Die Gartenlaube (1857)/Heft 43
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No. 43. | 1857. |
„Wohlan, so hören Sie denn,“ fuhr Alexander fort. „Ich habe Ihnen auf der Jagd erzählt,“ sagte er leise, „daß mich ein ungetreues Weib schmählich verrathen, daß es mir die heiligsten Eide gebrochen hat?“
„Ich erinnere mich.“
„Sie selbst nannten sie eine Treulose.“
„Und wer ist diese Treulose?“
„Ihre Frau!“ rief Alexander triumphirend.
Wilhelm fuhr betroffen zurück.
„Meine Frau!“ murmelte er. „Das ist nicht übel.“
„Ja, Ihre Frau, Herr Dewald! Sie sehen, daß ich Ihrer Ruhe wegen nicht bleiben kann.“
„Meiner Ruhe wegen?“ fragte Wilhelm lächelnd. „Wenn Sie keinen andern Grund zur Abreise haben, so bleiben Sie.“
„Wie?“
„Ich wiederhole es, bleiben Sie, mein Herr!“
Alexander fühlte sich durch die ruhige Sicherheit verletzt, mit der diese Worte an ihn gerichtet wurden. Seine Eitelkeit erwachte.
„Gut,“ sagte er nach einer Pause, „so will ich denn bleiben; aber nur um ihr zu beweisen, daß sie mir völlig gleichgültig ist.“
„Er will sich rächen!“ dachte Wilhelm.
„Wenn ich abreiste, würde sie glauben, die Verzweiflung triebe mich fort – diesen Triumph will ich ihr nicht bereiten. Ich gehe selbst noch weiter: ich werde den Rath Ihres Onkels befolgen – bei Gott, das ist ein großer Gedanke! Ich werde mich in die reizende Albertine verlieben – ich bin sogar schon in sie verliebt! Ich bete sie an, ich vergöttere sie!“
„Sie fangen rasch Feuer, Herr von Windheim!“
„Zu meinem, zu Ihrem Glücke. Mein Herr, dafür, daß Sie mir die Geliebte entführt haben, zeigen Sie sich jetzt gefällig.“
„Was kann ich thun?“ fragte Wilhelm.
„Sie sind mit der reizenden Albertine befreundet; sagen Sie ihr, daß ich reich, von Adel, sanfter Gemüthsart, guten Charakters, treu und zärtlich bin – mit einem Worte, stellen Sie meine Eigenschaften, die Sie kennen und die Sie nicht kennen, in das hellste Licht.“
„Mein Herr, Albertine ist nicht reich.“
„Desto besser; so bereichere ich sie durch mein Vermögen. O, es ist ein süßes Glück, die Geliebte glücklich zu machen!“
Wilhelm bot Alles auf, den Entschluß des sonderbaren Menschen schwanken zu machen.
„Albertine,“ fuhr er fort, „ist keine wahre Schönheit. Ihre Züge sind, in der Nähe gesehen, grob.“
„Mein Herr, die Schönheit ist Geschmackssache!“ rief der aufgeregte Alexander.
„Aber sie ist kokett!“
„O, welche Frau wäre das nicht?“
„Und entsetzlich launenhaft.“
„Desto besser! Die Launen machen ein hübsches Mädchen in den Augen des Liebhabers um so interessanter. Albertine vereinigt die Eigenschaften von zehn anderen Frauen. Es bleibt dabei, ich werbe um die Gunst der schönen Albertine.“
„Mein Herr, ich kann Ihnen nicht beistehen, ich werde selbst zu verhindern suchen – –“
Alexander fuhr auf.
„Wie,“ rief er, „auch diesmal wollen Sie mir in den Weg treten? Vergessen Sie nicht, daß Sie mir bereits die erste Geliebte genommen haben. Sie sind eifersüchtig auf Ihre Frau, wie Sie vorhin sagten, und jetzt wollen Sie zwischen mich und Albertinen treten – mein Herr, was soll ich davon denken?“
Dewald begriff, daß er sich von seiner Eifersucht hatte zu weit hinreißen lassen; er durfte sich ja auf den Takt und die Festigkeit seiner Frau verlassen.
„Mein Herr,“ sagte er mit kalter Artigkeit, „thun Sie, was Sie wollen; aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß all’ Ihr Bemühen vergebens sein wird. Albertine ist kalt, gleichgültig, Extravaganzen findet sie lächerlich und den Ehestand haßt sie. Wie gesagt, thun Sie, was Sie für gut halten. Ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen!“
Alexander von Windheim verneigte sich mit kalter Eleganz.
„Leuchte dem Herrn die Treppe hinab, Tobias!’ rief er dann.
Tobias kam dem Befehle nach. Wilhelm Dewald verließ das Forsthaus und eilte nach der Solitüde zurück.
„Wir bleiben!“ sagte Alexander, als der Diener das Licht zurückbrachte. „Besorge mir ein Abendessen.“
Der Alte verließ brummend das Zimmer.
„Wie, Herr Dewald,“ dachte der Edelmann, „Sie wollen mir zum zweiten Male hinderlich sein? Ah, das ist ein Grund mehr, bei meinem Entschlusse fest zu verharren. Louise wird vor Zorn weinen, wenn ich über die gelungene Rache triumphire. Die Ungetreue hat es nicht besser gewollt, ich habe durchaus keinen Grund, mir Vorwürfe zu machen. Mag es ausfallen, wie es will, ich werde mich um Albertinen bewerben.“
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Der Consul war seit der Ankunft der jungen Leute heiter geworden, sein ganzes Wesen hatte sich verändert. Louise, die vermeintliche Nichte, war der Gegenstand seiner größten Sorgfalt und Zärtlichkeit. Ihr munteres, fast übermüthiges Wesen fand er reizend, und ihren Widerspruchsgeist nannte er Scharfsinn. So oft er konnte, sprach er mit ihr von ihrer verstorbenen Mutter. Bei solchen Gelegenheiten fügte er stets die Ermahnung hinzu: „bleiben Sie Ihrem Manne getreu, liebe Louise, denn Sie beglücken dadurch Ihren alten Onkel, der nur noch kurze Zeit zu leben hat.“ Gerührt entfernte er sich nach einer solchen Unterredung, um sich in seinem Zimmer einzuschließen.
„Das ist wirklich ein seltsamer Mann!“ dachte Louise. „Aber wie soll das enden? Fast bereue ich, daß ich mich zu dieser Rolle hergegeben habe. Die Lösung wird eine ganz andere werden, als die, die wir vermuthen.“
Wilhelm Dewald war immer noch der glühende Liebhaber seiner Frau, und wie alle Liebhaber, so ward auch er auf jeden jungen Mann eifersüchtig, der sich ihr nahete. Alexander war ohne Widerrede ein schöner Mann und seine Sonderbarkeiten mußten ihn interessant machen. Auch die Eitelkeit mischte sich in das Spiel; er war stolz, der Mann einer so schönen, liebenswürdigen Frau zu sein. Fürchtete er auch die Untreue Albertinens nicht, so dachte er doch mit einem bittern Gefühle daran, daß sie den bizarren Edelmann interessant finden könne. Er nahm sich vor, den Plan desselben zu verschweigen und still zu beobachten, wie Albertine sich benehmen würde. Es war dies eine Probe, die seine Eitelkeit sich nicht versagen konnte. Ein König ist nicht frei von der Eitelkeit auf seinen Thron, auf seine Macht – es ist verzeihlich, wenn ein junger Ehemann eitel auf den Besitz seiner schönen Frau ist. Das quid pro quo, das er dem grillenhaften Onkel spielte, trat für den Augenblick in den Hintergrund. Man sieht, Herr Wilhelm Dewald besaß außer der Eitelkeit auch einen hohen Grad von Leichtsinn.
Beim Frühstück am andern Morgen flüsterte Louise ihm zu:
„Wie haben Sie den Weiberfeind verlassen?“
„Er will sich rächen.“
„Wodurch?“ fragte Louise erröthend.
„Ich weiß es nicht.“
„Suchen Sie ihn so lange zu fesseln, bis ich meine Maske ablegen kann.“
„Zählen Sie darauf.“
„Aber säumen Sie nicht mit der Lösung, die Rolle ist mir zu schwer.“
„Sie liebt den Kecken!“ dachte Dewald. „Desto besser!“
Zur Zeit des Mittagstisches erschien Alexander in großer Toilette. Er war zu Pferde in den Hof der Solitüde gesprengt.
„Vortrefflich,“ rief der Consul, „da kommt unser Philosoph! Wahrlich,“ fügte er hinzu, indem er durch das Fenster sah, „der Edelmann sitzt gut zu Pferde.“
Albertine warf Louisen einen Blick zu. Diese lächelte zufrieden über das Lob, das der Onkel so eben ausgesprochen hatte. Der Neffe hatte es bemerkt; unwillkürlich warf er einen Blick durch das Fenster: er mußte sich eingestehen, daß Alexander graziös und leicht vom Pferde stieg. Man lud den Gast zu Tische, und er blieb. Alexander sprach lebhaft und viel; aber kein Wort verrieth sein Verhältniß zu Louisen, die sich Mühe gab, ihre heitere Laune zu bewahren, um den Consul zu täuschen, der an ihrer Seite saß. Außer dem Consul affectirten alle Gäste eine Unbefangenheit, die ihnen fremd war.
Nach Tische schlug der Consul einen Spaziergang nach seinem Karpfenteiche vor, der am äußersten Ende des Gartens lag. Er befahl, daß Dewald seine Gattin und Alexander Albertinen führe. „Vielleicht stoße ich sein philosophisches Gebäude um!“ flüsterte er dem Neffen zu.
Die Paare, von dem Consul geführt, gingen in den Garten. Louise und Wilhelm befanden sich in einer eigenen Situation: das junge Mädchen konnte sich der Eifersucht auf Albertinen und der junge Mann der Eifersucht auf Alexander nicht erwehren. Der Consul ward nicht müde, sie zu unterhalten.
Alexander hatte mit seiner Dame einen Seitenweg eingeschlagen.
„Verzeihung,“ sagte erschreckt Albertine, „der Teich liegt dort!“
„Folgen Sie mir, ich bitte, mein Fräulein. Auch dieser Weg führt zum Ziele.“
„Ich fürchte nur –“
„Fürchten Sie, mit mir allein zu bleiben?“
„Man sagt, Sie lieben die Einsamkeit.“
„Und man hat Ihnen die Wahrheit gesagt, mein liebes Fräulein; aber die Einsamkeit hat für mich tausend Reize mehr, wenn eine so liebenswürdige Dame sie verschönt!“
Albertine errieth die Absicht des Sonderlings.
„Ah,“ rief sie lächelnd, „ich glaube, mein Herr, Sie werden galant!“
„Können Sie sich darüber wundern?“ fragte Alexander, der um so eifriger ward, je mehr sich Louise und Wilhelm von ihm entfernten.
„Sie haben ja den Frauen ewigen Haß geschworen!“
„Meine liebe Dame, ich fühle mich gedrungen, Ihre Meinung von mir zu berichtigen. Ja, ich hasse, aber nur die frivolen, die ungetreuen Frauen, denen ein Schwur Nichts ist; Bescheidenheit, Tugend und Sittsamkeit sind mir heilig, ich vergöttere sie. Als ich Sie gestern allein im Walde sah, mußte ich mir auf den ersten Blick eingestehen –“
„Herr von Windheim,“ rief Albertine lachend, „ich glaube, Sie wollen mir den Hof machen! Wenn Sie aus diesem Grunde mich von der Gesellschaft entfernt haben, so muß ich Ihnen bemerken –“
Sie unterbrach sich, um nicht zu viel zu sagen. Alexander sah, daß sie erröthete.
„Es ist Schade,“ murmelte er, „daß diese lieblichen Züge eine kalte, gleichgültige Seele bedecken!“
„Wer hat Ihnen das gesagt?“
„Ich weiß es!“ antwortete Alexander seufzend.
„So nehmen Sie die Versicherung, daß man mich Ihnen falsch geschildert hat. Ja, wahrlich, man hat mich bei Ihnen zu verleumden gesucht!“
Alexander betrachtete einige Augenblicke die reizende junge Frau; er fand es erklärlich, daß Wilhelm Dewald ihn von ihr fern zu halten suchte.
„Ich würde mich glücklich preisen,“ sagte er bewegt, „wenn Sie einer zärtlichen Neigung nicht unfähig wären.“
„Aber warum denn nicht, mein Herr?“
„Wie, mein liebes Fräulein, Ihr Herz wäre nicht unempfindlich?“
„Leider empfindet es in dieser Einsamkeit nur zu viel!“ flüsterte Albertine seufzend.
Man setzte den Weg schweigend fort.
