Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Zweiter Brief
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Guten Morgen, liebes Schwesterchen! oder vielmehr guten Abend! auf dieser neuen Erde, wo ich jetzt festen Fuß gefaßt habe, nachdem ich mich 13 Tage lang auf dem Meere gewiegt. Ich wohne im Astorhaus, einem der größten und besten Hotels von New-York, das eben so viele Bewohner hat als die Hauptstadt von Island, nämlich ungefähr 500. Schief gegenüber sehe ich ein großes sogenanntes Museum mit fliegenden Fahnen und grünen Büschen auf dem Dach, und die Wände mit ungeheuren Gemälden bebeckt, die größten Wunder der Welt vorstellend in Gestalt von riesigen wunderlichen Thieren und sonderbaren Menschen, die im Hause zu schauen sein sollen (ich bemerke unter ihnen einen Mann, der aus dem offenen Rachen eines Wallfisches einen Purzelbaum hoch in die Luft macht, einen salto mortale, ähnlich dem des seligen Propheten Jonas) und mehrere dergleichen Curiosa, die noch überdies von einer Bande Musikanten vom Balkon des Hauses herab ausgetrompetet werden. Sie spielen recht gut und das Ding sieht recht lustig aus. Unten am Astorhotel befindet sich eine grüne Umzäunung mit Bäumen und einem großen Springbrunnen; dies sieht erfrischend aus und ich habe mich Nachmittags eine Weile durch einen Spaziergang allda erlabt. Astorhaus liegt in Broadway, der großen Hauptstraße New-Yorks, wo Menschen und Wagen in unaufhörlicher Strömung und in ächt republikanischem Gemisch an einander vorbeirennen. Lange Reihen weißer und goldgelber Omnibusse schlängeln sich in gleichmäßiger schneller Bewegung, so weit man sehen kann, zwischen 1000 andern großen und kleinen Fuhrwerken heran. Die breiten Seitengänge wimmeln von Menschen aus allen Klassen; es sind da schöne Häuser, die im Ausbau begriffen sind; zierliche Läden und eine Menge schlechter Plunder; in Broadway herrscht ein gewisser Wirrwarr, der auch mich für den Anfang etwas wirr im Kopfe machte. An das Leben auf der Straße denke ich erst zu kommen, wenn[WS 1] ich einmal hinübergehe. Der hübsche kleine Park mit seiner schönen Fontaine neben dem brausenden Broadway ist eine wahre Oase in dem aufgerührten Sand. Jetzt muß ich etwas von meiner Ankunft dahier sagen.
Ich verließ Dich das letztemal vor unsrer Ankunft in Halifax. Die Nacht darauf war die einzige etwas gefährliche auf der Reise. Wir näherten uns nämlich der Küste und ihren gefährlichen Brandungen unter einem starken Nebel. Wir mußten von Zeit zu Zeit still liegen. Aber am Morgen lagen wir vor Halifax, und ich sah die Brandungen gleich schrecklichen Meerungeheuern brausend und in einiger Entfernung um uns her sich erheben. Ich stieg in Halifax ans Land, traf aber dort blos das schlimmste von der alten Welt wieder, Nebel, Lumpen, Bettler, schmutzige kreischende Kinder, dürre Pferde etc. etc. Ich war froh, daß wir uns nur ein paar Stunden da verweilten.
Am folgenden Tage ging die Fahrt südlich gegen New-York; es war ein wahres Fest; warmes Wetter, ruhige See, günstiger Wind und am Abend das Meer voll von phosphorischem Glanz und Sternen, und der Himmel auch voll von Sternen, die aus poetischen Wolken herabschauten. Es war ein herrlicher Abend. Ich blieb bis sehr spät auf dem Verdeck und betrachtete die Lichtexplosionen, die unsere Fahrt mit dem Kiel des Schiffes längshin aus der Tiefe hervorrief. Wir fuhren gleichsam in einem Element von hellem Silber, worin die zierlichsten Gruppen goldener Sterne unaufhörlich hervorsprangen.
