David Hilbert Gesammelte Abhandlungen Erster Band – Zahlentheorie/Kapitel 7.27
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Indem wir gewisse in den vorangehenden Kapiteln abgeleitete Eigenschaften des Kreiskörpers der -ten Einheitswurzeln für einen in ihm enthaltenen quadratischen Unterkörper verwerten, gelangen wir zu neuen Sätzen über den quadratischen Zahlkörper. Die Fruchtbarkeit dieser Methode wird noch erhöht, wenn wir sie mit denjenigen Wahrheiten in Verbindung bringen, welche im dritten Teil dieses Berichtes durch unmittelbare Betrachtung des quadratischen Körpers gewonnen werden sind.
Nach dem allgemeinen Satze 144 ist insbesondere eine jede Einheit eines reellen quadratischen Körpers eine Wurzel mit rationalem ganzzahligem Exponenten aus einem Produkte von Kreiseinheiten; es wird eine spezielle Einheit des Körpers einfach durch den folgenden Ausdruck
erhalten, wo die Diskriminante des Körpers bedeutet, und wo die Produkte , über alle diejenigen Zahlen oder der Reihe , , …, zu erstrecken sind, welche der Bedingung bez. genügen [Dirichlet(7[1])]. Vgl. § 86.
Es sei eine ungerade rationale Primzahl, eine Primitivzahl nach ; ferner und . Zu der aus den Substitutionen , , , …, gebildeten Untergruppe der Gruppe des Kreiskörpers gehört ein gewisser quadratischer Unterkörper des Kreiskörpers . Da die Diskriminante des Körpers nach Satz 118 gleich ist, so enthält nach Satz 39 die Diskriminante von keine andere rationale Primzahl als und besitzt daher wegen Satz 95 den Wert . Es sei entweder die Primzahl oder eine beliebige von verschiedene ungerade rationale Primzahl. Indem wir die Zerlegung von einerseits in dem Kreiskörper der -ten Einheitswurzeln, andererseits direkt nach Satz 97 in dem quadratischen Unterkörper ausführen und hernach die erhaltenen Resultate miteinander vergleichen, gelangen wir zu einem neuen Beweise des Reziprozitätsgesetzes für quadratische Reste [Kronecker (15[2])]. Wir verfahren dabei, wie folgt:
Ist der kleinste positive Exponent, für welchen nach ausfällt, und wird gesetzt, so zerlegt sich nach Satz 119 die Primzahl im Körper in Primideale , , …, , und es ist der gemeinsame Zerlegungskörper dieser Primideale nach Satz 129 vom Grade . Die rationale Primzahl ist alsdann offenbar in dem quadratischen Körper zerlegbar oder nicht zerlegbar, je nachdem der Körper in als Unterkörper enthalten ist oder nicht. Bedenken wir, daß der Körper nur den einen quadratischen Unterkörper enthält, und ferner, daß ein Abelscher Körper dann und nur dann überhaupt einen quadratischen Unterkörper besitzt, wenn sein Grad gerade ist, so folgt, daß dann und nur dann in enthalten ist, wenn die Zahl gerade ausfällt. Andererseits ist nach Satz 97 die Primzahl in zerlegbar oder nicht zerlegbar, je nachdem oder ist. Ist nun gerade, so folgt nach , d. h. ; im anderen Falle wird nach , d. h. . Es ist mithin in jedem Falle
. | (57) |
Wir nehmen zunächst ungerade an; aus (57) folgt
. | (58) |
und weiter, wenn wir und miteinander vertauschen,
. |
Die letztere Formel ergibt, wenn wir nehmen,
. | (59) |
Die Verbindung der Gleichung (59) mit (58) liefert
. | (60) |
. | (61) |
Die Formeln (60), (59) und (61) enthalten das Reziprozitätsgesetz für quadratische Reste nebst den zugehörigen Ergänzungssätzen.
Satz 145. Wenn eine rationale Primzahl mit der Kongruenzeigenschaft nach ist und eine rationale Primzahl von der Gestalt bedeutet, so gilt für ein jedes in aufgehende Primideal des imaginären quadratischen Körpers die Äquivalenz
, |
wo die Summe der kleinsten positiven quadratischen Reste und die Summe der kleinsten positiven quadratischen Nichtreste nach bedeutet.