„Sie seufzt, ist verlegen,“ dachte Alexander; „das ist ein gutes Zeichen, ich darf offen reden, ohne eine Blamage zu fürchten.“
Die beiden Spaziergänger traten in einen Weg, der von Rebengeländen bedeckt ward. In weiter Entfernung hörte man die Stimme des Consuls, der laut von seinen Gartenanlagen sprach. Als Alexander sah, daß er sich mit seiner Dame allein befand, ergriff er sanft ihre Hand, blieb stehen und sah ihr zärtlich in das Gesicht. Er fühlte wirklich eine Anwandlung von Liebe zu der schönen Frau, die züchtig erröthend vor ihm stand.
„Albertine,“ flüsterte er mit bewegter Stimme, „ich kann diesen glücklichen Augenblick nicht entschwinden lassen, ohne Ihnen schüchtern das Bekenntniß abzulegen, daß ich Sie liebte, als ich Sie sah, und daß ich Sie anbete, nachdem ich Sie gesprochen habe. Ich bin jung, habe dreißigtausend Thaler jährlicher Renten, kann über meine Hand und mein Vermögen disponiren und lege Ihnen Beides zu Füßen. Man hat mir gesagt, daß Sie nur die verständigen Leute lieben – glauben Sie mir, die Stimme meines Verstandes spricht eben so laut, als die Stimme meines Herzens. Verlassen Sie mich nicht, ohne mir eine Antwort zu geben. Ich würde, verschmähen Sie mich, der Verzweiflung anheimfallen.“
Bestürzt hatte Albertine dieses Bekenntniß gehört, denn sie gedachte mit Schmerz der Freundin, deren Verhältniß zu dem jungen Manne sie kannte. Um[WS 1] einen Weg einzuschlagen, der zur Versöhnung führen konnte, nahm sie zur Unbefangenheit ihre Zuflucht.
„Ist es möglich, mein Herr?“ rief sie aus, ohne ihm ihre Hand zu entziehen. „Sie kennen mich kaum, und schon tragen Sie mir Ihre Hand an?“
[587] „Weil Sie das Wesen sind, dessen Besitz mich glücklich machen kann!“
Albertine senkte lächelnd die Augen.
„Sie willigen ein?“ rief Alexander außer sich. „Ich bin der glücklichste der Menschen! O, wiederholen Sie mir dieses süße Geständniß!“ fügte er dringend hinzu, indem er einen Kuß auf ihre Hand drückte.
„Mein Herr,“ stammelte Albertine, „ich habe ja noch Nichts gesagt.“
„Aber die Blicke Ihrer schönen Augen verrathen Alles! Ich fordere keine Worte, aber bestätigen Sie durch einen Blick, durch einen Druck der Hand, daß ich hoffen darf!“
Mit der romantischen Schwärmerei, die einen Hauptzug seines Charakters bildete, sank er zu Albertinens Füßen nieder.
In demselben Augenblicke erschien Wilhelm, der, von Eifersucht getrieben, rasch durch das Rebengelände trat. Bestürzt blieb er zwischen den gelben Weinblättern stehen. Das hatte er nicht gedacht. Alexander sah ihn. Triumphirend lächelnd erhob er sich und küßte noch einmal die Hand Albertinens, die ihren Mann, da er hinter ihrem Rücken stand, nicht bemerkte.
„Verlassen Sie mich!“ flüsterte Albertine.
„Jetzt? Ich führe Sie zu dem Consul und eröffne ihm, daß Sie –“
„Nicht eher, bis ich Ihnen die Erlaubniß gebe, zu reden!“
„Und Sie halten Ihr Versprechen?“
„Gewiß, was ich versprochen, werde ich halten!“
„Ah, Albertine, wie liebe ich Sie!“
„Beweisen Sie es.“
„Wie?“
„Indem Sie ohne mich zu der Gesellschaft gehen. Ich bin so aufgeregt –“
„Albertine, ich entferne mich, um Ihnen zu zeigen, wie gern ich Ihren kleinsten Wunsch erfülle!“
Alexander entfernte sich; er suchte Dewald mit den Blicken – Der überraschte Ehemann war hinter die Reben zurückgetreten, um von dem höhnenden Elegant nicht mehr gesehen zu werden. Kaum war der Elegant verschwunden, als Wilhelm rasch seiner Frau entgegentrat.
„Madame,“ sagte er mit zorniger Aufwallung, „ich bewundere Siel“
Albertine wollte ihm freundlich die Hand reichen; er wies sie zurück.
„Was hast Du, Wilhelm?“
„Sie verstehen es, diesen Wahnsinnigen zu ermuthigen.“
„Wilhelm,“ sagte die junge Frau vorwurfsvoll, „kannst Du wirklich glauben, daß ich meine Pflichten vergesse? Hast Du so wenig Vertrauen zu Deiner Frau –“
„Eine Frau fühlt sich geschmeichelt, wenn sie hört, daß sie ein Mann liebt. O, über die Eitelkeit der Frauen! Sie fehlten schon Ihrer Pflicht, indem Sie den Narren anhörten!“ fuhr Dewald gereizt fort. „Sie mußten ihn abweisen.“
„Konnte ich denn? Er ließ mir nicht die Zeit, ein Wort zu entgegnen.“
„Madame, eine Frau besitzt immer Mittel, sich Achtung zu verschaffen, wenn sie nur den Willen dazu hat! Aber der Herr von Windheim ist ein junger, liebenswürdiger Edelmann – er hat aristokratische Manieren, schwärmt wie ein Narr für jede hübsche Frau, und was noch mehr ist –“
„Wilhelm, Wilhelm!“ rief Albertine bestürzt. „Was ist das? Du kannst Deine Frau mit einem so unwürdigen Verdachte kränken? Ich denke besser von Dir!“ sagte sie zitternd, und Thränen rannen über ihre Wangen. „O, daß es dahin kommen mußte!“
Sie verhüllte das Gesicht mit ihrem weißen Spitzentuche.
„Albertine!“
„Hältst Du mich für fähig, den Mann und die Freundin zu verrathen?“ fragte sie würdevoll.
„Du weißt also –?“
„Louise hat mir Alles gesagt.“
Der junge Mann ergriff reuig ihre Hand.
„Ach, Verzeihung, Albertine,“ rief er ärgerlich aus, „ich wollte Dich nicht vorsätzlich kränken; aber habe Nachsicht mit meiner peinlichen Situation, die mir mit jeder Stunde unerträglicher wird. Vergiß diesen Augenblick zu großer Aufregung!“
„Dein Verdacht, mein Freund, schmerzt bitter. Liebe ohne Vertrauen ist nicht die wahre Liebe!“
Wilhelm ward tief ergriffen, als er den Schmerz der schönen Frau sah. Jetzt, wo er sie wie eine Fremde behandeln, wo er ihr fern bleiben mußte, war er wieder mehr Liebhaber, als je. Er bereuete seine Heftigkeit. „Albertine!“ rief er. „Versöhnung, verzeihe meiner Liebe!“
Die junge Frau warf sich unter Thränen lächelnd an seine Brust. Er hielt sie einige Augenblicke innig umschlungen.
„Himmel, was sehe ich! Täuschen mich meine Augen?“ rief plötzlich eine Stimme.
Die beiden Gatten fuhren zurück. Der Consul, bleich vor Zorn, trat aus dem Gelände.
„Mein Onkel!“ murmelte Wilhelm.
„Wir sind verloren!“ flüsterte Albertine, die schwankend zur Seite trat, und ihr Gesicht mit dem Tuche bedeckte.
„Ah, mein Herr Neffe, also deshalb haben Sie uns heimlich verlassen, deshalb liefen Sie über alle Beete? Schämen Sie sich der Sünde gegen Ihre liebenswürdige Frau nicht?“
Die peinliche Lage des armen Wilhelm läßt sich denken. Was sollte er zu seiner Entschuldigung anführen? Durfte er jetzt dem wüthenden Onkel das Geheimniß entdecken?
„Nun erkläre ich mir auch die große Vorliebe, mit der Sie stets von dieser Dame sprechen!“ fuhr mit bebender Stimme der Consul fort. „Ich wollte einem so unwürdigen Verdachte nicht Raum geben – und jetzt bestätigt er sich auf eine empörende Weise vor meinen Augen. Sie treten Sitte und Anstand mit Füßen, mein Herr!“
„Ich schwöre Ihnen, Onkel –!“
„Versuchen Sie es nicht, sich zu rechtfertigen, denn ich lasse Nichts gelten! Und Sie, mein schönes Fräulein Albertine, so lohnen Sie die Freundschaft, die meine Nichte für Sie hegt? O, das ist infam, das ist ehrlos!“
Albertine weinte heiße Thränen in ihr Taschentuch; sie bereuete, auf ein so gefährliches Spiel eingegangen zu sein. Wilhelm wollte sie vor ferneren Beleidigungen schützen.
„Onkel, ich muß Ihnen eine Erklärung geben!“ rief er.
Der Zorn übermannte den Consul; er wollte von einer Erklärung nichts wissen. Nachdem er den Neffen mit den Blicken der Wuth vom Scheitel bis zur Zehe angesehen, wandte er sich zu der weinenden Albertine.
„Mein Fräulein,“ sagte er, gewaltsam sich mäßigend, „ich weiß zwar die Ehre zu schätzen, die Sie meinem Hause durch Ihren Besuch erweisen; aber Sie haben vielleicht Verwandte und Freunde, die Sie zärtlich lieben und Ihrer Rückkehr sehnlichst harren – man muß diese guten Leute nicht warten lassen, und darum werde ich Befehl ertheilen, daß mein Wagen Sie auf der Stelle zu ihnen bringt. Bestimmen Sie den Ort, wenn ich bitten darf!“
„Mein Gott, mein Gott!“ schluchzte die arme Frau.
„Beruhigen Sie sich, mein schönes Fräulein,“ sagte höhnend der Consul; „man wird Sie mit Sorgfalt, mit großer Rücksicht behandeln. Mein bequemer Reisewagen wird Sie zu der nächsten Eisenbahnstation bringen –“
„Albertine,“ flüsterte Dewald, „reise, ich werde Dir folgen!“
Diese Worte hatte der Consul gehört; sie steigerten seinen Zorn zur Wuth.
„Mein Herr,“ rief er, „Sie sind ein fürchterlicher Mensch und rechtfertigen die Meinung, die ich bisher von allen Männern hegte. O, es ist eine Schmach, eine Sünde! Sie sind erst wenig Tage mit einer liebenswürdigen Frau verheirathet, und schon begehen Sie diese Infamie! Sie, mein Fräulein, packen Sie Ihren Koffer – in einer Viertelstunde wird der Wagen vorfahren! Gehen Sie, gehen Sie, ich dulde Sie nicht länger unter meinem Dache!“
Die junge Frau konnte nicht länger bleiben; sie eilte weinend dem Landhause zu, wo sie Louisen anzutreffen hoffte. Der Neffe wollte sich zu dem Onkel wenden; dieser aber ging rasch den Weg zurück, den er gekommen war. Wilhelm stand rathlos an dem Rebengelände. Wozu sollte er sich entschließen? Er verwünschte den Herrn von Windheim, verwünschte die unglückliche List, mit der er den bizarren Onkel umgarnen wollte. Da rauschte ein Frauenkleid durch den Weg. Er sah auf – Louise stand vor ihm.
„Was ist Ihnen, lieber Freund? Wo ist Albertine?“
„Sie sehen mich in Verzweiflung!“
[588] „O, auch ich bereue, daß ich darauf eingegangen bin, Ihre Frau zu spielen!“
„Leider haben Sie umsonst diese Gefälligkeit gehabt.“
„Wie, ist unser Geheimniß verrathen?“
„Nein; aber jener Windheim verfolgt hartnäckig meine Frau mit Bewerbungen, die sie in die peinlichste Verlegenheit setzen. Der Mensch begeht Extravaganzen, die Albertinen compromittiren.“
In Louise’s lieblichem Gesichte sprach sich eine schmerzliche Bestürzung aus.
„Wo ist Albertine?“ fragte sie.
„Die arme Frau befindet sich in ihrem Zimmer – sie will abreisen!“ fügte er verlegen hinzu.
„Sie wird bleiben!“ rief Louise. „Sie wird bleiben, und ich übernehme die Lösung der Wirren, die nicht länger fortdauern dürfen. Und Sie, Herr Dewald, der Sie den tollen Plan angelegt, führen Sie mir so rasch als möglich Herrn Alexander zu – ich erwarte ihn in dem Salon. Albertine reiset nicht ohne mich! Also in dem Salon – dort irrt Herr Alexander durch die Gänge, suchen Sie ihn auf. Nur Muth, mein lieber Freund, ich gebe unsere Sache noch nicht auf!“
Louise verschwand. Nach fünf Minuten betrat sie das Zimmer, in welchem die weinende Albertine saß. Die Freundinnen schlossen sich einander in die Arme. Madame Dewald beklagte sich über den Consul, und Louise beklagte sich über Alexander.
