ADB:Regenbogen, Barthel
Frauenlob als der verehrungswürdige Ahn und Gründer der holdseligen Kunst des Meistergesanges; nie fehlt er unter den 12 (oder 4) alten Meistern; oft nimmt er die erste Stelle ein. Dieselbe wenig glaubwürdige Tradition gibt ihm den Vornamen Barthel (Bartholomäus), selten Berthold, und verlegt seine Heimath nach Mainz oder Ulm: kaum sicherer ist eine neuere Vermuthung, die ihn aus Speier stammen läßt, weil ein Reinbold Regenbogen dort 1336 nachgewiesen ist: doch mag der Dichter ein Oberdeutscher gewesen sein, da ihm die Jenaer Handschrift keinen Platz gewährte. Daß R. von Beruf Schmied war, bezeugt auch die Miniatur der großen Heidelberger Liederhandschrift; ob er aber wirklich Hufschmied war, wie die Tradition meldet, und nicht vielleicht die social viel höher stellende Goldschmiedekunst trieb, ob er das Handwerk aufgab, an den Rhein zog um des Gesanges willen und dadurch in Noth und Hunger gerieth, wie uns Lieder von problematischer Echtheit vorklagen, das Alles ist nicht über Zweifel erhaben. Einen mindestens vorübergehenden Aufenthalt in Mainz legen seine gut bezeugten Sangeskämpfe mit Frauenlob, dem berühmteren und gelehrteren Nebenbuhler, nahe; auch daß mehrere Gedichte, die unter seinem Namen gehen, einen grimmigen fanatischen Judenhaß athmen, würde in die Mainzer Verhältnisse des ausgehenden 13. Jahrhunderts vortrefflich passen: wenn jene Gedichte nur echt sind! Das gleiche kritische Bedenken verbietet mir, aus einer Todtenklage auf Frauenlob zu schließen, daß er diesen überlebt und also mindestens das Jahr 1318 erreicht habe. Der litterarische Verkehr mit Frauenlob, der um 1300 sich abgespielt haben mag, bleibt der einzige feste Punkt in seiner Biographie.
Regenbogen galt der meistersingerischen Tradition nebenZuversichtlicher über Regenbogen’s Leben und Dichten zu sprechen wird erst dann möglich sein, wenn philologische Untersuchungen, die für die Anfänge des Meistersangs noch durchaus fehlen, uns gelehrt haben, Echtes und Unechtes zu sondern. Die wenigen Strophen, die in der einzig zuverlässigen Quelle, der großen Heidelberger Handschrift, unter Regenbogen’s Namen stehen, entfernen sich in Nichts von der guten Technik des 13. Jahrhunderts. Sichten wir Regenbogen’s Gedichte nach diesem Maßstab, so erkennen wir in ihm einen Spruchdichter von ausgeprägt bürgerlichem Charakter, redlich und schlicht, aber wenig bedeutend, und sehr ärmlich in Sprache und Reim. Er mahnt den Wehr- und Lehrstand, den Ritter und Pfaffen, zu einträchtiger Ausübung seiner Pflicht: der Pflug thut schon Alles, was er soll. Als der Frauen höchste Tugend besingt er die Ehre. Zu ihrem Lobe schlägt er Töne an, die ihn Frauenlob’s Minnelyrik gelehrt hat. Selbst unmittelbare Anlehen scheint er nicht verschmäht zu haben, so streitlustig er bei anderer Gelegenheit diesem Größeren sich entgegenstellt. Es ist die unerfreulichste Seite seiner Dichtung, diese Kampfesstrophen, die ihre [548] Bilder gern der ritterlichen Turniersprache entnehmen. Mit unmotivirter Grobheit, oft geradezu schimpfend, sucht er den eiteln, aber an Gelehrsamkeit, Kunst und Talent unendlich überlegenen Gegner zu ducken; er verficht ihm gegenüber die Ehre der alten guten Meister, Walther’s, Wolfram’s, der Reinmare[WS 1], er verwirft Frauenlob’s capriciöse Bevorzugung des Wortes „Frau“ vor „Weib“; leider aber verleitet ihn Neid und Ehrgeiz, dem Feinde auf das mißliche Gebiet geistlicher Symbolik und Räthselpoesie, vielleicht auch naturwissenschaftlicher Speculation, wenige Schritte weit zu folgen, und da wankt ihm der Boden unter den Füßen; in seinem Bar auf die 7 freien Künste erfreut das warme Lob der Musika; wenn er aber z. B. von der Astronomie sagt, sie lehre Reinheit und Freigebigkeit, so ist ihm jenes Wort nichts weiter als Schall ohne Inhalt.
