Die Gartenlaube (1887)/Heft 25
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No. 25. | 1887. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.
Götzendienst.
Die Tafel für den kleinen Kreis der zur Geburtstagsfeier der Frau Eff Geladenen war nicht in dem Speisezimmer, sondern in einem der Wohnzimmer gedeckt worden. Und warum? Weil die „Erfindung“ es einfach nicht duldete, daß im Eßzimmer gespeist wurde. Adolf Eff hatte den Aspirator an diesem Ehrentage, der ein doppelter war, da das Haus zum ersten Male Gäste bewirthete, in seinem vollen Glanz zeigen wollen, und man sollte, bei Tafel sitzend, die köstliche Wohlthat dieser phänomenalen Lufttemperirungsmaschine genießen. Es war aber irgend ein technisches Versehen vorgekommen und die Maschine arbeitete zu stark, einen Zug und eine Kühlung in dem Raum erzeugend, daß ein längerer Aufenthalt dort unmöglich schien.
„Denken Sie, als ich heute Morgen das Tischtuch auflegen wollte, flog es mir beinahe unter den Händen davon,“ sagte Frau Eff zu Frau Belzig mit einem komischen Jammerton. „Wir haben hier in der blauen Stube decken müssen!“
[402] Es war heute ihr Geburtstag, und sie hatte sich den Tag über krampfhaft Mühe gegeben, die Sache von der komischen Seite zu fassen.
„Was ist da weiter? Dergleichen kann doch passiren,“ tröstete sie ihr stets trostbereiter Gatte, „das Ding ist superb, und wenn der Kerl (der Arbeiter, der an dem Aspirator gearbeitet) keinen Unsinn gemacht hätte, so genössen wir die reine Paradiesluft. Nun, ich dächte doch, man könnte es ertragen!“
Sie wies mit Thränen in den Augen auf das flatternde und wie ein Luftballon sich blähende Tischtuch. „Es heult so wie ein Novembersturm!“ rief sie in weinender Verzweiflung mit einem Blick auf den von der Sonne beschienenen Garten, wo kein Blättchen sich regte.
Frau Belzig beruhigte die kleine Frau, mit zwei ihrer rundlichen Finger über deren mit nervösen blauen Adern bedeckte Hand streichelnd. „Meine liebe Beste, nehmen Sie die Sache nicht tragisch. Es hat Jeder von uns das Seinige.“ Sie dachte an den Puppenverlag ihres Mannes, über den sie anfangs so gespottet, der aber schließlich das Geld herbeiströmen machte. „Ja diese Herren vom Geschäft!“ seufzte sie.
Unterdeß erklärte Adolf einigen der Gäste die Erfindung. Er mußte seine Stimme laut erheben, damit die Worte von dem Geheul der Maschine nicht verschlungen würden.
Herr Belzig nickte und nickte. „Famos! Sehr gut! ganz famos!“ mit jenen übertrieben aufmerksam scheinenden Augen, die anderweitig umherflatternde Gedanken verbergen sollen.
Die Damen fanden die Erfindung natürlich „reizend“! Wie lustig es in dem Röhrenwerk rumorte! Die Frau des Kompagnons, ein hageres Gesicht, das offenbar zu Zahnschmerzen geboren schien, hielt ängstlich den Fächer gegen die Wange, um sich vor dem wirklich unausstehlichen Zug, den das wahnsinnige Ding so ohne jeden Grund vollführte, zu schützen.
Der Kompagnon, eine kräftige bärtige Erscheinung von tüchtigem Ausdruck, lachte hinler Adolf’s Rücken über dessen Steckenpferd. Wenn dieser Eff nicht sonst so Brauchbares auf dem praktischen Felde der Fabrikation leistete, wenn er sonst nicht so ein famoser Kerl wäre, so müßte man diese Verrücktheiten mit offenem Spott überschütten. So aber meinte er in seiner ruhigen verständigen Art, man müßte den Erfinder erst ein wenig austoben lassen, ehe man zur Heilung schritte. Freilich, amerikanische Arbeiter – das ginge doch zu weit!
Da klirrten Gamlingen’s Sporen und rauschte Melitta’s Robe. „Aha! Nun bin ich doch neugierig!“ rief Jener seinem Bruder freundlich entgegen. Melitta traute sich nicht in die zugige Luft – „Puh!“ und sie schreckte in der Thür zurück.
Gamlingen konnte es sich nicht versagen, laut mit seiner sonoren Stimme über das originelle Debut der berühmten Erfindung loszulachen. „Höre,“ sagte er, „ich habe gestern zufällig in einem wissenschaftlichen Journal, ich glaube, es waren die ‚Fliegenden Blätter‘, ein Seitenstück dargestellt gesehen. Ein Riesenaspirator, der mit orkanartiger Gewalt die Passanten von der Straße in ein Vergnügungslokal hereinschlürft. Oberländer, glaub’ ich, heißt der Kollege.“
Aber Adolf reckte sich trotz Spott und Allem in die Brust. „Superb! – Es ist trotzdem ausgezeichnet!“ murmelte er.
Bei Tisch war man in bester Laune. Selbst Frau Eff hatte den großen Kummer des Tages vergessen. Eben hatte Adolf seine kleine Rache spielen lassen und einen galant scherzhaften Toast auf „seinen Bruder, den Baron, und seine Schwägerin, die Baronin“ ausgebracht. Walther nahm ihn mit unbefangener Miene hin, Melitta erröthete, aber ihre Augen strahlten. Frau Belzig blickte mit blinzelnder Verschämtheit, als gälte ihr die Baronin, auf ihren Teller. Die Champagnergläser trafen sich mit jenem gedämpften Ton, der nicht recht zu dem übermüthigen Getränk passen will. Da entstand auf der anderen Seite des Hofes, hoch droben auf dem Baugerüste, ein Tumult. Ein paar laut schimpfende Worte hallten durch das geöffnete Fenster herüber.
Es ist nichts, – nicht werth, daß man sich hier bei Tische in der Fröhlichkeit stören läßt!
Dort oben hielten die verschiedenen Arbeiter mit der Verrichtung inne. Zwischen zweien der Männer hatte sich ein Streit erhoben. Mit drohend heftigen Gebärden auf einander losfahrend, standen die beiden Streiter sich auf dem schmalen Gerüste gegenüber.
Es ist nichts, dergleichen Spähne pflegen bei der Arbeit zu fallen. Aber der scharfe Herr Pansow, der Kompagnon, knurrte voll Unmuth in sich hinein: „Die Halunken könnten wohl heute den Spektakel unterlassen!“ Er will unter der Hand hinaus und Ruhe befehlen.
Doch die Aufmerksamkeit des Tisches will sich nicht von dem Gerüst ablenken lassen. Auf ebener Erde, hier auf festem Kampfplatz, da mögen sie selbst Körper gegen Körper und mit Fäusten gegen einander losfahren! Aber da droben klingen selbst Worte schon gefährlich!
Die beruhigende Stimme des Poliers scheint den Streit beizulegen, einzelne Arbeiter nehmen ihre Arbeit wieder auf. Plötzlich erschüttert das ganze Gerüst von einem gewaltigen Prall. Ein Kalkkübel ist umgestoßen und der Kalk leckt mit klatschendem Geräusch an dem Gerüst herab.
Sie sind an einander! – Unterdrückte Schreie entschlüpfen den Lippen der Damen. Und von droben das dumpfe Gegröle der sich drängenden Kämpfer.
Abermals erschüttert das Gerüst. Sie sind zu Boden gestürzt. Wälzend und balgend kämpfen sie; „ho – ho! – ho!“ und die wüthende Donnerstimme des Kompagnons, die vom Hofe aus nach oben hallt und die Streitenden aus einander reißen will. Die Damen halten sich die Augen zu vor Angst: jeden Augenblick können die Beiden herabstürzen!
Das Gerüst schwankt, Stangen ächzen, Bretter krachen unter der Wucht des Kampfes.
„Das Gerüst ist sicher,“ beruhigt Adolf, in dessen Augen stets Alles ausgezeichnet ist.
Jetzt leuchtet ein blitzartig schneller Schein. Nur ein Nu! – Doch wohl kein Messer, das gezückt wurde?
„Teufel, die Kerle!“ entfährt es Gamlingen. „Sie werden doch nicht …“
Die Damen starren ihn angstvoll an! Was meint er? Sie haben den Blitz nicht verstanden, „nichts, nichts …“ Aber seine Augen verfolgen mit fiebernder Spannung den Kampf da droben.
Noch ein paar Sekunden des Balgens und Wälzens. Ein-, zwei-, dreimal noch leuchtet der entsetzliche Blitz auf – jetzt – jetzt muß es geschehen! – Die Anderen werden den Stoß nicht aufhalten! Plötzlich ein Krach – ein ungeheurer Krach, der all den Lärm verschlingt – eine dicke, röthlichbraune Staubwolke ballt sich empor wie von einer Explosion, brodelnd umhüllt sie das Gerüst und die Stelle, wo das Gerüst gestanden.
Und Stille – Stille dort von menschlichen Stimmen – Stille die Ewigkeit von drei, vier Sekunden lang – nur ein Splittern und Aechzen von zerbrechenden Holztheilen. Auch Stille hier, lähmende Stille des Entsetzens, die das Aufwirbeln und Brodeln der Staubwolke anstiert, wie sie sich in die Höhe und Weite breitet, sich in der Luft zu verflüchtigen beginnt. Nun schimmern wieder die Stangen durch den braunen Dunst – Gott im Himmel sei Dank! – Das Gerüst scheint nicht gänzlich zusammengebrochen – ja, ein Wunder: fast scheint es unversehrt, nur ein schräges Durcheinander von Brettern, das die wagerechten Etagen durchschneidet.
Die Herren sind hinausgestürzt; aus den Schuppen eilen Arbeiter zur Hilfe; es wimmelt um die Unglücksstelle, der Staub ist verflogen, Leitern werden angesetzt – ein Klettern und Krabbeln – wirre Rufe und tönende Kommandoworte. Bald bringt einer der Herren erlösende Kunde: es ist nur das mit Ziegelstaub bedeckte Bretterwerk der oberen auf die untere Etage gestürzt – ein paar tüchtige Schrammen – höchstens ein paar Verstauchungen – dazu ein gewaltiger Schreck, der den Halunken aber eine gute Lehre ist – auch ein paar Tropfen Blut – aber die Abzapfang hat dem Missethäter Noth gethan! Es ist ein Amerikaner, einer von den Handlangern, ein wüster Bursch, wie es scheint. Geschieht ihm schon recht! Das wird ihn schon lehren, sein fürchterliches Schlächterding von einem amerikanischen Bowie in der Tasche zu lassen! Es bedarf mehr der Polizei als des Arztes.
Man hat die Verletzten auf einen Haufen Packheu niedergelassen; es scheint wirklich nichts von Bedeutung. Nur die Handwunde des Amerikaners blutet stark, ein Arzt findet sich bald ein und sieht nirgends eine Gefahr. Die Wunde hat der Betreffende sich selbst im Balgen oder im Stürzen beigebracht; mit empörten Blicken messen die Maurer den Burschen, der sie [403] ganz naiv, wie verwundert, mit seinen hellen, blauen Augen anstarrt. Was für ein Wesen sie doch hier zu Lande aus so einer einfältigen Messerkitzelei machen! Ja, da könnte er ihnen ganz andere Dinge aus seiner Goldgräberzeit berichten!
Wie ist der Streit denn gekommen? Herr Pansow will es wissen. Er will den Schuldigen schon zur Verantwortung ziehen, droht er. Und er läßt den Popanz der Polizei spielen. Man weiß, er macht nicht viel Federlesens.
„Wie das gekommen?“ sagt der Pockennarbige vortretend. „Wer hat angefangen? Der schon nicht –!“ er wies mit der Schulter nach dem Amerikaner – „warum läßt man ihn nicht in Ruhe? Er hat Recht. Aber der da!“ er winkte nach dem Arbeiter mit dem violetten Auge, dessen Gesicht nun noch durch eine gewaltige Schramme quer uber die Wange verschönert worden war. „Warum läßt er meinen Freund nicht in Ruhe mit seinem Baron? Geht doch Niemand was an, ob er ein Baron ist oder nicht!“ Und er blinzelt verschmitzt in der Runde.
„Wie so Baron? Was soll der Unsinn heißen?“ fragt Herr Pansow ungeduldig.
„Na, er is es doch!“
Der Arbeiter reckt sich wichtig heraus. „Er is es doch!“ ruft er. „Ist so gut sein ehrlicher Name wie einem Anderen sein Name. Was ist dabei? Wenn ich es wäre, ich ließe meine Papiere aushängen, daß sich Jeder überzeugen kann. Warum soll ein Baron nicht Steine und Kalk schleppen? Arbeit schändet nicht. He, Dicks, was meinst Du, wir wollen Deine Papiere aushängen lassen, hörst Du?“
Dicks verzog den Mund nur zu einem spöttischen Lächeln. Herr Pansow wollte die Erklärung, aus der er keinen rechten Sinn herauszufinden vermochte, abschneiden und wandte sich an das Violettauge: „Also Sie sind es gewesen, der den Mann da insultirt? Sie haben angefangen?“
„Insultirt? Woso? Hat sich was!“ knarrte die Roststimme. „Sie hören ja, er is es! Hab’ ihn doch bloß bei seinem Namen genannt! Er is doch Baron! Warum soll er nich Baron sind? Wenn ick et wäre, als wie icke …“
Es war die Nachäffung des Pockennarbigen. „Verdammt!“ bekräftigte er, auf sein emporgezogenes Knie schlagend.
Herr Pansow wandte sich ungeduldig an einen der anderen Arbeiter. Dieser zuckte die Schulter: sie nennten ihn Baron, sein Spitzname; aber es sei doch mehr dahinter; er soll ein Anrecht darauf haben. Er macht zwar keinen Gebrauch davon, und es ärgert ihn. Aber er soll es doch nun einmal sein! Ein Baron von … von …“
„Gam … Gamlich – so was,“ half Einer nach.
„Gamling,“ verbesserte ein Anderer.
„Nicht möglich! Unsinn!“ rief Herr Pansow. Er mußte hellauf lachen.
„Er nennt sich bloß Trutz!“ ergänzte der Gefragte.
„Der da sollte …“ das Wort blieb dem Fabrikanten im Munde stecken. Die Erinnerung an irgend ein vor vielen Jahren in einem Vorstadttheater aufgeführtes Volksstück stand plötzlich vor ihm. Dort war zur großen Ueberraschung des Publikums ein Nachkomme eines Geschlechtes, von dessen Vorhandensein Niemand eine Ahnung hatte, in die Handlung hereingeplatzt, den Konflikt völlig auf den Kopf stellend und allen Vermuthungen und Kombinationen über den Ausgang ein Schnippchen schlagend. Man hatte damals über diese Unverfrorenheit, mit welcher der Schriftsteller die Macht des Zufalls mißbrauchte, bedenklich den Kopf geschüttelt. Ungläubig, das Lachen von vorhin mechanisch in den Mienen festhaltend, starrte er den angeblichen Gamlingen an. Nicht möglich! Er kann doch nicht plötzlich vom Himmel gefallen sein, und gerade hier, am heutigen Tage! So lächerlich spielt doch selbst der Zufall nicht.