„Ich habe ihn falsch beurtheilt,“ rief sie aus, „denn ich hielt seine Aufregung für einen neuen Beweis seiner Liebe zu mir. Aber nein, er suchte und fand einen Vorwand. Beruhige Dich, Albertine, ich räche die Beleidigung, die man Dir zugefügt. Der Onkel kann uns nicht entgehen,“ fügte sie flüsternd hinzu; „ich kenne ein Geheimniß, das ihn ganz in meine Macht gibt. Ah, dort kommt Herr Alexander über den Hof – ich habe ihm ein Rendezvous zugedacht, aber auch eine kleine Züchtigung! Muth! Wir sind uns ja nur eines kleinen Vergehens bewußt, das die Liebe entschuldigen mag.“
Sie schlüpfte in den Saal, der an das Zimmer grenzte. Fast in demselben Augenblicke trat Alexander durch die Hauptthür ein.
Louise grüßte durch eine graziöse Verneigung, ohne die geringste Befangenheit zu verrathen. Die innere Aufregung hatte in ihrem Gesichte eine leichte Röthe erzeugt, und ihr großes blaues Auge glänzte hell wie das einer Gazelle. Da sie den Shawl abgelegt, war ihr eleganter Wuchs vollkommen sichtbar. Sie trug ein einfaches Kleid von hellgrüner Seide, das ihren weißen Teint noch zarter machte.
Alexander grüßte zwar artig. aber eine ängstliche Ueberraschung war in seinen bleichen Zügen zu lesen. Bei dem Gedanken, daß diese Frau, die ihm jetzt reizender, als Albertine erschien, einem Andern gehörte, zitterten seine Lippen.
„Ah, Sie mein Herr!“ rief Louise, die sich vorgenommen hatte, ihn ein wenig zu peinigen, fast muthwillig. „Der Gegenstand Ihrer neuen Liebe promenirt im Garten, und Sie sind hier?“
„Ja, Madame, weil ich glaubte, die reizende Albertine hier anzutreffen!“ antwortete Alexander mit einer verzweiflungsvollen Festigkeit.
Louise kniff die Lippen zusammen; sie konnte die Worte nicht unterdrücken: „Demnach lieben Sie wohl meine Freundin – –“
„Wie nur ein Mann zu lieben vermag, Madame!“
Die Aufregung Louisen’s wuchs mit jedem Augenblicke.
„Und diese Liebe ist so rasch gekommen?“ fragte sie pikant.
„Trotzdem aber ist sie aufrichtig und wahr, Madame!“ antwortete Alexander, der die schöne Frau fast mit den Blicken verschlang.
„Wie man sagt, werden Sie sich verheirathen?“
„Ja!“
„Bald?“
„Nicht so rasch, als ich es wünsche.“
„Albertine ist so schön, daß sie dem Gatten das Glück gewähren wird, das Sie verdienen!“
„Ihre freundliche Gesinnung gegen mich, Madame, macht mich so kühn, eine Bitte an Sie zu richten.“
„O, bitten Sie, mein Herr! Doch beeilen Sie sich, mein Mann könnte uns überraschen, und da er mich leidenschaftlich liebt – Sie begreifen wohl –“
„Ich begreife vollkommen, Madame!“ rief Alexander mit bebender Stimme. „Sie kennen die Dame, die ich liebe?“
,Sie ist ja meine beste Freundin.“
„So wage ich an Sie die Bitte zu richten: sprechen Sie mit ihr über mich, sagen Sie ihr, daß ich nichts sehnlicher wünsche, als sie glücklich zu machen.“
„Verlassen Sie sich darauf, mein Herr, ich werde nicht verfehlen!“ rief Louise.
„Und da Sie besser, als irgend Jemand, wissen, wie fähig mein Herz einer zärtlichen Neigung ist, werden Sie der Freundin sagen können, daß sie das Glück meines Lebens vergiftet, wenn sie mich früher oder später täuschen sollte.“
„Ja, mein Herr, ja!“ sagte Louise in einer schmerzlich zornigen Aufwallung, daß ihr fast die Thränen in die Augen traten. „Ich werde meiner Freundin alles dies wiederholen; werde ihr vor allen Dingen sagen, daß Sie die Treue selbst sind, und daß es Ihnen die größte Ueberwindung gekostet, Ihre ersten Bande zu zerreißen, um neue zu knüpfen.“
Alexander sah die erregte Dame mit starren Blicken an. Wie schön war Louise in dieser Aufwallung, die mehr durch Schmerz als durch Zorn hervorgebracht zu sein schien. Und diese Frau gehörte einem Andern an.
Der Inbegriff und die Persönlichkeit aller Schrecken und alles Abscheues der indischen Revolution gegen die hundertjährige Herrschaft der „ostindischen Compagnie“ (nicht Englands), hier sitzt er persönlich vor uns, wie er 1850 von Mr. Beechy, Portraitmaler des Königs von Audh (Oude) gemalt ward. Seine verrätherische Schlächterei der Engländer mit Weibern und Kindern in Cawnpore wird noch aus den Zeitungen bekannt sein, so daß wir in dieses mehrere Zoll hohe Bad von Menschenblut nicht noch einmal hineinwaten wollen. Nena Sahib wurde von Engländern früher als einer der liebenswürdigsten und gebildetsten abgesetzten Mahratten-Häuptlinge geschildert. Sie aßen und tranken bei ihm, er stellte ihnen seine Frauen und Kinder vor; er holte sie ein in seinen glänzenden Palast, und ließ sie prächtig auf Elephanten wieder nach Hause geleiten. Wie wurde er nun ein so schauderhaftes Ungeheuer? Auf dieselbe Weise, wie alle revoltirenden Indier zu wüthenden Mördern und Vertilgern alles Englischen wurden – durch die Politik der indischen Compagnie. Sie täuschte, sie betrog ihn, wie ein Dutzend andere indische Herrscher abgesetzt und betrogen wurden.
Nena Sahib ist adoptirter Sohn eines von der indischen Compagnie pensionirten und abgesetzten Local-Tyrannen in Cawnpore. Dieser starb und der adoptirte Sohn, nach indischen Rechtsbegriffen auch der rechtmäßige Sohn, hoffte, daß die Compagnie ihm die Pension fortzahlen werde. Dies ward ihm verweigert, da er blos adoptirter Sohn sei, obgleich der Compagnie nachgewiesen ward, daß sie an andere adoptirte Söhne pensionirter Herrscher die (wenn auch kleinere) Pension fortzahle. Nena Sahib hatte deshalb durch die Engländer anerkanntes Recht auf die Pension. Aber die Compagnie sagte Nein! und wies ihn nach England. Er schickte Bevollmächtigte hierher. Durch diese ward er von England an die Compagnie gewiesen, welche ihn abermals an England, an’s Parlament wies. So ward er hin und her für’n Narren gehalten und sein heißes Mahrattenblut durch die englische „Rechtlichkeit“ und Civilisation bestialisirt. Diese von
[589][590] Engländern gesäete und gepflegte Bestialität brach nun über sie und ihre Weiber und Kinder aus.
Nena Sahib vertilgte nicht nur alles englische Leben, dessen er habhaft werden konnte, sondern erließ auch eine Proclamation, durch welche er alle Indier auffordert, zum Schutze der Religion alles Englische in Indien zu vertilgen, wie Gott schon angefangen, es zu thun. Die Engländer hätten die Absicht, die Indier zum Christenthume zu zwingen. – Das hassen sie mit dem tiefsten Ingrimm, da sie das Christenthum nur durch Engländer kennen gelernt haben, als Wortbruch, Raub, Tortur, Verwandelung blühender Länder in Wüsten und Einöden.
Wie sie säeten, so ernten sie.
Nena Sahib ist ein Spitz- oder vielmehr Kindesname des Mannes, der eigentlich Sreenath heißt und in Briefen „Mahradschah Sreenath Bahaduur“ adressirt wird. Er gehört zu der tapfersten Race der indischen Bevölkerung, den Mahratten, und zur höchsten Kaste der Gesellschaft, den Brahminen. Das Fleckchen auf der Stirn, der Tilluk, ein Stückchen weißer Thon von der Dicke einer Oblate, von einem geistlichen Brahminen aufgeklebt, ist das Zeichen ersten gesellschaftlichen Ranges. Von ebenfalls religiöser, socialer Bedeutung ist der rothe Fleck auf der linken Seite des schneeweißen Muslinkleides, dessen speciellen Sinn wir aber nicht angegeben fanden. Wir wissen überhaupt nichts Gescheidtes von Indien und den Indiern, um deren Sinn und Denken, um deren Wohl und Wehe sich die Engländer nie bekümmerten. Sie nahmen ihnen blos Land und Geld und die Möglichkeit eigener Entwickelung ab, ohne je an die „beste Politik“ zu denken.
Die Früchte einer Drachensaat reifen, wie dies in der moralischen und materiellen Welt mit unabweisbarer Nothwendigkeit geschieht. Unsinn ist es, in dem Processe einer so Gericht haltenden Nemesis Partei zu nehmen. Die Indier waren eine despotisch zerrüttete Bevölkerung, die erobert werden mußte. Daß die Engländer sie noch mehr verwahrlosten, war eben eine Thätigkeit, durch welche Demoralisation und Entmenschlichung auf beiden Seiten so weit ausgebildet wurden, daß sich nur durch Auswerfen des Giftes aus beiden Lagern ein neuer gesunder Zustand vorbereiten kann.
Der Zuckersaft läuft in einer Rinne von der Mühle aus in die Kessel des Kochhauses, und zwar jedesmal, wenn so viel Saft ausgepreßt worden ist, als einen Kessel füllt. Hier wird der Saft unaufhörlich gekocht, da er sehr schnell in Gährung übergeht. Während des heftigen Kochens wird Kalkwasser oder Aschenlauge zugesetzt, um jegliche Säure zu sättigen; der kochende Saft wird beständig abgeschäumt, und wenn er seine bestimmte Consistenz erhalten hat, wird er ausgefüllt. Die oben erwähnten 3400 Kannen Saft, welche täglich gepreßt werden, geben, hinreichend eingekocht, 3780 Pfund Melado. Wenn man aus diesem Rohzucker bereiten will, so wird die heiße Masse in große hölzerne Näpfe von zwei Ellen Diameter gefüllt, wo sie unter beständigem Umrühren langsam abkühlt, und auf diese Weise wird der Rohrzucker und der Schleimzucker in genaue Verbindung gebracht; ist die Masse hinreichend abgekühlt, so wird sie in kegelförmige hölzerne Formen von 5 Zoll Tiefe und 3 Zoll Diameter gefüllt, und erstarrt hier schnell zu einem braunen, harten Rohzucker, der in Amerika den Namen Panela führt. Zwei und zwei dieser Zuckerkegel werden mit Stroh umwickelt, und später unter dem Namen ein Hut Zucker verkauft.
Soll dagegen weißer Zucker aus dem Melado bereitet werden, so wird er in große umgekehrt konische, unten durchbohrte Thonformen gefüllt, unter welche man runde Thonbottiche zum Aufsammeln des ablaufenden Syrups stellt. Die obengenannten 3780 Pfund Melado geben 1000 Pfund weißen Zucker; der Rest läuft allmählich als schlechter Syrup ab. Von diesem Syrup werden 500 Pfund zur Destillation eines Barils (90 Flaschen) Zuckerbranntwein verbraucht; vom Melado, aus welchem der Rohrzucker nicht ausgeschieden ist, werden zu derselben Quantität nur 350 Pfund gebraucht. Es wird bemerkt, daß der gewonnene Branntwein 29–30 Grad stark ist.
Im Zuckerhause ist ein erster und zweiter Zuckermeister, ferner sind mehrere Gehülfen und zwei Heizer beschäftigt. Vom Kochhause werden die Zuckerformen, sobald der Zucker erstarrt ist, in das sogenannte Raffinirhaus hinübergebracht, wo der Syrup allmählich von dem krystallisirten Zucker abläuft. Nach Verlauf von drei Tagen wird die oberste Schicht von den Formen abgenommen, wo sich alle schleimigen und vegetabilischen Theile angesammelt haben; der Zucker wird fest in die Form gestampft, und der leere Raum mit Melado angefüllt. Zwei Tage später gibt man die erste Thonbedeckung, die aus einem steifen Thonteig besteht, der über den Zucker kommt, damit die Feuchtigkeit des Zuckers den Thon langsam durchsickert, den Syrup auflöst, welcher sich zwischen den Zuckerkrystallen eingeschlossen befindet, und denselben zum Abfließen bringt. Wie viele Thonbedeckungen man allmählich geben soll, das hängt ganz von der Weiße ab, die man dem Zucker zu geben wünscht. Gewöhnlich beschränkt man sich in Amerika auf zwei bis drei Thonschichten, weil man dort keinen so großen Werth auf weißen Zucker legt. Nachdem der Zucker auf diese Weise während 8–12 Tagen gereinigt ist, wird der Thon fortgenommen; die Formen werden drei bis vier Tage an die Sonne gestellt, um zu trocknen, worauf die Hüte aus den Formen genommen werden; und wenn diese wiederum einige Tage in der Sonne gestanden haben, um zu bleichen, so bringt man sie in stark erhitzte Trockenhäuser, wo sie acht Tage bleiben, und der Zucker ist dann fertig. Der auf diese Weise bereitete Zucker ist weiß mit großen glänzenden Krystallen im Bruch, löst sich aber langsam auf. Die Hüte wiegen gewöhnlich 25 spanische Pfund.
