Zum Inhalt springen

ADB:Schubart, Christian

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schubart, Christian“ von Adolf Wohlwill in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 588–599, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schubart,_Christian&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:36 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schubart, Adam
Nächster>>>
Schubart, Georg
Band 32 (1891), S. 588–599 (Quelle).
Christian Friedrich Daniel Schubart bei Wikisource
Christian Friedrich Daniel Schubart in der Wikipedia
Christian Friedrich Daniel Schubart in Wikidata
GND-Nummer 118610953
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|32|588|599|Schubart, Christian|Adolf Wohlwill|ADB:Schubart, Christian}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118610953}}    

Schubart: Christian Friedrich Daniel S., geboren in Obersontheim am 24. März 1739, † in Stuttgart am 10. October 1791, ist für die deutsche Litteraturgeschichte als einer der Hauptvertreter der Sturm- und Drangperiode, sowie insbesondere als Vorläufer Schiller’s von Bedeutung. Nicht geringeres Interesse erregt er vom culturgeschichtlichen Standpunkt: sowohl wegen seiner wechselvollen Lebensschicksale, in denen sich die deutschen Zustände seiner Zeit mannigfach spiegeln, als auch wegen seiner journalistischen Wirksamkeit, durch welche er in weiten Kreisen Bildung verbreitete und zur Erweckung deutschnationaler Gesinnungen beitrug.

Der feurige Patriot, der alles Deutsche mit inniger Liebe umfaßte und das Wiedererstehen von Deutschlands Macht vorausahnte, gehörte durch seine Geburt der Grafschaft Limpurg an, einem jener Gebiete, in welchen sich die deutsche Kleinstaaterei des vorigen Jahrhunderts in ihrer ärgsten Verzerrung darstellte. Doch schon im J. 1740 wurde sein Vater Joh. Jac. S. (geb. am 13. Mai 1711 in Altdorf bei Nürnberg) von Obersontheim, wo er als Cantor angestellt gewesen, nach Aalen versetzt, um daselbst zunächst als Präceptor und Musikdirector, später als Diaconus zu wirken. Dort verbrachte Christian S. seine Jugend bis zum Jahre 1753. Die kleine schwäbische Reichsstadt, welcher er stets warme Anhänglichkeit bewahrte, kann als seine eigentliche Heimath gelten. Auf die urkräftige Eigenart ihrer Bewohner führte er seinen „derben deutschen Ton“ zurück. Auch im übrigen sind die ihm hier zu theil gewordenen Eindrücke für sein ganzes Leben von entscheidender Bedeutung geworden. Durch das Beispiel des Vaters, welcher der Poesie und Musik zugethan und durch Beredsamkeit, wie durch gesellige Gaben ausgezeichnet war, wurden ähnliche Neigungen und Fähigkeiten auch bei dem Sohne frühzeitig geweckt. Die Bewunderung seiner Umgebung erlangte dieser insbesondere durch seine ungewöhnliche musikalische Begabung, die freilich nie zu geregelter Ausbildung gelangen sollte. Auf seine dichterische Entwicklung übte es den nachhaltigsten Einfluß, daß er einen bei seinem Vater verkehrenden preußischen Werbeofficier eine Episode aus dem Messias vorlesen hörte. Seine Seele wurde dadurch aufs tiefste ergriffen und zu lebhaftestem, [589] bis in seine späteren Jahre fortglühendem Enthusiasmus für Klopstock entzündet. Auch die nicht minder feurige Verehrung, welche er Zeitlebens Friedrich dem Großen gewidmet, ist ebenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Eindrücke seiner Aalener Kindheit zurückzuführen. Bei so mannigfachen Anregungen für Geist und Gemüth des Knaben wurde jedoch die Festigung seines Charakters verabsäumt. Seine bewegliche und leicht bestimmbare Natur machte ihn für alles Große und Schöne empfänglich, aber auch dem Leichtsinn und der Verführung zugänglich. Scheint es, daß die Eltern sich dem vielversprechenden jungen Brausekopf gegenüber allzu nachsichtig verhalten, so entbehrte derselbe, nachdem er Aalen verlassen, vollends der erwünschten Aufsicht und Zügelung. Von 1753–1756 besuchte er das Lyceum in Nördlingen. Der vielseitigen Förderung, welche ihm hier unter der Leitung des verdienten, auch mit der deutschen Litteratur vertrauten Rector Thilo zu theil wurde, stand der sittenverderbliche Umgang mit rohen Handwerksburschen und liederlichen Musikanten gegenüber. Schubart’s von Jugend auf bekundete Vorliebe für den Verkehr mit Leuten, welche der unteren Volksclasse angehörten, kam freilich auch der volksthümlichen Entwicklung seines poetischen Talents zu gute. Schon damals dichtete er Volkslieder, denen die Anerkennung zu theil ward, auf mancher Schneiderherberge gesungen zu werden, während die gleichzeitig entstandene, nicht mehr erhaltene, prosaisch-poetische Nänie auf das Erdbeben von Lissabon von ihm selbst als gräuliche Stelzenpoesie bezeichnet worden ist. Zwischen den Gegensätzen des derb Volksthümlichen einerseits und der Nachahmung des Klopstock’schen Odenschwunges andererseits hat seine Poesie zu allen Zeiten unsicher hin und her geschwankt; indessen unterliegt es keinem Zweifel, daß, wenn ihm auch später einzelne der höheren Lyrik zugehörige Dichtungen gelungen sind, doch die ersterwähnte Richtung die seiner Begabung entsprechendere war.

