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Die Gartenlaube (1887)/Heft 26

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1887
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[417]

No. 26.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Götzendienst.

Roman von Alexander Baron v. Roberts.
(Schluß.)
25. Gamlingen-Proceß.

Der pikante Proceß Bourdon-Chérisy hatte die Runde durch die Blätter gemacht.

Frau Belzig ließ entsetzt das Zeitungsblatt in den Schoß sinken. „Das ist ja – das ist ja wie ein Spuk,“ stammelte sie.

„Zeig’ einmal her, was hast Du denn, Bella?“ Herr Belzig nahm ihr das Zeitungsblatt vom Schoß. Mit einem wachsenden Staunen las er das Referat über den Proceß. „Ausgezeichnet, das ist ja fast, als könnte es in Berlin am Lützowufer passirt sein!“ rief er lachend.

Und nach einer Pause, während sie in hastigen nervösen Zügen ihren Kaffee schlürfte, sagte er mit jener Ruhe, die sie erst recht reizte. „Du glaubst doch nicht, der da, nun Euer Baron könnte auf den Gedanken kommen, ein Gleiches zu thun?“

„Was willst Du?“ fuhr sie ihn an. „Unsinn! Bitte, gieb her, ich habe das Blatt noch nicht ausgelesen.“

Sie nahm die Zeitung und versenkte sich tief in die Lektüre. Aber zwischen den Zeilen, die sie nur mechanisch las, hockte überall die neue Sorge. wenn er ein Gleiches thäte! So oft sie den Gedanken wegjagte, immer war er wieder da. Unsinn – der Weltuntergang ist doch nicht so nahe!

Gleichzeitig um dieselbe Frühstücksstunde schlug die Nachricht in der Friedrich-Wilhelmsstraße ein. Walther legte die Zeitung stumm hin und sagte nichts. Melitta, die ihm das Blatt gereicht hatte, wartete mit gespannten Augen, daß er sich äußern sollte. Aber nur ein bitterer, ironischer Zug zuckte um seine Mundwinkel.

Was geschah mit ihm? Seine freundlich offene Art war im Laufe dieser Wochen einem scheuen, gedrückten Wesen gewichen. Er war zerstreut und krankhaft gereizt. Mit wachsender Angst beobachtete ihn Melitta. Er schob dienstliche Plackereien und Ueberarbeitung vor. Sie wußte, es war der Amerikaner, die ganze lächerliche Verlegenheit, die ihn so peinigte. Wie war es aber möglich, alles das so tragisch zu nehmen? Auslachen muß man ihn! Nun aber – der Proceß da – wenn Jener sich ein Beispiel nimmt … Unsinn! Undenkbar!

Sie umschlang Walther’s Nacken stürmisch, klammerte sich fest an ihn. „Walther, lieber Walther!“ flehte sie mit Thränen in der Stimme, von plötzlicher Angst getrieben.

Er beruhigte sie mit Liebkosungen, die wohl an frühere Tage erinnerten. Gleich darauf saß er wieder brütend da. „Es wird wohl das Beste sein,“ murmelte er vor sich hinnickend, „wir machen uns auf und gehen selbst nach Amerika!“

Sollte sie darüber lachen? Welch ein Scherz!

Aber er konnte nicht Herr darüber werden, so sehr er sich Mühe gab. Alles erinnerte ihn nun daran. Der amerikanische Vetter und die köstliche Situation, in die dieser den neugebackenen Freiherrn versetzt, hatte Aufsehen erregt. Bei seinen Kameraden, überall wohin er kam, witterte Gamlingen Spott und Schadenfreude – obgleich sie doch im Generalstabe an Wichtigeres zu denken hatten! Nun, weil ihn selbst der Gedanke fort und fort beschäftigte, bis in seine Arbeit hinein.

Und jetzt noch dieser Proceß! Schon sah er die grinsende Schadenfreude, die nur darauf lauert, daß er den Namen

Leutenberg. 0 Originalzeichnung von H. Nestel.

[418] wieder herausgeben wird. In seiner Aufgeregtheit malte er sich das Parallelstück zu dem Lyoner, den famosen Gamlingen-Proceß, aus. Der alte gute, ehrliche Name seiner Väter für alle Zeit mit dieser Lächerlichkeit gebrandmarkt! Besser entrinnen – so abenteuerlich das klingt – retten, was zu retten ist – den Abschied nehmen – den Namen freiwillig wieder ablegen – auf Karrière, Stellung, Alles verzichten – ein neues Leben von vorne beginnen! Um eines Namens willen!

So stand es, als Mühüller nach abgekürztem Bade-Urlaub von Kasemattenheim Ende September wieder in Berlin eintraf und sich sofort unter kräftigen Betheuerungen erbot, die am verkehrten Ende angefaßte Bildung des Amerikaners auf seine Weise einzurenken.

Freilich, als er den „Attentäter“ selber in Augenschein nahm, kam ihm wohl ein ernster Zweifel, ob die „Raison“ hier noch viel auszurichten vermöchte. Wie er es gefürchtet – sie hatten ihn gründlich verpfuscht mit ihrer verteixelten Bildung! Und Perkisch! Wie war das möglich? Er ist ganz genau der, den sie nehmen mußten, um ihn in unsere Civilisation einzuführen! Bravo!

Ja, Perkisch’ Lektionen schlugen immer besser an. Der Name war dem Jungen zu Kopf gestiegen, und eine kindische Eitelkeit kitzelte ihn, damit zu glitzern und zu strahlen – wie ein Neger, der das höchste Glück in dem Besitz eines abgetragenen Hutes oder eines bunten Taschentuches erblickt. Aber sonderbar – nun, da er doch ganz zahm war und alles that, was Name und Familie von ihm verlangten, schien er es ihnen doch wieder nicht recht zu machen.

Der Proceß! Sie haben Angst vor mir! Sie sind im Unrecht. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Ich könnte ja eines Tages kommen und wie der in Lyon sagen: „Gebt mir den Namen her!“ Erst allmählich hatte er sich auf den Punkt versessen. Zu wiederholten Malen hatte er Perkisch näher nach dem Proceß ausgeforscht.

Dieser ward stutzig. „Was will er damit? Er ist doch nicht im Stande … Undenkbar! Er ist nicht raffinirt genug. Was hätte er auch für einen Zweck?“

Dicks hatte seinem Freund Mäpke, dessen Umgang er, dem Verbot Onkel Walther’s zum Trotz, heimlich pflegte, von dem Proceß und der Adoption erzählt. Mäpke zischte auf wie ein Streichhölzchen: „Na, das sag’ ich Dir, Junge, wenn Du Dir darauf hin irgend etwas gefallen läßt! Was ist er denn? Er hat Dir Deinen Namen gestohlen. Ja, sieh’ mich nicht so an! Ist doch so! Sie möchten Dich gerne fort haben! Aber wir bleiben! Immer los auf den Baron! Aergere sie damit, daß sie schwarz werden! Wenn Du willst, kannst Du sie jeden Augenblick aufs Trockene setzen! Los auf den Baron!“ hetzte er, und seine widerspenstigen rothen Haare schienen dabei wirklich zu flammen.

Dicks ward es schwül Er dachte im Ernste nicht an dergleichen. Er will ja Niemandem ein Leid zufügen! Immerhin aber fühlte er sich.

Mühüller konnte das nicht länger mit ansehen. „Ich möchte schon lachen,“ sagte er zu Olga, „aber es lacht Niemand mit!“

Olga war die Einzige, mit der sich überlegen ließ. Wie verständig, wie gescheit, wie prächtig sie ist: eine Perlenschnur hübscher Eigenschaften. Er hatte sich Mühe gegeben dort hinten in Kasemattenheim, sich zu belügen, daß sie keinen tieferen Eindruck auf ihn hinterlassen, daß nur sein „Capua“ schuld an seiner weichen Stimmung gewesen. Eine Neigung, von der ihn die Zeit kuriren würde. Sie in England, er hier, die Trennung würde heilsam sein – wozu soll dergleichen führen? Und nun fand er sie doch wieder vor. Früher der Name, der sie an einander gekettet, nun ein Träger desselben Namens, der das Band zwischen ihnen von Neuem knüpfte.

Also sie überlegten Beide, was geschehen solle und was mit Dicks anzufangen sei. Kleine hübsche Komitésitzungen unter der Linde im Garten, beim Spaziergang oder in einer Fensternische – wo ihre Augen eigensinnig darauf bestanden, ihre gesonderte Verhandlung zu führen, die nichts mit Dicks’ Schicksal gemein hatte.

Es kam allerlei in Frage. Ob man ihn praktische Landwirthschaft studiren, ob man ihn zur See gehen lassen, ihn in einer fremden Armee unterbringen solle. Jedenfalls darf er nicht hier bleiben!

„Geben Sie zu, mein Fräulein, daß es am besten gewesen, er wäre überhaupt drüben geblieben,“ sagte Mühüller.

„Der arme Bursch! Haben Sie seine Hände gesehen?“

„Freilich …“ und sein schelmisch zwinkernder Blick bewunderte Olga’s Händchen, die mit dem Fächer spielten.

Sie erröthete und schlug ihm mit dem Fächer auf seine Finger. Aber Komité! Komité! Es handelt sich um Dicks! – Olga sträubte sich immer noch dagegen, daß man ihn nach Amerika zurückverpflanze.

„Er geht zu Grunde!“ jammerte sie.

„Der!“ – dehnte Mühüller. „Er ist aus einem tüchtigen und tapferen Geschlecht!“

Seine Augen leuchteten – die ganze freudige Bewunderung, die er ihr zollte, sprach aus diesem Leuchten.

„Man dürfte es nicht,“ antwortete sie, zerstreut ausweichend. „Uebrigens wird ihn Niemand dazu vermögen, die Rückreise anzutreten,“ fügte sie geschäftsmäßig zur Verhandlung hinzu.

„Das käme auf einen Versuch an. Alle Wetter, wenn Sie und ich, wir Beide …“

Der Versuch wurde gleich am folgenden Tage gemacht. Mühüller hatte sich, als man eines Abends im Garten saß, von Dicks einen ganzen Sack seiner famosen amerikanischen Geschichten auskramen lassen. Mühüller schmeichelte dem Burschen absichtlich, um sein Vertrauen zu gewinnen.

„Na, ich weiß nicht, Baron, ein fabelhaft interessantes Land – man bekommt wirklich Lust hinüberzuflitzen und sich dort ein Bischen umher zu treiben. Ich denke mir, wer das Leben dort einmal geschmeckt, dem kommt der Pfeffer hier zu Lande fade vor. Sie machen vermuthlich bald wieder hin, he?“

Ganz harmlos kam es heraus, wie man mit einem Fremden über dessen Reisepläne spricht.

Dicks horchte auf.

„Karambal! Ein verteufelt interessantes Land! O ja,“ rief Dicks, seine Füße auf einen Stuhl werfend. „Taxire, werden sich höllisch amüsiren, Herr Mühüller!“

„Werde wohl keinen Urlaub übers Meer erhalten,“ sagte Mühüller. „Geht doch nichts über Ihre Freiheit, Baron! Wer so reisen könnte und sich die Welt ansehen! Jedenfalls hat es Ihnen hier doch gefallen, wie?“

Hat gefallen? – Als wenn sie ihn fort haben wollten! Dicks war so argwöhnisch geworden. Er denkt ja gar nicht daran fortzugehen! Und die Beine von dem Stuhl wieder herabwerfend, stieß er mit einer Qualmwolke seiner Cigarre heraus: „Verdammt gefällt es mir! Gefällt mir ausgezeichnet. Karambal! Amerika kenne ich wie meine Tasche, aber Europa möcht’ ich wohl noch genauer kennen lernen!“

Er rekelte sich so wohlig in dem Gartenstuhl, daß dieser ächzte, und mit seinen schimmernden Zähnen lachte er Alle in der Runde an.




26.0 Auf dem Kehricht.

Der Schatten des Namens legte sich immer schwüler über das junge Glück. Er hatte längst nicht mehr geduldet, daß ein herzfrohes Lachen im Gamlingen’schen Hause erscholl. Die beiden Gatten saßen und gingen und verkehrten neben einander, in jedem harmlosen Wort, in jeder Miene die verhaltene Scheu, das auszusprechen, was sie quälte.

Melitta war es nicht entgangen, welch’ seltsamen Ton Dicks seinem Onkel gegenüber anschlug. Sein Achselzucken, mit dem er die immer kleinlauter sich äußernden Korrekturen seines Lehrmeisters abzuschütteln suchte – ja die stumme Herausforderung seiner Blicke: Du bist’s nicht – ich bin’s!

Es war gut, daß Gamlingen gerade jetzt vollauf zu thun hatte. Er war zu einer wichtigen Mission ausersehen. Es handelte sich darum, eine Eisenbahngruppe auf ihre Leistungsfähigkeit im Kriegsfalle zu rekognosciren und die darauf basirenden mühsamen Arbeiten zu revidiren. Die Vorarbeiten zu dieser Reise näherten sich ihrem Ende, in ein paar Tagen sollte Gamlingen dieselbe antreten.

An einem regenschwülen Abend, Ende September, saß er über seinen Schreibtisch gebeugt, bei dem die Arbeit eines ganzen Jahres abschließenden Bericht. Er wollte das Schriftstück noch in der Nacht zu Ende bringen.

[419] Es war noch Leben auf der Straße. Hier und da rollte ein Wägen über das Pflaster, die Klingel einer Ladenthür und das Plaudern und Kichern der Dienstmädchen ließ sich vernehmen. Da schallte von ferne ein Gesang. Nun unterschied Walther deutlich das bekannte Lied der Reservisten.

„Drum, Brüder, stoßt die Gläser an,
Es lebe der Reservemann!“

Doch nur einzelne mühsam gelallte Worte, vom lachenden Halloh anderer Stimmen unterbrochen.

Die Reserven sind heute entlassen worden; irgend ein betrunkener Reservist, der sich hierher verschlagen. Walther war eben ans Fenster getreten, um dieses zu schließen, da stutzte er. War das nicht Baptist’s Stimme?

Jetzt hörte er deutlich den Lothringer den Anfang der französischen Marseillaise singen.

Parlez-vous? Voulez-vous? Nix versteh!“ neckten andere Stimmen, die Mägde juchzten. Und das wüste Hin und Her einer torkelnden Gestalt auf dem Trottoir.

Ein flüchtiges Runzeln des Unmuths flog über Walther’s Stirn. Auch Baptist ist heute zu den Reserven entlassen worden. Von morgen ab setzt er seinen Dienst in Gamlingen’s Hause als Privatdiener fort. Nun, man muß heute ein Auge zudrücken – mag ihm etwas Menschliches passirt sein! Aber die Marseillaise da? Das paßt doch nicht für die königliche Uniform! Er will ihm das morgen verweisen; er ist ja nahe am Hafen, für heute soll es gut sein.

Nochmals dieselbe Melodie, aber von einer andern Stimme gesungen. Gott, wo hat er die schon gehört? Rauh, in den oberen Tönen absichtlich umschlagend, um eine komische Wirkung zu erzielen – Dicks? Wie kommt der Bengel …?

Ja, seine Stimme! Und die Marseillaise! – aber nicht der französische Text diesmal – deutlich hört Walther die deutschen Worte. Sofort erinnert er sich – er hat die Worte in diesen Tagen zufällig irgendwo gelesen. Halt – ist das nicht jene von der Polizei verbotene und verfolgte Arbeitermarseillaise? Die Arbeiterbataillone, die zum Sturm gegen die Tyrannei des Kapitals heranmarschiren. Ein vereinzeltes ironisches Händeklatschen läßt sich vernehmen – in diesem Viertel giebt es kein Publikum für dergleichen.

Was fällt dem Bengel denn ein? Wie kommt er dazu, hier auf der Straße das verpönte Lied zu singen? Und was haben die beiden Stimmen mit einander gemein?

Er beugte sich zum Fenster hinaus.

Das gelbe Licht einer Laterne beleuchtete die von grinsendem Lachen entstellten Gesichter eines Menschenhaufens. Und inmitten des Haufens die Beiden. Sein Diener Baptist, in der Reserve-Uniform, die Mütze schief auf dem Ohr, angelehnt mit der ganzen Wucht seiner feisten Gestalt gegen Jemand, dessen Nacken er zärtlich umklammert hielt. Und dieser Jemand?

Genug! Ein Blick nur und genug! Ein Gamlingen Arm in Arm mit dem Diener eines Gamlingen über die Straße ziehend und zum Gaudium des Publikums die Marseillaise singend …

Eine Minute darauf hielt Walther die Reitpeitsche in der Hand.

Doch nicht hinab? Ihn zu züchtigen? Eine Ungeheuerlichkeit gegen die andere!

Mit einem Fluch warf er die Peitsche auf den Tisch. Nein, nicht das! Sie werden jedenfalls das Haus aufsuchen. Er wird betrunken sein wie Baptist. Einen Betrunkenen züchtigt man doch nicht.

Jetzt schlug die schwere Hausthür dröhnend ein unter einer höhnisch jubelnden Lache der Menge. Sie kennen den Amerikaner; die originelle Erscheinung wußte selbst die diskrete Neugier dieser Straße zu reizen. Sie kennen seinen Namen – welch’ ein gewaltig amüsantes Schauspiel, zu sehen, wie er ihn besudelt!

Jetzt kommt man die Treppe heraus, als werde irgend ein schwieriges Möbel heraufgeschafft. Dumpf prallt es gegen die Korridorthür; die Klingel wird gerissen, daß es wie ein Alarm durch das Haus hallt.

Walther ging, mit aller Ruhe bewaffnet, deren er habhaft werden konnte, selbst hin, um zu öffnen. Dicks stand vor ihm und grinste ihn mit seinen Zähnen vergnügt und freundlich an. Mit dem einen Arm hatte er den schwankenden Baptist um den Leib gefaßt, in der andern hielt er etwas Weißes.

Was ist das? Das Schild von seiner Korridorthür – was soll das in Dicks’ Hand?

Dicks hielt es ihm hin. „Er hat verdammt gezogen, als wie an einer Kirchenglocke. (Dicks hatte früher selbst für Lohn Kirchenglocken geläutet.) Riß gleich das Dings mit ab. Da ist’s! Dogdown! Willst Du still halten, Junge!“

Baptist machte eine vergebliche Anstrengung, sich gerade auf die Beine zu stellen. „… ’err ’Aup … ’err ’Aup …“ kam es kläglich aus seinem Munde.

Zehn Minuten darauf stand Dicks in Walther’s Zimmer. Sie hatten den betrunkenen Baptist auf sein Lager geschafft. Dicks war durchaus nicht betrunken, er hatte sich öfter gerühmt, daß kein Getränk der Welt ihn unter den Tisch brächte. Man konnte sehr wohl ein Wort mit ihm reden.

Walther hatte sich auf der Kante des Stuhles an seinem Schreibtisch niedergelassen und anscheinend ganz ruhig, ein beschriebenes Blatt mit gerunzelter Stirn prüfend, sagte er:

„Was hattest Du eigentlich mit dem Burschen? Du hast ihn in der Gosse aufgehoben wie?“

Dicks rekelte sich auf der Lehne eines Sessels.

„In der Gosse? Hoho!“ rief er „Haben einfach eins links herum geschmettert! Ein verteixelt smarter Bursche! Aber der Anblick eines Flaschenhalses schmeißt ihn um!“

„Was?! Gekneipt mit Baptist?“

Dicks reckte sich über den Sitz des Sessels, die Beine in der Luft und langte sich eine Cigarre aus der dastehenden Schale. Und die Spitze abbeißend, rief er mit höhnischem Grinsen:

„Na, was sonst! Er ist ein Gentleman so gut wie wir Alle!“

Gamlingen schoß empor.

„Er ist ein Diener, Du hast die Ehre, ein Gamlingen zu sein – Respekt vor dem Namen oder …“

„Oho!“ Dicks erhob sich vor der flammenden Miene des Hauptmanns. „Was für ein Recht hast Du denn?“ rief er in zitternder Wuth. Es war der Moment, mit seinem Peiniger abzurechnen. „Karambal, ich kann mit meinem Namen machen, was ich will!“

„Das wirst Du nicht!“ donnerte Gamlingen.

Da gewahrte Dicks das abgerissene Namensschild, das vorhin auf den Tisch gelegt worden war. Sofort griff er danach.

„Woher hast Du das eigentlich, he?“ rief er, die Porcellanplatte triumphirend in die Höhe haltend.

„Was soll das? Was geht Dich das Schild an?“

„Ich will wissen, wo Du es her hast. Ich habe mehr Recht als Du zu fragen!“

„Leg’ sofort das Ding hin!“ brüllte Gamlingen. Und er faßte nach der Reitpeitsche auf dem Tisch.

Dicks wich nach der Thür zurück.

„Soll ich Dir sagen, wo Du es her hast? – Gestohlen hast Du es! – gestohlen!“

„Ah!“

Ein paar Augenblicke schien das Entsetzen dieses Wortes Gamlingen zu lähmen. Dann stürzte er mit erhobener Reitpeitsche auf den Beleidiger.

Dicks hatte die Thür aufgerissen. Da fühlte jener den erhobenen Arm durch zwei Hände umklammert. „Walther – um Gotteswillen, Walther!“ flehte Melitta’s Stimme. „Was machst Du? Was ist?“

Sie stand vor ihm im hellen Nachtgewand, blaß und zitternd, mit angststieren Augen, die entblößten weißen Arme, von denen in der heftigen Bewegung die weiten Aermel sich gelöst, mit den flachen Händen zur Abwehr nach ihm ausgestreckt.