Am folgenden Tag war es trübe; Himmel und Meer waren grau, die Wogen bleifarbig. Aber als wir in den großen schönen Hafen bei New-York kamen, der uns wie mit offenen Armen umschloß, da brach die Sonne stark und warm durch die Wolken, und Alles leuchtete rings umher. Dies war ein herrlicher Empfang von Seiten der neuen Welt; dazu lag in der Luft etwas so wundersam Lebensvolles, Knisterndes und Jugendfrisches, daß es mich frappirte. Es war darin etwas vom Leben der ersten Jugend — so wie man es mit 15 oder 16 Jahren empfindet. Ich trank die Luft, wie man Nektar trinken könnte, während ich vom Verdeck auf den neuen Strand hinausschaute, dem wir uns schnell nahten. Er war niedrig; ein Wald von Masten verdeckte mir New-York noch, man sah jedoch seine Thürme und seinen Rauch, und rechts und links im Hafen lagen mit grünen Hügeln und Gruppen von schönen Villen und Häusern die großen Inseln Long-Island und (links) Staten-Island, das mir höher und waldiger schien, als die übrige Küste. Der Hafen ist prächtig, und unsere Ankunft war, Dank sei es der Sonne und den Winden, festlich schön.
Eine sehr angenehme Familie, Bones von Georgien, empfing mich und alles das Meinige mit der größten Freundlichkeit und führte mich mit sich nach dem Astorhaus, wo wir sogleich ein Zimmer bekamen. Das blasse Mädchen und ich quartirten uns zusammen in ein Zimmer 4 Treppen hoch ein; wir konnten es nicht anders bekommen. Ich war noch nicht eine Viertelstunde im Astorhaus gewesen und stand eben mit meiner Reisegesellschaft in einem gemeinschaftlichen Salon, als ein dunkel gekleideter Herr von feinem gentlemännischem Aussehen und Wesen und mit einem der schönsten dunkelbraunen Augenpaare, die ich je gesehen, sachte auf mich zutrat und mit einer überaus melodischen Stimme meinen Namen nannte. Es war Mr. Downing, der aus seiner Villa am Hudson gekommen war, um mir bei meiner Ankunft entgegen zu gehen. Ich hatte dies kaum erwartet, da ich so lange ausgeblieben und er schon vorher einmal vergebens meinetwegen nach New-York gefahren war. Sein Aussehen und sein ganzes Wesen gefiel mir sehr. Ich weiß nicht, warum ich ihn mir als einen Mann von mittlerem Alter, mit blauen Augen und hellen Haaren, gedacht hatte; er ist aber ein junger Mann von etwa 30 Jahren, mit dunkeln Augen und dunkelm Haar, schön braun und weich gelockt, im Ganzen eine recht romantische Erscheinung. Er bleibt morgen noch bei mir hier, verlangt aber, daß ich ihn übermorgen nach seinem Haus am Hudson begleiten soll, wo ich die Bekanntschaft seiner Frau machen, im Uebrigen ausruhen, die Hochlande des Hudson sehen und meine künftigen Reiseprojekte weiter überlegen werde.
Ich habe den Abend mit meinen Freunden vom „Kanada“ und Mr. Downing in einem der vielen und großen Salons des Hauses zugebracht und da verschiedene Bekanntschaften gemacht. Prächtige Salons mit Sammtmöbeln, mit Spiegeln und Vergoldungen, strahlend von Gasflammen, herrlichen Kronleuchtern und andern glänzenden Zierrathen stehen in allen Stockwerken des Hauses für Ladies und Gentlemen offen, die da wohnen und Besuche machen, plaudern und in weiche zierliche Sofas oder Armstühle gelehnt ausruhen, sich mit Fächern Kühlung zuwehen und dem Anschein nach nichts Anderes in der Welt zu thun haben, als gegen einander artig zu sein. Sobald ein Frauenzimmer aufsteht, ist sogleich ein Herr bei der Hand, um ihr seinen Arm anzubieten.
