Die Gartenlaube (1880)/Heft 15
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No. 15. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Wenn es heute noch Touristen in Harnisch und Stahlschienen gäbe,“ äußerte Lora zuletzt in ehrlichem Eifer, „so könnte ich mir Witold nur als solchen Ritter ohne Furcht und Tadel denken, der Prinzessinnen befreit und Drachen bekämpft. Ist er doch eben just wieder darauf aus, und doppelt lobenswerth ist es, daß er es sogar für eine Prinzessin – Hilma thut, aus deren Hand er nicht einmal auf Dank rechnen kann. – Ach, wie häßlich ist es von ihr, da er sich doch so sehr für sie und Heinrich bemüht!“
„Ja,“ sagte Lisa zerstreut. „Heinrich und Hilma sind Lomeda viel Dank schuldig – wir alle,“ setzte sie dann, sich verbessernd, hinzu.
Lora sann ein wenig nach; dann, nachdem sie den Kopf einige Mal gewendet, wie um in die Ferne zu horchen, betrachtete sie ihre Schwester, die sich ganz in ihre Arbeit zu versenken schien, ohne daß dieselbe jedoch dadurch gefördert worden wäre, da der trocken gewordene Pinsel fast immer auf derselben Stelle auf und nieder fuhr und tupfte. Endlich, einem plötzlichen Einfall folgend, begann sie wieder:
„Es ist doch seltsam. Ich sage immer: Witold, und Du nennst ihn stets: Lomeda. Wie kommt das?“
„Gewohnheit.“
„Aber das klingt so philisterhaft feierlich, als ob er ein uralter Mann wäre. Ich könnte mir das gar nicht denken. Zum Beispiel: 'Bist Du mir auch recht vom Herzen gut, Lomeda?' oder: 'Weißt Du, daß ich Dich heute gar nicht mag, Lomeda?' oder 'Mein lieber Lomeda! Da hast Du noch einen Kuß!' Hahaha! Wie lächerlich!“
„Ihr Lachen klang so voll und herzlich und schnitt der Zuhörerin doch in die Seele. Sie vermochte nicht zu lachen.
„Aber das ist wohl bei Euch gar nicht Gebrauch?“ fuhr Lora mit schelmischer Neugier fort. „Wenigstens hat es noch keines Menschen Auge gesehen. Sage, Lisa – küßt Ihr Euch denn gar nie?“
„Daß die Gefragte sich tief auf die Skizze herabbeugte, konnte ihr glühendes Erröthen nicht verbergen.
„Wie Du doch thöricht schwätzest!“ verwies sie der Neugierigen die zudringliche Frage.
„Thöricht?“ rief diese verwundert. „Mein Geschwätz oder das Küssen? Hältst Du dies für thöricht? Kommt es also bei Euch wirklich nie vor – auch nicht versteckt, ganz insgeheim? Höre, das gefiele mir gar nicht. – Habt Ihr Euch denn wirklich nicht lieb?“
Jetzt waren Lisa's Augen plötzlich erhoben und brennend auf die ihrer Schwester gerichtet.
„Wer hat es Dir gesagt? Er?“ stieß sie scharf und unbedacht hervor. Es war eine Eingabe quälendsten Mißtrauens, der sie um keinen Preis zu widerstehen vermocht hätte.
„Gesagt hat mir's Niemand,“ entgegnete Lora schlicht, ohne den Stachel zu ahnen, der Ursache jenes Ausrufs gewesen. „Aber man muß unwillkürlich auf den Gedanken kommen, wenn man Euch so kalt und beinahe unfreundlich an einander vorüber gehen sieht. Als Ihr Euch heirathetet, da war ich zwar nur ein Backfisch, aber ich machte mir doch so meine Gedanken. So wie ich mir die Liebe vorstellte, war's nicht zwischen Euch, und ich begriff Euch Beide nicht; denn in meinen Augen gab's keine schönere Braut, als meine Schwester, und keinen anbetungswürdigeren Mann, als meinen Herrn Schwager in spe – ja wohl, schon damals! Nun, wenn ich auch noch nicht glaubte, daß Ihr Euch liebtet, so vermeinte ich Euch doch auf dem Wege dahin. Aber jetzt – ja, jetzt habt Ihr wohl den Weg verloren – bedenklich abgekommen wenigstens müßt Ihr davon sein.“
Ehe sie fortzufahren vermochte oder von ihrer Schwester, die starr und stumm vor sich niederblickte, eine Antwort erhielt, hob sie, wieder aufhorchend, das Köpfchen. Harro und Frip fuhren mit lautem Gebell um das Haus, und Lora sprang, ihre psychologischen Nachgrabungen auf ein ander Mal verschiebend, munter empor.
„Da kommt schon unser neuer Gast,“ rief sie. „Aber gefahren diesmal. Das sind gewiß die neuen Schimmel, über die er im Handel stand. Die muß ich sehen.“
Und leicht wie eine Elfe war auch sie um die Ecke gehuscht.
„Abgekommen! Verloren – für immer!“ rief das Echo in Lisa's Brust in vielfacher Wiederholung, immer bänglicher und leiser, bis es in einem tiefen Seufzer erstarb.
Da faßte Gretchen nach ihrer Hand. Die Kleine hatte von dem Platze, wo sie spielte, den freien Ausblick neben dem Hause vorüber nach dem Hofe gehabt. Sie war jetzt sehr in Eile.
„Komm, Mama, komm!“ drängte sie. „Papa ist da – da!“
War es möglich? Doch warum sollte das Kind nicht richtig gesehen haben? Sein Gesichtchen leuchtete vor Freude, und es wollte, daß auch Mama sich freuen sollte – das herzige Geschöpf!
Lisa nahm es an der Hand und folgte der kleinen Führerin. Da, als sie eben um die Ecke biegen wollte, stockte ihr Fuß; sie stand wie eingewurzelt.
[238] Auf dem umbuschten Kieswege, der die Seitenfront entlang lief, stand Witold – aber nicht allein. Er hatte den Arm um Lora geschlungen, die zu ihm strahlenden Auges und lebhaft sprechend emporsah, und er neigte sich eben nieder, einen Kuß auf ihre Stirn zu drücken.
Es war ein jäher Griff, mit dem Lisa Gretchen zurückriß, emporhob und an sich preßte, den Jubelruf der Kleinen auf diese Weise erstickend.
„Still! still!“ keuchte sie und floh, wie wenn sie selber ein Verbrechen begangen hätte. „Hinweg! hinweg!“ schrie es in ihr. Aber das Bild blieb nicht hinter ihr zurück; es verfolgte sie; es stand vor ihr unauslöschlich und unvergeßlich. Getäuscht war sie worden von der eigenen Schwester – ob freventlich in dreister Heuchelei oder unwissentlich in der Unkenntniß des eigenen Herzens, kam hier nicht in Betracht. Erst noch hatte sie gemeint, ein aufkeimendes Gefühl zu entdecken, das sich in kindlicher Ahnungslosigkeit selbst verrieth, und hatte gehofft, es ablenken oder beschwören zu können, und nun war es selbst zur Warnung bereits zu spät. So weit schon, so weit war es gekommen.
Verloren der Weg – für immer verloren!
Zitternd stand sie neben dem Tischchen, zu dem sie unbewußt zurückgeflüchtet, und Gretchen schmiegte sich erschrocken an sie, als Wilhelm aus dem Speisesaale kam und ihr eilfertig berichtete, daß Gäste angelangt seien: der Herr Rittmeister, doch nicht allein, auch Graf Baumbach und Comtesse Anna in demselben Wagen. Der Herr Baron und Fräulein Lora seien eben dabei, sie zu bewillkommnen.
Sie hörte, ohne eigentlich zu verstehen, was ihr gemeldet wurde. Wie eine Schlafwandelnde folgte sie dem Diener durch den Speisesaal. Im Flur stieß sie auf die Gruppe, von der ein winzig kleines blondes Mädchen auf sie zugeflattert kam, das in dem gelben Kleide und dem gelben Strohhute wie ein Canarienvögelchen anzusehen war. Auch das Stimmchen war so zart und fein und konnte dabei so grell schallen.
Sie umarmte und küßte ihre „liebe, liebe Lisa“ und wisperte ihr dabei ein halb Dutzend Geheimnisse in süßer Vertrauensseligkeit zu. Sie habe so viel mit ihrer Busenfreundin zu reden; sie sehne sich nach einem ungestörten Plauderstündchen. Nun wäre es doch entzückend, daß man den ganzen Sommer so mit einander verleben könne. Ob denn die Gerüchte mit Sternberg wahr seien? Baron Lomeda sehe doch recht finster und angegriffen aus. Rittmeister Steinweg aber sei äußerst angenehm, „und findest Du nicht auch, daß er ein so seelisches Auge hat?“ Auf all das fand Lisa nicht ein einziges Wort der Erwiderung; es bedurfte dessen aber auch gar nicht. Comtesse Anna liebte es, beweglich und kindlich zu erscheinen; das stand ihr so gut. Freilich, wenn sie ein bischen zur Ruhe kam und man sie näher betrachtete, fand man sie nicht mehr so ganz in frischer erster Jugend, aber zu solcher Betrachtung ließ sie kaum Jemanden kommen. Sie lachte immer, fragte in einem fort, erging sich in naiven Aussprüchen und umgaukelte auf ihren gelben Schwingen Jedermann in unstetem Fluge, zumeist jedoch Lisa, mit der sie „ein innigeres Band vereinigte“ – war sie doch die eine ihrer beiden Brautjungfern gewesen. Von ihrem Papa hatte sie das leichte, flatternde und unruhige Wesen nicht. In Lisa's Tagebuche war Graf Baumbach mit einem kollernden Puter verglichen, und die Jahre hatten diese Aehnlichkeit kaum gemindert. Er bewegte die Arme, als ob er seine Flügel ausbreiten wollte, indem er schrittweise auf die Hausfrau zutrat.
„Sehen charmant aus, Baronin, charmant! Kleine Ueberraschung, was? Sind erst wieder in Moorstädtel eingetroffen. Charmantes Frühjahr! Haben durch Herrn Rittmeister erfahren, daß er heute hier geladen. Hollah, da fallen wir auch ein! Charmante Idee, was? Werden endlich doch einmal gute Nachbarschaft halten. Hat lange gedauert, bis Sie wieder einmal auf's Land kamen. Sommer und Herbst charmant auf dem Lande. Wollen's uns lustig machen. Schade um Sternberg! Nun, müssen uns an das Officiercorps halten. Charmantes Regiment! Braver Oberst, angenehmes Dienen, charmant beritten! – Ei, sieh da, liebe Gräfin! Guten Winter gehabt? Freut mich. Sehen charmant aus!“
Damit war die Begrüßung zunächst so weit abgemacht, daß sich die Gesellschaft in den Salon begeben konnte. In all dem Lärm hatte sich Gretchen ganz sacht zu Papa geschlichen, der für sein Kind einen herzlichen Kuß hatte – für seine Frau nicht einen Laut, nicht eine Handbewegung; nur ein einziger Blick hatte sie gestreift, bös wie der Strahl aus einer Wetterwolke; stand sie ja eben jetzt Steinweg gegenüber, der sich tief vor ihr verbeugte und sich lächelnd und leise entschuldigte, daß er unabsichtlich Ursache dieses Ueberfalls geworden.
Ein Gutes hatte derselbe doch: daß sich die Menschen nicht allein überlassen waren. Zwei derselben hätten es im Augenblicke kaum ertragen. Lisa gab er zudem noch den willkommenen Vorwand, sich zu entfernen. Sie hatte es nicht ein einziges Mal über sich vermocht, Witold ihren Blick zuzuwenden, auch die förmlichste Begrüßung erschien ihr wie unerträgliche Heuchelei, zu der sie sich nicht zwingen konnte. Der unvorhergesehene Zuwachs an Gästen entschuldigte die Hausfrau, wenn sie selbst noch in der Küche nachsehen und einige nothwendig gewordene Anordnungen ertheilen ging.
Doch war, bis sie hinauskam, Zweck und Absicht vergessen. Die Köchin wandte sich vergeblich an sie; ihre Aussprüche klangen ganz verworren, und zu jedem Vorschlage sagte sie Ja. Sie dachte nicht daran, sich irgendwie nützlich zu machen, Eines oder das Andere zu untersuchen oder zu überwachen, und doch blieb sie hier stehen, als suche sie noch immer etwas in ihrem Gedächtnisse, das sie mitzutheilen vergessen. Es mußte darüber sogar eine ziemliche Weile vergangen sein; denn endlich erschien Lora, blühend, glühend, eifrig und das Lächeln vom letzten Scherzworte der lebhaften Unterhaltung im Salon noch auf den Lippen.
„Ach, mühe Dich doch nicht so sehr! Du wirst ganz erhitzt aussehen,“ redete sie auf ihre Schwester ein, daß die Leute, welche dieselbe so theilnahms- und regungslos wie einen Pfeiler mitten in der Küche hatten stehen sehen, kaum ein respectwidriges Gekicher über die wunderliche Mahnung unterdrücken konnten. „Tantchen läßt Dir auch sagen, Du sollest keine besonderen Umstände machen; es würde schon reichen; dem Grafen sei doch mehr um's Trinken zu thun – Wilhelm solle noch zwei Flaschen von dem Gelbgesiegelten heraufnehmen und ein Fläschchen Süßen für uns Damen. Die Hauptsache aber ist, daß bald aufgetragen werde. – Nun also, es ist ja Alles bereit – so komm doch mit in den Salon!“ Auf dem Gange aber, zwischen den beiden Thüren, hielt sie die Schwester doch noch einmal zurück, im raschen Geflüster ihr die Mittheilung zu machen, warum Witold schon so früh zurückgekehrt sei. „Denke Dir, er hat Alles in Ordnung gebracht! Sternberg ist zu einem ganz annehmbaren Preise verkauft, unsere windigen Erbtheile sind auf Selikau übertragen. Es ist somit Heinrich möglich gemacht, die dortige Mühle zu behalten und sich langsam wieder herauszuarbeiten. Auch für einen tüchtigen geschäftskundigen Compagnon ist gesorgt. Heute Morgen ist Alles endgültig zum Abschlusse gekommen. O, wie glücklich bin ich – der arme Heinrich! Nun freut es Dich denn nicht?“
„Doch, doch,“ versetzte Lisa kalt und ohne Antheil, wobei sie nur mit bitter verzogenen Lippen hinzusetzte: „Und das hat er Dir Alles erzählt – eben Dir!“
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Aber wie Du dreinsiehst! Bitte, mache doch kein so starrendes Gesicht! Die freundliche Miene, welche man für den geladenen Gast vorbereitet hat, muß man auch dem ungerufenen zeigen – und zunächst auch dem Manne. – Du verdienst ihn nicht, Lisa! Er vermag Alles; Tante hat Recht: er ist ein Halbgott, und man muß ihn lieben.“
„Muß man? O, gewiß, gewiß – man muß!“
Es kam wie ein Lachen über Lisa's Lippen – krampfhaft, überlaut, unnatürlich. Die Schlange in ihrer Brust dehnte ihre Ringe jetzt, und das Herz fühlte ihren giftigen Biß.
Das Mittagsessen verging, ja Graf Baumbach hatte dasselbe sogar „charmant“ gefunden und der Hausfrau sein Compliment darüber gemacht; man sehe wohl, daß sie sich selbst darum bekümmere, und sie hatte nicht einmal dagegen protestirt und die Schmeichelei, die sie sich so wenig zu verdienen bewußt war, mit jener geräuschvollen Heiterkeit hingenommen, welche heute an die Stelle ihres ruhig gleichmäßigen Wesens getreten war.
Auch der lange Nachmittag war zuletzt rascher vergangen, als von Einzelnen vielleicht gefürchtet worden war. Der Graf, der sich nach Tisch mit Witold zu einem politischen Gespräche zurückgezogen [239] hatte und dabei nach seiner Gewohnheit eingenickt war, erschien erst wieder zum Kaffee. Auch die Tante und Lisa hatten sich auf ein Weilchen beiseite geschlichen, während die beiden Mädchen mit dem Rittmeister Gretchen's Criquetreifen auf dem Rasen ausgesteckt hatten und munter ihre Bälle hindurch trieben.