Der „Baron“ ließ sich gerade von seinem pockennarbigen Freund Mäpke eine Erfrischung reichen, bestehend in einem Stückchen Primtabak, das dieser losgeschnitten und das er Dicks in den vorgestreckten Mund schob. Er schien Pansow und dessen Verwunderung nicht im Mindesten zu beachten.
Mit einem vollkräftigen Berlinischen „Nanu?!“ fuhr Adolf zurück, als Pansow ihm die erstaunliche Neuigkeit meldete. Walther horchte stutzend auf. Doch nur zwei Minuten lang schien er an der legitimen Richtigkeit dieses Namensvetters zu zweifeln, es schlummerte ein Bewußtsein in ihm, daß er von diesem Namen noch die kühnsten Ueberraschungen zu erwarten habe.
„Wer? Wo ist er denn?“ rief er mit einem erzwungenen Lachen.
Herr Pansow zeigte nach Dicks hin.
„Der da! Das ist ja – das ist – wirklich – ausgezeichnet!“ platzte Walther heraus. Er war fahlblaß im Gesicht.
Dicks saß da und hielt die verbundene Hand in dem einen gekrümmten Arme, als wäre es ein Kindchen, das er hätscheln müßte. Seine im spitzen Winkel emporgestemmten Kniee wiegten sich lässig hin und her, und mit wälzenden Muskelbewegungen ließ er den Prim im geschlossenen Munde wandern.
„Der da …“ wiederholte Walther, und der Ausdruck des Lachens verschwand gänzlich. Mit wachsendem Erstaunen stierte er den Burschen an. War es eine neckende Sinnestäuschung, oder hatte der Bengel da wirklich solche auffallende Aehnlichkeit mit dem Oberstlieutenant? Dasselbe rundliche, fröhlich gesunde Gesichtchen und die Spur des Husarenbärtchens, das sich über der Oberlippe keck zu kräuseln begann, dieselben runden, hellen, stets etwas verwunderten Augen.
Daneben hielt dessen Freund Mäpke und grinste ihn triumphirend an. In der Stellung eines Budenbesitzers hielt er, als wäre er es, der das außerordentliche Wunderding von einem noch völlig wilden und unbeleckten Baron in irgend einem amerikanischen Winkel aufgestöbert und nun zum Besten der hohen Civilisation zu produciren hätte. Man meinte, der Kerl müßte jeden Augenblick den Mund weiter aufreißen, um das verehrte Publikum zum Entrée aufzufordern: „Heran, meine Herrschaften – ein Baron, ein echter Baron, noch völlig ungezähmt!“
Hauptmann Trutz von Gamlingen (Berlin) an Lieutenant Mühüller
(Wesel a. R. – Citadelle).
„Mein lieber Mühüller!
Zu unserer großen Freude erfahren wir aus Ihrem letzten Brief, daß Sie frischauf sind und daß es Ihnen so gut geht, wie es Ihnen unter solchen Umständen nur gehen kann. Gottlob, scheint Sie Ihr alter prächtiger Humor auch diesmal nicht zu verlassen. Es sind ja doch nun von dem ‚Bade-Urlaub mit Kettengerassel‘, der Ihnen von Staatswegen spendirt wird, wie Sie es nennen, bereits drei Wochen verflossen. Freilich wäre es nun an uns, Ihnen durch hübsche, unterhaltende Briefe das Einerlei von „Kasemattenheim“ zu beleben – ach, mein guter Mühüller, der Humor ist mir selber diesmal ausgegangen, und wir sitzen auf dem Trockenen.
Also der Fall ist der. Denken Sie, es ist ein Gamlingen vom blauen Himmel heruntergefallen, ein unzweifelhaft echter mit Papieren. Echt sogar bis auf das Gesicht unseres braven Oberstlieutenants; ein Enkel des lieben alten Herrn. Ich erzählte Ihnen einmal etwas von einem verlorenen Sohn, den das Leben tüchtig herumgeworfen und der Jahre lang verschollen war, bis der polizeiliche Rapport eines Atlantic, der den, wie es scheint, Amerikamüden zurück in sein Vaterland bringen sollte, seinen Tod authentisch vermeldete. Es hatte Niemand eine Ahnung, daß er verheirathet gewesen und eigene Nachkommen hatte. Auch diese hielten sich im Verborgenen drüben in Amerika, bis nun der eine übers Wasser setzte, um seine ‚große Tour‘, freilich auf seine Art, zu machen.
Eine seltsame Verlegenheit! Sie kennen mich genug, um mir keine häßlichen Motive unterzuschieben. Nicht das Gefühl, daß wir uns mit dieser Adoption sträflich übereilt haben; nicht, daß mir der Name jetzt, wenn er mir formell auch kaum genommen wird, Rechtens nicht mehr zusteht; nicht, daß ich mich in dessen Besitz durch einen Anderen moralisch verdrängt fühle, nicht, daß mir die Existenz dieses Anderen ein steter Vorwurf ist, nicht, daß ich diese Existenz annullirt wünschte – Gott erhalte ihm sein junges Leben und mache ihn zu einem braven und tüchtigen Menschen! Wahrhaftig, ich bin jederzeit bereit, diesen Namen wieder hinzugeben. Er beginnt mir wirklich schwül zu werden. Alles das nicht – nur die Verlegenheit, was man mit dem Burschen beginnen soll.
Sie müssen wissen, er ist der amerikanischste Amerikaner, der sich ausdenken läßt. Er ist so gut wie wild, und fast könnte man ihn bei Castan ausstellen lassen. Er ist in den kalifornischen [404] Goldgräbereien aufgewachsen und hat sich dann in allen Winkeln der Vereinigten Staaten umhergetrieben. Er spricht das bunteste Kauderwälsch, und er flucht, daß der Tisch wackelt. Ich glaube, er kann weder lesen noch schreiben; wenigstens schützt er seine verwundete rechte Hand auch als Hinderniß für das Lesen vor. Er ist von der Bildung so unbeleckt, wie es Adam am Schöpfungsmorgen war. Vergegenwärtigen Sie sich die Situation: ich machte seine Bekanntschaft, als er eben auf einen Maurergesellen mit einem Bowiemesser losgegangen war und verwundet, von Schweiß und Ziegelstaub bedeckt, auf dem Heu lag. Der vom Himmel Gefallene ist Handlanger bei einem Bau, natürlich muß dieser Bau gerade der Schornstein sein, den mein Bruder Adolf in seiner Fabrik errichten läßt.
Weiß Gott, was ihn dazu getrieben, sein Amerikanerthum hier bei uns zu produciren! Jedenfalls nicht der Name. Er ist von derlei Thorheiten ganz frei. Er hat, wie auch sein Vater, seinen wahren Namen gekürzt und ist schlichtweg als Trutz herumgelaufen. Drüben in der demokratisch dünnen Luft wäre es auch bei dem Trutz geblieben – hier muß ihn doch wohl der Namensteufel etwas gezwickt haben, daß er mit dem Geheimniß seines volleren Namens herausrückte.
Da ist er also. Was soll man mit ihm anfangen? Ich will Ihnen offen berichten: in der ersten Verblüffung hatte ich nicht übel Lust, mit dem jungen Mann ein verständiges und energisches Wort unter vier Augen zu reden, ihm das Portemonnaie mit Geld zu stopfen und ein Billett nach Amerika zu kaufen, ehe die Anderen davon erführen und ehe er im Stande wäre, mit dem Namen ein Unheil anzurichten. Ich schäme mich dessen jetzt: es wäre grausam, brutal, geradezu verbrecherisch gewesen. Ich bin mir bei Uebernahme des Namens darüber klar geworden, daß es nicht genügt, das glänzende Ding wie eine Dekoration an die Brust zu stecken und damit als eitler Geck umherzulaufen, nein, daß nun die heilige Pflicht auf mir lastet, dies Erbe der Jahrhunderte zu hüten und vor jeglicher Art von Unglimpf zu schützen.
Nun, ich nehme die Angelegenheit zu tragisch. Was zu thun ist, liegt klar. Man wird ihn unter den Augen behalten müssen! Man muß diesen Wilden einfach civilisiren! Man muß ihn zur Erkenntniß dessen bringen, was er seiner Familie, um nicht zu sagen, seinem Namen schuldig ist. Ein hart Stück Arbeit; mit Gewalt ist da nichts zu erreichen, das habe ich schon gemerkt. Wir werden Geduld haben müssen.
Sie können sich denken, daß völlige Revolution bei uns ausgebrochen ist. Unser hübsches junges Glück – in das dieser Bengel so plump hereinpurzeln mußte! Meine ärmste Schwiegermutter! Anfangs wehrte sie sich mit Händen und Füßen gegen die Existenz des Amerikaners, zuletzt war doch seine leibliche und sehr effektvolle Gegenwart nicht mehr hinwegzuleugnen. Im Angesicht der Papiere, die ihn legitimirten, fiel sie in eine ganz reelle Ohnmacht. Mein Frauchen giebt sich krampfhaft Mühe, der Sache mit Humor gegenüberzutreten. Lolo Belzig amüsirt sich jedenfalls köstlich. Schwesterchen Olga war sofort mit sich darüber einig, daß sie hier mit voller Tanten-Autorität ihre resolute kleine Persönlichkeit einsetzen müsse. Ich bitte Sie, dieser hahnebüchene Neffe, der um einen Kopf sein niedliches Tantchen überragt!
Nun genug davon. Sie ahnen nicht, wie dieser – dieser – nun, er kann ja nichts dafür, im Grunde ist er ein guter Bursche! – von all unserem Denken und Thun Besitz ergriffen! Bleibem Sie frisch und fröhlich und gedenken zuweilen unser in dieser Schwulität. Meine Frau, meine Schwiegermutter, überhaupt die Damen lassen herzlich grüßen.
(Hier waren über den Zeilen zwei Worte eingeschaltet: ‚auch
Olga‘ stand dort, aber scheinbar nicht von Gamlingen’s Hand,
als wenn Jemand anders das zugefügt.)
Stets in Treuen
Ihr alter Kamerad
Trutz.“
Lieutenant Mühüller an Hauptmann Trutz von Gamlingen.
„Lieber Trutz!
Na aber so was! Na nun brat’ mir Einer einen Storch! Das ist meine Meinung von der Sache. Ich war ganz paff, als ich Ihren Brief las. Der reine Kolportageroman! Meine herzliche Kondolation! Pardon, er ist doch Ihr Neffe, und man muß die Verwandtschaften nehmen, wie sie fallen. Es ist schade, daß Mühüller nicht zur Stelle, und wenn es mir zum ersten Mal in meiner Verbrecherzelle zu eng wurde, so war es gestern und heute, seitdem ich von Ihrem amerikanischen Pech gehört. Na aber, den thäte ich auf den Schwung bringen! Ich kriegte ihn klein, ich kriegte ihn zahm wie ein Hühnerfrikassee! Pardon abermals, mein lieber Trutz, ich würde ihm den preußischen Pli beibringen, daß es nur so rauchte. So ein Jankedudel!
Na, nun wollen wir also überlegen, wie das Dings zu fingern. Sie meinen, man müßte ihn mit Handschuhen – jömich, o jömich, mir wurde bei der Stelle Ihres geschätzten Briefes ganz schlimm! Dies wäre das Richtige. Brevi manu und ohne Vorübung! Anders nicht! Zeigt er Renitenz – sofort kehrt, marsch zurück nach Amerika!
Na, nun wollen wir also überlegen. Sie wollen es mit der Bildung versuchen, wie ich Sie verstehe. Sie wissen, ich habe höllischen Respekt vor der Bildung. Je mehr ich jetzt als Staatsbummler in die Bildung hineingucke – und ich schmökere mir noch den Kopf lahm an all’ den Büchern – um so mehr werde ich von der Gefährlichkeit der Bildung überzeugt. Bildung wo sie hinpaßt, à la bonheur! Hier ist sie ein Unsinn, sie wäre ein Verbrechen. Bildung ist auch zu langsam. Sie schafft nicht, man kommt nicht vom Fleck. Er wird Sie auslachen mit Ihrer Bildung. Raison ist besser als Bildung. Und er braucht Raison, soviel ich natürlich von der Sache verstehe – schmeichle mir aber, einiges Kapé in solchen Dingen zu haben.
Und nun, mein lieber Trutz, giebt es noch einen tüchtigen Rungx (wie schreibt man das Dings doch?), daß Sie sich haben verblüffen lassen! Etwas Schwulität will ich Ihnen schon bewilligen, aber höchstens für einen Sechser. Wir kriegen es schon klar! Nur müssen Sie mich genauer orientiren. wie, wo, was, weßwegen, alle Generalfragen. Wegen des Namens reißen Sie sich doch nicht mehr wie ein Bein aus. Sie thun ja fast, als betrachten Sie sich für die Konduite aller verflossenen Gamlingen und aller, die noch vom Himmel regnen werden, verantwortlich. Nehmen Sie mir das nicht übel!
Nun muß ich schließen. Es bläst zur Arbeit. Nur noch vier Stunden Holz hacken. Ich hätte mir schon die Hände schwielig geschuftet, können Sie den Damen vermelden; unter uns, die Schwielen kommen von dem Dauerskat, den wir Verbrecher täglich herunterarbeiten, bis uns Punkt neun Uhr die große Lichtputzschere, die Hausordnung, das Licht vor der Nase abdreht.
Meine ergebensten Grüße an die Damen! Fräulein Schwester wünsche ich zudem noch glückliche Reise nach England.
Ihr alter Mühüller,
der ganz starr vor Staunen ist über diesen Kilometerbrief.
P. S. à propos, wissen Sie schon, daß ein gewisser Graf sich in Wiesbaden reich und glänzend mit einer holländischen Wittwe verlobt hat? Ich habe es von einem Kameraden, der ihn kennt und der in Wiesbaden ein paar Tage Vorkur kostete, ehe er sich den Kurgästen von Kasemattenheim anschloß. Ich wußte es, und Frau Schwiegermama hatte Recht: der Kopf ist ihm aus der Richtung gerutscht, als er die Pistole abdrücken wollte. Oder sollte ihm selbst der Schuß Pulver leidgethan haben?“
Das System Mühüller in allen Ehren – aber hier paßte es nicht. Dieser junge Wilde mußte auf besondere Weise angefaßt werden. Davon überzeugte sich Gamlingen schon in der ersten Woche, wo Jener noch, durch seine Armwunde geduckt, in scheuer Verwunderung das elegante Zimmer anstierte, in welches er sich vom Zimmerplatz weg versetzt sah. Freilich schlug die Vermietherin oft genug die Hände über dem Kopf zusammen, wenn der „Herr Baron“ ihr schönes Porcellan auf die Erde warf, mit den Stiefelhacken das Sofa maltraitirte und die Cigarre brennend auf die Tischdecke legte. Aber das war eine Kleinigkeit im Verhältniß zu den Gefühlen der Familie, die diesen amerikanischen Goldsohn nun den Ihrigen nennen sollte.