Es ist mühsamer hier als man glaubt; ich bin nach einem eintägigen Löwenleben dahier ganz ermattet. Den ganzen Tag, vom frühen Morgen an, mußte ich Besuche empfangen, mußte in einem zierlichen Salon da sitzen oder stehen und mich blos vom Einen zum Andern wenden, Grüße und Händedrücke mit zuweilen einem halben Dutzend neuer Bekannten auf einmal austauschen, mit Gentlemen von verschiedenen Professionen und Nationen, Ladies, die mich in ihre Wohnungen einluden und verlangten, ich solle nur sogleich kommen; dann trafen auch eine Menge Briefe ein, die ich blos erbrechen konnte, Bitten um Autographe etc. etc. Ich habe heute 70—80 Personen die Hand gedrückt. Eine Menge Besuche konnte ich gar nicht empfangen. Die Namen sind mir beinahe alle entfallen, aber die meisten Leute, die ich sah, gefallen mir durch ihr herzliches und offenes Benehmen und ich bin dankbar für ihre große Freundlichkeit. Es wird einem so warm und gastlich dabei zu Muthe. Aber ich war seelenfroh, als ich auf ein paar Stunden meinen guten Freunden entfliehen und mit Mr. Downing nach dem schönen Park Greenwood hinausfahren konnte, dem großen neuen Begräbnisplatz New-Yorks, einem jungen Père la chaise, aber riesiger in seiner Anlage. Man fährt da wie in einem großartigen englischen Park mit Hügeln und Thälern. Von der höchsten Höhe „Ocean-hill“ hat man eine herrliche Aussicht auf den Ocean hinaus. Das prächtigste Monument, das ich sah — von weißem Marmor — wurde von trauernden Eltern ihrem einzigen Kinde, einer jungen Tochter, errichtet. Das junge Mädchen war überfahren worden. Vermuthlich geschah es in Broadway.
Als ich ins Hotel zurückkam, aß ich mit Downing in einem der kleineren Säle zu Mittag. Am Tisch sah ich einige Herren sitzen, deren Anblick mir eigentlich weh that, wie es mir weh thut übermäßig angestrengte, abgehetzte Pferde zu sehen, denn so sahen sie aus. Und die unruhigen, in tiefen Höhlen liegenden Augen, die gespannten matten Züge, welch ein Leben verkündeten sie! Besser auf dem Ocean-hill liegen, als so in Broadway leben. Diese Figuren hatten wenig Aehnlichkeit mit den meisten von denen, die ich in Astorhaus gesehen hatte. Aber auch in Broadway habe ich bereits Menschen und Pferde gesehen, die ich auf der Erde der neuen Welt nicht zu sehen gewünscht hätte, und die von trüben Lebensströmen auch hier zeugen. Doch wie konnte es anders sein, zumal in New-York, das mehr ein großes Hotel, ein Karawanserai für die ganze Welt, als eine eigentlich amerikanische Stadt ist?
Nachmittags habe ich wieder Besuche empfangen, unter ihnen Mrs. Child. Sie machte auf mich den Eindruck einer schönen Seele, aber zu feinfühlend, um glücklich zu sein. Die kleine Dichterin Miß Lynch war unter den Morgenbesuchen; sie ist ein angenehmes, liebliches und seelenvolles junges Frauenzimmer und hat in ihrem Gesicht und Blick etwas von Jenny Lind. Auch Landsleute sah ich. Ein hübscher junger Schwede, Herr Frestadius, kam mit einem großen Blumenstrauß. Den norwegischen Consul Hejerdahl und Herrn Buttenskön hatte ich kaum Zeit recht zu grüßen. Herr Ononius aus Westermannland kam auch: er wollte gerne mit mir reden und unsere Landsleute vor der Auswanderung und ihren Leiden warnen. Unter den heutigen Einladungen war auch eine in ein Phalanstère, das in New-Jersey, nicht weit von New-York liegt. Es soll mir nicht leid thun, dieses Unthier einmal in der Nähe zu Gesicht zu bekommen. Die Familie, die mich dort zu sich einlud, sah nicht abschreckend, sondern eher recht einnehmend aus, ganz ohne Falsch, freundlich und ernst.