Es war der Comtesse Lieblingsspiel. Sie konnte dabei ihren schlanken kleinen Fuß zeigen, so ziemlich die einzige Schönheit, die sie besaß, und that dies auch mit einer so naiven Koketterie, daß Steinweg, wenn er nur im Entferntesten eine „plastische Ader“ gehabt hätte, schließlich aus dem Gedächtnisse ein auf Millimeter genaues Modell hätte anfertigen können, das jedem Schuhmacher zum Entzücken gereicht haben würde.
Er war überhaupt stark im Anspruch genommen, und es mochte kein Leichtes sein, die Aeußerungen seiner Galanterie so geschickt zu vertheilen, daß sich keinerlei Bevorzugung errathen ließ. Und als gar Lisa und die Tante die Spielenden verlassen hatten, wurde seine Stellung noch um Vieles schwieriger. Doch fand er auch hier den geeignetsten Ausweg, indem er sich nun vorzugsweise der jüngsten der „drei Grazien“, dem kleinen Gretchen widmete, das heute vor Lust und Entzücken ganz außer sich war und sich glücklich von dem sonst streng verordneten Nachmittagsschläfchen losgebettelt hatte.
Nur in einer Pause des Spieles, während welcher die Mädchen zum Flusse hinabgingen, um sich ein wenig im Kahne zu schaukeln, war es Steinweg gelungen, sich Lisa zu nähern. In der Absicht, Feuer für seine Cigarre zu holen, ehe er sich den Damen als Ruderer zur Disposition stellte, war er durch den Speisesaal geeilt, als sie eben wieder in demselben erschien und den für den Nachmittagskaffee gedeckten Tisch überblickte. Sie hatte sich so viel äußerliche Ruhe erkämpft, wie sie für die nächsten Stunden des Beisammenseins noch bedurfte. Was weiter dann geschah, lag wie ein wirres Nebeltreiben vor ihr. Daß ihres Bleibens auf Riefling nicht länger war, das allein empfand sie mit voller überwältigender Deutlichkeit. Hier nahm ihr Schicksal eine Wendung. Wohin?
Wie wenn ihr dasselbe ein Zeichen geben wolle, stand Steinweg vor ihr.
Zusammenschreckend trat sie einen Schritt zurück, und ihre Hand erhob sich wie gegen ein auftauchendes Gespenst; er dagegen, im raschen Umblick den günstigen Moment des Alleinseins erfassend, glitt auf sie zu und machte einen, freilich vergeblichen, Versuch, ihre Hand zu erhaschen.
„Warum tritt die schöne Hausfrau mir aus dem Wege?“ fragte er scherzhaft und doch mit einer gewissen Verlegenheit, die nicht im geringsten an seine sonstige zuversichtliche Dreistigkeit erinnerte. „Habe ich nicht einen gewissen Anspruch auf Freundlichkeit, da ich denn doch nun einmal Gast des Hauses bin?“
„Nicht auf mein Verlangen,“ unterbrach ihn Lisa in einem Tone, der keinen Zweifel an dem Ernste ihrer Ablehnung aufkommen ließ.
Steinweg kaute einigermaßen befangen an seinem Schnurrbarte. Er war diesmal gar nicht wie früher. Es fehlte ihm die heitere, selbstbewußte Nonchalance, mit der er sich sonst die Dinge möglichst nach seinem Geschmacke zurecht legte und wohl auch die Situation sich dienstbar machte. In seinem Wesen wie in seiner Stimme war vielmehr eine fast kindliche Schüchternheit, die ihn um Vieles liebenswürdiger erscheinen ließ; nur mißtraute ihm Lisa und hielt diese Unsicherheit für erheuchelt; als er deshalb den Wunsch ausdrückte, sie einen Augenblick ungestört zu sprechen, da entgegnete sie gleichsam in Wehr und Waffen gegen jedweden Angriff:
„Um mir eine neue Beleidigung zuzufügen.“
„Nein, um als Reuiger Vergebung zu erbitten.“
„Die werden Sie haben, wenn Sie nie mehr hierher zurückkehren.“
Kopfschüttelnd und mit verlegenem Lächeln legte er betheuernd die Hand auf seine goldverschnürte Brust.
„Das kann ich nicht,“ sagte er. „Die Strafe wäre zu grausam. Hören Sie doch!“
Aber Lisa fiel ihm rasch und bestimmt in's Wort:
„So haben wir beide mit einander keine Silbe mehr zu wechseln.“
Sie wandte sich um, das Zimmer zu verlassen, während er ihr bittend folgte und sie beschwor, ihm Gehör zu geben. Da ließ sich plötzlich eine helle Stimme von der offenen Glasthür her vernehmen:
„Ja, was treiben Sie denn, lieber Rittmeister, statt uns zu helfen? Das Boot ist angekettet, und wir brauchen den Schlüssel.“
Der also Ueberraschte wendete sich schnell gegen Comtesse Anna um, die leicht auf die Schwelle gehüpft war, und versicherte mit der aufrichtigsten Miene von der Welt, er sei eben daran, die Baronin um diesen Schlüssel zu bitten, den sie aber nicht zu haben vorgebe.
„Da hätten Sie sich doch besser an den Herrn vom Hause gewendet.“
„Gewiß!“ fiel hier Witold mit tiefer und seltsam gepreßt klingender Stimme ein. „Der Herr Rittmeister kann versichert sein, daß ich jeder Forderung zu Diensten stehe.“
Erst jetzt wurden Steinweg und Lisa den Sprechenden gewahr, der mit dem Grafen ungefähr in demselben Augenblicke durch die Bibliothek eingetreten war, als die Comtesse auf der Treppe vom Garten her erschien und das Alleinsein der Beiden störte. Seine Augen brannten in einem so düsteren Feuer, daß sich jeder Andere von minder leichtem Blute, als der Angeredete, das zweideutige Erbieten in drohendem Sinne ausgelegt hätte. Steinweg jedoch erwiderte die Versicherung mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Liebenswürdigkeit.
Von der Bootfahrt war aber für's Erste keine Rede mehr; denn der Kaffee ward aufgetragen, und die ganze Gesellschaft vereinigte sich wieder um den Tisch; sogar Gretchen durfte wie eine große Dame an demselben Platz nehmen und trug mit ihrem lebhaften Geplauder nicht wenig zu dem allgemeinen Sprachgeräusche – denn weiter war es nichts – bei.
Comtesse Anna kam nach einer Weile wieder auf die Wasserfahrt zurück. Zuerst wollte sie auf dem Wasser nur eine Scene aus „Lohengrin“ aufführen. Sie fragte Lisa allen Ernstes, ob sie keine Schwäne hätte. Der Rittmeister müsse den Ritter des heiligen Graal spielen und aufgerichtet im Boote daherkommen. Sie selbst wolle die Elsa darstellen; das verstand sich von selbst. Papa sollte Heinrich den Vogler, Baron Lomeda Telramund, Lisa Ortrud spielen etc. Dann wieder sollte eine Regatta arrangirt werden u. dergl. m. Aus all den Plänen wurde schließlich nur eine einfache Ueberfahrt. Zwar wandte Witold gegen dieselbe den hochangeschwollenen Stand des Flusses, die Sicherheit der Telzer Brücke gegenüber der bedrohlichen Dorffähre und dies und jenes ein. Doch mußte er schließlich, um nicht unfreundlich zu erscheinen, nachgeben, da selbst Graf Baumbach seinem Töchterchen zustimmte und es bequemer fand, die directe Straße, statt des Umweges über Telz einzuschlagen; auf der Fähre, meinte derselbe, seien ja doch nur Pferde und Wagen überzusetzen.
Der Abend dämmerte schon herein, als die Gäste zum Aufbruche rüsteten. Die vorgefahrene Equipage wurde nach dem Dorfe gesandt, während sich die ganze Gesellschaft durch den Garten an den Fluß begab. Peter erwartete sie bereits in dem Kahne, den er losgekettet und ausgeschöpft hatte. Da derselbe nicht hinlänglichen Raum für Alle bot, das zweite, kleinere Schiffchen jedoch nicht genügend im Stande war, so hatte man sich nach einigem Hin- und Herreden dahin geeinigt, daß nur der Hausherr den Scheidenden das Geleit geben solle. Die beiden Schwestern, von denen ohnehin blos Lora ein wenig Lust gezeigt, die Partie mitzumachen, blieben, nachdem man allerseits Abschied genommen, am Ufer zurück.
Mit Mühe hielt Lisa Gretchen an der Hand fest, welches durchaus wie die Großen längs der Böschung nach blühenden Vergißmeinnichts suchen wollte. Die Comtesse, der Rittmeister und auch Lora hatten solche gefunden und allerlei Scherzreden damit verknüpft, deren Beziehungen nicht klar genug waren, um eine Deutung zuzulassen; nur so viel hatte Lisa dem Neckspiel entnommen, daß, während sich Steinweg-Lohengrin von Comtesse Elsa ein kleines Sträußchen an die Brust stecken ließ, Lora des Fährmanns Hut in gleicher Weise schmückte; der Fährmann war aber kein anderer als Witold, welcher sich mit Peter in die Arbeit theilte. Es that ihr wehe, den Scherz, hinter dem sich so bedeutsamer Ernst barg, mit anzusehen, und sie schritt daher an der lebenden Hecke, welche hier die Grenze gegen den Fluß bildete, weiter, bis zu einer vorspringenden eingegitterten Terrasse, die hauptsächlich zum Angeln hergerichtet war. Von hier aus [240] verfolgte sie den Lauf des Bootes, das soeben knapp am Ufer aufwärts getrieben bei ihr vorüberkam.
Eine gute Strecke drüben dem Dorfe zu legten Witold und Peter die Stangen beiseite und griffen zu den Rudern, um nun in die Strömung hinauszuhalten. Auch Steinweg hatte sich anheischig gemacht, zu helfen, doch wurde ihm die Betheiligung von Witold verweigert.
„Wenn Sie Ihrer Sache nicht ganz sicher sind,“ sagte dieser eiskalt, „so könnten Sie unheilbaren Schaden anrichten. Ich muß mir erlauben, mein Hausherrenrecht auszuüben und Sie daran zu verhindern; denn ich stehe für das Wohl und Wehe Derjenigen ein, die sich mir anvertrauen.“
Diesmal war es Steinweg, als müsse er geheimen Sinn aus der Rede heraushören, die von einem so feindselig durchbohrenden Blicke begleitet war und ihm fast wie ein greifbarer Fehdehandschuh zuflog. Er begnügte sich aber, über das Mißtrauen in seine nautischen Kenntnisse scherzend hinweg zu gehen, und da Comtesse Anna bemerkte, Lohengrin rudere auch nicht, so gab er sich zufrieden, diese Rolle weiterzuspielen, welche ihm freilich auch verbot, sich niederzusetzen. Aengstlich und doch zugleich bewundernd sah die Comtesse zu ihm auf, wie er so stolz und aufrecht in dem nunmehr schon recht schnell dahinschießenden Nachen stand und von einer Stange sein Taschentuch flaggen ließ.
Comtesse Anna sang mit dünner, aber ziemlich geübter Stimme das Lied von der „Loreley“; der Graf sah nach einfallenden Enten zwischen dem Schilfe aus und beklagte, kein Gewehr bei sich zu haben, indem er mit numerisch fortwährend wachsendem Erfolge im Geiste seine Schüsse abgab, und die beiden Ruderer setzten, unbekümmert um das Eine wie das Andere, in kräftigem Tacte ein, um bald hinüber zu kommen, da sich weiter stromaufwärts soeben auch die Fähre mit der darauf befindlichen Equipage an der Anfahrtstelle zu lösen begann. Dieselbe war denn auch noch nicht völlig an ihr Ziel gelangt, als der Kahn bereits am jenseitigen Ufer anlegte.
Witold, welcher zuerst an's Land gesprungen, half dem Grafen und seinem Töchterchen aus dem schwankenden Fahrzeuge, und während diese hastig der Anlandestelle der Fähre zuschritten, weil der Graf sah, daß die Pferde unruhig geworden waren, fragte Witold Steinweg, der eben im Begriffe stand, das Boot ebenfalls zu verlassen, ob er hoffen dürfe, ihn am nächsten Morgen zu Hause zu treffen. Die Anrede machte Steinweg stutzen. Es bedurfte nur eines Blickes in diese ihn förmlich durchbohrenden Augen, um ihn zu überzeugen, daß es sich hier um ernste drohende Absichten eines Gegners handelte. Unwillkürlich reimte er auch die frühere doppelsinnige Aeußerung des Barons an die eben ausgesprochene Frage.
Vor wenigen Wochen noch wäre dieser Frage wohl eine trotzbietende höhnende Antwort geworden, jetzt aber machten sich bei Steinweg andere Regungen geltend, und wenn er seine Betretenheit auch nicht ganz verbergen konnte, so klang doch seine Stimme gutmüthig und treuherzig.
„O, Sie kommen nach Moorstädtel?“ sagte er; „dann will ich mich vom Dienste freimachen. Es thäte mir leid, einen Besuch zu versäumen, der mir nur ein Vergnügen sein kann.“
„Wer weiß!“ bemerkte Witold, mit unverhohlenem Sarkasmus. Sein Achselzucken war an und für sich schon eine Beleidigung, doch entging es Steinweg, der in demselben Momente seine Aufmerksamkeit von anderer Seite in Anspruch genommen sah.
Man hörte von der Fähre her Rufen und Schreien; der Graf fluchte; die Comtesse kreischte, und Peter hatte sich schnell im Boote herumgewendet.
„Es triftet ab, es triftet ab,“ rief er bestürzt und deutete auf das breite Fährboot, welches, statt festzulegen, seinen Weg stromabwärts nahm.
Der modernen Siracusa sieht man es nicht mehr an, daß sie einst die volkreichste und glänzendste Stadt der griechischen Welt war. Heutzutage hat sie sich ganz auf die Insel Ortygia zurückgezogen, die ehemals nur einen kleinen Stadtteil trug, allerdings einen hochwichtigen, indem sich hier die Akropolis und die vornehmsten Heiligthümer erhoben. Die Ufer des angrenzenden Festlandes, im Alterthum mit glanzvollen Bauten übersäet, liegen jetzt öde und verlassen, ein trostloses Trümmerchaos, aus dem nur noch wenige Säulenreste emporragen. Außer diesen grandiosen Steinmassen aber, die allmählich hier auf Siracusas Aeckern verwittern ist auch eine noch immer in frischer Blüthe stehende Merkwürdigkeit übrig, welche an die Ruhmeszeit der alten Griechenstadt erinnert: die Papyrusstaude, welche in ganz Europa nirgend außer hier, am Gestade der Kyane, wild wächst, nachdem sie seit dem Jahre 1591 aus der Umgebung Palermos verschwunden ist. Vielleicht blühte sie zur Saracenenzeit auch noch an anderen Stätten Siciliens, jedenfalls ist sie in der Folge überall den Gefahren der Zeit und des Klimas erlegen. Schon in der kleinen Inselstadt selbst kann man die merkwürdige Pflanze üppig wuchern sehen, vornehmlich am Quellbecken der einst so gefeierten Nymphe Arethusa, allein die Stauden, welche den genannten Quell umrahmen, sind hier zum Schmuck künstlich angepflanzt, und ähnlich findet man sie wohl auch in anderen Städten Italiens an geschützten Stellen, namentlich in den botanischen Gärten. Wer aber die Pflanze in ihrer Urwüchsigkeit sehen will, muß den südlichsten Winkel der wogenumgürteten Trinakria, die mythenumrauschten Ufer der Kyane aufsuchen.
Die Lust zu diesem als sehr lohnend geschilderten Ausfluge führte uns, eine kleine Gesellschaft von drei Personen, begleitet von dem allen Syrakus-Besuchern wohlbekannten Cicerone (und Custoden des Museums) Salvatore Politi, eines Morgens aus den dumpfen Straßen der Stadt nach der schönen baumbepflanzten Marina, wo das vorsichtigerweise unter vorherigem Accord gemiethete Boot mit vier Rudern unser harrte. Das Wetter war wunderbar: ein köstlicher, sonnenheller Morgen lachte, wie ihn der elfte Januar nur in diesen Breiten schenken konnte. Goldig blitzten die Kämme der Wogen im Sonnenschein, und ein günstiger Wind, der die Entfaltung der Segel gestattete und die Ruder vor der Hand überflüssig erscheinen ließ, brachte uns bald auf die Mitte des „Porto maggiore“, jenes prachtvollen Wasserbeckens, das einst, nächst dem alexandrinischen, den berühmtesten Hafen des Alterthums bildete und in welchem mehr als einmal das Schicksal von Völkern und Staaten entschieden ward. Bis in späte Zeiten erhielt sich sein Glanz; noch der römische Schriftsteller Florus im zweiten Jahrhundert n. Chr. nennt ihn den „Marmorhafen“, vermuthlich weil sein Rand mit Marmorquadern eingefaßt war. Die Königsburg des Dionys verriegelte seinen Ausgang, die Einfahrt aber zwischen der Insel Ortygia und dem Felsencap Plemmyrion ist nur tausend Meter breit, sodaß sie mit eisernen Ketten gesperrt werden konnte, und es ist bekannt, wie die Anwendung dieses Mittels einst jene furchtbare, Athens Flotte gänzlich vernichtende Seeschlacht provocirte, welcher Thukydides durch seine unvergleichliche Schilderung ein ewig dauerndes Denkmal errichtet hat.