Im December und Januar blüht das Zuckerrohr, doch ist dies nicht in jedem Jahre der Fall, sondern gewöhnlich nur jedes dritte oder vierte Jahr; man hält es für ein schlechtes Zeichen, und es führt gewöhnlich Verlust für den Plantagenbesitzer herbei. Besondere klimatische Verhältnisse befördern das Blühen des Zuckerrohrs. Wenn der October- und November-Monat feucht gewesen sind, und December und Januar darauf warme Witterung mit sich führen, so sieht man, wie sich mit einem Male alle Zuckerfelder mit feinen, silberglänzenden, wehenden Fiederfahnen bedecken. Die Erfahrung hat gelehrt, daß auch andere Verhältnisse das Blühen befördern. Je wärmer im Allgemeinen das Klima ist, um so häufiger tritt es ein. Im thonhaltigen Boden blüht das Rohr leichter, als in Dammerde; reifes Rohr blüht schwerer, als junges grünes; in einzelnen Jahren sieht man sogar Rohr blühen, das sechs bis sieben Monate alt ist. Mit dem Blühen ist das Wachsen des Rohres vorbei, und von dem Augenblick an, in welchem sich Blumenbüschel gezeigt haben, verliert das Rohr beständig an Zuckergehalt, indem die Pflanze nun einen Theil ihrer überflüssigen Nahrung (den Zucker) zum Bedarf für die Blume und die Fruchtbildung umbilden muß. Das blühende Zuckerfeld muß deshalb sogleich gekappt werden, ungeachtet man oft von einem solchen nur den dritten Theil derjenigen Ausbeute an Zucker erhält, welche das reife Rohr geliefert haben würde. Wird das Rohr nicht gekappt, so schießt es in eine Menge Seitenschüsse aus, welche allmählich allen Zucker verzehren, und die ganze Zuckerpflanze stirbt darauf ab, während die abgehauene im Gegentheil regenerirt wird, und zehn bis zwölf Jahre lebt.
Das Zuckerrohr hat viele Feinde, von den schlimmsten wollen wir einen Wurm nennen, der in den untersten Knoten entwickelt wird, das Rohr durchbohrt und vernichtet; Rüsselbären, Waschbären, Affen, alle Arten Papageien sind wahre Vernichter der Zuckerfelder; ein maulwurfartiges Thier, Tupa, untergräbt das Zuckerrohr, nagt die feinen Wurzeln ab, und tödtet es auf diese Weise. Die Ameisen bauen gern ihre großen Haufen auf den warmen und dennoch schattigen reinen Zuckerfeldern, aber die starke Hitze, [591] welche sich aus den Haufen entwickelt, so wie auch die scharfe, säuerliche Ausdünstung sind schädlich für das Rohr, es wird gelb und geht ein. Man sieht sogleich, wenn man einen Blick über das Zuckerfeld schweifen läßt, ob Ameisen in demselben sind oder nicht. Die grasfressenden Thiere sind nach den saftigen Blättern und jungen, süßen Halmen sehr begierig, aber man schützt sich durch Umfriedigungen gegen sie.
Wenn die Ernte vom Zuckerfelde heimgebracht ist, läßt man die abgestreiften Blätter und Spitzen ungefähr vierzehn Tage zum Trocknen liegen, und verbrennt sie alsdann; das Feuer geht über die Wurzelstöcke hin, ohne dieselben zu beschädigen, alles Unkraut wird vernichtet, und der Boden mit der Asche gedüngt. Nach einigen Wochen grünt das Zuckerfeld wieder, indem neue Schüsse hervorkeimen.
Die erste Zuckerernte bedarf gewöhnlich 3–4 Monate längere Zeit zur Reife, als die nachfolgenden. Es findet ein bedeutender Unterschied in der Ausbeute der verschiedenen Schnitte statt, welche ein Zuckerfeld gewährt; jeder nachfolgende Schnitt zeigt ein stark abnehmendes Product im Vergleich mit dem vorhergehenden; und man wird sich leicht durch die hier mitgetheilte Uebersicht von dem Nachtheil überzeugen, wenn man ein Zuckerfeld zu alt werden läßt; wenn auch die Erhaltung desselben unbedeutende Ausgaben im Vergleich mit dem Anpflanzen eines neuen Feldes mit sich führt.
Bei der ersten Ernte liefert eine Tarea Land = 8000 ☐Ellen,
durchschnittlich 2000 Pfund Melado,
bei der zweiten Ernte durchschnittlich 1750 Pfund Melado,
bei der dritten Ernte durchschnittlich 1250 Pfund Melado,
bei der vierten Ernte durchschnittlich 1000 Pfund Melado,
bei der fünften Ernte durchschnittlich 500 Pfund Melado.
Der fünfte Schnitt gibt also nicht mehr, als ein Viertel Product im Vergleich zum ersten. Dies rührt hauptsächlich davon her, weil das Zuckerrohr im hohen Grade den Boden ausmagert, und weil man in Amerika durchaus nichts vom Düngen eines Feldes kennt, wenn die Kraft des Bodens allmählich erschöpft wird. Die kundigen Zuckerpflanzer in Amerika lassen niemals ein Feld mehr als vier Schnitt geben, und überlassen es alsdann sich selbst. Es bedeckt sich dann in kurzer Zeit mit der häßlichen Unkrautvegetation, welche Acahual genannt wird. Erst nach Verlauf von sechs bis sieben Jahren beginnt die frühere Waldvegetation sich über dieses Gebüsch, das die Heidevegetation der nördlichen Zone repräsentirt, zu erheben, und allmählich, so wie Waldbäume durch die häßliche, zusammengefilzte Pflanzendecke schießen, werden diese lichtliebenden Pflanzen durch den zunehmenden Schatten, welchen die wachsenden Waldbäume verbreiten, verdrängt. Man nimmt an, daß nach zwölf Jahren sich ein solches verlassenes Zuckerfeld hinreichend erholt hat, und der junge üppige Wald muß wiederum der Axt weichen.
So weit über die Culturverhältnisse des Otaheiti-Rohrs in Amerika.
Das ostindische Zuckerrohr (Canna creolla), das freilich von einer verhältnißmäßig bedeutenden Dünne im Vergleich mit dem vorhin behandelten ist und deshalb bei weitem nicht eine so große Zuckermenge aus dem einzelnen Rohr liefert, hat dennoch andere Vorzüge, welche den Anbau desselben empfehlen. Es ist im Ganzen abgehärteter, nimmt mit dem Boden vorlieb, wenn es nur nicht an Feuchtigkeit fehlt, wächst dichter und erstattet auf diese Weise durch die Menge des Rohrs, was dem einzelnen Rohre an Zuckergehalt fehlt, und ferner reift es in bedeutend kürzerer Zeit. Dies Zuckerrohr wird hauptsächlich in den großen beckenartigen Thalvertiefungen des amerikanischen Binnenlandes angebaut, z. B. im Mexico-Thal, in der Ebene de Amilpas, im Oajaca-Thal, so wie an der ganzen Westseite. Das ostindische Rohr wird vortheilhaft in trockenen und steinigen Gegenden angebaut, wo man im Stande ist, die Entwickelung desselben durch künstliche Bewässerung zu fördern. In den innern Theilen Mexico’s existirt seit den ältesten Zeiten ein sehr ausgezeichnetes Bewässerungssystem für das angebaute Land, und die erst in den letzteren Jahren in Nord-Europa bekannten und mit so vielem Vortheil benutzten Wiesenbewässerungen und Ueberrieselungen sind seit Jahrhunderten bei den mexicanischen Indianern in Gebrauch gewesen. Man legt zu diesem Zwecke auf höher liegenden Oertlichkeiten Dämme an, wo das Wasser während der Regenzeit in großen Massen angesammelt werden kann, und dann leitet man es durch gemauerte Rinnen auf die Aecker der Ebenen, so daß sie während der trockenen Zeit beliebig unter Wasser gesetzt werden können. Es existiren sehr genaue gesetzliche Bestimmungen über die Benutzung dieses Wassers, das in einer bestimmten Folgereihe und in bestimmten Zeitzwischenräumen auf die verschiedenen Felder gelassen wird. Durch dieses vorzügliche Bewässerungssystem wird es möglich, selbst in denjenigen Gegenden, wo im Laufe von sieben Monaten kein Tropfen Regen fällt, das üppigste Zuckerrohr zu bauen.
Das ostindische Zuckerrohr wird gegen Schluß des August gepflanzt und keimt nach Verlauf von 20–25 Tagen. Es erfordert 15 Monate, um zur Reife zu gelangen; als Folge davon beginnt die Ernte desselben im December des nächstfolgenden Jahres und dauert bis zum April. Es gibt in der Regel nicht mehr als einen Schnitt; doch habe ich ausnahmsweise Zuckerfelder dieser Sorte gesehen, welche 6–7 Jahre alt waren. Weil dies Rohr größtentheils in den waldlosen Gegenden gebaut wird, so kann der Pflug sehr oft benutzt werden, um die Furchen zu öffnen, und die Ausgaben bei Anlage neuer Felder sind folglich ziemlich unbedeutend. Man rechnet durchschnittlich 16–18 Stück ostindisches Rohr auf ein Pfund Zucker, wogegen man von dem otaheitischen Rohr viele findet, welche 12 Pfund wiegen und 3/4–1 Pfund Melado, oder im Destillirkessel 1/2 Flasche Branntwein geben. Während man das Otaheiti-Rohr zu allen Jahreszeiten pflanzen kann und dadurch den großen Vortheil hat, daß die verschiedenen Felder zu verschiedenen Zeiten zur Reife gelangen, und deshalb den Plantagenbetrieb so systematisch einrichten kann, daß das eine Feld gerade reif geworden, wenn von dem andern die Ernte eingebracht ist, und auf diese Weise während des ganzen Jahres zu verfahren vermag, so daß man die Mühle beständig in Gang hält, ist dies dagegen keineswegs mit dem ostindischen Rohre der Fall, woraus sich die große Unannehmlichkeit ergibt, daß sämmtliche Felder zu einer Jahreszeit reif sind, so daß man während 3–4 Monaten Tag und Nacht arbeiten muß, um das Rohr sämmtlich gemahlen zu bekommen.
Das gestreifte Zuckerrohr (Canna veteada) wird hauptsächlich im Oajaca-Thale gebaut. Es zeichnet sich nicht allein durch die Farbe, sondern auch durch den Mangel der lossitzenden stechenden Haare aus, welche man bei den andern beiden Arten findet. Es erreicht die bedeutende Länge von 18–21 Fuß, aber das Rohr ist sehr holzig, selbst das Mark ist’s, und es enthält deshalb nur wenig Saft. Die Cultur desselben wird mehr und mehr durch die Einfuhr der beiden vortheilhafteren Arten beschränkt. Die vierte Art Zuckerrohr, welche Canna reventador genannt wird, hat ihren Namen von der schlimmen Eigenschaft, daß die einzelnen Glieder des Rohres bereits im Felde aufspringen und der Saft in Gährung übergeht, so daß es, mit anderm guten Rohre ausgepreßt, leicht die ganze Saftmasse durch seine Säure verdirbt.