Aber warum ich ein wenig erschrecke, das ist.... um mich selbst, wenn das Leben hier zu Lande diesem Tage gleicht. Dann werde ich wahrhaft ausgesogen, denn meine Kräfte reichen nicht hin für so viele lebensvolle Menschen. Wie soll es werden, wenn es hier so fortgeht? Glücklicher Weise werde ich morgen früh von dem ehrlichen Downing aus New-York entführt. Heute Abend muß ich trotz meiner Müdigkeit zu einer Soiree bei Miß Lynch fahren, die mich bei einigen ihrer literarischen Freunde einführen will. Ich habe bereits meine Toilette dazu gemacht, ich habe meine besten Kleider am Leib, sehe darin recht leidlich aus und schreibe, indeß ich auf den Wagen warte. Ach, wer sich hinlegen dürfte, um zu schlafen!
Ich wohne mit dem blassen Mädchen aus dem Süden zusammen. Ich habe noch Niemand mit so klarem Bewußtsein und so frohem Muth dem Tod entgegengehen sehen. Sie ist ein stilles, frommes Wesen mit großer Kraft und vieler Zärtlichkeit in der Seele.
Jetzt muß ich wegfahren. Gute Nacht!
Meine liebe Schwester! Wie froh bin ich, daß ich hier bin in der jungen, neuen Welt; wie danke ich der Vorsehung, die mich in ihrer Güte durch Geistes und Dampfes Kraft glücklich hiehergeführt hat, obschon ich durch die Masse von Eindrücken und Gedanken, die gleichsam auf mich hereinrauschen, nicht blos gehoben, sondern zugleich auch bedrückt werde. Alles was ich geahnt, gesucht, ersehnt, das werde ich hier finden, und noch mehr. Ich meine Nahrung und Licht für den fragenden, forschenden Geist in mir. Besonders glücklich fühle ich mich durch die Berührung mit Mr. Downing, einem edeln und fein unterscheidenden Geist, einem ächten Amerikaner, aber ohne blinden Patriotismus, einer offenen Seele, einem kritischen Verstand, der mir über die Zustände und Fragen im Lande nachdenken hilft. Und einer solchen Hilfe bin ich für den Anfang wohl bedürftig.
Ebenso war es mir ein wahres Bedürfniß, mit Gewalt den Bewohnern von Astorhaus und New-York entrissen zu werden, denn sie hätten mir sonst gleich im Anfang ein Ende gemacht. Ich war von der ersten Tagesarbeit im Gesellschaftsleben, die bis Nachts ein Uhr währte, dermaßen müde und hatte ein solches Bedürfniß nach Ruhe und Schlaf, daß ich es kaum für möglich hielt am folgenden Morgen schon um fünf Uhr von New-York abzureisen. Ich sagte es Mr. Downing, der sehr mild, aber bestimmt antwortete: O, Sie müssens versuchen! wobei ich dachte: Diese Amerikaner halten also Alles für möglich! aber auch sogleich einsah, daß die Sache vollkommen ausführbar war. Und am nächsten Morgen war ich um ½ fünf Uhr auf und angekleidet, küßte in ihrem Bett das blasse Mädchen aus dem Süden, das mir im letzten Augenblick ein seidenes Tüchlein, weich und weiß wie sie selbst, um den Hals schlang, und so eilte ich hinab, um mich unter Mr. Downings Tirannei zu stellen. Der Wagen stand bereits vor dem Hause und drinnen fand ich Miß Lynch, die Mr. Downing eingeladen hatte, den Sonntag in seinem Hause zuzubringen.