Setzt man ferner und
, |
wobei eine ganze Zahl des imaginären quadratischen Körpers bedeutet, so gilt die Kongruenz
, , |
wo das im Nenner stehende Produkt über alle kleinsten positiven quadratischen Reste nach zu erstrecken ist [Jacobi (1[3], 2[4], 3[5], 4[6]), Cauchy (1[7]), Eisenstein (4[8])].
Beweis. Nach Satz 136 kann man, wenn ein Primideal ersten Grades in bedeutet, unter Benutzung der dort erklärten Bezeichnungen
(62) |
setzen derart, daß eine ganze Zahl in ist. Ist dann die durch teilbare rationale Primzahl und die Zerlegung dieser Primzahl in dem in enthaltenen quadratischen Unterkörper , so gehen andererseits diese zwei Primideale und des Körpers in der Gestalt hervor:
. |
, |
wo eine Zahl in bedeutet. Wegen
folgt, wenn wir die Äquivalenz berücksichtigen,
. | (63) |
Andererseits kann man nach Satz 135
setzen, derart, daß eine ganze Zahl in bedeutet. Wenn wir diese Gleichung in die -te symbolische Potenz erheben, so folgt
. | (64) |
Da die Zahl nicht durch teilbar ist, wenn wir von dem Falle absehen, der für sich ohne weiteres klar liegt, so folgt aus den beiden Äquivalenzen (63) und (64) die im ersten Teile des Satzes 145 behauptete Äquivalenz.
Der zweite Teil des Satzes 145 folgt durch eingehendere Betrachtung der in § 112 entwickelten Kongruenzeigenschaften (43), (44) der Lagrangeschen Wurzelzahl .
Ein wesentlich verschiedener Beweis für den ersten Teil des Satzes 145 ergibt sich unmittelbar aus einer gegen den Schluß des § 86 gemachten Bemerkung über den Ausdruck der Klassenanzahl des Körpers für den Fall nach .
Durch eine bemerkenswerte Modifikation des Jacobischen Verfahrens gelingt es, die Aussagen des Satzes 145 auch auf den Fall zu erweitern, daß die Primzahl nicht von der Gestalt ist [Eisenstein (11[9]), Stickelberger (1[10])].
Es sei eine ungerade rationale Primzahl, so können wir nach den Definitionen des § 111 und der in § 112 hinzugefügten Ausdehnung derselben auf den Fall die Lagrangesche Normalbasis und die Lagrangesche Wurzelzahl für den quadratischen Körper aufstellen. Es werde gesetzt, so besteht für diesen Körper die Lagrangesche Normalbasis aus den zwei Zahlen
, , |
dabei durchlaufen und bez. die quadratischen Reste und Nichtreste nach unter den Zahlen , , …, .
Das am Schlusse des § 112 charakterisierte Problem der vollständigen Ermittlung von , nachdem gefunden ist, kommt in dem vorliegenden Falle des quadratischen Körpers auf die Frage nach einem gewissen Vorzeichen hinaus und wird durch folgenden Satz erledigt:
Satz 146. Die Lagrangesche Wurzelzahl des quadratischen Körpers mit der Primzahldiskriminante ist eine positiv reelle oder positiv rein imaginäre Zahl [Gauss (2[11]), Kronecker (4[12])].
Beweis. Das Quadrat der in Frage stehenden Lagrangeschen Wurzelzahl besitzt, weil eine Zahl des quadratischen Körpers und nach Satz 138
ist, jedenfalls den Wert ; man hat also
. | (65) |
An die Stelle der in § 112 mit , bezeichneten Ideale treten im vorliegenden Falle bez. die Ideale () und ; aus der Kongruenz (43) wird daher die Kongruenz
, , |
d. i.
, , | (66) |
Wir betrachten andererseits den Ausdruck
. |
Da derselbe nur sein Vorzeichen ändert, wenn wir durch ersetzen, wobei eine Primitivzahl nach bedeuten soll, und da das Ideal () mit dem Ideal übereinstimmt, so ist notwendig
. |
, |
ist, und erhalten hieraus für einen Wert von der Gestalt , wo eine positive Größe darstellt. Hieraus folgt, wenn wir fortan unter denjenigen Wert dieser Quadratwurzel verstehen, welcher positiv reell oder positiv imaginär ist,
. | (67) |
Endlich lehrt die Gleichung
, |
daß
, . |
ist, und hieraus folgt nach (66)
, . |
Da
, |
wird, so ergibt sich wegen (67)
, , |
und folglich ist wegen (65)
, |
womit der Satz 146 bewiesen ist.