Und dieser berühmte Hafen, noch jetzt der größte und sicherste Italiens (fast zehn Kilometer im Umfang), liegt heute todt und still vor uns ausgebreitet. Melancholisch schaut die kleine Inselstadt, vor deren Mauern nur noch wenige Fahrzeuge ankern, über die weite Wasserfläche nach den einsamen, sonnenverbrannten Höhenzügen, die den Horizont in ernsten, großartigen Linien begrenzen.
Nach einer Fahrt von etwa fünfzehn Minuten sahen wir uns schon am jenseitigen Ufer angelangt und bogen, unter der Wölbung des Ponte grande durch, jener Brücke, über die einst die Helorische Straße führte, in die Mündung des Anapos ein. Die Ufer des mäßig breiten Flusses, aus dem noch das heutige Syrakus, wie einst das alte, seinen Wasserbedarf deckt, sind ziemlich monoton, aber immerhin malerisch; sie zeigen stellenweise einen ganz orientalischen Charakter. Weißgetünchte Steinhäuschen, von maurischen Kuppeldächern überwölbt, ihnen zur Seite vereinzelt schlanke Dattelpalmen, rings umher dichte Hecken von Opuntien, Agaven und andern Stachelgewächsen, im Vordergrunde das hohe Schilf des Flußufers – das sind die bescheidenen [241] Elemente, aus welchen sich eine Reihe anmuthiger Bildchen zusammensetzen. Zur Linken ragen auf sanfter Anhöhe zwei verstümmelte Säulen empor, die einzigen Reste des alten Olympieions; rechts reckt über die hügelige Steinwüste von Neapolis und Achradina hinweg der gigantische, gegen zehn deutsche Meilen entfernte Aetna sein leuchtendes Schneehaupt, heute ausnahmsweise unverschleiert, in den klaren, tiefblauen Winterhimmel. Geradeaus schweift der Blick über einförmige, braunrothe Höhenzüge allmählich bis zum antiken Fort Euryelos hinan, das einst den höchsten Punkt der alten Stadt beherrschte, dahinter aber glänzt die Kette der Crimiti, ernste, tiefdunkle Berge, welche die Gedanken in das rauhe Innere der Insel ziehen.
Nach kurzem Rudern auf dem träge dahingleitenden, schilfumbordeten Anapos verließen wir denselben wieder, um in die ihm zuströmende Kyane einzulenken. Das ist ein stilles, heimliches Flüßchen, dessen Bett aber bald so eng wird, daß es dem Boote kaum noch Raum gewährt. An das Handhaben der Ruder war daher nicht mehr zu denken; zwei unserer Leute sprangen an's Ufer und zogen im Schweiße ihres Angesichts das Boot an dicken Stricken weiter, während die Zurückgebliebenen mit langen Rohrstangen schiebend nachhalfen. Im Hochsommer, wenn der Scirocco Afrikas heiße Dünste ungemildert herüberbringt und das Wasser der Flüsse versiechen läßt, stellen sich dieser Fahrt unbezwingliche Hindernisse entgegen. Man muß dann versuchen, den Papyruswald zu Fuß zu erreichen – ein so schwieriges, wie unrathsames Beginnen bei dem Mangel an Fußpfaden durch das versumpfte, von giftigem Gewürm wimmelnde Flachland, dessen Ausdünstungen zudem dann sehr zu fürchten sind. Vormals lagerten sich hier wiederholt die Heere der Karthager und Athener, und stets hielt der Tod reichliche Ernte in ihren Reihen.
Jetzt, im Winter, ist es hier gefahrlos, und gerade die Fahrt zu Wasser, so mühsam sie für die Bootsknechte auch sein mag, gehört zu dem Anmuthigsten, was die Umgegend von Syrakus bietet. Kaum läßt sich etwas Romantischeres denken, als dieses mühsame Bahnbrechen durch Schilf und Röhricht, welches den Fußpfad verengt, ja ihn oft förmlich überwölbt. Dann rauscht das Rohr über unseren Häuptern zusammen und bespritzt uns mit glitzernden Tropfen, während die Welle unter uns leise dahinrinnt. An den Ufern blüht die zarte Iris und manche fremdartige Sumpfpflanze, daneben schaukeln Wasserlilien, losgelöst und von summenden Insecten umschwärmt, auf der bläulichen Fluth. Da tauchen auch schon die ersten Papyrusstauden auf, die sich zu immer dichter und dichter werdenden Gruppen reihen, bis uns ein förmlicher Wald umfängt. Die Stämme dieses Waldes sind schlanke, glatte, dreikantige Halme von zwölf bis fünfzehn, ja achtzehn Fuß Höhe, seine Wipfel graziöse langfaserige Wedel, die der Volksmund bezeichnend Perrücken nennt. Gleich kleinen Palmenkronen schweben sie auf der Spitze der Halme, leise vom Winde bewegt und träumerisch zu der vorbeifluthenden Welle hinabwinkend – ein wunderbarer fremdartiger Anblick, der uns mit dem Zauber der Tropenwelt umspinnt. Denn fremde Gäste nur sind diese Pflanzen unserem Welttheil. „Verlorene Kinder des Nils“ nennt sie Gregorovius, und wirklich setzt die Sage ihre Urheimath an diesen geheimnißvollen Wunderfluß Afrikas. Gegen Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. soll Hieron der Zweite von Syrakus die Pflanze von dem damaligen Herrscher Aegyptens, Ptolemaeos dem Zweiten Philadelphos, erhalten haben und zwar, von noch anderen Geschenken begleitet, als Gegengabe für das riesige Prachtschiff, das König Hieron dem Ptolemäer als Zeichen seiner Freundschaft gesandt hatte. Neuere Forschungen, vornehmlich die des italienischen Botanikers Parlatore, haben wohl nachzuweisen versucht, daß der syracusanische Papyrus aus Syrien stamme und erst im neunten Jahrhundert n. Chr. durch die Araber an diese Küste gekommen sei. Diese Annahme stützt sich hauptsächlich auf den Umstand, daß keiner der alten Schriftsteller, selbst der über Alles berichtende Plinius nicht, das Vorhandensein der Papyrusstaude auf Sicilien erwähnt. Und doch scheint die schöne alte Sage auf uralter Tradition zu beruhen, und sie klingt durchaus nicht unwahrscheinlich, wenn man sich die Beziehungen zwischen Aegypten und Sicilien zur Zeit des ersten punischen Krieges vergegenwärtigt.
Unsere Fahrt fortsetzend, gelangten wir nach mühsamem Durchbrechen einer engen, durch Schilf und Papyrus gesperrten Wasserpforte zum Quellbecken der Kyane, einem anmuthigen, sich fast kreisrund ausbreitenden Teich, la Pisma genannt. So fern [242] auch die eben betrachteten Zeiten, so sind sie doch historisch erhellt, hier aber umfängt uns die Dämmerung der alten griechischen Götterlehre. Wir befinden uns an classischer Stätte, die einst Persephone-Proserpina's Verzweiflung sah. Nachdem die göttliche Jungfrau beim Blumenpflücken auf Ennas Wiese (60 bis 70 Miglien nordwestlich von Syrakus) durch Pluton geraubt worden, gelangt der Räuber mit seiner schönen Beute bis in die Gegend des Quells Kyane, die Nymphe desselben will dem Frevel wehren und wirft sich mit ausgebreiteten Armen dem finsteren Todesfürsten in den Weg. Umsonst; ihrer Ohnmacht spottend öffnet der Gott mit seinem Scepter die Erde und taucht zum Hades hinab. Kyane aber, so berichten Ovid's „Metamorphosen“:
... „trauernd zugleich um Proserpina und die Verachtung
Ihres geheiligten Quells, nährt nun unheilbare Wunde
Tief in der schweigenden Brust, und ganz in Thränen zerrinnt sie,
Und, wo als Göttin sie jüngst obwaltete, in die Gewässer
Löst sie jetzt völlig sich auf.“
Später gelangte Demeter, die verlorene Tochter suchend, zum Quell, allein die verwandelte und der Sprache beraubte Nymphe vermochte ihr nichts zu künden. Nur den Gürtel, welchen einst die widerstrebende Persephone hatte in den Strom fallen lassen, schickte sie an die Oberfläche des Wassers. Da verzweifelte die Mutter in wildem Schmerz und strafte die trinakrischen Fluren mit Mißwachs, bis ihr die benachbarte Nymphe Arethusa den Aufenthaltsort des gesuchten Lieblings verrieth. In der Folge wurden hier Feste zu Ehren beider Göttinnen, Mutter und Tochter, gefeiert und dabei geweihte Thiere als Opfer in den klaren Teich versenkt; noch sollen die Unterbauten eines alten Kyanetempels irgendwo in der Nähe sichtbar sein.
Friedliche Stille waltet heute am Quelle der „blaulockigen“ Nymphe. Leise rauscht der Wind in den Papyrushalmen und kräuselt die Fluth, die eine bläuliche Farbe zeigt, wenn auch nicht jenes tiefe glänzende Blau, auf welches der Name Kyane, der ja auch der Demeterblume, der Kornblume, eigen war, schließen ließe. Aber rein und durchsichtig ist das Wasser; fast jeden Stein kann man auf dem Grunde des acht bis zehn Meter tiefen Beckens erkennen. Ringsum herrscht das Schweigen der Wüste; denn stundenweit breitet sich hier der Palude Pantano aus, in dem man den Sumpf Syraka wiedererkannt hat, der einst dem großen Syrakus seinen Namen gab. Nur das Quaken der Frösche unterbricht momentan die fast beängstigende Stille; hin und wieder entfaltet auch ein bunter Wasservogel, deren hier eine große Anzahl nistet, kreischend seine Schwingen. Später erst trafen wir die ersten Menschen in dieser Einöde, zwei Jäger, die, das Gewehr auf der Schulter und von ihrem Hunde begleitet, in hohen Wasserstiefeln die öden Sümpfe durchstreiften.
Aber die Zeit drängte zur Umkehr. Bald hatten wir die dichte Schilfhecke, die das lauschige Plätzchen von der Außenwelt abschließt, wieder hinter uns, und in rascherem Tempo ging es flußabwärts. Allein nicht lange, so rasteten wir abermals an einer besonders malerischen Stelle, wo sich der plötzlich teichartig breitwerdende Fluß in zwei Arme theilt, die verschiedene, mit Papyrus dicht bewachsene Inselchen umschließen, während den Hintergrund dieses reizenden Landschaftsbildes die stolze Schneepyramide des Aetna wirksam abschließt. (Vergl. die Illustration.) Die Ruderknechte entzündeten ein Feuer, an welchem sie, im Verein mit unserem Führer, aus mitgenommenen Vorräthen unser Mittagsmahl bereiteten, bald stand dasselbe auf den Bänken vor uns: einige gebratene Triglien (im Ionischen Meere häufig vorkommende Fische), Oliven, mit gehacktem Eiweiß und Zwiebeln gefüllt, sowie Ricotta, ein mit Zucker und Zimmt angemachter Quark von zweifelhaftem Wohlgeschmack; dazu saftige Orangen und eine Flasche des feurig süßen Moscato, den die heißen Trümmerfelder Siracusas zeitigen. So volksthümlich frugal dieses Mahl auch war – die Poesie der Situation, mitten auf der blauen Kyane und umrauscht von den mythischen Papyrusbinsen, machte es zu einem der genußreichsten, das wir je abgehalten, und mit halbem Mitleid dachten wir der Freunde daheim, die jetzt wahrscheinlich hinter dem warmen Ofen saßen. Später stellten wir mit Hülfe der Bootsknechte Versuche an, einige der Stauden in halber Höhe der Stengel abzuschneiden, was aber bei deren Zähigkeit und Dicke nur mit Mühe gelang, und wir tauschten dabei unsere Kenntnisse über die botanischen Eigenschaften und die culturgeschichtliche Vergangenheit der so hoch interessanten Pflanze aus.
Die Papyrusstaude gehört bekanntlich zur Familie der Cypergräser. Man unterscheidet von ihr verschiedene Arten, deren wichtigste von jeher die ägyptische war, die früher an den Ufern des Nilstromes in großen Mengen wuchs. Heutzutage wird sie dort nur selten gefunden, und zwar nur noch in Nubien. Ihre eigentliche Heimath sind jetzt die großen Sümpfe Nordafrikas; auch in den kleinasiatischen Küstenländern und an den Brüderströmen Euphrat und Tigris soll sie vorkommen. Man weiß, welchen hohen Werth das Alterthum dieser Pflanze beimaß und welch umfassenden Gebrauch es von ihr machte. Aus ihrem Baste wurden Kleider und Schuhwerk gefertigt, Körbe, Stricke, Dochte und Matten geflochten; aus den dicksten Halmen verfertigte man leichte Flußkähne und Geräthschaften zum mannigfachsten Gebrauche; die holzige Wurzel diente als Brennmittel, ja sogar zur Nahrung.
Von culturhistorischer Bedeutung aber ward die Pflanze vornehmlich durch ihre Bearbeitung zu jenem Schreibmaterial, dem sie ihren Namen in fast allen Sprachen aufgedrückt hat. Das Bereitungsverfahren des alten „Papiers“ war nach auf uns gekommenen Nachrichten (vornehmlich bei Plinius) folgendes: das Zellengewebe des Schaftes – daß derselbe aus verschiedenen Bastlagen bestehe, ist ein durch eine mißverstandene Stelle bei Plinius allgemein gewordener Irrthum – ward mit einem scharfen, spitzen Instrumente in Lamellen zerlegt, welche man auf einer angefeuchteten Tafel ausbreitete und, nachdem man sie mit einem in Wasser löslichen Bindemittel, wahrscheinlich Gummi arabicum oder Eiweiß, überstrichen hatte, mit einer zweiten Schicht derart bedeckte, daß deren Fasern sich mit den Fasern der ersten Lage kreuzten; nur bei gröberen Sorten kam noch eine dritte Lamellenschicht hinzu; dann wurde das Ganze gepreßt, an der Sonne getrocknet und schließlich mit Hämmern geklopft. Mittelst eines glatten Instrumentes, eines Zahnes oder einer Muschel verlieh man den Blättern Politur, um das Auslaufen des Schreibstoffes zu verhindern.
Die Erfindung dieses ganzen Verfahrens ist höchst wahrscheinlich in Aegypten selbst gemacht worden. Daß man es dort schon frühzeitig kannte, dafür sprechen die ältesten Wandgemälde und das Zeugniß Herodot's. Freilich hat man aus einigen Stellen bei Varro und Plinius auf ein weit geringeres Alter dieser Industrie schließen wollen, und der Archäologe Böttiger hat darauf hin den Ruhm ihrer Erfindung der griechischen Colonie Naukratis in Unter-Aegypten zugesprochen, doch ist diese Ansicht unhaltbar. Nachdem Aegypten römische Provinz geworden, ward die Papierfabrikation besonders in der neuen Welthauptstadt Rom eifrig cultivirt und verfeinert; die am meisten geschätzte der hier bereiteten Sorten war die aus dem innersten Mark der Staude verfertigte charta Augusta, deren sich die Kaiser bedienten.
