit sie gefallene Tirannen niederstoßen, das ihre hohe Rache:“

„Denn der beste Theil ihres Lebens auf Erden ist, wenn lang nach ihrem Tod ihre Gedanken, nicht mehr gebunden oder gefangen, ja auch ihre wilden Träume ein nothwendiger Theil der Luft geworden sind, welche die Menschen athmen, wenn sie gleich dem Mond, der selbst von der Wolke verborgen ist, Licht verbreiten über den See des Lebens und uns hinausführen in Licht und Hoffnung.“

„Die Erde mit all ihren getreuen Erinnerungen läßt Epheu wachsen über ihre heiligen Grüfte; das freie Meer, im Sturm wie im Stillstand, wiederholt ihre Gedanken; der Blitz und der Donner und alle freien Dinge haben Sagen von ihnen für die Ohren der Menschen. Alle andere Ehre gleicht fallenden Sternen; aber über die ihrige wacht die ewige Natur.“

„Durch Menschenliebe wird solche Macht gewonnen!“ So spricht, so trotzt der Prometheus der neuer Welt!

Ein beinahe göttlicher Trotz! — —

Darauf kam Caroline Downing mit ihrem Lieblingspoeten, dem Naturdichter Bryant. Aber auch Bryants Gesang ist durchglüht von Patriotismus, vom Glauben an Amerikas Zukunft und großen Beruf. So in dem schönen epischen Gesang: die Prärien, worin er, wie die Worte selten malen, die unendlichen Felder des Westens in ihrer sonnenbeglänzten einsamen Schönheit und Größe malt, die im Winde sich beugenden Wogen von Gras und Blumenmatten, über ihnen die dahin ziehenden Wolken und über diesen die Sonne, die auf den weiten Schauplatz herabblickt, paradiesisch leuchtend und reich, obschon schweigsam und öde wie die Wüste. Aber das Schweigen wird unterbrochen. Der Dichter hört ein leises Summen. Was ist das? — Es ist eine Biene, die über die Blumenfelder hinfliegt und den Honig der Blumen saugt; die emsige Biene wird für den Dichter ein Prophet, und in ihrem summenden Flug, ihrer stillen Wirksamkeit, hört er kommende betriebsame Geschlechter, die sich über die Prärien verbreiten, sie in ein neues Paradies verwandeln und neue Blumen edlerer Art, Blumen der Menschenwohlfahrt, des Menschenglückes aufsprießen machen werden.

Zuletzt kam ich mit Waldo Emersons Poesien, die zwar ihrem Umfang nach klein, aber durch ihren Geist und Zweck groß sind, und verlas eine kleine dithyrambische Poesie, welche für die Individualität des Dichters charakteristisch ist. Die andern amerikanischen Dichter sprechen zur Gesellschaft, Emerson allein blos zum Individuum; Alle lassen mich jedoch einen Hauch vom Leben der neuen Welt verspüren durch eine gewisse Unbegränztheit und Größe in Zweck, Ahnung, Verlangen, Glauben und Hoffnung; es ist da Etwas, das mich in einer größern freieren Welt athmen läßt. So sagt Emersons Gedicht: Gib der Liebe Alles.

Gib der Liebe Alles,
Deinem Herzen gehorch,
Gib Freunde, Verwandtschaft,
Güter und guten Ruf,
Deinen Gesang, dein Leben,
Nichts verweigere!
— — — — —
Denn sie ist ein Gott,
Weiß ihren eigenen Weg
Und die Wege aus den Wolken.

     Sie ist nicht für den Schwachen,
Sie begehrt großen Muth,
Seelen über dem Zweifel,
Kraft, die nicht weichet.
Diese will sie belohnen,
Sie sollen werden
Mehr als sie waren,
Und stets sich emporschwingen.

Aber noch ein Schritt, noch ein Pulsschlag ausdauernder Bemühung wird zur Vervollkommnung deines Herzens gefordert.

Halte Dich heute,
Morgen und allzeit,
Frei wie ein Araber,
Fern der Geliebten.

Halte dich zu ihr mit deinem ganzen Leben, aber wenn blos ein Schatten von Freude, fern von dir, in ihre junge Brust sich stiehlt;

Frei sei sie dann, gänzlich frei;
Halt nicht fest ihres Kleides Saum,
Nicht das mindeste Blatt, das fiel
Aus ihrem Sommerdiadem.

