Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts/Der Hamburger Kaufmannsohn Bielfeld
Deutsche Originalcharaktere des achtzehnten Jahrhunderts.
Friedrich der Große war, trotz seiner Freigeisterei, nicht so bürgerlich gesinnt wie sein Vater; er bevorzugte den Adel in jeder Hinsicht und verlieh ihm ausschließlich die Offiziersstellen, außer in der Artillerie. Auf den Maskeraden des Opernhauses, die er gab, verwies er die Bürgerlichen hinter gezogene Schranken, und wenn er ihnen sonst alle Masken erlaubte, so waren doch die Rosadominos ausschließlich dem Adel vorbehalten. Hatte doch schon sein Vater von ihm, als er sechzehnjähriger Prinz war, gesagt, „daß er hoffärtig und recht bauernstolz sei … und nit popular und affabel war“.
Um so auffälliger ist es jedenfalls, daß er einen Bürgerlichen, der nicht einmal durch hervorragende geniale Leistungen sich auszeichnete, längere Zeit in seine nächsten Kreise zog und daß dieser selbst unter seinen Hofstaaten, besonders in Rheinsberg, eine dem Anschein nach gleichberechtigte Stellung einnahm. Bielfeld war kein Genie; aber er war so gewandt wie irgend ein Hofmann, ein feiner und geistreicher Kopf voll scharfer Beobachtungsgabe – und seinen Aufzeichnungen in den „freundschaftlichen Briefen“, welche zuerst in französischer Sprache 1763 erschienen, verdanken wir eine sehr willkommene Kenntnis vieler Vorgänge aus dem Leben des jungen Friedrich, welche, von den Geschichtsforschern nach dieser Quelle geschildert zu werden pflegen.
Bielfeld war in Hamburg geboren als Sohn eines reichen Siegellackfabrikanten; er hatte seine Bildung auf Schulen und Hochschulen unter der Leitung von Hofmeistern und Tanzmeistern erhalten; es war eine durchaus weltmännische Bildung. Als ein begeisterter Jünger Voltaires zeigte er in der Unterhaltung französischen Witz und Geist, der sich auch in seinen Briefen ausspricht. Darum gehört er zu den originellen Charakteren des vorigem Jahrhunderts, weil er beweist, daß auch das Bürgertum ausnahmsweise jenen französischen Geist in sich ausgenommen hatte und sich damit eine glänzende Laufbahn zu eröffnen verstand. Bielfeld war auch Freimaurer und hat in Hamburg jedenfalls in den Orden eine hervorragende Stelle eingenommen; gerade dadurch kam er mit dem jungen Prinzen Friedrich zuerst in nähere Berührung.
König Friedrich Wilhelm I. machte eine Reise nach Holland, um dort auf Schloß Loo seine Bekannten zu besuchen. Hier, wie Bielfeld berichtet, oder unterwegs auf einem Schlosse im Vlämischen, wie man nach Friedrichs eigenen Mitteilungen annehmen muß, kam das Gespräch beim Diner auf die Freimaurerei. Dieses war nicht nach dem Geschmacke des alten Königs, der sich sehr wegwerfend über sie aussprach. Da brach der Graf von der Lippe-Bückeburg, der selbst ein Freimaurer war, eine Lanze für den Orden mit einer warmen Beredsamkeit, die natürlich den König nicht zu bekehren vermochte, dafür aber beim Kronprinzen den lebhaften Wunsch erweckte, die Freimaurerei näher kennenzulernen und sich in den Orden aufnehmen zu lassen; man kam dahin überein, daß die Aufnahme in Braunschweig bei der Rückreise vor sich gehen solle, und zwar zur Zeit der Messe, wo bei dem Andrang zahlreicher Fremden die Ankunft von Freimaurern am besten verborgen bleiben könne. Graf Lippe lud sechs Mitglieder der Hamburger Loge ein, um den feierlichen Akt zu vollziehen; unter diesen befand sich auch Bielfeld. Mit Freuden ergriff er diesen Anlaß, dem jungen Prinzen näher zu treten; ihm schien’s, als könnte er durch diese Bekanntschaft den Grund zu seinem Glücke legen. „Sie wissen,“ schreibt er an einen Freund, „daß mir mein gegenwärtiger Zustand mißfällt und daß mir fast vor meiner Vaterstadt ekelt. Ich bin den Pflanzen gleich, welche zu Nichts taugen, wenn sie nicht versetzt werden. In Hamburg, wenn es hoch käme, würde ich nur in Samen schießen und dann verwelken.“