Dicks war fort. Man hörte ihn draußen die Thür mit einer seiner Verwünschungen zuschlagen.

„Gestohlen!“ murmelte Walther dumpf, mit einem verzweifelten Zucken um die Mundwinkel. „Gestohlen …“

Abermals packte ihn die Wuth und er schleuderte das Namensschild auf die Diele, daß es in Stücke zerschellte. Thränen des Zornes stürzten in seinen Bart hinab, in seiner Brust kochte es.

„Walther – lieber, lieber Walther …“

Wie aus der Ferne hörte er die Stimme seines Weibes.

Als er nach einer Pause den Kopf hob, sah er, wie sie sich gebückt hatte, um die Scherben des Schildes aufzuheben.

„Liegen lassen!“ schrie er heiser.

[420] Immer wieder der Haß gegen den Namen, der ihn nicht loslassen wollte.

„Ich will nicht mehr!“ schrie er wie von Sinnen. „Fort damit auf den Kehricht! Auf den Kehricht damit!“

In gebückter Stellung blieb sie eine Minute wie erstarrt, ihn, den Sinnlosen anstierend. Dann erhob sie sich langsam, ihre ganze Gestalt zitterte vor seiner Stimme und vor dem Haß, der aus seinen Augen lohte. Ihre Lippen bewegten sich zu einem Stammeln – jetzt sah er sie wanken – jetzt taumelte sie und ihre Hände griffen nach einem Halt …

Er fing sie noch in seinen Armen auf.




27.0 Zu Grunde gerichtet.

Nicht gleich sollte es geschehen. Zuerst wollte Gamlingen trotz Allem die übernommene Aufgabe beendigen und die Reise, zu der er ausersehen, durchführen. Ein Schuft, wer eines persönlichen Gelüstes wegen den Posten verläßt!

Sie athmeten Alle auf als er fort war. Wie eine schwüle Krankheit hatte es ihn befallen. Die weite Welt, die Zerstreuung, das hastende Kreuz und Quer auf der Eisenbahn, die Vorsicht, die Umsicht, mit der er zu Werke gehen muß, Alles wird ihn ablenken, vielleicht vermag es ihn von der unheimlichen Krankheit zu heilen.

Unterdessen begann Olga einen Feldzugsplan mit Frau Belzig zu entwerfen. Dicks mußte fort, schleunigst wieder hin, wo er hergekommen war! Herr Belzig zwar zeigte sich gänzlich abgeneigt, dem „Namensgötzen“ auch nur noch einen Pfennig zu opfern; allein besaßen die Damen nicht ihre Pretiosen, um mit deren Erlös die Rückkehr des Amerikaners zu erkaufen?

Mit Herzklopfen machte sich Olga auf den Weg und fand den lieben Neffen in äußerst guter Laune. Sie begann, oftmals stockend, ihre wohlvorbereitete Rede, als er lachend dareinplatzte:

„Famos! Verdammter Scherz! Ihr wollt mich fort haben, he, Tante?“

„Du passest nicht hierher,“ fuhr Olga ungeduldig fort, und sie ging nun gerade aufs Ziel. „Du mußt zurück. Du bist Dir und uns im Wege. Was soll hier aus Dir werden? Du thust Dir und uns den größten Dienst. Wir wollen es Dir lohnen. Wir wollen Dir natürlich mit Allem behilflich sein, daß Du ein braver, tüchtiger Mensch wirst. Es soll Dir an Nichts fehlen; Du sollst Dich sogar gut dabei stehen. Du wirst schon Deine Karrière machen da drüben. (Das kam etwas schwach heraus.) Wenn Du Dich entschließen könntest …“

Er behielt mit schelmischem Zwinkern ihre hübschen, rothen, glänzenden Lippen aufmerksam im Auge, er schien nur das Spiel dieser Lippen zu beachten, nichts von ihren Worten zu vernehmen. Die Lippen gefielen ihm „ganz verteixelt“, sie reizten ihn so …

Dennoch zog eine Minute lang ein Schatten über sein heiteres Gesicht.

„Nichts da!“ murmelte er. „Keinen Heller von Niemand mehr! Daß ich Euch zu Willen bin und mir mit der Peitsche drohen lassen muß. Dicks wird sich schon selber durchbringen. Er geht schon. Aber nicht nach Amerika – werdet schon von ihm hören!“

Eine Drohung zitterte durch die letzten Worte, aber er stutzte. O, man soll sie doch mit solch dunklen Redensarten nicht so erschrecken! Sie ist zu lieb und zart für dergleichen. Gleich suchte er seiner Miene wieder die neckische Heiterkeit zu geben.

Er trat einen Schritt zurück, maß ihre Gestalt und sagte mit verschmitztem Schmunzeln. „Was wiegst Du eigentlich, Tantchen?“

Sie sah ihn groß verwundert an; sie wußte nicht, was er wollte.

„Na, was kannst Du denn wiegen? Na, siehst Du, mit Geld und Gold schafft Ihr mich nicht fort! Geld imponirt mir nicht. Ich habe doch wohl Alles in Allem und nach und nach so viel besessen an ausgewaschenem Goldstaub, als Du schwer sein kannst. By Jingo, vielleicht nicht ganz so viel, es wird aber nicht viel fehlen. Oder machen wir’s in Goldklumpen. Na, gieb einmal Dein Patschelchen da her …“

Sie erschrak. Ehe sie es verhindern konnte, hatte er ihre beiden Hände an den Handgelenken umspannt.

„Na, die beiden Fäustchen zusammengenommen – nein, sie thun es noch lange nicht!“

Und sein heller Blick sprang von den Fäustchen nach dem Gesicht hinauf.

„Aber das ganze Köppelchen – ein Goldklumpen so groß wie das Köppelchen da, Blitz nochmal, ich glaub’, das thut’s.“

Er zögerte noch, aber es prickelte ihm so in den Händen.

„Na, aber weißt Du … hör’ mal“ – und man sah es seiner Miene an, daß er etwas besonders Pfiffiges anzugeben meinte: „Weißt Du, wenn es von Gold wäre, so würde man – so würde man es nicht – kü – kü – küssen!“

Flink, ehe sie es verhindern konnte, nahm er das Köpfchen zwischen die Hände und drückte einen herzhaften Kuß auf die rothen Lippen, denen ein leiser Schrei entfuhr.

„Wetter nochmal!“ sagte er, etwas verlegen über die Kühnheit, mit einer Bewegung, als wollte er sich den Mund wischen. „Na, Du bist mir doch nicht bös, he? Na, Du bist doch meine Tante – und meine echte!“ fügte er anzüglich hinzu.

Von da ab ward Dicks nicht mehr von ihnen gesehen. Am andern Tag hatte er seine Wohnung verlassen und sein umherschweifendes Abenteurerleben wieder begonnen. Weg mit all den Nörgeleien und der plackenden Tyrannei der Bildung! „Ich heiße doch Freiherr! Dog-down! So will ich auch ein Freiherr sein.“

Was konnte er auch Alles mit seinem Namen anrichten!

Unterdeß verbrachte Hauptmann von Gamlingen seine Tage auf Eisenbahnen und Bahnhöfen, ein abtödtendes, aufreibendes Einerlei, treppab, treppauf von einem Waggon in den anderen nach allen Seiten aufmerkend, revidirend, kontrollirend, die Arbeit ins Uebertriebene verschärft durch seine tiftelnde Genauigkeit, die sich immer nicht genug zumuthen konnte – oder gedachte er sich absichtlich durch solche Uebertreibung zu betäuben?

Von Berlin erhielt er nur wenig Nachricht. Sein Reiseplan war fortwährenden Aenderungen unterworfen, erst in Köln, dem Schlußziel seiner Reise, hatte sich ein ganzer Stoß von Briefen angesammelt, darunter einige von Melitta, einer von Mühüller, einer von seinem Bruder Adolf. Er öffnete die seines Weibes nach dem Datum ihrer Absendung. Der erste davon brachte ein Räthsel; er war kurz und aufgeregt, die sonst so zierliche Schrift durch die Hast entstellt. Die wenigen Sätze zielten auf ein Etwas hin, was sie Alle so erschreckt hatte. Sie wäre ganz krank geworden vor Schreck und Aufregung, schrieb sie. Welch ein Schicksal! Ach, daß Walther nicht da war! Daß er nicht aufzufinden! Nun würde er wohl bald kommen … Das Flehen der Sehnsucht und Leidenschaft, das sich endlich, endlich Bahn machen mußte!

Was denn? Ungeduldig stöberte er durch die Zeilen nach einem Wort der Aufklärung.

Ist das Ungeheuerliche geschehen? Hat Jener den Namen vor Gericht gezerrt? – Und es schoß ihm zum Ersticken heiß zum Herzen.

An einer Stelle des Briefes wurde auf Mühüller’s und Adolf’s Briefe Bezug genommen. Er hatte das zuerst übersehen. Er öffnete also Mühüller’s Schreiben. Gleich nachdem er die ersten Zeilen gelesen, begannen seine Hände zu zittern. Der Brief glitt auf den Tisch; seine krampfhaft geballte Hand sank schwer darauf; die andere schlug hörbar gegen das Gesicht und hielt dann die Augen verdeckt.

Dicks – todt!

Es hämmerte ihm so gewaltig hier in der Brust; als er die Hand von den Augen sinken ließ, wogte es davor wie von Flammen. Was ist denn, was geschieht mir denn?

Dicks todt! Vor vierzehn Tagen, nach dem Datum des Briefes, fanden ihn nächtliche Passanten im Morgengrauen gegen einen Geländerpfosten des Schiffbauerdammes hingestürzt, anscheinend betrunken, aber es wurde bald der Tod konstatirt. Die Sektion ergab später einen Herzschlag, hervorgerufen durch übermäßigen Genuß von Alkohol. Uebrigens wäre er über kurz oder lang von solch einem Schlage ereilt worden, wie die Aerzte aus der krankhaften Beschaffenheit des Herzens konstatirten. Hatte nicht auch sein Großvater schon an Aehnlichem gelitten? Also wohl ein Erbfehler. Sein Anzug war herabgekommen und zeugte von einem längeren Vagabondenleben. „Leider, mein lieber Trutz, kann ich Ihnen das nicht verhehlen,“ schrieb Mühüller, „er trug

[421]

Blumengruß.
Nach dem Oelgemälde von C. Herpfer.

[422] zerrissene Lackstiefeln an den Füßen, in zwei Taschen steckten Visitenkarten, beschmutzt und verschabt, mit dem pompösen Namen: ‚Freiherr Trutz von Gamlingen zu Trachenberg.‘ Und nun nehmen Sie sich die Sache nicht zu sehr zu Herzen, lieber Trutz. Schade um den armen Jungen – sein Schicksal hat uns gewiß Alle gefammert, aber vielleicht ist es das Beste so! Wer weiß, was aus ihm geworden wäre!“ Dann ein mit Tintenstrichen zugedeckter Satz, welcher das Wort „verpfuscht“ zu enthalten schien. „Sie werden nun zu sich kommen, Sie werden vernünftig sein – nehmen Sie mir’s nicht übel, aber ich habe Sie in letzter Zeit nicht ganz kapirt. Na, wenn Sie kommen, so müssen Sie schon gestatten, daß Ihnen Ihr alter Mühüller im Wetteifer mit den Tanten den Kopf zurechtsetzt.“

Walther las dieses nicht zu Ende. In einer plötzlichen Bewegung sprang er von dem Brief ab und öffnete Adolf’s Schreiben.

Es enthielt nochmals die Todesnachricht, dann einige Details äber das Begräbniß. Es war Alles geschehen, was man Dicks und seiner Familie schuldig war. Man hatte ihn freilich in aller Stille bestattet, nur wenige Leidtragende, er, Adolf, sein Kompagnon, Herr Belzig, Mühüller, Olga von Gamlingen, auch ein paar Arbeiter, unter anderen jener gewisse Mäpke, hatten sich eingefunden. Von diesem hatte er Einiges über die letzten Schicksale des Verstorbenen in Erfahrung bringen können. Nicht viel, immer wieder der Refrain des Arbeiters: „Ein Unglück für ihn, daß er an den Namen gerathen!“ Von da ab war er für die ehrliche Arbeit verdorben. Der Baron war ihm in den Kopf gestiegen. Die Noth zwang ihn wohl. Aber der Name, der Rappel dieses Namens, jagte ihn immer wieder von der Arbeit. Ein Baron und arbeiten! Da verfiel er dem Trunk und sank immer tiefer. Es ging so grauenhaft schnell abwärts. Vielleicht wenn er sich ermannt und den Namen abgeworfen und den Rausch mit diesem Baron ausgeschlafen hätte … aber der saß ihm zu dick im Kopfe. Der Götze verlangte es so!

Durch seinen eigenen Namen zu Grunde gerichtet!




28.0 Das Land der Freiheit.

„Nun ist Alles gerettet! Der Alp wird sich von uns heben, wir werden wieder aufathmen. Dem Namen droht keine Gefahr mehr – wir dürfen ihn von nun an in Ruhe genießen und uns seiner zu freuen beginnen. Jetzt erst ist er uns zu eigen.“

So hört er die Anderen sprechen und flüstern. Sie wagen das zwar nicht offen auszusprechen, aber zwischen den Zeilen der Briefe grinst die Freude über diese Erlösung.

Dumpf brütend steht er am Fenster seines Hotels, das die begehrte Aussicht auf den weltberühmten Dom bietet. Er sieht das gigantische Werk, das übermächtig sich in den Himmel reckt, in der Verklärung der Abendröthe leuchten und den zauberischen Dämmer des Mondscheins über den Wald der Pfeiler, Fiale und Wimperge gebreitet. Was ist’s für ein Spuk, daß das herrliche Werk, das Andere zu überwältigen und berauschen pflegt und das er selbst zum ersten Male erschaut, auf ihn keinen Eindruck macht? Man ist eben daran, den Gipfel der beiden Thürme zu bekrönen und das von hier aus wie ein feines Gespinst wirkende Gerüst von den oberen Theilen des Baues zu entfernen. Da vernimmt er wohl das Keuchen der Dampfmaschine, welche das Hebewerk treibt, und das Girren des letzteren, auch fällt ihm das Krächzen der Krähen auf, das so laut in dem gemeißelten Wald wiederhallt. Warum nur das? Es ist, als habe er für jetzt und allezeit die Fähigkeit eingebüßt, sich über etwas Großes und Herrliches zu freuen.

Nun, er hat ja den Namen, dessen er sich freuen wird! „Jetzt erst gehört er uns!“ – wie ein höhnisches Lachen klang das ihm.

Und er gab sich so verzweifelte Mühe, seine Zukunft, ihr gemeinsames Glück auf der Basis des Namens wieder aufzubauen – immer wieder stürzte das Kartenhaus zusammen.

Doch sein Weib? Liebe – das was ihm das Herz seines Herzens und das Mark seiner Seele bedeutete?

Da saß er und tiftelte, nörgelte, krittelte und untersuchte so lange, bis er auch hier nichts als das alltäglich Häßliche, das erdenmäßig Kleine, das erbärmlich Menschliche gewahrte und in Verzweiflung das letzte Ideal zusammenstürzen sah.

Sie ist ein eitles Weltkind – sie ist zu sehr die Tochter ihrer Mutter, der Dämon ist zu mächtig in ihnen Beiden. Der Name bedeutet ihnen wahrhaftig die Seligkeit auf Erden. Es wäre grausam, ihnen Lust und Licht und die Bedingung ihres Seins zu rauben. Nein, ich werde Melitta nicht in diesen Bankerott mit hinabstürzen!

Sie würde elend verkümmern. Sie ist an Glanz und Ehre und Sonnenschein gewöhnt, sie würde ersticken. Mag sie sich des Namens freuen, so lange sie dies vermag. Ich aber – und in Gedanken schleuderte er den Namen zur Erde, wie er vor Wochen das Schild hingeschleudert.

Er wollte sich keinen Schwankungen mehr aussetzen und endgültig mit dem Namen brechen. Ehe er also an sein Weib schrieb, reichte er sein Abschiedsgesuch ein, bis zur Erledigung desselben den üblichen Urlaub erbittend. Was dann?

Sie und Niemand von ihnen Allen gedachte er wieder zu sehen. Er könnte sie ja vor den Entschluß stellen und er ist sicher, sie wird keinen Augenblick zögern, und das Gebot ihrer Pflicht wird sie ihm folgen heißen bis ans Ende der Welt. Aber bis aus Ende der Welt wird sie ihn nicht begreifen können, wie eine Mauer wird der Schatten des Namens zwischen ihnen aufgebaut bleiben.

Also fliehen! Den Namen abwerfen und fliehen! Meinetwegen nach Amerika! Den Namen meiner Väter sühnen von der Schmach, die ich ihm angethan. Ehrliche tüchtige Arbeit – Alles, das ganze Leben nochmals von vorne beginnen …

Für wen? Wozu das?

Ein Kleinmuth, eine wachsende Verzagtheit bemächtigte sich seiner und der Gedanke an ein anderes unbekanntes Land, in dem er eine Zuflucht finden könnte, begann sich über seine Seele auszubreiten. Das Land der vollkommensten Freiheit, wo es keine Lüge und keine Heuchelei, keine Scham und keine Reue mehr giebt, wo die Namen wie die Namenlosen in bewundernswerther Toleranz friedlich zusammen hausen, wo Niemand mehr sich zu bücken braucht vor den Flitterpuppen, die in der großen Harlekinade dieses Lebens die Götzen spielen.

Er schrieb an sein Weib. Er wollte sie allmählich auf Alles vorbereiten, mochte die Flucht diese oder eine andere Richtung nehmen. Er meinte es vorsichtig anzufangen und deutete nur von fern darauf hin, daß er im Stande wäre, seinen Abschied zu nehmen und den Namen abzulegen. Jetzt, warum gerade jetzt, nachdem jede Gefahr für den Namen beseitigt? – Sie würde wohl schwerlich den sonderbaren Entschluß begreifen. Er wollte also nichts einfließen lassen, das sie direkt erschrecken und aufstöbern konnte – einstweilen noch nicht! Aber der unselige Schatten lastete so schwül auf seinen Worten und der fatalistische Wahn, daß ihr Glück an dem Namen zerschellen müßte, stierte durch die Zeilen – und dann die Sehnsucht nach dem Land der vollkommensten Freiheit …




29.0 Nach Amerika.

So träge und mürrisch, jeder freundlichen Himmelshelle überdrüssig, wälzte sich dieser Novembermorgen herauf.

Walther hatte sich früh nach einer schlaflosen Nacht erhoben. Jetzt stand er am Fenster, die heiße Stirn gegen die Scheibe gedrückt. Vom nahen Bahnhof kam der hohl klagende Ton einer Lokomotive und das Kreischen bremsender Räder, Omnibusse und Droschken, von Regen triefend, rasselten über das Pflaster; auf dem Korridor vermehrte sich das Hin und Her von Tritten. Es war die Stunde des Berliner Kourierzuges, der eben eingetroffen sein mochte.

Wenn sie … wenn sie käme …! Er zitterte innerlich vor der fernsten Möglichkeit einer solchen Ueberraschung. Sie hatte doch seinen Brief noch nicht, er hatte ihn doch selbst erst gestern Abend in den Briefkasten des Zuges geworfen. Und wenn sie sich, von der Stimmung, weniger von dem Inhalt des Briefes alarmirt, sofort aufmachte, so konnte sie doch nicht vor morgen früh da sein.

Ersehnte er denn ihr Kommen? Als wenn das die Rettung bedeutete!

Er malte sich’s aus, wie es sein müßte, wenn sie jetzt käme. Er sieht ihre schlanke Gestalt, im Mantel vermummt, auch das Haupt gleich einer Flüchtenden dicht verhüllt, ins Koupé steigen, er sieht sie dort in die Ecke geschmiegt sitzen, mit offenen Augen in die müde Dämmerung des Koupés hinein starrend; er sieht sie [423] hier auf dem Perron aussteigen: ein scheuer Blick aus ihren dunkel umrandeten Augen über das Gedränge, als wenn sie ihn suchte – aus dem Spalier der Portiers am Ausgange schallen ihr die Namen der Hôtels in allen Tonarten entgegen – „Hôtel Ernst!“ – Es fliegt eine Freude über ihr blasses Antlitz, wie sie den Namen hört – als begrüße sie in dem galonnirten, übereifrigen Portier einen Theil von ihrem Gatten – und wie ihr das Herz schlägt, als die Nummer seiner Stube in der Thorloge genannt wird. Jetzt klopft es an der Thür – er hört deutlich ihr Beben aus diesem Klopfen – jetzt stürzt Jemand mit einem Ruf, mit einem Schrei, mit einem unbestimmbaren Laut, der aus der Tiefe des Herzens dringt, ins Zimmer …

Sonderbar, wie das Nahen uns seelisch verbundener Personen seine Vorboten in fast greifbaren Visionen auszusenden vermag!

War es ein wirkliches Anklopfen gewesen, das er nicht bloß in seinen Gedanken vernommen? Ein Rascheln von Frauengewändern hinter ihm – und dann der Schrei, der Ruf, jener unbestimmbare Laut, der aus der Tiefe des Herzens hervorbricht:

„Melitta …!“

Es ist zu viel, zu bewältigend die Plötzlichkeit dieses Wiedersehens! Da hält er sie umschlungen mit seinen Armen, immer wieder fester umschlungen; sie wiegt ihr Haupt an seiner Brust und ihre Hände umtasten seinen Nacken: hat sie ihn wirklich wieder? ist er ihr nicht verloren?