Obschon Du sie innig liebst,
Wie ein besseres, höheres Selbst,
Obschon getrennt sein von ihr
Dir des Lebens Sonne verdunkelt,
Alle Anmuth den Dingen raubt,
So wisse doch sicher,
Wenn Halbgötter gehen,
Kommen die Götter.

Dies ist edler Stocismus. Unter Emersons Poesien finden sich einige, die von einer minder edlen Akt zeugen, von einem Selbstgefühl, das sich in seiner Weltverachtung erfreut, sich freut für sich genug zu haben, während die Welt hungert; Etwas, das an die höhnische Antwort erinnert, welche die Ameise in Lafontaines Fabel der Grille ertheilt. Aber dieser Schatten geht wie eine Wolke über den klaren Himmel des Dichters und hat nicht seine bleibende Heimath da. Ein stark hervortretender Zug bei ihm ist seine Liebe zu dem Starken, Großen und Naturnothwendigen, ich möchte sagen in Allem. So sagt er in seinem Gedicht: Die Weltseele:

Ich danke des Morgens Licht,
Ich danke dem schäumenden Meer,
Ich danke New-Hampshires Bergen
Und des Waldes grünhaarigem Baum;
Ich danke dem muthigen Manne
Und dem Weib von heiligem Gefühl,
Und dem Knaben, der dreist im Spiel
Niemals zurückschaute.

Aber höher als dies steht unsers Geijers Gesang:

Grünende Erde, meinen Geist empfang,
Blauendes Meer, Dich liebe ich.
Lebendiges Licht in Tiefe und Höhe,
Himmlische Sonn, du bist meine Freude.
Aber mehr als der Erde schönster Kranz,
Und mehx als der blauen Welle Tanz
Liebe ich:
Des himmlischen Lichtes keimenden Trost
In einer betenden Menschenbrust.

Von diesem Licht weiß Emerson nichts. Emerson hat im Uebrigen große Aehnlichkeit mit Byron, aber er steht ihm just gerade so weit nach, als das edelste Heidenthum dem Christenthum nachsteht.

Ich kann übrigens Emersons Poesien in meiner Uebersetzung keine Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich hatte niemals Talent zum Uebersetzen, und Emersons Poesie halte ich beinahe für unwiedergeblich. besonders in ihrer Versification. Diese ist von sehr eigenthümlicher Art und folgt, wie die Natur des Dichters, ihren eigenen ungewöhnlichen Gesetzen.

Henry Longfellow, Evangelinens Sänger, ist vielleicht der gelesenste und populärste von Amerikas Dichtern, aber er ist es durch Eigenschaften, die den edleren Dichternaturen aller Länder angehören, und nicht durch solche, die ihn als Dichter der neuen Welt auszeichnen würden. Die holden und kummervollen Gefühle, die sich in jeder bessern Menschenbrust bewegen, sind eigentlich seine Gebiet, und hier hat er seine Meisterschaft, besonders in Beobachtung der feineren Schattirungen. Nur in Evangeline hat er einen amerikanischen Stoff behandelt und eine amerikanische Scenerie geschildert.

Aber genug jetzt von dieser Poesie der Morgenstunde. Wir wollen nun zu Mittag essen. Die beiden Landsleute kommen dazu und noch ein dritter, nemlich der schwedische Consul aus Boston, Benzon.

Abends.

Der Tag ist vorüber mit seinen wechselnden Scenen und Eindrücken. Könnte ich diese doch etwas kälter nehmen! aber ich fühle Alles zu warm, werde zu leicht aufgeregt. Jeder Eindruck geht sogleich zum Herzen, und dieses schlägt leicht zu stark. Ich bin allein auf meinem Zimmer und sehe von meinem Fenster in der dunkeln, aber sternhellen Nacht Dampfboote, die auf dem Hudson gehen, schwefelblaue und gelbe Flammen aus ihren Schornsteinen senden; es sieht ganz prächtig aus. Morgen reise ich mit Downings zu einer Familie Hamilton, die zu ihrer engsten Freundschaft gehört, und am Hudson in der Nachbarschaft Washington Irwings wohnt. Und in der nächsten Woche reise ich nach New-York, um allda meine Campagne zu beginnen, zu welcher dieses Stück Land- und Gesellschaftsleben nur ein Vorspiel ausgemacht hat.