Gamlingen stand bald schon rathlos vor dem begonnenen Erziehungswerk: an der Dummdreistigkeit des Burschen scheiterte jeder Versuch, ihm zu imponiren; Dankbarkeit schien er nicht zu kennen; die geschenkten Cigarren nahm er kaltblütig hin und
[405][406] versicherte höchstens auf Befragen, sie seien „verdammt guter Kneller“. Dagegen bekam er einen Wuthanfall, als der Hauptmann in seiner kurzen und scharfen Weise ihm erklärte, daß der gute Freund Mäpke künftig nicht mehr über seine Schwelle dürfe. Er begann, diesen lästigen Erzieher grimmig zu hassen, und beschloß in seinem Innern, nur noch eine Zeit lang zuzusehen. Um sich seliren zu lassen, war er nicht aus Amerika hergekommen!
Am besten kamen noch die Damen mit ihm aus. Frau Belzig freilich hob nach der ersten Besichtigung der amerikanischen Kalamität nur Schultern und Augen empor und stieß einen tiefen Seufzer aus: „Könnte man ihn nicht einfach hinaus werfen?“
„Wo denn hinaus?“ meinte Lolo voll Humor. „Aus Europa hinaus, meinst Du doch? Und warum denn? Er ist eigentlich ein drolliger Bursch – unser Neffe!“
Er seinerseits betrachtete die drei jugendlich reizenden „Tanten“ Olga, Litta und Lo als den angenehmeren Theil der dummen Komödie und hörte gemüthlich zu, wenn sie ihm für sein bevorstehendes Auftreten in der Welt die besten Rathschläge ertheilten: ein Amt, welches besonders Olga, als seine eigentlichste Tante, mit Feuereifer betrieb. Sie hatte sogar die Abreise nach England deßhalb verschoben.
Aber trotz aller Bildungsversuche war die allerseitige Ueberraschung groß, als der neue Baron Gamlingen endlich in der Freiheit erschien. Der Hauptmann hatte „ihm zu Ehren“ die Familie zu einem Mittagessen entboten. „Mein Gott, man muß doch einmal anfangen, ihn zu zeigen!“
So hatten sie sich ihn nicht gedacht! Nicht so unmöglich! So lange er noch in seiner Stube auf dem Sofa saß, den Arm in der Binde und all die Scherze und Experimente, die man mit ihm anstellte, all die deutlichen Winke und offenen Ermahnungen und systematischen Bildungsversuche ruhig über sich ergehen ließ, so lange er unter dem ersten Einfluß der Feerie stand: da schien noch Aussicht vorhanden, daß mit Geduld ein leidlicher Zustand der Civilisation zu erreichen wäre. Nun aber war es, als ob er mit der Armbinde auch den Schein der Zähmungsfähigkeit abgelegt.
Mühüller hätte seine Freude daran gehabt, wie roh und unbeleckt der Wilde sich darstellte. Keine Spur von einer Verbeugung, keine Idee von einem Bedürfniß, ein paar Worte der Entschuldigung zu stammeln, wenn man seinem Mitmenschen mit seinem breiten Lackstiefel auf die Füße getreten. Seine Bewegungen wären nicht ganz so täppisch und ungelenk erschienen, wenn er sich hier in der gedämpften und vornehm thuenden Atmosphäre nicht etwas gedrückt gefühlt hätte.
„Du wirst nachher Fräulein Lolo zu Tische führen,“ sagte Olga, mit einer gewissen Besorgniß in das Gesicht des Herrn Neffen emporblickend. „Nicht wahr, Du wirst doch artig sein – Du wirst brav und folgsam sein …“ ganz wie eine Mutter ihr Kind ermahnt, sich recht brav in der Schule zu verhalten.
Das herzige Püppchen, das ihn, Dicks, mit ihrem rührend lieben Stimmchen fragte, ob er artig sein würde! Er mußte lächeln. Und das Gelüste prickelte stärker denn je in seinen Fingern, zuzugreifen und das hübsche Blondköpfchen zwischen seine großen Hände zu nehmen.
„O der Deixel!“ rief er kräftig. „Warum soll ich nicht artig sein, Tante? Artig wie eine Auster, Tante!“
Und er hob sich auf einem Bein und senkte sich breitspurig aufs andere, so hin und her schaukelnd, dann setzte er sich auf den Rand des nächsten zierlich gedrechselten Tischchens, das unter seiner Last mit einem kläglichen Aechzen zusammenknickte. Und es war ein Hochzeitsgeschenk!
Melitta warf ihm einen Blick des Jammers zu, den er nicht bemerkte.
Er führte also Lolo zu Tisch, wie er es bei den Anderen gesehen, ihren Arm mit dem Fächer fest, als hätte er sie arretirt, zwischen den seinen geklemmt. Ihm war so seltsam schwül. Sie lachte hell auf – ihre Zähnchen schimmerten und ihre braunen Augen strahlten ihn schelmisch an.
„O, Sie – Du mußt mich auch nicht gar so fest fassen, Neffe!“ lachte sie, ihren nackten Unterarm, den ein kostbarer Reif zierte, aus seinem Arm herauszwängend. „Sieh, so –“ und sie tauschte die Rolle, nahm seinen Arm und legte ihn feierlich in den ihren. „So ist’s!“
„Blitz nochmal!“ entfuhr es ihm. Es war die Berührung ihrer Hand, die ihn so seltsam erregte.
Dann das Diner mit seinen neuen Qualen für die versammelten Erzieher.
Als Dicks gegen den Schluß desselben unterhaltend wurde und eine Mordgeschichte aus Kalifornien zum Besten gab, bei welcher er keineswegs bloß die Nebenrolle gespielt, da hob Frau von Gamlingen entrüstet die Tafel auf und „Tante Olga“ zog den Ahnungslosen mit sich in den kleinen Salon hinein.
Sie führte ihn vor den Stammbanm, der an der dunklen Wand des Zimmers, wie absichtlich dem neugierigen Tageslichte entrückt, ziemlich unbeachtet hing. Sie hielt es für ihre Pflicht, den Familiensinn in ihm zu wecken. Gelang das, so war Alles gewonnen.
„Unser Stammbaum!“ sagte sie hinanweisend.
„Carambal!“ sagte er, das Bild anglotzend.
Sie erklärte ihm die Bedeutung. Er schien nicht recht zu begreifen.
„Ein schöner Baum!“ sagte er. „Ein verblitzt schönes Exemplar von einem Baum. Bei uns dahinten giebt es noch größere und viel dickere!“
„Das hing über Papas Bett, als er starb,“ sagte sie, den Einwand mochte sie nicht gehört haben – ihre Stimme vibrirte wie durch Thränen. „Dein Großpapa!“ fügte sie hinzu.
„O!“ rief er aus mit wirklichem Bedauern. „Ein schöner Baum,“ wiederholte er dann, um die Pause auszufüllen. „Ein verdammt schöner Baum!“
Sie brachte ihn darauf, daß er von seinem Vater und von seinen Schicksalen erzählte. Es war Alles so selbstverständlich – was ist da zu erzählen? Von seinem Vater wußte er nicht viel. Dieser hatte ihn, als er ungefähr zehn Jahre alt war, der Obhut eines Freundes anvertraut, um nach Europa zu fahren. Was er da wollte, wußte Dicks nicht. Er hat ihn auch nicht wiedergesehen. Dann war Dicks der lästigen Obhut entschlüpft und hatte sich auf eigene Faust versucht. Was er getrieben? wo er gewesen? – er hat einfach Alles getrieben und ist überall gewesen! Damit fertigte er summarisch jede Nachfrage ab.
Bald darauf saß Dicks wieder unter den Anderen im Salon. Was für lächerliche Babytäßchen sie doch zum Kaffee nehmen! Und diese winzigen goldenen Löffelchen, die man am liebsten gleich mit hinabschluckt! Wieder ärgerte er sich über Walther, der ihm geradeheraus untersagte, seine Füße, mit deren gleißenden Lackstiefeln er sich doch gewiß nicht zu schämen brauchte, auf die mit Plüsch bezogene Etagère zu legen!
Da wurden Baron und Baronin Kehren gemeldet. Walther fuhr heftig auf: mußten die auch gerade heute hereinplatzen!
„Wir haben Besuch, gnädige Frau“ – Melitta fand es für nöthig, dies vor der Vorstellung zu erläutern – „aus Amerika,“ fügte sie in ihrer Angst mit Nachdruck hinzu.
„Ah, sehr interessant – wir haben schon davon gehört!“ lächelte Frau von Kehren in ihrer schnippischen Art.
„Baron Kehren –“ stellte Walther vor, ohne mit einer Miene die Verlegenheit zu verrathen – „Baron Kehren –“ und etwas weniger laut, mit einer flüchtigen Bewegung nach Dicks weisend. „Freiherr von Gamlingen.“
Dicks rührte sich mit keinem Härchen. War er gemeint? Ah so! es galt ihm, der Freiherr und die famose Verbeugung, die dieser blitzblanke Officier machte! Einfach glotzte er ihn ganz vergnügt mit seinen hellsten Augen an.
„Wie gefällt es Ihnen hier in Europa?“ näselte Kehren, der sich durch nichts überraschen ließ.
„Damned! ganz wunderbarl“ rief Dicks.
So konnte es nicht fortgehen! das war klar! Der Familienrath beschloß also, Dicks’ versäumte Bildung gründlich nachzuholen, und auf Adolf Eff’s Rath wählte man in der Lindenstraße ein Institut, das unter der deckenden Firma einer Handelsschule die Korrektur zurückgebliebener Söhne und unorthographischer Töchter als diskrete Specialität betrieb.
„Ich verstehe schon,“ nickte der kleine bucklige Inhaber des Instituts, als ihm von Gamlingen der Fall erläutert wurde; „verstehe schon! Kommt übrigens oft genug vor. Wir haben da einen Professor, der sich auf solchen Unterricht vorzüglich versteht. Sie werden zufrieden sein, Herr Hauptmann!“
[407] Da saßest Du nun, armer Dicks, wie angeschraubt an den unausstehlichen Wachstuchtisch, einen Topf voll Tinte vor Dir, groß genug, um die Unwissenheit eines ganzen Goldgräberlagers darin zu ersäufen, die widerspenstigste aller Federn in der Hand, und beschworst mit den geheimnißvoll klingenden Silben Ba, Be, Bi, Bo, Bu, die zu Hunderten der Feder entflossen, die Bildung herauf. Das gardinenlose, von grauem Staub angehauchte Fenster schaute auf die schwarze Wand einer Fabrik. Wie öde – wie traurig das Alles – ein wahres Gefängniß! Da gedachtest Du wohl Deiner kalifornischen Berge und Deiner unbeschränkten Freiheit, die so weit reichte, als die Landstraßen laufen wollten – Nachtlager, so viel Büsche es gab in den Vereinigten Staaten, und zu essen und zu trinken, so lange noch die Faust heil war! Und keine Lehren und Nörgeleien! Wehe Dem, der einem Dicks Trutz aus Nirgendwo etwas zu sagen wagte!
Oft fiel ihn eine Wuth an, als müsse er aufspringen, Feder und Bildung in die Ecke werfen und sich davon machen. Aber er bezwang sich immer wieder, es war eine Art von Neugier in ihm, zu sehen, wohin das Alles führe, und außerdem – die reizenden Tanten hatten es ihm doch sehr angethan. Besonders das Lachen von einem gewissen Lippenpaar – armer Dicks, sollte Dein naives Herz wirklich in Gefahr sein, dem Banne einer Leidenschaft zu verfallen, die Lolo heißt?
Nun, und der Baron? Nun, und der Name?
Dicks begann die Ohren zu spitzen und ganz fein hinzuhorchen nach dem Klingeln der Schellenkappe. Es war der gerühmte Professor, der ihn zuerst auf das Geklingel aufmerksam machte. Dieser schien es darauf angelegt zu haben, ihm den Geschmack an seinem eigenen Namen mehr und mehr beizubringen. Ein höflicher, geschmeidiger, umgänglicher Mensch, der Alles kannte und wußte, dessen Lektionen man gar nicht als solche empfand, so amusant waren sie. Jedenfalls das Gegentheil von dem entsetzlichen Pedanten in Uniform, den er immer mehr zu hassen begann.
Man fragte ihn bei den Belzigs, wo er den Professor so herausstrich, wie dieser Wundermann denn heiße.
„Blitz nochmal!“ fluchte Dicks, „ein famoser Junge! Er kennt Euch genau; Perkisch mit Namen.“
„Ah – ah!“
Ein Erstaunen, ein Unwillen – und dann eine Berathung, ob man Dicks in Perkisch’ Händen belassen dürfte, nach dem, was er mit diesem Grafen verschollenen Angedenkens schon angerichtet. Wer hatte denn das Institut empfohlen? Natürlich Adolf. Walther stellte diesen zur Rede.
„Nun, es ist mir gerade speciell von Perkisch empfohlen worden,“ wehrte dieser. „Wen soll ich sonst fragen? Mögt Ihr es halten wie Ihr wollt, ich kann den Mann nicht entbehren. Seit ich zahlen kann, läßt er seine Tinte strömen für meine Patente. Uebrigens thut Ihr gut, Alles zu lassen wie es ist – der Professor läßt sich nicht gern sein Schäfchen halb geschoren aus den Händen reißen.“
Gut, auch das! Walther erklärte grimmig, daß ihm Alles gleichgültig zu werden beginne.
Perkisch hatte sofort, als ihm der originelle Zögling vorgestellt wurde, seiner Spekulation freien Lauf gelassen. Welch ein köstlicher Zufall! Man muß den Bengel mit der Nase auf seinen Baron stoßen; man muß ihm einen Begriff beibringen, was so ein Ding in unserem aufgeklärten Europa bedeutet und was es auszurichten vermag!
„In Amerika mag man ohne Namen herumlaufen, hier thut man es schon nicht aus Rücksicht auf Polizei und Steuerbehörde; es ist der Henkel, bei dem sie Euch anfassen, mein lieber Baron.“
Natürlich nicht anders als „Baron – lieber Baron“. Perkisch ließ fort und fort diese Note vor Dicks klingen. „Nun, es kommt ihm doch zu! Der Titel gehört ihm so gut wie dem Anderen!“ grinste der Cyniker in sich hinein.