„Walther – ach Walther …“

Nichts als das Stammeln ihrer bebenden Lippen. Und ihr Blick, der durch den Flor von Thränen nach seinen Blicken fleht: was ist nur? Nicht wahr, die Liebe, die Liebe ist stärker als das Alles? Um die Mundwinkel zuckt ein Lächeln, das diese Thränen gern verscheuchen möchte. Aber es ist süßer, das Haupt stumm an seiner Brust zu wiegen und den Thränen ihren Lauf zu lassen!

Nichts als die Seligkeit dieses Wiedersehens! Alles Andere verschwindet dahinter. Und er hatte sich so belogen und betrogen! Wie hatte er gewähnt, durch sein Tifteln seine Sehnsucht ausgemerzt zu haben!

Nun faßt er ihre Hände und drängt sanft ihre Gestalt mit ausgestreckten Armen von sich ab – daß er sie betrachte, seinen trunkenen Blick an das Wunder ihrer Gegenwart gewöhne! Ihre Augen leuchten dunkler als sonst aus der Blässe ihres Antlitzes, ihr Haar umrahmt in leichter Wirrniß Stirn und Schläfen – Gott, wie schön sie ist! Waren seine Gedanken denn mit einem bösen Bann geschlagen, daß sie die Erinnerung an ihre Schönheit nicht festzuhalten vermochten? Er hat seiner Liebe den Königsmantel von den Schultern gerissen und das Diadem vom Haupte gezerrt, aber sie steht doppelt siegreich da nach dem Raub.

„Komm – o komm!“

Ein neuer Sturm ausbrechender Leidenschaft. In ihre Küsse hinein huschen Worte – er versteht sie nicht, aber begierig lauscht er dem Klang. Wie süß dieser Klang! Er hatte ihn verloren all’ die Tage durch – unter dem Zauber der Stimme wäre das Alles nicht geschehen ...

Da klopft es mit hartem Finger gegen die Thür. Es ist der ungeduldige Hausknecht, dessen erstes sanfteres Pochen man nicht vernommen. Er bringt das Gepäck der gnädigen Frau, nur ein Köfferchen und ein Plaid.

Walther scheint sich zu wundern über die Winzigkeit der Effekten, sie pflegte so anspruchsvoll zu reisen.

„Ich habe nur das Allernothwendigste zusammengerafft,“ sagte sie. „Nur fort! Nur fort!“

„Aber wie bist Du – wann bist Du …? Hast Du denn meinen Brief erhalten, Litta?“

„Was für einen Brief?“ sagte sie stutzend. „Ich habe keinen Brief von Dir erhalten. Gerade deßwegen bin ich da. Du hast mir solche Angst gemacht!“

Hilfesuchend flüchtet sie von Neuem an seine Brust.

„Gestern Nachmittag war der Oberst bei mir,“ sagte sie ruhiger, den Kopf erhebend. „Ich besann mich nicht lange – eins, zwei, drei, da bin ich!“

„Der Oberst?“ rief er überrascht. „Welch’ ein Oberst?“

„Nun, Oberst v. B. Wer sonst? Ganz erregt war er, wie Du das thun könntest! Was denn geschehen? Was Dich zu solchem Schritt vermocht? Du müßtest und müßtest das Gesuch zurücknehmen!“

Es ist das Abschiedsgesuch, ihnen dort im Korps ist es wie ein Meteor hereingeplatzt. Der alte Bärbeißer wollte es nicht gleich weiter geben: man kann den verdienstvollen Officier doch nicht so davonlaufen lassen, ohne den Versuch gemacht zu haben, ihn zu halten! Da kam er zu Melitta gerannt: was für eine Tollheit den Hauptmann überfallen? Walther konnte sich die Scene sofort vorstellen. An solche Wirkung seines Gesuches hatte er freilich nicht gedacht.

„Wie ich erschrak, Walther! Keine Nachricht von Dir! Und Du reichst, ohne mir ein Wort zu sagen, Deinen Abschied ein. Wie war das möglich? Aber keine Zeit darüber nachzudenken! Ich ahnte das. Mag es gekommen sein, wie es wolle – der Oberst sollte nicht denken, daß ich etwa nicht davon wüßte, Niemand sollte glauben können, es bestehe ein Geheimniß zwischen uns Beiden … Nein, das soll nicht! Das duld’ ich nicht!“

Trotzig fuhr sie auf bei den Worten, mit den geballten Händen zuckend, und ihre Augen blitzten ihn an.

„O, ich wüßte, ich wüßte, sagt’ ich ihm und that so, als sei der Abschied längst von uns Beiden geplant. Ein Plan, den wir Beide gemeinsam ausgeheckt. Er war ganz verblüfft. Siehst Du, dergleichen Geistesgegenwart hätte ich früher mir selbst nicht zugetraut.Ich nahm mich zusammen und er wird wohl nichts gemerkt haben! Niemand soll zwischen Dich und mich, hörst Du!“

Sie athmete schwer auf, als müßte sie sich jetzt noch von der Angst befreien, die gestern bei der Heuchelei jener Worte ihr fast das Herz zu sprengen drohte.

„Er wollte sich nicht beruhigen,“ fuhr sie nach einer Pause fort. „Du dürftest und dürftest solchen Schritt nicht thun! Und er stellte mir Alles vor, wie tüchtig Du wärst, wie unentbehrlich: welche Karrière Du vor Dir hättest. Ein Verbrechen, auf dem Gesuch zu beharren! Er setzte mir so zu: gnädige Frau, Sie dürfen und dürfen das doch nicht zugeben …!“

„Er setzte mir so zu …“ wiederholte sie und die Worte versagten ihr.

Sie sank in den Sessel, schwer und müde, wie von einer Gewalt, die stärker war als sie, dort niedergedrückt.

Ist es das? Also deßwegen ist sie gekommen? Es ist die Angst vor dem Nichts, das jenseit des Abschieds und jenseit des Namens liegt! Nicht seinetwegen ist sie da!

Er prallte einen Schritt zurück, wie vor einem unsichtbaren Schlag, der ihm drohte.

„Also deßwegen!?“ rief er erregt. „Weil der Oberst Dir so zugesetzt! Weil Du mich bereden willst, weil Du mich zwingen willst, den Schritt rückgängig zu machen …“

„Walther!“

Ein Ruf des Zornes – und sie sprang auf, als hätte sie das, was sie eben noch zu bewältigen drohte, nunmehr fortgeschleudert. Hoch stand sie, doch mit leicht gesenktem Haupt, düster runzelten sich ihre Brauen.

„Ich bin ein Weib,“ begann sie langsam nickend, „es kam so plötzlich, die Nachricht und das Drängen darauf. Und wenn ich auf Minuten schwach wurde und wirklich daran dachte, hin zu eilen um deßwillen, willst Du mich verdammen? Und wenn jetzt noch, sogar hier in Deiner Gegenwart mich eine Hoffnung berückte, daß es mir gelänge, eine andere Art der Lösung herbei zu führen … ich bin ein Weib, Walther! Aber nur Minuten der Schwäche. Sofort rafft’ ich mich auf, gestern wie ich mich soeben aufgerafft. Ich bin Dein Weib, Walther! Sechs Monate bin ich’s. Ich meinte allmählich zu lernen, aus Deinen Gedanken heraus zu denken. Ich wußte, was Dich zu solchem Schritt getrieben. Ich sah das Alles kommen. Und daß gerade nach dem Unglück mit Dicks es keinen Rückzug mehr gebe! Wohl, auch ich will den Rückzug nicht! Ich sagte es dem Oberst, daß es dabei bleiben müßte. Und ich bin gekommen, Dir zu sagen … Dich zu bitten …“

Ihre Stimme wankte, aber nach einer kurzen Stockung fuhr sie mit derselben trotzenden Festigkeit fort: „Du hast einmal hingeworfen, es wäre das Beste, Das – (als schämte sie sich, das Phantom zu nennen) Das abzulegen und nach Amerika zu fliehen. Damals schrieb ich es auf die Erregtheit jener Tage. Nun gut, Walther, ich bin gekommen, Dich daran zu erinnern. Kein Friede und kein Glück damit! Ich weiß, es würde uns das Leben vergiften! Wohlan also! Du dachtest, ich wäre ein Kind mit Spielzeuggedanken. Wohl, so wollt’ ich Dir das Gegentheil [424] beweisen. Amerika ist weit. Es ist allerdings, als habe man ein Verbrechen begangen, dessen Geheimniß man dorthin flüchten müsse. Aber einerlei – wo Du Dein Glück suchst, dort werde ich’s auch zu finden wissen. Das Glück, das gut genug für Dich ist, genügt auch für mich! – Was – was hattest Du Dir eigentlich von mir gedacht? Ich bin doch Dein Weib – ich bin doch Dein Weib …“

Aus ihren Augen brachen leidenschaftliche Thränen.

„Sag’, liebtest Du – liebtest Du mich denn nicht mehr?“ Ein so flehendes Schluchzen, in dem sich all’ die Noth dieser Tage löste. Abermals sank sie in den Sessel.

„Mein Weib! Mein einziges – einziges Weib!“

Zu ihren Füßen lag er hingestürzt, ihre Hände umklammernd. „Verzeihung! O verzeih!“ rief er. „Ich war so klein und nichtig. Das war an Allem schuld. Es hat mich gelähmt bis ins Herz hinein. Ich hatte mich selbst verloren. Und Dich – Dich, Melitta! Aber da bist Du! Du bist gekommen! Nun ist Alles gut! Ah, nun ist Alles, Alles gut!“

Er senkte das Haupt in ihren Schoß und sie legte sanft ihre beiden Hände darauf.




30.0 Des Namens Ende.

„Du siehst daraus, mein lieber Walther, daß Deine Tante immer Recht hat. Ich sagte Dir gleich, daß Dich der neue Name, den ich übrigens nie richtig zu schreiben gelernt hätte, nicht glücklich machen würde. Der Name Eff, den wir alten Leute in Ehren getragen, hätte es wahrhaftig nicht verdient, daß man ihn zu den alten Kleidern warf.“

Es war die unvermeidliche Glosse der „Autorität“. Nach einigen Monaten, während deren Walther und seine Frau vor Verwandten und Freunden gleichsam Versteck zu spielen schienen, war ein Brief mit einer bunten ausländischen Briefmarke eingetroffen, der den Erfurtern Walther’s neue Adresse mittheilte. Das war zu aller Erstaunen das alte, gute, biedere, trauliche Eff – dahinter der Schweif eines Titels, der in den Augen der „Autorität“ vollkommen den Freiherrn wie den übrigen Krims-Krams aufwog. Also: „Generaldirektor der vereinigten Eisenbahnen von M. und N.“ – (Namen von gewissen östlichen, noch in den Flegeljahren staatlichen Wachsthums befindlichen Duodezstaaten.)

Auch hier war es „um den Namen“ gegangen. Fast wäre Walther’s Wahl, die er einem glücklichen Zufall, unterstützt durch vortreffliche Empfehlungen, zu verdanken hatte, daran gescheitert, daß er plötzlich, als sein Abschied aus der Armee herauskam, sich als simpler Eff vorstellte. Verblüffung und Abkühlung auf Seiten der „Vereinigten Eisenbahnen“. Wird denn der lächerliche Götze auch dort hinten verehrt? Ja, hatten sie es denn nur auf das Schild mit dem freiherrlichen Namen abgesehen? Oder wollten sie einen Mann haben, der mit Energie und Tüchtigkeit seine Stellung ausfüllt?

Zuletzt siegte dennoch der Mann über den Namen.

Und die „Vereinigten Bahnen von M. und N.“, wie deren Aktionäre, sollten die resignirende Großmuth ihres Verwaltungsrathes, der sich schließlich mit einem Buchstaben, statt eines so schönen volltönenden Namens begnügte, später nicht zu bereuen haben.

Auch die Belzigs waren vor dem Namen geflüchtet. Sie verbrachten den Winter in Nizza. Frau Belzig ertrug den „Weltuntergang“ mit einem äußerlichen Gleichmuth, über den sie innerlich selber staunte. Es war das Beste so! Es haftete kein Segen an dem Namen … Doch die Winkel ihres Mundes hatten einen so resignirten Zug nach abwärts genommen, sie war weich und leicht zur Rührung geneigt, besonders wenn ihr Blick über die Familiennachrichten der Zeitung streifte. Nun, leuchtete denn nicht der Stern Lolo? „Die schöne Berlinerin“ ging immer wieder aus all’ den glänzenden Festen der Nizzaer Saison als siegreiche Königin hervor. Es umschwirrte sie ein Schwarm von Namen und Krönlein und brillanten Partien – zur Verzweifelung ihrer Mama: diese entsetzliche Wahl! Man ist ja so grauenhaft vorsichtig geworden!

Auf dem Wege von Nizza nach Berlin verdichteten sich natürlich die Eintagshuldigungen zu wirklichen Anträgen und entsprechenden Körben. Der verbrecherische Adolf Eff nickte verständnißvoll: „Sie hat Recht – sie behält von nun an, nach all’ den Abschweifungen, ihr Ziel im Auge – ich bleibe dabei: sie hat es auf einen der Söhne Bismarck’s abgesehen!“

Olga von Gamlingen flüchtete nach England, wo sie die bewußte Stellung endlich antrat. Als heimliches Bräutchen flüchtete sie, in diesen schwülen und verhängnißvollen Zeiten wollten sie doch nicht ihr junges Glück glitzern lassen. Und an eine Hochzeit wagte sie noch gar nicht zu denken, soweit lag diese noch in dämmernder Ferne. Mühüller hatte früher einmal ausgerechnet, daß er bei diesem „oberfaulen“ Avancement und wenn kein gehöriger Eisgang in den oberen und mittleren Chargen einträte, genau zweiundvierzig Jahre auf den Hauptmann zu warten haben würde. Und trotzdem hatte er sich in das „Elend“, das er immer so beschworen, hinabgestürzt?

Wann hatte der Oberboxer diesen kühnsten Sprung seines Lebens denn ausgeführt?

Es kam Alles so glatt und sanft und selbstverständlich, keine Spur von einem Anlauf. Sie hatten den armen Dicks begraben. Der „Unzerreißbare“, der auf dem Heimwege den Wagen – nicht die Belzig’sche Equipage, um ein Aufsehen zu vermeiden, mit Olga und Mühüller getheilt, empfahl sich nach der Ceremonie am Eingangsgitter des Kirchhofes, weil er noch im Interesse seiner Gesundheit sein Quantum abzulaufen hätte. Da saßen nun die Beiden, steif und still, jedes in einer Ecke des weiten, schwarz ausgeschlagenen Wagens. Durch das Vorderfenster sahen sie die Gestalt des Kutschers in seinem vom Wetter grünlich angehauchten Traueranzug hin- und herschwanken bei dem Wiegen der in altmodischen Federn hängenden Karosse.

Und kein Wort. Mühüller, der kein Wort fand, der nicht einmal seinen Blick von dem Kutscher nach ihrem Gesichtchen zu wenden wagte!

„Der arme Junge!“ hauchte sie endlich wie für sich hin.

Er nickte, froh, daß das Schweigen ein Ende hatte.

Nach einer Weile begann sie ihm zu erzählen, wie sie Dicks zuletzt gesehen. Als wenn er sein Schicksal vorgefühlt! Wie er von ihr Abschied nahm und sie geküßt. Warum sollte sie das nicht gestehen? War sie doch seine Tante. „Er nahm mir den Kopf zwischen seine beiden Hände und küßte mich auf die Lippen.“

Warum sollte sie deßhalb roth werden? Die Röthe ihres vom Crêpe des Trauerschleiers umhauchten Gesichtes rührte doch gewiß nur vom rauhen Wetter und den vorhin am Grabe vergossenen Thränen her.

„O!“ sagte er, ein wenig zusammenfahrend vor Ueberraschung. „Er hätte es wohl können bleiben lassen!“ schien das O! zu bedeuten.

Aber gleich faßte er sich. Welch’ eine dumme Eifersucht! „Ein guter Junge!“ rief er laut, die Augen groß aufreißend, „ein famoser Junge!“

Mühüller konnte sich später nicht mehr erinnern wie das geschehen: – plötzlich lag in der großen, breiten Höhlung seiner weißbehandschuhten Rechten etwas Schwarzes, Winziges – ihr Händchen! War es ein Anflug der Theilnahme, die ihn das Händchen von Dicks’ Tante ergreifen hieß – war es ein ganz seltsames Gefühl von Beschämung, daß er sich erst von einem Dicks den Weg zu seinem Glücke weisen lassen mußte? …

Natürlich wollte der Generaldirektor nichts von den zweiundvierzig Jahren wissen, die Mühüller bis zum Hauptmann und somit das Brautpaar zur Hochzeit zu harren hätte. Ist Olga doch nach wie vor seine Schwester! Gottlob, daß er nun aus eigener Kraft zu helfen im Stande ist. „Sind wir dem braven Mühüller nicht das Schmerzensgeld dieser Heirathszusage schuldig?“

Melitta fiel ihm überglücklich um den Hals.

An einem Sommermorgen desselben Jahres stand das Brautpaar vor dem mit südlicher Blumenpracht geschmückten Altar in dem großen Empfangssaal der Generaldirektion zu B.

Auf die Frage des Predigers, die so feierlich durch den Saal hallte, hauchte Olga das „Ja“ hin, das ihr Geschick mit dem Mühüller’s fürs Leben verband, leise, vom Knistern der Wachskerzen fast übertönt.

Und in dem seligen Hauch dieses Jawortes erstarb der Name.




[425]
Hans Hopfen.

Neben den Modeschriftstellern, den Lieblingen des Tages, die in rascher, oft unbegreiflicher Weise die Gunst der Menge sich erobern, giebt es auch eine Zahl von Dichtern, deren Eigenart so rasche Erfolge ausschließt: sie haben vielleicht etwas Sprödes, Schwerflüssiges, das sich nicht so leicht dem Geschmack des großen Publikums einschmeichelt, oder sie haben mehr Tiefe gegenüber dem flachen alltäglichen Niveau; sie kommen dem Lesepublikum nicht entgegen; sie wollen von ihm ausgesucht sein. Die Wirkung ihrer Schriften ist keine glänzende für den Augenblick, aber sie ist desto nachhaltiger für die Zukunft. Wohl giebt es darunter auch eigensinnige Eremiten, die sich in einem literarischen Schmollwinkel absichtlich von der Gegenwart absperren und sich in irgend einer ungenießbaren Schale verkrusten, welche davon abschreckt, dem genießbaren Kern nachzuspüren; doch eben so finden sich unter dieser Zahl tüchtige Talente, welche reichlich die Mühe lohnen, sich in ihre Schöpfungen vertieft zu haben.

Eine eigenartige Dichterphysiognomie zeigt Hans Hopfen, der sich in der Litteratur Stellung und Geltung erworben hat, ohne daß seine Werke jemals im gewöhnlichen Sinne des Wortes Mode gewesen sind, er hat sich auf den verschiedensten Gebieten versucht, ist aber als Lyriker und Romanschriftsteller am bekanntesten geworden. Geboren wurde er am 3. Januar 1835 zu München, einige Züge des bayerischen Volksnaturells sind in seiner schriftstellerischen Physiognomie unverkennbar; gelegentliche Derbheit und ein gewisser behaglicher Zecherhumor, der natürlich vergeistigt und veredelt ist. Dabei durchweht es wie frische Bergluft aus den oberbayerischen Alpen viele seiner Erzählungen. Hopfen studirte in München bis zum Jahre 1858 die Rechte; doch schien die Rechtsgelehrsamkeit ihn so wenig zu fesseln, wie Viktor von Scheffel, der aber wenigstens eine Zeit lang ein juristisches Amt bekleidete. Hopfen wandte sich ganz literarischen und künstlerischen Studien zu: er ging 1862 nach Venedig, 1863 nach Paris, wurde im Jahre 1864 Generalsekretär der deutschen Schiller-Stiftung in Wien. Hier wurde ihm der ältere Dichter Friedrich Halm ein in jeder Hinsicht fördernder Freund, und diese Freundschaft war um so merkwürdiger, als jeder von ihnen mit Bewußtsein andere Wege ging. Halm hat seinem jungen Freunde zwei Gedichte gewidmet, die im Nachlaß des Wiener Dichters abgedruckt sind und von denen das erste in seinen Anfangsstrophen ein charakteristisches Bild des jugendlichen Dichters giebt:

 „Wenn ich vor mir dich sehe
Mit freiem stolzen Blick,
Wie hoch die Fluth auch gehe,
Trotz bietend dem Geschick,

Ein dreister Freund den Frauen
Vor keinem Gegner bang,
Die Brust voll Selbstvertrauen,
Die Seele voll Gesang ...“

In Wien verheirathete er sich mit einer anmuthigen und vermögenden jungen Dame. Auf einer Reise nach Paris lernte ich zufällig im Eisenbahnkoupé das junge Ehepaar kennen und verbrachte mit demselben in der französischen Hauptstadt manche interessante und fröhliche Tage. Die Anmuth unnd Frische der jungen Frau und der behagliche Humor des Poeten gaben dem Pariser Leben ein echt deutsches Relief.