Bei der Ankunft in Braunschweig drohte die erste Gefahr von der Accise. Die Reisenden hatten alle zur Loge gehörigen Gerätschaften und Instrumente bei sich. Wenn der Beamte sich hartnäckig gezeigt und auf Eröffnung des großen Koffers bestanden hätte, so wäre ihnen nichts übrig geblieben, als sich für Goldmacher oder Marktschreier auszugeben. Doch der Beamte ließ sich durch einen Dukaten zu der Einsicht bringen, daß er es mit Standespersonen zu thun habe, welche unmöglich den Zoll unterschlagen könnten. Friedrich Wilhelm aber hätte leicht von der Aufnahme des Prinzen, seines Sohnes, in den Orden Nachricht erhalten und in einer bösen Stunde gewiß die Achtung vor den verehrungswürdigen Brüdern beiseite setzen können. Es galt also die größte Vorsicht. Der Prinz bestimmte die Nacht zwischen dem 14. und 15. August (1738) für die Feierlichkeit; sie sollte in dem Kronschen Gasthofe stattfinden, in welchem die Freimaurer alle abgestiegen waren; sie hatten dort einen großen Saal zur Verfügung, der sich vortrefflich zu diesem Zweck eignete. – Er hatte nur eine Unbequemlichkeit; an der Seite desselben beim Eingang befand sich ein nur durch eine Bretterwand geschiedenes Zimmer, und dies Zimmer hatte ein hannoverscher Edelmann inne, der alles anhören und ausplaudern konnte. Er war indes einigen der Herren bekannt und sie wußten, daß er dem Trunke sehr ergeben war. Diese Schwäche machten sie sich zu nutze. Nach der Mahlzeit drang einer nach dem andern in sein Zimmer und trank ihm so tapfer zu, daß er in tiefen Schlaf verfiel und nicht aufgewacht sein würde, wenn nebenan eine Kanone abgebrannt worden wäre. Das Gepäck war inzwischen ausgepackt worden; ein dienender Bruder, der Bediente des einen Edelmannes, hielt Wache mit gezücktem Schwert. Bald nach Mitternacht schlich sich Prinz Friedrich ein, in Begleitung des Hauptmanns von Wartensleben, der ebenfalls aufgenommen zu werden wünschte. Der Prinz verlangte, daß bei seiner Aufnahme auch nicht eine einzige der üblichen strengen Ceremonien ihm erlassen, daß er bloß als eine Privatperson angesehen werden solle. Und so geschah’s – er wurde nach allen Regeln aufgenommen. Bielfeld hielt eine Anrede, über welche der Prinz ihm seine Zufriedenheit bezeigte; seit dieser Zeit gehörte der Hamburger zu seinen Lieblingen. Aber auch Bielfeld konnte das Benehmen des Prinzen, seine Unerschrockenheit, sein gesetztes Wesen, das artige Betragen, welches er auch in den bedenklichsten Augenblicken zeigte, nicht genug bewundern. „Er ist nicht groß von Statur,“ schreibt er, „und Gott würde ihn statt des Königs Saul nicht leicht zur Regierung erwählt haben. Aber was die Schönheit und Größe seines Genies betrifft, verdient er zum Heil der Völker den preußischen Thron zu besteigen. Sein Wesen ist einnehmend, seine Miene geistreich, seine Haltung edel. Ein süßes Herrchen aus Paris würde zwar seine Frisur nicht ganz nach der Ordnung finden; doch seine Haare haben ein schönes Braun, passen sehr gut zu seiner Gesichtsbildung und sind ganz ungezwungen in Locken gelegt. Seine großen blauen Augen haben zugleich etwas Ernsthaftes, aber Angenehmes und Gütiges. Jedes seiner Worte zeigt unendlich vielen Verstand und große Güte.“