Wie beim Kornbau, so ist es auch beim Zuckerbau, indem nur Anpflanzungen im Großen einen bedeutenden Vortheil abwerfen. Jede Plantage, welche nicht 20,000 Arroben (à 1/4 Ctnr.) Zucker und darüber producirt, wird in Amerika kaum auf die Länge bestehen können, da ein großer Theil der Auslagen für die Einrichtung des Wohnhauses und der übrigen Gebäude gleich ist. Auf einer Plantage, welche in voller Thätigkeit ist, rechnet man gewöhnlich, daß der Verkauf des Syrups alle Betriebsunkosten deckt und daß der gewonnene Zucker sich als reiner Ueberschuß herausstellt. Da es nämlich selten ist, daß die Zuckerplantagen in Amerika sich gleichzeitig mit der Zuckerfabrikation und der Rumdestillation beschäftigen, so wird gewöhnlich der bei der Zuckerbereitung erhaltene Syrup an die Brennereien abgesetzt. In Mexico rechnet man deshalb eben so viele tausend Piaster Nettoeinnahme von einer Plantage, als sie Arroben Zucker producirt. Aber in diese Berechnung sind durchaus nicht diejenigen Summen gezogen, welche auf die Anlagen verwandt wurden, die natürlich sehr bedeutend sind. Deshalb wirft die amerikanische Zuckerproduction keinen so großen Vortheil ab, wie man nach einigen der oben angeführten Daten anzunehmen geneigt sein möchte. Nur eine kleine Anzahl der Colonisten besitzt die Fähigkeit, eine größere Zuckeranlage zu begründen, denn theils ist das Anlagecapital bedeutend (eine Zuckerhacienda auf die jährliche Production von 20,000 Arroben berechnet, kann nicht unter 70,000 Piaster eingerichtet werden), theils dauert es sieben Jahre, bis die Plantage volle Ausbeute gewährt. Wenn ich diese Verhältnisse näher erläutern sollte, so [592] müßte ich tiefer in’s Detail gehen; vielleicht aber wird es anschaulicher, wenn ich einige isolirte Thatsachen darlege.
Der Colonist, welcher in Amerika eine größere Plantagenanlage gründen will, muß im Besitz sehr bedeutender mechanischer und technischer Kenntnisse und Fertigkeiten sein, denn er muß alle Hülfsquellen bei sich haben und darf durchaus auf keine Hülfe rechnen. Er muß ein tüchtiger Architekt sein, um seine Wohngebäude, seine Fabrikgebäude, seine Oefen, seine Wasserleitungen ausführen zu können; er muß selbst Zimmermann, Tischler, Schmied, Töpfer, Böttcher, Gürtler, Sattler sein, um die verschiedenen nothwendigen Maschinen und Geräthschaften zu construiren und zu bauen zu wissen, er muß Alles selbst machen können, wenn er es gemacht zu haben wünscht; er muß ferner Landmesser sein, um bedeutende Nivellirungen für die Wasserleitungen vornehmen zu können, er muß agronomische Kenntnisse besitzen, um sich nicht durch Fehlgriffe im Gebrauch der Aecker zu ruiniren. Bedenkt man, welche Summen erforderlich sind, um Wohngebäude, Verkaufsstellen, Packhäuser, Zuckermühlen, Kochhäuser, Trockenhäuser, Raffinirhäuser, Branntweinbrennereien, Kalkbrennereien, Ziegeleien, Schmieden, Werkstätten, Wohnungen für die Arbeiter aufzuführen, und ferner, welche Summen zur Anschaffung aller Maschinenteile, der Ackerbau- und Handwerksgeräthe, so wie zu tausend andern Dingen beansprucht werden, dann wird man sich nicht darüber wundern, daß so viele Colonisten bei den ohnmächtigen Versuchen, große Zuckerplantagen in Amerika zu gründen, ruinirt wurden, da ihre Capitalkraft sich erschöpft zeigte, lange bevor sich eine Aussicht auf Ertrag eröffnete.
Eine Plantage, welche jährlich 20,000 Arroben Zucker producirt, beschäftigt beständig 200 Arbeiter, deren Arbeiten fest bestimmt sind. Einige besorgen die Dämme, Schleußen, Wasserleitungen, die Bewässerung der Felder, die Feldarbeit, Andere schlagen Brennholz für die Oefen, pflanzen das Zuckerrohr auf den neuen Feldern, kappen das Zuckerrohr, binden es und transportiern es zur Mühle, Andere präpariren den Zucker. Es ist deshalb kein Wunder, wenn die wöchentlichen Ausgaben für ein solches Personal sich zwischen 12 bis 1800 Thaler belaufen, welche jedoch zum größten Theil in die Casse des Plantagenbesitzers zurückkehren, da man auf den Plantagen Verkaufsstellen für alle Arten Waaren findet, deren Verkauf bedeutende Vortheile abwirft.
Hierauf müssen sich meine gegenwärtigen Mittheilungen über die Zuckercultur beschränken; doch kann ich nicht schließen, ohne vorher auf das ruhmwürdige Beispiel aufmerksam gemacht zu haben, das Mexico der Welt gegeben und wodurch es auf das Vollständigste bewiesen hat, daß es in Amerika möglich ist, das Zuckerrohr mit freien Händen zu bauen.
Lassen Sie uns hoffen, daß die Schande, zu welcher der Anbau dieser Pflanze durch das Aufkommen der Negersclaverei zuerst Veranlassung gab, bald aufhören möge, die weiße Bevölkerung Europa’s zu brandmarken, welche während so langer Zeit Repräsentant und Fürsprecher der Civilisation gewesen, die aber dennoch zu eigennützig war, um die Frucht derselben jenseits des Meeres auf den mißhandelten Afrikaner auszudehnen. Lassen Sie uns hoffen, daß die letzte Stunde der Negersclaverei bald werde geschlagen haben!
Zu den mancherlei Bedingungen der Gesundheit und Kraft Einzelner und ganzer Gegenden und Völker gehört auch das Wasser. Hippokrates stellte es unter diesen Bedingungen: gute Luft, Nahrung, Klima, Diät, Bewegung u. s. w. ganz oben an und sagte „ἄριστον μἑν ὔδωρ“ (das Beste ist das Wasser). Viele Krankheiten, besonders epidemische, werden in ihrem Ursprunge auf schlechtes Wasser, besonders auf gewisse Flußmündungen zurückgeführt, wo sich die meisten zersetzten und verfaulten vegetabilischen und thierischen Substanzen ablagern und in die Luft und das Trinkwasser zum Theil mit übergehen. In London war die Cholera stets am ärgsten, wo das schlechteste Wasser und die schlechtesten Wasserleitungen berüchtigt waren. Dasselbe ergab sich in andern Städten. Und ohne weitere Gelehrsamkeit ist es gewiß Jedem sofort durch sich selbst einleuchtend, daß reines Wasser besser ist, als schmutziges. Nur denken dabei Viele nicht an die große Wichtigkeit, die gutes, reines Wasser in allen Gesundheitssachen hat. Diese ist medicinisch, physiologisch und durch die Statistik tausendfach bewiesen. Daraus folgt, daß die künstliche Gewinnung guten reinen Wassers, da wo es nicht natürlich aus der Erde zu gewinnen ist, zu den wirklichen Lebensfragen ersten Ranges gehört, und jeder Schritt zur Vervollkommnung von Filtrir-Apparaten jedem Menschen Gelegenheit gibt, seine Gesundheit zu kräftigen und sein Leben zu verlängern. Die besten bisherigen Filtrir-Apparate lassen das Wasser durch Schichten von Sand und pulverisirter Kohle laufen, wodurch es zwar von groben schädlichen Bestandtheilen, aber nicht von chemisch darin aufgelösten Substanzen gereinigt wird. Der beste und kräftigste Filtrirer ist die Kohle; aber im pulverisirten Zustande läßt sie noch zu viele mechanisch und chemisch im Wasser aufgelöste Substanzen um ihre einzelnen Theilchen mit hindurchlaufen. Nur die feste, auf trocknem Wege ohne bindende Beimischung zu einem plastischen Körper zusammengedrückte Kohle – ein ungemein großer Gewinn für viele Sphären der Industrie und Wissenschaft – filtrirt das Wasser vollkommen nicht bloß mechanisch, sondern auch chemisch. Deshalb hat der Erfinder des Mittels, reine Kohle rein auf trocknem Wege als festen Körper darzustellen und in jede beliebige Form zu pressen, Herr Bühring in London, mit einem sehr gebildeten Dänen, Herrn Danchel, und englischem Capital seine ungemein ausdehnbare Erfindung zunächst auf Herstellung von Wasserfiltrir-Apparaten beschränkt, wovon wir hier eine Vorstellung geben wollen.
Der Erfinder ist ein Deutscher – wie fast alle Erfinder – aus dem Mecklenburgischen, der eine Zeit lang Mechanicus, Maschinenbauer bei Borsig in Berlin, communistisch Verschworner, durch John Prince Smith, Faucher und sonstige Apostel der Handelsfreiheit und ökonomischen Weltgesetze begeisterter Jünger der Handelsfreiheit, später technischer Leiter der berühmten dissolving views von Brill und Siegmund ward (sie zeigte zuerst die Geologie und die Geschichte der Schöpfung in großen populären Wandelbildern und Vorträgen) und noch 1850 von Hamburg ausgewiesen, seine Zuflucht nach London nahm. Hier arbeitete er als Mechaniker eine Zeit lang mit dem früher schon erwähnten Erfinder des Lichtes aus Wasser, F. Puls aus Schlesien, dessen Irrthümer und oberflächliche Kenntnisse er zuerst einsah, so daß er, obgleich das Licht aus Wasser schon tageshell brannte, doch immer behauptete, es werde bald wieder auf immer verlöschen, wie es auch geschehen zu sein scheint. (Das Nähere hierüber gehört nicht hierher.) Bald machte er sich den Engländern in Discussionsclubs u. s. w. durch sein schlechtes, rapid gesprochenes Englisch und durch seine Haare zu Berge treibende, rücksichtslose Wahrheitsliebe furchtbar, mir aber ward er ein langjähriger Freund, dessen hoher Stirn und blauen Augen über einem gewaltigen Urwaldsbarte ich manche geistreiche Stunde, manche originelle Ansicht, manchen tiefen, richtigen Gedanken, manches erfrischende Sturzbad eigensten Denkens und nervös lebhaften, durchweg originellen Fühlens verdanke. Er ist dabei der nobelste, feinfühlendste Mensch, spricht aber und sieht oft aus wie ein Menschenfresser. Er sieht alle Dinge mit seinen eigenen Augen und wirft diese seine eigenste Ansicht Jedem mit cascadenartigem Sprudel in’s Gesicht. Dabei läßt er’s manchmal Maculatur regnen, aber nie lange: er kehrt immer bald wieder zu gut Durchdachtem und reichem Wissen zurück. Er behauptet, nie eigentlich etwas gelernt zu haben, weiß aber mehr, als mancher Gelehrter, ganz besonders in der Naturwissenschaft, der er mit starker Faust und geschickter Hand eben so sehr zu dienen weiß, wie aus seiner nie ruhenden, hohen Stirn, aus der stets Erfindungen[WS 2] hervorstürzen, wie aus einem Füllhorne. Zuletzt ließ ich ihn damit gar nicht mehr zu Worte kommen, und brach ihm jede Erfindung mitten im Munde mit dem Bemerken entzwei, daß die [593] geringste und unscheinbarste Erfindung, und sei’s nur eine „höhere Stiefelwichse“, aus- und durchgeführt mehr werth sei, als alle die Welt in den Himmel erhebenden Einfälle und Erfindungen des Kopfes.
Dies mag mit gewirkt haben. Wenigstens schreib’ ich diesem consequenten Abweisen aller Theorie zu Gunsten einer einzigen Praxis eine kleine Beihülfe zu seinem Entschlusse zu, etwas wirklich anzupacken und durchzusetzen. Er fing mit Herstellung der reinen Kohle zu festen, plastischen Körpern an und machte zuerst Schmelztiegel für chemische Zwecke daraus. (Chemiker und Gießer aller Art werden wissen, was diese allein für einen Werth haben.) Ehe er aber anfing, auf diesem Wege wirklich für den Markt zu fabriciren, sah er ein, daß die Kohle für Filtrirzwecke einen weiteren und wichtigeren Wirkungskreis habe. Er preßte also auf trocknem Wege Platten aus reiner Kohle, pichte diese in einen Glasbehälter mit einer Oeffnung unten und ließ das eingefüllte Wasser hindurchsickern. Es erwies sich reiner, als alles anderweitig filtrirte Wasser, er kam aber sofort auf eine große Verbesserung des filtrirenden Kohlenkörpers. Er preßte nämlich Kugeln mit einer Oeffnung davon. In diese Oeffnung befestigte er mit Kork eine Glasröhre, welche in der Oeffnung des Glasbehälters ebenfalls durch Kork befestigt ist und durch diesen hindurchgeht. Die Kugel bietet dem Wasser im kleinsten Raume den größten Flächenraum, so daß das Wasser – größtentheils in Folge des Capillaritätsgesetzes – von allen Seiten in die Kugel eindringt, um, hindurchgehend auf dem einzigen möglichen Wege, durch die Glasröhre, mechanisch und chemisch gereinigt abzufließen.