In der Folge begann das Material wegen des gesteigerten Consums sehr kostspielig zu werden; das Pergament war dem Papyrus schon längst ein gefährlicher Feind gewesen; noch größere Gegner erwuchsen ihm jetzt in Baumwolle und Leinen, aus welchen Stoffen man einfacher und billiger Papier herstellen lernte. Indeß erhielt sich der Papyrus noch bis gegen das zwölfte Jahrhundert in Benutzung, vornehmlich bei den orientalischen Völkern. Ibn Haukul, der reiselustige Kaufmann aus Bagdad, sagt in seiner interessanten Beschreibung der Stadt Palermo vom Jahre 972, daß aus dem dort wachsenden Papyrus Schiffsseile verfertigt würden, sowie das wenige Papier, welches dem Emir gehöre. Die neuere Zeit hat, sowohl aus wissenschaftlichem wie aus kaufmännischem Interesse, an dem syracusanischen Papyrus wiederholt Versuche mit der alten überlieferten Verfahrensweise angestellt. So schon zu Anfang unseres Jahrhunderts der Cavaliere Landolina, Platen's bekannter Freund. Neuerdings ist die Bereitung von Papyrus zu einem Erwerbszweige der Ciceroni von Syrakus geworden – der ehrwürdige Stoff, einst der Wissenschaft dienend, durfte zum Befriedigungsmittel reisender Neugier herabsinken. Die Analyse, welche Hofrath Schenk, Professor der Botanik in Leipzig, mit solchem neusyracusanischen Papyrus im Vergleich mit altägyptischem (Papyrus Ebers, Papyrus Harris, Leipziger Todtenbuchfragment) anstellte, ergab, daß zu sämmtlichen dieselbe, Cyperus Papyrus genannte Pflanze das Material geliefert hat (obgleich Parlatore, die syrische Herkunft des sicilianischen Papyrus verfechtend, ihn dem ägyptischen als Cyperus Syriacus gegenüberstellt), und daß die Herstellungsweise überall die gleiche gewesen ist.
[243] Dennoch unterscheidet sich dieser Papyrus der Ciceroni in seiner Beschaffenheit ungünstig vom alten. In seinen Zellen findet sich nämlich Stärke in Körnern, die jedenfalls aus der Pflanze selbst stammt. Wahrscheinlich ward letztere ehemals für ihre Bestimmung zu einer Zeit abgeschnitten, da sich der genannte Stoff noch nicht in ihr gebildet hatte, oder man kannte ein besonderes Verfahren zu dessen Vernichtung. Natürlich beeinträchtigen die Stärkekörner die Glätte des Papieres, und da auch sonst schwierig darauf zu schreiben ist, indem unsere Tinte schlecht haftet und leicht ausläuft, so hat es, angesichts unserer vervollkommneten Papiere, keinen praktischen Nutzen mehr. Auch alles Uebrige, wozu früher die Papyrusstaude diente, erhält man jetzt auf anderem Wege; die einst so unentbehrliche Pflanze ist daher für uns nur noch eine ehrwürdige Reliquie aus ferner classischer Zeit.
Nachdem wir unsere Ernte, deren Resultate später zum Theil mit nach Deutschland übersiedelten, beendet hatten, mußte dem Papyrushain Lebewohl gesagt werden; denn der kurze Wintertag neigte sich seinem Ende zu, und wir hatten gute anderthalb Stunden bis zur Stadt zurückzurudern, wollten auch dem nahen Olympieion noch einen kurzen Besuch abstatten. Zu diesem Zwecke verließen wir, noch ehe wir wieder in den Anapos gelangt waren, das Boot, das wir voraussandten, um unter der Helorischen Brücke auf uns zu warten.
Als wir eine Weile später wieder auf den blauen Wellen des Ionischen Meeres schaukelten, war bereits das Tagesgestirn hinter den Bergen von Pallapolo versunken; graue Dämmerung breitete sich über Felsenwüste und Sumpf, das Grab der alten Marmorstadt; nur dort, wo einst die Akropolis schimmerte, ragte ein Häuflein armseliger Häuser in den schweigenden Abendhimmel, und im Uferschilfe flüstert der Nachtwind ein Lied von der Vergänglichkeit.
Mir aber wollte die eigenthümliche Stimmung, welche mich im Schatten der merkwürdigen, so fremdartig und vertraut zugleich anmuthenden Pflanzenansiedelung an der Kyane ergriffen, lange nicht in der Seele verblassen. Eines Tages wagte ich, ihr in Versen Ausdruck zu verleihen, welchen ich die Ueberschrift „Gesang des Papyrus von Syrakus“ gab. Hier sind sie:
O Wandrer im Kahne, vernimm meinen Sang,
Wenn sanft die Kyane du gleitest entlang!
Aus bläulichen Fluthen blüh' dort ich empor:
Gefiederte Ruthen auf schwankendem Rohr.
Zum Strome mich neigend, bei Farren und Moos,
Betrachte ich schweigend mein wechselndes Loos:
Sonst ward mir die Pflege des Wissens vertraut;
Jetzt wachs' ich am Wege, ein nutzloses Kraut.
Jahrhunderte kommen, Jahrhunderte gehen,
Hab' selten vernommen, was draußen geschehn,
Aus uralten Tagen, die spärlich erhellt
Von dämmernden Sagen, nur kennt mich die Welt.
O sonniger Frieden, von Träumen umwallt,
Vom Leben gemieden, das ferne verhallt!
Stumm kreist die Libelle im zitternden Licht,
Die silberne Welle im Schilfe sich bricht.
Da rauscht's in den Halmen mit schläfriger Ruh,
Am Ufer die Palmen, sie flüstern dazu.
Gern lausch' ich dem Klange in träumendem Bann . . .
Ich lausche schon lange, weiß selbst nicht seit wann.
Und sank dann hernieder die thauige Nacht,
So sind mir die Lieder der Lüfte erwacht.
Sie rauschen und flüstern und künden mir viel
Von fernen Geschwistern am heiligen Nil.
Wenn die Arbeiteragitation Lassalle’s der erste Abschnitt in der Geschichte der deutschen Socialdemokratie war, so stellen die zehnjährigen Kämpfe zwischen dem deutschen Zweige der Internationale und dem allgemeinen deutschen Arbeitervereine ihren zweiten Theil dar. Sie haben in ihrer grotesk-lächerlichen Form viel dazu beigetragen, daß die communistische Bewegung arg unterschätzt wurde; insofern haben sie ihr mehr genutzt, als geschadet, sodaß hier gewissermaßen das bekannte Wort des römischen Geschichtsschreibers umgekehrt wurde und kleine Dinge nicht durch Eintracht, sondern durch Zwietracht wuchsen. Heute haben die Einzelnheiten dieser innern Zwiste nur noch geringes Interesse; es ist nützlicher, ihre treibenden Momente klar zu erkennen, als sie in ihren wechselnden Gestaltungen genau zu verfolgen oder gar die schmutzige Wäsche der „Führer“ nochmals auszukramen.[1]
Nach dem Tode Lassalle’s war der allgemeine deutsche Arbeiterverein zunächst ein Körper ohne Kopf, ein Leib ohne Seele. Er vegetirte nur noch, aber er lebte nicht mehr. Die auf Lassalle folgenden Präsidenten des Vereins, Bernhard Becker, Tölcke, Perl erwiesen sich als völlig gedankenlose oder im besten Falle als ganz unbedeutende Leute; sie vermochten den Gedanken des Meisters kaum zu fassen, geschweige denn durchzuführen. Marx selbst lehnte die Führerschaft der Secte ab. Aus guten Gründen; denn er konnte weder unbesehen die Erbschaft Lassalle’s antreten, noch durfte er hoffen, die glühenden Anhänger seines einstigen Freundes ohne Weiteres zu seinem Glaubensbekenntnisse zu bekehren. Vertrauend auf den alten Erfahrungssatz, daß in revolutionären Parteien am letzten Ende immer die maßlosere über die besonnenere Richtung siegt, hielt er es für angezeigter, in unversöhnlichem Kampfe die Lassalleaner zu überwinden und zu verschlingen, als aus ihrem eigenen Schoße heraus sie umzuwandeln, wobei er sich persönlich nur zu schnell aufreiben und vernutzen konnte. Die Richtigkeit dieser Rechnung wurde durch den thatsächlichen Gang der Dinge glänzend erwiesen.
Namentlich ein Theil der Hinterlassenschaft Lassalle’s war es, den Marx unter keinen Umständen zu übernehmen vermochte, und zwar gerade der im damaligen Augenblicke wichtigste Theil: der Glaube an den Beruf des preußischen Staats, die deutsche Einheitsfrage zu lösen. In diesem Punkte war er von jeher wenn möglich noch unerbittlicher, als in jedem andern; namenlos und unbeschreiblich ist der Haß, der ihn gegen das Land seiner Geburt verzehrt. Während Lassalle in dem immer mächtiger aufschlagenden Feuer der nationalen Bewegung seine Kastanien zu rösten gedachte, wollte Marx vielmehr für seine Zwecke in den trüben Strudeln der particularistischen Strömungen fischen. Gerade dieser Gegensatz, obgleich er nur ein Gegensatz der Taktik, nicht der Grundsätze war, trat in den Kämpfen zwischen den feindlichen Brüdern am schärfsten hervor, wie denn überhaupt bis zur Lösung der deutschen Frage, bis zur Gründung des deutschen Reiches, der alles beherrschende nationale Gedanke mehr oder minder bestimmend auch in die Entwickelung der deutschen Socialdemokratie eingegriffen hat.
Was den allgemeinen deutschen Arbeiterverein bis 1866 noch nothdürftig zusammenhielt trotz seiner kläglichen Führer, trotz der ewigen Intriguen der Gräfin Hatzfeldt, die einen Präsidenten nach dem andern stürzte, weil sich keiner ihren unberechenbaren Weiberlaunen fügen wollte – eine dieser Krisen auf Leben und Tod entstand dadurch, daß ein Präsident sich weigerte, Butter und Käse für den Abendtisch der Gräfin einzuholen – war das Hoffen und Harren auf den großen Tag, an dem die lange Rechnung der deutschen Zerrissenheit beglichen werden sollte. Prophetisch hatte Lassalle verheißen, daß dieser Tag den arbeitenden Classen als schönste Morgengabe das allgemeine Stimmrecht bringen werde.
In solchem Sinne wirkte innerhalb des Vereins namentlich Jean Baptiste von Schweitzer, ein geistreicher Wüstling, der die socialdemokratische Agitation wie einen aristokratischen Sport trieb und auf den Schultern der Arbeiter zu Ansehen, Macht, Ruhm emporsteigen wollte. Das Mißtrauen der Vereinsmitglieder gegen den blasirten Lebemann, die Scheu der Gräfin Hatzfeldt vor dem
[244] überlegenen Kopfe hatten ihn gehindert, sofort nach dem Tode Lassalle’s die Zügel der Alleinherrschaft an sich zu reißen; nur des Vereinsorgans hatte er sich bemächtigen können, das seit 1865 unter dem Titel „Der Socialdemokrat“ erschien. Schon im Frühjahre dieses Jahres bekannte sich Schweitzer in diesem Blatte zu den deutschen Reformplänen des Ministeriums Bismarck; damit schwand für Engels, Liebknecht, Marx die letzte etwa noch vorhandene Hoffnung, den Brander, der einst Lassalle und sein Glück trug, unbemerkt in das Fahrwasser des internationalen Arbeiterbundes leiten zu können; sie kündigten seiner „falschen und verrätherischen Flagge“ wütende Fehde an.
Schweitzer ließ sich dadurch nicht beirren, sondern schritt sicher auf dem eingeschlagenen Wege weiter. Gleichviel mit welchen Mitteln, genug, er befreite sich von der unwillkommenen Bundesgenossenschaft der Gräfin Hatzfeldt; sie schickte sich zornig an, einen Gegenverein zu stiften, der in ihr die einzig wahre Prophetin des neuen Messias verehren sollte und der durch einige Jahre in einigen Gegenden des Königreichs Sachsen eine Art Scheinleben geführt hat. Dann unternahm Schweitzer im Frühjahre von 1866 eine große Agitationsreise durch ganz Deutschland, um überall in Arbeiterkreisen für die deutsche Einheit unter preußischer Führung zu wirken. Seine Rechnung trog ihn nicht; zu den großen Errungenschaften des Jahres 1866 gehörte das allgemeine Stimmrecht. Bei seiner ersten Bethätigung, bei den Wahlen für den constituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes im Frühjahr von 1867, eroberte der Verein zwar noch keinen parlamentarischen Sessel, aber Schweitzer gewann in Elberfeld-Barmen doch schon eine so große Anzahl von Stimmen, daß eine Stichwahl zwischen dem Grafen Bismarck und Herrn von Forckenbeck, dem conservativen und dem liberalen Candidaten, nothwendig wurde.
Auf Befehl Schweitzer’s gaben seine Wähler den Ausschlag, „nicht zwar für den Candidaten der conservativen Partei, wohl aber für den Minister, der aus eigenem Antriebe den Arbeitern ein Volksrecht zurückgegeben, welches die liberale Opposition für sie zu fordern so hartnäckig vergessen hatte“. Bei den Herbstwahlen desselben Jahres für den ersten und, wie sich später erwies, auch einzigen Reichstag des Norddeutschen Bundes gelang es Schweitzer dann selbst, das vielumstrittene Mandat und daneben noch ein paar Sitze zu erwerben; diese Erfolge verschafften ihm im Verein solch Ansehen, daß er nun auch alsbald zum Präsidenten gewählt wurde. Damit löste sich das Schiff endlich von der Sandbank, auf welcher es seit Jahren saß, und glitt unter der festen Hand eines verschlagenen und vielkundigen Steuermanns wieder auf die hohe See der stürmischen Zeit.
Zugleich mit Schweitzer traten aber auch schon die beiden Männer in den norddeutschen Reichstag ein, welche als Boten der Internationale den Krieg der besitzlosen gegen die besitzenden Classen auf deutscher Erde zum hellen Brande schüren sollten. Als das Tafeltuch zwischen dem nationalen Arbeiterverein und dem internationalen Arbeiterbunde unheilbar zerschnitten war, warf sich Liebknecht, der langjährige Vertraute von Engels und Marx, ganz und gar in die particularistische Agitation. Sein Hauptquartier wurde Leipzig, wo er anfangs die „Mitteldeutsche Volkszeitung“, dann das „Demokratische Wochenblatt“ herausgab. Gleich seinen Lehrern und Meistern von maßlosem Preußenhasse zerfressen, hat er gegen den nationalen Staat gewüthet, wie kein Zweiter. Und wie kein Zweiter, selbst unter den Sendlingen der Internationalen in allen europäischen Ländern, hat er jene demagogische Methode verstanden und verwirklicht, die dem Zukunftsstaate den bequemen und breiten Weg öffnen soll – jene unnennbare Art und Weise des Kampfes, die unendlich viel mehr zur Entsittlichung und Verwilderung der Massen beigetragen hat, als alle Propaganda für die theoretische Ziele.
In Deutschland hat Liebknecht, erfolgreicher und geschickter als es irgendwo sonst geschehen ist, eingeleitet wie durchgeführt, was die Londoner Häuptlinge unter revolutionärer Aufregung und Erbitterung der Arbeiter verstehen. Das gewerbsmäßige Ausrotten des Glaubens an die sittlichen Grundlagen von Gesellschaft und Staat, das Entstellen und Unterdrücken geschichtlicher Thatsachen, das grundsätzliche Schmähen des Vaterlandes, seiner höchsten Güter und seiner theuersten Ueberlieferungen, das aufreizende Gerede von der Aussichtslosigkeit jeder friedlichen Reform, von der Unvermeidlichkeit eines gewaltsamen Umsturzes, das persönliche Beschimpfen und Verleumden jedes noch so sachlichen Gegners, alles das ist von diesem blinden und gewissenlosen Fanatiker in ein weitverzweigtes System gebracht worden, und zwar zunächst noch immer unter particularistischer Maske. Ueberhaupt wäre es bei Liebknecht’s abstoßendem und unsympathischem Wesen wohl die Frage einer langen Zeit gewesen, wann er einen namhaften Anhang unter den deutschen Arbeitern gewonnen hätte, wenn es ihm nicht gelungen wäre, einen einzelnen einflußreichen Arbeiter, den Drechsler Bebel, in die Gedankennetze des internationalen Arbeiterbundes zu verstricken. Bis dahin war Bebel ein heftiger Gegner Lassalle’s, ein eifriger Anhänger der Fortschrittspartei, ja in gewissem Sinne der Führer aller fortschrittlich gesinnten Arbeiter in Deutschland gewesen. Er spielte von jeher eine große Rolle in dem „Verbande deutscher Arbeitervereine“, den die Fortschrittspartei gegründet hatte, um der socialdemokratischen Agitation entgegen zu wirken, er war seit 1865 Mitglied, seit 1867 sogar Vorsitzender des Ausschusses, welcher den Verband leitete. In demselben waren mehr als hundert Vereine vertreten, die mehr als fünfzehntausend Mitglieder umfaßten. Diese erlesene Schaar ehrenwerther und einsichtiger Arbeiter war ausersehen, die Kerntruppe in dem streitenden Heere des Zukunftsstaates zu werden, und nach dreijährigem Werben wurde sie es, nicht sowohl durch Liebknecht’s, als durch Bebel’s Einfluß und Mühe.