Unendlich reicher und auch charakteristischer läßt sich Regenbogen’s Bild gestalten, wenn man, wie dies in der Regel geschehen ist, eine größere Menge der zahlreichen Gedichte als sein Eigenthum in Anspruch nimmt, die in den älteren Meisterliederhandschriften in seinen Tönen verfaßt stehen. Zweierlei spricht gegen dies Verfahren: einmal die ganz abweichende Technik, die rohen, theils ober-, theils mitteldeutsch gefärbten Reime, die Unsicherheit in der Scheidung stumpfer und klingender Ausgänge, die Neigung zu langen Reihen anaphorischer Satz- und Versanfänge; dann der Umstand, daß die Sammler jener Handschriften wohl für den Schöpfer des Tons, fast nie aber für den Verfasser des Gedichtes uns einstehen wollen, und im 14., 15. Jahrhundert dichtet man nicht nur unbedenklich, sondern der Regel nach in fremden Tönen. Verwickelt wird die kritische Frage durch die Thatsache, daß in einer großen Anzahl jener technisch mangelhaften Lieder, zumal in Streitgedichten, sich R. selbst mit Namen nennt oder in der Ueberschrift der einzelnen Strophe als redend genannt wird. Das macht mich nicht irre; es erklärt sich das aus der typischen Bedeutung, die Regenbogen’s Persönlichkeit für den Meistergesang gewonnen hatte. Schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts sondert sich der studirte, gelehrt sein wollende Meister mit bewußtem Stolz vom ungelehrten, volksthümlichen Spruchdichter. Der Meistergesang als eigenthümliche litterarische Erscheinung ist durchaus das Product einer mehr oder minder bedenklichen Gelehrsamkeit. Auch der Handwerker R. widerstand nicht der lockenden Moderichtung, so fadenscheinig sein Wissen auch war. Aber es blieb nicht so. An die Stelle des berufsmäßigen Meisters tritt der dilettirende Meistersinger, der in der Regel unwissend und Handwerker ist. Auch er entsagt dem gelehrten Unsinn nicht, aber er hat das unbehagliche Gefühl seiner Unbildung. Da richtet er sein Selbstgefühl an R. auf, der, gleich ihm Handwerker, es dennoch gewagt hat, mit der Berühmten Berühmtestem, mit dem Doctor der Theologie, Heinrich Frauenlob in die Schranken zu treten. Dies typische Kämpferpaar wird zu Helden zahlreicher Streitdialoge und Kranzgesänge gemacht. Es bilden sich Parteien: die einen geben R. den Sieg, die andern lassen Frauenlob das Kränzchen gewinnen, den dritten bleibt der Kampf unentschieden. In diesen Tenzonen entwickeln beide genau die gleiche sinn-, inhalt- und zwecklose symbolisirende Scheingelehrsamkeit. Sie geben sich unrathbare Allegorien als Räthsel auf. Sie verfangen sich in und fangen sich durch Wortspiele. Die wenigen Strophen, in denen einst Frauenlob und R. über Weib und Frau stritten, schwellen zu einem großen scholastischen Disput an; nach seinem Vorbild ward der Krieg zu Würzburg gedichtet, der die Vorzüge von Mann und Frau zum Thema hat. Auch gegen Andere muß R. jetzt seine kampfberühmte Zunge wenden: er siegte, ein zweiter Sylvester, über die ungläubigen Juden; selbst mit dem Tode wagt er ein freilich unglückliches Duell. Manchem mochte es widerstreben, daß die beiden Heroen des Meistersangs so uneinig seien: so muß R. dem todten Frauenlob eine Thräne [549] nachweinen: und ein Friedrich Stoll aus Marburg (aus Meister Stolle entstellt?) will von ihnen gemeinschaftlich in einer Mainzer Kneipe in die Geheimnisse des Meistersangs eingeweiht worden sein. Bewundernde Verehrer erfinden die Fabel, wie R. am Würzburger Hofe die verhaßte Concurrenz der Instrumentalmusik durch seinen Gesang beseitigt. Echte Gedichte werden erweitert und parodirt; rühmte er z. B. als höchste Tugend der Frau die Ehre, so preist ein Nachdichter an erster Stelle ihre Nüchternheit. Sein Name dient diesen Dichtern, die eigene litterarische Prätension nicht kannten, als empfehlendes Aushängeschild; lange geistliche Dichtungen unter seinem Namen und in seinen Tönen, darunter eine trefflich erzählte Veronicalegende, sind noch im 16. Jahrhundert als fliegende Blätter verbreitet. Und mehr als ein Dutzend Töne legt ihm die anerkannte Tradition des Meistergesanges bei: gesichert scheint mir seine Autorschaft nur für die Briefweise, an der erst späte Quellen auch Frauenlob Antheil haben lassen, und etwa für den langen Ton, einen der 4 gekrönten Töne des meisterlichen Horts; in zweiter Reihe seien der graue und der blaue Ton genannt, von denen der letztere dasselbe Gemäß zeigt, wie Frauenlob’s Ritterweise. Regenbogen’s litterarhistorische Bedeutung beruht lediglich auf der halb mythischen Rolle, die ihm die spätere Tradition des Meistergesangs zuertheilt hat: das erstarkte Selbstgefühl des Bürgerthums konnte und wollte seine Lieblingskunst nicht ausschließlich anknüpfen an die ragende Gestalt jenes gelehrten Theologen; so stellt es seinen an sich unbedeutenden Nebenbuhler, den Handwerker, auf ein hohes Piedestal und putzt ihn heraus, daß kaum mehr einige Züge des Originals hindurchschimmern.
- Echte Gedichte in v. d. Hagen’s Minnesingern II, 309, 344–346 (III, 344, 452, 468k, 1, 3); anderes ihm beigelegtes ebenda III, 344–354, 468k ff. – Heinrichs v. Meißen Leiche, Sprüche u. s. w., herausg. v. Ettmüller, Quedl. 1843. S. 108 ff., 159. – Meisterlieder der Kolmarer Handschrift, herausg. v. Bartsch, S. 175 ff., 334 ff., 338–424 u. ö. – Phil. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied II, 254–270. – Die Erlösung, herausg. von Bartsch, Quedlinburg 1858, S. 209 ff. – Ueber ihn handelt v. d. Hagen, Minnesinger IV, 633 ff., allzu unkritisch. Eine überschätzende Würdigung gibt Gervinus, Geschichte der deutschen Dichtung II5, 156 ff.