Dicks stutzte anfangs, dann vermochte er ein wohliges Schmunzeln nicht zu unterdrücken als ein Zeichen, daß ihm der Baron zu schmecken begann; zuletzt strich er den Titel einfach als einen selbstverständlichen Tribut ein.
Also es giebt gute Namen und Namen, die von vornherein keinen Pfifferling werth sind, solche, die unter allen Umständen Karrière machen, und solche, die zum Atiachambriren bestimmt sind. Oft kommt es auf den Klang an und wie ein solches Ding sich ausspricht.
„Sie heißen Baron Soundso – nun, Sie brauchen den Namen nur zu nennen, es ist so gut als sprächen Sie ‚Tischlein deck’ dich!‘ – schrumm, sitzen Sie beim feinsten Diner. Sie brauchen nur die Angel mit dem Köder auszuwerfen – flugs hangen Ihnen die Goldfische zu Dutzenden daran. So ein Name läuft ganz allein; Sie brauchen sich nur die Mühe zu geben, ihn zu besitzen, er springt mit Ihnen über alle Hindernisse. Und nichts Unverwüstlicheres – er ist nicht klein zu machen! Sie arbeiten auf ihn los, Sie verhauen, Sie verschleißen, Sie maltraitiren ihn, Sie lassen ihn Spießruthen laufen durch den Leumund der Leute, Sie zerren ihn durch die Gerichtssäle: ein anderer hielte die Behandlung nicht aus, er läßt sich nichts anhaben. Sie können wahrhaftig froh sein, so etwas zu besitzen, Baron!“
Dicks wurde es fast schwindlig von solcher Suade. Die Theorie war ihm wohl zu nebelhaft, Perkisch kam also mit Beispielen.
Ganz zufällig, indem er mit dem gewohnten Blinzeln der farblosen Augen die Beschwörungsformeln in Dicks’ Schreibheft überflog, blieb er an einem Buchstaben haften – „Sie müssen diese F’s, besonders die Schleife, noch eleganter herausarbeiten –“ sagte er und zog dabei eine Schleife durch die Luft. Apropos, Baron, der Buchstabe erinnert mich daran. Ihr Onkel Gamlingen – so, sehen Sie, was hätte der wohl mit seinem Namen angefangen? Freilich, es war aber auch ein Name, der schon überhaupt kein Name mehr, sondern nur ein Buchstabe war, Frau Belzig hatte Recht …“
Dicks horchte auf. Perkisch nahm eine kleine Rache. Sie hatten ihn aus dem Belzig’schen Hause wegen der Grafenaffaire ausgeschlossen. Er war sehr empfindlich, das machte der Umgang mit der Poesie, die er in seinen Toasten betrieb. Er wollte sich schon eine kleine Genugthuung verschaffen – sie sollten sich Alle bis aufs Blut ängstigen! Zum Mindesten würde er, Perkisch, sich köstlich dabei amüsiren!
„Wieso?“ fragte Dicks nach einer Pause, in der Perkisch an den Hühnerkratzeln des Heftes herumkorrigirte.
„Nun, Sie wissen doch – oder sollten Sie das noch nicht wissen, in welchem Verhältniß Ihr sogenannter Onkel zu Ihrem Namen steht? Adoptirt, mein Lieber – o Pardon – adoptirt, Baron! Sie wissen wohl nicht, was das ist, wie? Ich will es Ihnen erklären.“
Dicks hatte es bisher wirklich noch nicht der Mühe werth gehalten, seinen Onkel auf seine Echtheit zu prüfen. Er wußte nur, daß er, Walther und Olga die einzig Uebrigbleibenden des Namens waren. Das Wort Adoption hatte er zwar aus den Unterweisungen, die ihm Tante Olga in Betreff der Familie gab, herausgehört, ohne darauf zu achten, was das sei.
Perkisch erklärte es ihm nun, und er war erstaunt über die Wirkung seiner Mittheilung.
„Kommt schon vor, mein lieber Baron. Freilich muß man vorsichtiger sein, und wenn Sie nicht ein so famoser Kerl wären, pardon, nun, Sie nehmen es nicht so! – so könnte man es, von denen dort aus betrachtet, als ein Pech ansehen, daß Sie überhaupt auf der Bildfläche erschienen. In Lyon fand gerade dieser Tage ein Proceß statt. Es handelte sich um einen Marquistitel, der feil ist, Marquis Bourdon-Chérisy. Jemand, der Sohn eines bekannten Industriellen, findet Gefallen daran und möchte sich das Ding wohl zulegen. Gut. Der betreffende Adoptivvater hat den vom Gesetz geforderten Nachweis des Mangels direkter leiblicher Nachkommen auch richtig eingebracht. Plötzlich taucht, ich glaube auch aus Amerika, wo alle Ueberraschungen herkommen, ein Zipfel von einem Marquis gleichen Namens auf. Und wie in einem Roman, ganz wie bei Ihnen, Baron – ist es natürlich ein Enkel, von dem man gar keine Ahnung hatte. Platzt plötzlich herein – was ist zu thun? Er wird natürlich dem Adoptivbruder den Namen nicht streitig machen, fällt ihm auch nicht ein! Da entzweien sich die Brüder – natürlich wegen eines Frauenzimmers – der Amerikaner wird rabiat. ,Du hast mir meinen Namen gestohlen!‘ droht er, ,Du wirst mir ihn herausrücken!‘ Und Proceß und Skandal. Und zum großen Gaudium des Publikums zieht der entthronte Marquis mit seinem simplen – Mayer wieder ab – ich glaube, er hieß Mayer oder so ähnlich. Man erwartet jeden Augenblick in der Zeitung zu lesen, daß er sich aus Verzweiflung ins Wasser stürzen wird. So, nun wollen wir unsere Lese-Uebung beginnen, wenn es Ihnen recht ist, Baron?“
Königin Viktoria’s fünfzigjähriges Regierungsjubiläum.
„Mama,“ sagte die kleine Prinzessin Viktoria, als ihr im Alter von zwölf Jahren die Aufgabe gestellt wurde, eine genealogische Tafel des englischen Herrscherhauses zu entwerfen, „ich kann nicht sehen, wer nach Onkel Wilhelm kommt, es sei denn, daß ich selbst es wäre.“
Bis dahin geflissentlich in Unkenntniß darüber gehalten, was für eine hohe Stellung einmal zu bekleiden ihr beschieden war, sollte sie jetzt nach dem Tode Georg’s IV. und der Thronbesteigung ihres schon bejahrten Onkels Wilhelm IV. als nächste Thronerbin nicht länger im Unklaren über ihre Zukunft bleiben. Das war der Grund gewesen, warum man ihr die Aufgabe gestellt hatte.
„Ich will gut sein,“ waren die kindlichen Worte, mit welchen die Prinzessin, nachdem sie sich von ihrer ersten Ueberraschung erholt, diese Kunde entgegennahm, und wer wagte ihr nachzusagen, daß sie das Versprechen ihrer Kindheit nicht ihr ganzes, viel bewegtes Leben hindurch treulich gehalten hätte!
Vor der Hand machte indeß diese Eröffnung weiter keinen Unterschied in der ganzen Lebensweise der jungen Prinzessin. Sie blieb nach wie vor der Obhut ihrer Gouvernante anvertraut und genoß daneben unter der Leitung der Herzogin von Northumberland den Unterricht der besten Lehrkräfte des Landes. Ihr Vater, der Herzog von Kent, war bereits gestorben, als sie selbst erst acht Monate alt war. Doch wachte ihre Mutter, eine Koburg’sche Prinzessin, die in erster Ehe mit dem Fürsten von Leiningen vermählt gewesen, mit wahrhaft mütterlicher Fürsorge über das einzige Kind dieser Ehe, das unter bescheidenen Verhältnissen, aber geistig und körperlich auf das Gedeihlichste aufwuchs. Nach wie vor blieben Mutter und Kind im Kensington-Palast, dem unscheinbaren Rothsteingebäude in Kensington-Gardens, in dem die Prinzessin geboren war, wohnen, und hier war es auch, wo sie, eben zur Jungfrau herangewachsen, im Alter von achtzehn Jahren sich zuerst als Königin begrüßt sah.
Es war am 20. Juni 1837 in der Nacht um halb drei Uhr, daß Wilhelm IV. zu Windsor das zeitliche segnete. Der Erzbischof von Canterbury und der Lord Chamberlain, die am Todtenbette des Königs gestanden, brachen unverzüglich nach London auf und fanden um fünf Uhr Morgens im Kensington-Palast noch Alles in tiefem Schlafe. Nur mit Mühe konnten sie die Dienerschaft veranlassen, die nunmehrige Königin zu wecken, die sie schließlich empfing, nachdem sie nur einen Shawl über ihr Nachtgewand geworfen, ein paar Pantöffelchen an die Füße gezogen, während ihr Haar noch aufgelöst über ihre Schultern wallte. So empfing sie ihre erste Huldigung als Königin. Bei den ersten Worten der Ansprache „Your Majesty“ rannen ihr die hellen Thränen über ihre jungfräulichen Wangen, doch mit Würde und Fassung bot sie ihre Rechte zum Handkuß dar. Diese liebliche Bescheidenheit der Jungfrau, gepaart mit der Würde der Königin, kennzeichneten bald das ganze Auftreten ihrer Majestät, sie eroberten ihr schnell die Herzen ihrer Unterthanen, die Herzen der ganzen Welt. Einer solchen Jungfrau als Königin zu huldigen, die ja „in England herrscht, ohne zu regieren“, mußte allerdings einen ganz besonderen Reiz haben, einer Jungfrau, die überdies mit den gewinnendsten Charaktereigenschaften noch ein überaus anmuthiges Aeußere verband, wie unser Bild, das die Königin darstellt, wie sie vor 50 Jahren aussah, leicht erkennen läßt.
Am 28. Juni fand die officielle Krönung in der Westminsterabtei unter großem Pomp und Gepränge statt: ein langwieriges Ceremoniell, wie es mit geringfügigen Aenderungen seit 979 bei allen englischen Krönungsfeierlichkeiten in Brauch gewesen. Die nächste große öffentliche Ceremonie, welche die junge Königin abzuhalten hatte, war die Eröffnung des Parlaments in eigener Person. Englische Souveräne lassen zu diesem Behuf die Abgeordneten nicht zu sich in den Palast kommen, sondern begeben sich ihrerseits in Begleitung ihres ganzen Hofstaats und mit Aufwendung allen erdenklichen Pomps in das Abgeordnetenhaus von Westminster. Bei dieser Gelegenheit wird der Wagen des Souveräns allemal auch von acht der krémefarbenen Staatspferde der „Hanoverian horses“ gezogen, die das Haus Hannover mit nach England gebracht hat und die in echter Rasse jetzt nur noch in den Gestüten von Windsor und von Herrenhausen bei Hannover anzutreffen sind.
Diese erste Procession der Königin Viktoria nach dem Westminsterpalast war ein außerordentlicher Triumphzug, und Napoleon III., der damals als eine völlig unbekannte Persönlichkeit in London sich aufhielt, äußerte sich noch lange Jahre nachher mit Enthusiasmus dahin, daß keine Ceremonie jemals einen solchen Eindruck auf ihn gemacht habe, als der Anblick „dieses jungen Mädchens auf dem Thron, das die Rede mit lieblicher, silberreiner Stimme las – so einfach und doch so majestätisch.“
Wenige Jahre später fand ihre Verlobung mit dem Prinzen Albert statt, dem jüngeren Bruder des heutigen Herzogs von Koburg-Gotha. Bei weiblichen Souveränen ist es nicht statthaft, daß der Herr sich herausnimmt, den Antrag zu machen. Das muß von Seiten der Herrscherin selbst ausgehen, und wohl glauben wir es ihrer Majestät, daß es, wie sie in ihrem Tagebuch anführt, das heikelste Unterfangen ihres ganzen Lebens gewesen, ihrerseits dem Prinzen Herz und Hand anzutragen. Von nun ab aber ordnete sie sich auch, wo sie nur konnte, wo es ihre Stellung als Königin nur irgend zuließ, in jeder Hinsicht dem Manne unter, der ihr ganzes Vertrauen, ihr ganzes Herz besaß – und verdiente, den sie, als ihn ein frühzeitiger Tod ihr jählings entrissen, noch auf einem seiner Denkmale als „Albert den Großen und Guten“ bezeichnete. Er war in der That ein außerordentlicher Charakter, der in seiner schwierigen Stellung als ausländischer Prinz und zugleich nächststehender Rathgeber der Königin und auch selbständiger, bahnbrechender Reformator viel Gutes schaffte, aber selbstverständlich auch viele Neider und Widersacher hervorrief. Ja, es läßt sich nicht leugnen, sein Adoptiv-Vaterland hat eigentlich erst nach seinem Tode diesen hervorragenden Mann zu schätzen gelernt. Prinz Albert starb im Jahre 1861, aber bis auf diesen Tag hat sich seine Wittwe von dem Schlage, der ihr dadurch zugefügt worden, nicht wieder erholt. „Keine Freude mehr in dieser Welt – Alles todt,“ schrieb sie damals in ihr Tagebuch. Diese Anschauung vom Leben hat sie seitdem nicht wieder verlassen. Neben mancherlei anderen Trübsalen hat es seit jener Stunde auch an freudigen, an erhebenden Ereignissen im Leben der Königin nicht gefehlt, aber nichts vermochte sie aus der Zurückgezogenheit ihres Wittwenstandes wieder hervorzuziehen. Nur wo die Pflicht als Herrscherin es ihr unabweisbar gebietet, tritt sie an die Öffentlichkeit; sonst überläßt sie die Abhaltung aller Festlichkeiten irgend welcher Art freudigen Charakters ihrem Erstgebornen, dem jetzt höchst populären Prinzen von Wales, und seiner vielleicht noch beliebteren Gemahlin, einer dänischen Prinzessin, und den übrigen Mitgliedern ihrer zahlreichen Familie. Sie selbst kommt nur zwei oder drei Mal im Jahre in die ihr so verleidete Reichshauptstadt, und es giebt selbst viele, viele Londoner, wenn sie nicht gar die Mehrzahl ausmachen, die ihre Königin nie von Angesicht zu Angesicht gesehen haben.
Viele ihrer Unterthanen sind über diese andauernde Abgeschiedenheit, in der das Staatsoberhaupt sich hält, auch geradezu ungehalten. Daß aber die Loyalität der Engländer im Allgemeinen außer allem Zweifel steht, davon zeugten schon die vielfachen Vorbereitungen, die seit Monden gemacht worden, das seltene Fest des fünfzigjährigen Herrscherjubiläums, das am 20. Juni stattfindet, in angemessener Weise zu feiern. An diesem Tage wird sich die hohe Frau kaum ihrer Hauptstadt entziehen können.