Was diesem einfachen, aus dem ärmsten Proletariat hervorgegangenen Arbeiter so große Erfolge verschafft hat, ist nicht eigentlich eine hervorragende Begabung, noch weniger ein ungewöhnliches Wissen, sondern die Macht und Wucht seiner ganzen Persönlichkeit, in welcher sich alle kennzeichnenden Eigenschaften derjenigen modernen Arbeiter vereinigen, die mit ernstem Bewußtsein einen höheren Antheil an den Gütern der modernen Cultur erstreben, als ihnen augenblicklich beschieden ist. Fleißig, geschickt, treu in seinem Berufe, sittenrein in seinem bürgerlichen Leben, geistig rege, scharfsinnig, mit einer Art instinctiven Blickes begabt für große Gesichtspunkte und dabei doch anspruchslos, bescheiden, selbstlos in seinem öffentlichen Wirken, ist er gleichsam die classische Gestalt der heutigen socialdemokratischen Bewegung, so weit dieselbe einen ernsthaften geschichtlichen Hintergrund hat.
Bebel war durch seinen starken Anhang unter den Arbeitern bereits in den constituirenden Reichstag des Norddeutschen Bundes gelangt; hier gab er sich noch ganz als particularistischen Demokraten und leugnete sogar, irgend welche Gemeinschaft mit der Socialdemokratie zu haben. Eben die gleiche „politische Heuchelei“ trieb er gemeinsam mit Liebknecht fort, als beide in den norddeutschen Reichstag selbst eintraten. Namentlich Liebknecht hielt es für angezeigt, nur als zartfühlender Patriot in der Versammlung aufzutreten; er wies mit tragischer Geberde auf sein durch die „Zerreißung Deutschlands“ mit zerrissenes Herz.
Ungleich verständiger benahm sich Schweitzer, der von sich und seinem Verein bekannte, daß sie innerhalb des neu sich bildenden Vaterlandes stehen wollten. Mit ihm gingen der Lohgerber Hasenclever und der Arzt Reincke, an dessen Stelle später der Cigarrenmacher Fritzsche trat. Sie betheiligten sich gelegentlich in sachlicher Weise an der Berathung namentlich wirthschaftlicher Gesetze; auch Bebel’s gesunde Natur war nicht völlig zu unterdrücken, und er hat manche Versuche gemacht, beispielsweise in der Gewerbeordnung die besonderen Arbeiterinteressen zur gesetzgeberischen Geltung zu bringen. Darob entbrannte Liebknecht in grimmem Zorn und rief den Berliner Arbeitern das geflügelte Wort zu: „Nur Kurzsicht oder Verrath können parlamenteln;“ er erklärte für den einzigen Nutzen der parlamentarischen Tribüne, daß von ihr aus am zweckmäßigsten das Signal gegeben werden könnte, wenn die Dinge reif seien zum gewaltsamen Dreinschlagen.
Neben den beiden Dioskuren des internationalen Arbeiterbundes einerseits, Schweitzer und seinen beiden Adjutanten andererseits saßen noch zwei Jünger der Gräfin Hatzfeldt, der Kupferschmied Försterling und der Advocatenschreiber Mende, im norddeutschen Reichstage. So befanden sich sieben Mandate in den Händen der Umsturzpartei, eine beschämend geringe Ziffer, vergliche man sie mit den sinnlosen Prahlereien der Agitatoren, eine beschämend große Zahl, erwog man, daß damals noch im Parlamente keines andern Landes auch nur ein Socialdemokrat saß. Natürlich würde es eine sehr falsche und schiefe Auffassung sein, zu glauben, daß nur das Wühlerthum der Führer dieses traurige Ergebniß gezeitigt hätte. Vielmehr haben diese nur geschickt die Segel zu [245] stellen gewußt nach dem immer stärker anschwellenden Winde, von dem es auch den kundigsten Beobachtern der Epoche schwer wird zu sagen, von wannen er kommt und wohin er führt.
In jedem Falle darf man sich nicht darüber täuschen, daß die Ursache proletarischer Bewegungen niemals die theoretische Begeisterung der arbeitenden Classen für irgend welche Gedanken und Programme, sondern immer und überall ihre tiefe Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen ist. Leben die Arbeiter auskömmlich, so kümmern sie sich blutwenig um alle Weltbeglückungspläne; leiden sie unter mehr oder minder drückenden Uebelständen, so werden sie nur zu leicht die Beute gewandter Verführer. Um also die wahren Ursachen des socialdemokratischen Treibens sicher zu erkennen, darf man sich nicht an die Irrlehren selbst halten, deren noch so gründliche Widerlegung – so weit es sich um die Beschwichtigung grollender Arbeitermassen handelt – wohl etwas, aber nichts weniger als alles und selbst nicht einmal viel bedeutet, sondern man muß genau prüfen, wie die wirthschaftliche Entwickelung das Loos der arbeitenden Classen gestaltet.
Von diesen Gesichtspunkten aus läßt sich nicht verkennen, daß das schnelle Wachsthum der deutschen Socialdemokratie in den sechsziger Jahren eine hauptsächliche Ursache in dem schnellen Wachsthum der Großindustrie hat. Es wiederholte sich auf deutscher Erde, was sich einige Jahrzehnte früher auf englischem und französischem Boden zugetragen hatte. Die Eigenthumsunterschiede gestalteten sich härter und schroffer; alle die schweren Leiden wirthschaftlicher Uebergangszustände traten ein; es zeigte sich namentlich auch die von den Agitatoren mit so wilder Leidenschaft ausgebeutete Erscheinung, daß die Entwickelung des Großbetriebes naturgemäß für die einzelnen Arbeiter die Möglichkeit mindert, zu socialer Selbstständigkeit zu gelangen. Dieses Uebel ist nicht unheilbar; es läßt sich namentlich beseitigen durch Förderung des Genossenschaftswesens, durch möglichste Vervollkommnung der gewerblichen Bildungsanstalten und Lehrmittel, mit deren Hülfe Arbeiter und kleine Gewerbtreibende sich die Vortheile der verbesserten Technik und des rationelleren Betriebes in gleicher Weise wie die Großindustrie anzueignen, und genossenschaftliche Vereinigungen zu ebenbürtigen und erfolgreichen Concurrenten des einzelnen Großfabrikanten sich zu erheben vermögen. Hierzu ist aber eine längere Zeit nöthig; bis dahin ist den Arbeitern in weit höherem Grade, als früher, die Möglichkeit verschlossen, wirthschaftlich einmal auf eigenen Füßen zu stehen, und da dieser Trieb in jeder begabteren und kräftigeren Natur unausrottbar wurzelt, so sprudelt hieraus ein unerschöpflicher Quell der Unzufriedenheit, welcher die Mühlräder der Demagogie nur allzu lustig klappern läßt.
Nun hat in der deutschen Industrie der Großbetrieb niemals entfernt das erschreckende Uebergewicht erlangt, wie in der englischen, und daß er es in irgend absehbarer Zeit erlangen wird, schließt die geschichtliche Entwickelung unserer nationalen Vermögensverhältnisse aus. Ohne pharisäische Selbstüberhebung dürfen wir sagen, daß ähnlich grauenvolle Zustände niemals in der deutschen Arbeiterbevölkerung bestanden haben, wie sie ehedem in England bestanden. Aber dieser Vorzug wurde dadurch wieder aufgehoben, daß die großen politischen und socialen Umwälzungen in den sechsziger Jahren vielfach aufreizend und verwirrend in den arbeitenden Schichten der Nation wirkten. Nicht als ob die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes irgend arbeiterfeindlich gewesen wäre; ganz im Gegentheile, da sie im Laufe weniger Jahre mit freigebiger Hand das allgemeine Stimmrecht, das Coalitionsrecht, die Freizügigkeit, die Gewerbefreiheit gab, muß sie als arbeiterfreundlich im eminenteste Sinne bezeichnet werden. Aber man war vielleicht allzu freigebig mit Freiheiten; in angeblicher Unerfahrenheit sah man zu sehr auf die Licht-, zu wenig auf die Schattenseiten der großen Fortschritte, welche die deutsche Einheit auf wirthschaftlichem Gebiete ermöglichte. Die alten, überlebten Ordnungen, die hemmenden Schranken jedes großartigen Aufschwunges waren freilich spurlos weggefegt, aber nicht mit gleicher Leichtigkeit und Schnelligkeit ließen sich neue, bessere Ordnungen aus dem Boden stampfen; so entstanden unbehagliche Zustände, in deren düsterem Lichte die Arbeiter sich endlich gewöhnten, für eine unverwindliche Schädigung zu halten, was in Wahrheit eine unvergleichliche Hebung ihrer Classenlage war.
Als ein weiteres, wichtiges Moment für das Umsichgreifen der socialdemokratischen Anschauungen in jener Zeit kommt die falsche Haltung der besitzenden und gebildeten Classen hinzu. Was die kleinliche Selbstsucht vieler Unternehmer an den Arbeitern gesündigt hat, ist auf mehr als einem traurigen Blatte unserer neuesten Geschichte zu lesen; fast noch verhängnißvoller war die gründliche Verstimmung des Tones, in welchem die Arbeiterfrage öffentlich erörtert wurde. Nur zu viele socialpolitischen Wortführer, die den englischen Freihändlern glücklich abgesehen hatten, wie sie sich räusperten und wie sie spuckten, verkündeten mit der ganzen Beschränktheit und Hartnäckigkeit des Epigonenthums Gemeinplätze von zweifelhaftester Wahrheit, die in Arbeiterkreisen tief verstimmend wirken mußten. Die öde Lehre des Gehenlassens wurde auf Markt und Gasse mit selbstgefälliger Unfehlbarkeit vorgetragen, gleich als sei wirklich der irdischen Weisheit letzter Schluß darin gefunden, daß der rücksichtslosesten Selbstsucht der freieste Lauf zu lassen sei. Selbst die Einführung von Fabrikinspectoren (vergl. „Gartenlaube“ 1879, Nr. 8), die neuerdings in der kurzen Zeit ihrer Wirksamkeit schon so segensreich gewirkt haben, bekämpfte man dazumal als unerlaubten Eingriff des Staats in das wirthschaftliche Verkehrsleben.
Diese und manche anderen Umstände von geringerem Gewichte ließen die socialdemokratischen Wellen von der Gründung des Norddeutschen Bundes ab immer mächtiger anschwellen. An den Geschicken des „Verbandes deutscher Arbeitervereine“ ist sehr lehrreich zu verfolgen, wie die steigende Fluth alljährlich eine größere Strecke des festen Landes verschlingt. Diese Kerntruppe staatstreuer Arbeiter, die noch so tapfer gegen Lassalle gekämpft hatte, wandte sich Jahr um Jahr mehr den communistischen Zukunftsträumen zu, bis sie 1868 auf ihrem Verbandstage zu Gera sich für die Grundsätze des internationalen Arbeiterbundes erklärte.
Ermuthigt durch diesen großen Erfolg ihrer rastlosen Bemühungen, unternahmen Bebel und Liebknecht neue Anstrengungen, sich den allgemeinen deutschen Arbeiterverein zu unterwerfen. Allein es gelang weder mit Gewalt noch mit Güte, weder durch die maßloseste Angriffe auf Schweitzer, noch durch zeitweise Versöhnungen mit ihm. Nur einige missvergnügte Agitatoren zweiten Ranges vermochten sie ihm abwendig zu machen; so entschlossen sie sich, vorläufig den deutschen Zweig der internationalen Richtung in einer eigener Partei zu sammeln; aus den abgefallenen Mitgliedern des allgemeinen deutschen Arbeitervereins und der großen Masse des „Verbandes deutscher Arbeitervereine“ bildete sich im Herbste von 1869 auf einem Congresse zu Eisenach die „Socialdemokratische Arbeiterpartei“.
Schweitzer seinerseits war durch seinen geringen Verlust eher gekräftigt, als geschwächt; wenige Woche darauf eroberte er endlich Berlin, das heißt: indem er durch eine gut gedrillte Schaar kräftiger Anhänger jede ihm mißliebige Versammlung anderer Parteien sprengen ließ, maßte er sich mit leider nur zu großem Erfolge eine unerhörte Dictatur über das öffentliche Vereinsleben in der deutschen Hauptstadt an. Was ihm dagegen trotz mehrfacher Versuche nicht gelang, war die Vernichtung der socialdemokratischen Nebenbuhlerin. Vielmehr zählte dieselbe auf ihrem zweiten Congresse, der im Juli 1870 zu Stuttgart stattfand, ihre Anhänger schon nach vielen Tausenden. So schienen beide Secten zwar unter sich unversöhnlich zu sein, aber auf den getrennten Wegen um so unaufhaltsamer dem gemeinsame Ziele sich zu nähern, als ein völlig unvorgesehenes Ereigniß sie wieder in die Anfänge ihrer Laufbahn zurückwarf: es war der deutsch-französische Krieg.
Dem hundertjährigen Geburtsfest desselben gewidmet.
„Heute wird die Bastille gestürmt. Kommst Du mit?“ „Freilich!“ – Diese Nachbarnbegrüßung von Fenster zu Fenster über die Leutragasse Jenas hin geschah in Folge — und war zugleich die Erklärung – der ungewöhnlich lebhaften Bewegung, mit welcher ein mit jeder Minute, die dem Glockenschlage der sechsten Abendstunde näher rückte, wachsender Strom von Studenten und [246] „Philistern“ dem Thore eines stattlichen Hauses zusteuerte. – An diesem Abend stand ein Lehrer der Geschichte in seinen Vorträgen über die große französische Revolution vor dem Abschnitt, welcher die Schilderung des Sturms auf die Bastille bringen sollte. Seit Jahren hatte dieselbe eine Anziehungskraft ausgeübt, von welcher nicht blos der Student, sondern auch der gebildete Stadtbürger ergriffen wurde. Wie geräumig auch das Auditorium des Professors war, an einem solchen Abend vermochte es die Menge der Zuströmenden nicht zu fassen; es wird erzählt, daß zur guten Jahreszeit während dieser Stunde sämmtliche Fenster des Saals geöffnet waren, damit die auch den Hof füllende Zuhörerschaft den Worten des als Redner und freisinniger Kämpfer volksbeliebten Mannes lauschen konnte.
Dieser Mann war Heinrich Luden. Die Literatur kennt ihn als „den berühmten Geschichtsschreiber der Deutschen“; Tausende seiner Schüler, die im Verlaufe von nahezu vierzig Jahren seinen Hörsaal gefüllt hatten, verehren in ihm einen unvergeßlichen Lehrer, einen unvergänglichen Leitstern ihrer Bildung und Gesinnung. Auch ich war so glücklich, sein Schüler zu sein und zu denen zu gehören, die er in seiner tagtäglichen Unterhaltungsstunde (von elf bis zwölf Uhr Mittags) gern empfing. Und da ich weiß, daß alle meine Commilitonen von „Luden’s Auditorium“ mit mir nur ein Gefühl der Dankbarkeit gegen ihn belebt, so durfte der zehnte April dieses Jahres nicht vorübergehen, ohne daß wir die hundertjährige Feier des Geburtstages desselben wenigstens in der Erinnerung an ihn gemeinsam begingen.
Wie einfach auch gewöhnlich der Lebensgang eines Gelehrten zu sein pflegt, den jungen Historiker hatte die Zeit dahin gestellt, wo er gründlich selbst empfinden sollte, wie die Geschichte im Sturm gemacht wird. Er war ein sechsundzwanzigjähriger Mann, als er in Göttingen 1806 als Professor der Geschichte nach Jena berufen wurde. Luden’s Lebenslauf bis dahin ist mit drei Worten erzählt: von seinem Geburtsort, dem Pfarrdorf Loxstedt im ehemaligen hannöverischen Herzogthum Bremen, aus hatte er 1796 die Domschule in Bremen, drei Jahre später die Universität Göttingen bezogen, hatte Theologie studirt und schon gepredigt, als er sich für das Geschichtsfach entschied, privatisirte deshalb einige Jahre, war kurze Zeit Hauslehrer bei dem Staatsrath Hufeland in Berlin und begab sich von da wieder nach Göttingen, wo er die Lebensgeschichten von Christian Thomasius und von Hugo Grotius veröffentlichte und wo ihn endlich, auf die Empfehlung Johannes von Müller’s, der Ruf nach Jena traf.