Unter den Menschen, die mir in dieser Zeit nahe gekommen, befinden sich besonders zwei Eheleute, Mr. und Mrs. Spring, die mit ihrem kleinen „baby“ von New-York hieher kamen, um mir ihre Wohnung daselbst zu meiner gänzlichen Verfügung zu stellen. Sie bewiesen mir eine so schöne und ernste Freundlichkeit, und aus ihrem ganzen Wesen schien mir eine so reine und prunklose Humanität zu sprechen, daß ich ihr Anerbieten mit Vergnügen annahm und gerne einige Zeit bei ihnen verweilen will, bevor ich mich in andere Häuser begebe, wohin ich mich auch für einige Zeit versprochen habe. Unter ihnen ist auch die Wohnung der Miß Lynch. Es sieht aus, als soll ich für meinen Lebensunterhalt hier zu Lande nicht viel bezahlen, wenn ich so fortfahre in den Häusern herum zu gastiren. Aber darauf ist nicht überall zu rechnen; überdies hat es seine Unannehmlichkeiten, wenn es auch seine Vortheile und sein großes Interesse hat.

Mr. und Mrs. Spring gelten für Socialisten und Abolotionisten, gehören der liberalen Bewegungspartei im Lande an, und sind allgemein als edle und achtungswerthe Menschen bekannt. „Von ihnen,“ sagte Mr. Downing, „werden Sie hören, was diese Partei auszeichnet; bei ihnen werden Sie wahrscheinlich Henry William Channing einen unserer talentvollsten Stegreifredner, sehen, und durch ihn können Sie mit Emerson bekannt werden.“

Ich kann Dir nicht sagen, wie glücklich ich mich schätze, daß ich gleich im Anfang meines Aufenthalts dahier mit dem denkenden und Alles auffassenden Downing in Berührung gekommen bin, der überdies so unbeschreiblich freundlich gegen mich ist, und es sich so angelegen sein läßt, daß ich alle möglichen Vortheile von meiner Reise habe, und alle Dinge, die bessern sowohl als die schlimmen, in ihrem wahren Lichte sehe. Er docirt niemals, unterweist mich niemals; aber so allmälig und gleichsam zufällig nennt er mir den Namen von Personen, die in der einen und andern Richtung für die Zukunft der neuen Welt thätig sind, und macht mich aufmerksam auf das, was im Lande jetzt in der Arbeit ist. Ich bemerke dabei, mit welcher Bestimmtheit die Vertheilung der geistigen Arbeit hier vor sich zu gehen scheint, und wie jede Fähigkeit, jedes Talent sich leicht Bahn bricht, seinen Platz und seine Wirksamkeit erhält, bekannt und anerkannt wird. Als einen der thätigsten Zukunftsmänner hat Downing mir Horace Mann bezeichnet, der durch seinen Enthusiasmus und seine Beharrlichkeit eine große Reform im Unterrichtswesen zu Stande gebracht, zur Erbauung großer, schöner Schulhäuser überall in den nördlichen Staaten beigetragen und dem Schulorganismus überall neues Leben eingegossen haben soll. Die Reformatoren und Professoren, welche das geistige, intellectuelle Leben in Amerika entwickeln und seine Ideale hervorrufen, scheinen aus den nördlichen Staaten, aus der Heimath Neuenglands, und hauptsächlich aus Massachussetts, der ältesten Wohnung der Pilger und Puritaner, zu kommen.