Im Jahre 1866 siedelte Hans Hopfen nach Berlin über, er hatte das Unglück, seine Lebensgefährtin am 11. März 1878 durch den Tod zu verlieren; sie starb in Rom. Etwa vor fünf Jahren hat er eine neue Ehe geschlossen mit einer jungen Künstlerin. Er hat ausschließlich seiner dichterischen Produktion gelebt und erfreut sich in den schriftstellerischen und geselligen Kreisen Berlins allgemeiner Achtung und Anerkennung.

Hans Hopfen
Originalzeichnung von C. W. Allers.

Hans Hopfen wurde zuerst durch Emanuel Geibel, dem er vielfache Anregungen verdankte, im „Münchener Dichterbuch“ (1862) in die Litteratur eingeführt: in den Dichterkreisen der Isarstadt war er heimisch und hatte in fröhlicher Jugendlust mit gleichgesinnten Genossen verkehrt. Seine Beiträge zum „Münchener Dichterbuch“ waren nur spärlich; aber es hieß hier: ex ungue leonem (Aus der Kralle erkennt man den Löwen). Das Gedicht „Die Noth“ war im Freskenstil gehalten; doch es war keine trockene Allegorie; es war eine lebensvolle Verkörperung, und es ging durch diese Verse wie ein eherner dröhnender Ton, wie der Marschtakt jener Millionen, die sich unter dieser Fahne gesammelt. Außer einzelnen anmuthenden Liedern hatte Hopfen jahrelang keine Gedichte veröffentlicht, ja erst nach zwanzig Jahren erschien die erste Sammlung derselben (Berlin 1882).

Doch eine kleine epische Dichtung „Der Pinsel Ming’s“ (1868) war ein Lebenszeichen, daß der Dichter nicht in der Novellenprosa aufging, sondern den Pegasus zu tummeln verstand. Diese Dichtung, die in China spielt, ist nicht etwa einem chinesischen Original nachgedichtet, wie man aus der Lokalfarbe des Reichs der Mitte vermuthen sollte, sondern sie ist nur eine weitere Ausführung einer Ballade von Ellissen. Ein chinesischer Dichter Sche-hu-gung kann mit seinen Poesien nicht den geringsten Erfolg erringen; im Theehause schlafen die Hörer ein, denen er sie vorliest: da begiebt er sich in die Wüste, wo es ihm gelingt, durch Vorlesen eines sechsaktigen Trauerspiels ein Krokodil zu einem ungeheuern Gähnen zu bringen. Aus dem Rachen des Krokodils erscheint ein Geist, den ein feindlich gesinnter Hexenmeister in einen hohlen Zahn des Unthiers gebannt hatte. Zur Belohnung für die Erlösung giebt ihm der Geist den Pinsel Ming’s, wodurch er ihn zum wirksamsten aller Poeten machte, schon nach einem Jahre gehörte er zu den Beknöpften und Betreßten und schmückte mit goldnen Spangen seinen Zopf:

 „Man sah sein Bild vor jedem Laden hangen,
Die Damen trugen es in winzigen Kästen,
Die Stutzer auf den Hemd- und Westenknöpfen
Und die Studenten auf den Pfeifenköpfen.“

Doch leider war dem so berühmt gewordenen Dichter der Pinsel nur auf Zeit verliehen worden, nach Ablauf der Frist muß er ihn zurückgeben und hegt selbstmörderische Gedanken aus Verzweiflung über den unersetzlichen Verlust, doch der Geist tröstet ihn:

 „Der Pinsel Ming’s – unsinniges Begehr,
Was soll er dir? Du brauchst ihn ja nicht mehr.
Schreib’ mit dem nächsten besten Besen frei
Nun deine Lieder, Märchen oder Dramen;
Schreib’ sie, so dumm du willst – ’s ist einerlei,
Denn, liebes Kind – jetzt hast du einen Namen.
Mag auch das Flügelroß der Poesei
Dir unterwegs zum Karrengaul erlahmen –
Nun bleibst im Bett, in Wirthshaus und Pagode
Du, der du bist: der Klassiker der Mode.“

Wie sinnreich ist diese drollige Legende! Welche schneidende Satire auf die Poeten der Mode, die gefeiert werden, auch wenn sie das haltloseste Geschwätz zu Tage fördern! Der Name ist die Flagge, welche das Gut deckt – und wie oft ist dieser Name ohne den Pinsel Ming’s erworben worden! Dieses Gedicht ist ein kleiner Juwel, der von geistigem Schimmer funkelt; die Form ist von einem Schliff, der den satirischen Ecken und Kanten eine wohlthuende Rundung giebt. Aus den Arabesken der Dichtung kichern die ironisch-satirischen Geisterchen hervor; sie ist ausgeführt in kecken Reimen, und man könnte sagen, in bezopften Stanzen, die uns in das Reich der Mitte versetzen, es herrscht darin ein barocker, pagodenhafter Humor mit neckischen, gleichsam mit dem Kopfe nickenden Einfällen. Das Gedicht ist in die Sammlung aufgenommen worden, und mit Recht, denn es behauptet noch immer seine Frische, da von eintägigen und mehrjährigen Berühmtheiten auch im neuen Deutschland sehr viel mit dem Pinsel Ming’s geschrieben wird.

In Hopfen’s Gedichtsammlung finden sich noch andere humoristische Gedichte, wie „Die falsche Gräfin“ und „Münchener Todtentanz“, in denen der Humor aber die lachende Thräne im Wappen trägt. Unter [426]

den Liebesgedichten giebt es einige, die überaus stimmungsvoll sind, darunter die Klage über die Geliebte, die ihn verlassen. Das Gedicht beginnt mit den schönen Strophen:

„Wenn du verrathen mich am Tage
Und wenn du nimmer mein gedacht:
Was kommst du weinend dann, o sage,
Im Traume zu mir jede Nacht?

Was streichst du mit den kleinen Händen
Mir durch das Haar wie dazumal,
Als deiner Augen süßes Blenden
Mein Glück, mein Herz, mein Leben stahl?

Wenn’s wahr, was deine Briefe stammeln,
Daß du mich lassen kannst und mußt,
Warum aufs Haupt mir Kohlen sammeln
Und Dornen auf die wunde Brust?

Laß mich in meinem Gram versinken,
Laß mich in meinem Schmerz vergehn!
Laß ab, ans Ufer mir zu winken,
Wo meiner Hoffnung Gräber stehn!“

Die Perle der Sammlung ist das Sonett „Traurige Weihnachten“, der Erinnerung an die erste anmuthige Gattin geweiht, kein bloßer Gefühlserguß, sondern ein Familien- und Lebensbild von ergreifender Wirkung :

„Am Markt erstand ich eine von den Föhren;
Die schmückt’ ich, wie’s der Mutter sonst gelang,
Mit Lichtern, Aepfeln, allerlei Behang
und baute drum, was jedem soll gehören.

Dann ließ ich laut wie sonst die Klingel hören,
Und fröhlich stürmten sie den Flur entlang,
Doch als die Lust am allerlautsten klang,
Schlich ich hinaus, die Freude nicht zu stören.

Die Arme hab’ ich um die Marmorbüste,
Die ihre schönen Züge trägt, geklammert
Und leise weinend auf den Stein gejammert,

Da fühlt’ ich, daß man meine Kleider küßte.
Sechs Aermchen hielten plötzlich mich umfangen;
Die Kinder waren’s, die mir nachgegangen.“

Als Erzähler nimmt Hopfen eine eigenartige Stellung ein: er gehört keiner der tonangebenden Richtungen an und man kann ihn überhaupt nicht mit anderen Romandichtern in Reih und Glied stellen. Unverkennbar ist sein Talent für originelle Erfindung und Charakterzeichnung: sein Stil ist eben so knorrig derb, wo es darauf ankommt, wie in weichen Linien malend, nirgends verleugnet er die Gabe satirischer Arabeskenmalerei und dichterischen Tiefblick, aber manches spielt bei ihm ins barock Wunderliche und doch schließt seine moderne Denk- und Empfindungsweise jeden Vergleich mit Dichtern der romantischen Schule aus, an welche sonst seine Manier anklingen mag.

Am meisten stilvoll und zwar im Stil der Heyse’schen Novellen gehalten war seine erste Erzählung „Peregretta“ (1864). Der Roman „Verdorben zu Paris“ (2 Bände 1868) enthält sehr geistreiche Studien über den Pariser Chik. Die Heldin des Romans ist eine Elsässer Gouvernante, die an diesem Chik und in Folge mehrerer resolut erzählter Abenteuer in der Weltstadt zu Grunde geht. Dagegen bewegt sich der Roman „Arge Sitten“ (2 Bände 1869) in deutschen kleinbürgerlichen Kreisen, in denen es indeß ebenfalls an pikanten Abenteuern nicht fehlt. „Der graue Freund“ (4 Bände 1874) ist ein Held, dessen Herz zwischen zwei Frauen hin- und herschwankt und zuletzt die Hand der einen erstritt, die inzwischen Wittwe geworden ist. Eine ganze Kolonie von Sonderlingen hat sich in dem Roman „Die Heirath des Herrn von Waldenberg“ (3 Bände 1879) angesiedelt: der alte ausgesungene Tenorist Vater Bolle, der Organist und Komponist Orlando Hunzelsperger, gewesener Gemahl einer Fürstin ohne Fürstenthum, der abgeschabte, fabelhaft genügsame Litterat Fridolin Löwe. Es sind dies seltsame Gestalten, wie sie den Erzählern der romantischen Schule vorschwebten. „Juschu, aus dem Tagebuche eines Schauspielers“ (1875) ist die Geschichte einer Wiener Grisette, mit tragischem Abschlusse: der Schauspieler, der sie niederschreibt, ist nicht der Held derselben. Daß sich ein junger Arzt, ein geistreicher Egoist, der in dem Verhältniß zur Heldin lange Zeit nur einen Aufputz seines Lebens sieht, zuletzt von ihr lossagt, drückt ihr den Revolver in die Hand. Auf das Theaterleben fallen in dieser Erzählung manche interessante Streiflichter. Aus echtem Kernholz geschnitzt sind die Figuren in Hopfen’s „Bayerischen Dorfgeschichten“ (1878), auch der einsiedlerische Praktikant in der Erzählung mit gleichem Titel. Den Reichthum seiner Erfindungskraft bewährt er in zahlreichen Erzählungen, wie in der Sammlung „Kleine Leute“ (1880) und „Erzählungen eines Majors“ (1879). Wir können hier nicht alle Blumen aus dem Blüthenstrauß von Hopfens erzählender Muse einzeln betrachten; wir erinnern unsere Leser nur noch an die Erzählung „Ein wunderlicher Heiliger“, welche unsere Zeitschrift brachte und welche durch den interessanten Charakterkopf des Titelhelden und durch lebendige Schilderungen des Wiener Treibens fesselte, und an die überaus frische, an farbigen Bildern des akademischen Lebens reiche Studentengeschichte „Der letzte Hieb“. Beide Erzählungen sind im Verlage von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig erschienen (1886). Auch als Dramendichter hat sich Hopfen mehrfach versucht, „Aus der Mark“ ist ein historisches Genrestück, das mit großer Frische ausgeführt ist. Dasselbe gilt von „Aschenbrödel in Böhmen“, welches zur Zeit der Laube’schen Direktion in Leipzig mit Erfolg gegeben wurde: ein dramatisches Bild, gezeichnet auf dem Hintergrunde der dortigen nationalen Zerwürfnisse, die in neuester Zeit noch heftiger entbrannt sind. Wie sich seine Bühnenkenntniß in diesen Stücken bewährte, so auch in den „Dramaturgischen Aufsätzen“ in „Streitfragen und Erinnerungen“.

Hans Hopfen ist ein Dichter von scharfem Blick für Welt und Leben, ein feinspüriger Seelenmaler, welcher besonders das Gemüth des Menschen auf seinen geheimen Schleichwegen belauscht. Aehnlich wie Paul Heyse liebt er es, Ausnahmezustände des Seelenlebens zu schildern, aber er liebt nicht die feingeistigen Haarstriche wie dieser Dichter: die derben Grundstriche wiegen vor. Er packt das Leben resolut an mit fester Hand und seine Muse findet sich am dinglichsten und wohlsten, wenn sie absonderliche Charaktere schildern kann, unter deren barocker Hülle ein echt menschliches Herz schlägt. Soviel krankhaftes sie schildern mag, sie selbst hat einen gesunden Herzschlag, ein sinnlich frisches, nicht überreiztes Leben, und ihre eigenartigen Schöpfungen, welche die übliche Schablone verschmähen und nach kerniger Naturwahrheit trachten, verdienen den Vorzug vor den Romanen, deren Helden dem in der Retorte künstlich erzeugten Homunculus gleichen.
Rudolf von Gottschall.


Der Nord-Ostseekanal.
Zur Erinnerung an den 3. Juni 1887.

In festlichem Schmuck prangte die Hafenstadt Kiel am 2. Juni. Flaggen wehten von den Thürmen und ein buntes Fahnenmeer wogte in den Straßen, die am späten Abend im Glanze ungezählter Lichter erstrahlten. Jubelnd drängten sich die Volksmassen nach dem Bahnhof. Es galt ja, den Kaiser zu empfangen! Aber nicht ihm allein galt der Jubel, er galt auch dem Friedenswerke, zu welchem der greise Monarch den Grundstein legen sollte, er galt der Großthat der Kultur, die aus deutschem Boden in Angriff genommen wurde, dem Nord-Ostseekanal, der in seiner Größe mit den weltberühmten Kanälen von Suez und Panama sich messen darf.

Seit Jahrhunderten hat man die Ausführung desselben erstrebt. Fast bis zu dem Zeitpunkt zurück, in welchem sich die beiden nordischen Meere zuerst umfangreicheren Handelsbeziehungen erschlossen, läßt sich der Plan verfolgen, eine Schifffahrtsverbindung zwischen ihnen herzustellen, ja mehr als das: dieselbe ist wiederholt, aber stets in durchaus unzureichender Weise zur Ausführung gekommen. In den Jahren 1391 bis 1398 erbauten die Hansen den noch heute bestehenden Steckenitzkanal; um das Jahr 1525 wurde von den Städten Hamburg und Lübeck vorübergehend ein Kanal von der Trave zur Alster geschaffen. Wenn aber diese beiden Wasserstraßen nur den Charakter von Binnenkanälen trugen und ihrer ganzen Anlage nach der Seeschifffahrt keinen Nutzen bringen konnten, so beweist ein in der Kieler Universitätsbibliothek aufbewahrtes Schriftstück aus dem 16. Jahrhundert, daß auch eine wirkliche Verbindung von Meer zu Meer damals schon unseren unternehmungslustigen Ahnen vorschwebte. In jenem Schriftstück aus der Kanzlei des Herzogs Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorp wird sogar bereits die Eiderlinie als die voraussichtlich günstigste Trace für den Kanalbau erwähnt. Seit jener Zeit hat der Gedanke eines Nord-Ostseekanals nie völlig geruht, wenn auch die Ungunst der Verhältnisse seine Ausführung immer wieder zurückdrängte. Von den verschiedensten Seiten kam man stets auf seine Nothwendigkeit und seine Vortheile zurück. Im Jahre 1628 soll Wallenstein den Bau sogar begonnen haben und nur durch die Enthebung von seiner allgewaltigen Stellung an der Vollendung gehindert worden sein, nicht lange darauf beschäftigte sich Cromwell mit dem Plan, Wismar für England zu erwerben und von der Elbe über die Elbe und den Schweriner See einen Kanal nach diesem Ostseehafen zu bauen. Kaum ein Jahrhundert später wurde eine Trace von Ballum nach Apenrade studirt und 1777 wurde endlich unter König Christian VII. von Dänemark mit der Ausführung des jetzigen Eiderkanals begonnen. Es war in der That für seine Zeit ein recht beachtenswerthes Werk, obwohl die beschränkten Geldmittel nicht gestattet hatten, diesen Kanal für Fahrzeuge von größerem Tiefgang zu erbauen, und die schwierige Ansegelung seiner Westmündung


[427] die Benutzung geringer werden ließ, als sein eifrigster Förderer, der Prinz Friedrich von Dänemark, erwartet hatte. Die stäte Steigung der Größenverhältnisse sowohl der Handelsschiffe wie ganz besonders der Kriegsfahrzeuge schränkte den Verkehr auf der einst so hoffnungsfreudig begrüßten Wasserstraße immer mehr ein, die Abmessungen der die Fahrt ungemein verlangsamenden sechs Schleusen erwiesen sich als völlig unzureichend.

Es konnte daher nicht ausbleiben, daß man schon frühzeitig an den Ersatz durch einen den Anforderungen der Neuzeit durchaus entsprechenden Neubau dachte, die Abtrennung der Elbherzogthümer von Dänemark gab sowohl 1848 wie 1864 neue Anregungen, und es ist in der That seit 1848 wohl jede mögliche Route technisch eingehend erwogen worden. Die politischen Verhältnisse ließen die Verwirklichung des Baues aber immer wieder zurücktreten, und selbst, nachdem in der preußischen Thronrede vom Januar 1866 seine Inangriffnahme in nahe Aussicht gestellt worden war, mußten die Elbherzogthümer noch einmal auf die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches verzichten: der Aufgaben, welche an Preußen und später an das neugeeinte Deutsche Reich herantraten, waren so viele, daß die Ausführung des Nord-Ostseekanals vorläufig vertagt wurde. Obwohl man gerade die militärische Bedeutung desselben voll anerkannte, hielt man es vor Allem doch für nothwendig, in erster Linie eine wirkliche Verstärckung der maritimen Kräfte unseres Vaterlandes anzustreben. Finanzielle Erwägungen kamen hinzu. Je ruhiger man die vielerörterte Angelegenheit betrachtete, desto mehr überzeugte man sich, daß der Kanalverkehr an sich in absehbarer Zeit eine Verzinsung des erforderlichen ganzen Anlagekapitals kaum würde aufbringen können; ein Geschäft war mit dem Kanal kaum zu machen: das bewies auch das Scheitern aller von privater Seite angestrebten Versuche, die nöthigen Kapitalien für seinen Bau zu schaffen. Sowohl Dr. Bartling, der 1879, auf englische Kapitalisten gestützt, Vorschläge zu einer Linie von Glückstadt nach Kiel machte, wie der unermüdlichste Verfechter des Kanalbaues, Herr H. Dahlström in Hamburg, beanspruchten die materielle Unterstützung der Regierung.

Die Trace des Nord-Ostseekanals.

Es konnte jedoch überhaupt nicht im staatlichen Interesse liegen, die Ausführung und Verwaltung eines so wichtigen Unternehmens in private Hände zu legen. Nach nochmaliger eingehender Prüfung aller einschlagenden Fragen durch die preußischen und Reichsbehörden und nachdem unsere Flotte inzwischen annähernd die gewünschte Stärke erhalten hatte, entschloß die Regierung sich im Jahre 1885, unter Zugrundelegung des Dahlström’schen Projektes einer Trace von Brunsbüttel über Rendsburg auf Kiel, dem Reichstag einen Gesetzentwurf für den Kanalbau zu unterbreiten.

Als Westmündung konnte für den Kanal nur die Elbmündung in Betracht kommen, da nur sie ein sicheres Ansegeln gestattet, während die der ganzen Westküste Holsteins vorgelagerten Watten überall sonst die Schiffahrt wesentlich erschweren. Für die Ostmündung war Kiel als Kriegshafen der deutschen Flotte vorgeschrieben – spielt doch überhaupt bei der Anlage des ganzen Kanals seine militärische Bedeutung eine Hauptrolle. Nur durch ihn wird es möglich sein, unsere heute in zwei Theile gespaltene Flotte überraschend sowohl in der Nordsee, wie in der Ostsee zu vereinigen. Soll der Kanal aber auch für die größten Kriegsfahrzeuge schiffbar, soll die Vereinigung der Flotte schnell durchführbar sein, so mußte er ohne Schleusen, ohne scharfe Krümmungen erbaut werden und von vorherein in allen seinen Verhältnissen reichlich dimensionirt werden. Diesen Rücksichten ist denn auch volle Beachtung geschenkt worden. Der Kanal erhält nur an seinen Ausmündungen die bei den Wasserverhältnissen beider Meere unentbehrlichen Fluthschleusen und ist im Uebrigen als freier Durchstich geplant. Bei Brunsbüttel an der Elbmündung beginnend, durchschneidet er die niedrigen Marschen und die Wasserscheide zwischen Eider und Elbe, folgt dann dem Lauf der Gieselau, um bei Wittenbergen die durch eine Schleuse abzusperrende Eider zu treffen; von hier aus wird deren Lauf unter entsprechenden Gradelegungen bis zur alten Stadt Rendsburg benutzt. Die Trace schließt sich dann den oberen Eiderseen und endlich im Wesentlichen dem bisherigen Eiderkanal an, um bei Holtenau in die herrliche Kieler Föhrde zu enden. Die Abmessungen des projektirten Querschnitts übertreffen diejenigen des Suezkanals, die Wassertiefe wird aus der ganzen Linie auf mindestens 8,5 Meter gehalten werden, die zu gestattende Fahrtgeschwindigkeit durch den Kanal ist auf 10 Kilometer in der Stunde veranschlagt.