Im Sommer 1806 reiste er mit seinem Gönner Hufeland nach Jena und erlebte hier gleich am ersten Abend das damals von Unzähligen vergeblich ersehnte Glück, dem eben von Karlsbad zurückgekehrten Goethe in einer Abendgesellschaft bei Major von Knebel vorgestellt und von diesem für den nächsten Morgen zu einer Unterredung eingeladen zu werden. Dieselbe dauerte mehrere Stunden und ist von Luden und dessen nachgelassenem Buche „Rückblicke in mein Leben“ wörtlich mitgetheilt, denn sie war nicht nur an sich von hohem Interesse, sondern auch von Bedeutung für das Verhältniß, in welchem der Historiker und Politiker Luden in der Folge zu dem großen Dichter und Minister stand.
Luden hatte, durch Goethe dazu veranlaßt, seine Ansicht über den „Faust“ ausgesprochen und dabei gegen die „hohen Intuitionen“ der Schlegel’schen Erklärung angekämpft, nach welcher der „Faust“ nur „das Bruchstück einer großen, erhabenen ‚göttlichen Tragödie‘ sei, die, in ihrer Vollendung den Geist der ganzen Weltgeschichte darstellend, ein wahres Abbild des Lebens der Menschheit sein werde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassend“, während Luden, nur das Fragment vor Augen, sich an dem erfreute, was des Dichters Wort in seiner wahren Bedeutung ihm sagte.
Obgleich Goethe den jungen Professor zum unumwundenen Aussprechen seiner Ansichten aufgefordert und hinzugefügt hatte: „Vergessen Sie, daß der Dichter des ,Faust‘ mit Ihnen spricht!“ so schien doch Goethe selbst dies nicht vergessen zu haben; denn am Ende der Unterredung zeigte er eine für Luden fühlbare Verstimmung.
Luden miethete vor Allem in Jena eine Wohnung, um in derselben sein bereits in Fässern und Kisten angekommenes Hab und Gut unterzubringen. Dasselbe bestand aus der schönen und werthvollen Ausstattung seiner Frau und seiner Bibliothek. Es war ihm ein wonniges Gefühl, den Sorgen der jungen Hausfrau im Gröbsten vorzuarbeiten, indem er alle Möbeln auspackte und so die freundlichen Räume wohnlich ausstattete. Nur die Betten ließ er in ihren Fässern, und die Wäsche und Kleider und all die Gegenstände, deren Einordnung die Lust der Frau ist, blieben in den Kisten und Koffern. Dagegen prangte seine wohlgewählte Büchersammlung auf den Repositorien; da die Universitätsbibliothek arm an neueren Werken war, so hatte er einen bedeutenden Theil seiner Ersparnisse opfern müssen, um für sein Lehrfach tüchtig gerüstet zu sein; er hatte dies wagen können, weil er in seinem Schreibtisch das fertige Manuskript einer Geschichte von Venedig barg, deren Honorar der Casse wieder aufhelfen mußte. Nur die Einleitung dazu gefiel ihm noch nicht, und er steckte sie zu sich, ehe er den Schlüssel vom Pulte abzog. Nachdem er so Alles zum Einzug vorbereitet hatte, eilte er nach Göttingen zurück, um gegen Mitte October mit Frau und Töchterchen sich in dem neuen Heim niederzulassen und mit dem Wintersemester seine Geschichtsvorträge zu beginnen.
Doch anders lag es im Plane Napoleon’s. Anstatt in das geträumte Paradies des Friedens zu ziehen, zog Luden mit den Seinen dem Kriege entgegen. Einen Begriff davon, wie es damals mit dem Zeitungswesen und der Verbreitung wichtiger Nachrichtens bestellt war, erhält man, wenn man erfährt, daß Luden mit Post von Göttingen bis Lauchstädt, weimarischen Theaterandenkens, gelangen konnte, ohne eine Kunde von der Kriegserklärung Preußens an Frankreich erhalten zu haben. Dort am 13. Oktober angekommen, erlebten sie schon am folgenden Morgen die weltgeschichtliche Ueberraschung, daß der Kanonendonner der Schlachten von Jena und Auerstädt zu ihnen herdröhnte.
Schon am nächsten Tag sahen sie den Krieg in seiner furchtbarsten Gestalt, die Transportzüge Verwundeter, die Schaaren Gefangener und die Truppenmassen der Sieger, die vom brennenden und geplünderten Jena kamen. Luden drang mit Weib und Kind langsam bis Naumburg vor, ließ dort letztere in guter Obhut zurück und kam am 20. spät Abends vor seiner Wohnung an. Heulend trat ihm der Hausbesitzer entgegen. Das Haus, vom Besitzer aus Furcht verlassen, war ausgeplündert und ausgestohlen worden. Zitternden Herzens eilte Luden die Treppe hinauf. Da stand er vor einem entsetzlichen Bilde: Alles, Alles war dahin; die Möbel, der Inhalt der Fässer und Kisten, die zertrümmert umherlagen, alle seine Bücher, und mit dem Schreibpulte auch sein Manuscript – Alles dahin! Er war bettelarm geworden! Schweigend wandte er sich um, und schweigend ging er die Treppe hinab. „Ohne recht zu wissen warum“, lenkte er seine Schritte nach dem Griesbach’schen Hause, und der Zufall hatte ihn gut geführt, denn dieses Haus war, als Quartier des Marschalls Rey, ungeplündert geblieben, und er fand bei den beiden Bewohnern, dem Professor Seidensticker und dem alten Griesbach, Nachtquartier für heute und Ermuthigung für die nächste Zukunft. Mit ihrer Hülfe war seine Wohnung in einigen Tagen wenigstens mit dem allernöthigsten Hausrathe versehen, sodaß er nun Frau und Kind in Naumburg abholen konnte.
„Wie wird sie die Nachricht von dem Verluste ihrer ganzen Ausstattung und all der Dinge, an welchen ein Frauenherz hängt, aufnehmen – wie wird sie den Schmerz verwinden?“ Diese Fragen lagen schwer auf ihm bis zum Wiedersehen seiner Lieben. Dann aber fiel die Last von ihm ab; dann erkannte Luden erst sein höchstes Kleinod: er hatte ein muthiges, hochsinniges Weib, die Noth, die zu Entbehrung und Einfachheit im Leben zwang, kettete die Ehegatten nur um so fester zusammen, und so hinterließ der Krieg ihnen den schwererworbenen Boden eines durch innigste Einigkeit dauernden Glückes.
Luden war vor Allem Patriot. „Von jeher,“ sagt er in der Vorrede zu seinem größten Werke, der „Geschichte des deutschen Volks“, „bin ich der Meinung gewesen, daß Derjenige, den Neigung und Geist zu dem Studium der Geschichte führen, seine Kräfte vor Allem der Geschichte seines Vaterlandes zu widmen habe. Pflicht ist es wohl nicht; aber es scheint mir ein Bedürfniß des menschlichen Herzens; es ist mir so natürlich vorgekommen, daß ich das Gegentheil zu denken nicht vermocht habe. Herodot und Thucydides, Livius und Tacitus haben in gleicher Weise gehandelt; Polybius ist einen andern Weg gegangen, weil er kein Vaterland mehr hatte; und wenn die allgemeinere Bildung [247] der neuern Zeit mehr Weltbürgerlichkeit erzeugt hat, so sind doch die meisten Geschichtsschreiber unter allen Völkern dem alten Gesetze treu geblieben, und die Geschichte fremder Völker ist gewöhnlich nur geschrieben worden mit dem Gedanken an das eigene Vaterland.“
Dieses Bekenntniß kennzeichnet den ganzen Mann. Vaterländischen Geist in der studirenden Jugend zu verbreiten, dabei mit Freisinn und Gerechtigkeit die Ideen des Zeitgeistes zu würdigen, das war ihm ein heiliger Beruf, in welchem er unerschrocken wirkte selbst in der schlimmsten Zeit französischer Tyrannei. Das Vertrauen, mit welchem die leicht begeisterte Jugend sich ihm anschloß, wirkte auch weiter. In jenen Tagen der Unterdrückung (von 1806 bis 1813) hatte das Leben, wie es wohl überall geführt wurde, soweit der französische Druck reichte, einen eigenen Charakter, einen Reiz, welcher Luden noch später mit Wehmuth und Sehnsucht, erfüllte. Die allgemeine Noth führte auch zu allgemeiner Entsagung von Luxus, aber „je geringer und armseliger der sinnliche Genuß war, desto reicher und tiefer war der geistige und sittliche, der sich überall darbot. Alle Menschen waren klüger und besser, als sie früher gewesen, als sie sich später gezeigt haben. Freilich war es nur ein Gedanke, der sie ergriffen hatte: das Vaterland; aber dieser Gedanke schließt alle Ideen ein, die für des Menschen Bestimmung von Bedeutung sind. – – Niemals sind die deutschen Fürsten mehr geliebt worden von ihren Völkern, weil ein Jeder erkannte, daß sie mit ihrem Volke litten. Ich selbst habe einen Bauer helle Thränen vergießen sehen, weil sein Landesherr den Hut in der Hand neben einem Wagen ritt, in welchem Napoleon saß, den Hut auf dem Kopfe.“ So erzählte Luden.
Solche Erinnerungen und solche Bilder allein führen uns in jene Zeit ein, wo sich in Deutschland im Stillen so viel Geist und Muth zum großen Befreiungskampfe rüstete – und der Vordersten einer auf dieser Bahn war Heinrich Luden.
In dieser Zeit (Ostern 1812) vertraute sich ihm ein von der französischen Allgewalt Verfolgter als ein Herr von Gerlach an, wie er sich als Studirender hatte einschreiben lassen; er hatte in Spanien gegen die Franzosen gefochten, war gefangen worden, glücklich entwichen und suchte nun in Jena Verborgenheit; nach kurzer Zeit entdeckte er sich Luden als Herr von Grolmann; es war der spätere General, der bald in einem wichtigen Augenblick mit sicher lenkender, vielleicht rettender Hand in Luden’s Leben eingreifen sollte. Denn als 1813 Alles zu den Waffen griff, fühlte auch der rüstige Professor den Beruf, zum Schwert zu greifen. Der ruhige, besonnene, kriegskundige Grolmann vermochte es, nach hartem Widerstand, Luden zu der Ueberzeugung zu bekehren, daß der Geist sein Schwert sei und bleiben müsse.
Um ein allezeit schlagfertiges Kampfschwert zur Verfügung zu haben, verband sich 1813 Luden mit Bertuch in Weimar zur Herausgabe einer „Zeitschrift für Politik Und Geschichte“, der „Nemesis“, von welcher 1814 bis 1818 zwölf Bände erschienen sind. Für uns ist ein wiederum Goethe betreffender Umstand dabei von besonderem Interesse. Bertuch wünschte, daß Luden mit Goethe über ihre Zeitschrift spreche. Dies geschah. Das ebenfalls von Luden aufbewahrte Gespräch ist ein beide Männer sehr ehrendes. Luden schließt seinen Bericht darüber mit den Worten: „Nur das Eine will ich bemerken, daß ich in dieser Stunde auf das Innigste überzeugt worden bin, daß Diejenigen im ärgsten Irrthum sind, welche Goethe beschuldigen, er habe keine Vaterlandsliebe gehabt, keine deutsche Gesinnung, keinen Glauben an unser Volk, kein Gefühl für Deutschlands Ehre oder Schande, Glück oder Unglück. Sein Schweigen bei den großen Ereignissen und den wirren Verhandlungen dieser Zeit war lediglich eine schmerzliche Resignation, zu welcher er sich in seiner Stellung und bei seiner genauen Kenntniß von den Menschen und Dingen wohl entschließen mußte.“ – Wie den alten Arndt, hätte man auch Luden „das deutsche Gewissen“ nennen können, und darum hat aus seinem Munde dieses Wort besondern Werth.
Zu den Studenten, und besonders zu den Mitgliedern der Burschenschaft stand Luden in dem Verhältniß innigen gegenseitigen Vertrauens. Er veranlaßte unter Anderem die Auf- und Feststellung der „Grundsätze und Beschlüsse der Wartburgfeier“, welche „den studirenden Brüdern auf anderen Hochschulen zur Annahme, dem gesammten Vaterlande zur Würdigung von den Studirenden in Jena vorgelegt“ werden sollten. Sie wurden massenhaft durch Abschriften verbreitet und zeugen noch heute für den ernsten und klaren Sinn der Gründer der Burschenschaft. Geharnischt trat Luden in seiner „Nemesis“, und mit ihm zugleich Oken in seiner „Isis“ gegen die Verleumdungen der deutschen Universitäten und namentlich Jenas durch Kotzebue, Schmalz, Kamptz u. dergl. Gesellen auf, und als Oesterreich seinen Gesandten in Dresden, den Grafen Zichy, insgeheim nach Weimar schickte, damit er von dort sich nach Jena begebe und „persönlich das verschrieene Demagogennest einsehe, um Auskunft darüber zu geben, ob denn wirklich dort ein so rohes, wildes, barbarisches, aufrührerisches Wesen unter den Professoren und Studenten herrsche“, wie die Lästerer es den Höfen vorgemalt hatten – war Luden es, der den Tag dieses Besuches erkundschaftete und den Studenten verrieth. Der weimarische Minister und der österreichische Gesandte staunten nicht wenig, als sie am 16. December 1817 nach Jena kamen und eine solche sittsame Ruhe und Stille auf Markt und Gassen fanden, daß der Bericht nach Wien „die Ordnung, die Disciplin und die trefflichen Gesinnungen, welche unter den Studenten zu Jena stattfände“, nicht genug preisen konnte. Schon am folgenden Tag holte der Student jedoch alles Versäumte nach, indem Blücher’s Geburtstag mit allem möglichen akademischen Ulk und Pomp nachgefeiert wurde. Luden’s „Nemesis“ aber begrüßte dieses frische Treiben mit den Worten: „Die Jugend muß brausen, wie der junge Wein, dann wird sie, wie er, mild und stark zugleich werden. Wer aber elfer Rheinwein und dreizehner deutsche Jugend gut vertragen soll, der muß selbst nicht kraftlos sein.“
Zu Anfang des Jahres 1823 ging Luden als Abgeordneter der Universität zum Landtage nach Weimar. Dies warf abermals einen Schatten auf sein Verhältniß zu Goethe, der für derlei Volksvertretung und deren Kämpfe keine Sympathie hatte. Dennoch wurde er einmal, 1829, als Abgeordneter zu einer Soirée bei Goethe eingeladen. Er ging hin und fand dort die ganze vornehme Welt Weimars nebst den ausgezeichnetsten Fremden versammelt. „Meinen Blick,“ erzählt er, „zog nur der Herr des Festes auf sich. Und Er, der alte Herr, stand da, fest und gerade, in der besten Haltung, den Hut unter dem Arme, mit allen seinen Orden geschmückt, und empfing, immer auf derselben Stelle, die Huldigung aller Gäste mit großer Liebenswürdigkeit. Ich bewunderte und bedauerte ihn. Aber nach etwa anderthalb Stunden hatte ich der Sache genug.“
Im Jahre 1832 hatte Luden auch des Landtags genug, wies jede weitere Wahl zurück und lebte fortan nur seinem doppelten Berufe als Lehrer und Schriftsteller.
Es war noch in der sogenannten „guten alten Zeit“ des Studentenwesens, als ich, im Herbst 1834, zum ersten Male in Luden’s Hörsaal trat. Mein Erstaunen war nicht gering, als ich so manches „alte Haus“ im Schlafrock, die lange Pfeife in der Hand und die Mappe unterm Arm in die Räume wandeln und auf den Bänken sitzen sah, wo ich mit dem Herzpochen der Ehrfurcht und der Erwartung des Augenblicks, in welchem ich den großen berühmten Mann zum ersten Male schauen sollte, bescheiden Platz nahm. Zur Ehre der „Bemoosten“ muß ich jedoch sofort aussprechen, daß von den langen Pfeifen kein Gebrauch gemacht wurde. Der Schlafrock hinderte Keinen, die größte Hochachtung vor dem Lehrer zu hegen. Endlich öffnete sich die Thür, und Luden trat ein und bestieg das Katheder. Der Contrast war zu auffällig. Hier die Schlafrockgesellschaft, und dort der stattliche Mann in Frack und feiner Kleidung, der, die goldene Dose in der Hand, seine Zuhörer in einer Weise begrüßte, als trügen auch sie alle Zeichen des äußeren Anstandes zur Schau.
