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BLKÖ:Weilenbeck, Joseph

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Weilen, Joseph
Band: 54 (1886), ab Seite: 10. (Quelle)
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Weilenbeck, Joseph (blinder Schauspieler, geb. zu Fiume im österreichischen Küstenlande im Jahre 1820). Der Sohn eines höheren kaiserlichen Staatsbeamten, widmete er sich, nachdem er die üblichen Vorbereitungsstudien beendet hatte, auf den Wunsch des Vaters an der Universität in Gratz dem Studium der Rechte. Als er aber vierundzwanzig Jahre zählte und nun der eigene Herr seiner Bestimmung wurde, entsagte er der juridischen Laufbahn und ging, den Namen Warbeck annehmend, zum Theater. Er spielte an verschiedenen Bühnen, zuerst den Rudolf in Theodor Körner’s „Hedwig“ auf dem Wiener Neustädter-Theater, dann in Posen. Mit der Schauspielertruppe letzterer Stadt gelangte er auf einer Gastspieltour nach Bromberg, an dessen Gymnasium damals Professor Rötscher lehrte, der ihn als Darsteller hoch stellte. Dann kam er nach Prag, wo er unter Director Stöger in den Fünfziger-Jahren als Darsteller so hervortrat, daß er die Rolle des Narciß im gleichnamigen Stücke Brachvogel’s, nachdem kurz vorher der berühmte Döring in derselben als Gast aufgetreten war, und die Rolle des Matthias in Mosenthal’s „Sonnenwendhof“, welche La Roche auch nicht lange zuvor als eine seiner Glanzrollen auf der Prager Bühne gespielt hatte, mit glänzendem Erfolge gab. Nicht gleich kam ihm das Prager Publicum mit seinen Sympathien entgegen, aber allmälig erwärmte es sich und erkor ihn zu seinem Liebling. Damals waren die nationalen Gegensätze noch nicht so zugespitzt wie heutzutage, und der deutsche Künstler saß in einem deutschen Café mit Palacký und Pinkas, mit Ladislaus Rieger und David Kuh, mit Julius Gundling und Alfred Meißner Tag für Tag an einem Tische in traulichem Gespräche zusammen, welches Weilenbeck durch seinen gesunden Humor zu würzen pflegte. „Da saßen wir“, erzählt dieser selbst, „rauchten und redigirten – um einen aus der Hegel’schen Zeit stammenden [11] Ausdruck zu gebrauchen – die „„Vernunft der Ereignisse““, was dasselbe besagt, wie das spätere „„die Logik der Thatsachen construiren““. Jeder suchte von seinem Standpunkte aus die Zeit zu begreifen, die allerdings eine schreckliche, infame, schwer begreifliche war.“ Weilenbeck spielte auf der Bühne das Charakterfach. Alfred Meißner schrieb über ihn: „Das eigentliche Revier seines Talentes, in welchem er sich mit Behagen erging, war das der kalten Tyrannen à la Philipp II. oder Alba und der confiscirten Schurken à la Muley Hassan, Franz Moor, Jago; doch auch im gemüthlichen Genre konnte er packen und rühren; sein Jude Schewa, sein Rabbi Akiba waren fürwahr lebende Gestalten, die man nie vergißt. Bis in die Komik hinüber konnte er greifen und wußte insbesondere lederne Philister, vertrocknete Bureaukraten mit dem glücklichsten Humor zu zeichnen.“ Gegen Ende 1869 war es, als Weilenbeck, der damals in Breslau mit besonderem Erfolge spielte, auf der Straße zum ersten Male für wenige Augenblicke das Augenlicht verlor. Aber von jenem Tage an nahm die Schwäche des Auges so zu, daß ihm keine Studirlampe mehr hell genug brannte. Der Arzt, den er zu Rathe zog, legte anfangs auf das Uebel kein großes Gewicht, und so trat denn Weilenbeck 1870 ein Engagement in Meiningen an, wohin ihn Bodenstedt nach einem einmaligen Gastspiele als Marinelli berufen hatte. Mit der so berühmt gewordenen Meininger Gesellschaft machte er die drei Berliner Gastspiele – als Blinder – mit und spielte in Minding’s „Papst Sixtus V.