ADB:Wiederhold, Ludwig Heinrich
Elvers und Bender. Seine beiden werthvollsten Abhandlungen veröffentlichte W. 1831 in Hanau unter dem Titel „Das interdictum Uti possidetis und die operis novi nunciatio“. Namentlich die Arbeit über das Interdict verdient noch heute Beachtung. Savigny freilich, gegen dessen Lehre W. sich wendete, hat nicht günstig über sie geurtheilt, doch fand der Verfasser die Anerkennung anderer Romanisten, und besonders Vangerow’s. – Schon in der nächsten Zeit sollte W. auch politisch hervortreten. Die Unruhen des Jahres 1830 hatten namentlich in der Provinz Hanau die Autorität der Behörden untergraben. W., zur Herstellung der Ordnung in die Grafschaft Wächtersbach entsandt, entledigte sich seiner Aufgabe mit Entschiedenheit und versöhnendem Wohlwollen. Das Jahr 1831 brachte die dem Kurfürsten abgenöthigte Verfassung und die Mitregentschaft des Kurprinzen. Wiederhold’s Vater trat damals als leitender Minister an die Spitze der Regierung. Nach seinem kurz darauf erfolgten Tode erging an den Sohn, der inzwischen als Obergerichtsrath nach Kassel versetzt worden war, die Aufforderung, als Mitglied und Referent in das Gesammt-Staatsministerium einzutreten, er lehnte jedoch ab. Statt seiner wurde Hassenpflug berufen. Jene Ablehnung, in der sich seine constitutionelle Gesinnung schon deutlich kund gab, und seine thätige Betheiligung an der Zeitschrift „Verfassungsfreund“ kosteten W. die bis dahin [389] ihm zugewandte Gunst des Kurprinzen. Wiederholt in die Ständeversammlung gewählt, erlangte er nicht die Genehmigung zum Eintritt, die die Staatsregierung ihren Beamten gegenüber in Anspruch nahm; 1833 wurde er an das Obergericht in Marburg versetzt. – Dort verlebte er, seit 1827 mit Elisabeth, geborenen Knipping aus Rinteln verheirathet, wol seine glücklichsten Jahre. In anregendem Umgang mit den Gelehrten der Hochschule und ungestörter Thätigkeit vertiefte er seine wissenschaftliche Bildung; er schrieb in diesen Jahren die Abhandlungen „Bemerkungen über die actio finium regundorum“ (Zeitschrift für Civilrecht und Prozeß, Bd. 13, S. 35) und „Von der Schenkung auf den Todesfall“ (das., Bd. 15, S. 96). Im Vordergrund seines Interesses stand jedoch sein Richteramt und hier im besonderen die Beschleunigung des langwierigen Proceßganges. Eine hierauf, wie auch auf Verbesserungen im materiellen Recht gerichtete Bewegung wurde durch die von W. und ihm befreundete Collegen ausgehenden Anregungen gestärkt und führte zu mehreren Gesetzen, durch deren Ausarbeitung Hassenpflug als Justizminister sich den Dank des Landes verdiente. Wiederhold’s Wirken hatte die juristische Facultät in Marburg schon durch Ehrenpromotion anerkannt. Auf ihren Antrag war er entschlossen, eine Professur zu übernehmen, als ihn 1846 die freie Stadt Frankfurt zur Uebernahme einer Rathstelle bei dem Oberappellationsgericht in Lübeck berief. Es wurde W. schwer, sein Heimathland zu verlassen, doch entschied er sich für die Annahme des Rufes. Auch in Lübeck bewährte sich seine Tüchtigkeit, der allverehrte Präsident Heise schenkte ihm bald sein besonderes Vertrauen. Nur noch wenige Lebensjahre waren W. vergönnt. Zu Beginn des Jahres 1848 sandte ihn Lübeck in die Frankfurter Nationalversammlung, aber schon nach wenigen Monaten aufreibender Thätigkeit, vornehmlich in Ausschüssen, mußte er krank zurückkehren. Noch erlebte er die Freude, daß die kurhessische Ständeversammlung, in erster Ausübung des ihr damals eingeräumten Präsentationsrechtes, sich mit dem Antrag auf Eintritt in eine Rathstelle am heimischen Oberappellationsgericht an ihn wandte, doch mußte er bei seinem leidenden Zustand sich die Annahme versagen. Am 8. März 1850 verschied W. infolge eines Nervenschlages. Offenheit und Unbestechlichkeit des Charakters, ein klarer, für die vielseitigen Bedürfnisse des Lebens empfänglicher und durchgebildeter Geist, seltene Arbeitskraft und humane Gesinnung rechtfertigen die Anerkennung, die W. bei seinen Zeitgenossen fand.
Wiederhold: Ludwig Heinrich W., einer hessischen Familie entstammend, aus der mehrere treffliche Beamte, Gelehrte und Officiere hervorgegangen sind, wurde geboren am 25. November 1801 in Rinteln, wo sein Vater damals Professor des Staatsrechts war. Sein lebhafter Geist und empfängliches Gemüth führten den Heranwachsenden zu eifriger Beschäftigung mit der schönen Litteratur und demnächst zu eignem dichterischen Schaffen; er veröffentlichte in den Jahren 1819 bis 1824 in verschiedenen Zeitschriften unter dem Namen „Ernestine“ mehrere Novellen und Gedichte. 1819 bezog er die Landesuniversität Marburg und studirte dort und später in Göttingen, dem Wunsche des Vaters folgend, Jurisprudenz. Der väterliche Rath bewährte sich, W. war nach Geistes- und Charakteranlagen in seltenem Maße für den Beruf des praktischen Juristen und Richters befähigt. Schon 1824 wurde er zum Assessor beim Obergericht in Rinteln ernannt, 1825 nach Fulda und 1830 von dort nach Hanau versetzt. In Fulda schrieb W. seine erste juristische Schrift. Das Interesse der kurhessischen Juristen war, nachdem das sog. Organisationsedict von 1821 Justiz und Verwaltung getrennt hatte, in dieser Zeit der sorgfältigen Scheidung zwischen Justiz- und Verwaltungssachen zugewendet. W. behandelte die Frage in seinen anonym erschienenen „Grundlinien des Verhältnisses der Gerichte zu den Verwaltungs- und Finanzbehörden Kurhessens (1827) mit klarem Urtheil und praktischer Umsicht. Dem Schriftchen folgten kleinere Aufsätze in der Juristischen Zeitung von- Neuer Nekrolog der Deutschen. 28. Jahrg. 1850, Nr. 43. – Strieder’s Grundl. zu einer Hess. Gelehrten-, Schriftsteller- und Künstler-Geschichte, fortges. von Gerland. Bd. 20, S. 239.