Es war vorauszusehen, daß es bei dieser ersten Begegnung zwischen dem Prinzen und dem jungen Hamburger Kaufmann nicht bleiben würde. Schon im nächsten Jahr erschien im Auftrage des Prinzen, der Graf von Truchseß-Waldburg bei Bielfeld, um sich zu erkundigen, ob er Lust hätte, in die Dienste desselben zu treten. Bielfeld, auf den dieser Antrag einen großen Eindruck machte, benahm sich als echter Diplomat: er kenne das Hofleben und dessen verführerische Reize nicht aus eigener Anschauung; er würde sich glücklich preisen, wenn ihm zunächst Gelegenheit geboten würde, es kennenzulernen, und zwar an dem Hofe, wo er einst sein Glück zu machen gedenke. So kam man überein, daß er nach Rheinsberg kommen solle, um sich dort dem Prinzen zur Verfilzung zu stellen. Inzwischen fragte er seinen früheren Lehrer, einen schlesischen Edelmann, der jetzt Erzieher eines mecklenburgischen Prinzen geworden war, ob derselbe meine, daß sein Schüler sich für das Hofleben eigne und ob er in der Lage sein werde, sich einem solchen Prinzen, der alle Fähigkeiten eines Cäsars besitze, nützlich zu machen. Bielfeld befürchtete, er würde möglicherweise auf diesem Schauplatze sich schlecht ausnehmen und unter dem Zischen der Zuschauer wieder von ihm abtreten müssen. Doch scheint die Antwort beruhigend gelautet zu haben, sehen wir ihn doch bald danach auf dem Wege nach Rheinsberg.
Hier trat Bielfeld in einen Kreis, in welchem die Musen und Grazien herrschten. Trotz seiner nach damaligen Begriffen [254] untergeordneten gesellschaftlichen Stellung und obschon er sich bisher in keiner Weise durchs schriftstellerische oder künstlerische Leistungen als ein Genie bewährt hatte, fand er sich in diesem Kreise fast gleich einem ebenbürtigen Genossen aufgenommen. Er besaß seinerseits die größte gesellschaftliche Gewandtheit und den behenden Witz der Voltairianer – und so stellte sich das geistige Gleichgewicht mit den Rheinsberger Hofmännern von selbst her. Jedenfalls war es ihm vorbehalten, die Chronik dieses Musensitzes zu schreiben, wo sich Kronprinz Friedrich, später der hervorragendste Herrscher des vorigen Jahrhunderts, auf seinen hohen Beruf vorbereitete und wo neben dem mit Vorliebe angeschlagenen leichtfertigen Ton des Versailler Hofes auch die mächtigen Accorde jener geistigen Bewegung nachzitterten, welche, von den großen Denkern und Dichtern hervorgerufen, zuletzt diesen Versailler Hof in alle Lüfte fegen sollte. Die Charakterschilderungen Bielfelds, die auf scharfer Beobachtung beruhen, sind für die spätere Geschichtschreibung von Wichtigkeit geblieben. Zwar der englische Biograph des großen Königs, Thomas Carlyle, hat geringe Sympathien für Bielfeld, von dem er sagt, er schwadroniere mit französischem Esprit im Munde und Spitzenmanschetten an den Aermeln, blendend und gerieben genug, und meint, daß seine Mitteilungen nur mit Vorsicht zu benutzen seien; er räumt ihm nur einen Scharfblick oberflächlicher Art ein. Doch Carlyle ist oft launenhaft in seinen Urteilen, während ein gediegener deutscher Geschichtschreiber, Preuß, der mehrere mit Recht hochangesehene Werke über das Leben des Großen Friedrich, seine Jugend und seine Freunde verfaßt hat, sagt: „Bielfeld, der zuletzt nach Rheinsberg kam, hat in seinen Briefen treue Schilderungen von diesem seltenen Vereine glücklicher Zurückgezogenheit gegeben, dessen er durch Studien, durch Reisen, durch Talent wie Einer würdig war.“