Die Kugel und die Glasröhre können leicht abgeschraubt und das Ganze mit Bequemlichkeit gereinigt werden. Der Vorzug vor der früher eingepichten Kohlenplatte ist. also deutlich genug. Das Ganze zeichnet sich durch Einfachheit, Klarheit und relative Vollkommenheit aus, so daß es nur eines Blickes auf den im Umrisse gegebenen Filter (A) bedarf, um ihn zu durchschauen. Der Glasbehälter steht auf einer Flasche, in welche das filtrirte Wasser (nöthigenfalls 20–30 Gallonen des Tages) einläuft. Ein Netzwerk von versilbertem Kupferdraht dient dazu, den Filter beliebig aufzuhängen. Da die Gestalt desselben in vielfacher Weise verschönert und zu Zimmerdecorationen ausgeschmückt werden kann (wie das bereits im Werke ist), haben wir mit der wohlthätigsten Bereicherung unserer häuslichen Apparate zugleich Aussicht zu einer schönen Zimmerdecoration, die leicht mit Springbrunnen, Aquarien, Wasserpflanzenflora u. s. w. combinirt werden kann.
Der Filter B zeigt noch eine zweite Kohlenkugel unten am Ende der Glasröhre, so daß das Wasser hier zum zweiten Male durchfiltern muß. Dies ist nur nöthig, wenn man einen hohen Grad von Weichheit und chemischer Reinheit des Wassers erzielen und es zugleich beträchtlich dabei abkühlen will. Das durch die untere Kugel absickernde Wasser verdunstet zum Theil, wodurch es dem abfließenden Wärme entzieht, also es abkühlt. Die einfachste und segensreichste Variation dieser Filtration durch Kohle ist die bloße, an einen Gummischlauch befestigte Kohlenkugel. Diese hat eine Oeffnung, in welche mit Kork eine Glasröhre eingefestigt wird. Ueber die Glasröhre wird das eine Ende eines Gummischlauchs gezogen und in das andere ebenfalls ein Stückchen Glasröhre eingeschoben. Nun kann man die Kohlenkugel in die schmutzigste Pfütze werfen und sich durch den Schlauch sofort voll des reinsten Wassers saugen. Mit der gewöhnlichsten Anstrengung des Saugens kann man so viel Wasser einziehen, daß man schlucken mag, bis der Durst gestillt ist. Das ist der Taschenfilter C, den man auf Reisen durch Wildnisse, bei den Armeen in Indien und auf weiten Märschen überall, wo nur eben Wasser ist, hervorziehen kann, um sich in reinem Wasser satt zu trinken.
Auch in Gasthöfen u. s. w. findet der civilisirte Reisende oft schlechtes Wasser. Er zieht seinen Taschenfilter hervor, wirft die Kohlenkugel in das unreine Wasser, saugt ihn an, wie einen Heber, und läßt dann das Wasser in ein Glas daneben übersickern, wie sich das Jeder leicht denken kann und es zum Ueberflusse noch in Figur D anschaulich gemacht wird. Das Wasser wird durch diese Filtration nicht nur reiner und gesünder, sondern auch weicher, so daß z. B. Erbsen (die so oft nicht weich kochen wollen), Fleisch, Gemüse u. s. w. viel leichter darin „gar“ werden.
Auch spart man beim Wischen mit filtrirtem Wasser Seife, wie beim Thee- und Kaffeekochen Thee und Kaffee. Das natürliche Wasser enthält oft mineralische Bestandtheile, die sich beim Kochen an die Gegenstände darin ablagern und so z. B. die Theeblätter so schließen, daß sie lhr Aroma, ihr Theïn, nicht abgeben können (deshalb bleiben auch Erbsen hart).
Deshalb ist es gut, alles Wasser für den häuslichen Gebrauch zu filtriren. Zu diesem Zwecke macht Herr Bühring kreisförmige Röhren mit Löchern, in welche mit Glasröhren und Kork Kohlenkugeln befestigt werden, durch welche das Wasser in die Röhre und von da auf dem einzigen möglichen Wege durch einen geöffneten Hahn aus einem so versehenen Wasserhälter ausläuft. Wir geben eine Vorstellung von dieser Filtration im Großen (nöthigenfalls durch Tausende von Kugeln, die sehr wohlfeil sind, lange dauern und nach Ausbrennung immer wieder wie neu sind, also für ganze Wasserwerke und Städte) durch die Figur E. Die Wichtigkeit der Sache wird erst begriffen, wenn man sich klar macht,
[594] wie groß der Unterschied zwischen reinem und unreinem Wasser ist und welche merkürdigen, unverwüstlichen Eigenschaften die Kohle in Zersetzung und Absorbirung aller möglichen schädlichen Gase und festen Körper hat. Die Filtration des Oeles durch Kohle (wobei der ganze kostbare und unsichere Proceß mit Schwefelsäule gespart wird), die Verwendung der Bühring’schen plastischen Kohle zu Kühl- und Präservir-Apparaten, zu chemischen Schmelztiegeln, zu allerhand Zwecken, die jetzt mit Thon, Steingut, Metallen u. s. w. schlechter befriedigt werden, gibt noch ein langes, sehr wichtiges Capitel, das wir später zu liefern gedenken.
Was man auch von der ausgezeichneten Klugheit und Gelehrigkeit dieser größten Affenart erzählen mag, niemals gab es einen klügeren und gelehrteren als den, dessen Bild, wenn es in meiner Seele hervortritt, sie stets mit dankbarer, aber lachender Rührung erfüllt. Männer, die im ersten Viertel unseres Jahrhunderts in Göttingen Medicin studirten oder nur, wie ich selbst, ein naturgeschichtliches Colleg hörten, haben diesen weltberühmten Affen gesehen, gehört, bewundert, belacht, verehrt und geliebt. Wer auch hätte anders gekonnt, der in seinen Zauberkreis gerathen war! Selbst junge schöne Damen wurden, sobald ihnen Gelegenheit geboten war, die ungewöhnlichen und liebenswürdigen Eigenschaften des großen Orangutang kennen zu lernen, dermaßen von ihnen hingerissen, daß sie ihm recht ordentlich die Cour machten. Und doch war er ein alter und sehr häßlicher Affe.
In jenen ungemein stark besuchten Vorlesungen über Naturgeschichte pflegte der Docent von jedem Gegenstand, den er besprach, ein Exemplar in Natur vorzuzeigen, von Thieren meist ausgestopfte oder, wenn dies ihrer Größe wegen unmöglich war, doch Felle u. dgl. Wenn er den Menschen abhandelte, hatte er sich meist schon beim Belegen des Collegs den schönsten Studenten seiner Zuhörerschaft ausgesucht. Im Laufe des Vortrags sagte er nun: „Am liebsten führte ich Ihnen von den Thieren lebende Exemplare vor; ich kann aber begreiflicher Weise so viel Bestien nicht ernähren und das Auditorium nicht in einen Viehstall verwandeln. Vom Menschen und seinem Bruder, dem Orangutang, zeige ich Ihnen aber lebende Exemplare. „Herr N. N., haben Sie die Güte, sich einige Augenblicke zu erheben.“ Der genannte Student stand natürlich überrascht auf. „Sehen Sie, meine Herren,“ fuhr der Lehrer fort, „das ausgezeichnete Exemplar des Genus Mensch! – Herr N. N., ich danke Ihnen, überzeugt, daß der innere Mensch dem äußeren in Ihrer Person entspricht.“
Hatte er am folgenden Tage den Orangutang besprochen, so fügte er in trockner Weise hinzu: „Jetzt bleibt nur noch übrig, Ihnen das lebende Exemplar dieses Affen vorzustellen.“ Und sich hoch aufrichtend: „Sehen Sie mich an! Ich bin es selbst. Mensch und Affe sind in mir verschmolzen, aber meine äußere Gestalt ist die des Orangutang.“ Und nun ließ er die Arme nach Art des Orangutang hängen und verzog das allerdings sehr häßliche und wirklich an den Orangutang erinnernde Gesicht zu einer so scheußlichen Affenfratze, daß die ganze Zuhörerschaft in ein brüllendes Gelächter ausbrach.
Dieser joviale Lehrer war der Geheime Hofrath und Professor Joh. Friedrich Blumenbach. 1752 zu Gotha geboren, bei meiner Immatrikulation in Göttingen also bereits 71 Jahre alt, einer der gelehrtesten und berühmtesten Naturforscher, ein Stern erster Größe am deutschen Gelehrtenhimmel, eine der größten Zierden der Göttinger Universität, der gerechte Stolz seiner Vaterstadt Gotha und unter den durch Geistesthat ausgezeichneten Thüringern einer aus der ersten Reihe. Er ist einer der Bahnbrecher unter den vom Wust des Schlendrians verschütteten Naturwissenschaften gewesen und hat mehr als irgend ein anderer deutscher Professor Zuhörer gehabt. Das Alles weiß die Welt; denn die Annalen der deutschen Gelehrtengeschichte haben Blumenbach’s Namen als den des eigentlichen Begründers der Naturgeschichte für alle Zeit aufgenommen; sein unsterblicher Ruhm ist kein europäischer mehr, er ist ein tellurischer. Was aber die Welt nicht weiß, ist, daß dieser Mann auch ein trefflicher Mensch war mit einem reinen schönen weichen Kindergemüth, so ein alter tüchtiger köstlicher Knabe zu allen erdenklichen Scherzen, Possen und Faseleien aufgelegt, so ein alter Lacher und Schwänkemacher, wie sie leider abgestorben sind, ein echter deutscher Demokrit. Der ärgste Hypochonder, der größte Misanthrop mußte in Blumenbach’s Gesellschaft lachen und heiter werden; er geißelte die menschlichen Schwächen und Narrheiten lachenden Mundes und meist auf originelle und barocke Weise.
Freilich fielen nicht immer feine Späne ab, nichtsdestoweniger war er, wie schon gesagt, ein Liebling der Frauenwelt. Am schönsten und originellsten aber gab er sich auf dem Katheder. Unter den Studenten, seinen Zuhörern, befand er sich am wohlsten. Da setzte es köstliche Hiebe nach oben und unten, nach rechts und links; er schonte eigentlich Niemand und, wie wir gesehen haben, sich selbst am wenigsten. Und wer konnte einem so spaßigen Affen etwas übelnehmen? – Aber in dieser grotesken Schale barg sich ein süßer köstlicher Kern, ein Herz, das für alles Gute, Wahre und Schöne in reinster Begeisterung flammte, ein klarer hochgebildeter Geist, welcher durch unablässiges Streben zum Tabernakel hoher heiliger Wissenschaft geworden war. Wie bei allen lachenden Philosophen sprudelte hinter der grotesken bizarren Felswand ein weicher süßer unversiechbarer Lebensborn. Wie fast alle Thüringer liebte er sein grünes schönes Geburtsland und bewies das vorzüglich seinen speciellen Landsleuten, den Studenten aus Gotha. Man kann sich denken, wie wir Gothaer ihn liebten und verehrten!
Es kann mir nicht einfallen, Blumenbach’s Verdienste als Gelehrter zu beleuchten oder auch nur seine Lebensgeschichte zu schreiben, nur einige seiner prächtigen Späße aus dem Hörsaale will ich mittheilen, aus welchen man den an Geist und Gemüth kerngesunden und wackern Menschen erkennen wird.
Er hatte sein Auditorium in seinem eigenen Hause, eine Treppe tiefer als seine Wohnzimmer. Da geschah es denn zuweilen, daß die versammelte Zuhörerschaft den alten lustigen Herrn die Treppe herab mit dem Paradeschritt eines preußischen Grenadiers nach dem Takte des Dessauer Marsches, den er in hellen Tönen pfiff, stampfen hörte; so musicirte und marschirte er in’s Auditorium und auf das Katheder, wo er dann zum Schluß dieser seltsamen Improvisation ein verwünschtes Gesicht mit einem lautgeblökten „Pah!“ schnitt. Daß sich die Studenten nicht ganz ruhig bei dieser soldatischen Procedur verhielten, wird man ohne meine Versicherung glauben. Im Gesichterschneiden war Blumenbach überhaupt groß und seine Züge ganz für die schätzbare Kunst des Grimassiers gemacht, so daß er auch auf diesem Felde sich eine reichliche Existenz hätte schaffen können.
Es konnte natürlich nicht fehlen, daß viele Studenten, die den Beleg für den Besuch des naturgeschichtlichen Collegs bei Blumenbach zum Staatsexamen nicht nöthig hatten, dieses als sogenannte Hospitanten hörten d. h. es nicht bezahlt hatten. Sie konnten sich ja keine angenehmere und zugleich belehrendere Unterhaltung verschaffen. Wenn Blumenbach nun den Pelz des Eisbären vorzeigte, klopfte er stark mit dem Rufe darauf: „Motten, Schmarotzer, Hospitanten hinaus!“
Der ganze Vortrag vom Anfang bis zum Ende wimmelte von komischen Anekdoten, Witzen, burlesken Erzählungen aus seinem Leben und Wirken. Nicht selten ahmte er den Vortragton anderer Prozessoren der Universität carikirt nach, und da einige dieser Herren sich die zu machenden Witze auf den Rand ihrer Hefte geschrieben hatten, so las Blumenbach, der ja eigentlich nie ein Heft zu seinen Vorträgen brauchte, im näselndem oder schnarrendem Tone eine Stelle Naturgeschichte vor, aber in demselben Tone ohne Absatz auch den Witz, riß dann die Augen weit auf, schnitt ein verzweifeltes Gesicht, kratzte sich hinter den Ohren und rief: „Verdammt! da hab’ ich den Witz mit gelesen. So geht’s, wenn man die Witze aufschreiben muß.“ Ein ungeheures Gelächter bewies, daß die Zuhörer wußten, auf wen der Hieb ging.