Alle diese reichlichen Abmessungen werden, obwohl sie zunächst aus Rücksicht aus die Kriegsflotte bestimmt wurden, doch auch dem anderweitigen Verkehr zu Gute kommen, und gerade durch sie wird sich voraussichtlich ein großer Theil der heute um Kap Skagen gehenden Handelsfahrzeuge zur Benutzung des Kanals veranlaßt sehen. Schnelligkeit und Sicherheit des Verkehrs sind so die wesentlichsten Faktoren der Schiffahrt. Wenn nun auch gerade in den letzten Jahrzehnten die Fahrt um das Kap Skagen bedeutend an Gefährlichkeit verloren hat, so beweisen doch die außerordentlich hohen Prämien, welche die Versicherungsgesellschaften immer noch für sie fordern, daß die Verluste auf ihr auch heute nicht gering sind; in den Motiven, mit denen die Regierungsvorlage dem Reichstag unterbreitet wurde, waren sie auf mindestens 8 Millionen Mark im Jahre geschätzt. Was aber andererseits die Schnelligkeit des Verkehrs anbetrifft, so schafft der Kanal in den Verkehrsbeziehungen zwischen den meisten deutschen Nordsee- und den Ostseehäfen eine Wegekürzung von gegen 400 Seemeilen, Dampfer werden daher etwa 40 Stunden, Segelschiffe mindestens drei Tage ersparen. Die Reiseabkürzung von London nach den Ostseehäfen wird auf 238 Seemeilen berechnet. Die Ausführung des Kanals, dessen Anlagekosten sich auf 156 Millionen Mark beziffern, ist durch das Reichsgesetz vom 16. März 1886 gesichert worden, und die Arbeiten sollten sofort in Angriff genommen werden.

Um ihnen eine feierliche Weihe zu verleihen, war Kaiser Wilhelm nach Kiel gekommen. Am 3. Juni sollte er den Grundstein zu der Holtenauer Schleuse legen. Schon am frühen Morgen eilten unzählige Scharen der Zuschauer nach dem nahen Orte, an welchem der alte Kanal in die herrliche Kieler Föhrde mündet: zu Fuß die Einen, die Anderen auf Schiffen und Barken. Der Himmel war anfangs mit Wolken umhangen, aber ein frischer Nordost, der den Spiegel der See kräuselte, zerriß bald den Vorhang, und die Sonne strahlte hernieder auf den weiten Festplatz, auf welchem bunte Uniformen glänzten, Minister und Generäle, die Prinzen Heinrich und Wilhelm, sowie Oskar von Schweden den Kaiser erwarteten. „Zur Ehre Deutschlands, zu seinem fortschreitenden Wohle, seiner Macht, seiner Stärke“ legte der Kaiser den Grundstein, in dem die Urkunde liegt, welche die Bedeutung des Kanals in folgenden Worten kennzeichnet:

„Ein Bauwerk von gewaltiger Ausdehnung soll damit unternommen, ein bleibendes Denkmal deutscher Einigkeit und Kraft geschaffen und in den Dienst nicht nur der vaterländischen Schifffahrt und Wehrhaftigkeit, sondern auch des Weltverkehrs gestellt werden. Keine menschliche Voraussicht vermag die zukünftige Bedeutung dieses Baues in vollem Umfange zu ermessen, die Wirkungen ragen über das lebende Geschlecht und über das zur Rüste gehende Jahrhundert.“

Die Form der Grundsteinlegung ist überall gleich, aber einen eigenartigen Abschluß von gewaltiger Wirkung erhielt die Feier zu Holtenau. Die kaiserliche Standarte wehte von der „Pommerania“, der siegreiche Feldherr fuhr die lange Linie der in der Kieler Föhrde versammelten Kriegsflotte entlang, und über dreißig deutsche Kriegsfahrzeuge grüßten mit ehernem Mund ihrer Kanonen Kaiser Wilhelm, den Gründer der deutschen Seemacht.

[428]
Magdalena.
Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)


Herr und Frau Baronin von Breda!“ meldete der Diener, und unmittelbar darauf erschienen die Beiden auf der Schwelle des Salons. Es war das Paar, welches überall zu finden ist, wo die „Gesellschaft“ sich versammelt: der Lebemann in sehr beschränkten Verhältnissen mit der eleganten Frau, welche ohne zahlreiche Diner- und Soupereinladungen im eigentlichen Sinne nicht leben könnten und deßhalb die Kunst, eingeladen zu werden, bis zur Virtuosität ausgebildet haben. Der Baron war von altem Adel und hatte außer den tadellosesten Formen eine sehr bedeutende Kenntniß von Allem, was in den vornehmen Kreisen vorging: lauter sehr werthvolle Eigenschaften in einem Salon neuesten Datums; er war sowohl beim Hausbau als auch bei der inneren Einrichtung der unentbehrliche Rathgeber gewesen; er hatte außerdem die ersten Schritte des reich gewordenen Industriellen in die Kreise der höheren Finanz und später sogar der Aristokratie geleitet, während seine Frau, die immer noch hübsche, gesellschaftlich sehr gewandte Baronin, bereitwilligst, so oft der verwittwete Konsul es bedurfte, in seinen Salons ihre banale Grazie entfaltete und die Honneurs machte. Es war ein Freundschaftsverhältniß, in dem beide Theile in ausgezeichneter Weise ihre Rechnung fanden.

„Felsing ist ein ungewöhnlicher Mensch,“ pflegte Frau von Breda jede etwas skeptische Bemerkung niederzuschlagen. „Diese feinen Aufmerksamkeiten, diese Zartheit der Empfindungen – ja, meine Liebe, es giebt Ausnahmen und unser Freund Felsing ist eine solche.“

Sie schwebte ihm jetzt lächelnd, beide Hände ausgestreckt, entgegen, während er, sich verbeugend, sagte. „Sehr erfreut, Frau Baronin, daß Sie es doch noch möglich gemacht haben, zu kommen!“

„Für Sie, lieber Konsul, thut man das Unmögliche. Ich hatte heute eine sehr heftige Migräne; zu keinem andern Menschen würde ich gegangen sein. Aber ich mußte Ihnen doch danken – nein, wie reizend war es wieder, meinen Wunsch so zu errathen! Sehen Sie einmal her, wie stehen mir die Spitzen? Ich habe sie noch schnell arrangiren lassen Ihnen zu Ehren!“

Und die Baronin entfaltete, sich halb zur Seite wendend, die reich garnirte, resedafarbige Schleppe.

„Ausgezeichnet!“ sagte Felsing mit einem flüchtigen Blick auf die elegante Gestalt. „Guten Abend, Breda!“ Er schüttelte dem Baron die Hand, und die Beiden standen bereits im Gespräch vertieft, als die Baronin mit der langsam prüfenden Umdrehung vor dem bis zum Boden reichenden Spiegel zu Ende war. Es blieb also noch Emil, der bisher zur Seite gestanden hatte und nun mit holdseligem Lächeln angeredet wurde. Allein dieser empfand innerlich eine unüberwindliche Abneigung gegen die intimen Freunde seines Vaters und gab nur kurze und zerstreute Antworten. Da klang aus dem Gespräche der Anderen herüber der Name Hochberg, und Emil begann scharf aufzumerken.

„Graf Erich hat verkaufen müssen?“ fragte eben Breda.

„Es scheint so,“ erwiederte Felsing.

„Und Sie wissen nicht, für wen der Agent es erworben hat?“

Ein kaum bemerkbares höhnisches Lächeln bewegte die Mundwinkel Felsing’s. Aber Breda hatte es doch bemerkt.

„Ah, eine Idee – am Ende Sie? Ja, ja, gewiß, Sie haben Eckartshausen gekauft! Charmant! Gratulire!“

Der Baron drückte dem schon wieder kalt, beinahe finster dreinschauenden Felsing trotz dessen Weigerung mit freundschaftlicher Theilnahme die Hand, und auch die entzückte Baronin flötete mit zärtlichem Ausdruck: „Aber liebster, bester Konsnl, das ist ja reizend! Warum sagten Sie uns das nicht früher? Wir besuchen Sie im Sommer dort; nicht wahr, Breda?“

Felsing schien von den Theilnahms- und Freudenbezeigungen des Paares nicht sonderlich erbaut zu sein; er erwiederte in kühlem Tone: „Wird mir eine Ehre sein. Aber ich bitte, behandeln Sie die Sache noch als Geheimniß, heute Abend noch; ich möchte nicht, daß der Graf es hier in meinem Hause erführe.“

„Aber warum nicht?“ eiferte die Baronin. „Was ist dabei? Es kann ihm doch nur angenehm sein, daß sein Gut in die Hände eines Gentleman wie Sie übergeht.“

Der Eintritt mehrerer Gäste, welche der Hausherr und sein Sohn begrüßen mußten, unterbrach das Gespräch.

„Es geht stark abwärts mit dem Grafen,“ sagte Breda leise zu seiner Frau. „Ich glaube, wir brauchen uns nicht weiter um diesen Umgang zu bemühen.“

„Das habe ich ohnedies längst satt,“ erwiederte sie spitz, „die hochmüthige Person wußte ja nie, ob sie mich kennen sollte oder nicht. Nun bin ich doch sehr begierig, was für ein Gesicht sie zu diesen Neuigkeiten macht!“

Durch die große Mittelthür traten jetzt rasch nach einander die Gäste ein. Beide Flügel wurden zurückgelehnt und ließen den Blick frei auf das mit blühenden Pflanzen reich dekorirte Entréezimmer, in dem immer neue Gruppen auftauchten. Bald drängten sich in bunter Menge die Uniformen und schwarzen Fräcke der Herren, die hellen, seideglänzenden und spitzenüberrieselten Damentoiletten. Ein guter Theil der hohen Finanz und Aristokratie war erschienen, auch ein Fürst Schmettingen und sogar Seine Excellenz der Kriegsminister krönten durch ihre Gegenwart die ehrgeizigen Wünsche des reichen Mannes, der sich nach allen Seiten verneigte, beflissene Höflichkeitsphrasen ausgab und ganz im Glück aufzugehen schien, eine so glänzende Gesellschaft in seinen Räumen zu versammeln.

Aber nebenbei strichen seine scharfen Augen unablässig nach der Thür hin, und jetzt, plötzlich, erblaßte er bis zu den Lippen herunter und verstummte mitten in dem Kompliment, welches er gerade an die alte redselige Gräfin Sternau richtete. Durch das Vorzimmer schritt ein stattlicher Mann, dessen schönes und freimüthiges Gesicht auf der hohen Gestalt einen äußerst angenehmen Eindruck machte; an seinem Arme hing eine elegante und graziöse Frauengestalt von noch sehr bemerkenswerther Schönheit, selbst im Kontrast mit dem blonden sechzehnjährigen Kind, der einzigen Tochter des Paares, die zur Linken des Papa schritt, hochaufgeschossen und schmal im weißen einfachen Kleid, aber sehr reizend durch den lichten Teint. die Fülle des hochaufgesteckten Haares, von dem sich einzelne Löckchen überall loskrausten, und durch den Blick ihrer hellen blauen Augen, die voll Vergnügen die erste „große Gesellschaft“ ihres Lebens musterten.

Die alte Gräfin Sternau schwatzte, nach ihrer Gewohnheit Deutsch, Französisch und Englisch durch einander werfend, weiter; Felsing hörte sie nicht, seine Augen hingen starr an der Gruppe, die nun auf der Saalschwelle erschien; seine blassen Lippen bebten und fast unhörbar entfloh ihnen ein gemurmelter Name: „Magdalene!“ … Die seltsame Anwandlung ging indessen rasch vorüber und blieb unbemerkt, weil der Eintritt der noch so jugendlich schönen Gräfin Hochberg und ihrer reizenden Tochter für einen Augenblick Aller Augen auf sich zog. Auch Emil, der sich, wie wartend. immer in der Nähe der Thür gehalten, trat rasch vor, die Ankommenden zu begrüßen. Seine Augen, die sonst etwas kühl zu blicken pflegten, glänzten lebhaft; im Uebrigen aber war seine Haltung eine so tadellose, daß die Gräfin sich in ihren Voraussetzungen über die unvermeidlichen Verstöße in einem solchen Hause angenehm enttäuscht sah und sofort ein lebhaftes Gespräch mit dem so auffallend gentil aussehenden jungen Mann anknüpfte. Und der Ton vollkommener, liebenswürdiger Natürlichkeit, welcher die feinste Kunst der Hochgestellten ist und eine so schmeichelhafte Gleichberechtigung einzuschließen scheint, er bezauberte den sonst gegen aristokratische Herablassung sehr mißtrauischen Emil auf die angenehmste Weise. Er bat, der Komtesse vorgestellt zu werden, und blickte während der ersten Worte, die sie frisch und lebhaft sprach, mit einer so unverhohlenen Bewunderung in ihr jugendfrohes Gesichtchen, daß die Gräfin ein leises Lächeln unterdrücken mußte. Auch versäumte er seine Pflichten als Sohn des Hauses, ließ ein Dutzend Gäste unbegrüßt eintreten und kehrte, nachdem er sich dieser Sünde bewußt geworden war und versucht hatte, sie zu sühnen, rasch wieder zu Komtesse Gabriele zurück, um sich an ihrem herzlichen Kinderlachen und ihren lustigen Einfällen zu erquicken. „Sollte man es für möglich halten,“ dachte er, „in diesen Kreisen einer so unverfälschten und unverzagten Natur zu begegnen? Sie ist köstlich, ein ganz entzückendes Geschöpfchen!“

Und wieder beugte er sich über ihre Stuhllehne herab und sah tief in die lachenden blauen Augen, die sich so lebhaft zu ihm emporwandten.

[429]

Aus den Kaisertagen in Kiel.
Originalzeichnung von Hans Herrmann.
1. Ankunft des Kaisers. 2. Abfahrt nach dem Festplatz. 3. Der Festplatz bei Holtenau. 4. Salut der Flotte.

[430] Mittlerweile hatte sich Felsing energisch durch die Menge geschoben, um zu dem Grafen Hochberg zu gelangen.

„Es ist mir eine große Ehre, Herr Graf,“ sagte er, sich verbeugend, „um so mehr, als auch die Frau Gräfin und die Komtesse die Güte haben wollen, mein kleines Fest zu verherrlichen.“

„Aber, lieber Herr Konsul,“ unterbrach ihn der Graf, indem er ihm freundlich die Hand entgegenstreckte und die kurze, widerwillige Berührung derselben nicht zu bemerken schien, „Sie haben uns ja durch Ihre liebenswürdige Einladung eine große Freude bereitet. Breda wird mich hoffentlich bei Ihnen entschuldigt haben, daß ich nicht noch vorher meinen Besuch machte – ich bin gestern Abend erst von der Jagd heimgekommen. Aber was haben Sie für einen charmanten Sohn – er ist mir schon öfter bei unsern Morgenspazierritten im Park aufgefallen – ein vorzüglicher Reiter und scheint auch außerdem ein prächtiger junger Mann zu sein. Sie selbst reiten nicht, Herr Konsul?“

„Ich? Nein, ich habe niemals Zeit dazu gefunden,“ erwiederte Felsing, und ein eigenthümlich bitteres Lächeln flog dabei über seine Züge.

„Schade,“ meinte der Graf, „Sie haben ja die prächtigsten Pferde in Ihrem Stalle, besonders Ihre Fuchsstute ist ein brillantes Thier.“

Die beiden Herren bewegten sich langsam weiter, der Graf war jetzt, nachdem er sich von dem Hausherrn einigen Herren und Damen hatte vorstellen lassen, bei dem Fürsten Schmettingen angekommen, und ein längeres Gespräch, welches er mit diesem anknüpfte, gab Felsing die erwünschte Gelegenheit, ihn zu verlassen. Seine breite Brust hob sich, als ob er erleichtert aufathmete.

Mit gesteigertem Interesse schien er jetzt seinen Sohn zu beobachten, der noch immer in lebhaftem Gespräche mit der Gräfin und ihrer Tochter begriffen war.

„Und Sie wußten nicht,“ sagte eben die kleine Komtesse, deren lebhafte Augen in jener unverhüllten Freude glänzten, mit welcher nur die erste Jugend den geselligen Vergnügungen entgegengeht, „Sie wußten nicht, daß Doktor Reiter seit drei Monaten unser Erzieher ist?“

„Der Erzieher Deines Bruders, mein liebes Kind,“ verbesserte lächelnd die Gräfin.

„Richard Reiter seit drei Monaten hier? Mein liebster Universitätsfreund! Und hat mich noch nicht aufgesucht! Das ist mir doch ganz unbegreiflich!“ wiederholte Emil Felsing mehrmals im Tone größten Erstaunens.

„Er ist ein Stubenhocker, Ihr Herr Universitätsfreund,“ erwiederte Gabriele Hochberg. „Nicht einmal zu einem Spazierritt hat ihn Papa bringen können. War er immer so?“

Die kleine Gräfin hatte, wenn sie lebhaft sprach oder eine Frage stellte, eine reizende Art, ihren Kopf mit der lichten Haarkrone vorzuneigen und die Leute von unten mit einer gewissen unschuldigen Kühnheit anzublicken.

„O nein, Komtesse,“ erwiederte Emil, welchen die Frage amüsirte, heiter lachend, „im Gegentheil, er war ein flotter Student!“

„Also jetzt blasirt! Das sieht man auch!“

Damit wandte sich die kleine Gräfin, indem sie ihre Lippen etwas verächtlich aufwarf, kurz ab und eilte, da ihre Mutter inzwischen von dem Minister angesprochen worden war, auf ihren Vater zu.

Entzückt sah ihr Emil Felsing nach, und es dauerte auch nicht lange, so war er wieder an ihrer Seite, um ihr auf einem Tische im Hintergrunde des Salons die Bilder eines Albums zu zeigen und zu erläutern.

Ein Theil der Gäste hatte sich nach und nach in die Nebengemächer zerstreut und unterzog ihre Einrichtung der sorgfältigen Kritik, welche Jeder herausfordert, der es sich einfallen läßt, Geselligkeit im großen Stil bieten zu wollen. Und hier hatte man den doppelten Genuß, neben dem „Parvenü“ auch noch dem lieben Freund Breda Etwas am Zeuge zu flicken.

„Immer Renaissance,“ sagte ein dicker Gutsbesitzer, indem er sich mißbilligend in dem nächsten getäfelten Raum umsah, „es wird wahrhaftig nachgerade langweilig. Sitzt man auf so einem harten Sofa, so drückt Einem die geschnitzte Rücklehne das Muster in die Kopfhaut; steht man auf so reißt man einen Weihwasserkessel vom Schaft herunter oder spießt sich an den Hirschgeweihenden des Lüstres –“

„Und für ein paar anständige Bilder hat es, scheint’s, doch nicht mehr gelangt,“ bemerkte der Maler Teufenbach. „Was für elendes Zeug hängt da herum!“

„Die sind immer noch besser am Platz, als das wirkliche große Kunstwerk da drinnen in dem geschmacklosen gelben Salon,“ nahm ein Assessor das Wort, welcher als Kunstdilettant eines gewissen Ansehens genoß. „Sehen Sie doch nur den ‚gestürzten Phaëthon‘ an, der auf der Ausstellung vor zwei Jahren so wundervoll in der Mitte des großen belgischen Saales stand. Jetzt müßte er eigentlich noch einmal sterben aus Verzweiflung, daß er nirgends anders hingestürzt ist, als in dieses Möbelmagazin!“

„St! Der Konsul,“ flüsterte eine der Damen dem kecken Sprecher zu.

„Wir bewundern gerade Ihre reizende Einrichtung, Herr Konsul!“ rief dem Eintretenden das Fräulein von Lieven entgegen.

„Haben Sie das kleine Kabinet schon gesehen? Nein? Kommen Sie, ich will es Ihnen zeigen; das ist meine neueste Acquisition.“

Er öffnete eine mit kunstvoller Eisenarbeit beschlagene Thür, und die sämmtlichen bösen Zungen konnten ein: Ah! der Ueberraschung nicht unterdrücken beim Eintritt in den wunderbar ausgestatteten Raum, welcher der Phantasie eines großen Künstlers sein Dasein verdankte und genau nach seinen Angaben ausgeführt war. Orientalische Teppiche und Draperien bekleideten die Wände des kleinen Gemachs, eine farbenprächtige persische Decke breitete sich über den niederen Divan einer auf Stufen erhöhten Zimmerecke, welche halb von zartblauen Atlasvorhängen und großen Palmenwedeln verdeckt wurde. Kostbare Metall- und Glasgeräthe wirkten mit sanftem Leuchten in dem allgemeinen Farbenkoncert, ein phantastischer Lüstre aus buntem Glas goß sein Licht über den geschnitzten Tisch im Vordergrund und die darum her stehenden Stühle, das sorgsam ausgewählte Kleingeräth – hier war der Ort, wo auch verwöhnte Kenneraugen sich rückhaltlos dem Genuß des Schauens überlassen konnten. Ueber die Stufen des kleinen Erkers floß wie dichter Schnee silberglänzend ein riesenhaftes Eisbärenfell bis herunter vor die Füße der Beschauer.

„Wundervoll, ganz wundervoll!“ rief der mittlerweile nachgekommene Fürst Schmettingen. „Das ist ja ein beneidenswerther Besitz, lieber Konsul.“

„Für den, der ihn zu genießen versteht, Durchlaucht,“ erwiederte Felsing trocken. „Ich bin nicht dafür organisirt, aber ich unterstütze gern Kunstfleiß und Talent, indem ich Derartiges kaufe.“

„Wann werden endlich Diejenigen, die Millionen haben, sie zu genießen verstehen!“ flüsterte der Assessor wehmüthig Fräulein von Lieven ins Ohr.

