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Der Aetna und Catanea

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CCCCLIII. Das Chamouni-Thal Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band (1843) von Joseph Meyer
CCCCLIV. Der Aetna und Catanea
CCCCLV. Die Burgen der vier Haymonskinder bei Spaa
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CATANEA UND DER AETNA

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CCCCLIV. Der Aetna und Catanea.




Wie aus den untersten Schichten der Menschheit die größten Geister kamen, so sind die höchsten Gebirge Kinder der Tiefe. Plutonische Kräfte zeugten sie in dem Innern der Erde und thürmten sie im Laufe der Aeonen empor. Erdgeboren sind sie, wie alle irdischen Dinge, der Wandlung unterworfen. Von den ältern Gebirgen hat keines mehr seine ursprüngliche Gestalt. Sie sind in der That nichts weiter als Ruinen, um welche die Zerstörung während der langen Zeiträume, welche die Erdformationen trennen, kleinere Trümmer gehäuft hat. Schutt und Staub haben die Räume, welche die Berge trennten, ausgefüllt; sie sind das Band geworden, welches letztere zu den Gebirgen zusammen knüpfte, die wir auf der Erdkarte bald als Bergketten mit Gipfeln auf dem Rücken, bald als ein großes Hochland, oder Alpenland, mit Seitenarmen, Mittel- und Vorgebirgen bemerken. Allen diesen Höhengruppen sind Thäler mit Flüssen, Nebenthäler mit Bächen eigen; häufig hebt sich Terrasse über Terrasse, oder Hochebenen lagern auf ihrem Rücken. Mit solchen Formen erscheinen alle großen Gebirgssysteme, z. B. die Alpen, die Pyrenäen, die Karpathen, die Apenninen, und jene letzte Freistätte classischen Heldenmuths, der Kaukasus.

Ganz anders zeigt sich hingegen der Bau des neuen Gebirgs, das die Hand der Zeit und ihre Kräfte, oder Erdumwälzungen, noch nicht zerstört haben. Es stellt sich in den Vulkanen der jüngsten und vorletzten Erdperiode dar. Selbstständig, freistehend, eine Feueresse, welche die Erde sich selbst gebaut hat, erhebt es sich aus der Tiefe zu den Wolken und bringt dieser den Blitz und den Donner. Ein Gebirg dieser Art ist der Aetna, der höchste Berg Siciliens, der größte und merkwürdigste, der kraftvollste und, in seinen Wirkungen, furchtbarste Vulkan Europa’s. Obgleich an Umfang und Höhe ein Berg erster Größe, besteht er doch nur aus einem einzigen Kegel, ohne Kamm, ohne Hochebenen und Terrassen, ohne Thäler und Flüsse. Seine ungeheuere Masse ruht auf einer Basis von 24 Quadratmeilen, und er streckt den Gipfel 11,000 Fuß hoch zum Himmel, sein Flammenleben also weit über die Regionen der ewigen Erstarrung. Nur die Spitze der Alpen und einige Punkte der Sierra Nevada übertreffen ihn an Höhe.

Dieser Riese tritt mit seinem südlichen Fuße in die Ebene von Catanea und in Osten steigt er zu den Tiefen des Meeres hinab. Seine Basis hat die Kreisform. Seine Kegelspitze thront vollkommen in der Mitte; die Wände [92] dachen sich, mehr oder minder steil, nach allen Seiten ab. Die Spitze des Aetna wird von der Randmauer des Hauptkraters gebildet, eines furchtbaren Feuerrachens, der über eine halbe Stunde im Umfange groß ist. Hunderte von kleinen Kratern steigen auf allen Seiten, als abgesonderte Hügel mit trichterförmigen Vertiefungen, empor; aber sie sind, obwohl groß genug für sich betrachtet, doch nur Zwerge im Verhältniß zum Hauptkegel, und erscheinen neben diesem wie Maulwurfshaufen.

Der Erdboden des ganzen Bergs ist vulkanisches Gebilde: Lava, in hundert Gestalten, Dichtigkeitsgraden und Farben, mit Zwischenlagern von Gyps und Schwefel, oder Asche. Letztere bedeckt vorzugsweise die höheren Regionen. Quellen schickt der Aetna nur von seinem Fuße der Ebene zu.