Über spezielle Abelsche Körper von höherem als dem zweiten Grade ist bisher wenig veröffentlicht worden; erwähnt seien die Eisensteinsche Abhandlung über kubische, aus der Kreisteilung entstehende Formen, welche als eine Einleitung in die Theorie der kubischen Abelschen Körper aufzufassen ist [Eisenstein (10[13])], ferner die Bachmannsche Arbeit über die aus zwei Quadratwurzeln zusammengesetzten komplexen Zahlen [Bachmann (1[14])], und die Weberschen Untersuchungen über Abelsche kubische und biquadratische Zahlkörper [Weber (2[15], 4[16])].
- ↑ [357] Sur la manière de résoudre l’équation au moyen des fonctions circulaires. Werke 1, 343.
- ↑ [359] Über die Potenzreste gewisser komplexer Zahlen. Ber. K. Akad. Wiss. Berlin 1880.[WS 1]
- ↑ [358] De residuis cubicis oommentatio numerosa. Werke 6, 233 (1827)
- ↑ [358] Observatio arithmetica de numero classium divisorum quadraticorum formae designante numerum primum formae . Werke 6, 240 (1832)
- ↑ [358] Über die Kreisteilung und ihre Anwendung auf die Zahlentheorie. Werke 6, 254 (1837)
- ↑ [358] Über die komplexen Primzahlen, welche in der Theorie der Reste der 5ten, 8ten und 12ten Potenzen zu betrachten sind. Werke 6, 275 (1839)
- ↑ [356] Mémoire sur la théorie des nombres. Comptes Rendus 1840
- ↑ [357] Beiträge zur Kreisteilung. J. Math. 27 (1844).[WS 2]
- ↑ [357] Zur Theorie der quadratischen Zerfällung der Primzahlen und . J. Math. 37 (1848).[WS 3]
- ↑ [361] Über eine Verallgemeinerung der Kreisteilung. Math. Ann. 37 (1890).
- ↑ [358] Summatio quarundam serierum singularium. Werke 2, 11.
- ↑ [358] Sur une formule de Gauss. J. de Math. 1856.
- ↑ [357] Allgemeine Untersuchungen über die Formen dritten Grades mit drei Variabeln, welche der Kreisteilung ihre Entstehung verdanken. J. Math. 28 u. 29 (1844), (1845).[WS 4]
- ↑ [356] Zur Theorie der komplexen Zahlen. J. Math. 67 (1867).[WS 5]
- ↑ [361] Über Abelsche Zahlkörper dritten und vierten Grades. Sitzungsber. Ges. Naturwiss. Marburg 1892.
- ↑ [361] Lehrbuch der Algebra. 2. Braunschweig 1896.[WS 6]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Kronecker, Leopold: Über die Potenzreste gewisser complexer Zahlen, in: Monatsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1880, S. 404–407 Berlin-Brandenburgische Akademie
- ↑ Eisenstein, Gotthold: Beiträge zur Kreistheilung, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 27 (1844), S. 269–278 GDZ Göttingen
- ↑ Eisenstein, Gotthold: Zur Theorie der quadratischen Zerfällung der Primzahlen 8n + 3, 7n + 2 und 7n + 4, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 37 (1849), S. 97–126 GDZ Göttingen
- ↑ Eisenstein, Gotthold: Allgemeine Untersuchungen über die Formen dritten Grades mit drei Variabeln, welche der Kreistheilung ihre Entstehung verdanken, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 28 (1844), S. 289–374 GDZ Göttingen und Band 29 (1845), S. 19–53 GDZ Göttingen
- ↑ Bachmann, Paul: Zur Theorie der complexen Zahlen, in: Journal für die reine und angewandte Mathematik, Band 67 (1867), S. 200–204 GDZ Göttingen
- ↑ Weber, Heinrich: Lehrbuch der Algebra, Band 2 (1896) Internet Archive
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