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ADB:Suchensinn

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Artikel „Suchensinn“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 103–104, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Suchensinn&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:43 Uhr UTC)
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Band 37 (1894), S. 103–104 (Quelle).
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Suchensinn, fahrender Sänger des ausgehenden 14. Jahrhunderts, empfing am Rupertstage des Jahres 1392 von Wolfhard Helttampt, dem Landschreiber Herzog Albrecht’s des Jüngern von Niederbaiern, für sich und seine Gesellen die Summe von vier Pfund. Die ungewöhnliche Höhe der Gabe, die in Helttampt’s Rechnungsbuche unter der langen Rubrik ‚Nota Varender läuten‘ ihres Gleichen nicht hat, deutet wohl darauf hin, daß S. das geschätzte Haupt eines ganzen Kreises von Fahrenden war. Natürlich war er nicht der adelige ‚Herr‘, den Konrad Silberdrat aus ihm macht, sondern höchstens ‚Meister‘; so bezeichnet ihn die Kolmarer Liederhandschrift. Wie ihn jener authentische Nachweis in Niederbaiern zeigt, so weisen auch die, nicht zahlreichen, Spuren seines Dialekts nach Baiern, und in dieses Land, das in seiner Geschmacksrichtung der alten höfischen Tradition mit zäher altfränkischer Treue anhing, paßt auch Suchensinn’s dichterische Physiognomie allein hinein. Schon in der überraschenden Sauberkeit seiner Form, in gewissen archaischen Zügen seiner Technik, die z. B. zweihebig stumpfe Reime noch genau so verwendet, wie die mittelhochdeutsche Blüthezeit, in seinen traditionellen, meist sehr reinen Reimen, in seiner einzigen Strophenform, die identisch ist mit der zweiten Weise Gösli’s von Ehenhein und ganz ähnlich Konrad’s von Würzburg Nachtweise, in all diesen Dingen verräth er das Studium der alten höfischen Poesie, und es ist kein Wunder, daß man ihn im 15. Jahrhundert mit Neidhart, Frauenlob und Regenbogen in einem Athem glaubte nennen zu dürfen. Aber auch der Inhalt seiner mit Vorliebe vier-, sonst drei- und fünfstrophigen Lieder verräth den Schüler der mittelhochdeutschen Lyrik. Nachtigall rühmt ihm mit Recht nach: ‚Der Suchensinn sang lobeleich von Frawen rein‘. Er ist so etwas wie ein Minnedichter, besingt nur die Frauen, weiter nichts. Freilich, darin zahlt er der Zeit seinen Zoll, daß er nicht die Geliebte, sondern die Frauen im allgemeinen feiert; über das Lob trägt oft Lehre und Warnung den Sieg davon, und er zieht sich wohl gar weiblichen Tadel zu, daß er nie auf Männer schelte, daß er die Frauen zu stark mitnehme: in einem freien Geleit verspricht er denn auch einmal, seinen Ton zu mildern. Die Frauen sind sein einziges Thema; der barock mit allerlei bürgerlichen Bildern und Phrasen vergröberte Ton des höfischen Minnepreises und der höfischen Minnelehre meldet sich selbst, wenn der Dichter auf andre Stoffe einzugehn sich geneigt zeigt. So weiß er eine Ermahnung an die Juden unterzubringen in einem Liede, das die Frauen als fruchtbare, schöpferische Wesen mit Gott vergleicht, und, wie vor ihm Friedrich von Sunburg, scheut er sich nicht, in das Lob der Jungfrau Maria grob erotische Elemente, bedenkliche Vorstellungen des Minnedienstes einzumischen, die uns in diesem Zusammenhange nicht nur frivol, sondern fast blasphemisch erscheinen. Daß die Zeit anders empfand, geht auch daraus hervor, daß Suchensinn’s jüngerer Landsmann Muscatblüt sich hierin, wie auch sonst zuweilen, dem ältern Sänger nachahmend anschloß. Wie S. in das geistliche Lied, das bei ihm natürlich nur der Himmelskönigin gilt, minnigliche Töne fügt, so schmückt er das Lob der irdischen Frau mit den üppigen Farben der hymnischen Bildersprache. Eine Jungfrau, die findet, er bevorzuge zu sehr diu wîp (d. i. die Ehefrauen), beruft sich auf die Jungfrau Maria. S. ist Richter in einem Wettstreit zwischen Priester und Weib, welcher ‚Orden‘ höher stehe: dies, auch von Rosenplüt erwogene Problem, wird von S. selbstverständlich zu