Und so wird sie sich in festlicher Procession durch die Straßen von London abermals nach der Westminsterabtei begeben, wo ein feierlicher Gottesdienst stattfindet, der mit dem sich daran schließenden festlichen Empfang im Buckinghampalast den Hauptpunkt der ganzen Feier bilden wird. Aber die Unterthanen ihrer Majestät wollen des Tages auch in mehr dauernder Form gedenken. Zur Erinnerung an den Tag werden mancherlei mildthätige sowie gemeinnützige Stiftungen ins Leben gerufen. Das vornehmlichste Denkmal aber soll das Kolonialinstitut ausmachen, eine Anstalt, die mehr oder weniger eine dauernde Ausstellung aller möglichen Erzeugnisse aller britischen Besitzungen enthalten und eine engere Verbrüderung der vielen Millionen Unterthanen der Königin zum Zweck haben soll. Aber auch in Deutschland wird die Freude dieses Tages lebhaften Wiederhall finden, ist doch die älteste Tochter der hohen Jubilarin die Gemahlin des Kronprinzen des Deutschen Reiches, die, was echten Familiensinn und Herrschertugend anbelangt, ihrer Mutter gleicht. Wilh. F. Brand.
[409]
Ein feiner Sprühregen, der Vorbote des nahen Frühlings, übergoß die nächtliche Landschaft, die Thürme und Dächer der Residenz. Die Gasflammen spiegelten sich auf den breiten durchnäßten Asphalttrottoirs der aristokratischen Friedrichsstraße, die an jenem Abend nicht in der gewohnten abgeschlossenen Stille lag. Sonst bewegten sich in den späteren Stunden nur einzelne Fußgänger in diesem an das Parkende der Stadt grenzenden Quartier; hin und wieder auch hörte man kurze Hufschläge und sah eine lautlos rollende Equipage an dem Portal eines der stillen vornehmen Häuser vorfahren. Dann war es eine flüchtige Erscheinung von eleganten Damen- oder stattlichen Männergestalten, die an den Dienern vorüber in die geöffnete Vorhalle entschwanden, und einen Augenblick später lag diese wieder so feierlich exklusiv in dem Licht der von der Decke niederhängenden großen Laterne, daß kein Unberufener auf den Gedanken kommen konnte, hier den Eintritt zu wagen.
Neuerdings aber hatte der seit Langem bestehende Charakter dieser Straße eine Aenderung erfahren. Mitten zwischen den Wohnungen der Geburtsaristokratie erhob sich ein großes neues Gebäude, prachtvoller als die anderen, mit dekorativem Schmucke aller Art überladen, von den barocken Giebelskulpturen und Pfeilerreliefs bis herunter zu den vergoldeten Balkongittern und dem mächtigen karyatidengetragenen Hauptportal, welches mitten in die schweigsame Straße einen Lichtstrom ergoß und seine Arme dem allgemeinen Besuch weit zu öffnen schien. Besonders auffallend war dies heute Abend: das Trottoir klapperte von geschäftigen Schritten, Konditorjungen und eiligst hineinstrebende Ausläufer mit Austernkörben, unbestimmte, aber nicht eben aristokratische Gestalten aller Art verschwanden rasch durch die Seitenthür des taghell beleuchteten Vestibüls mit seinen aus Palmengruppen empor tauchenden Lampenbüscheln, mit den verschwenderisch angebrachten Spiegeln und Teppichen und dem von Pflanzen umrahmten Springbrunnen, zu dessen beiden Seiten die große Treppe emporführte. Diener liefen hin und her, dann und wann drangen befehlende und scheltende Stimmen aus der Küchenregion bis auf die Straße heraus, und der Portier des Ministerhôtels gegenüber schüttelte, im Auf- und Abgehen stehen bleibend, mit geringschätziger Miene das Haupt.
Man war offenbar etwas spät mit den Vorbereitungen zu dem „einfachen Abendessen“ fertig geworden, zu welchem Herr Konsul Felsing, einer der reichsten Großindustriellen der Residenz, am Schlusse der Saison eine stattliche Anzahl von Gästen mittelst großer lithographirter Karten geladen hatte. Aber allmählich verstummte doch die Aufregung, das Rennen hörte auf, und eine anständige Ruhe verbreitete sich im Vestibüle, nur oben mußten die Diener noch geschäftig eilen, um in den Salons die letzten Anordnungen des Haushofmeisters auszuführen, Spieltische zu stellen, Lampen und Blumenvasen in bessere Wirkung zu setzen, überhaupt an das ganze Arrangement die letzte Hand anzulegen. Die Empfangsräume des Felsing’schen Hauses nahmen den ganzen ersten Stock in Anspruch, und man übersah ihre Reihe von dem großen Mittelsalon aus, dessen gelbseidene Möbel, Tapeten und Gardinen bei dem Uebermaß von Vergoldung, welche überall bis hinauf zu dem hohen Stuckplafond mit seinen Guirlanden von Blumen, Früchten und Amoretten angebracht war, einen mehr kostbaren als geschmackvollen Eindruck machten. Der Geist des Tapezierers schien noch in dem Raum zu schweben, der keine Charakter- oder Geschmackseigenthümlichkeit seines Besitzers verrieth. Und eben so frostig wie dieser große Mittelsalon sahen auch die daran stoßenden Räume aus, die in feierlicher Stille der Gäste harrten. In dem länglichen Speisesaale am Ende stand der Haushofmeister in Frack und weißer Kravatte und überschaute prüfend die Tafel, ob nicht irgendwo ein Glas oder eine Karaffe aus der Reihe heraustrete. Aber es war Alles tadellos, die Kouverts mit den hochgefalteten Servietten standen schnurgerade auf dem prachtvollen Damasttuch, im Lichte des großen Gaslüsters blitzten die Silber- und Krystallreflexe des Tafelzeugs, und reizend hoben sich davon die frischen Blumen der Aufsätze ab. Der Schöpfer dieser Herrlichkeiten war gerade im Begriff, sich befriedigt mit leisen Tritten zu entfernen, als die Mittelthür aufging und der Herr des Hauses auf der Schwelle erschien. Eine vornehme Erscheinung war er nicht, der kurz und derb gebaute Fünfziger mit dem dicht gekrausten, an den Schläfen schon ergrauten Haar, auch sah man der Art, wie er sich im Frack bewegte, an, daß er sich nicht besonders behaglich darin fühlte. Heiterkeit und Anmuth des Lebens schienen diesem Manne fern geblieben zu sein; sein scharfgeschnittenes, energisches Gesicht hatte einen kalten und harten Ausdruck, auch sein Lächeln erhellte die düsteren Züge nur flüchtig, und die Augen behielten stets einen scharf beobachtenden Blick, auch wenn er sie nicht, wie in diesem Augenblick, zum Zweck einer raschen Musterung umherschweifen ließ.
Flüchtig nur erwiederte er den respektvollen Gruß des alten Dieners, trat dann an die Tafel und betrachtete aufmerksam, daran hinuntergehend, die Einzelnheiten; voll ruhiger Hoheit folgte ihm der Majordomus, alle die kurzen Fragen: ob die Austern parat, ob der Chablis und die richtigen Gläser besorgt seien, ob [410] die hinlängliche Quantität Spargel vorhanden, mit genußvoller Ueberlegenheit bejahend. Nur als Felsing eines der zierlichen Bouquetts von Veilchen und Maiblumen vor den Kouverts aus dem geschliffenen Halter zog und sagte: „Sie hätten wohl größere Bouquetts vor die Damen stellen können, das sieht ja miserabel aus –“ da richtete sich der frühere fürstliche Kammerdiener zu seiner ganzen stattlichen Höhe empor, und der Ton klang etwas animirt, in dem er erwiederte: „Der Herr Konsul wollen mir die Bemerkung gestatten, daß diese lose zusammengebundenen Branchen von nur wenigen Blumen entschieden feiner sind als größere Bouquetts.“
Felsing zuckte etmas geringschätzig die Achseln, ließ aber den Gegenstand auf sich beruhen und wandte sich zum Gehen, nachdem er vorher nur noch die bereitstehenden Weine und das Büffett mit einem flüchtigen Blick gemustert hatte. In diesem Augenblick öffnete sich die Mittelthür, und ein schwammiges Gesicht mit rother Nase sah herein, das so wenig in diese Umgebung paßte, wie der abgeschabte Cylinderhut, welchen weiter unten seine Hände hin und her bewegten.
„Sie sind es, Treiber?“ fragte Felsing unangenehm überrascht. „Was wollen Sie? Ich habe jetzt keine Zeit zu Geschäften, das sehen Sie doch!“
„Erlauben der Herr Konsul nur zwei Worte,“ sagte der mittlerweile unter devoten Bücklingen Eingetretene und blinzelte dabei bedeutungsvoll mit den gekniffenen Augen, „ich war so frei, noch heute Abend zu kommen –“
„Nein, ich will jetzt nichts von Geschäften hören,“ unterbrach ihn Felsing unwirsch. „Kommen Sie morgen wieder, es wird dann auch noch Zeit sein.“
„Zeit ist immer,“ erwiederte Herr Treiber philosophisch, „Zeit ist morgen, Zeit ist heute, aber die rechte Zeit, das wissen der Herr Konsul selbst, ist nur manchmal.“
„Verschonen Sie mich mit Ihren allgemeinen Betrachtungen,“ rief dieser, rasch aus dem Sessel aufstehend, in den er sich geworfen. „Lieber will ich anhören, was Sie mir zu sagen haben, es wird kürzer sein. Kommen Sie herüber. Aber ohne Umschweife, denn meine Gäste können jeden Augenblick erscheinen.“
Herr Treiber warf im Abgehen einen verlangenden Blick nach den silberköpfigen Flaschen im Hintergrunde und wand sich dann in schlängelnder Bewegung dem Voranschreitenden nach, der die am Ende des Korridors befindliche Thür seines Arbeitszimmers öffnete. Seines wirklichen Arbeitszimmers, denn der gegenüberliegende, im Renaissancestil möblirte Raum mit dem prachtvoll geschnitzten Schreibtisch und der Merkurbüste darüber, mit den schweren Möbeln und eleganten Bücherschränken diente nur zum Empfang von Besuchen, das monumentale Tintenzeug von Bronze wurde niemals benützt, und die vielen Dokumente, welche die Fächer des Schreibtisches füllten, bestanden aus Rechenschaftsberichten und Gesellschaftsstatuten.
Die Zimmereinrichtung aber, in welcher der nach vorn so prunkend zur Schau gestellte Reichthum erworben war und welche ihr Besitzer unverändert aus dem alten schmutzigen Vorstadthaus in das neue übertragen hatte, sah ganz anders aus: an der Hauptwand ein äußerst vernutzter und abgeschabter Divan von ehemals schwarzem Leder mit einer seit Jahren hineingelegenen Vertiefung, davor ein tannener Tisch mit bedrucktem Wollteppich – daneben der massive eiserne Kassenschrank und an der zweiten Längenwand ein ungeheurer Schreibtisch mit vielen verschlossenen Thüren und Schubladen, welchen keines der eleganten Schreibutensilien zierte, wie jenen im vordern Zimmer, nur ein altes eisernes Tintenfaß, Siegellackstangen und Bindfaden, Papierscheere und Federn gewöhnlichster Sorte standen und lagen auf der weißgeriebenen Lederplatte. Man konnte glauben, im Nebenzimmer eines kleinen Kramladens zu stehen.
„Nun,“ sagte Felsing zu seinem Agenten, als dieser die Thür hinter sich geschlossen hatte, „was giebt es, daß Sie mir zu dieser Stunde ins Haus fallen? Reden Sie schnell!“
„Gott, werde ich doch reden so schnell wie möglich, um den Herrn Konsul nicht aufzuhalten,“ hob Treiber an, und auf eine ungeduldige Bewegung Felsing’s sprudelte er eiligst weiter: „Es ist ja nur zu sagen, daß ich die Herrschaft für Sie gekauft habe!“
Die Wirkung dieser Worte war eine ganz außerordentliche. Wie von einem Stoß getroffen fuhr Felsing herum, sein bis jetzt gleichgültiges Gesicht röthete sich lebhaft und die dunkeln Augen funkelten plötzlich auf. „Was sagen Sie? Sie meinen doch Eckartshausen? Und das erfahre ich erst jetzt?“
„Der Herr Konsul ließen mich ja nicht früher zu Worte kommen,“ entgegnete Treiber in klagendem Ton. „Ich laufe und renne von der Bahn hierher, denn Treiber, sage ich mir, es wird dem Herrn Konsul viel daran liegen, heute Abend noch –“
„Genug, genug,“ wehrte dieser ab. „Sparen Sie Alles, was nicht zur Sache gehört.“ Die momentane Erregung war bereits vorüber, sein Gesicht sah wieder kalt und ruhig aus. Er trat einen Schritt näher und fragte leise. „Wie viel?“
Der Agent lächelte voll plötzlicher Vertraulichkeit seinen Auftraggeber an. „Billig, Herr Konsul, billig! Dreimalhunderttausend Thaler. Ein wahres Spottgeld.“
„Na, na!“ protestirte Felsing.
„Aber, Herr Konsul, es ist ja halb geschenkt,“ ereiferte sich der Agent mit gekränkter Miene. „Sie können ja das Geld in drei Jahren aus den prächtigen Waldungen herausschlagen lassen. Gaben der Herr Konsul mir nicht die Vollmacht, aufs Doppelte zu gehen? Und aufs Doppelte wäre die Herrschaft auch gekommen, wenn ein Anderer als der Treiber das Geschäft besorgt hätte.“
„Nun, es ist gut; hoffentlich weiß noch Niemand, daß Sie für mich gekauft haben?“
„Wie soll man’s wissen?“ entgegnete der bewegliche Mann kopfschüttelnd. „Gaben der Herr Konsul mir nicht Ordre, daß Sie wollten bleiben vorläufig im Hintergrund? Verschwiegenheit ist Ehrensache, Herr Konsul. Wie auf einen Fels können Sie sich auf den Treiber verlassen!“ Und die dicke Hand ruhte betheuernd auf der schmierigen Weste.
„Schon gut,“ sagte Felsing ungerührt. „Bringen Sie morgen alle Papiere und halten Sie ferner reinen Mund, vor Allem gegen den Grafen. Verstanden?“
„Seien Sie ganz ruhig, Herr Konsul, der Graf ließ mich schon rufen und wollte von mir wissen, wer der neue Besitzer von Eckartshausen sei? Herr Graf hab’ ich gesagt, wer hat die Herrschaft gekauft? Ich habe sie gekauft. Was ich weiter damit machen werde, weiß ich selbst noch nicht, kann ich Ihnen also auch nicht sagen. – Der Herr Graf machte ein bitterböses Gesicht, da er aber sonst ein guter Herr ist, wurde er gleich wieder freundlich und meinte, der Verkauf zu diesem Preise mache ihn nun doch nicht ganz flott, ich sollte ihm weiteres Geld schaffen!“
Die Züge Felsing’s drückten das lebhafteste Interesse aus.