Von seiner eigenen Wirksamkeit spricht Downing mit der größten Bescheidenheit; aber ich hörte von Miß Sedgewick, daß wenige Männer in den Vereinigten Staaten so allgemein bekannt seien, und so segensreich wirken wie er. Seine Bücher über Baukunst, über Blumen und Früchte, die alle darauf ausgehen, den Geschmack zu veredeln, und die reinsten Ergebnisse der Wissenschaft und Kunst in diesen Zweigen für alle Welt zugänglich zu machen; diese Bücher sind überall zu finden, und Niemand, er sei reich oder gering, baut ein Haus und legt einen Garten an, ohne Downings Bücher zu befragen; jedes junge Paar, das sein eigenes Nest bauen will, kauft sie. „Das kommt daher,“ sagt Downing bescheiden, „daß ich zu einer Zeit auftrat, wo man allgemein anfing ein Bedürfniß nach Kenntnissen in der Anlegung von Häusern und Baumgärten zu empfinden.“ Er ist, was man hier zu Lande einen selfmade man, einen selbstgemachten Mann nennt, d. h. ein Mann, welcher der Erziehung durch Andere nur wenig zu verdanken hat, sondern meist durch eigene Erziehung geworden ist, was er ist. „Er ist einer unserer besten Leute,“ sagte Miß Sedgewick. Es wird mich schwer ankommen, ihn und sein herziges, freundliches Weibchen zu verlassen. Downing hat mir einen Reiseplan und eine Marschroute zu einer einjährigen Reise durch die Vereinigten Staaten entworfen und mich mit Briefen an seine Freunde an verschiedenen Orten versehen. Ich hätte Dir noch viel zu sagen von meiner Freude, daß ich hier bin und mich ganz neu aufleben fühle, obschon ich das äußere Leben mitunter etwas beschwerlich finde und mich darauf gefaßt mache, in Zukunft eine ganze Menge arbeiten zu müssen. Aber ach, wie Wenige haben sich über ein solches Arbeiten zu beklagen, wobei sogar viel Interesse, sogar viel Wohlwollen einfließt! Meine Agatha, wenn Du in Deinen Gebeten mein gedenkst (und ich weiß, daß Du es thust), so danke Gott für mich, daß er meine heimlichen Gebete so reichlich erfüllt, daß er meinen Hunger und meinen Durst stillt, daß er mich mit seinem Reichthum und seiner Güte sättigt.

Morgens.

Noch einen Gruß von dem schönen Hudsonsstrande, von den Höhen Newburghs, bevor ich sie, vielleicht für immer, verlasse. Downings sagen zwar, ich solle aufs nächste Frühjahr zu ihnen zurückommen, aber es ist lang bis dahin, und ich muß weit umherfahren und so Vieles sehen! … Wiederum ein schöner Morgen. Der Fluß liegt spiegelklar da; Hunderte von kleinen Segeln gleiten sachte gleich schwimmenden Fischmöven zwischen den hohen Bergen auf dem Wasser dahin. Ich begreife kaum, wie sie sich bewegen können. Der Wind scheint zu schlafen. Ueber dem Fluß und den Bergen, über den goldenen Wäldern, die immer mehr die Goldfarbe annehmen, über den weißen, glitzernden Dörfern mit ihren Kirchthurmspitzen im Schooße der waldigen Berge ruht der dünne Nebelschleier des indianischen Sommers. Es ist dies eine große und stille romantische Scenerie. Ich fühle und sehe es — nicht bloß außer mir. Den indianischen Sommer mit seinem mystischen Leben, seinem Schleier über goldenen Wäldern und Bergen — den fühle ich in meiner Seele leben. Ich sehe die Natur an und frage: Bin ichs, die in Dir lebt, oder bist Du es, die dieses Leben in mir erweckt? Diese schönen wohlgebauten Häuslein mit ihren Obstgärten und Pärken, die gleich Perlen in die smaragdgrünen Rahmen der Ufer eingefaßt liegen, wie viel enthalten sie nicht vom Besten, was das Leben der neuen Welt besitzt! Wie schön und vollkommen scheint nicht hier das Privatleben in das allgemeine eingeschlossen zu sein, und wie froh bin ich nicht, daß ich mehrere dieser kleinen Wohnungen an dem großen herrlichen Strom kennen gelernt habe! Ganz nahe bei Downings Villa befindet sich ein schöner Landsitz, wo vier Schwestern wohnen, die sämmtlich unverheirathet sind. Ein guter Bruder, der durch Handel wohlhabend geworden, baute das Haus und kaufte den Platz umher für seine Schwestern. Einige Jahre später gerieth der Bruder ins Unglück. Er verlor Alles was er besaß. Jetzt erziehen die Schwestern seine Kinder und er hat seine Heimath bei ihnen. Sie sind einfache, gute, angenehme Frauenzimmer, mit denen man sowohl im Ernst als im Scherz sprechen kann. Weiter weg auf der andern Seite des Flusses hat ein Ziegelschläger sich eine schöne Villa erbaut. Der Ehrenmann — so sieht er aus und das soll er auch sein — war einig Mal hier, um mir Blumen zu schenken und mich in seine Villa einzuladen. Downing hat mich auf ein kleines, schönes Haus mit grüner Veranda und Baumgarten hier in der Nähe aufmerksam gemacht. „Es gehört,“ sagt er, „einem Mann, der den Tag hindurch auf seinem Karren Steine und Schutt zum Straßenbau führt.“ Dies ist der Vortheil, den der Arbeiter in der neuen Welt vor dem in der alten voraus hat. Er kann hier mit der groben Arbeit seiner Hände weit schneller zum feineren Glück des Lebens, zu einem schönen Haus und zu allen Vortheilen der Bildung in demselben kommen.