Mittlerweile hatten sich im großen Salon einzelne Gruppen gebildet; der Hauptkreis aber versammelte sich um die Gräfin Hochberg, welche mit der Fürstin Schmettingen einen Divan einnahm und dort „Hof hielt“, wie die Baronin Breda im Vorübergehen ihrem Manne zuflüsterte. In der That waren alle Großwürdenträger der Gesellschaft dort in einem kleinen exklusiven Cirkel versammelt, Graf Hochberg an den Kamin gelehnt mit dem Kriegsminister, die übrigen Herren in lebhafter Unterhaltung um die Damen. Die Baronin Breda stand nicht weit davon, gleichfalls plaudernd, aber ihre Augen fixirten unablässig durch den Spiegel den Kreis am Kamin; sie klappte heftig ihren Fächer auf und zu und gab sich Mühe zu hören, was hinter ihr gesprochen wurde, während immer wieder ein malitiöses Lächeln ihr Gesicht überflog.

Quer über den Salon kam der alte Baron Karkow etwas schwerfällig auf die Gräfin zu und antwortete auf ihre freundliche Erkundigung nach seinem Befinden: „Taugt nichts mehr, die alte Maschine, abgenutzt, miserabel. Muß so bald wie möglich nach Karlsbad. Was thun Sie denn diesen Sommer, Gräfin?“

„Was wir jeden Sommer thun, wir gehen nach unserem Eckartshausen,“ erwiederte diese. Einen Augenblick später trat die Baronin Breda ebenfalls hinzu, und das Gespräch vom Landaufenthalt wurde allgemein. Endlich fragte man auch sie nach ihren Sommerplänen, und sie erwiederte mit sehr lauter Stimme, daß es alle Umstehenden hören mußten: „Wir gehen dieses Jahr nach Eckartshausen, es wird mir ein großes Vergnügen sein, dieses berühmte Schloß einmal kennen zu lernen, ich freue mich schon unendlich darauf.“

Das allgemeine Gespräch verstummte plötzlich; die Gräfin blickte im höchsten Erstaunen auf Frau von Breda, die jetzt unschuldig, als spräche sie nur mit ihrem Nachbar, hinzusetzte: „Der gute Konsul hat uns eingeladen!“

Aller Augen richteten sich auf den Grafen und die Gräfin. Der Erstere machte ein unbehagliches Gesicht; die Letztere aber, [431] obgleich sie vor Erregung innerlich zitterte, bewahrte äußerlich die Ruhe und sagte nur verächtlich, im kältesten Tone:

„Ich verstehe Ihren Scherz nicht, Baronin Breda.“

„Scherz?“ fragte diese im höchsten Triumphgenuß. „Aber wie können Sie denken, ich scherze, Gräfin? Oder – mein Himmel, sollten Sie am Ende noch gar nicht wissen, daß der Konsul Eckartshausen gekauft hat?“

Eine peinliche Stille folgte diesen Worten. Die Gräfin zuckte zusammen; der Stich hatte gut getroffen, aber es war nur ein Augenblick, schon im nächsten beherrschte sie ihre Züge wieder vollkommen. Sie wandte einen fragenden Blick nach ihrem Gemahl, der schnell herzutrat.

„Ach ja,“ begann er gegen die Gräfin gewendet, indem er seinem Tone etwas Gleichgültiges zu geben suchte, „ich fand noch nicht einmal Gelegenheit, Dir davon zu sprechen, daß ich heute die Nachricht von dem Verkaufe erhielt, und wußte selbst nicht, daß Herr Konsul Felsing der neue Besitzer ist, was mich außerordentlich freut. Ich entschloß mich, Eckartshausen zu verkaufen,“ setzte er, gegen Karkow gewandt, hinzu, „weil meiner Frau die neugebauten Fabriken in der Nachbarschaft unangenehm wurden.“

„In der That,“ fiel die Gräfin rasch ein, und dabei vermochte sie es über sich, wieder vollständig unbefangen auszusehen, „diese Fabriken mit ihrem Rauch und den vielen Fabrikarbeitern wurden sehr lästig. Der Aufenthalt verlor viel dadurch. Nun, Gabriele, Du freust Dich wohl am meisten über den Verkauf, da jetzt Dein Lieblingswunsch einer Reise nach Schweden und Norwegen in Erfüllung gehen wird?“

Der Ausdruck trotzigen Erstaunens, welchen das hübsche Gesicht der kleinen Gräfin während der letzten Minuten gezeigt hatte, wich einem sonnigen Lächeln. „Wirklich, Papa? Wir reisen nach Norwegen?“

Der Graf nickte freundlich zustimmend.

„Alle mit einander? O, wie ich mich freue!“

In diesem Augenblick meldete der Haushofmeister, daß das Souper servirt sei. Rasch ordneten sich die Paare, um unter Voraustritt des Konsuls, welcher die Gräfin führte, nach dem Speisesaal zu gehen, dessen glänzende Pracht selbst den verwöhntesten Gästen einen Ausruf der Bewunderung entlockte.

Breda und Karkow waren die Letzten, welche, da sie keine Damen mehr gefunden, den Salon verließen.

„Was war das für eine seltsame Geschichte mit dem Verkauf von Eckartshausen?“ fragte Karkow den Baron. „Ich habe da, wie es scheint, in Gemeinschaft mit Ihrer Gemahlin einen gehörigen faux-pas gemacht!“

„Wie so?“ erwiederte Breda.

„Sahen Sie denn nicht, wie der Graf erröthete und die Gräfin erblaßte? Ich dachte anfangs, der Konsul habe es für seinen Sohn auf die kleine Gräfin abgesehen – seine Geldsäcke und ihr alter Adel würden gut zusammenpassen, aber nun scheint es ja fast, als ob er mit dem Kauf irgend einen Koup gegen den Grafen ausführen wollte?“

„Pah, es wird nicht so schlimm sein,“ entgegnete Breda achselzuckend.

„Nun, ich muß sagen,“ fuhr Karkow fort, „daß ich dem Konsul nicht zwischen die Finger kommen möchte. Sehen Sie nur diese Augen an, diesen Stiernacken und – diese Fäuste!“

„Ja,“ lachte Breda, „noch immer die Fäuste des ehemaligen Messerschmieds!“

Damit traten sie in den Speisesaal.


*               *
*


Das Souper und der darauf folgende kleine Ball waren glänzend verlaufen. In später Nachtstunde fuhr die gräfliche Familie nach Hause, und Komtesse Gabriele erzählte lebhaft alle die kleinen Ereignisse des Abends und wie himmlisch sie sich amüsirt hatte.

„Und ich versichere Dich, Mama, dieser junge Felsing ist ein ganz allerliebster Mensch, so gelehrt und klug und dabei gar nicht eingebildet. Er hat schon große Reisen gemacht nach Amerika und Gott weiß wo sonst noch hin und hat Waffen und Pelze und eine ganze Menge solches Zeug mitgebracht, das er mir nächstens einmal zeigen will. Aber an den Nordpol oder weit nach Afrika hinein darf er nicht, weil sein Papa nicht will, daß er dort auch umkommt, wie die vielen Andern, und das ist ihm nun schrecklich, denn er ginge so gern. Und unsern Doktor Reiter kennt er auch, denkt Euch nur; ja, er war mit ihm zusammen auf der Universität und erzählte mir heute während des Soupers, daß es der Herr Doktor dort recht bunt getrieben habe und der beste Reiter und Tänzer und Schläger gewesen sei. Sollte man ihm das heute ansehen! Ich fragte ihn, ob er denn das gewiß wisse. ,Natürlich,‘ sagte er, ,man nannte ihn nur den Brückenreiter, weil er einmal Nachts, als wir etwas – nun, etwas erheitert heimgingen, den Weg über das schmale steinerne Brückengeländer nahm, hoch über dem unten rauschenden Fluß. Er kam glücklich hinüber, wir Anderen waren bei dem Anblick ganz nüchtern geworden. Aber den Spitznamen behielt er.‘ Ist das nun nicht merkwürdig, Papa?“

„Merkwürdig? Was?“ fragte der Graf, aus den Gedanken auffahrend, die seine Stirn furchten und seine sonst so heiteren Augen starr vor sich hin blicken ließen.

„Aber ich glaube, Du hast gar nicht gehört, was ich sagte!“ schmollte das Töchterchen.

„Aufrichtig, nein, meine kleine Gabi,“ erwiederte der Papa nun wieder sehr freundlich. „Wenn Du sprichst, ist es mir oft, als höre ich ein kleines Vögelchen zwitschern; der Ton thut meinem Herzen wohl, wenn ich auch der Worte nicht achte. Aber Du bist nun eine junge Dame, und ich verspreche Dir, daß dies anders werden soll. Nur heute geht mir nach all’ dem Schwirren und Lärm der Gesellschaft noch allerhand Anderes im Kopfe herum.“

Er wandte jetzt zum ersten Male und mit einer gewissen Anstrengung die Augen nach der Seite der Gräfin und suchte, sich vorbeugend, im tiefen Zwielicht den Ausdruck ihrer Züge zu lesen. Da fiel ein kurzer Laternenblitz herein und zeigte naßschimmernde Spuren auf ihrer Wange. Daraufhin drückte er sich unmuthig von Neuem in seine Wagenecke: Thränen waren ihm unter allen Umständen fatal. Als der Wagen hielt, verabschiedete er sich mit einem kurzen „Gute Nacht!“ von Frau und Tochter, um sein Zimmer aufzusuchen und sich schlafen zu legen. Die widerwärtigen Eindrücke des Abends gingen ihm wohl noch eine Zeit lang im Kopfe herum, aber es dauerte nicht lange, so hatte die Müdigkeit den Sieg davon getragen; ein friedlich Schlafender ruhte er in den Kissen und seine Brust hob und senkte sich in tiefen Athemzügen.

Im Hause des Konsuls dagegen war im Hinterzimmer die ganze Nacht hindurch Licht. Ruhelos, wie ein unstäter Geist, ging der finstere Mann darin auf und ab oder saß mit aufgestütztem Kopfe vor dem alten Schreibtisch, über alte, vergilbte Papiere gebeugt, in tiefe Gedanken verloren. Das Zimmer lag im Schatten des großen Schirms, der die Gasflammen deckte; nur ein scharfer Lichtkreis fiel auf den Schreibtisch und das offen stehende geheime Fach, aus dessen hinterstem Grunde endlich Felsing zögernd eine kleine verstaubte Schachtel nahm. Er öffnete sie behutsam und legte ihren Inhalt vor sich hin: auf einem Flöckchen vergilbter Watte ein paar vertrocknete Blumen, eine blonde Haarlocke und ein kleines Granatkreuzchen an einer abgerissenen Schnur. Lange starrte er darauf nieder, und sein sonst so hartes Gesicht nahm einen Ausdruck tiefer Wehmuth an. Endlich ergriff er das Kreuzchen und sagte leise mit einem unendlich bittern Ausdruck: „Das erhält sich und bleibt unverändert, wenn rings umher Alles stürzt und zerfällt, wenn Liebe und Treue im Schmutz versinken und die Brutalität triumphirt!“ … Seine Augen hafteten unverwandt auf dem ärmlichen kleinen Schmuckstück, dessen rothe Steinchen im Lichte glänzten, während er es langsam und mechanisch hin und her drehte, und allmählich gruben sich wieder die gewohnten scharfen Furchen in sein dunkles Gesicht.

„Ungestraft wenigstens nicht!“ brach es endlich rachsüchtig von seinen Lippen. „Ich bin auch unverändert und –“ setzte er plötzlich leise hinzu, während seine sprühenden Blicke, in die Dunkelheit zurückgewandt, einen unsichtbaren Gegner zu durchbohren schienen – „diese Steine haben einen theuren Preis, Herr Graf!“

Er versank wieder in sein stummes Brüten und achtete nicht auf den Gang der Viertelstunden, welche die alte Schwarzwälderuhr mit leisen Schlägen anzeigte. Endlich fuhr er auf – die erste Tageshelle drang zwischen den Fenstervorhängen herein. Hastig legte er die Gegenstände wieder in die Schachtel und verschloß dieselbe mit den Papieren; dann löschte er das Licht und warf sich angekleidet auf seinen alten Divan.

Als eine Stunde später der Diener nach gewohnter Weise bei ihm eintrat, erschrak er über das blasse, verstörte Aussehen seines Herrn.

(Fortsetzung folgt.)


[432]

Die Enthüllung der Domfaçade zu Florenz.

Es war ein Augenblick, der an die großen Zeiten der alten Republik erinnerte, als am 12. Mai d. J. Morgens um 10 Uhr Angesichts des Hofes und der versammelten Notabilitäten unter den Klängen der „Marcia reale“ die letzte Verhüllung von der Domfaçade fiel und endlich dieser grandiose Tempel, an dem sechs Jahrhunderte gearbeitet haben, vollendet vor Aller Augen stand.

Das Volk, das zwar vom Domplatz abgesperrt war, aber alle Straßenmündungen und die Dächer des Ghetto besetzt hielt, jubelte Beifall und schwenkte die Mützen; die Glocken von Giotto’s Campanile rührten ihre metallenen Zungen zu einem reinen und vollen Accord, der das Ereigniß der harrenden Stadt verkündete, und plötzlich hob sich zur Rechten des Königspaares ein Taubenschwarm mit lautem Flügelschlage in die Luft, umkreiste mehrmals in weiten Bogen die Spitzen des Doms und der gegenüberliegenden Taufkirche und zerstreute sich schließlich in der blauen Höhe droben, um die Freudenbotschaft schnell in alle Theile des Königreichs zu tragen. Zum ersten Male seit langen Jahren öffnete sich das Hauptportal der Kirche wieder, zu dem jetzt breite Marmorstufen hinanführen, und der Erzbischof mit seinem priesterlichen Gefolge in hohem Ornat überschritt die Schwelle, um den Segen über das fertige Haus zu sprechen.

Der Himmel konnte dem schönen Fest nicht günstiger sein; denn obwohl kein Wölkchen die reine Bläue trübte, hielt er doch seine Gluthen zurück und keine Blendung störte den Anblick der Marmorfaçade, die sich durch ihre Weiße noch ziemlich grell von dem Rest des Gebäudes abhebt und die mit ihrem prunkvollen Zierat den unvergleichlichen Glockenthurm Giotto’s verdrängen zu wollen scheint.

Diese Façade, nunmehr die achte, welche der Dom gesehen hat – ihre Vorgängerinnen wurden theils nur halb vollendet, theils bald wieder demolirt oder auch nur provisorisch aufgeführt – lehnt sich in ihrem Entwurfe treu an den Stil des Uebrigen an und ist, wie die nebenstehende Abbildung zeigt, mit einer Fülle von Statuen, Medaillons, Mosaiklünetten, Basreliefs geschmückt, auf die wir hier leider nicht eingehen können. Die majestätische Fronte zieren die Wappenschilder des Hauses von Savoyen, Pio Nono’s, der Familie von Lothringen, sowie aller derjenigen Einheimischen und Fremden, die sich durch bedeutende Spenden oder sonst um die Herstellung der Façade verdient gemacht haben. Der Bau, zu dem König Viktor Emanuel schon im Jahre 1860 den ersten Stein gelegt hatte, ist in Entwurf und Ausführung das Werk des Architekten de Fabris, der bei einem großen Konkurs den Sieg davon getragen hatte, der aber die Vollendung seiner Façade nicht erleben sollte.

Die Domfaçade zu Florenz.

Wer die Geschichte der Stadt Florenz kennt, der weiß, wie eng dieser Tempel mit den Geschicken des florentinischen Volks verwachsen ist; denn Santa Maria del Fiore war nicht allein dem Gottesdienst geweiht: hier fanden in alten Zeiten Rathsversammlungen statt; hier wurde die „Göttliche Komödie“ öffentlich gelehrt; hier unter der herrlichen Kuppel des Brunellesco war es, wo die furchtbare Verschwörung der „Pazzi“ ausbrach, welche beinahe die Herrschaft der Mediceer und damit vielleicht das ganze an diesen Namen geknüpfte goldene Zeitalter der Kunst in der Blüthe erdrückt hatte, und unter dieser selben Kuppel schlug sich wenige Jahre später das zerknirschte Volk an die Brust, als Savonarola mit markerschütternden Worten den florentinischen Künsten sein Verdammungsurtheil sprach. Und wie mit seinen Geschicken, so ist Santa Maria del Fiore mit dem Herzen des florentinischen Volkes verwachsen, welches niemals die Worte vergaß, mit denen die gewaltige Republik im Jahre 1296 den Bau dieses Tempels angeordnet hatte: „daß dieses Werk dem großen Herzen der Bürger entsprechen und durch kein anderes in der Welt übertroffen werden solle“. Und wie damals drängten sich auch in unseren Tagen die Bürger von Florenz herbei, um ihr Scherflein zu spenden; wie damals redeten sie ein gewichtiges Wort bei der Ausführung mit; denn als im Jahre 1883 die erstmalige Enthüllung der damals noch unfertigen Façade stattfand, galt es die Entscheidung des Volkes einzuholen, ob der Giebel durch drei von de Fabris geplante verschnörkelte Thürmchen oder durch die einfachere horizontale Linie abgeschlossen werden solle – und wie glücklich das Plebiscit ausgefallen ist, davon wird sich der Leser bei einem Blick auf unsere Abbildung überzeugen.

Am Nachmittag, nach der Enthüllung, fand in der neugeweihten Kathedrale ein feierliches Tedeum statt, und eine reiche Illumination mit prachtvollem Feuerwerk bildete den Schluß des Tages – aber nicht den des Festes. Der auf den andern Tag angesetzte historische Festzug wurde zwar durch einen gewaltigen Regenguß vereitelt; das überraschte jedoch die Florentiner nicht allzu sehr; es waren ja verschiedene Unglückszeichen zusammengetroffen: ein Freitag, ein 13., und der böse Pankraz hatte auch noch Macht.

Am darauffolgenden Sonntag endlich war der Himmel gut gelaunt und schon um zwei Uhr füllte sich die Piazza della Signoria mit mittelalterlichen Lanzenreitern und Bewaffneten zu Fuß, die jedem Ungeladenen den Zutritt versperrten. Unter der berühmten Loggia de’ Lanzi war für die königliche Familie ein reicher Thronhimmel bereitet und dicht daneben hatten die städtischen Behörden, die Vertreter von Akademien etc., Platz gefunden. Der Festzug stellte als Huldigung für das savoyische Königshaus den Empfang des Grafen Amadeo VI. von Savoyen, nach seiner grünen Kleidung „Conte Verde“ genannt, dar, welcher im Jahr 1367 auf seiner siegreichen Rückkehr aus dem heiligen Land Florenz passirt hatte und daselbst durch festliche Begrüßung und ein glänzendes Turnier gefeiert worden war. Bei der Porta alla Croce empfing die städtische Deputation den ruhmvollen „Grünen Grafen“, der durch den Marchese Ginori sehr glücklich dargestellt wurde. Ein Zug von mehr als 1000 Personen zu Pferd und zu Fuß, das kriegerische Gefolge des Grafen, italienische und ausländische Gesandtschaften, die 21 Zünfte mit ihren Fahnen. die edlen Geschlechter der Stadt, die verschiedenen florentinischen Milizen, nach alten Bildern treu kopirt, geleiteten den Ankömmling unter einer sehr mittelalterlich klingenden Musik nach der Piazza, wo an den Stufen des Palazzo vecchio die höchsten Würdenträger der Republik in ihrer Amtstracht, dem alten Florentiner „Lucco“, seiner harrten. Als der gräfliche Stammherr unter der Loggia de’ Lanzi den königlichen Enkel erblickte, hob er wie freudig überrascht den Arm in einer spontanen und herzlichen Begrüßung, die sein ganzes Gefolge aufs natürlichste nachahmte und die von dem Königspaar in liebenswürdigster Weise erwiedert wurde. Die Fahnen wurden geschwenkt; dann ritt der „Grüne Graf“ vor die Stufen des Palazzo vecchio, wo ihm die Schlüssel der Stadt Florenz überreicht wurden, und die herrliche Piazza, deren hohe ernste Paläste mit Teppichen, Gobelins, alten städtischen Wappen und Fahnen und einer Fülle von Blumen über und über geschmückt waren, gab dem unvergeßlichen, reichen und sinnverwirrenden Bild einen Nahmen von solcher Echtheit, daß man sich auf eine Stunde wirklich in jene Zeiten versetzt fühlen konnte.

Einen würdigen Abschluß der historischen Festlichkeiten bildete das prunkvolle Turnier, das am 17. zu Ehren des „Conte Verde“ bei der Porta alla Croce, dem alten Turnierplatz der Florentiner, im Beisein von wohl 30000 Zuschauern abgehalten wurde und wobei die schöne Königin Margherita dem Sieger eine weiße Fahne überreichte.

Es war ein glückliches Zusammentreffen, daß Florenz zugleich mit der Enthüllung der Domfaçade das fünfhundertjahrige Geburtsfest Donatello’s feierte, denn die Namen der größten Florentiner Künstler sind von der Geschichte des Dombaus unzertrennlich.

Leider fehlt uns der Raum, von den übrigen Festlichkeiten zu erzählen, von all den großen Ausstellungen, von der Enthüllung verschiedener Monumente, von den Corsofahrten, Regatten, Pferde- und Velocipedrennen, Illuminationen, Feuerwerken, Galavorstellungen im Theater, dem Kostümballe in der „Sala dei cinquecento“ des Palazzo vecchio und dem Blumenkorso, die Florenz vierzehn Tage in Athem hielten.

