Der Spion von Aalen
Als die Aalener Bürger einstmals mit dem Kaiser Streit hatten, wählten sie einen gar pfiffigen Mann aus ihrer Mitte, daß er des Kaisers Kriegsheer auskundschaften sollte. Selbiger Mann begab sich auch alsbald gradeswegs in das Lager des Feindes und sprach: „Grüß Gott, ihr Herre!“ Als man ihn darauf fragte, wer er sei und was er wolle, so sagte er: sie sollten nur nicht erschrecken, er sei der Spion von Aalen und wolle sich nur das Lager ein wenig besehen, was man ihm denn auch gestattete. Aus Dankbarkeit haben die Bürger von Aalen diesem Spion später ein Denkmal gesetzt und ihn an der Rathhausuhr leibhaftig abgebildet. Da drehte er seinen Kopf zugleich mit dem Perpendikel hin und her und schnitt Gesichter. – Man sagt noch, dieser Spion habe einmal die Garde Napoleons, als sie auf dem Marktplatz eine Parade abgehalten, in ein allgemeines, gewaltiges Lachen gebracht, und auch Napoleon habe lachen müßen, als ihm das Männchen an der Uhr gezeigt und die schöne Geschichte dazu erzählt worden. – Später sind die Aalener so ernsthaft geworden, daß sie ihren Spion fortgeschafft haben, wie die Baseler ihren Lallekönig. Indes das Andenken an beide wird nicht verschwinden.
Anmerkungen (Wikisource)
Baseler Lallekönig: Lällenkönig
Die Schwanksage in der Aalener Stadtgeschichte von Hermann Bauer 1852 Google bzw. Seite 118 auf Commons (im Staatsarchiv Ludwigsburg E 258 VI Bü 604 liegt ein Blatt Sagen von Diakon Hermann Bauer. Es enthält: Spion von Aalen; Gespenster und Erscheinungen [vor 1854] - Digitalisat Staatsarchiv Ludwigsburg).
Häußinger 1980 S. 126 geht davon aus, die Spionsage werde in Aalen erstmals in dem Gedicht 6. Oktober 1805 von Hermann Bauer über den Aufenthalt Napoleons in Aalen greifbar. Dies ist unzutreffend, siehe die früheren Belege unten. 1791 erwähnte Philipp Ludwig Hermann Röderin seinem Lexikon von Schwaben (Sp. 3) im Artikel Aalen die "Kinderey" an der Uhr, doch ohne Bezug zur späteren Sage: Google.
Eine Variante zu Meier mit Nennung von Schwäbisch Gmünd (zwischen Aalen und Schwäbisch Gmünd besteht in der Gegenwart eine Städtefeindschaft) bietet Friedrich Vogt, Die Schwäbische Alp, Stuttgart 1854, S. 94 Google.
Einem eingesandten Beitrag in Johann Gottfried Pahls Neuer Nationalchronik der Teutschen 1823, Sp. 480 Google, der sich auf eine etwas abfällige Bemerkung in Gustav Schwabs Neckarseite der Schwäbischen Alb (1823) bezieht (Ausgabe von Hans Widmann Tübingen 1960, S. 254: "Reichsstadt, die ausser ihrem seit dem Revolutions-Kriege unsterblichen Spion keine Merkwürdigkeiten darbietet", Originalausgabe S. 246f. Google), ist zu entnehmen, dass es sich um eine Wanderanekdote handelt, die auch von Erfurt und dem Dreißigjährigen Krieg berichtet wird. Der Beitrag bezieht sich auf ein Werk von Johann Matthias Gesner (die Angabe II. 611 nimmt Bezug auf die lateinische Ausgabe 1775 MDZ München; in der in Mannheim digitalisierten Ausgabe 1784 steht die Stelle in Bd. 2 auf Seite 583). Dieser "Spion von Erfurt" war, wie Zitate aus den Jahrzehnten um 1800 belegen, geradezu sprichwörtlich (siehe etwa: Der Spion von Erfurt, in: Vade Mecum für lustige Leute [...], Bd. 7, Berlin 1777, S. 4 Google). Eine Erwähnung des Spions von Erfurt findet sich schon 1742 (Göttingische Zeitungen, S. 477, Google).
Im Voß'schen Musenalmanach 1792, S. 37 veröffentlichte Ludwig Heinrich von Nicolay ein Gedicht Der Spion der Schwaben, der den Stoff an die Lechgrenze verlegt.
Im Sophronizon Bd. 4 H. 2 (1822), S. 118 Google gilt der Spion von Aalen bereits als "weltberühmt". Auch Karl Julius Weber: Deutschland, oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen Bd. 1, 1826, S. 244 Google verwendet das Adjektiv "berühmt".
Ein vergleichsweise früher Beleg findet sich im Kourier an der Donau vom 30. Mai 1832 (MDZ München).
Aus der früheren Ortsneckerei wurde in Aalen inzwischen ein identitätsstiftendes Wahrzeichen. Hugo Moser, Schwäbischer Volkshumor, 2. Aufl., Stuttgart 1981, S. 107 vermutet, der Wanderschwank sei den Aalenern wohl von ihren Gmünder oder Ellwanger Nachbarn angehängt worden.
In den Dichtungen von Karl Simrock (Berlin 1872, S. 293 Google), heißt es in dem an Ludwig Aurbacher angelehnten Epos Die sieben Schwaben:
Da möchtet ihr dann mit Vergnügen lesen
Wie der Spiegelschwab einst ein Spion ist gewesen
Und auch gleich beim Einpassieren frei
Am Thor bekannte, daß er der Spion von Aalen sei.
Da faßten die Aalener so großes Vertrauen
Zu ihm, sie ließen ihn Alles beschauen.
Sie mochten es seinem grundehrlichen Gesicht
Wohl angesehn haben, er verrathe sie nicht.
(Diese Verse fehlen in der früheren, mit K.S. gezeichneten Ausgabe Die schwäbische Ilias. Frankfurt a. M. 1850, S. 117 Google.)
Der Reutlinger Carl Bames widmete in seinen Volksgedichten aus Schwaben 1857 (Google) dem Stoff ein längeres Gedicht (Wiederabdruck: Häußinger 1980, S. 127-129 mit Jahreszahl 1860 - für Verfasserschaft eines Aalener Bürgers spricht nichts).
Literatur:
- Karlheinz Bauer: Sagen aus Aalen. In: Aalener Jahrbuch 1990, S. 192-260, hier S. 243f. aalen.de
- Ernst Häußinger: Der Spion von Aalen - eine Wandersage. In: Aalener Jahrbuch 1980, S. 124-129 aalen.de
- Albrecht Keller: Die Schwaben in der Geschichte des Volkshumors. Freiburg 1907, S. 142 Internet Archive, Google-USA*.