In diesem Augenblick donnern Schüsse von der andern Seite des Hudson, und ich sehe große Steinblöcke in die Luft fliegen und ins Wasser fallen, das davon zischt und schäumt. Es ist ein Berg, den man sprengt, um für eine Eisenbahn Platz zu machen, die gegenwärtig dem Flusse entlang angelegt wird, und wo die Dampfkraft zu Land mit der Dampfkraft zu Wasser wetteifern soll. Berge werden aus dem Wege geworfen, Berge werden durchbohrt, um Tunnels oder bedeckte Gänge zu bohren, Berge werden ins Wasser versetzt, um den Grund zu einem Weg an einigen Stellen zu legen, wo er über das Wasser gehen muß. Diese Amerikaner bedenken sich vor Nichts und machen vor Nichts Complimente. Sie haben einen Glauben, der Berge versetzt.

Jetzt kommen Dampfschiffe mit dumpfem Gedonner in die Berge, zwei oder drei jagen einander wie zierliche Meteore; ein paar andere kommen ferner arbeitend, pustend, große Flotten größerer und kleinerer Schiffe nach sich ziehend. Jetzt bekommt New-York Butter, Käse, Gethier und viele andere gute Dinge vom Lande her, und das Land mit seinen Städten und Landsitzen bekommt Cafe, Thee, Wein, Kleider und gar mancherlei gute Dinge von New-York und durch New-York von Europa. Die kleine Stadt New-York allein unterhält mit ihrem Handel vom Lande hinter sich 2—3 Dampfboote. Wenn man die Menge und Kraft der Dampfboote auf dem Hudson sieht, so kann man kaum glauben, was gleichwohl der Fall ist, daß vor nicht mehr als 30 Jahren Fulton hier auf dem Fluß seine erste Probe mit der Dampfkraft anstellte, und zwar unter allgemeinem Mißtrauen gegen das Unternehmen. Er selbst hat die Sache folgendermaßen erzählt:

„Als ich mein erstes Dampfschiff bauen wollte, sah das Publikum von New-York theils mit Gleichgültigkeit, theils mit Verachtung zu und betrachtete es als ein durchaus thörichtes Unternehmen. Meine Freunde waren höflich, aber schüchtern. Sie hörten meine Erklärungen mit Geduld, aber mit einem bestimmten Ausdruck tiefen Mißtrauens in ihren Gesichtern an. Da ich täglich auf dem Bauplatz, wo mein Boot in der Arbeit war, hin und her ging, so habe ich mich oft ungekannt bei müßigen Fremdlingen, die da zusammenstanden, aufgehalten und ihre Fragen in Betreff der neuen Locomotive angehört. Sie sprachen nie anders als mit Spott und Hohn davon. Man lachte laut und riß Witze auf meine Kosten, man berechnete die Ausgaben und Geldverluste für den Fulton-Wahnsinn, wie das Unternehmen beständig genannt wurde. Nie hörte ich eine einzige aufmunternde Bemerkung, eine belebende Hoffnung oder einen warmen Wunsch.