Nach wenigen Worten aus seinem Munde war jedoch alles Störende der Umgebung verschwunden, Alles lauschte dem herrlichen Klange seiner Sprache, und bald waren Geist und Herz gefesselt von dem wunderbar dahinfließenden Strom der Gedanken und Bilder, mit denen er uns das Leben der Vergangenheit vorführte. Die volle Aufmerksamkeit war unaufhörlich gespannt; keine Ermüdung konnte eintreten; denn auch der erfrischenden Heiterkeit ward ihr Recht vergönnt, und selbst die Aushülfsphrasen, die er so fein stets an bedeutungsvoller Stelle einzuschalten verstand, sein gedehntes, „in jeglicher Weise“ und das ironisch betonte „wenn Sie wollen, meine Herren,“ trugen zur immer frischen Belebung der Vortrages bei. „Wenn mir aber einmal die Vocabeln ausgehen wollen, so öffne ich meine
[248]Dose und bereite mir je nach Nothdurft den Genuß einer Prise. Diese einfache Handlung benimmt meinen Zuhörern das peinliche Gefühl, daß ich stecken geblieben, und gestattet mir Zeit zur Sammlung, und so ist uns beiden durch diese Dose geholfen“ – so erklärte er uns den absonderlichen Nutzen derselben einmal in einem der herrlichen, stets so anregenden und oft sogar erhebenden Plauderstündchen der Mittagszeit.
Ja, an diesem Manne war Alles edel und ehrwürdig, ob wir ihn auf dem Lehrstuhl oder auf der Rednerbühne des Landtags, in seinem traulichen Heim vor dem riesigen Arbeitstisch, den einst Griesbach ihm vermacht, im Umgang mit seinen Schülern oder im Umgang mit Gleichwürdigen sahen. Veredelnd war sein Streben immerdar, und so hat er als ein Priester des Wahren, Guten und Schönen und als ein Held im Kampfe für staatsbürgerliche Freiheit und ein Vaterland der Deutschen fest auf seinem Platze gestanden bis zu seinem letzten Augenblick.
Welche Schriften er hinterlassen, welche Stelle er in der Reihe der Geschichtsschreiber und politischen Schriftsteller einnimmt, darüber giebt jedes Conversationslexicon Auskunft. Hier galt es nur, an den Mann zu erinnern, wie ihn unser Herz feiert.
[249]
Beklagen aber müssen wir Alle Eines: daß es dem Manne, welcher die schlimmsten und schönsten und abermals die beklagenswerthesten Schicksale des deutschen Volkes mitgetragen hat, die französische Schmachzeit, die Volksbegeisterung der Befreiungskriege, die neue politische Unterdrückung durch den Geist des Absolutismus, dem Manne, welchem die Alles verbitternde Reaction stets mit am nächsten trat – denn so oft eine freie Geistesregung in Deutschland verfolgt wurde, hatte immer Jena, am schwersten darunter zu leiden – kurz, daß es einem Heinrich Luden nicht vergönnt war, auch die Tage der Erlösung aus dem alten Bann, der Erhebung seines geliebten Vaterlandes aus einem geographischen Begriff zu einem großen und mächtigen Reiche zu erleben.
Unsere Zeit vergißt zu leicht das Andenken an jene geistigen Kämpfer und Märtyrer, welche mit dem Muthe der Wahrheit und der Kraft zu den höchsten Opfern der Gegenwart die Wege zum Sieg gebahnt haben. Da ist’s nöthig, daß das jüngere Geschlecht an jene Alten so oft wie möglich erinnert werde. Sollte es zu Jena auf dem Graben nicht auch einen Platz für eine eherne Büste Heinrich Luden’s geben?
„Ade, lieb’ Mutter!“ – „Mit Gott, mein Kind!“
Da pfeift’s. Ein Taschentuch flattert im Wind:
Der Abschiedsgruß von der jungen Braut,
Die heute dem Gatten ward angetraut.
Hin hastet der hochauf ächzende Zug,
Besiegend den Sturm im wuchtigen Flug,
Doch dort in der Ecke das selige Paar
Wird von dem Allen Nichts gewahr.
Still, Arm um Nacken und Hand in Hand,
So fliegen sie über das schneeige Land,
Ohn’ es zu achten, weltentrückt,
Voll seliger Träume, beglückend, beglückt.
Es tauchte unter so Raum wie Zeit
Tief in dem Meere von Seligkeit,
Das durch die Herzen wogend rauscht,
Wenn Liebe man um Liebe tauscht.
Genüber der lebensmüde Greis
Betrachtet die Beiden und flüstert leis:
„O, ginge nimmer solch Glück vorbei!
War auch einst glücklich wie diese Zwei.
O Tod, Du langsamer falscher Knecht,
Wie übst Du Dein Amt so träg und schlecht!
Als einst ich genossen das höchste Glück –
Das war Deine Zeit: was hielt Dich zurück?“
Hin stürmt der Zug durch die Grafschaft Perth,
Wild stürmt die See in dem buchtigen Firth,
Darein der Tay seine Wogen stürzt,
Deß stürmisch Gefäll seinen Lauf verkürzt.
Doch stürmischer als des Zuges Flucht,
Und stürmischer als der Wogen Wucht
Erbraust und dränget und wühlt der Orkan,
Der dröhnend umheult des Zuges Bahn.
Die Liebenden träumen von ewigem Glück;
Des Greises Seele weilt weit zurück:
Da plötzlich zittert und wankt der Pfad,
Als sich der Zug der Brücke genaht …
Ein Pulsschlag noch … Wo blieb der Zug?
Wo blieben sie, die er landwärts trug?
Hinunter, hinab von der Brücke des Tay
Ward er gesenkt in die tiefe See.
Der Sturm erbraust und heult wie vorher;
Wild tost und schäumt und gischtet das Meer –
Kein Zeichen, kein Trümmer verräth das Grab,
Dem der Tod so reiche Ernte gab.
Die junge Liebe, den müden Greis,
Sie mähte der Sturm auf des Tods Geheiß:
Doch hatte ihnen das Glück verliehn
Ein selig Lächeln als Gruß für ihn.
Von schweren Unglücks langem Bann
Erlöste der Tod den alten Mann …
Die Liebenden aber hat er zart
Vor aller Trübung des Glücks bewahrt.
(Schluß.)
„Mir war zu Muthe, wie Einem wohl im Traume ist, wo man sich mitunter wie gefesselt fühlt, sich nicht bewegen, nichts sprechen kann, während man doch weiß, wie nothwendig das wäre. Ein bewimpelter Nachen glitt vorüber; junge Stimmen sangen darin; der Klang hallte melodisch über das Wasser.
‚Warum sollt’ ich mit einem Fremden wegziehen? Daheim ist es doch so schön,‘ sagte Anna in klarem Tone. ‚Wenn ich Abends einschlafe, freue ich mich schon auf den nächsten Tag; ich käme um vor Heimweh, müßte ich fort?‘
‚Das ist Einbildung, Anna,‘ sagte ich beinahe schroff. ‚Wie Klein dazu gekommen ist, um Dich zu werben, weiß ich nicht; Du hast damit heimlich gegen mich gethan von Anfang bis zu Ende, weißt Du aber nichts weiter gegen ihn einzuwenden, als daß Du lieber daheim bleibst, so wäre das ein kindischer Grund. Du bist freilich noch sehr jung, hast aber doch schon genug gesehen, um zu wissen, was ein Arbeitsleben heißt, wie es Dir bevorsteht. Sieh Deine Mutter an! Wie müde sie ist, wie sie sich plagt vom Morgen bis in die Nacht! Du hast mehr gelernt, vielleicht denkst Du Dir die Zukunft leichter. Das wird sie aber nicht sein; fremdes Brod ist selten schmackhaft – glaube mir! In die Fremde, wie Du es nennst, mußt Du nun ohnehin bald – das weißt Du selbst. Hätte Klein Dich nicht sehr lieb gewonnen, so würde er nicht um Dich geworben haben; er könnte überall anfragen und wäre bester Aufnahme sicher. Du wirst glücklich mit ihm sein; es ist ein guter, wackerer Mensch; sein Wohlstand wird nicht nur Dir selbst ein angenehmes Leben bereiten, Du kannst später auch für Deine kleinen Brüder mitsorgen, kannst manches für Deine Mutter thun, welche Dir so lieb ist. Sei deshalb nicht kindisch, nicht eigensinnig, Anna! Das wäre unrecht.‘
Sie hatte mich ausreden lassen, ihre großen Augen aufmerksam auf mich geheftet. Als ich zu Ende war, sagte sie ernsthaft:
‚Alles, was Sie da sagen, ist wahr, Herr Isen, nur Eines nicht: daß ich heimlich gegen Sie gethan hätte. Nicht im Traume ist mir’s eingefallen, daß der Herr Klein solche Gedanken haben könnte, bis heute. Wenn er mit dem Vater gerechnet oder Sie besucht hatte, saß er wohl nachher immer ein Stündchen bei uns, und ich plauderte mit ihm, wie mit den Anderen auch, die herkommen. Er hat sich aber nie so etwas anmerken lassen, oder ich hab’s doch nicht gemerkt. Der Mann ist gut und brav – ja wohl, aber er geht mich nichts an? Sie meinen, ich müßte doch fortgehen? O nein, das hab’ ich schon lange bei mir in’s Reine gebracht. Die Klosterfräulein geben mir feine Arbeit herüber. Nähen und Häkeln kann ich gut; damit verdiene ich genug. Es kann Ihr Ernst nicht sein, daß ich fort soll, so lange Sie hier sind, und Sie bleiben doch bei uns?‘ Ihre unschuldigen Augen blickten sonnig und treuherzig wie die eines Kindes, als sie lächelnd hinzufügte: ‚Was sollten Sie wohl ohne das Frühlingsblümle anfangen, und was würde aus mir – ohne Sie!‘
Ihre Innigkeit drang mir in die Seele. In diesem Augenblicke erschien mir, was sie so schlicht aussprach, wirklich als Wahrheit. Was sollten wir Beide anfangen ohne einander? Ich schwieg aber dazu.
Nach dem Verschwinden der Sonne machte sich der Abendwind auf; rasch brach Dämmerung herein.
‚Es wird kühl,‘ sagte Anna, setzte, ohne zu fragen; die Ruder in Bewegung und fuhr heimwärts. Wir wechselten kein weiteres Wort.
Ich konnte in der folgenden Nacht nur wenig schlafen. Mit der bloßen Möglichkeit, daß sich ein weibliches Herz dem armen Krüppel anders zuwenden sollte, als in freundschaftlicher Theilnahme, hatte ich längst und vollständig abgeschlossen. Auch hätte Anna’s Offenheit mich beruhigen können; dennoch tauchte der eine kurze Blick, welcher so beredt gesprochen, durch Dunkelheit und Schweigen immer wieder auf. Arglos, wir unser Verkehr seit Jahren gewesen, bot er doch, nun ich darüber nachsann, gar manches, um eine junge, unbeschäftigte Phantasie zu reizen. Der Gedanke, daß Anna mich lieben könne und sich dessen bewußt sei, beunruhigte mich mehr, als ich mir zugeben wollte. In der Seele dieses Kindes lag bei aller Fröhlichkeit etwas Tiefgründiges; was sie erfaßte, hielt sie fest. Das Unbehagen, durch Sorglosigkeit etwas groß gezogen zu haben, was sich nicht mehr ungeschehen machen ließe, hielt aber nicht Stand – weder vor meinem reinen Bewußtsein, noch vor der Ueberlegung, daß es sich hier doch um ein halbes Kind handle.
Ich beschloß, mit offenen Augen zu prüfen, ob ich mich nicht vielleicht ganz und gar getäuscht. Im unerwünschten Falle gab es einen sicheren Weg, das gewiß erst keimende Unheil in sein Nichts aufzulösen: das alte bewährte Mittel der Entfernung. Die Angelegenheit Klein’s bedurfte auf alle Fälle der Vertagung; ich nahm mir vor, die Eltern und, wenn mir dazu Gelegenheit werden sollte, den Freier selbst auf Geduld zu verweisen, da Anna wirklich zu jung sei, als daß es gerathen erscheine, sie zu überreden. Was ich mir während der Nacht so verständig zurecht gelegt, erschien noch viel richtiger im Lichte des Tages. Ein Brief Klein’s bestärkte mich. Es mochte seiner etwas zurückhaltenden [251] Natur leichter erschienen sein, mir eine schriftliche Beichte abzulegen, statt der mündlichen.
Die Art, wie er trotz seiner knappen Ausdrucksweise durchblicken ließ, daß ihm Anna tief in’s Herz gewachsen, rührte mich. Er faßte ihre Weigerung nur als Folge der Ueberraschung auf und rechnete auf die Zeit. Daß er, dem Anna’s täglicher Verkehr mit mir bekannt war, gar nicht auf den Gedanken kam, hierin die Ursache ihres Nein zu suchen, bewies schlagend genug, in welchem Licht der Verstümmelte unbefangenen Augen erschien.
Das alte Leben nahm seinen Fortgang. Nicht für lange Zeit! Kaum sichtbare Fäden spannen unmerklich ein Netz um mich, das mich nicht mehr frei athmen ließ. Nichts schien verändert, und doch war alles anders. Nicht das Kind sah ich mehr – ich sah das junge Mädchen. Einfluß auf sie zu üben war ich gewöhnt, nun aber erschütterte es mich seltsam, wenn ich das süße Gesicht bei meinem flüchtigsten Wort mit Sonnenschein oder Bestürzung füllte. Bis in’s Herz, bis in jeden Nerv hinein empfand ich, daß dieses liebliche Leben mit allen Athemzügen mein war. Nun wäre es Zeit gewesen, den Vorsatz zur That werden zu lassen: zu gehen. Dennoch zögerte ich. Gedanken, die ich zuvor nie gedacht, waren in mir lebendig geworden und kehrten wieder und wieder, so oft ich sie auch verscheuchte. Warum das Gut nicht halten, das mir ein freundliches Geschick zubereitet? Wo steht geschrieben, daß ein Enterbter auf jeden möglichen Gewinn verzichten müsse? Dieses Kind an meiner Seite, mir zugehörig lebenslang – und ich wäre geborgen. Der beste Theil dessen, was mir geraubt worden, war dann ersetzt; Liebe und Güte, süße Jugend mit all ihrem heiteren Reiz würden viel Entbehrung aufgewogen haben. Was dem schlichten Mädchen noch fehlte, sie zur ebenbürtigen Gefährtin auch des Anspruchsvollsten zu machen, konnte ich selbst ihr geben; denn Alles in ihr war Fähigkeit. Und sie, die mit jeder Faser an mir hing, die zu lieben verstand – sie, deren beschwingte Seele alles Höchste aus Instinct begriff, die in Musik lebte wie ein Vogel in den Lüften – würde sie an meiner Seite nicht glücklicher sein als an der des klugen, guten, aber nüchternen Mannes, der um sie warb? – Während der Nachtstunden gewannen solche Gedanken eine namenlose Macht über mich, lockten so lieblich verheißend, daß sie mich unwiderstehlich in ihren Ring schlossen. Bei Tage freilich, wo jede unwillkürliche Geberde mich daran erinnerte, welch ein Krüppel es war, der sich in Träumen von Liebe und Ehe verlor, standen andere Geister auf. Da empfand ich scharf und klar, daß es Mißbrauch und Sünde wäre, ein kaum erwachtes Leben, das sich selbst noch nicht verstand, keinen Begriff davon hatte, was die Ehe sei, an mich zu fesseln. Meine Ruhe schwand unter ewig wiederholten Kämpfen. Ich hatte geglaubt vom Banne der Natur losgerungen zu sein, und er umspann mich stärker von Tag zu Tage. Endlich, nach einer Nacht großer Qual, rang sich der entscheidende Entschluß durch.