Bielseld selbst schrieb begeistert über seinen Rheinsberger Aufenthalt: „Ich verlebe hier wahrhaft entzückende Tage. Eine königliche Tafel, ein Götterwein, eine himmlische Musik, köstliche Spaziergänge, sowohl im Garten als auch im Walde, Wasserfahrten, Zauber der Künste und Wissenschaften, angenehme Unterhaltung: alles vereinigt sich in diesem feenhaften Palaste, um das Leben zu verschönern.“ Die Charakterköpfe der Genossen des Rheinsberger Kreises sind von Bielfeld mit schriftstellerischem Talent gezeichnet und ausgeführt: nichts anschaulicher als das Bild des Barons Keyserling. „Er trat in den Saal mit einem Geräusch und Getöse, wie der Nordwind im Rosenballett. Er kam von der Jagd und zu meinem Erstaunen erblickte ich ihn im Schlafrock, mit der Flinte über der Schulter. Er redete mich heiter an, wie man einen alten Freund anredet, und trug mich beinahe in sein Zimmer. Während er sich ankleidete, sagte er mir einige Verse aus der ,Henriade’ her, führte Stellen aus deutschen Dichtern an, machte einige Kapriolen und Pas, kam auf gelehrte Gegenstände und unterhielt mich von Politik, Mathematik, Malerei, Baukunst, von den schönen Wissenschaften und von der Kriegskunst. Ich stand wie betäubt, hörte schweigend zu und bewunderte alles an ihm, sogar die glücklichen Sprünge von einem Gegenstand zum andern; doch schien mir diese große Lebhaftigkeit nicht ganz ungekünstelt und keineswegs hervorgehend aus einem übersprudelnden Geiste. Obgleich ich bei näherer Bekanntschaft meine Meinung nicht geändert habe, finde ich doch, daß Keyserling ein sehr lieber Mann ist, der mancherlei weiß, gut spricht und schreibt und sogar Verse macht und neben dem aufgewecktesten Kopf das beste Herz besitzt. Sein Aeußeres ist kurz und gedrängt; er hat kleine Augen, eine breite Nase, keinen angenehmen Mund und eine gelbe Hautfarbe. Sein Wesen ist offen und ungezwungen, seine Haltung gut; er hat ganz die Sprache und Manieren eines Weltmannes.“
Am wohlthuendsten berührt die liebevolle Charakteristik der Kronprinzessin, der Gemahlin Friedrichs, welche sowohl von seiner Schwester als auch von seiner Mutter sehr ungünstig beurteilt wurde; die letztere sagte von ihr, „sie sei dumm wie ein Bündel Stroh“.
Bielfeld rühmt ihre regelmäßige Gestalt: „Ihre Brust, ihre Hände, ihre Füße könnten einem Maler zum Muster dienen. Ihre Haare haben das schönste Aschgrau von der Welt; sie fallen ein wenig ins Blonde und schimmern wie die Perlen, wenn sie gepudert sind. Sie hat eine sehr zarte Haut und große blaue Augen, in denen Lebhaftigkeit und Sanftmut sich um den Vorrang streiten. Ihr Blick ist feurig, sie hat eine offene Stirn, wohlgesetzte Augenbrauen, eine kleine, etwas spitzige, aber wohlgebildete Nase, einen angenehmen Mund, rote Lippen und ihr Kinn ist wie ihr Hals reizend. Güte spricht aus ihren Zügen und man kann wohl sagen, daß ihre ganze Gestalt von den Händen der Grazien geschaffen scheint; sie spricht wenig, am wenigsten bei Tisch; doch alles, was sie sagt, ist witzig. Sie scheint ein großes Genie zu haben, das sie durch beständiges Lesen der besten französischen Schriftsteller noch mehr ausgebildet hat.“ Vergleicht man mit dieser Schilderung der braunschweigischen Prinzessin, die später vom König Friedrich II. ganz beiseite geschoben wurde, das Bild, das die Schwester desselben, die Markgräfin von Bayreuth, eine etwas böswilliges Memoirenschreiberin, von ihr entwirft, so findet man, daß bei dieser sehr viel Schatten erscheint, wo jener nur Licht gesehen hat; sie meint, daß die Prinzessin zwar groß, aber von schlechtem Wuchs und schlechter Haltung, daß ihre Augen von einem blassen Blau seien und wenig Geist verrieten, daß sie wenig Anstand habe, im Sprechen sehr unbehilflich sei und sich schwer verständlich machen könne. Doch Bielfeld war kein Schmeichler und man wird ihm größere Unbefangenheit und Unparteilichkeit zutrauen dürfen als den Damen des königlichen Hauses, welche offenbar gegen die Braunschweigerin eingenommen waren.