Allmählich verrauschten unter Blumenduft und Lichterglanz und den Tönen der Festmusik die letzten Wogen der Florentiner Freudentage, aber im Gedächtniß der Theilnehmer wird ihre glänzende Spur nie verlöschen. Isolde Kurz. 




[433]

Eine neuerschlossene Thüringer Waldidylle.

Es giebt noch manchen reizenden Weltwinkel selbst in Gegenden, wo der schwere Lastwagen längst seine Straße zog, der aber abseits davon verborgen blieb, wenn nicht irgend eine fürstliche oder Zufallsgunst auch das leichte Gefährt der jährliches Modereisenden dorthin lockte. Was halfen da alle Lobpreisungen der rüstigen Wanderer mit Ränzel und Stab? Und an diesen kann es gerade für den stillen Winkel, den wir heute aufsuchen, nicht gefehlt haben, da schon der Zugang zu demselben von allen Seiten ein verlockender ist. Das obere Saalthal, von Saalfeld aufwärts, winkt förmlich mit seinen Fels- und Waldbergen und Wiesenthälern den Naturfreund zu sich hinein, und wer dem Winke folgt, der kommt zu einem im üppigsten Grün lachenden Städtchen, aber welchem ein hohes Schloß thront: zu dem schwarzburgischen Leutenberg mit seiner Friedensburg. Zwar hatte die Eisenschiene schon früher ein Stück Wegs dahin, von Saalfeld bis Eichicht, sich Bahn gebrochen, aber es war eine Sackbahn, die an Vereinsamung krankte; erst jetzt, wo der Schienenring geschlossen ist, welcher das ganze Thüringer- und Frankenwaldgebirg umspannt, wird der Strom der Luftschnapper auch in diese Thalbetten einmünden. Und diesen wollen wir hiermit den schönsten Weg dahin zeigen.

Immer bleibt Saalfeld von Norden her das Eingangsthor. Solche Gebirgspartien sollte man nur zu Fuß durchziehen oder im offenen Wagen, nicht vom Guckkastenloch des Eisenbahnwagens aus genießen. Da tritt das Gebirg mit seinen enger sich dahin windenden Thälern und immer steiler aufragenden Höhen mit immer reicherem Bilderwechsel uns entgegen. Wo zur Linken der rothe Berg mit seinen stattlich aufgethürmten Felskolossen prangt und das Schlößchen Obernitz herableuchtet, während zur Rechten der heilige Berg mit seiner heidnischen Opferstätte den Gipfel erhebt, rief ein erfahrener Wanderer aus: „Hier ist die rheinische Loreley wieder!“ Eine solche Vergleichung wird noch einmal gewagt, wenn wir in das breitere Thal zwischen Fischersdorf und Breternitz gelangen. Hier überzieht sich der wirklich rothe Berg dicht mit dem hellen Laub der Reben und stellt uns ein verjüngtes Bild des Rüdesheimer Rheinufers dar; ist auch die Saale noch lange kein Rhein, so gewährt der frisch daherstürmende Gebirgsstrom in seinem felsumstarrten Bette doch immer einen erquickenden Anblick. In Eichicht verlassen wir die Bahn und die Saale und schlagen entweder in einem Wagen die Fahrstraße oder zu Fuß von Hokerode an den Wiesenweg nach dem nur noch ein Stündchen entfernten Leutenberg ein.

Marktplatz in Leutenberg. 0 Originalzeichnung von H. Nestel.

Es ist eine echte Thüringer Land- und Waldstadt. Die Thalenge sorgt dafür, daß die etwa 170 Häuser des Städtchens sich gemüthlich zu einer einzigen Straße an einander reihen, die fröhlich glitzernde Sormitz zu Lust und Nutz in ihrer Mitte. Die sorgfältig bemörtelten Häuser schauen mit ihren hellen Wänden und Fenstern ganz zufrieden unter den hohen graublauen Hauben ihrer Schieferdächer hervor, und eben so zufrieden und freundlich grüßen uns die Augen der Bewohner aus den treuherzigen Thüringer Gesichtern. Der Anblick der vielen neueren und wenigen alten Wohnhäuser ist zwar erfreulich, erinnert aber an schwere Schicksale, die durch Brandunglück den Ort früher betroffen haben. Daß aber neben den Wohngebäuden auch Kirche, Rathhaus und Schulen durch würdige Erneuerung ausgezeichnet sind, liefert den rühmlichen Beweis, daß der Fleiß der Bewohner sich lohnt. Die Mehrzahl derselben (im Ganzen sind’s etwa 1300) nährt sich als kleine Handwerker und findet in Land- und Holzwirthschaft noch guten Nebenerwerb. Neben dem Justiz-, Verwaltungs- und Forstpersonal, der Geistlichkeit und Lehrerschaft sendet auch eine Post- und Telegraphenstation sowie eine Papier- und eine Holzstofffabrik die Insassen für das Honoratiorenstübchen der Stadt. Und wer die hohe Freitreppe beim gothischen Rathhause hinaufsteigt, erkennt an den einladenden Nischen, wie gut die Leutenberger die Plätzchen zu wählen wissen, wo am Abend die Freuden der Natur und des Gambrinus vereint genossen werden können.

Auf demselben Wege steigt man zur Burg hinauf, wo wir uns 317 Fuß hoch über der Stadt und 1217 Fuß über dem Meere befinden. Die Friedensburg gehört zu den größten Bergschlössern Thüringens und fesselt uns durch ihren Ausblick in die Thäler, sowie durch den Einblick in ihr Inneres und ihre Vergangenheit. Bauten und Befestigungen verrathen die verschiedenen Jahrhunderte ihrer Entstehung. Mehrere Flügel, welche zwei Höfe umschließen, können durch den Kastellan erschlossen werden. Die Zimmer in zwei Stockwerken des nördlichen Flügels sind mit Gemälden von biblischen Scenen ausgeschmückt; ein Bild in einem Kämmerchen stellt den Augenblick dar, wo zwei Schwarzburger Grafen nach beendigter Fehde sich die Hände zur Versöhnung reichen; dieser Vorgang soll den Namen „Friedensburg“ veranlaßt haben.

Das Merkwürdigste im südlichen Flügel ist das sogenannte Apfelzimmer; es zeigt eine Tapezierung mit bemalten Pappetafeln auf Leinwandgrund, der auf einem Holzgitter mit einer Unterlage von Wachholderreisig befestigt ist – offenbar eine technische Sehenswürdigkeit. Hergestellt wurde dieses Zimmer durch zwei Schwarzburger Gräfinnen, welche im 17. Jahrhundert ihren Wittwensitz hier aufschlugen; beide dichteten geistliche Lieder. Grafen von Leutenberg hatten als eine schwarzburgische Seitenlinie über zwei Jahrhunderte (von 1358 bis 1564) hier geherrscht. Daß sie ein tapferes Geschlecht waren, dafür zeugt folgende Thatsache: Im Jahr 1447 saß der Graf Heinrich XXX. auf dem Schlosse allein mit seiner Gemahlin und deren Zofe; außerdem bildeten zwei Mann und zwei Jungen die ganze Besatzung. Diese Zeit benutzte sein Widerpart, der Graf Ludwig von Gleichen und Blankenhain, um mit 400 Reisigen nächtlicher Weile die Burg zu überfallen. Wirklich hatte er sich schon in die Vorburg eingeschlichen und das zweite Thor in dem inneren Hof genommen und begann gegen das Schloß zu stürmen, als der Thurmwart Lärm schlug und plötzlich alles Lebende in der Burg erwachte. Graf Heinrich übersah seine Mannschaft: sie bestand, Gräfin und Zofe eingerechnet, aus sieben „Mann“. Aber Heinrich verzagte nicht; er sandte die nöthigen Kräfte zur Vertheidigung des Schloßthors ab, alle übrigen auf den Thurm, von dem sie mächtige Steine und Mauerbrocken auf die im Hofe zusammengedrängten Ritter und Reisigen hinab schlenderten. Die Gräfin zielte absonderlich gut, und da sie mit einem wuchtigen Brocken den Grafen Ludwig just aufs Visir traf, so ging diesem ein Licht auf über seine Lage: der Tag war angebrochen und der Lärm, das Krachen und Dröhnen der getroffenen Harnische und das Schreien der Kämpfenden konnte Entsatz herbeirufen, - und so ritt Graf Ludwig wieder heim – und die Sieger freuten sich und tranken den damals gar berühmten Blankenburger Wein dazu. Diese Heldenthat ist nicht nur in einer vierzigstrophigen Romanze besungen, sondern durch die kunstgeübte Hand des Fürsten Ludwig Friedrich von Schwarzburg-Rudolstadt in einem Kupferstich verherrlicht worden. – Löblich ist’s auch, daß in der Vorburg, wo einst solcher Kampf getobt, jetzt Tische und Bänke aufgeschlagen sind, welche die Bürger wie die [434] Gäste der Stadt eifrig benutzen, um sich, von den Zeugen der Vergangenheit umgeben, erst recht der Gegenwart zu freuen.

Aber auch in die Zukunft steht uns ein günstiger Blick offen, wenn wir den vier Thälern einen Besuch abstatten, in deren Mitte Leutenberg liegt. Nach Südost setzt sich das Hauptthal fort mit der Chaussee nach Lobenstein und den weltbekannten Schieferbrüchen von Lehesten. Gegen Süden öffnet sich ein waldumgrenztes Thälchen, in welchem ein sehr werthvoller grau und gelb melirter Marmor gebrochen werden könnte, und gegen Südwesten ein anderes mit einer mineralhaltigen Quelle, die bis jetzt auch noch unbenutzt in die Sormitz fließt.[1] Zwischen beiden Thälern ragt die „Goldkuppe“ auf, ein Berg, in dessen Innerem die Schachte alter Goldbergwerke noch vorhanden sein sollen. Nach Nordost gelangen wir in das Ilm- und Lomnitzthal mit seinen Forellenbächen, dem rauschenden Buchenwalde und hohen Tannen, wo zu rechter Zeit die Ringeltaube ruft, der Waldmeister in frischester Ueppigkeit blüht und die Waldbeeren in Hülle und Fülle anlocken. Nimmt man dazu den das Thal nach Norden begrenzenden Löhmberg mit seinen Wegen und Pfaden zum Pavillon Amalienhöhe des Löhmaer Parks und zum weitausschauenden Gipfel des Schliefert mit seiner Wälderpracht, so kann dies Alles wohl als genügende Andeutung gelten, daß wir mit unserer Ueberschrift nicht zu viel gesagt, sondern unseren Lesern wirklich hiermit eine neue Thüringer Waldidylle erschlossen haben. Fr. Hofmann. 




Die Emailleuse.
Von Hans Wachenhusen.

Lange hielt ich sie für eine untergegangene Kunst, nämlich die des Emaillirens der natürlichen äußeren Bekleidung des menschlichen Körpers, und wo ich dennoch im Laufe der Jahre im Salon, an festlichen Tafeln ihre Spuren in dem Schmelz und Sammet des Nackens meiner Nachbarin wieder zu entdecken glaubte, war ich diskret genug, meine Kenntniß zu jener zu legen, deren Geheimnisse seit Jahrtausenden in den pharaonischen Gräbern untergegangen.

Heute kommen Andere und lüften von dem Toilettentisch den Schleier, unter den sich diese Kunst geflüchtet; sie decken die Geheimnisse einer rosigen Freimaurerei auf, die nunmehr zwanzig Jahre lang, durch Verschwiegenheit gehütet, unter dem Siegel derselben ihre Anhängerinnen warb, und so erzähle denn auch ich nach der Erinnerung, was ich im Jahre 1867 kurz vor Beginn der großen Weltausstellung über den Ursprung dieser Geheimkunst schrieb.

Zu jener Zeit erschienen nämlich eines Tages in Paris große gelbe Anschlagzettel an allen Mauern, auf denen man nichts weiter las als: „Mademoiselle Rachel wird nach Paris kommen!“

Dies konnte nun im Grunde Jedermann sehr gleichgültig sein; denn die große Tragödin dieses Namens war längst gestorben, und zu ihren Lebzeiten war man gewohnt gewesen, ihren Namen auf ganz anderen Affichen zu finden. Und dennoch fragte man sich: wer ist Mademoiselle Rachel und was will sie in Paris?

Man beruhigte sich darüber, bis wenige Monate später an denselben Mauern mit großen Lettern wiederum gedruckt stand: „Mademoiselle Rachel ist in Paris angekommen!“ Und nicht lange dauerte es, da verkündete Mademoiselle Rachel ihre Konferenzen .„über die Schönheit und die Jugend“.

Wir, ein Häuflein Deutsche, zu dem damals auch Ullmann, Strakosch u. A. gehörten, hatten unser Hauptquartier am Boulevard im Café du Helder und suchten also neugierig die in der Nähe liegende stille Rue Choiseul auf, in der diese Konferenzen stattfinden sollten.

Richtig, da standen an einer Thür die mystischen Worte: „La jeunesse et la beauté.“ Aber ein weiblicher Drache wies uns mit Schweigen ab, als wir Eintritt begehrten in der Ueberzeugung, daß hinter diesen Glasthüren der Quell der Jugend und Schönheit sprudeln müsse.

Wenige Tage später brachten die Pariser Blätter, voran die „Vie Parisienne“, der Moniteur gewisser Damen, große und enthusiastische Reklamen für Mademoiselle Rachel, die Emailleuse. Man erfuhr, daß die Schwelle jedem Männerfuß untersagt sei, daß es jedoch den Gatten verstattet werde, gegen eine Zutrittskarte für 25 Franken ihre Frauen im Vorzimmer abzuholen. Noch immer lagerte ein gewisses Dunkel über der Sache, und nur die Frauen mochten es verstanden haben, aber sie schwiegen. Die Reklamen waren so gehalten, daß sie Aller Neugier herausforderten und den Männern Verdacht einflößten. Da nahm endlich Mademoiselle Rachel selbst das Wort; sie proklamirte sich als Emailleuse, deren Kunst selbst den von Alter und Sorgen entstellten Gesichtern die ursprüngliche Schönheit und Jugend wieder zu verleihen sich anheischig mache.

Den Ehemännern sträubten sich die Haare bei dem Gedanken, daß ihre Frauen verleitet werden könnten, noch einmal wieder jung sein zu wollen, noch einmal sie, die Gatten, alle die Qualen der Eifersucht und anderer Prüfungen durchleben zu lassen, welche mit einer schönen jungen Frau ins Haus einziehen. Für wen konnten sie wieder jung und schön werden wollen? Für sie, die Gatten …? So mancher Ehemann stellte sich auch Abends an der Ecke der Rue Choiseul auf die Lauer; Andere ergaben sich verzagt in ihr Schicksal.

Aber zu ihrem Trost verbreitete sich hinsichtlich der Wunderthätigkeit der Emailleuse eine andere Kunde. Mademoiselle Rachel, hieß es, emaillirt allerdings die Gesichtszüge, an denen Kréme und Essenzen umsonst ihre Wirkung versucht; sie überzieht das Antlitz mit einem Email, welcher alle Runzeln und Falten glättet, alle Flecken bedeckt, ein Engelsgesicht an Frische und Anmuth verleiht, Schwanennacken zaubert, Brust und Arme mit dem Schmelz jener ersten Jugend bedeckt, da das Herz noch seine Illusionen hatte. Das Alles thut Mademoiselle Rachel; aber, jede Medaille hat ihre Rückseite. Das Antlitz, einmal emaillirt, ist keines wechselnden, inneren Regungen gehorchenden Ausdrucks mehr fähig! Eine Dame, die sich ein lächelndes Antlitz hat emailliren lassen, muß immer lächeln, immerfort! Sie lächelt, wenn sie Migräne oder Zahnschmerzen hat; sie lächelt, wenn ihr Kind im Sterben, ja sie muß lächeln, wenn sie selbst auf dem Todtenbette liegt. Sie muß lächeln, immerfort lächeln!

Und wiederum die Andre, die sich ein schmachtendes, schwermuthsvolles Antlitz hat emailliren lassen, sie erscheint vor der Welt traurig, immer traurig! Sie ist melancholisch, wenn sie das große Los gewonnen, traurig, wenn sie die höchste Wonne, die reinste Seligkeit empfindet, traurig, wenn ihr Herz vor Freude jauchzt … immerfort traurig! – Verhängnißvolle Emailleuse!

Aber auch das hinderte Mademoiselle Rachel nicht, die glänzendsten Geschäfte zu machen; denn ihre Kunst lieferte die glänzendsten Resultate. Man sah in den Logen der Boulevardtheater anfangs bei den lustigsten Komödien wohl Damen mit eisig kalten, unempfänglichen Gesichtern sitzen, andere in der Porte St. Martin mit lächelnder Miene den schauerlichsten Dramen beiwohnen; bald aber hatte man der Erfindung ihre richtige und praktische Seite abgewonnen. Zu was der Welt irgend einen Affekt zeigen! Eine Pariserin ist ja gegen Passionen gefeit; es ist nicht comme il faut, überhaupt Gemüthsbewegungen zu haben, noch weniger solche zu verrathen. Man erfand also ein Mittelding, ein neutrales Gesicht, die Jugend mit dem Statuen-, dem Medusenhaupt, das allen gesellschaftlichen Situationen gerecht und im Glanz der Lustres von zauberhafter Wirkung war.

Seitdem hat diese unselige Kunst ihr Atelier in den geheimsten Räumen der Pariser Frauenwelt aufgeschlagen, und die Salons der Aristokratie, der Börsenfürsten sind die Schauplätze der Triumphe, die sie durch äußeres Blendwerk vor gläubigen Augen feiert; aber der Herrgott läßt sich nicht in seine Schöpfung pfuschen, und die Wirkung, welche diese Kunst durch Störung der Porenthätigkeit auf den Körper geübt, die Folgen werden erst offenbar, wenn das weltsüchtige Herz den eitlen Zielen entsagt hat und das Alter nicht mehr mit sich feilschen lassen will.




[435]

Blätter und Blüthen.


Der große alte Mann. Das ist das Beiwort, welches die begeisterten Anhänger Gladstone’s ihrem Herrn und Meister geben; jedenfalls ist Gladstone, wenn er auch jetzt nicht das Staatsruder in Händen hält, der bedeutendste Staatsmann Englands, und wie man auch über seine auswärtige Politik denken mag, welche bei Weitem nicht den kühnen Ideenflug derjenigen des Lord Beaconsfield erreicht: in Bezug auf die innere Politik ist Gladstone zu allen Zeiten einflußreich und maßgebend gewesen.

Man macht sich oft genug von dem „großen alten Mann“ ein verkehrtes Bild, welches durch neuere Berichterstatter die richtigen Umrisse erhält. Gladstone hat energische Züge, eine hohe gebietende Stirn, einen nicht minder beherrschenden Blick, einen festen entschlossenen Gang; aber er hat nicht die Kühnheit, die seinem Gegner Lord Beaconsfield eigen war, wenngleich sein Temperament zu kühnem Aufschwung geneigt ist; er versteht dasselbe im Zaum zu halten und sucht seine Weisheit im Zaudern, wie er die Tugend im Puritanismus sucht; seine Meinungen sind gemäßigt; er folgt dem Gange der Ereignisse und sucht sich der öffentlichen Meinung anzuschmiegen. Er ist ein „Opportunist“, und man hat von ihm gesagt, daß er eine Mischung von Cromwell und Gambetta sei.

Er besitzt ein umfassendes Wissen. Wie viele englische Staatsmänner, liebt er das Studium des Alterthums, der klassischen Dichter, wie seine Schriften über Homer, sein Interesse für Schliemann’s Ausgrabungen beweisen. Ein eifriger Theologe und Anhänger der Hochkirche, hat er stets gegen das Papstthum gestritten, und nichts ist irriger, als die Beschuldigung des Jesuitismus, die man gegen ihn gerichtet hat. Er liebt den Fortschritt, ist ein Anhänger des Freihandels, der Gleichberechtigung der Religionen und Sekten, des möglichst ausgedehnten und unabhängigen Stimmrechts. Er ist geduldig, peinlich, unermüdlich in der Agitation. Seine Beredsamkeit hat etwas Mächtiges; sie ergeht sich oft ins Breite und es fehlt ihr nicht ein bitterer sarkastischer Zug, besonders wenn er aufs Unbarmherzigste die Fehler seiner Gegner geißelt. Doch alle diese Vorzüge, die ihm eigen sind, wenn er auf Seiten der Opposition steht, verblassen, wenn er die Herrschaft in Händen hat: dann wird seine Politik schwankend und unsicher. Die Stimme des Volkes hat er für sich und es hat ihm nie an begeisterten Huldigungen gefehlt. Er ist ein Ehrenmann, von einer rücksichtslosen Freimüthigkeit, welche schon oft gegen ihn die parlamentarischen Stürme entfesselt hat; nur aufrichtige Empfindungen haben früher seine Politik bestimmt. In letzter Zeit hat seine Volksthümlichkeit ihm etwas zu viel Selbstgefühl, Stolz und Reizbarkeit gegeben; er ist ein Doktrinär und unduldsam geworden. Seine Gegner bestreiten ihm die Eigenschaft eines Staatsmannes: sie behaupten, seine Gelehrsamkeit, seine Philosophie machten ihn zum Vertreter der grauen Theorie in der Politik und seine Erfolge verdanke er nur seiner Beredsamkeit und seiner parlamentarischen Gewandtheit; er habe das gefährliche Talent, daß er immer Recht zu haben scheint, wenn er spricht, mag er sich auch noch so sehr auf Abwegen befinden.

