Der Riese von Marbach
Seht ihr wie freundlich sich die Stadt
Im Neckarfluß beschauet?
Wie sie sich ihre Berge hat
Mit Reben wohl bebauet?
Hat vor viel Jahren dumpf und dicht
Ein Tannenwald gegrauet.
Gelegen hat ein Riese drin,
Ein furchtbar alter Heide,
Das Schwert nicht in die Scheide,
Er zog auf Mord und Raub hinaus,
Und baute hier sein finst’res Haus
Dem ganzen Gau zu Leide.
Ganz schwarz und unbehauen,
Grub er sich mit den Händen aus,
Fing eilig an zu bauen;
Er warf sie auf die Erde nur,
Bis fertig war das Grauen.
Aus Asia gekommen,
Ein Heidengötz’, ein alter Fluch,
Mars oder Bacchus sey das Wort,
Davon Marbach, der Schreckensort,
Den Namen angenommen.
Die Steine längst verschwunden sind
Ein Mährchen ward’s für Kindeskind,
Das wenig mehr bedeutet;
Doch horchet wohl auf meinen Sang,
Der nicht umsonst mit seinem Klang
Denn ob des Schlosses Felsengrund
Versunken ist in Schweigen,
Wird man doch d’rauf zu dieser Stund’
Euch noch ein Hüttlein zeigen,
Daß drin geboren ward ein Kind,
Dem Wundergaben eigen.
Von gutem Vater war’s ein Kind,
Von einem frommen Weibe;
Kein Riese zwar von Leibe:
Von Geist ein Riese wundersam,
Als ob der alte Heidenstamm
Ein junges Reis noch treibe.
Da sang er wilden Muthes
Von Räubern und von Mohren gar
Viel Arg’s und wenig Gutes;
Von Trug und Mord und Lügenspiel,
Als wär’ er ihres Blutes.
Auf einmal ward er stiller jetzt,
Begann ein ernstes Dichten,
Er las, in fremdes Land versetzt,
Doch ward in des Gedankens Schooß
Er noch des Heidenthums nicht los,
Laut pries er’s in Gedichten.
Im Geiste drauf in’s span’sche Land
Davon gesungen allerhand
In gar großmächt’gen Kunden;
Nur den geweihten Glaubensmuth,
Des heißen Landes fromme Gluth
Da jauchzt’ ihm wohl die Menge zu
Auf seinen irren Zügen,
Er aber hatte keine Ruh’
Es mocht’ ihm nicht genügen,
In sich gekehret als verwaist,
Und seine Lieder schwiegen.
Da plötzlich sieh! erhebt er sich
Verklärt ganz und erneuet,
Vom jungen Licht zerstreuet.
Es zieht vor uns sein Wallenstein
In’s Leben, in den Tod hinein,
Daß es das Herz erfreuet.
Ein göttlich Liebessterben,
Maria wirft sich büßend hin,
Den Himmel zu erwerben,
Und hoch im ew’gen Glanze steht
Bei allen Himmelserben.
Und, ach, da kommt der freie Tell
Mit seinen Eidgenossen:
Ihm folgt der gute Sänger schnell,
Er singt im Himmel fort und fort,
Er denkt an dich, du Heimathsort,
Aus dem die Riesen sprossen.
- ↑ Der Leser wird berücksichtigen, daß diese Zeilen kurz nach dem großartigen Kampfe Spaniens gegen Napoleon gedichtet sind.