Hin und wieder wurde der ruhige Verlauf der schönen Tage von Rheinsberg, welche der Pflege der Künste und Wissenschaften und heiterem Lebensgenuß gewidmet waren, durch ein etwas lärmendes Vergnügen unterbrochen. Ueber eines derselben berichtet Bielfeld, der selbst für längere Zeit einen unangenehmen Denkzettel davongetragen, in ganz ergötzlicher Weise: „Eines Tages hatte der Kronprinz einen ganz ungewöhnlich guten Humor bei der Mittagstafel. Seine Heiterkeit belebte diejenige der ganzen Gesellschaft. Einige Gläser Champagner versetzten uns in eine zu den lustigsten Späßen aufgelegte Laune. Der Prinz fand, daß dieser leichte Rausch uns nicht übel stehe, und erklärte uns beim Aufstehen von der Tafel, daß er entschlossen sei, das kleine Bacchusfest beim Souper da wieder anzufangen, wo wir es beim Diner gelassen hatten. Gegen Abend ließ mich der Prinz zum Konzert einladen, und als dasselbe zu Ende war, sagte er zu mir: ,Gehen Sie jetzt zur Prinzessin; sobald sie mit ihrem Spiel zu Ende ist, wollen wir uns zu Tisch setzen und nicht eher wieder aufstehen, als bis die Wachslichter verlöschen und der Champagner unseren Kopf ein wenig erleuchtet hat.’ Ich hielt diese Drohung für einen Scherz; aber die Prinzessin sagte mir, es sei voller Ernst damit und ich würde der List des Prinzen nicht entgehen können. In der That, kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, so fing er an, eine interessante Gesundheit nach der andern auszubringen, auf welche Bescheid gethan werden mußte. Auf diesen ersten Angriff folgte ein ganzer Strom von Witzworten und jovialen Ausfällen von seiten des Prinzen und seiner Umgebung; die ernsthaftesten Stirnen entwölkten sich; die Heiterkeit wurde allgemein; auch die Damen nahmen daran teil. Ich hielt mich längere Zeit ziemlich wacker; dann aber bemerkte ich, daß eine kleine Wolke von Dünsten mein Bewußtsein zu umnebeln anfing. Ich hatte vor mir ein großes Glas Wasser. Die Prinzessin, der ich gegenüber saß, ließ aus einer liebenswürdigen kleinen Bosheit das Wasser weggießen und das Glas statt dessen mit Sillerychampagner füllen, so klar wie Felsenwasser, und man blies dazu auch noch den Schaum und die Perlchen hinweg. Ich hatte schon die Feinheit des Geschmacks verloren und mischte nun meinen Wein, ohne es zu wollen, mit Wein. Statt mich nüchtern zu machen, berauschte ich mich aber mit einem Räuschchen, das fast zur Trunkenheit stieg. Um mich vollkommen zu verderben, befahl mir der Prinz, mich an seine Seite zu setzen, sagte mir höchst verbindliche Dinge, ließ mich, soweit als meine schwachen Augen damals trugen, in die Zukunft hineinblicken und dabei ein volles Glas nach dem andern von seinem Lunel (– ein Muskatwein –) trinken. Endlich, mochte es nun aus Zufall oder Absicht geschehen, zerbrach die Kronprinzessin ein Glas. Das war ein Signal für unsere ungestüme Heiterkeit, ein großes Beispiel, das uns der Nachahmung wert erschien. In einem Augenblick flogen die Gläser in alle Ecken des Saals; sämtliches Glaswerk, Porzellan, Spiegel, Kronleuchter, Gefäße und Geschirre, alles wurde in tausend Stücke zerschlagen. Inmitten dieser gänzlichen Zerstörung stand der Prinz wie der tapfere Mann des