Für physikalische Forschung, für Denjenigen, der den Einfluß beobachten will, welchen die Höhe auf das Klima und mittelbar auf den Pflanzenwuchs ausübt, ist der Aetna klassischer Boden. Nirgends vielleicht in Europa sind die verschiedenen Vegetationsgürtel so in die Augen fallend, so scharf begrenzt und können so leicht mit einem Blicke übersehen werden. Schon die Umwohner bezeichnen diese Verhältnisse durch Namen; sie unterscheiden 3 Regionen, die angebaute, die waldige, die nackte. Erstere reicht bis zu 2500 Fuß Höhe. Hier herrscht die üppigste Fruchtbarkeit. Sie offenbart sich in den Weingeländen, den Waizen- und Gerstenfeldern und in den Hainen der Südfrüchte. An den sonnigen Wänden der Mittagsseite ist die Vegetation wahrhaft tropisch. Zuckerrohr und Baumwollenstaude kommen im Freien fort, und zarte Kaktusarten bekleiden an den wasserärmsten Stellen den schwarzen Fels mit buntem Blüthenschmuck. – Der zweite Gürtel geht bis 6000 Fuß Meereshöhe. Die Kinder der Tropen, die Orange und der Oelbaum, sind hier nicht mehr sichtbar, die Mandel entbehrt des fröhlichen Gedeihens, und höher hinan erfreut und lockt auch die Traube der rankenden Rebe nicht mehr von der hohen Ulme. An die Stelle des Mais und des Waizens ist der härtere Roggen getreten; der Hafer fängt an die Gerste zu verdrängen. Aber der eigentliche Herrscher ist der starke Baum des Forsts: die Wälder sind majestätisch und nehmen fünf Sechstel dieser ganzen Region ein. Sie bestehen meist aus Eichen und in den untern Parthien aus Kastanien, die eine fabelhafte Größe erreichen. Manche dieser Stämme haben seit vielen Jahrhunderten Namen, die darauf Bezug haben; so heißt einer der Baum der hundert Reiter ; er hat 180 Fuß an der Wurzel im Umfang. Gegen den obern Rand der Region hin nimmt der Baumwuchs ab, und endlich bleibt nichts davon übrig, als die kriechende Wachholder und der Berberisstrauch mit seinen rothen Beerbüscheln. – Der höchste Gürtel geht von 7500 Fuß bis zum Kraterrand. In diesem sind baumartige Gewächse verschwunden. Der Boden ist mit nackter schwarzer Lava und Asche überdeckt, – kaum 10 Pflanzenarten, den Kryptogamen angehörend, findet der Forscher noch in den untersten Theilen des Gürtels auf. – Obschon der Aetna die ewige Schneegrenze [93] weit überragt, so bleibt doch, wegen der Wärme seiner Seitenwände, so wenig wie an der Wand einer immer geheizten Esse, der Schnee sehr lange Zeit liegen.

Eine Besteigung des Aetna ist eine schwere Arbeit und erfordert mehr als gewöhnlichen Muth und große Rüstigkeit des Körpers. Sie geschieht am häufigsten von Catanea aus und kostet mindestens ein Paar Tage, oft auch mehre. Die erste Nacht wird in der Regel in dem englischen Hause gerastet, einem 1811 von den in Sicilien wohnenden Briten auf Subscription errichteten Gebäude, das dreizehn hundert Fuß unter dem Hauptkegel liegt, nahe an der Stelle, wo die Sage des Alterthums den Philosophen Empedokles wohnen ließ. Bis dahin kann man allenfalls reiten; dann muß man aber die Maulthiere zurücklassen und den Ueberrest der Wanderung zu Fuß machen. Es kommen Stellen, wo man auf Händen und Füßen zu klimmen hat, und wo dieß auch nicht der Fall ist, wird das Steigen durch die Unsicherheit des Tritts auf der Asche und dem lockern Bimsteingerölle doch äußerst beschwerlich und ermüdend. Den Kraterrand selbst erklettert man in einer tiefen Schlucht, die nichts Anderes ist, als ein Riß im Krater selbst. Der Blick vom Rande in die Tiefe des Feuermunds ist wahrhaft schauerlich. Die ganze innere Wand des Kraters ist mit Schwefelkrystallen von wunderlichen Formen, die Rauch und Ruß schwarz gefärbt haben, überzogen, und die aufgeregte Phantasie macht leicht Teufels- und Mißgestalten von Gnomen und Drachen daraus, die grinzend, verlangend und drohend nach dem neugierigen Wanderer heraufschauen. Tief im Abgrunde ist der eigentliche Kanal, der nach dem Innern der Erde geht. Rauch- und Schwefelqualm brechen aus ihm hervor, leuchtender Erdbrei quillt und strudelt an seinen Ufern, und unter unheimlichem Stöhnen und mit grauenvollem Aechzen schleudert er von Zeit zu Zeit glühende Steine prasselnd empor und gegen die Kraterwände, gleichsam als zürne er seines Kerkers. Es ist ein Entsetzen erregender Gedanke, den Krater hinabzuklettern: und dennoch ist dies mehrmals und mit Glück gewagt worden. Man ist der Feueröffnung so nahe gekommen, daß man Steine hineinwerfen konnte, und hat das Kochen und Brausen im Erdleib deutlich gehört. Ein Franzose, d’Orville, ließ sich an einem um den Leib geschlungenen Strick hinab; zu seinem Erstaunen fand er die Oeffnung geschlossen und an ihrer Stelle ein Gewölbe glühender Lava, aus deren Rissen Blitze zuckten und Flammen, weiß wie Gasflammen, loderten. Es ist also wahrscheinlich, daß der Krater zu Zeiten seine Form ändert.