„Herr Konsul,“ fuhr der Redselige dadurch ermuntert fort, „Sie glauben nicht, was das für ein Mann ist! Es ist grausig, wie er mit dem Gelde umgeht! Wer das Geld kennt, was es ist, was es bedeutet“ – sein Ton nahm bei diesen Worten einen beinahe feierlichen Charakter an – „dem dreht sich das Herz im Leibe dabei herum! Und sein Herr Sohn bei den Husaren in Berlin, der treibt’s womöglich noch ärger! Ich sage Ihnen, Herr Konsul, wenn der Graf und sein Sohn so fortmachen mit Verschwenden, so müssen die Leute zu Grunde gehen, trotz ihres Reichthums. Kommt ja doch das Andere auch noch hinzu.“
„Das Andere? Was?“
„Ich bitte Sie, Herr Konsul, Sie kennen doch die Spekulationen des Grafen an der Börse! Nun hat er sich gar das Präsidium der Bau- und Bodengesellschaft und fünfhundert Stück Aktien der Gesellschaft pari aufschwatzen lassen. Heute stehen sie dreißig und –“
„Bleiben Sie bei der Sache, Treiber,“ unterbrach Felsing ungeduldig den Sprecher, „Sie sagten, der Graf sei noch nicht flott, er brauche weiteres Geld?“
„Ob er’s braucht, Herr Konsul!“ erwiederte grinsend der Agent, während seine fleischigen Hände wieder zärtlich den Cylinderhut streichelten. „Hat mir schon Auftrag gegeben, es ihm zu schaffen – um jeden Preis! Ueberlege mir’s eben, hätte das Pöstchen zur Hand, und gegen ein Ehrenwechselchen dächte ich –“
„Ihre schmutzigen Geldgeschäfte gehen mich nichts an,“ fiel ihm Felsing hochmüthig ins Wort, indem er sich von seinem Sitze erhob, während Treiber mit einem zwischen Grimm und Devotion wechselnden Gesichtsausdruck zu Boden blickte und dabei immer krampfhafter seinen Hut glättete – „aber behalten Sie mir den Grafen im Auge! Er hat noch die Herrschaft Hochberg –“
„O, Hochberg will er unter keinen Umständen veräußern,“ erwiederte Treiber.
[411] „So, das will er nicht?“ Felsing schlug ein kurzes häßliches Lachen auf. „Er wird wohl so fortmachen, dann kommt der Tag, wo man ihn von Haus und Hof jagt, wie einen Bettler, diesen vortrefflichen Herrn Grafen.“
Der Agent stand erstaunt über den plötzlichen Ausdruck von wildem Haß in Blick und Ton des sonst so kalten Mannes. So hatte er ihn noch niemals gesehen. Er rückte näher und fragte in unterwürfig schmeichelndem Ton. „Wie meinen der Herr Konsul?“
Allein dieser erwiederte schroff: „Nichts! Machen Sie jetzt, daß Sie fortkommen, und bringen Sie mir morgen die Papiere.“ Er trat an den Schreibtisch, während Treiber sich zur Thür hinaus wand und in seinen stillen Gedanken die plötzliche Aufregung seines Patrons als wohl zu beachtendes und sehr merkwürdiges Moment in Erinnerung zu behalten beschloß. Aber noch ein Anderer fragte sich befremdet, was hier eigentlich verhandelt worden sei? Während der letzten Reden hatte sich leise die Thür von Felsing’s nebenan liegendem Schlafzimmer geöffnet und ein blonder, schlankgebauter junger Mann im Gesellschaftsanzug war auf der Schwelle erschienen, aber stehen geblieben, als er den Agenten sah. Nach dessen Weggang trat er einen Schritt näher: „Vater!“
Felsing fuhr aus seinem Brüten auf. „Du, Emil – was willst Du?“
„Dich herüber holen, Vater, wir müssen auf den Posten. Aber vorher – Du erlaubst, daß ich die Luft von der Anwesenheit dieses Mannes reinige.“ Und er öffnete ruhig einen der Fensterflügel.
„Du bist komisch mit Deinen Antipathien, Emil,“ sagte Felsing, indem seine Augen doch mit großer Genugthuung auf der hohen Gestalt und den feinen, regelmäßigen Zügen des ihm so unähnlichen Sohnes ruhten. „Das Geschäft erfordert mancherlei Werkzeuge, und dieser Treiber ist ein sehr brauchbares.“
„Aber auch ein sehr schmutziges,“ entgegnete Emil mit lebhafter Verachtung. „Nimm es mir nicht übel, Vater, aber ich gäbe viel darum, wenn ich diese Kreatur nicht mehr in unser Haus schleichen sähe. Ich habe allen möglichen Respekt vor dem Geschäft, wenn es Macht aus Ehrenhaftigkeit und Intelligenz gewinnt, aber eben darum ist mir der Anblick dieses sogenannten Geschäftsmannes und notorischen Wucherers hier äußerst fatal. Warum duldest Du ihn? Nöthig kannst Du ihn doch nicht haben!“
Felsing pfiff durch die Zähne. „Das verstehst Du nicht. Man hat Allerhand nöthig und muß Vielerlei wissen, auch das, was Einem die andern Ehrenhaften und Intelligenten nicht sagen!“
„Auch die Anstalten zum Ruin eines Mannes, den man selbst in sein Haus einladet?“ fragte der junge Mann scharf und bitter.
„Was soll das heißen?“
„Nur, daß ich vorhin Eure letzten Reden mit anhörte und daß es mir einen Augenblick vorkam – aber nein, es ist ja nicht möglich, daß Du, Vater, ein Interesse daran haben könntest, den Grafen Hochberg bankerott zu sehen, den Mann, der heute Abend Dein Gast sein wird!“
Die Stimme des jungen Mannes bebte vor Erregung, und seine klaren Augen hefteten sich durchdringend auf das Gesicht seines Vaters, der diesen Blick nicht auszuhalten vermochte.
„Dummes Zeug,“ sagte Felsing, unwillig sich abwendend, „was gehen mich Graf Hochberg und seine schlechten Geschäfte an? Wenn ich davon sprach, so that ich das wie jeder Andere auch, der einen Einblick hat. Und warum soll denn das nicht erlaubt sein? Bin ich denn sein Busenfreund? Er würde sich schön dafür bedanken, der hohe Herr, für den Du Dich ja sehr zu interessiren scheinst!“ Es lag etwas wie Schreck in dem langen Blick, welchen Felsing auf seinen Sohn warf, während er die letzten Worte leise, beinahe zischend hervorstieß. Bald aber schien er sich wieder zu fassen und ein sarkastisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er fortfuhr: „Daß ich ihn für heute Abend eingeladen habe, geschah, weil Breda mir sagte, er wünsche in näheren Verkehr mit mir zu treten. Er sucht also den Umgang, nicht ich!“
„Du solltest ihn warnen, Vater, das wäre offen und freundschaftlich gehandelt.“
„Um den bekannten Teufelsdank zu ernten!“ versetzte Felsing spöttisch. „Was bist Du doch für ein unpraktischer Idealist!“
„Die Idealisten behalten schließlich Recht, Vater.“
„In der Studirstube vielleicht. Im Leben mißhandelt man sie und tritt sie so lange mit Füßen, bis sie hart werden – oder untergehen. Jeder gegen Alle! Das ist die Losung, seit die Welt steht; man muß mitzumachen wissen.“
„Sprich nicht so!“ rief Emil empört, „Du selbst denkst ja innerlich ganz anders.“
„Ich denke nicht anders, mein Junge,“ sagte der Vater langsam und bedeutungsvoll, „aber allerdings – ich fühle für Dich etwas, das ich für die Andern nicht fühle. Ich möchte Dich nicht anders haben, als Du bist, bleibe bei Deinen Studien, mache Deine Reisen und brauche dafür, was Du Lust hast. Aber ums Geschäft kümmere Dich nicht; denn dafür hättest Du nicht getaugt.“
„Nein, das weiß der Himmel!“ sagte Emil, „ich kann überhaupt den Gelderwerb als Zweck gar nicht verstehen. Man muß ja wohl die Mittel zu seiner Existenz gewinnen, aber was hat man denn von dieser, wenn man sie nicht zum Lernen und Genießen anwendet? Ich kann mir auch allenfalls das wissenschaftliche Interesse an Deinen großen Maschinen draußen, obwohl es persönlich meine Sache nicht wäre, vorstellen; aber was darunter gewalzt und geschnitten und gar zu welchem Preise es verkauft wird, das ist mir, offen gestanden, vollkommen gleichgültig.“
„Das Endresultat davon in Gestalt eines schönen Hauses und einer behaglichen Existenz lassen wir uns aber doch recht gern gefallen,“ sagte Felsing sarkastisch.
„Nein, wahrhaftig,“ protestirte der junge Mann lebhaft. „Das Alles wäre zu meiner Zufriedenheit nicht nöthig. Ich war unter meinem Zelt in der Wüste seelenvergnügt und aß wochenlang zähes Hammelfleisch, ohne etwas Anderes zu vermissen. Ja, die materielle Lebensgleichheit mit meinen braungesichtigen Berberinern war mir sogar erfreulicher als hier der Blick auf unsere Arbeiter, die durch eine so enorme Kluft von unseren Genüssen getrennt sind.“
„Fange mir nur so an!“ rief Felsing jetzt ernstlich erbost, „das hat mir gerade noch gefehlt, den Unsinn in meinem eigenen Hause zu hören! Als ob nicht heut zu Tage Jeder, der Kraft und Willen besitzt, sich heraufarbeiten könnte! Dafür stehe ich als redendes Beispiel da. Aber freilich, es hat Anstrengung gekostet, harte Mühe und bitteren Schweiß – und den möchten sich alle Diejenigen ersparen, die nach der Staatshilfe schreien! Strenge Dich mit keiner Rechtfertigung an,“ wehrte er unmuthig ab, als Emil den Mund öffnen wollte, „ich glaube selbst nicht, daß es mehr als eine Redensart von Dir war, und das Beste ist,“ fügte er halb im Selbstgespräch hinzu, „daß derartige sentimentale Anwandlungen sofort aufhören, sobald Einer selbst in den Besitz tritt. Da gewinnt die Sache plötzlich ein ganz anderes Ansehen!“
Emil zuckte statt zu antworten nur leicht die Achseln; der Moment war nicht günstig für eine der hitzigen Kontroversen, wie sie zuweilen zwischen Vater und Sohn über ähnliche Fragen zu entstehen pflegten. In die momentane Stille tönte das erste Wagenrollen von unten – schnell öffnete Emil die Thür und schritt hinter seinem Vater in den gegenüberliegenden großen Salon.
Nur den Wenigsten wird es bekannt sein, daß in Deutschland, zum großen Unterschiede von anderen europäischen Staaten, im Jahre 1869 die sogenannte Kurirfreiheit eingeführt wurde. Durch diese Verordnung ist es in das Belieben eines Jeden gestellt, ob er sich in Bezug auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit der Hand und Sorge eines hierzu approbirten Arztes anvertrauen will, oder ob er es vorzieht, hiermit irgend einen hergelaufenen Schwindler und Betrüger zu beauftragen. Man ging damals von der Voraussetzung aus, daß das große Publikum Urtheil genug haben würde, um den staatlich approbirten Arzt, welcher durch
[412][413] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [414] die Approbation gewissermaßen die Gewähr bietet, daß er auch wissenschaftlich gebildet ist, vom Medikaster zu unterscheiden, welchem es auf das Wohlergehen der ihn um Rath Befragenden gar nicht ankommt, sondern der nur auf eine thunlichst schnelle Füllung seines Geldbeutels durch möglichst wenig Arbeit Bedacht nimmt. Der einzige äußerliche Unterschied, welcher heute zwischen Arzt und Kurpfuscher besteht, ist der, daß Letzterer sich nicht den Titel „Arzt“ oder einen ähnlichen Titel beilegen darf.
Wie weit nun die Maschen dieser gesetzlichen Bestimmung sind, erhellt am besten daraus, daß wir täglich im Annoncentheil der Tagespresse Anerbietungen zur Heilung aller vorhandenen und nicht vorhandenen Krankheiten finden, welche erlassen sind von Heilmagnetiseuren, Lehrern der Naturheilmethode, Nichtärzten, Physikern, Specialisten etc. Alles dies sind Titel, welche, auf Täuschung des Publikums berechnet, den bestehenden Gesetzen nicht genug Handhabe bieten, um die Führer dieser Titel strafrechtlich zu verfolgen.
Was würde nun aber erst das Publikum sagen, wenn es Einblick in die den Privatpersonen leider nur sehr schwer zugänglichen Polizei- respektive Gerichtsakten erhielte, welche über das Gebahren und, was noch mehr sagen will, über das Vorleben der Kurpfuscher Aufklärung bieten! Die Legion dieser Heilschwindler rekrutirt sich danach aus allen Ständen unserer Gesellschaft. Wir finden unter ihnen gewesene Fabrikarbeiter, Barbiere, Cigarrenhändler, Hausknechte, Kaufleute, Gärtner, Tapezierer, Schlosser, Schmiede, Handschuhfabrikanten etc. Sie alle hatten ihren ursprünglichen Beruf verfehlt und waren nicht im Stande, in ihrem ehrlichen Gewerbe das tägliche Brot zu verdienen. Da fühlten sie sich plötzlich durch inneren Drang getrieben, sich zu Rettern der kranken Menschheit aufzuwerfen, wodurch sie ein lukratives Einkommen erzielten. Die meisten dieser Menschen sind früher wegen Schwindel, Betrug, Verbreitung unzüchtiger Schriften und anderer Vergehen mit Geld- und längeren Freiheitsstrafen vorbestraft. Sobald sie aber aus der Haft entlassen wurden, widmeten sie sich mit ungeschwächter Kraft dem Kurpfuscherthum, welches ihnen jederzeit gestattet, auf das Glänzendste und ohne schwere Arbeit zu leben, denn ihre neue Kunst besteht ausschließlich darin, das arme und kranke Publikum, welches durch die von ihnen erlassenen Reklamen und gefälschten Danksagungen getäuscht ist, auszusaugen und die Gesundheit ihrer Opfer durch Unterlassung einer gediegenen ärztlichen Behandlung noch mehr zu untergraben.