Horaz, [255] welcher, Zeuge der Zertrümmerung des Weltalls, dessen Ruinen mit ruhigem heiteren Auge betrachtet. Als aber endlich aus der Heiterkeit ein Tumult wurde, flüchtete er sich aus dem Gedränge und zog sich mit Hilfe seiner Pagen zurück. Gleichzeitig war auch die Kronprinzessin verschwunden. Ich war unglücklich genug, nicht einen Bedienten zu finden, der sich meiner Hilflosigkeit erbarmt hätte. Ich kam so tappend der großen Treppe zu nah und stürzte von oben hinab. Am Morgen sprach man von Trepanieren, indes mußte ich doch vierzehn Tage das Bett hüten. Das ganze Schloß war zum Sterben krank. Weder der Prinz, noch einer der Kavaliere konnte sichtbar werden und die Prinzessin befand sich beim Diner ohne Herren. Man wird in Rheinsberg noch lange an diesen Tag denken, der glücklicherweise wenig Brüder zählt, da der Prinz durchaus kein Trinker ist.“
Bielfeld hatte längere Zeit die Gastfreundschaft des Rheinsberger Hofes genossen, war dann nach Hamburg zurückgereist, bald aber vom Kronprinzen wieder nach Rheinsberg gerufen worden. Der König in Berlin lag schwer krank danieder; der Prinz wurde an sein Krankenlager beschieden – nicht lange währte es, so kam die Todesnachricht nach Rheinsberg: Prinz Friedrich König! Großer Jubel herrschte bei seinen Genossen; man huldigte begeistert der noch in Rheinsberg anwesenden Königin. Die Stimmung war eine ähnliche wie bei den Genossen des Prinzen Heinz, bei Falstaff und den anderen, als dieser König von England geworden; man träumte von goldenen Bergen.
Herr von Knobelsdorf kam zu Bielfeld, der sich eben zu Bett gelegt, ins Zimmer gestürzt mit der Freudenbotschaft; dabei rannte er im Finstern wider einen Tisch, warf ihn um und das ganze kleine Silbergeld, das Bielfeld dort aufgezählt hatte, um seine Spielschulden zu bezahlen, flog mit großem Getöse im ganzen Zimmer herum. „Das Licht kam,“ erzählt Bielfeld weiter, „ich sprang aus dem Bette und machte Anstalt, die zerstreuten Münzen aufzulesen; er aber ließ es nicht zu und sagte: ,Ist es wohl in einem Augenblick wie der jetzige erlaubt, an dergleichen unnütze Kleinigkeiten zu denken, Dreier aufzulesen, da es bald Dukaten auf uns regnen wird?’“ In einer noch gehobeneren Stimmung als Knobelsdorf befand sich Keyserling, der auf einmal, als die Rheinsberger sich zu den Trauerfeierlichkeiten nach Charlottenburg begaben, sich hier als einen bevorzugten Günstling von zahlreichen Bittstellern umlagert sah. In Rheinsberg hatte ihm der Prinz den Namen „Cäsarion“ gegeben; mit diesem Namen hatte er alle seine Thüren bezeichnet. „Täglich erhielt er gegen fünfzig Glückwünsch- und Bittschreiben und gab einer großen Menge von Sekretären bloß mit dem Antwortschreiben vollauf zu thun. Bei ihm scheint die Hippokrene überzulaufen und von seiner Feder fließen die Verse stromweise; allein sie sind nicht immer gerade von dem besten Schlage. Er empfängt alle Tage von dem Könige kleine Geschenke, die in seiner Seele ebensolche Wirkung hervorbringen, wie sonst große Wohlthaten der andern zu haben pflegen. Er springt mit einem kleinen Bernsteinpfeifchen, das an einem Knopfloche hängt, im Garten und im ganzen Schlosse herum, spielt auf seiner Baßgeige, singt, lacht, scherzt und macht tausend Späße. In der That gab der gute Obrist das Bild eines von Größenwahn Ergriffenen und verfiel auch bald in ein hitziges Fieber. Er spielte künftig keine große Rolle mehr.