Wiederholt war mir, zur Beschwichtigung öfters auftretender Schmerzen, ein Curgebrauch in Wiesbaden angerathen worden. Ich hatte mich stets dagegen gesträubt, da ich die großen Unbequemlichkeiten der für meinen Zustand weiten Reise mehr scheute, als zeitweiliges, ziemlich erträgliches Leiden. Nun beschloß ich, dorthin zu gehen, mit der unausgesprochenen Absicht, nicht wieder nach der Insel zurückzukehren. Joseph war sehr zufrieden, als ich ihn hieß, alles für die Reise Nöthige vorzubereiten, aber im Gärtnerhause wurde lautes Bedauern ausgesprochen; nur Anna sagte kein Wort. Während der Tage, welche vergehen mußten, bis Antwort auf schriftliche Wohnungsbestellung einlief, war sie blaß und schweigsam, ging und kam aber in gewohnter Weise. Ich selbst wich jeder Berührung meiner nahen Abreise aus; am liebsten wäre ich Anna’s Augen ausgewichen, die traurig blickten wie in unausgesprochenem Wehgefühl.
Als Anna am Vorabend meiner Abreise zur gewohnten Stunde in die Villa kam, brachte sie einen Brief mit, schüttelte aber den Kopf, als ich die Hand danach ausstreckte.
‚Nicht an Sie, doch Sie sollen ihn nachher lesen. Erst singen wir zu guter Letzt, nicht wahr?‘
Sie legte den Brief auf den Tisch; ein flüchtiger Blick auf die Adresse zeigte mir Klein’s Handschrift. Nagende Unruhe überkam mich fast wie ein physischer Schmerz.
‚Laß!‘ sagte ich, als Anna im Begriff war, den Flügel zu öffnen. ‚Ich bin heute nicht aufgelegt Musik zu machen. Lesen wir etwas, oder plaudern wir lieber! Gieb mir den Brief!‘
‚Später!‘ sagte sie, leicht die Hand darauf legend, und setzte sich mir gegenüber.
Ich blätterte in einigen Heften und bezeichnete bestimmte Seiten darin.
‚Hier habe ich Dir Aufgaben notirt,‘ warf ich in der halben Zerstreuung hin, welche sich unser bemächtigt, wenn wir nicht sagen können, was wir sagen möchten. ‚Wirst Du so fleißig sein, wie Du Dir vorgenommen hast, während ich fort bin?‘
Sie antwortete nicht; ihr Köpfchen auf die linke Hand gestützt, neigte sie sich etwas über den Tisch hin, mir entgegen. Dann sagte sie ganz leise und eindringlich:
‚Werden Sie wieder kommen?‘
Die unerwartete Frage traf so hart mit meinem Bewußtsein zusammen, daß ich fühlte, wie mir das Blut bis unter die Haare stieg.
‚Ich wußt’ es wohl,‘ sagte sie, als sei mein abgewandter Blick Antwort genug. ‚Warum thun Sie uns das an? Ihnen selbst wird nirgend so wohl sein, wie hier.‘
Die lieben Augen voll Trauer und Innigkeit ließen mir das Herz überfließen.
‚Nirgend, nirgend wie hier,‘ wiederholte ich erschüttert. ‚Und doch muß ich gehen. Um Deinetwillen, Anna, nicht um meinetwillen muß ich gehen.‘
Sie blickte mich mit leuchtender Zärtlichkeit an:
‚Herr Klein sagte einmal drunten bei uns, es wäre traurig, daß Sie keine Frau hätten, Sie zu pflegen. Er meinte auch, jetzt wäre es zu spät. Wenn Sie mich aber lieb haben? Ich würde Ihnen eine gute Frau sein – und – und – glückselig.‘
‚Nie! niemals!‘ rief ich heftig.
Der Glanz in ihren Augen erlosch. ‚Vergeben Sie!‘ sagte sie tonlos; ‚ich habe mich geirrt; Sie machen sich nichts aus mir.‘
Ich sah sie an, und während unter meinem Blicke feines Roth in ihrem zarten Gesichtchen aufstieg, fühlte ich, daß es Zeit war, zu Ende zu kommen, wenn ich vor mir selbst bestehen wollte.
‚Du weißt das besser, Anna; wir wissen es Beide. Was Du denkst, kann sich aber nie erfüllen. Mein Schicksal ist vorgezeichnet; ich muß einsam bleiben, wenn ich in meinen eigenen Augen rechtschaffen bleiben will. Nimmermehr soll Dein junges Leben an das eines alternden Invaliden gekettet werden.‘
Sie drückte die Augen halb zu und lächelte.
‚Wir müssen beisammen sein,‘ sagte sie mit ihrer klaren Stimme. ‚Um so besser für mich, wenn Sie mir nicht weglaufen können! Und um all die Jahre, die Sie älter sind als ich – fünfzehn, glaube ich, oder sechszehn? – sind Sie auch klüger; ist das nicht wieder gut?‘
Plötzlich erstarb ihr Lächeln; lautlos wie ein Schatten huschte sie herüber, glitt neben meinem Sessel auf die Kniee und stützte die gefaltete Hände auf dessen Armlehne.
‚Was Sie sagten, war also Ihr Ernst?‘ athmete sie, und ein dunkler Blick drang in meine traurigen Augen. ‚Das kann ich aber nicht verstehen. Es giebt doch nur Eins: daß man sich lieb hat – was kommt auf das Uebrige an? Ich aber habe Sie über Alles lieb; bei Ihnen sein, ist mein Leben. Gehen Sie fort und kommen Sie nicht wieder, dann gräme ich mich zu Tode.‘
So überzeugt, so schlicht sprach sie das hin, daß es mich überwältigte. Ich neigte mich und faßte das tiefernste Gesichtchen zwischen meine beiden Hände. In der Erregung hatte ich mich selbst vergessen; die Mahnung blieb nicht aus. Jede rasche, unberechnete Geberde läßt mich mein Elend unmittelbar empfinden. Es überlief mich kalt.
‚Anna,‘ sagte ich feierlich, ‚ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen, daß Du nie mein Weib werden sollst. Die Zeit wird kommen, wo Du das verstehst. Ist Dir mein Friede lieb, so laß mich ziehen und zähle auf kein Wiedersehen! Muß ich denken, daß Du Dich grämst, so wird mich das elend machen, aber es ändert nichts. Gehe nun, geh – Gott sei mit Dir, Gott sei mit Dir, mein Frühlingsblümchen!‘
Anna erhob sich und verbarg ihr Gesicht; ich hörte ihr leises Schluchzen. Im nächsten Augenblicke berührten ihre Lippen meine Hand. Dann war sie hinaus.
Als ich eine Stunde später im Begriff war, mich nach meinem Schlafzimmer bringen zu lassen, streifte ich im Aufstützen [252] etwas vom Tische nieder. Es war der Brief, den Anna dorthin gelegt. Joseph hob ihn auf und reichte ihn mir. Ehe mein Licht erlosch, hatte ich erfahren, daß Berthold Klein nach der Rheinprovinz versetzt war und seine Anfrage um Anna’s Hand wiederholte.
Tags darauf sollte ich reisen; es war ein Sonntag. Frau Brunner kam zur Frühstückszeit in’s Schlößchen und brachte mir einen Strauß Orangeblüthen.
‚Das schickt Ihnen die Anna,‘ sagte sie, ‚und ich soll einen schönen Gruß bestellen und glückliche Reise wünschen. Sie ist eben abgefahren zum Hochamt, in’s Klösterchen. Nehmen Sie’s ihr nicht übel, daß sie nicht gewartet hat! Ich glaub’, sie hat sich nur fort gemacht, weil ihr der Abschied zu nahe geht. Die Blüthen sind von dem Bäumchen, das sie sich in ihrer Stube selbst gezogen hat.‘
Ich ließ mich zum Fenster rollen und blickte hinaus in den Sommertag. Sonntagsglocken hallten über den See; das Schiffchen war schon weit vom Lande und wurde immer kleiner. Fern flatterte ein Tuch. Ich drückte meine heiße Augen in die duftenden Blüthen. Ade, ade! –
Eine Woche mochte seit meiner Ankunft in Wiesbaden vergangen sein, als ich durch einen Brief von Klein überrascht wurde. Er theilte mir mit, daß Anna Brunner ihm ihr Jawort gegeben und eingewilligt habe, ihm sogleich nach dem neuen Wohnorte zu folgen. Unverhohlen sprach er aus, daß Anna wohl mehr dem Wunsch ihrer Eltern nachgegeben, als ihrem eigenen, daß er aber fest überzeugt sei, ihre wärmere Zuneigung zu gewinnen. Nun auch ich geschieden, passe Anna nicht mehr in die dortigen Verhältnisse – das habe ihn bestimmt, keinem allzu ängstlichen Bedenken Raum zu geben; er glaube sicher, Glück bieten und erwarten zu können.
Als ich vernahm, wie rasch sich erfüllte, was ich als noch fernes Zukunftsbild betrachtet hatte, war ich anfangs sehr betroffen. Im nächsten Moment begriff ich Anna’s Entschluß. Sie wußte, daß mir die Insel zur Heimath geworden war; ich hatte das manches Mal ausgesprochen; sie wußte auch, daß ich um sie bangte. So ging sie, damit ich wiederkehre, gab sich hin, damit ich ruhig sei. Zuerst erschien mir dieses Opfer unnatürlich, überspannt; dann ergab ich mich in den Gedanken. Vielleicht wäre später nie geschehen, was jetzt einer hochgespannten Empfindung entsprungen war. Ich kannte die Beiden, deren Loos sich vereinte – es mußte zum Guten führen.“
Isen hielt inne.
Etwa eine Stunde mochte verflossen sein, seit er zu sprechen begonnen. Der Abend dämmerte herein; ein Windstoß ging über die Höhe. Joseph tauchte hinter dem Säulentempel auf, vor welchem wir saßen, und legte schweigend den Plaid um die Schultern seines Herrn.
„Ich weiß schon,“ nickte Isen und sah den Alten freundlich an. „Gleich geht’s nach Hause.“
„Wir sind bald zu Ende,“ sagte er, als wir wieder allein waren. „Von mir – was ließe sich da berichten? Ich blieb bis zum Spätherbst in Wiesbaden und siedelte dann nach Frankfurt über. Klein gab zuweilen Nachricht; jeder Brief pries sein wolkenloses Glück. Anna füllte sein Haus mit Lieblichkeit und Freundlichkeit, wie sie die kleine Welt ihrer Heimath gefüllt. Im Frühjahr schrieb er besorgt, seine Frau sähe nicht frisch aus, obgleich sie sich immer heiter und thätig zeige. Der Arzt erkläre den Zustand für Heimweh, und er habe vor, Urlaub zu nehmen und sie zur Rosenzeit nach der Insel zu bringen. Daß ihm gestattet würde, die von mir bewohnten Zimmer im Schlößchen benutzen zu dürfen, hoffe er zu erreichen.
Nachdem ich lange ohne Nachricht geblieben war, erhielt ich im zweiten Sommer einen schwarzgesiegelten Brief, dessen Adresse die mir durch ihre Rechnungen wohlbekannte Schrift der Frau Brunner zeigte. Das Frühlingsblümchen war vergangen und schlief im Schooß seiner heimathlichen Erde.
‚Wir meinten immer, sie hätte Heimweh,‘ schrieb die Mutter, ‚das muß es aber doch nicht gewesen sein; denn es ist auch hier nicht besser mit ihr geworden. Ach, wenn die Kinder in so einem feuchten Hause aufwachsen müssen! Der Herr Schwiegersohn wird später selbst einmal schreiben. Jetzt ist er wie von sich. Die Anna hat ihm aber auch Alles gethan, was sie ihm nur an den Augen absehen konnte. Wir dachten nicht, daß es Gefahr mit ihr hätte, freilich sah sie gar schmächtig aus, im Uebrigen aber war sie ganz wie sonst, nur singen mochte sie nicht mehr. Wie ein Licht ist sie ausgelöscht – drüben im Gartensaal. Am letzten Tag hat sie mir noch einen Gruß an Herrn Isen aufgetragen.‘“
Er klopfte an die Innenwand seines Wagens. Der Alte kann herbei, rückte sorglich die Kissen zurecht, welche den gebrechlichen Körper stützten, und schickte sich an, das Fuhrwerk in Bewegung zu setzen. Isen wendete den schönen Kopf zu mir auf. „Viele betrachten den Tod als etwas Dunkles und Schweres,“ sagte er, „und doch ist er das vornehmste Geschäft unter allen Geschäften des Lebens. Wir alle sind zum Vergessen geneigt; keiner vergißt aber seine Todten.“
Zwei Opernscenen. (Abbildungen auf Seite 248 und 249.) Der eifrige Theatergast erkennt die Bedeutung der beiden Bilder auf den ersten Blick. Aus Rossini’s Oper „Der Barbier von Sevilla“ stellt uns Hermann Kaulbach, des großen Wilhelm Sohn, die Scene des zweiten Actes dar, in welcher Graf Almaviva, als Musikmeister verkleidet, am Clavier mit seiner Geliebten, Rosine, über deren Flucht und Rettung aus den Klauen ihres Vormundes, Doctor Bartolo, verhandelt, während dieser von dem Barbier Figaro unter dem Scheermesser festgehalten wird. – Das andere Bild führt uns vor die letzte Scene in Mozart’s „Don Juan“, doch nicht streng nach den Textesworten der Oper. Nach diesen scheidet Elvira von Don Juan, nachdem sie ihn vergeblich um Reue und Besserung angefleht, mit der Verwünschung: „So bleib’ ein Sclave all Deiner Lüste! Wahrlich der Strafe wirst Du nicht entgehn,“ sieht dann, die Thür öffnend, den heranschreitenden Comthur und entflieht wehklagend auf der andern Seite der Bühne. Jetzt gebietet Don Juan dem Leporello: „Was war der Närrin? Geh doch hin und sieh hinaus!“ und da dieser aus Furcht sich weigert, so öffnet er selbst dem draußen Pochenden; der Gouverneur tritt ein, und Leporello kriecht unter den Tisch. Hermann Kaulbach hat im Bilde die getrennten Auftritte vereinigt, indem er Elvira dem unverbesserlichen Sünder den zu Roß herankommenden „steinernen Gast“ zeigen und Leporello vor diesem Anblick sein Versteck suchen läßt.
Hermann Kaulbach, jetzt ein Mann von vierunddreißig Jahren, war erst Mediciner, ehe er für die Kunst gewonnen und gebildet wurde, und zwar geschah dies nicht durch den Vater, sondern durch Piloty, dessen Schule er 1874 verließ. Von seiner reichen productiven Ader legen bereits eine große Zahl gefälliger Compositionen Zeugniß ab; die beiden Bilder, welche wir diesmal den Lesern vorführen, sind dem jüngst durch Photographie verbreiteten „Opern-Cyclus“ (Berlin, Carl Brack. 8 Blätter) des jugendlichen Meisters entnommen.
In Deutschland verschollen. Am 11. Februar dieses Jahres hat sich der Gymnasiallehrer Dr. Wilhelm Kobus aus Braunschweig (Alter siebenundzwanzig Jahre, Statur mittelgroß, kräftig, Haar und Vollbart braun, Gesichtsfarbe gesund, Nase gebogen, goldene Brille) in einem Anfalle von Schwermuth aus der Dr. Müller’schen Heilanstalt für Nervenleidende zu Blankenburg am Harz heimlich entfernt. Am Abend desselben Tages gab er die letzte telegraphische Nachricht aus Halle an der Saale. Seitdem sind alle Bemühungen auf privatem und polizeilichem Wege, Kunde über sein weiteres Verbleiben zu erhalten, erfolglos gewesen. Die unglückliche Mutter, deren einziger hoffnungsvoller Sohn er war, versucht nun dieses letzte Mittel, eine Spur des Verschollenen aufzufinden, und bittet Alle, die irgend etwas, auch das Geringste, zur Aufklärung beizubringen vermögen, davon Mittheilung an die Redaction der „Gartenlaube“ gelangen zu lassen.
Ernst Victor Hfm. in Fr. Allerdings! Die „Gartenlaube“ wird die Pflicht nicht verabsäumen, die hohen Verdienste des vor einigen Wochen heimgegangenen J. J. Weber, des Begründers der „Illustrirten Zeitung“ in Leipzig, seiner Zeit in einem größeren Artikel gebührend zu würdigen.
O. P. In Nr. 38 von 1875.
Danzig. Nein.
- ↑ Diejenigen Leser, welche genauer von diesen Dingen Kenntniß zu nehmen wünschen, verweist der Verfasser auf sein Werk „Die deutsche Socialdemokratie“. Dritte Auflage. Bremen, Schünemann.