Das arme Mädchen (Wedekind)
Das arme Mädchen.
Böt’ mir einer, was er wollte,
Weil ich arm und elend bin,
Nie, und wenn ich sterben sollte,
Gäb’ ich meine Ehre hin!
Ohne Obdach, ohne Brot,
Das Entsetzen ihr Begleiter,
Ihre Zuversicht der Tod.
Es klappert in den Laternen
Am Himmel ist von den Sternen
Kein einziger zu seh’n.
Wie sie nun noch eine Strecke
Weiter irrt, sieht sie von fern
Einen ernsten jungen Herrn.
Ihm zu Füssen auf die Steine
Bricht sie ohne einen Laut,
Hält umklammert seine Beine,
Wenn dich die Menschen verlassen,
Komm auf mein Zimmer mit mir;
Jetzt tobt in allen Gassen
Nur wilde Begier.
Hielt sich schüchtern hinter ihm;
Jener hat es auch gelitten,
Wurde weiter nicht intim.
Angelangt auf seinem Zimmer,
Bei des Lichtes mildem Schimmer
Bald sich ein Gespräch entspann:
Es boten mir wohl viele
Ein Obdach für die Nacht,
Was mich erschaudern macht.
Ferne sei mir das Verlangen,
Sprach der ernste junge Mann,
Dir zu färben deine Wangen,
Bat sie, länger nicht zu weinen,
Holte Wurst und kochte Thee,
Und am Morgen zog er einen
Thaler aus dem Portemonnaie.
Und fand, eh’ der Tag vorbei,
Als Plätterin Unterkommen
In einer Wäscherei.
Aber ach, die Tage gingen
Bluteswallungen umfingen
Ihren frommen Kindersinn.
Immer musst’ sie sein gedenken,
Der so freundlich zu ihr war,
In der munter’n Mädchenschar.
Und eines Abends um neune
Hielt sie’s nicht aus,
Lief ganz alleine
Er war noch nicht heimgekommen,
Sie verkroch sich unters Bett,
Bis sie seinen Schritt vernommen,
Wo sie gern gejubelt hätt’.
Bis er sich zu Bett gelegt
Und den süssen Schlaf gefunden,
Dann erst hat sie sich geregt.
Leise wie eine Elfe
Dass Gott mir helfe –
Ich bin dein!
Doch da hat er sich erhoben,
Wusste erst nicht, was geschah,
Als das Kind er nackend sah:
Nein, jetzt will ich dich nicht haben;
Wohl dir, dass du mir vertraut!
Spare deine schönen Gaben,
Er führte binnen drei Tagen
Sie wirklich zum Altar.
Es lässt sich gar nicht sagen,
Wie glücklich sie war …