“ Eine größere war Bielfeld beschieden; er wurde im Sommer 1740 nach Hannover mit dem Grafen Truchseß geschickt, dann nach London, um sich für den diplomatischen Dienst auszubilden; er benutzte seinen dortigen Aufenthalt, um die englischen Sitten zu studieren, von denen er in seinen Briefen eine ergötzliche Schilderung giebt. Zurückgekehrt, wurde er zum Legationsrat ernannt und dann von dem Könige nach Schlesien berufen, wo er 1741 der Belagerung von Neisse beiwohnte und bei einem Spazierritt, den er während eingeleiteter Verhandlungen unternahm, in der Nähe der Festung zwischen zwei Feuer geriet, indem die Feindseligkeiten plötzlich wieder eröffnet wurden.
Von den Breslauerinnen weiß er sehr viel Liebenswürdiges zu erzählen, sowohl von den vornehmeren Damen als von den Frauen aus dem Volke; er rühmt ihre Galanterie. Die preußische Garnison in Breslau hatte anfangs nur aus vier Bataillonen Füselieren bestanden, den unansehnlichsten Leuten der Armee. Als aber die Garde, „lauter sechs Fuß hohe, wohlgebildete, gleichsam gedrechselte Leute, mit Blau und Silber bekleidet und wie Adonis frisiert und gepudert, in die Stadt einrückte“, da herrschte, wie Bielfeld sagt, ein großer Aufruhr im Reiche der Galanterie. Er sah eine artige junge Frau, welche die bittersten Thränen weinte, vorüberrennen. Auf Befragen erklärte sie seufzend, daß sie sich mit einem Füselier aus dem Regiment von Münchow verheiratet habe, jetzt aber ihre Uebereilung beklage, weil sie einen Soldaten von der Garde, sechs Fuß zwei Zoll hoch, heiraten könnte, wenn sie ihre Hochzeit nur um acht Tage länger aufgeschoben hätte.
In Berlin glänzte Bielfeld als eine Art von Hofpoet; bei der Hochzeit des Prinzen von Preußen hielt er die Strohkranzrede und sattelte seinen Pegasus auch bei anderen festlichen Gelegenheiten.
Im Jahre 1745 wurde er zum Hofmeister des Prinzen Ferdinand ernannt, welcher nicht befürchten durfte, mit zu viel Gelehrsamkeit gequält zu werden. Mit diesem jüngsten Bruder des Königs siedelte er dann in das Schloß zu Potsdam über und befand sich so in Friedrichs nächster Nähe, den er auch damals auf seinen Reisen nach Schlesien und Pommern begleitete. In diese Zeit fällt ein Schloßbrand in Potsdam, der recht lustige Scenen zur Folge hatte. Er war im Zimmer der Königin-Mutter ausgebrochen; die hohe Frau wurde über den Schloßhof in einem Tragsessel von zwei Soldaten der Leibwache getragen und auf der einen Seite durch den Gardeoffizier von Pattnewitz, der völlig angekleidet, gestiefelt und gespornt und im Oberrock war, auf der andern von Baron von Pöllnitz im Schlafrock, Pantoffeln und mit einer Nachtmütze begleitet: daneben stürzten, beim traurigen Ton der Trompeten, Hofdamen im Unterrock und barfuß; Hofkavaliere im Hemde oder im bloßen Schlafrock auf den Schloßhof; ja man sah eine Dame, welche zwei Strümpfe übereinandergezogen hatte und den andern Fuß nackend zeigte. Doch hatte der Unfall weiter keine Folgen; drei bis fünf Zimmer im Schlosse brannten aus.