Die Mineralogie bildete den Schluß der Vorlesungen; er zeigte dann von allen Steinarten und Metallen im rohen Zustande [595] Exemplare in kleinen Schachteln, die von Bank zu Bank, von Hand zu Hand wanderten. Zuletzt kam eine unscheinbare größere Schachtel.
„Hier, meine Herren“ sagte er, „sehen Sie einen werthlosen Haufen Steine, die nicht mehr in die Naturgeschichte gehören. Sie sind vielmehr gegen die Naturgeschichte und gehören der Geschichte der menschlichen Schwachheiten an. Allein Sie müssen auch diese Steine sehen, um zu begreifen, wie sehr der Mensch sich an der Natur versündigt, indem er Verdienste um die Menschheit, wirkliche und erlogene, mit geschliffenen Steinen belohnen will. Ich lobe mir die ungeschliffenen.“
In der Schachtel waren B.’s sämmtliche Orden, und er hatte sie dutzendweise von allen Potentaten der Welt, die größten und geschätztesten. Aber er trug nie einen am Rocke (nicht einmal das kleinste Bändchen), sie lagen Jahr aus, Jahr ein in der alten Schachtel, um zum Schluß eines Semesters die Reise durch den Hörsal zu machen, begleitet von den spöttischen Bemerkungen ihres Besitzers. Wenn die sämmtlichen Herren Hofräthe der Universität in der Akademie versammelt waren, aufgedonnert, aufgeputzt, die Brust mit bunten Sternen und Kreuzen bepflastert, nahm sich B. in seiner schlichten grauen Tuchjacke und gleichen Beinkleidern (ich habe ihn nie in andern Kleidern gesehen) seltsam genug darunter aus. Und ich glaube, er hatte mehr Orden, als alle Uebrigen zusammen. Da konnte man ahnen, welch’ ein bedeutender Mensch er war. Ja, ein wahrer und großer Mensch war dieser Mann, von echt deutschem Geist, von echt deutschem Gemüth, einer jener Glücklichen und Beglückenden, die über den tiefen heiligen Ernst des Lebens, der in ihnen wohnt, den rosigen Schleier des Frohsinns, des Scherzes, des Humors breiten. Wie oft hab’ ich später still geseufzt: „Ach, wären doch recht viele sogenannte Menschen solche Affen, wie weit besser würde es um die Welt stehen!“[2]
Ein Wort zur Zeit. Die langen Abende bringen Langeweile und unwilkürlich greift man nach den Büchern, den Stellvertretern des im Familienleben leider jetzt so seltenen erzählenden Wortes. Nicht immer ist aber die Wahl eine weise oder wenigstens befriedigende, und die in ärmlichen Stadtteilen errichteten Leihbibliotheken, ja auf dem platten Lande die „fahrenden Leihbibliotheken“ bieten schon in ihren Katalogen der Möglichkeiten genug, Leute ohne geistige Selbstständigkeit, Charakterlose, wenn letzterer Ausdruck erlaubt sein sollte, zu beirren. Man erwarte nicht hier eine trockene Revue oder Sichtung der Kataloge jener Leihbibliotheken. Ich will aber mit einigen wohlgemeinten Erfahrungen, die in weiteren Kreisen bekannt gemacht zu werden verdienen, antworten; möglich, daß ein oder das andere Samenkorn in ein sorgliches Elternherz falle, daß eine Mutter treulich wache. Das gebildetere Publicum wählt eben nach besserer Bildung; nicht immer so die letzten Schichten der lesenden Bevölkerung.
Die Jugend liest in ganzen Jahren gar gern, aber nicht immer, wie es das veraltete Vorurtheil will, lehrreiche Bücher. Im Gegentheile, auch die rührige Phantasie verlangt ihre Nahrung. Moralische Auseinandersetzungen, wenn sie lang waren, haben auch wir in der Jugend oft schnell überschlagen und sind deshalb nicht zu verurtheilen. Aber man vermeide Alles, was dem Verstande keinerlei Aufklärung bringt; man vermeide die gewürzreichen literarischen Evocoladen, die nur die Einbildung reizen und beflecken ohne zu veredeln; man meide den schmutzigen Opium der Sentimentalität. Man suche belebende, anregende Lectüre, z. B. die besten geschichtlichen Romane, die das nationale Gefühl wecken. Man suche sich ein gesundes, selbständiges Urtheil zu bilden, und wähle vor Allem die Lectüre für das Haus den Verhältnissen gemäß.
Eine Dame, grosse Freundin der Cooper’schen Romane, selbst aber schwachköpfig, ließ jederzeit das von ihr gelesene Buch ohne Widerrede den jungen Töchtern vom Boudoirtische nehmen, wohl auch selbst vorlesen. Leicht reizbar verschlangen diese Töchter förmlich den Inhalt. Die Jüngere, eine kräftigere Natur, las die Bücher ohne Nachtheil; die ältere kokettirte mit einer gewissen Coulissenwildheit, einer affectirten Natürlichkeit, mit einer romantischen Ueberschwenglichkeit und ist jetzt ein gesunkenes Mädchen. Es ist nicht zu leugnen, starke Geister lesen Derartiges ohne Schaden. weil sie theils ganz unbefangen lesen, theils hinter der tändelnden Maschinerie sehr leicht den Kern errathen und sich einen moralischen Gewinn herauszieben. So schreibt auch die Fürstin Gallitzin in einem Briefe an Hemsterhuis, in dem sie von sich als funfzehnjährigem Mädchen spricht, daß alle von ihr gelesenen Romane, selbst seichteren Inhalts also, ihr auch nicht den entferntesten Verdacht von körperlichen Genüssen durchblicken ließen; vielmehr hatten sie ihr eine tiefe Verachtung gegen alle sinnliche Wollust eingeimpft.
Schwachköpfe werden sich auch in dem besten Romane nicht zurecht finden, für dessen Dasein wir dem Geber hohen Dank schulden. Das beweist eben, daß ein großer Theil jenes Verderbens, den man der Romanliteratur an und für sich zugeschrieben hat, auf das Publicum zurückfällt, was nicht zu lesen verstand; dem man also dieselben Worte zurufen muß, wie sie einst Goethe dem prosaischen Kritiker Fr. Nicolai zurief, der den „Werther“ verketzerte, weil sich einige verschrobene Köpfe nach Werthers Leiden auch eigenes Leiden bereiteten und darüber die poetische Sprache, die Lyrik, die idyllische Anmuth, vor allen Dingen aber den titanischen Geist, der gegen Fesseln der Zeit ankämpfte, und das Nationale in dieser genialen Dichtung vergaßen. Sie vergaßen eben, es sei ein Roman. Darum sang Goethe:
„Mag jener dünkelhafte Mann
Mich als gefährlich preisen.
Der Plumpe der nicht schwimmen kann,
Er will’s dem Wasser verweisen.
Was schiert mich der Berliner Bann,
Geschmäcklerpfaffenwesen!
Und wer mich nicht verstehen kann,
Der lerne besser lesen.“ –
Demnach ist nur das Unschöne, das Geschraubte, Sentimentale und Rohe aus der Romanliteratur zu verweisen und man hat Schwachköpfen dieses Feld thunlichst abzuschließen oder sie für spätere Zeiten zu verwarnen. Die goldenen Aepfel der Hesperiden sind einmal nicht für Alle und das Unkraut der Spieß’schen und anderer literarischen Plebejer Romane ist im Kleinhandel am besten versorgt, obgleich es dort auch den meisten Schaden anrichtet.
An der Leipziger Straße liegt vor Meißen, in den Rebenbergen der Lößnitz, ein Weinwirthshaus, die Pappelschenke genannt. Es ist noch nicht so sehr lange her, als zwei Weiber des Ortes, die in diesem Hause zu verrichten hatten, Morgens um neun Uhr noch Thüre und Läden verschlossen fanden. Auf das lauteste Pochen wollte doch Niemand öffnen; endlich bemerkt eine der beiden Frauen, daß der vordere Fensterladen von der Stube sich etwas lüften lasse. Durch die kleine Oeffnung läßt sich ein sehr beschränkter Blick in den innern Raum werfen. In der festlich geschmückten Stube steht eine lange, gedeckte Tafel; auf ihr herabgebrannte Kerzen; auf dem Sopha ein paar bekleidete Frauenfüße, die mit Blut bespritzt sind. Weiter konnte man nicht sehen. Man zeigt alle Umstände sogleich dem Gemeinderichter an; man erbricht die Thüre, und ist nun Zeuge des gräßlichsten Blödsinnes, der verwerflichsten Schwäche. – Die Wirthin vom Hause, eine geschiedene Ehefrau, liegt bräutlich und festlich angethan, als wolle sie mit ihrem neuen Bräutigam, der schon im Hause wohnte, zur Trauung gehen, freilich aber mit zerschmettertem Haupte auf’s Sopha gestreckt. Neben ihr liegen zwei Pistolen, wovon das eine in Stücke zersprungen war. Mit ihrem Hirn waren Wand und Decke bespritzt. Ein gleicher Anblick bietet sich in der Kammer dar; ein nackter, blutbesudelter männlicher Körper, dem fast die ganze rechte zerschossene Gesichtshälfte fehlt, windet sich im Bette. Es ist der Bräutigam jener Frau.
In der Stube deutet Alles auf ein eben stattgefundenes Fest hin. Wein und Backwerk und mancherlei Speisereste stehen auf der sauber gedeckten, noch von Wachskerzen erleuchteten Tafel. Weiße Gardinen hangen an den Fenstern herab. Guirlanden ziehen sich zwischen durch; zwischen Weingläsern und den Symbolen des Zechgelags sind Blumen, in dieser Jahreszeit (28. zum 29. März) noch etwas seltenes, reichlich umhergestreut. Phantasterei wie in einer Gaukelbude ringsum.
Der Schwerverletzte konnte, da die Kinnladen und die Zunge unversehrt waren, noch sprechen. Auf Befragen erzählte er, wie er und seine erwählte Lebensgefährtin in Folge ihrer verwickelten Lage diesen Tod beschlossen hätten. Dazu hätten sie vorerst seinen Geburtstag und das Vereinigungsfest für das Jenseits gefeiert, da die Kirche, eines Hindernisses wegen, sie noch nicht einsegnen konnte. Schlag zwölf Uhr hatten sie sich Beide auf sein Commando (er war Unteroffizier gewesen) erschießen wollen; aber seine Braut habe, so wie er ihr das Pistol gereicht hatte, nicht gewartet, um den rechten Augenblick nicht zu verlieren (vielleicht auch im Rausche), und hatte losgedrückt. Welche Nacht! Ueberrascht und sich vor dem furchtbar zerschmetterten Kopfe der Frau entsetzend, habe er gezittert, und sich nun fehlgeschossen. – Er wurde bald darauf in eine Heilanstalt gebracht.
Bei näherer Untersuchung dieses interessanten Falles fand sich bald, daß dieses Weib, von dem jener frevelnde Gedanke übrigens ausgegangen war, wohl gutmüthig, aber auch schwach und höchst leichtsinnig gewesen war. Durch Eitelkeit war sie gefallen und entsittlicht worden; weibliches Gefühl, Bescheidenheit und Scham waren erstickt worden, und zwar hatte da von frühe an die unselige Lectüre der obszönsten Romane das Meiste vermocht. Ihr ganzes Wesen war exaltirt und verzerrt worden; Arbeitsscheu und Gemeinheit wurden beschönigt mit den Scheintugenden ihrer gepriesenen „Spieß’schen, Miller’schen und Clauren’schen Heroen,“ in denen sich Rohheit und Albernheit mischt. Ihre etwaigen Gewissensbedenken wurden durch den angelebten Glauben an ein unabänderliches Fatum niedergeschlagen; von ihrem ersten rechtlichen Mann ließ sie sich scheiden, und hing diesem wüsten Menschen an. Um das Ende der Wahnwitzigen sollte aber der Festschmuck, die Brautgewandung, das Kerzenlicht und der Blumenduft, ein aufgeschlagenes Gesangbuch und drei Briefe (an die Behörden und den geschiedenen Ehemann) einen gewissen Heiligenschein verbreiten; sie wollte als eine schwärmerische Himmelsbraut gefunden sein, wie es ihr [596] der Fabrikant aller Albernheiten, jener Spieß, vorgezaubert hatte, indeß sie doch bei allen Widersprüchen in den Augen aller Vernünftigen als eine elende, verworfene Creatur galt. –
Wie viel haben Lehrer, Gemeindevorstände und Volksberather, namentlich in Fabrikgegenden und auf dem flachen Lande in der Hand. Eine gesunde Lectüre nützt schneller und sicherer, als vieles – Andere.