Unvergleichlich ist die Aussicht von der Zinne des Aetna: „die Erinnerung daran macht den Menschen selig.“ Da kein anderer Gipfel, keine Bergketten sie beschränken – denn die nahen Gebirge Siciliens schrumpfen zu Hügeln ein, betrachtet vor dieser Höhe! – so liegt das Land und das Meer mit seinen Eilanden, fünf und dreißig Meilen in der Runde sichtbar, wie eine Ebene ausgebreitet da; es ist, als ob man in einem Luftballon im Aether schwebte, aber mit dem beseligenden Gefühl, auf festem Boden zu stehen. Man überschaut [94] ganz Sicilien wie eine Stadt von ihrem Thurme; die liparischen Inseln heben sich aus der klaren Fluth so deutlich, als ob man sie mit den Händen greifen könnte. Wie eine silberne Schlange windet sich die Meerenge von Reggio zwischen die Länder, die sie scheidet; jenseits breitet sich Kalabrien aus, und über dessen 6000 Fuß hohe Berge hin schweift der Blick in’s ionische Meer und sucht und findet die blauen Höhen Attika’s. Der Golf von Neapel wird durch die Rauchsäule des Vesuvs bemerklich, der von dieser Höhe winzig und unbedeutend sich ausnimmt. Im äußersten Nord erkennt man die Spitzen der sardinischen Gebirge und in entgegengesetzter Richtung macht das bewaffnete Auge bei hellem Horizonte Entdeckungen an der Küste Afrika’s.

Wie die großen Thaten großer Menschen durch längere Zeiträume getrennt sind, während die Thätigkeitsäußerungen der kleinen sich oft rastlos an einander reihen, – so ist auch ein Ausbruch des Aetna ein viel seltneres Ereigniß, als der seines so häufig feuerspeienden Nachbars. Selten vergeht ein Jahr, ohne daß der Vesuv seine Umwohner ergötzt oder schreckt; der Ausbrüche des Aetna hingegen sind nur wenige in einem Jahrhundert. Ist er ruhig, so sieht man blos lichte, weiße Rauchsäulen von seinem Gipfel aufsteigen; treten aber die Vorzeichen seines Kreißens ein, dann wird der Rauch dunkler, es fahren des Nachts einzelne Blitze heraus, und dieser Zustand dauert oft mehre Wochen, während welcher Zeit die Rauchsäule immer tiefer sich schwärzt, immer furchtbarere Blitze aussendet. Es steigen dann in ihrer Mitte einzelne Flammen auf, die allmählich zu einer beständigen Flammensäule sich vergrößern. Unterirdisches Brausen und Dröhnen wird sodann hörbar; der Donner rollt im Bergleib, die Erdveste geräth in zitternde Bewegung. Erdbeben spalten die Seiten des Berges, und Schwefeldämpfe entquellen den Rissen. Es baut die unterirdische Feuersgewalt sich neue Essen auf, da und dort an den Seiten des Vultans; die Spitzen der neuentstandenen Kegel öffnen sich; inmitten der Flammen werden Felsstücke emporgeschleudert, glühende Asche verfinstert die Sonne und fällt als ein feuriger Regen auf die Erde nieder. Zwei, ja zuweilen drei und vier Monate nach den ersten Symptomen eines Aetna-Ausbruchs erhebt sich endlich der flüssige Erdbrei bis zu der Mündung der Krater und strömt dann, ein alles verwüstender Feuerstrom, aus der Spitze der Kegel, oder aus den Seiten-Spalten derselben, mit anfangs furchtbarer Schnelligkeit an den Bergwänden hinab. Oft gesellen sich Ströme siedenden Wassers dazu, die, wenn sie die Lava berühren, mit furchtbarem Krachen detoniren, meilenweit hörbar. Die Lavaströme des Aetna erlangen eine Breite von mehren Miglien, und ihr Lauf währt Monate, bis sie endlich an ihrer Spitze erstarren. In der Strömungszeit hört das Flammen der Krater, hören die Aschen- und Steinregen und die Erdbeben nicht auf. Der Tag wird dann oft zur Nacht, die Nacht zum Tage. Städte werden verschüttet, Thäler ausgefüllt, Wälder gehen in Flammen auf, und wo der menschliche Fleiß in vielen Jahrhunderten ein Eden schuf, werden Wüsteneien. – Doch kaum sind einige Jahrzehnte verstrichen, so keimt auf den ehemaligen [95] Feuerströmen wieder frisches, junges Leben: denn die porösen Laven zersetzen sich gar bald und der erwärmte Boden gibt dem üppigsten Pflanzenleben Nahrung. Die Fruchtbarkeit des Bodens um den Aetna ist sprüchwörtlich und so lockend für die Menschen, daß sie, so oft sie auch der gewaltige Berggeist verjagt hat, doch immer wieder, seine Schrecken und die Gefahr nicht achtend, in sein Reich zurückgekehrt sind.