Gunsten der Frauen entschieden, denen selbst Gott hofire. Auch die Natur mit all ihren Blumen, Vögeln und Wurzen ist ihm nichts gegen den Reiz der Frau, die tausendmal mehr Freuden gibt; die [104] sechs Farben, die den Anger schmücken, findet er schöner bei ihr wieder. Er liebt den Natureingang: aber alle Wege führen ihn immer wieder zu seinem Ein und Alles. Er trifft etwa auf dem Morgenspaziergang durch die schöne Natur eine Dame, mit der er plaudert; oder auf eine Klage über den hereinbrechenden Winter mahnt ihn eine Frau, er solle lieber klagen, wenn ein junges Weib seine Ehre vergesse; oder er trifft im Grünen den Waidmann auf der Hirschjagd, den Fischer, der Reusen stellt, und diese entpuppen sich als Allegorien, die nach der weiblichen Tugend jagen und fischen; oder aber das ganze Naturbild selbst wird Allegorie: so bedeutet etwa der Wald das Weib, der Winter die falschen Zungen, die dem Walde sein Laubgewand, der Frau ihr Ehrenkleid rauben. Die ausgeführte Allegorie der beliebten erotischen Jagdgedichte klingt von ferne an, wenn der Dichter seinen nach ihm selbst benannten Hund ‚Suche‘ ausschickt, daß er ihm das Liebste ausfindig mache. Aber die eigentlich minniglichen Züge sind bei ihm ganz selten: die Quälereien, die sich die übermüthige Dame im Minnedienst erlaubt, verwirft er streng; Kuß und Umarmung zwischen Jüngling und Dame kommt nur einmal vor; lieber ist dem Dichter selbst zwischen Knaben und Töchterlein ein moralisch Gespräch. Denn Frau Ehre ist des Weibes beste Patronin, das Ehrenkleid ihr schönster Schmuck: sie soll das Ehrenbanner aufrichten, sich vor der Schanden Schwert hüten, dann blüht ihr der Ehre Rose, dann soll sie in der Ehre Burg thronen. Aber Frau Ehre hat hier doch schon etwas sehr Bürgerliches an sich: Suchensinn’s höchstes Ehrgebot lautet: Hab Got liep und dînen êman! Das führt in seiner braven Ehrbarkeit weit ab vom alten ritterlichen Minne- und Ehrencodex. Und doch dichtet S. deutlich für ein ritterliches Publicum. Er redet die bairischen Herren frume oder stolze helde an, eine alte volksmäßige Wendung, die gerade bei bairischen Dichtern von jeher beliebt ist, aber einen etwas unhöfischen Beigeschmack hat. S. mahnt mit der Wünschelgerte seiner Zunge die Frauen, diesen stolzen Helden, die freilich keine Hofschranzen sind, aber Leib und Gut aufs Spiel gesetzt haben, nicht die ‚Sprenzler‘ vorzuziehen; er mahnt aber auch die Ritter, den Damen zu huldigen: ir frumen helde, geloubet mir, ir wært reht als ein wildez tier, und wær niht wîp mit stæter gir ein gnâdenrîche sunne. S. erkennt mit schöner Klarheit den bildenden, idealisirenden Einfluß der Frau, und empfindet ihn um so mehr als nöthig, da die rauhe Zeit gegen solchen Einfluß immer spröder wurde. So ist ihm das Frauenlob eine dichterische Culturaufgabe, und er tröstet sich wiederholt mit der Ueberzeugung: ‚sô Suochensin begraben leit, noch wirt von vrauwen gesungen‘. Wie in diesen Schlußzeilen zweier Lieder, nennt er sich auch sonst in seinen sämmtlichen Gedichten bei Namen, meist in der letzten Strophe und gerne in mahnender Selbstanrede. Ohne originell zu sein, gehört der Dichter durch die überzeugte Einseitigkeit seiner Stoffwahl, durch den heiligen Ernst, der sich schon in der reinlich gepflegten Form ausprägt, durch seinen Glauben an abwelkende, aber darum nicht minder rühmliche Ideale zu den erfreulichsten und charakteristischsten Erscheinungen der in den Meistergesang überlenkenden Kunstlyrik seiner Tage.

Suchensinn’s Dichtungen sind gedruckt in Fichard’s Frankfurtischem Archiv für ältere deutsche Litteratur und Geschichte, Th. III, S. 223–248 (XXIII u. XXIV sind ein Lied); im Liederbuch der Klara Hätzlerin, hsg. von Haltaus, S. 92 f. Nr. 120. 121; in den Meisterliedern der Kolmarer Handschrift, hsg. von Bartsch, S. 562–578; in der Erlösung, hsg. von Bartsch, S. 192; im Deutschen Kirchenlied, hsg. von Phil. Wackernagel II, 483. – Der urkundliche Nachweis in v. Freyberg’s Sammlung historischer Schriften u. Urkunden Stuttgart u. Tübingen 1829, II, 148.