ADB:Taulow von Rosenthal, Theodor
Kaiserin Maria Theresia die Hofkanzlei aufhob und an ihre Stelle das Directorium in publicis et cameralibus als Centralorgan der politischen und Finanzverwaltung der österreichischen Länder setzte, wurde auch T. in dieses Directorium als Secretär berufen. Im selben Jahre änderte sich seine bisherige amtliche Thätigkeit. Bei dem Wiener Hofe fühlte man nämlich schon öfters schmerzlich den Abgang eines Archivs, aus welchem man bei Erörterungen staatsrechtlicher Fragen die nöthigen historisch-juridischen Argumente hätte schöpfen können. Dieser Mangel machte sich damals um so mehr fühlbar, als es bei den Höfen Frankreichs und Preußens Gebrauch war, jede Staatsaction durch gelehrte historische Deductionen in Form gedruckter Promemorias, Broschüren und polemischer Schriften einzuleiten und zu begründen. Dieses Bedürfniß steigerte sich für den österreichischen Hof dadurch, [466] daß Maria Theresia in manche, wie allbekannt, für die Monarchie lebenswichtige Streitfragen verwickelt wurde. Der Ruf nach Einrichtung eines Archivs wäre vielleicht auch diesmal verhallt, hätte nicht der Hofkanzler Haugwitz (siehe A.D.B. XI, 66) in T. eine berufene Person für das Sammeln der Archivalien vorgeschlagen. Durch das Decret des Directoriums vom 13. September 1749 aufgefordert, einen Plan für die Einrichtung des Archivs zu entwerfen, verfaßte T. einen solchen. Er zeigt, daß T. die nöthigen Eigenschaften zu der ihm gestellten Aufgabe besaß: Energie, umfassendes historisches Wissen und Kenntniß der österreichischen Archive. Bei der Arbeit wurde er von zwei Gesichtspunkten geleitet: der eine, durch den Zweck des Archivs gegeben, hieß ihn Materialien zu den Gerechtsamen der österreichischen Monarchie sammeln – und er hat darunter vorzugsweise die Rechte und Ansprüche des herrschenden Erzhauses verstanden; der zweite Gesichtspunkt, das Anhäufen von möglichst viel Pergament-Urkunden, wurde ihm gegeben durch die überwiegende Bedeutung, welche damals die Urkunde den Acten gegenüber besaß, eine Folge der bahnbrechenden Arbeiten der französischen Mauriner. So bereiste er in den Jahren 1750–52 die Archive von Prag, Innsbruck, Graz und Niederösterreich und brachte ungefähr 15 000 Urkunden nach Wien. Dadurch wurde der Grundstein zu dem jetzigen Staatsarchiv gelegt. Im J. 1753 wurde das Archiv mit dem nöthigen Personal versehen, und T. wurde zum ersten Archivar unter der Leitung Bartenstein’s (siehe A. D. B. II, 87) als Directors ernannt. Von anderweitigen Arbeiten, hauptsächlich von der Vorbereitung des Lehrmaterials für den Kronprinzen Erzherzog Josef in Anspruch genommen, überließ Bartenstein die Sorge für Einrichtung und Ordnung des Archivs dem T. Dieser wählte die nöthigen Localitäten aus, legte eine ganze Reihe von Repertorien an und versorgte das Archiv mit einer Hausbibliothek; auch schuf er eine Sammlung von Siegeln und Siegelabgüssen. Ihm schwebte ein ähnliches Ideal vor, wie wir es heute von einem Archive haben: ein Institut, welches, mit allen Hülfsmitteln ausgerüstet, im Stande ist, auf alle historischen Fragen eine erschöpfende Antwort zu geben. Er hat also beträchtlich mehr angestrebt, als ihm die officielle Aufgabe vorschrieb. In diese Bahn führte ihn gewiß seine umfassende Bildung, und gerade diese veranlaßte ihn, den neuen Lehren der historischen Wissenschaft, wie sie eben auch an die Pforten Oesterreichs pochten, dieselben zu öffnen; denn jetzt erst verlangte man zur Sicherstellung einer historischen Thatsache das Zeugniß von Urkunden, Münzen und Denkmälern, so wie bei dem Forscher die Kenntniß der Diplomatik, der Paläographie und der übrigen Hülfswissenschaften. Weiteren Kreisen war das Archiv damals noch so gut wie verschlossen. Diesem Mangel suchte T. dadurch abzuhelfen, daß er sich in steter Correspondenz mit allen historischen Größen befand, und daß er ihre Zweifel und Irrthümer auf Grund der Materialien seines Archivs berichtigte. Es genügt, nur einzelne jener Persönlichkeiten anzuführen: den Hofhistoriographen Herrgott (s. A. D. B. XII, 212), Bessel (II, 567), den Herausgeber des Chronicon Gottwicense, die Brüder Pez (XXV, 569), den Vater der historischen Kritik in Böhmen G. Dobner (V, 275) und viele andere. Einen indirecten Nutzen hat die historische Forschung also doch aus seinen Arbeiten gezogen, trotzdem er kein gedrucktes Werk hinterlassen hat. Das Haus- und Staatsarchiv besitzt einzelne seiner Arbeiten im Manuscript, theils Denkschriften, die er in höherem Auftrage schrieb, theils selbstständige historische Untersuchungen. Er starb im 77. Lebensjahre, nachdem er im J. 1759 den Titel eines Hofraths erhalten hatte. Seine zwei Söhne Joseph und Ignaz, welche sich gleichfalls dem Staatsdienste widmeten, sind wegen der Verdienste des Vaters im J. 1780 in den Ritterstand erhoben worden. Für die Bedeutung Taulow’s sind die Worte bezeichnend, mit welchen Kaunitz von dessen Nachfolger [467] spricht, als es sich nach dem Tode Taulow’s um Besetzung seiner Stelle handelte: „Die Ehre des Hofes und der wesentliche allerhöchste Dienst erfordern, auf die Auswahl und die dereinstige Anstellung des gelehrtesten, in der Geschichte, Diplomatie, in jure publico etc. erfahrenen Mannes, der nur irgendwo in Deutschland zu finden sein wird, fürzudenken.“
Taulow: Theodor T. von Rosenthal, erster geheimer Hausarchivar des jetzigen kaiserl. und königl. Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien; geboren 1702 zu Prag, † 1779 in Wien. Von seinen Jugendjahren ist nichts Sicheres bekannt. Im J. 1722 trat er in den österreichischen Staatsdienst bei der böhmischen Hofkanzlei, wo er im J. 1735 Concipist, 1736 Archivar, 1738 erster geheimer Protocollist und 1747 Secretär wurde. Als- Hormayr, Archiv etc. Jahrg. 1810, S. 405; 1815, S. 428. – Gräffer u. Czikann, Oesterr. National-Encyklop., Wien 1836, IV, 416. – Fiedler, Slav. Bibl., Wien 1858, II, 1–45 (Correspondenz G. Dobner’s mit Taulow v. R.). – Wolf, Gesch. d. k. k. Archive in Wien. Wien 1871, S. 26.– Wurzbach, Biogr. Lexikon, Wien 1874, XXVII. – v. Arneth, M. Theresia’s letzte Regierungszeit. Wien 1876–79, IV, S. 39 u. 60. – Acten des Staatsarchivs.