Fahr zu! New World! rief der Portier des Hotels unserem Kutscher zu, und wir rollten die Broadway-Straße hinab dem Hafen zu, wo das große Dampfboot „the new World“ uns an Bord nahm. Es war ein wahrer kleiner schwimmender Palast, von Außen zierlich und flimmernd von Weiß und Gold, von Innen zierlich und elegant, große helle Salons, prächtige Möbel, wo Herren und Damen bequem ruhten und plauderten oder Zeitungen lasen. Ich sah da keinen von Dickens rauchenden und spuckenden Herren. Stattlich und still schwammen wir den breiten, stattlichen Hudson hinauf. Schade, daß es ein Regentag war, denn die Fahrt war sonst eine der schönsten, die man sich denken kann, zumal als wir nach einigen Stunden in die Hochlande kamen. Die Ufer mit ihren kühnen und waldbewachsenen Höhen und Bänken erinnerten mich an die Gestade des Dalelf und des Angermannaelf, ja sie schienen mir derselben Naturbildung anzugehören, nur daß die Fluth hier breiter und die Natur großartiger war; die dunkeln Wolken, die in schweren Draperien zwischen den Bergen über den Fluß herabhingen, standen hier in prächtiger Harmonie mit den düster schönen Pässen, durch die wir uns schlangen, und die bei jeder neuen Wendung neue großartige Gemälde eröffneten. Der Fluß war voll von Leben. Dreieckige Dampfboote, gleich dem unsern schimmernd von Gold und Weiß, fuhren hinauf und hinab; andere Dampfboote zogen Flotillen von 20—30 Booten nach sich, die mit binnenländischen Waaren für New-York, oder mit New-Yorker Waaren für das Binnenland belastet waren, und man sah 100 größere und kleinere Segelschiffe die steilen Ufer entlang fliegen, gleich weißen Tauben mit rothen flatternden Halsbändern. An den Ufern glänzten eine Menge weiße Landhäuser und kleine Höfe. Ich bemerkte eine große Abwechslung in der Bauart. Manche Häuser sind im gothischen Styl gebaut, andere gleichen griechischen Tempeln — und warum denn nicht? Das Haus soll ebensowohl ein Tempel als eine Wohnstätte und eine Vorrathskammer sein. In unserem alten Norden war der Platz des Hauses ein heiliger Raum und die Hausgötter wohnten da. Ich sah auch Dörfer, Kirchen, alle Arten von Gebäuden am Ufer; die weiße Farbe war vorherrschend. Manche Häuser waren jedoch auch etwas grau und sepiafarbig. Gegen das Ende der Reise kamen Wolken über uns herab und es fiel ein tüchtiger Regen. Aber mit der liebenswürdigen Miß Lynch und mit Mr. Downing war es leicht im Gemüth und Gespräch den Sonnenschein oben zu halten. Nach einer Fahrt von 3—4 Stunden landeten wir in dem Städtchen Newburgh, wo Mr. Downings Wagen uns entgegen kam und uns die Hügel hinan nach einer schönen Villa von hellen sepiafarbigen Sandsteinen mit zwei vorstehenden Thürmchen führte. Von einem Park umgeben, hoch und frei liegend, gewährte sie eine freie Aussicht über den schönen Fluß und seine Ufer. Ein feines hübsches Weibchen, blond und blauäugig, trat aus der Hausthüre, umarmte Mr. Downing und bewillkommnete herzlich seine Gäste. Es war Mrs. Downing. Sie sieht aus, als gehöre sie zur Vögelnatur. Und da wollen wir’s uns denn behaglich sein lassen und recht mit einander zwitschern, denn auf die Natur versteh’ ich mich auch.
