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Die Glocke vom Wunnenstein

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Textdaten
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Autor: Gustav Schwab
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Titel: Die Glocke vom Wunnenstein
Untertitel:
aus: Gedichte. 1. Band, S. 253–259
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[253]

Die Glocke vom Wunnenstein.

Es steigt ein schöner Hügel,
Er steht voll Wald und Wein;
Dort weht der Lüfte Flügel
So kühlend und so rein.

5
Er trägt umsonst von Wonne

Den alten Namen nicht,
Es glänzt sein Haupt voll Sonne
Bis spät zum Abendlicht.

Und wenn ihr stehet droben

10
Und seht die gold’ne Flur,

Wenn es euch drängt, zu loben
Die herrliche Natur;
Wollt ihr im Lied euch laben,
Durch drei der Lande hallt’s:

15
Durch Franken und durch Schwaben

Und in die blaue Pfalz.

Wohl lauschte heil’gen Klängen
Die graue Vorzeit schon:
Eine Glocke sah man hängen,

20
Die gab so hellen Ton.

Sie glänzte goldig im Blauen,
Wenn sie geschwungen ward,
Von frommen Klosterfrauen
Geschenk von selt’ner Art.

[254]
25
Wenn man sie hörte nieden

Im Dorf und nahen Thal,
Da legten sich im Frieden
Die Menschen nach dem Mahl.
Sie schliefen bei dem Klange,

30
Nach heißem Sommertag,

Und ihnen war nicht bange
Vor Blitz und Wetterschlag.

In ihrem Erz da lebte
So segenvolle Macht,

35
Als wenn ein Herz drin bebte,

Laut schlüg’ auf hoher Wacht.
Wenn die Gewitter dräuten,
Hört’ man aus hohem Sitz
Sie durch die Donner läuten,

40
Und sah sie glüh’n im Blitz.


Und auf die fromme Stimme
Horcht’ aller Wolken Schaar,
Daß sie in scheuem Grimme
Zerstäubten wunderbar.

45
Da fuhren links die Wetter

Zum Albgebirge bald,
Und rechts ab mit Geschmetter
Zum fernen Odenwald.

Und weh den schönen Fluren,

50
Durch die sie zogen hin,

Wo auf die grausen Spuren
Die Morgensonne schien!

[255]
Doch an des Berges Fuße

Das Dörflein sicher lag,

55
Da schaute mit heiter’m Gruße

Herein der junge Tag.

Den dichten Blumenlauben
Kein Blättlein war gekränkt,
Die Pfirschen hatte, die Trauben

60
Ein süßer Thau getränkt.

Es wogten froh die Aehren,
Und wie vom Regen die Flur,
So glänzte von Freudezähren
Der Menschen Antlitz nur.

65
Da sah mit stillem Neide

Heilbronn, die reiche Stadt,
Daß solche Wetterscheide
Das arme Dörflein hat.
Es muß sie wohl gelüsten,

70
Der Klang tönt gar so hold;

Wozu liegt in den Kisten
Das Silber und das Gold?

Des Schatzes Augen lauern
Mit tückisch rothem Schein;

75
Sie bieten ihn den Bauern,

Er lacht aus off’nem Schrein,
Sie sind bereit zu legen
Ihr Gold den Weg entlang,
Sobald der Glocke Segen

80
Von ihrem Thurme klang.


[256]
Bald hat die schwachen Herzen

Der eitle Glanz bethört:
„Es läßt sich ja verschmerzen,
Daß man sie nicht mehr hört!

85
Was kann ein Erz, das blinde?

Hell blickt des Goldes Strahl!
Auch haben wir Berg’ und Winde,
Die schützen unser Thal!“ –

Und unter dumpfem Dröhnen

90
Die Glocke steigt vom Thurm,

Es tönt, wie banges Stöhnen,
Zerriss’ner Klang im Sturm.
Auf einen stolzen Wagen
Läd’t sie das Stadtvolk auf;

95
Er kann die Wucht kaum tragen,

Oft stockt der Rosse Lauf.

Und wie sie langsam führten
Durch’s Thal den Trauerzug,
Die Wind’ und Wolken sich rührten,

100
Sich senkte der Vögel Flug;

Und brütend lag die Hitze
Auf Feld und Wald ringsum,
Es leckten scheue Blitze
Den Boden bleich und stumm.

105
Und als sie vor den Thoren

Abluden ihren Hort,
Da sprach in ihre Ohren
Der Donner ein zornig Wort;

[257]
Und als man hub die Glocken
110
Mit Eile den Thurm hinan,

Sie kam hinauf nicht trocken,
Zu traufen es begann.

Jetzt ist es Zeit zu läuten,
Der Thürmer faßt den Strang.

115
Doch wehe, was will’s bedeuten?

Die Glocke gibt keinen Klang!
Da draußen aber stürmet
Der Hagel und zuckt der Blitz,
Und Wolk’ auf Wolke thürmet

120
Des Himmels finst’rer Sitz.


Wie bang sie horchen Alle
Zum Glockenthurm empor,
Nicht tönt von ander’m Schalle
Denn schwerem Donner das Ohr.

125
Es winkt des Himmels Feuern

Das glühende Metall,
Und Häuser und volle Scheuern
Ergreift der Flamme Schwall.

Die Felder sind zerschlagen,

130
Die Bäume sind zerschellt,

Von Beten und von Klagen
Erschallen Stadt und Feld:
„Die Luft läßt nicht vom Sturme,
Der Himmel hängt voll Nacht,

135
Seit wir nach uns’rem Thurme

Den stummen Fluch gebracht!“

[258]
So lösen sie mit Zittern

Die Glock’ im hohen Haus,
Da hallt von den Gewittern

140
Der Donner mählig aus.

Mit Macht und Müh’ gehoben,
Steigt sie zum Wagen empor;
Der blaue Himmel droben
Thut auf das schwarze Thor.

145
Zwölf starke Rosse ziehen

Am Wagen schnaubend fort;
Doch fehlt die Kraft den Knieen,
Sie kommen kaum vom Ort;
Eilt, eilet, seyd nicht träge,

150
Fort mit dem schlimmen Gast! –

Doch auf dem halben Wege
Erliegen sie der Last.

Es hatten groß Betrüben
Die Bürger bei dem Zug;

155
Da kommt vom Dorfe drüben

Ein Bäuerlein am Pflug.
Wie der die Glock’ erblicket,
So weint er wie ein Kind,
Hat schnell sich angeschicket,

160
Lös’t seine Stiere geschwind.


Er spannt sie vor den Wagen
Und schickt die Rosse fort,
Die Bürger steh’n und zagen –
Denn auf sein Schmeichelwort

[259]
165
Ermannen sich die Thiere,

Sie ziehen rüstig, leicht,
Am Dorfe sind die Stiere
Bevor der Tag erbleicht.

O, herzlicher Willkommen

170
Mit Liedern und Gebet!

Wie, aller Angst entnommen,
Das Dörflein aufersteht!
Denn auf den Knie’n gelegen
War es in Wettersnacht,

175
Weil draußen stand sein Segen

Verwais’t und unbewacht.

Es stand der Berg im Flimmern
Des letzten Sonnenstrahls,
Und wieder sah man schimmern

180
Die Wächterin des Thals;

Und als des Abends Dunkel
Verhüllend niedersank,
Ertönt’ im Sterngefunkel
Von selbst der fromme Klang.