„Endlich kam der Tag, wo die Probe vorgenommen werden sollte. Für mich war dies ein Augenblick von höchster Bedeutung. Ich hatte mehrere Freunde ersucht an Bord zu gehen, und der ersten glücklichen Fahrt anzuwohnen. Viele von ihnen erwiesen mir die Freundlichkeit zu kommen, aber es war klar, daß sie es nicht sonderlich gern thaten und in dem Glauben Zeugen meiner Demüthigung, nicht meines Triumphes zu werden. Und auch ich wußte wohl, daß Gründe genug vorhanden waren, um meinen Erfolg zweifelhaft zu machen; die Maschine war neu und schlecht gearbeitet, viele Theile davon waren von Arbeitern gefertigt, die von dergleichen Dingen nichts verstanden, und auch aus andern Ursachen konnten leicht Schwierigkeiten erwachsen. Der Augenblick kam, wo das Schiff seine Bewegung beginnen sollte. Meine Freunde standen in Gruppen auf dem Verdeck. In ihren Blicken lag Furcht mit Unruhe vermischt. Sie waren still und niedergeschlagen. Das Signal wurde gegeben und das Boot bewegte sich ein Stück weit vor, dann aber hielt es an und blieb unbeweglich. Auf das erste Schweigen folgte jetzt ein Gemurre des Mißvergnügens und der Unruhe, Geflüster und Achselzucken. Ich hörte wiederholen: „Ich sagte es ja; — das ist ein thörichtes Unternehmen; — ich wollte, wir wären mit heiler Haut weit davon.“ Ich stieg auf die Plattform und sagte meinen Freunden, daß ich nicht wisse, was an der Verzögerung Schuld sei, daß ich aber, wenn sie ruhig seyn und mir eine halbe Stunde Zeit gönnen wollten, entweder die Reise fortsetzen oder sie gänzlich aufgeben wolle. Ich ging in die Maschinerie hinab und entdeckte bald ein unbedeutendes Versehen in der Anordnung. Dem wurde abgeholfen. Das Boot bewegte sich wieder; wir verließen New-York; wir zogen durch die Hochlande; wir kamen nach Albany. Aber noch immer war die Kraft des Mißtrauens stärker als die des factischen Beweises. Man bezweifelte, ob die Sache sich ausführen ließe, und selbst im Falle der Ausführbarkeit, ob sie je großen Vortheil bringen könnte.“

So stand es vor ungefähr 30 Jahren und jetzt fliegt die halbe Menschheit auf Fultons Schwingen über Land und Wasser! … Aber auch in der neuen Welt haben erste Entdecker Mühe und Kampf.

Der Morgenthau liegt auf den weichen Graswellen vor meinem Fenster und die schönen Blumengruppen und Bäume glänzen darin; unter ihnen ein Magnolienbäumchen mit schönen hellrothen Samenkapseln; Alles lieblich und friedlich und dazu die große prächtige Aussicht, das Leben auf dem Flusse unten! Ich möchte an einem solchen großen Flusse wohnen. Welche große Gedanken, welches Leben führt er nicht mit sich, von seinem Beginn an aus der Quelle der Wolke, aus der Wiege des Berges, und auf seiner Fahrt durch die Thäler der Erde, wo er immer gewaltiger anschwillt.

„Die reichen Städte laden ihn zu Gast,
Und Blumenau’n umfassen seine Knie“.

Er ist ein Wohlthäter, wohin er kommt; er wird begrüßt und gefeiert, benützt und gesegnet, aber er achtet nicht darauf; er verweilt nicht und ruht nicht aus:

„Er tauft Länder mit seinem Namen und zieht dahin!“

Ein Heldenleben! So eilt er voran zu seinem Ziele, dem Ocean. Dort darf er ruhen. Eines Heldengemüthes Ruhe und Frieden in dem Unendlichen, dem Großen, für Alle Genügenden.

Ich möchte am Hudson wohnen, wenn ich nicht einen Fluß wüßte, der mir noch lieber ist. Er heißt Götha-Elf. Unser Arsta ist gut mit seinen salzigen Wogen. Aber lieber möchte ich am Götha-Elf ein Häuschen haben. Und ich glaube, daß auch Du Dich an der westlichen Küste Schwedens besser befinden würdest, als an der östlichen und kälteren.

Ich muß Dich jetzt verlassen, um andere Briefe zu schreiben. Downing will Dir und Mama auch einige Worte schreiben. Ich brachte gestern eure Gesundheit aus, und wir tranken sie in Champagner.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: anderu
  2. Vorlage: etne
  3. Vorlage: vornrtheilsfreie
Zweiter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Vierter Brief
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