Das wichtigste Ereignis in Bielfelds Leben war jedenfalls, daß ihn per König bei einer Reise in Pommern 1747 zum Oberaufseher über alle seine Universitäten ernannte: Halle, Frankfurt an der Oder, Königsberg, Duisburg und Bingen. Dies erinnert doch etwas an das Stockregiment des Königs Friedrich Wilhelm I., der seine Gelehrten zu Hofnarren machte. Der große Friedrich stellte sie alle unter die Aufsicht eines Hofmannes, der nie gelehrte Studien gemacht hatte und in seinen Briefen sich über den alten Homer in sehr ketzerischer Weise ausspricht. Gleichzeitig wurde Bielfesd Direktor des Berliner Hospitals und stellvertretender Intendant des Hoftheaters. Auch einige Lustspiele, natürlich nach französischen Vorbilden, hatte er verfaßt; der Schauspieldirektor Schönemann, der sie zur Aufführung brachte, erwähnt dieselben in seinen „Denkwürdigkeiten“. Als ein Mann von so vielen Würden hielt er es für angemessen, jetzt in den Stand der Ehe zu treten. Schon vor fünf Jahren hatte er sich um eine reiche junge Dame in Halle beworben, doch ohne Erfolg. Da sie noch unverheiratet war, erneuerte er jetzt seine Bewerbung, als ihn eine Amtsreise in die Universitätsstadt an der Saale führte. Einige philosophische Betrachtungen über die Ehe, die er bei dieser Gelegenheit machte, sichern ihn vor dem Verdacht, ein besonders schwärmerischer Liebhaber gewesen zu sein.
„Die Braut,“ sagt er, „malt man niemals anders als mit den schmeichelhaftesten Farben. Allein die Heirat ist sehr geschickt, den falschen Glanz derselben auszulöschen. Die Larve fällt ab, die Frau bleibt da und die Schönheit vergeht. Eine Braut muß viele Verwandlungen durchmachen. Sie ist in den Augen des neuen Gemahls eine schöne Raupe, welche die Natur mit den lebhaftesten Farben geziert hat; einen Monat nach der Hochzeit wird sie eine solche Raupe, die man eine Puppe nennt und die für ihn schon ganz leblos und tot zu sein scheint, und nicht lange darauf sieht man sie in einen wirklichen Schmetterling verwandelt. Damit ich das letzte Unglück vermeide, habe ich mich auf doppelte Art vorgesehen. Einmal habe ich den Charakter ins Auge gefaßt, der bei Madmoiselle von Reich, soweit man ihn bei einem Frauenzimmer beurteilen kann, vortrefflich zu sein scheint, und dann das sehr ansehnliche Vermögen, das mich auf alle Fälle schadlos halten könnte.“ Die Heirat fand 1748 statt. Der König verlieh ihm bei diesem Anlaß den Baronstitel. Bielfeld kaufte den neuen Palast des Grafen von Keyserling in der Wilhelmsstraße in Berlin; doch [256] der Hoflustbarkeiten und seiner mit geringem Gehalt verbundenen Ehrenstellungen müde, zog er sich 1755 auf sein Schloß Treben bei Altenburg zurück, wo er ganz den Musen und landwirtschaftlicher Thätigkeit lebte und im Jahre 1770 starb.
Bielfelds vertraute Briefe sind jedenfalls mit die interessantesten Erinnerungsblätter der Friedericianischen Epoche und atmen durchweg den Geist derselben, die Freigeisterei der Jünger Voltaires und ihren schlagenden Witz. Rudolf von Gottschall.