Die Schäden des Kurpfuscherthums hat die „Gartenlaube“ schon seit vielen Jahren zu bekämpfen gesucht, und in ihren Spalten findet sich eine überaus reiche Galerie von Kurpfuschern und Geheimmittelschwindlern. Trotz aller Warnung und Belehrung läßt sich jedoch das Publikum immer aufs Neue täuschen und ausbeuten, und von Jahr zu Jahr tauchen neue Heilkünstler auf, vor denen das Publikum gewarnt werden muß. Glücklicherweise tritt jetzt die Bewegung gegen das Kurpfuscherunwesen in ein neues Stadium. Den Bemühungen der volksthümlichen Presse haben sich seit einiger Zeit auch die Behörden angeschlossen, und das belastende Material wächst derartig, daß maßgebende Kreise zur Schaffung einer raschen Abhilfe auf dem Wege der Gesetzgebung veranlaßt werden könnten. Es ist darum zeitgemäß, das große Publikum auf das Treiben der Kurpfuscher von Neuem aufmerksam zu machen. An schlagenden Beispielen giebt es keinen Mangel. So ist vor Kurzem z. B. eine Bekanntmachung des königlichen Polizeipräsidii zu Berlin folgenden Inhalts veröffentlicht worden:
„Die deutsche Gesundheitskompagnie, welche in Flugblättern
und den Tagesblättern Kranken aller Art ihre Dienste anbietet,
wird von dem bekannten Bandwurmheilkünstler Richard Mohrmann
und dem Schriftsteller Bernhardi, dem Verfasser des
anrüchigen Buches ‚Der Jugendspiegel‘, geleitet. Letzteres verfolgt
den Zweck, durch Ausschweifungen heruntergekommene Menschen
in Angst zu versetzen und dieselben dann finanziell auszubeuten.
Das von Bernhardi angepriesene Mittel besteht aus Honigwasser,
welches einen Werth von 50 Pfennig hat und für die
höchsten Preise, bis zu 100 Mark an Vertrauensselige abgegeben
wird. Mohrmann’s Bandwurmmittel hat einen reellen Werth
von 1 Mark 20 Pfennig, wird aber für 10 Mark verkauft etc.
Das Publikum wird hierdurch wiederholt vor dem unlauteren
Treiben der deutschen Gesundheitskompagnie beziehungsweise vor
der Kurpfuscherei des Richard Mohrmann und des p. Bernhardi
ernstlich gewarnt.
Berlin, den 6. April 1887.
Der Polizeipräsident.
(gez.) Freiherr von Richthofen.“
Zu bemerken ist noch, daß Mohrmann in früheren Jahren nachgewiesenermaßen allein für Annoncen jährlich mehr als 50000 Mark verausgabt hat.
Ferner treibt in einer Residenzstadt ein Mensch sein Unwesen mit Kuren durch thierischen Magnetismus und hat es verstanden, durch Dreistigkeit und Frechheit sich in die höchsten Kreise einzuschleichen, so daß er nach kurzer Zeit in eigener Equipage in der Stadt herumfahren konnte. Dieser, ein früherer Gärtner und Pilzzüchter, zog es vor, als sein Geschäft abwärts ging, sich Mykologe und Heilmagnetiseur zu nennen, heilt angeblich die Menschen durch seinen thierischen Magnetismus, verkauft thierisch magnetisirtes Wasser gegen Zahnschmerz, thierisch magnetisirte Petersilie à 10 Mark zum Rohessen für allerlei innere Krankheiten. Auch diesem Künstler ist es bisher gelungen, sich einer gerichtlichen Verantwortung zu entziehen, bis ihn doch endlich die Nemesis ereilen wird.
Eine andere Art der Kurpfuscherei ist folgende:
Eine Kindergärtnerin kündigte in einer Dresdener Zeitung vor einiger Zeit an, daß sie im Stande sei, „in den zweifelhaftesten Fällen“ Diphtheritis sicher zu heilen. Zu sprechen sei diese Person im Lokale ihres „Kindergartens“ täglich von 9 bis 5 Uhr. Die darauf behördlicherseits geschehenen Erhebungen ergaben, daß sie in drei Familien geholt worden, wo schwere Diphtherie ausgebrochen und ärztliche Hilfe vergebens war, daß alle 4 Kinder, bei denen sie „ihre Behandlung“ ausgeübt hatte, gestorben waren. Außerdem ergab sich, daß sie einen Kindergarten in einer Bierwirthschaft inne hatte und zwar in einem 18 Quadratmeter Bodenfläche großen Klublokal, das Abends von Gästen benutzt wurde, und daß in ihrem Kindergarten täglich 22 Kinder sich einfanden. Auf Grund der bestehenden Gesetze kann ein Verbot nicht erlassen werden, da sowohl das Kuriren als auch die Kindergärtnerei gewerblich freigegeben sind.
Am allergefährlichsten jedoch sind diejenigen Kurpfuscher, welche sich mit der Behandlung chirurgischer Krankheiten befassen, denn gerade hier ist eine genaue Kenntniß von der Anatomie des menschlichen Körpers und den feineren Vorgängen bei der Wundheilung unerläßlich, ohne welche die Behandlung absolut undenkbar ist. Der bekannte Truppener Mann, ein siebzigjähriger Auszügler, in dessen Familie, wie er selbst angiebt, die Behandlung von Knochenbrüchen seit Generationen erblich ist, ist kürzlich zu 8 Monaten Gefängniß und Zahlung eines Schadenersatzes von 1000 Mark verurtheilt worden, weil er einen Verunglückten derartig behandelt hat, daß ihm das Bein amputirt werden mußte, um ihn am Leben zu erhalten, welches dadurch gefährdet war, daß durch Verordnungen des Pfuschers der Brand entstanden war. Ferner hat er in zwei Fällen in der Annahme, es sei der Arm ausgerenkt, dementsprechende gewaltsame Einrenkungsversuche gemacht, den Arm gebrochen und dadurch langwierige Eiterung und Blutvergiftung hervorgerufen, bis der Tod die beiden Individuen von ihren schrecklichen Leiden befreite. Der Arm war aber in beiden Fällen faktisch nur verstaucht und nicht ausgerenkt.
Alle diese Fälle, deren man als abschreckende Beispiele noch eine ungezählte Menge beibringen könnte, liegen aktenmäßig belegt bei den Wohlfahrts-Polizeibehörden und den Gerichten aufgespeichert, wo sie bei nächster Gelegenheit, wenn die Reichsregierung sich mit dieser Frage beschäftigen wird, in Gestalt einer Enquête zusammengestellt werden.
Es ist nun die höchste Zeit, nach den nunmehr 18 Jahre lang gemachten höchst traurigen Erfahrungen in Bezug auf die Kurirfreiheit, dahin zu streben, daß diesem Uebelstande gründlich abgeholfen werde. Eine Anregung zur Lösung dieser Frage durch eine Aenderung der betreffenden Paragraphen der deutschen Gewerbeordnung ist bereits in den letzten Monaten von dem ärztlichen Bezirksverein Dresden Stadt ausgegangen, in Gestalt einer Petition, welche an Reichstag und Bundesrath im April dieses Jahres eingereicht wurde, und der sich sehr zahlreiche ärztliche Vereine aus allen Theilen Deutschlands angeschlossen haben. Dieselbe bezweckt im Großen und Ganzen, daß die gewerbsmäßige Behandlung Kranker durch Kurpfuscher mit strenger Strafe belegt werde. Es ist [415] dies ein Schritt, welcher keineswegs, wie man glauben möchte, im ausschließlichen Interesse der Aerzte unternommen worden ist. Im Gegentheil, die Aerzte nehmen durch diese Anregung die Interessen der Allgemeinheit in Schutz, und sie erfüllen dabei eine ihrer Berufspflichten; denn sie müssen den Staat bei seinen sanitätspolizeilichen Gesetzen und deren Durchführung unterstützen und ihn auf Schädigungen des Publikums in seiner Wohlfahrt und Gesundheit aufmerksam machen.
Hoffen wir, daß es diesen Bestrebungen gelingen wird, das Richtige im Interesse des leidenden Publikums herbeizuführen.
Der erste ostafrikanische Vertrag. Dr. Karl Peters, von dem die Zeitungen vor Kurzem meldeten, daß er wieder in Sansibar eingetroffen sei, hat unter dem Titel „Deutsch-National“ (Berlin, Walther u. Apolant) eine Sammlung der Aufsätze herausgegeben, in denen er seine Fahrten und Reisen geschildert hat. Als der erste Pionier der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika hat er den Engländern die Kunst abgelernt, Reiche zu gründen in fernen Zonen. Aus seiner neuen Schrift entnehmen wir, in welcher Weise der Vertrag abgeschlossen wurde, der den Grundstein legte zum Besitze des Deutschen Reichs in jenen Gegenden, auf welche schon seit Jahrzehnten die Engländer ihr Augenmerk gerichtet hatten, in der Hoffnung, sich dort festzusetzen.
Es war eine kleine Expedition, an ihrer Spitze Peters, Dr. Jühlke und Graf Joachim Pfeil, welche im Herbste des Jahres 1884 sich von der Küste aus nach der Gebirgslandschaft Nguru begaben. Den König von Nguru, Mafungu Biniani, beschied man an die Haltestelle der Spedition: doch Seine Majestät zögerte und sandte zuerst ihren Premierminister, der sich sehr zaghaft geberdete und nicht einmal den Kognak trinken wollte, den man ihm anbot. Man versprach indeß dem Sultan selbst, wenn er kommen würde, schöne Geschenke, und die schwarze Excellenz begab sich zu ihm zurück, ihn zum Besuch bei den weißen Fremdlingen zu bestimmen. Graf Pfeil ließ die Kriegsmacht der Expedition aufmarschiren, die Waffen in der Hand; drei deutsche Reichsfahnen wurden herbeigeholt und aufgehißt. Dr. Peters konnte die Ankunft des Fürsten kaum erwarten und suchte seine Ungeduld durch eine Lektüre zu beschwichtigen, wie sie wohl in jenen Breitegraden zu den Seltenheiten gehören mag: er las nämlich die Lessing’sche Kritik über Voltaire’s „Semiramis“. Endlich erschien Mafungu mit großem Gefolge; Dr. Peters ging ihm entgegen, schüttelte ihm kräftig die Hand und nöthigte ihn, sich auf einen Schemel zu setzen zwischen den Führern der Expedition. Einige Tassen süßen Kakaos stellten alsbald ein freundliches Verhältniß zwischen Peters und dem jungen Fürsten her. Nach einer halben Stunde wagte der Erstere, ihm Freundschaft anzubieten; dieser ging noch einen Schritt weiter und bot dem Fremden Blutsbrüderschaft an. Nach kurzer Berathung mit den Genossen ging Peters auf diesen Vorschlag ein. Sein Oberarm wurde entblößt, wie der des Sultans; jeder von ihnen trat, seine Mannschaft hinter sich, auf einen freien Platz. Es ward ein tiefer Ritz in beide Oberarme geschnitten, und nun sogen sie gegenseitig von jenem rothen Naß, welches nach Mephistopheles ein ganz besonderer Saft ist. Dann schüttelten sie sich die Hände und es begannen die diplomatischen Verhandlungen, welche nach einer Stunde mit Abfassung und Unterzeichnung des ersten Vertrages endeten, der dem Deutschen Reich einen Besitztitel in jenen Gegenden verlieh. Dann folgten feierliche Scenen. Zuerst führte Mafungu feinem „Binder“ feine Frauen vor, mit der Bitte, eine davon auszuwählen; dann schenkte er ihm eine Ziege; darauf erfolgte die Besitzergreifung des Landes in pomphaftester Form mit Fahnen und Gewehrsalven vor Hunderten von Schwarzen. Endlich trat jene besonders ergreifende Ceremonie ein, durch welche der Freundschaftsbund zwischen Mafungu und Dr. Peters dauernd besiegelt wurde. Dieser eröffnete das mitgebrachte Bündel mit den Husarenjacken, und es wurde dem Sultan mitgetheilt, daß ein derartiges Geschenk nur den besten Freunden gemacht würde. Unter lautloser Stille wurde ihm alsdann eine Ziethen-Husarenjacke angezogen. Mafungu gewann augenscheinlich ungemein an Selbstgefühl und an Achtung bei seinem treuen Volke. Dann nahm Peters noch ein Bad mit ihm im nahen Flusse, wobei die Freundschaft noch intimer wurde. Der Abend endete mit einem Festessen, welches die Europäer dem Sultan und seinem Hofstaat gaben, und wozu dieser das Ziegenfleisch, jene den Grog lieferten.
Gewiß, dieser kühne Handstreich des kleinen Eroberertrupps macht einen tragikomischen Eindruck. Wer aber die Geschichte der Eroberungen in andern Welttheilen, die ersten Anfänge einer oft zu großer Bedeutung heranwachsenden Kolonialpolitik studirt, der wird überall auf ähnliche Vorgänge stoßen. Und man darf über diesen bunten und lustigen Scenen nicht den Heldenmuth der kühnen Schar vergessen, die, allen Gefahren trotzend und unermüdlich mit Beschwerden kämpfend, ins unbekannte Innere des fernen Welttheils eindrang. Schon jetzt hat das Kolonialgebiet der ostafrikanischen Gesellschaft, deren unerschrockene Pioniere Dr. Peters und die Seinen waren, eine Ausdehnung gewonnen, welche derselben für die Zukunft ein glänzendes Horoskop stellt.Eine Londoner Missionsanstalt. Wir sprechen hier nicht von einer theologischen Missions- und Bekehrungsanstalt, sondern von einer Bildungsanstalt für die arbeitende Bevölkerung im Osten Londons, welche von ihrem Begründer den Namen Toynbee-Hall erhalten. Toynbee und seine jüngeren Universitätsgenossen glaubten durch einen regen Verkehr mit den untern Volksklassen bildend und fördernd auf sie einwirken zu können: ein Institut sollte solcher Einwirkung einen festen dauernden Halt geben. So wurde 1884 ein Gebäude unter jenem Namen errichtet, das die Einrichtung der Universitätskolleges hat und bescheidene Wohn- und Schlafzimmer für 17 junge Leute von Oxford und Cambridge, Räume für gemeinsame Mahlzeiten, für Klassenunterricht und Vorlesungen, für gesellschaftliche Zwecke enthält. Die meist jungen Leute haben fast nur Abends Zeit für ihr Wirken bei den Arbeitern, doch diese befinden sich ja in gleicher Lage. Gewöhnlicher Klassenunterricht, Vorlesungen, Besprechung eines anerkannten Werkes in Lesegesellschaften wechseln mit einander ab. Toynbee-Hall fördert aber nicht minder das physische wie das geistige Wohl der Arbeiter; es sind von dort aus Musterwohnungen für dieselben errichtet worden; auch für gesunde Erholung und Unterhaltung ist Sorge getragen.