Die List des Vaters. Der ungarische Graf W. war im v. J. nach Baden-Baden gereist, um dort den Sommer mit seiner Tochter Helene zu verleben. Sie war jung, schön, hatte ein großes Vermögen zu erwarten und sah sich deshalb sehr bald mit einer Menge Freier umgeben. Reiche und Arme, Adelige und Bürgerliche, ernste und heitere Männer warben um sie und suchten einander den Rang vor ihr abzulaufen. Wenn sie ausfuhr, sah sie sich von einer Cavalcade von dienstbeflissenen Cavalieren umgeben, und auf den Bällen war sie die gesuchteste Tänzerin. Leute aller Nationen, Franzosen, Engländer und Russen warben um sie.
Unglücklicher Weise fiel Helenens Wahl auf einen ihrer am wenigsten würdigen Mann. Gaetano v. M. war zwar ein hübscher junger Italiener mit schönen blauen Augen und langem schwarzen Haar, der sich in gesellschaftlicher Beziehung gut zu benehmen und Mädchen zu fesseln wußte, es fehlten ihm jedoch die sittlichen Eigenschaften, welche dem Manne Werth verleihen. Er war ein Spieler von Profession und hatte Neapel wegen scandalöser Vorfälle verlassen, in die sein Spiel ihn verwickelt hatte.
Sobald der alte Graf W. dies erfuhr, beschloß er, seine Tochter um jeden Preis vor dem Ehrlosen zu bewahren. Er machte ihr Vorstellungen über ihre Neigung und warnte sie: das junge Mädchen war jedoch zu naiv und unerfahren, um den Worten ihres Vaters Glauben zu schenken. Sie meinte, der Geliebte sei bei ihm nur verleumdet worden, weil er es verstand, sich bei ihr stets in dem vortheilhaften Lichte eines tief und zärtlich empfindenden Liebhabers darzustellen. Sie fuhr daher fort, ihm ihre Liebe zu schenken, und Gaetano benutzte die Gelegenheit, sich die reiche Erbin zu sichern. Der Graf ließ sich jedoch dadurch nicht irre machen, sondern beschloß, dem Unwürdigen seine Tochter um keinen Preis zu überlassen, und müßte er selbst dazu schreiten, ihn zu vernichten. Er war noch nicht zu alt und noch kräftig genug, um den Kampf mit dem weichlichen Italiener nicht zu scheuen, dem er keinen Muth zutraute.
Es währte nicht lange, so fiel dem Grafen ein Brief Gaetano’s in die Hände, in welchem er Helenen zur Flucht aufforderte und sie zu diesem Zwecke um eine heimliche Zusammenkunft zu der Zeit bat, wenn ihr Vater nach seinem Whist-Club im Conversationshause gegangen sein würde. – Zum Zeichen ihrer Einwilligung sollte Helene eine Rose an der Brust tragen. Helene erhielt diesen Brief nicht.
„Stecke heut’ diese Rose vor,“ sagte ihr Vater, als sie sich zum Ausgehen rüsteten.
Helene gehorchte lächelnd und nahm ihres Vaters Arm. Auf ihrem Spaziergange begegneten sie Gaetano, dessen Augen vor Freude glänzten, als er die Rose erblickte. Dann brachte der Graf seine Tochter zu einem Bekannten und bat sie, dort auf ihn zu warten. Er selbst ging nach dem kleinen Hause in der Lichtenthaler Straße, das sie bewohnten, zurück, schickte seine Dienerschaft fort und blieb allein.
Zur vorgeschlagenen Stunde erschien Gaetano, sprang über die Gartenmauer und stieg, als er die Thür verschlossen fand, durch eins der Fenster zur ebnen Erde. Dann ging er die Trepppe hinauf und ging freudeerfüllt in Helenens Zimmer, das ihm bekannt war. Da trat ihm statt ihrer jedoch der Vater mit ein Paar Pistolen in der Hand entgegen. Der Graf verschloß die Thür und sagte zu dem zitternden Gaetano: „Ich könnte Euch erschießen, denn ich habe das Recht dazu. Ihr seid bei Nacht in mein Haus gedrungen und ich könnte Euch als Verbrecher behandeln.“
„Aber, mein Herr,“ stammelte Gaetano, „ich bin kein Dieb.“
„Und was seid Ihr sonst?“ fragte der Graf. „Ihr wolltet meine Tochter – eine Erbin und ein Vermögen – stehlen. Hier ist Ihr Brief, welcher Ihre verbrecherische Absicht enthüllt. Ich werde keine Gnade gegen Sie üben, doch will ich Ihnen das Leben schenken. Sie kennen die Geschicklichkeit meines rechten Armes. Ein Duell würde mich bald von Ihnen befreien, ich werde von diesem äußersten Mittel jedoch nur Gebrauch machen, wenn Sie sich weigern, mir zu gehorchen.“
„Und was verlangen Sie von mir, mein Herr?“
„Sie müssen Baden-Baden verlassen und zwar nicht erst in wenig Tagen oder morgen, sondern sogleich. Es müssen zweihundert Meilen zwischen mir und Ihnen liegen und Sie dürfen sich nie wieder meiner Tochter und mir nähern. Als Preis für diesen Geborsam zahle ich Ihnen die Reisekosten. Ich werde Ihnen 20,000 Fr. geben.“
Gaetano wollte sprechen.
„Kein Wort!“ rief der Graf mit donnernder Stimme. „Sie kennen mich! Verstanden? – Ihr Leben ist in meiner Hand und wenn Sie einen Augenblick zaudern, so jage ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf.“
„Gut, ich gehorche,“ stotterte der Italiener.
„Das ist Ihr Glück! – Ihre 20,000 Fr. liegen dort in dem Schreibtische. Nehmen Sie sie!“
„Erlauben Sie mir, Ihr Anerbieten auszuschlagen.“
Eine gebieterische Bewegung machte jedoch der falschen Bescheidenheit ein Ende und Gaetano sah wie ein Mann aus, der sich in sein Schicksal ergibt.
„Der Schreibtisch ist aber verschlossen,“ sagte er.
„Oeffnen Sie ihn.“
„Es ist kein Schlüssel daran.“
„Brechen Sie das Schloß auf.“
„Was, Sie wollen, ich soll – ?“
„Brechen Sie das Schloß auf oder ich schieße Sie nieder.“
Dabei erhob der Graf noch einmal das Pistol, und dieses bot einen unwiderstehlichen Grund dar. Gaetano gehorchte.
„Es ist gut!“ sagte der Graf. „Nehmen Sie dieses Paquet mit Banknoten, sie gehören Ihnen. Haben Sie eine Brieftasche bei sich?“
„Ja.“
„Was enthält sie?“
„Einige Papiere und Briefe, die an mich adressirt sind.“
„Lassen Sie die Brieftasche vor dem erbrochenen Schreibtische fallen.“
„Wozu?“
„Ich muß einen Beweis zu Ihrer Ueberführung haben.“
„Aber –“
„Kein Aber, ich muß den Beweis eines Einbruches haben. Ich muß den Dieb nennen können. Dieb oder Tod! – Sie werden vor mir hinausgehen und ich werde Sie nicht eher verlassen, als bis Sie eine Meile von Baden-Baden entfernt sind. Im Uebrigen seien Sie unbesorgt. Ich werde erst spät zurückkehren und meine Anzeige erst übermorgen machen. Sie haben vollkommen Zeit zur Flucht, und sollten Sie meines Schutzes bedürfen, so rechnen Sie auf mich. Jetzt fort!“
Nach diesem Vorfall, der großes Aufsehen machte, konnte Helene nicht länger zweifeln. Sie verbannte Gaetano aus ihrem Herzen, und hat mit keinem Worte seiner mehr erwähnt. Vor einigen Wochen fanden wir ihre Verlobung mit einem österreichischen Rittmeister angezeigt.
Berühmte Echo’s. Eins der berühmtesten Echo’s bewohnt den Oybin bei Zittau, wo der Knall einer abgeschossenen Pistole acht bis zehn Mal deutlich wiederhallt. Eigenthümlicher Art ist das Echo zwischen Bingen und Koblenz. Dasselbe spricht jeden Laut nicht nur sieben Mal, sondern, möge er auch noch so leise gesprochen oder gesungen worden sein, stets laut, deutlich und, was das Interessanteste ist, wechselsweise bald als ob er in der Nähe sei, bald als ob er aus weiter Ferne erklinge, noch etwa wie eine Aeolsharfe. Namentlich hat Schottland sehr viele schöne Echo’s.
Im Erbbegräbnisse der Familie Abercorn in der Grafschaft Renfrew gibt es ein außerordentlich schönes und romantisches Echo. Wenn die Thür der Capelle geschlossen ist, gleichen die Klänge dem Rollen des Donners.
Ein einziger musilalischer Ton steigt stufenweise zu einer Menge von Echo’s, bis diese endlich in einem sanften und bezaubernden Murmeln dahinsterben.
Wenn die Wirkung eines einzigen Instrumentes schon herrlich ist, so ist das Zusammenspiel mehrerer ein wahrhaft himmlischer Genuß, lieblich und gewaltig ergreifend zugleich, wie man sich die Musik der Sphären vorstellen möchte. In der Nähe von Woodstock in England soll früher ein Echo wäbrend des Tages siebzehn Sylben und des Nachts zwanzig wiederholt haben. Die Meisten, welche auf der Schwesterinsel gereist sind, haben von dem Adlerneste bei Mucroß Abbey an den Ufern des Sees von Killarney gehört. Dieser berühmte Felsen ist von einem staunenswerthen Echo bewohnt. Tönt ein Wald- oder Hirtenton, so antworten hundert Echo’s gleich dem Rufe. Knallt ein einziger Schuß, so brechen die lautesten Donner von Fels zu Fels und schwinden in endlosem Grollen in den entfernten Bergen dahin. Bekannt ist auch das Echo im Grabe der Metella, der Gattin Sulla’s, welches jeden Ton fünf Mal und in verschiedenen Tonarten nachahmt. Ein englischer Reisender behauptet, in der Nähe eines Edelsitzes, etwa eine Stunde von Mailand, ein Echo gehört zu haben, welches den Knall einer abgeschossenen Pistole 56 Mal wiederholte, obwohl die Luft nebelig und somit zu dergleichen Versuchen nicht eben sehr geeignet gewesen ist. Zuerst folgten die Wiederholungen sehr schnell aufeinander, aber die Pausen wurden verhältnißmäßig größer, als der Schall schwächer wurde. Dieses bewundernswürdige Echo ward schwerlich von dem Baumeister beabsichtigt: aber es ist entstanden durch zwei parallellaufende Mauern von beträchtlicher Länge, zwischen denen der Schall hin- und hergeworfen wird, bis die Undulation ganz verbraucht und erschöpft ist. Der Klang eines einzigen musikalischen Instrumentes soll an diesem Orte einem starkbesetzten rauschenden Concerte gleichen.
wird auch für dieses Quartal die allbekannte und überall gern gesehene Zeitschrift empfohlen:
Erst wenn die Menschheit Haare auf den Zähnen hat und sich nicht mehr barbieren läßt, weder über den Löffel, noch sonst wie, kann man sagen, daß die Mission des Dorfbabiers zu Ende ist, daß er ein überwundener Standpunkt“ Da voraussichtlich dieses umwaldete patriarchalische Zeitalter in diesem Quartal noch gewärtigen, wird auch der Dorfbarbier wissen, was seines Amtes ist, und im Vereine mit Buddelmeier und dem Bildermann sein angebracht Geschäft fortsetzen. Auch Rudlich und Breetenborn sind noch nicht um die Ecke, sondern noch daran mit all ihren Wünschen, Hoffnungen und unversiegbarem Durste nach – Wahrbeit.
Das Rasiergeld bleibt trotz der theuren Quartierpreise 10 Ngr. pro Quartal, und dafür kommt der Dorfbarbier mit seiner Weltgeschichte jede Woche einen großcn Bogen stark mit komischcn Illustrationen und Zeitbildern.
- ↑ Medaillon aus Storch’s Denkwürdigkeiten.
- ↑ Blumenbach starb 1840, wurde also fast 88 Jahre alt, und feierte als Universitätslehrer nicht nur sein eigenes 50jähriges Doctorjubiläum, sondern auch das 50jährige und 100jährige Gründungsfest der Universität, deren glänzendste Zeit er erlebt und mit herbeigeführt hatte.