Unter den neuesten Ausbrüchen des Aetna ist der von 1832 berüchtigt, welcher die Umgegend von Bronte und die schönsten Wälder verwüstete. – Keine Eruption war aber furchtbarer und in ihren Folgen entsetzlicher, als jene von 1669. Schon die Zurüstungen des Berges setzten damals ganz Sicilien in Bestürzung. Achtzehn Tage vor dem Ausbruch war der Himmel schwarz vom Rauche, und es blitzte und donnerte unaufhörlich. Zu gleicher Zeit setzten sich die Nachbarvulkane in Bewegung: die auf Stromboli und der Vesuv spieen Flammen, das Kreißen des größern Verderbers verkündend. Am 11. März öffnete, nach einer zweistündigen Pause, der Aetna selbst, unter plötzlichem, gräßlichem Krachen, seinen Leib nach Catanea zu, und in der Breite von mehren tausend Schritten drang aus dem ungeheuern Schlunde ein Feuerstrom. Noch in derselben Nacht entstanden an mehren andern Stellen des Berges Risse, aus denen sich nun die Laven unter stetem Beben der Erde der Niederung zuwälzten und Alles verbrannten und verheerten. Dies dauerte fort bis zum 25. März, wo das ganze Gebirge vom Erdbeben so gerüttelt wurde, daß der große Hauptkegel in sich selbst unter betäubendem Getöse zusammenstürzte. Bald darauf warf der Schlund die Bergtrümmer wieder aus und schleuderte Massen von tausend und mehren Centnern wie Federbälle in die Luft. – Die Lavaströme hatten indeß die Ebenen am Fuße des Aetna erreicht. Vor ihren glühenden Wogen fielen und vergingen Städte, Flecken und Wälder wie dürres Laub vor dem Sturme. Sie warfen die Mauern von Catanea nieder, und über der Stadt weg fluthend, suchten sie das Meer. Als sie das Wasser erreichten, sprudelte es thurmhoch auf in kochender Bewegung, und Prasseln ward gehört, schrecklicher als der furchtbarste Donner. Alte Lavaströme, auf welchen seit Jahrhunderten der Mensch Gärten und Wohnungen gebaut hatte, wurden, durch die unterirdische Hitze erweicht, flüssig, und mit Grauen sah man ganze Gehöfte mit Weinbergen auf den Feuerfluthen eine Zeitlang, wie Inseln, treiben, bis sie die Gluth verschlang. Binnen 40 Tagen – so lange dauerte der Ausbruch! – waren die Wohnungen von 37,000 Menschen zerstört worden, und von 20,000 Einwohnern Catanea’s blieben nur 3000 am Leben. –

Und nicht ist’s das erste Mal, daß diese Stadt der Aetna zerstört hat; schon dreimal hat die Lava ihre Straßen ausgefüllt, schon dreimal alles Leben in Tod verwandelt. Und wie oft auch hat der Kriegsgott in Catanea schrecklich gehaust! Schon von Dionys ward es verheert und geschleift. Es ging im punischen Kriege unter; Augustus colonisirte es von Neuem. Gothen, Vandalen, Saracenen fiel später die Stadt [96] abwechselnd zur Beute, und von allen wurde sie zerstört oder verbrannt. Dennoch ist sie wieder und immer schöner wieder erstanden. Die Fruchtbarkeit der Gegend, ihre herrliche Lage, das tropische Klima zogen nach jeglicher Verwüstung eine neue Bevölkerung schnell herbei, und jetzt ist Catanea, wenn nicht die größte, doch, mit mehr als 70,000 Einwohnern, die blühendste und reichste Stadt Siciliens.