Die Idee eines anregenden, lebendigen Verkehrs zwischen den Gebildeten und den Arbeitern ist gewiß überaus fruchtbar und es ist zu hoffen, daß auch in anderen großen Städten ähnliche Institute wie Toynbee-Hall ins Leben gerufen werden.Königin Viktoria im Ornat. (Mit Illustration S. 409.) Einem Deutschen, Guido Schmitt, ist es gelungen, ein Bildniß der Königin Viktoria zu malen, dem die englische Kritik die größte Aehnlichkeit und eine eben so würdige wie graziöse Stellung nachrühmt. Das Bild stellt die Königin dar, die vor ihrem Throne steht im königlichen Schmucke. Der Reif der Krone funkelt von Juwelen und es steigen abwechselnd von ihm vier Kreuze und vier fleurs de lys (Wappenlilien) auf. Von dem Kranze gehen zwei sich schneidende Bogen aus, welche mit großen Perlen besetzt sind und die auf ihrer Höhe eine goldene Kugel mit Diamantkreuzchen tragen. Aehnlich ist dies bei dem goldenen Scepter der Fall, welcher 33 Zoll lang und spiralförmig ist. Der Knauf desselben ist mit Rubinen, Smaragden und Diamanten verziert; die Spitze endet in einer sechsblätterigen fleurs de lys; hierauf ruht ein kostbarer Amethyst und auf diesem erhebt sich das Brillantkreuz mit einem Smaragd in der Mitte. Krone und Scepter werden gewöhnlich im Tower von London im Reichsschatz aufbewahrt.
Die Königin ist mit mehreren Orden geschmückt. Der erste ist der Hosenbandorden, ohne dessen tiefblaues, mit Diamantagraffe auf der Schulter befestigtes Band sie sich niemals zeigt. Diese Ordensdekoration besteht in einem achtstrahligen silbernen Sterne, dessen Mitte das St. Georgskreuz bildet, von einem blau emaillirten Ring umgeben, auf welchem das Motto zu lesen ist: Honi Soit Qui Mal y pense. (Entehrt sei, wer schlecht davon denkt.) Dann trägt die Königin den von ihr selbst im Jahre 1878 gestifteten kaiserlichen Orden der Krone von Indien. Er besteht in der Namenschiffre V. R. I. in Diamanten, Perlen, Türkisen, umrahmt von einem perlenbesetzten Goldreif und von einem emaillirten, mit Juwelen geschmückten kaiserlichen Krönchen. Der dritte Orden der Königin ist der Albertorden, der gleich dem spanischen Isabellenorden nur für Prinzessinnen bestimmt ist. Er besteht aus einer Onyx-Kamee mit den Profilen der Königin und des Prinzgemahls in ovalem, mit siebzig Diamanten besetztem Rahmen.
Die Königin trägt eine Robe von schwerer schwarzer Seide, das Unterkleid von Halbbrokat auf weißer Seide, von dem sich der Hermelin zart abhebt. Der Schleier ist von Point d’Argentine.
Das Motiv zum Hintergrunde des Bildes ist dem Buckinghampalast (der Residenz der Königin) in London entnommen. Lorbeerkranz und Palmzweige versinnbildlichen die Huldigung der Nationen, der Lichtstrahl, der sich über die Herrscherin ergießt, den Segen, welchen der Himmel ihr spendet.
Das Bild, welches die Königin am 11. Mai in Augenschein nahm, befindet sich jetzt in der Jubiläumsausstellung im Krystallpalast. Die beste Reproduktion desselben ist das sogenannte Promenadenportrait, welches in London bei Marx u. Komp. (Heidelberg bei Carl Burow) zu haben ist.[416] Medicin-Meßflaschen. Wer kennt nicht die Verlegenheit, die so oft im Hause entsteht, wenn der Arzt vorschreibt, man solle von der Medicin stündlich einen Kaffee- oder Eßlöffel voll nehmen. Die Löffel in unseren Haushaltungen sind so zu sagen sehr dehnbare Begriffe; ihre Größe schwankt je nach dem Geschmack des Fabrikanten, und es ist uns ein Fall bekannt, wo dem Arzte von seinem Patienten drei verschieden große Kaffeelöffel ins Haus geschickt wurden, mit der Bitte, den Löffel zu bestimmen, in welchem die Medicin verabreicht werden sollte. Diesem Uebelstande sollen die von der Fabrik Siebemann, Vanoli u. Komp. in Unterneubrunn (Sachsen-Meiningen) eingeführten Medicin-Meßflaschen abhelfen. Dieselben bestehen:
- erstens aus der Flasche F, deren Hals bei W kropfförmig ausgebogen ist,
- zweitens aus dem in den Flaschenhals eingeschliffenen mit Grammangabe versehenen Meßstöpsel M, dessen Inhalt der Dosis entspricht, welche das Recept des Arztes vorschreibt.
Unmittelbar über dem Boden des Stöpsels ist eine runde Oeffnung X angebracht, und oben ist der Stöpsel durch einen Korkstopfen K bis zur Abkröpfung a verschließbar. – Beim Gebrauch wird der hohle Meßstöpsel M, welcher auch die ovale Façon des Glases hat, so gedreht, daß dessen Oeffnung X an den Kropf W des Flaschenhalses zu stehen kommt. Die Flasche wird sodann umgestürzt (Fig. 1), worauf die in derselben befindliche Flüssigkeit durch den Kropf W und die Oeffnung X in den Meßstöpsel einfließt, während die in letzterem enthaltene Luft auf gleichem Wege in die Flasche ausströmt. Hat sich der Meßstöpsel vollständig gefüllt, so wird durch Drehung desselben in dieser umgestürzten Stellung die Kommunikation mit dem Inhalt der Flasche wieder unterbrochen, das heißt, es wird die Oeffnung X von dem Kropfe W entfernt. Nun wird die Flasche aufrecht gestellt (Fig. 2), worauf nach Entfernung des Korkes K die betreffende Medicin direkt ohne jegliches Umgießen aus dem Meßstöpsel getrunken werden kann. Als einen besonderen Vorzug dieser Medicinflaschen möchten wir noch den Umstand hervorheben, daß der Kranke auch in liegender Stellung den Meßstöpsel ohne fremde Beihilfe selbst füllen und die Medicin einnehmen kann. *
Die Jungfrau im Berner Oberland. (Mit Illustration S. 412 und 413.) Das Bild des Malers W. Wex, das sich noch im Besitze des Künstlers befindet, stellt den mächtigen Gebirgsstock der Jungfrau in seiner ganzen Gliederung genau nach der Natur dar. Es ist aufgenommen von einem Punkte, der dem „Hôtel de la Petite Scheideck“ gegenüber liegt: das Hôtel selbst ist nicht mehr sichtbar; es wird schon von dem Vordergrunde des Bildes überragt. Dieser Vordergrund mußte, um die Großartigkeit der ganzen Gebirgsscenerie zu erhöhen, mit mehr künstlerischer Freiheit behandelt werden; so ist der Kletschenbach etwas vergrößert und bei stark angeschwollenem Wasser gemalt worden. Jedenfalls führt uns das Bild eine der imposantesten Landschaften aus dem an erhabenen Schönheiten so reichen Berner Oberlande vor. †
Für Philatelisten oder Briefmarkensammler ist eine buchhändlerische Neuheit anzuzeigen, ein Album: „Die deutschen Privatpost-Werthzeichen“ mit Markenabbildungen und Städtewappen von A. Erdmann (Leipzig, Verlag von Ernst Heitmann). Im Juni 1886 wurde bei Gelegenheit des fünfhundertjährigen Jubiläums der Heidelberger Universität eine Privatpost für Heidelberg gegründet. Diesem Beispiele folgten in kurzer Frist so viele Städte, daß gegenwärtig die Zahl der Privatpost-Marken längst die 300 überschritten hat und die Briefmarkensammler ein besonderes Album derselben anlegen können. Die Novitäten sind binnen wenigen Monaten in vielen Fällen sogar zu Raritäten geworden, welche jetzt schwer aufzutreiben sind; denn viele der Privatposten hatten eine gar kurze Lebensdauer; schon nach wenigen Wochen mußten sie ihren fruchtlosen Versuch aufgeben, mit der großen Reichspost zu wetteifern. In dem Erdmann’schen Album findet sich Material zu einer interessanten kulturhistorischen oder statistischen Skizze aus der Gegenwart. Leider aber nur das Material – der Verfasser hätte diesem Album eine orientirende Einleitung und auch ein Register der Privatposten beifügen sollen; das würde dasselbe noch interessanter machen. Hoffentlich befolgt er unsern Rath bei der zweiten Auflage, für deren Zustandekommen die Philatelisten gewiß sorgen werden. *
Die Mittelhand gewinnt Grand auf folgende Karte:
mit 94 Augen, obwohl nur zwei Sieben im Skat liegen und die fehlenden Wenzel in einer Hand stehen. Wie sitzen und fallen die Karten?
- Vorhand hatte: rW, gD, g8, eZ, eO, r9, r7, s9, s7.
- Hinterhand hatte: sW, gK, g7, e7, rZ, rK, rO, sD, sZ, sK.
Nach den in der Aufgabe angegebenen 3 Stichen:
- 1) eO, eD, e7. (+14). 2) gW, g7, g8 (+2). 3) eW, gK, ?? gD (+17)
nimmt das Spiel folgenden Verlauf:
- 4) g9, sW, rW (−4).
- 5) eZ, e8, sD (−21).
- 6) eK, e9, sZ (−14)
- 7) r9, r8, rZ (−10),
und die übrigen Stiche bekommt der Spieler. Die Hinterhand hätte aber im 3. Stich anstatt gK den sW, auf welchen sie ohnehin keinen Stich machen konnte, falls der Spieler den rW hatte, zugeben sollen, wonach Vorhand durch Werfen des rW das gD retten konnte. Die Gegner hätten dann 11 Augen mehr, das heißt 60 statt 49 hereinbekommen und daher gewonnen.
Mit seiner schweigenden Ersten und stets geschwätzigen Zweiten
Ist dir das Ganze bekannt aus den Märchen geschwundener Zeiten.
F. C. in Wien. Auskunft über die von Ihnen gestellte Frage finden Sie in dem Artikel „Ein Säuglings-Kuhstall“ Jahrg. 1883, S. 603. Sie werden daraus ersehen, daß Ihre Ansicht über die reine Kuhmilch als Ersatz für die Muttermilch im Großen und Ganzen richtig ist. Diese Frage wird übrigens in unserem demnächst erscheinenden „Gartenlaube-Kalender“ ganz ausführlich behandelt.
L. M. Den besten Schiedsrichter bei Streitigkeiten über derartige sprachliche Fragen bilden die Werke „Deutsche Sprachbriefe“ und „Wörterbuch der Hauptschwierigkeiten in der deutschen Sprache“ von Prof. D. Sanders. Auf Grund derselben können wir Ihnen mittheilen, daß es üblich und richtig heißt: Ich lehre dich schwimmen, aber mit dem substantivischen Infinitiv (der durch den vorgesetzten Artikel bezeichnet ist) sowohl: Ich lehre dich das Schwimmen, wie auch (nach dem Vorgange mustergültiger Schriftsteller): Ich lehre dir das Schwimmen, vergl. im Passiv: Du wirst schwimmen gelehrt – und: Dir wird das Schwimmen gelehrt.
F. in Leipzig. Seitdem wir unsere Notiz über das Chamisso-Denkmal veröffentlichten, sind, wie Sie mit Recht erwähnten, seitens des Komités einige nicht unwesentliche Abänderungen des ursprünglichen Plans vorgenommen worden. Ursprünglich sollte das Denkmal in Bronze hergestellt werden; jetzt hat man dem weißen Marmor den Vorzug gegeben. Zur Aufstellung desselben im Thiergarten ist die Erlaubniß nicht ertheilt worden; das Komité beabsichtigt jetzt das Denkmal auf dem Dennewitzplatze zu errichten, in der Nähe des botanischen Gartens, dessen Kustos Chamisso war.
F. K. in Hannover. Die blasig aufgegangene Rinde des Schwarzbrots kommt davon her, daß das Brot nicht hinlänglich, das heißt andauernd genug aufgegangen ist. So zieht sich dann im Backofen die oberste Schicht rasch in die Höhe und der Rest löst sich los. Streichen mit Wasser und leichte Einstiche machen, ehe es in den Ofen kommt, ist gleichfalls nöthig, um schön zu backen.
Frau K. L. in Breslau. Sie erkundigen sich nach Asylen für Frauen, in denen dieselben sich von angestrengter Berufsarbeit erholen können. Ein solches Asyl soll, auf Anregung der Frau Landrath von Bockum-Dolffs zu Soest errichtet werden. Es sollen etwa 40 Damen ohne Unterschied des Bekenntnisses Aufnahme finden. Ein großer Bauplatz dafür ist bereits schenkungsweise überwiesen worden: er liegt in gesunder Luft, in waldreicher Berggegend zu Völlinghausen (Westfalen), am südlichen Abhange der Haar. Das Komité in Soest wendet sich wegen hilfreicher Geldspenden an das Publikum.
Martha R…r. Leider nicht geeignet.
Inhalt: Götzendienst. Roman von Alexander Baron v. Roberts (Fortsetzung). S. 401. – Königin Viktoria’s fünfzigjähriges Regierungsjubiläum. Von Wilh. F. Brand. Mit Portrait. S. 408. – Magdalena. Von Arnold Kasten. S. 409. – Kurpfuscherunwesen. Von Dr. med. Otto Cahnheim. S. 411. – Blätter und Blüthen: Der erste ostafrikanische Vertrag. S. 415. – Nach der Ruderfahrt. S. 415. Mit Illustration S. 401. – Eine Londoner Missionsanstalt. S. 415. – Hundemarkt in Apolda. S. 415. Mit Illustration S. 405. – Königin Viktoria im Ornat. S. 415. Mit Illustration S. 409. – Medicin-Meßflaschen. Mit Abbildungen S. 416. – Die Jungfrau im Berner Oberland. S. 416. Mit Illustration S. 412 und 413. – Für Philatelisten oder Briefmarkensammler. S. 416. – Allerlei Kurzweil: Skat-Aufgabe Nr. 8. S. 416. – Auflösung der Skat-Aufgabe Nr. 7. auf S. 384. S. 416. – Charade. S. 416. – Kleiner Briefkasten. S. 416.
Mit nächster Nummer schließt das zweite Quartal dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift. Wir ersuchen daher die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das dritte Quartal, welches durch die längst mit Spannung erwartete Erzählung
eröffnet werden wird, gefl. schleunigst aufgeben zu wollen.
Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen Reichspostamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig).
Einzeln gewünschte Nummern liefern wir pro Nummer incl. Porto für 35 Pfennig (2 Nummern 60 Pf., 3 Nummern 85 Pf.). Den Betrag bitten wir bei der Bestellung in Briefmarken einzusenden.