Astorhaus mit seinem schimmernden Salons- und Gesellschaftsleben und „the new World“ mit seiner Pracht waren gute Probestücke von der Außenseite (the showy side) des Lebens der neuen Welt, und Downing sagt, er wünsche sehr, daß ich sogleich etwas davon zu sehen bekomme, um hernach besser die andere Seite des Lebens dahier beurtheilen zu können, diejenige die der inneren, feineren, eigentlich individuellen Bildung angehört. Und von dieser hätte ich kaum ein besseres Muster bekommen können, als in Mr. Downing selbst und seinem Heimwesen. Er hat selbst sein Haus gebaut, selbst alle Bäume und Blumen umher gepflanzt, und Alles scheint mir das Gepräge eines feinen und ernsten Gemüthes zu tragen. Es ist eine romantische Scenerie, dunkle Gänge, die zierlichsten Detailparthien und große Aussichten. Alles ist voll Einsicht gemacht, nichts verräth Steife oder Plumpheit. Eine Seele hat hier gefühlt, gedacht, geordnet. Im Hause waltet ein gewisser düsterer Ton in den Farben vor; alles Holzwerk ist braun, selbst der Tag ist düster, aber dennoch klar oder vielmehr lichtvoll; es ist ein gebundener Sonnenschein; etwas Warmes und Tiefes — es kommt mir vor wie ein Widerschein von den braunen Augen des Mannes. In den Formen, den Möbeln, der Anordnung herrscht der feinste Geschmack; alles ist edel und weich und alles ebenso comfortabel als geschmackvoll. Das Einzige was in den Zimmern glänzt, sind die schönen Blumen in zierlichen Urnen und Körben. Im Uebrigen sind Bücher, Büsten und einige Gemälde da. Auf kleinen Bücherschränken in Form von gothischen Fenstern, die wie Nischen in den Wänden in Downings Salon angebracht sind, stehen Büsten von Linné, Franklin, Newton und anderen Heroen der Naturwissenschaft. Man sieht in dieser Wohnung eine bestimmte und durchgeführte Individualität, die sich in ihrer Umgebung ausgeprägt hat. Und so sollte jeder Mensch sich und seine Welt bilden. Man ahnt hier Mr. Downings Wahlspruch: il bello e il buono (das Schöne und das Gute). In Speisen, in Früchten, sowie in einer Menge kleiner Dinge herrscht ein wirklicher Luxus, der aber nicht glänzt und sich breit macht, sondern gleichsam verborgen in dem innern Reichthum und der Ausgesuchtheit des Dinges liegt. Eine Wohnung dieser Art hatte ich in der jungen neuen Welt nicht erwartet. Seit ich hier bin, hat es unaufhörlich geregnet und genebelt, und ich bin ganz bös auf das Klima. Es könnte kaum bei uns im Oktober schlechter sein. Aber ich schätze mich auch glücklich, daß ich in ein so gutes Haus gekommen bin. Mein Zimmer ist im obern Stock und gewährt eine prächtige Aussicht über den Hudson und die Berge auf der andern Seite des Flusses.
Ich dachte, daß ich hier fürs Erste vor allen Besuchen Ruhe bekommen würde. Aber nein. Gestern Abend spät, in Dunkelheit, Sturm und Regen, als ich mit meinen Wirthsleuten in ihrem gemüthlichen Salon saß, kam der Herausgeber von „Sartaines Union Magazine“ in Philadelphia, Professor Hart, der auf die erste Kunde, welche die Zeitungen von meiner Ankunft in Amerika gebracht, von Philadelphia nach New-York gereist und von New-York mir hieher gefolgt war, blos um mich, wie er sagte, für sein Magazin zu monopolisiren, um mich zu ersuchen, daß ich während meines Aufenthalts in Amerika für dieses und für kein anderes schreiben möchte. So viel von amerikanischer Betriebsamkeit in Geschäftssachen. Der Mann hatte übrigens so viel gentlemännische Feinheit in seinem Benehmen und etwas so Gutes und Angenehmes in seinem blassen, feinen Gesichte, daß ich nicht umhin konnte Gefallen an ihm zu finden und ihm mein Wort zu geben, daß ich, im Falle ich etwas für die Oeffentlichkeit in Amerika schreiben sollte, es seinen Händen überliefern wolle. Aber ich zweifle daran, daß ich hier etwas schreibe. Ich fühle das Bedürfniß zu denken und zu lernen.