Von den leidenschaftlichen Angriffen, denen er fortwährend ausgesetzt ist, erfährt er wenig genug: man überwacht ihn sorgsam und giebt sich alle Mühe, ihm alles zu unterschlagen, was gegen ihn geschrieben wird. Er ist seiner Popularität so sicher, daß er ganz außer sich gerieth, als er einmal beim Besuch der Hygiene-Ausstellung ausgepfiffen wurde. Ja, seine Umgebung läßt es kaum zu, daß man ihm gegenüber eine andere Ansicht vertritt. Als eine große Dame es einmal wagte, bei einem Diner mit ihm zu streiten, schickte ihr Mrs. Gladstone alsbald ein Blättchen zu, welches bei Tisch die Runde machte und worauf die Worte standen: „Man streitet nicht mit dem ersten Minister.“

Für die Salons ist Gladstone nicht geboren; er spielt darin keine glänzende Rolle wie etwa Lord Granville, Lord Spenser u. A., er trägt zu kurze Beinkleider; aber im vertrauten Gespräch weiß er reizend zu plaudern; er versteht zuzuhören und spricht auch über gelehrte Fragen ohne Pedanterie; er hat Humor und singt gelegentlich den „Vikar von Bray“, ein altes Lied, in welchem der brave Vikar ohne viele Umstände seinen Glauben wechselt, nur unter der Bedingung, daß ihm sein Gehalt dabei nicht verloren geht. Böse Zungen haben oft dies Lied benutzt, um Anspielungen auf die religiösen Meinungen des Ministers zu machen; gelegentlich singt er auch ein anderes Kouplet. Es ist bekannt, daß der fünfundsiebzigjährige Greis in seinen Mußestunden noch die Axt des Holzschlägers handhabt, und es gehört zu seinen kleinen Eitelkeiten, wenn er seine Gäste in seinem Schloß Hawarden empfängt, in ihrer Gegenwart einen Baum zu fällen. Wie oft hat er als Geschenk eine Ehrenaxt erhalten! Er ist ein unermüdlicher Fußgänger, schreckt vor zehn Meilen nicht zurück und trotz der Ritter vom Dynamit durchwandert er ganz allein die Straßen Londons. Einmal wäre er fast von einem Wagen überfahren worden, als er einem Blinden half, Piccadilly zu überschreiten. Dabei ist der alte Herr sehr galant, und man erzählt sich allerlei Geschichten davon, z. B., daß die Jesuiten ihn durch eine schöne Irländerin zum Katholicismus bekehren wollten. Als ihm eine anmuthige Dame, Laura B., die er früher verehrt hatte, ihr Portrait schickte, wurde es von Mrs. Gladstone, welche über Gegenwart und Vergangenheit ihres Gatten sorgsam wacht, aufgefangen und an die Absenderin zurückgeschickt. Auch wenn es Gladstone einfällt, von seinem Lehnstuhl im Parlament an irgend eine schöne Zuhörerin eine Liebesepistel zu senden, so beobachtet dies Mrs. Gladstone sehr genau von ihrer Loge aus, welche der Ministerbank nahe ist. Mit mächtigen Opernguckern bewaffnet, verfolgt sie alles mit den Blicken, was ihr Gatte schreibt und thut. Wenn der kleine Liebesgott seine billets-doux in die politischen Aktenstücke einschmuggelt: dann passen ihre geheimen Sendlinge denen des Gatten auf und entreißen ihnen die verfänglichen Briefchen, welche dann die Gattin unschädlich macht.

Trotz dieses umsichtigen Verfahrens, trotz ihrer Tüchtigkeit und Bravheit entgeht Frau Gladstone nicht den Lästerzungen, welche ihre schwache Seite entdeckt haben. Es ist das nicht bloß der Mangel an Takt, sondern auch der Mangel an Sorgfalt in Bezug auf ihre Toilette. Daher das Witzwort der modischen Kreise: Hopeless, hopeful, soapless: hopeless, hoffnungslos, ist Vater Gladstone; hopeful, hoffnungsvoll, der Sohn, und soapless, ohne Seife, die Mutter.

Riesenstiefmütterchen. 0 Natürliche Größe.

Das Stiefmütterchen. Eine der dankbarsten Florblumen, welche im Sommer unsere Gärten schmücken, ist unstreitig das Stiefmütterchen (Viola tricolor maxima), Gedenkemein, Sammetveilchen, Tag- und Nachtblume oder Pensée nach französischer Benennung bezeichnet.

Zeitig im Frühjahr, sobald die Natur zu neuem Leben erwacht, erscheinen die ersten Blumen, und ihr Flor währt bei richtiger Behandlung ununterbrochen fort, bis im Herbste Nachtfröste denselben zerstören. Durch Auszeichnen sowie gegenseitiges Befruchten der größten und schönsten Blumen ist es nach vieler Mühe gelungen, dieses anfangs unscheinbare Blümchen zu einer nie geahnten Vollkommenheit zu bringen, und immer noch arbeiten hieran zahlreiche Züchter. Unter diesen verdient wohl in erster Linie die Kunst- und Handelsgärtnerei von Friedrich Roemer in Quedlinburg erwähnt zu werden. Die einzelnen Blumen der von ihr gezüchteten riesenblumigen fünffleckigen Stiefmütterchen erreichen eine enorme Größe, bis 10 Centimeter Durchmesser; sie sind zirkelrund, von fester Haltung und zeigen die reichsten und brillantesten Schattirungen. Die Eigenart dieser Species tritt besonders dadurch hervor, daß jedes einzelne Blumenblatt mit einem großen massiven Fleck gezeichnet ist, welcher oft fast den ganzen Raum desselben einnimmt und nur mit einem schmalen helleren Rande umsäumt ist.

Im Anschluß hieran mag uns gestattet sein, in Kürze einiges über die Kultur der Stiefmütterchen hinzuzufügen. Die günstigste Zeit zur Aussaat für Stiefmütterchen ist die Zeit von Ende Juni bis Ende August. Man säe den Samen in kalte Mistbeete, kleine Holzkästen oder Töpfe, je nachdem man damit versehen ist, welche sowohl bei heißem Wetter wie auch bei starkem Regen eine Ueberdeckung der Sämlinge gestatten. Im Nothfalle benutze man einen halb schattigen Platz im Garten.

In diese Beete oder Kasten berge man nahrhafte, mit Sand vermischte Erde, säe den Samen möglichst dünn aus, drücke denselben leicht an und begieße mit einer feinen Brause. Hierauf bedecke man den Samen höchstens einen halben Centimeter hoch mit feingesiebter Erde. – Bis znm Auflaufen des Samens ist vor allen Dingen für gute Beschattung bei Sonnenschein zu sorgen, da die schwache Erdschicht leicht austrocknet und hierdurch das Auflaufen des Samens erschwert, oft ganz verhindert wird.

Bis zum Erscheinen der jungen Pflanzen, was in der Regel nach 14 bis 20 Tagen geschieht, ist die Erde regelmäßig feucht zu halten. Anfang bis Ende September, je nach der Aussaat, sind die Pflanzen so weit herangewachsen, daß sie an ihrem Bestimmungsorte ausgepflanzt werden können und zwar in Abständen von 20 Centimeter auf gut gedüngtes Land. Als Dünger ist Kuhmist vorzuziehen; scharfe Düngerarten und Salze begünstigen das vorzeitige Absterben der Pflanzen. Eben so sollten dieselben, falls man sie zu Teppichbeeten verwenden will, auch gleich im Herbste an Ort und Stelle in Verbindnng mit Bellis perennis, Myosotis alpestris, Silene pendula etc., in diesem Falle aber nur 10 Centimeter weit gepflanzt werden. Nur auf diese Weise ist ein langdauernder schöner Flor gesichert, während, wenn dieselben im Frühjahre wieder umgepflanzt werden, der Flor nur von kurzer Dauer und lange nicht von solcher Schönheit ist. Deßhalb muß auch zu gleicher Zeit auf Anschaffung der oben genannten Frühlingsblumen Bedacht genommen werden. Besonders bemerkt sei noch, daß die Stiefmütterchen, wenn zur richtigen Zeit verpflanzt, also im September, unsere strengsten Winter ohne jede Bedeckung aushalten.

[436] Das Kind und seine Pflege. Populär zu schreiben, ist eine schwierige Kunst, die nicht Jedem gegeben ist. Besonders schwierig aber ist die volksthümliche Darstellung der einzelnen Abschnitte der medicinischen Wissenschaft: sie gleicht einem zweischneidigen Schwerte, welches nützen und schaden kann. Die allgemeinen Regeln zur Erhaltung der Gesundheit und Verhütung von Krankheiten bringen, zum Gemeingut weitester Kreise geworden, sehr großen Nutzen; von ihnen aber öffnet sich dem Laien auch ein verführerischer Weg zu der eigentlichen Heilkunde, zum Eingreifen in ausgesprochenen Krankheitsfällen. Das Selbstkuriren oder unberufene Kuriren der Angehörigen und Freunde hat nun seit jeher unendlichen Schaden gestiftet: denn die Halbbildung und das Halbwissen führen zu Trugschlüssen, die im praktischen Leben zu schwerwiegenden Mißgriffen werden. Der volksthümlich schreibende Arzt muß darum stets auf diese Gefahren der populären Medicin achten und stets das Ziel im Auge behalten, daß er den Laien nur zum Hygieniker und Krankenpfleger ausbilden soll; er muß es aber zugleich vermeiden, daß durch seine Lehren Kurpfuscher großgezogen werden. Namentlich auf dem Gebiete der Pflege des Kindes rächt sich eine derartige Kurpfuscherei, die eben so schlimm ist wie die an dem zarten Körper herumdokternde Ammen- und Basenweisheit. Es giebt in unserer Litteratur nur wenige Bücher, welche den oben aufgestellten Grundsätzen entsprechen, und darum scheint es uns von allgemeinem Interesse zu sein, auf ein Werk hinzuweisen, in welchem der Verfasser alle jene gefährlichen Klippen der populären Heilkunde glücklich zu vermeiden wußte. Es ist dies das Werk: „Das Kind und seine Pflege im gesunden und kranken Zustande“ von San.-Rath Dr. med. Livius Fürst (Leipzig, J. J. Weber), welches bereits in dritter Auflage vorliegt. Der Verfasser, ein angesehener Specialist auf dem Gebiete der Kinderkrankheiten, verfügt über eine außerordentlich gefällige und klare Darstellungsweise; er ist kein langweiliger Lehrer, sondern versteht den Leser stets zu fesseln und entrollt in seinem Buche ein sehr wahrheitsgetreues Bild der Entwickelung des Kindes von dem Säuglingsalter bis zu dem höheren Kindesalter. Mütter, Erzieherinnen und Kindergärtnerinnen finden in demselben die besten und zuverlässigsten Aufschlüsse über alle gesundheitlichen Fragen, welche die Kinder betreffen: sie lernen in rationeller Weise ihre Pfleglinge zur Gesundheit zu erziehen, sie erfahren die Grundsätze der Krankenpflege und finden mit Klarheit und Schärfe die Grenzen gezogen, an welchen ihr selbständiges Eingreifen aufhören und wo der Arzt gerufen werden muß. Kein Wunder also, daß sich das Fürst’sche Buch so rasch in den deutschen Familien eingebürgert hat; es ist ein wahrer Hausschatz, der auch weiterhin gehütet zu werden verdient. * 

Der Sitz im Eisenbahnwagen. In Nr. 1, „Gartenlaube“ 1884, brachte Prof. O. Knille eine Abhandlung über die Sitze in unsern Eisenbahnwagen und wies auf die Nothwendigkeit hin, die Bänke etc. den Anforderungen der Hygiene entsprechend zu reformiren. Wir sind heute in der Lage, unseren Lesern die Abbildung eines Sitzes vorzuführen, welcher der gegebenen Rückenlinie des menschlichen Körpers gerecht wird und den Anforderungen der Bequemlichkeit entspricht. Der Erfinder des neuen, gegen Nachahmung gesetzlich geschützten Sitzes ist C. Fischmann in Nordhausen. Die Eisenbahndirektion in Erfurt hat bereits den probeweisen Gebrauch des Sitzes angeordnet. * 

Neapolitanische Bräute. Die Gesichter früherer deutscher Studenten gleichen, um mit Heine zu sprechen, öfters Albums, in denen sich ihre Freunde sehr leserlich eingetragen haben. In Neapel aber sind es die Frauen, in deren Gesichtern die Liebesabenteuer ihrer Jugend verzeichnet sind. Die Bräute oder solche, die es werden wollen, sind nur zu häufig den leidenschaftlichen Aufwallungen ihrer Verehrer ausgesetzt. Und diese Leidenschaft begnügt sich nicht mit heftigen Ergüssen: sie greift zum Messer. Das ist wenigstens in den niederen Ständen üblich. Der Liebende oder Bräutigam versetzt, in Anwandlung berechtigter oder unberechtigter Eifersucht, dem erkorenen Mädchen mit seinem Rasirmesser einen Schnitt über die Wange; ja, wenn er sich empfindlicher rächen will, so bedient er sich eines gezackten Rasirmessers, weil der Schnitt mit einem solchen weher thut. Die verwundete Geliebte begiebt sich ins Hospital, zeigt aber nie den Thäter an; die Liebe leidet dabei keinen Schaden, das Verhältniß dauert fort. Sie erhält durch diesen Schnitt, wie eine Pflanze durch den Schnitt beim Okuliren, oft nur eine schönere Blüthe. Minder günstig gestaltet sich das Verhältniß, wenn die Mädchen selbst zum Messer greifen, um ihre treulosen Liebhaber zu zeichnen. Auch das ist oft genug der Fall. Diese rühmen sich gerade ihrer „Schmisse“ nicht; aber wie ein deutscher Student mit ihnen seinen Muth und seine Tapferkeit beweist: so trägt eine Neapolitanerin mit Stolz ihre gezeichnete Wange zur Schau, zum Beweis, wie sehr sie geliebt worden. †     

Allgemeine Bildung. Es ist leicht zu beobachten, mit welchem geringen Aufwande die sogenannte allgemeine Bildung ihre Kosten deckt, wie oft sie sich mit der angelernten Phrase begnügt und wie die meisten Menschen mit berühmten Namen nur einen Begriff verbinden. Ein kleines Verzeichniß solcher im Umgang kursirenden Münzen mag das erläutern; wir geben an, was der Name den Meisten bedeutet; mehr wissen sie nicht von den Trägern desselben: Byron – Weltschmerz; Tasso – Befreites Jerusalem; Ariost – Rasender Roland; Petrarca – Laura; Don Quixote – Windmühlen; Ben Akiba – Alles schon dagewesen; Humboldt – Kosmos; Kant – Kategorischer Imperativ; Holbein – Madonna; Watteau – Schäferspiele etc.

Wie man vor 200 Jahren seiner Angebeteten die Glückwünsche zum Jahreswechsel darbrachte, giebt nachstehendes Schreiben zu erkennen, welches der 1662 zu Nürnberg erschienenen „Neu-Aufgerichteten Liebs-Cammer“[WS 1] entnommen ist. Es lautet:

Hoch-Tugendhaffte und schönste Jungfrau. Bey Gottlob glücksehligem Schluß deß Alten, und fröligem Antritt deß Neuen Jahrs, treibt mich die vor diesem zum offtern erklärte Dienst begierde, meiner Schönsten und in Ehren herzgeliebten Jungfrauen, von dem Allmächtigen einen erfreulichen Anfang dieser verneuten Zeit und danebst vieler andrer Jahre glückliche Erfüllung, hertzlichst zu wünschen. Der Allerhöchste, welcher unser aller Thun anfängt, mittelt und endet, dazu der Zeit ihren Ursprung und Ausfluß eröffnet, wolle die Zier-reichen Rosen ihrer holdseligsten Jugend nach wie vor in ihrer behaglichen frischen Blüthe erhalten, vor Anwehung wiedriger Gesundheit- und Glücks-Stürme unter seinen Gnaden-Flügeln beschirmen, und ihren Stand mit allem Jungfräulichen Wohlergehen gesegnen und krönen: mir aber die vielverlangte Gelegenheit schenken, deroselben meinen ergebenen Gehorsam mit würklichen Diensten besser in diesem neuen, wie in dem abgewichenen Jahr, zu beglauben. Welches die schönste und liebste Jungfrau mit ihrer huldreichsten Befehlung zu befordern und veranlassen geruhe; in ungezweifelter Versicherung, daß nächst göttlicher Gnade die ihrige das theuerste Präsent sey, welches ich mir selbsten zum Neuen Jahr wünsche.

 Ihrer Tugenden Dienst-eigener
 Knecht N N.



Allerlei Kurzweil.

Schach.
Von Otto Fuß in Hannover.

Schach.
Von Otto Fuß in Hannover.
SCHWARZ

WEISS
Weiß zieht an und setzt mit dem dritten Zuge matt.


Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 400.
Weiß: Schwarz:
1. T g 1 – g 6 ! S g 7 – e 6 :
2. S d 4 – f 5 : ! S e 6 – c 7 : a. B.
3. S f 5 – e 3 matt.

Weiß droht mit 2. S d 4 – b 4 (oder e 2) fortzufahren. Auf 1. … L c 8 – d 7 folgt 2. D c 7 – d 7 : † nebst 3. D d 7 – b 5 matt. Schade, daß dem ausgezeichneten Hauptspiele nicht wenigstens eine hervortretendere Variante zur Seite steht! Das Problem dürfte ziemlich schwierig sein.


Auflösung der Charade auf S. 416: 0 „Fischweib“.



Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht beantwortet.)

L. G. in Magdeburg. Lesen Sie das „Buch der praktischen Erwerbslehre“ von Reinhold Fröbel (Leipzig, 1887)[WS 2]. Im 35. Kapitel dürften Sie ziemlich Alles finden, was Sie über Kapitalanlage zu wissen wünschen, und im 43. Kapitel auch eine eingehende Besprechung der Nebenerwerbe für alle Berufsarten. Das Buch ist mit Sorgfalt und Sachkenntniß geschrieben und verdient die Beachtung Aller, welche sich über Fragen auf dem Gebiete des Erwerbslebens orientiren wollen. Wie reichhaltig und Ihren Wünschen entsprechend der Inhalt des Werkes ist, ersehen Sie schon aus einer kurzen Inhaltsskizzirung des oben genannten Kapitels über die Kapitalanlage. Dasselbe enthält neben allgemeinen Klugheitsregeln sehr wichtige Winke über: Kapitalanlage behufs Erwerbung werthvoller Kenntnisse, Kapitalanlage in berufsmäßigen Unternehmungen, offenen Theilhabergeschäften, städtischen Grundstücken und Landgütern, stillen Theilhabergeschäften, Kommanditgesellschaften, Aktienunternehmungen, Hypotheken, Staatsschuldscheinen, garantirten Schuldverschreibungen etc. Und in dem Kapitel über die Nebenerwerbe wird sowohl des Landwirths gedacht als des Industriellen und Gewerbetreibenden, des Kaufmanns, Rentiers, des Beamten in Dienst und Pension; und auch die Nebenerwerbe für Frauen und Mädchen haben gebührende Berücksichtigung gefunden.

W. R. in Petersb. Einen derartigen Artikel hat die „Gartenlaube“ nicht gebracht.

N. R. in Würzburg. Eine solche Kuranstalt ist uns nicht bekannt. Wenden Sie sich an einen Specialisten der Universität Würzburg.


Inhalt: Götzendienst. Roman von Alexander Baron v. Roberts (Schluß). S. 417. – Blumengruß. Illustration. S. 421. – Hans Hopfen. Von Rudolf v. Gottschall. Mit Portrait. S. 425. – Der Nordostseekanal. Ein Gedenkblatt an den 3. Juni 1887. S. 426. Mit Illustration S. 429. – Magdalena. Von Arnold Kasten (Fortsetzung). S. 428. – Die Enthüllung der Domfaçade zu Florenz. Von Isolde Kurz. Mit Illustration S. 432. – Eine neuerschlossene Thüringer Waldidylle. Von Fr. Hofmann S. 433. Mit Illustrationen S. 417 und 433. – Die Emailleuse. Von Hans Wachenhusen. S. 434. – Blätter und Blüthen: Der große alte Mann. S. 435. – Das Stiefmütterchen. Mit Abbildung S. 435. – Das Kind und seine Pflege. S. 436. – Der Sitz im Eisenbahnwagen. Mit Abbildung. S. 436. – Neapolitanische Bräute. S. 436. – Allgemeine Bildung. S. 436. – Wie man vor 200 Jahren seiner Angebeteten die Glückwünsche zum Jahreswechsel darbrachte. S. 436. – Allerlei Kurzweil: Schach. S. 436. – Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 400. S. 436. – Auflösung der Charade auf S. 416. S. 436. – Kleiner Briefkasten. S. 436.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

  1. In jüngster Zeit regt sich der Unternehmungsgeist auch hier, und namentlich bemüht man sich, Badegästen die reichen Gaben der Natur dieser Thäler und Höhen nutzbar zu machen. D. V. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Neu-Auffgerichtete Liebs-Cammer, Darinnen / Allerhand höfflich-verliebte Send-Schreiben / an das löbliche und anmuthige Frauenzimmer / auch andere Personen abgefasset … Erbauet durch E. F. [= Erasmus Francisci]. [Nürnberg]: Endter, 1662 im VD17 unter der Nummer 23:620138N
  2. Digitalisat: Internet Archive