“ die Titelrolle, Argon in Molière’s „Der eingebildete Kranke“, Shylock in Shakespeare’s „Der Kaufmann von Venedig“, Andrea Doria in „Fiesco“, Freiherr von Attingshausen in „Wilhelm Tell“, den Kaiser in „Käthchen von Heilbronn“, den Holzhüter Weiler in Otto Ludwig’s „Der Erbförster“ mit entschiedenem Erfolge. Aber der Zustand seiner Augen verschlimmerte sich. In Halle consultirte er den Professor Alfred Gräfe, des berühmten Berliner Augenarztes Vetter, der ihm, nachdem er den Künstler befragt, ob er stark genug sei, die Wahrheit zu hören, und es dieser bejaht hatte, offen erklärte: „Die Wissenschaft kann Ihnen nicht helfen, Sie werden in kürzester Zeit erblinden.“ Mit dieser schrecklichen Gewißheit reiste Weilenbeck nach Meiningen zurück. Im Mai 1870 begab er sich nach Berlin, um seinen Zustand von dem berühmten Gräfe, der wenige Monate nachher starb, prüfen zu lassen. Nach kurzer Untersuchung wiederholte dieser den Ausspruch seines Vetters. Um nun die Abnahme der Sehkraft nach Möglichkeit zu verzögern, ließ Weilenbeck kein Mittel unversucht. In der Schweiz am Gießbach und in Ungarn in der Büdöshöhle an der Grenze Siebenbürgens suchte er Hilfe – alle Bemühungen waren fruchtlos. Aber trotz diesem Zustande blieb er seinem Berufe treu und tragirte als „blinder Schauspieler“ und in einer Weise, daß er das Publicum täuschte. Er spielte den Franz Moor, den Mephisto, den Selbitz, den Butler, den Cromwell. Trotz unsäglicher Anstrengungen studirte er auch neue Partien ein, wobei ihm freilich eine seltene Kraft des Gedächtnisses sehr zu Statten kam. Häufiges Vorlesen machte ihn in seiner Rolle sicher. Freilich würde auch dies nicht genügt haben, wenn es ihm nicht das bereitwilligste Entgegenkommen der Mitspielenden, die [12] ihrem Collegen sehr zugethan waren, ermöglicht hätte. Im Jahre 1876 war Weilenbeck noch in seiner Kunst thätig und trug sich damals mit dem Plane, in einer Anzahl von Stücken zu spielen, in welchen ein Blinder die Hauptrolle hat. So sollte zunächst das alte französische Volksstück „Das Weib des Soldaten“ bearbeitet und der Roman „Milton“ von Max Ring dramatisirt werden. Daß ein blinder Mann trotz seiner Blindheit weiter spielt, ist gewiß eine große Merkwürdigkeit; dabei ist aber wohl zu beachten, Weilenbeck spielte nicht, weil es ihm eine Befriedigung der Eitelkeit war, sondern weit ihn ein höheres Etwas dazu trieb und ihm auch die Kraft verlieh, das Seltene, man kann wohl sagen, das Unglaubliche zu vollführen. Der Herzog von Meiningen hat den beliebten Künstler mit seinem Hausorden ausgezeichnet; vor einigen Jahren trat Weilenbeck in den Ruhestand und lebt jetzt als Pensionär in Meiningen.

Monatschrift für Theater und Musik. Herausgeber Joseph Klemm (in Wirklichkeit die beiden Fürsten Czartoryski) (Wien, 4°.) III. Jahrgang, 1857, S. 262. im Artikel: „Prag“. – Gartenlaube. Herausgegeben von Robert Keil (Leipzig, 4°.) 1876, Nr. 48. S. 404: „Ein blinder Schauspieler“. Von Max Remy. – Literarische Berichte aus Ungarn. Ueber die Thätigkeit der ungarischen Akademie der Wissenschaften und ihrer Commissionen u. s. w. Herausgegeben von Paul Hunfalvy (Budapesth 1878, Franklin-Verein, gr. 8°.) I. Bd., S. 438 im Artikel: „Die ungarische Dichtung der Gegenwart“. Von Adolf Dux.