Heute leuchtet die Sonne über dem herrlichen Hudson, der unter meinen Fenstern fließt, und ich würde mich mit meinen Gedanken und meinen amerikanischen Büchern glücklich fühlen, wenn nicht der Strom von Besuchen sich wieder in Bewegung setzte, und meine Zeit und meine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme. Ich habe Downing bitten müssen, meine Vormittagsstunden zu schützen und mich während derselben nicht aus meinem Käfig zu rufen. Ich werde sonst eine wilde Löwin statt einer zahmen Löwin, als welche man mich haben will, und welche Rolle auch am besten für meine Natur paßt. Mit meinen Wirthsleuten fühle ich mich besonders glücklich und ich lerne viel von Downing, dessen Individualität mich immer mehr interessirt. Es ist etwas Stilles und Melancholisches an ihm, aber er hat einen ungewöhnlichen Beobachtersblick, einen kritischen und etwas sarkastischen Sinn, der jedoch auf einer großen Begriffsfähigkeit beruht. Er ist nicht lebhaft, aber sehr belebbar, er ist schweigsam, aber einer von den Schweigsamen, deren Urtheil man zu hören meint, selbst wenn sie nichts sagen. Er ist in hohem Grad empfänglich und unterscheidet scharf; jedes Gespräch erhält mit ihm leicht ein Interesse. Seine Frau ist eine angenehme, kurzweilige, liebenswürdige Person von feiner Bildung, wie ich glaube, und wie für ihren Mann gewachsen. Heute habe ich auf Mr. Downings Aufforderung an Professor Bergfalk geschrieben, um ihn hieher einzuladen. Bergfalk befindet sich nämlich blos ein paar Meilen von Newburgh, in Poughkiepsie (ich weiß nicht, ob ich den Namen recht buchstabire), wo er sich im Englischsprechen übt. Ich betrachte es als ein besonderes Glück für mich, während meines Aufenthaltes hier zu Lande zuweilen mit Bergfalk zusammentreffen und ihn sprechen zu können. Auch wünsche ich ihm, daß er Downings Bekanntschaft macht, und Downing wünsche ich, daß er Bergfalk kennen lernt, um zu sehen, wie interessant ein schwedischer Gelehrter sein kann.
Jetzt eine große herzliche Umarmung über das Weltmeer für Mama und Dich.
- N. S.
Ich muß Dir erzählen, daß ich unter Anderem auch eine Einladung auf eine Hochzeit in der Nachbarschaft erhalten habe. Ich werde gerne kommen. Es macht mir Freude Bräute und Hochzeiten zu sehen. In meinem nächsten Brief werde ich von meinen Plänen und Entwürfen für meine Zukunft sprechen. Sie sind noch nicht recht bestimmt, nur daß ich den Winter in Boston, Amerikas Athen, zuzubringen und daselbst so viel wie möglich die intellectuelle Bewegung des Lebens der neuen Welt aufzufassen wünsche. Vor der Hand werde ich wohl einige Wochen bei Downings zubringen und mit ihnen Ausflüge zu einigen ihrer Freunde am Hudson machen; einigen der besten Leute im Land, wie es heißt. Unter diesen befindet sich Washington Irving, der nächst Fennimore Cooper uns Schweden zuerst in Amerika etwas heimisch gemacht hat und am Hudson ansässig ist. Miß Sedgewick wird in ein paar Tagen hier erwartet; es wird mir Freude machen sie zu sehen und ihr für den Genuß zu danken, den wir von ihrem Redwood und Hope Leslie hatten.
Könnte ich nur ein wenig Zeit für mich selbst haben!
Es wird mir schwer all das Wohlwollen zu empfangen, das mir von allen Seiten, von nah und fern, aus verschiedenen Staaten und Städten entgegenkommt. Aber wenn ich es auch blos unvollkommen erwiedern kann, so ist doch dafür mein Dank nicht minder herzlich, und nie werde ich vergessen, daß schon am ersten Tage meines Aufenthalts in New-York mehr als ein halb Dutzend Häuser sich mir öffneten, wohin ich als Gast und Familienmitglied eingeladen wurde. Die Zahl dieser Häuser vermehrt sich täglich. Auch von Quäkern habe ich Einladungen. Möge ich mit einem Fünftel von ihnen fertig werden!
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: weun
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