Im J. 1756 wurde er zu Nürnberg in die Schule zum heiligen Geist aufgenommen. Es war um die Zeit, da der siebenjährige Krieg ausbrach. Als im Frühjahr 1757 Oberst v. Mayr mit seinem Streifcorps wider die fränkische Reichsstadt heranzog, traten die Kriegsthaten des preußischen Heeres unmittelbar in den Gesichtskreis des jugendlichen Dichters und begeisterten ihn zu Liedern, welche damals weite Verbreitung fanden. Aus Verdruß über diese preußenfreundlichen Kundgebungen stieß ihn einst einer der Salzburger Soldaten, welche in Nürnberg als Besatzung lagen, mit seiner Muskete nieder und würde ihn zerstampft haben, wenn nicht dem Bedrängten schleunige Hülfe zu theil geworden wäre. Sympathieäußerungen für Preußen und seinen großen König ziehen sich seit dieser Zeit in bedeutsamer Weise durch Schubart’s Leben. Als er während des weiteren Verlaufs des Krieges einmal zwischen Erlangen und Baireuth in einen Haufen preußischer Soldaten gerieth, verschaffte ihm seine Preußenbegeisterung und der Vortrag einiger von ihm componirter Gleim’scher Grenadierlieder freien Durchzug. Oft und gern verkehrte er auch später mit preußischen Officieren und erfreute sich der Theilnahme und Hochschätzung derselben.

Im October 1758 bezog er die Universität Erlangen, um sich für den geistlichen Beruf vorzubereiten. Er hörte zunächst Vorlesungen über verschiedene philosophische Disciplinen, über Naturrecht, Geschichte und schöne Wissenschaften, und später auch über alle Theile der Theologie, ohne es jedoch bei der tumultuarischen Art seines Studiums zu geordneten Kenntnissen auf irgend einem dieser Gebiete zu bringen. Poesie und Musik hoben ihn über die Masse seiner Gefährten empor, hinderten jedoch nicht, daß er von dem wüsten Treiben der damaligen Erlanger Studentenschaft fortgerissen ward. Leichtsinniges Schuldenmachen zog ihm eine mehrwöchentliche Gefangenschaft zu, welche ihn jedoch ebensowenig, wie eine lebensgefährliche Krankheit, in die er bald darauf verfiel, zu [590] mehr als flüchtigen Besserungsvorsätzen stimmte. Da die Eltern die Kosten eines solchen akademischen Aufenthalts nicht länger zu tragen vermochten, riefen sie den Sohn in die Heimath zurück.

Vom Frühjahr 1760 bis October 1763 verweilte S. meist in Aalen und dessen Umgebung, ohne zu größerer Stetigkeit zu gelangen. Er predigte, componirte, musicirte, organisirte die Aalener Stadtmusik, wirkte zeitweilig als Hauslehrer (in Königsbronn) und erweiterte auf mannigfachen Wanderfahrten seine Welt- und Menschenkenntniß. Damals begann auch seine Correspondenz mit seinem Schwager, dem Schulmann Gottfr. Böckh, und mit Balthasar Haug. Seine Briefe an diese bekunden den lebhaften Antheil, welchen er an der Entwicklung der deutschen Litteratur, und insbesondere an den Anfängen der litterarischen Bethätigung seiner schwäbischen Landsleute nahm. Von seinen eigenen Gedichten aus jener Zeit ist nur eines („Der gute Fürst“) dem Titel nach bekannt. Dieses überreichte er dem Fürst-Propst von Ellwangen, durch dessen Gunst er eine Pfarre zu erlangen hoffte. Da sich ihm jedoch zunächst keine sichere Aussicht auf eine solche darbot, bewarb er sich, obschon mit einigem Widerstreben, um ein Lehramt in dem damals zur Reichsstadt Ulm gehörigen Städtchen Geislingen. Gegen Ende October des Jahres 1763 wurde er hier als „Schuladjunct an der deutschen und lateinischen Schule“ und als Musikdirector angestellt und zugleich mit der Hälfte des Organistendienstes betraut. Die Mühseligkeiten des übernommenen Berufes, mit welchem höchst unerquickliche Nebenverrichtungen um die Weihnachtszeit, bei Hochzeiten und Leichenbegängnissen verbunden waren, haben S. zu manchem Stoßseufzer über sein „algierisches“ Sclavengeschick veranlaßt. Im Januar 1764 vermählte er sich mit der Tochter des Geislinger Oberzollers Bühler, einer Frau, deren treffliche Charaktereigenschaften sich später aufs herrlichste bewähren sollten, die jedoch im Anfang ihrer Verbindung mit S. weder der geistigen Eigenart, noch dem leidenschaftlichen Temperament desselben gerecht zu werden vermochte. So wurde denn dem Dichter in seiner Häuslichkeit kein Ersatz für die Beschwerden seiner amtlichen Stellung geboten, umsoweniger als durch die Einmischung der Familie seiner Frau, insbesondere durch den derb und leidenschaftlich dreinfahrenden Schwiegervater der Unfriede zwischen den Ehegatten vermehrt ward. Auch mit seinen geistlichen Vorgesetzten stand S. fast immer auf gespanntem Fuß. Nicht ohne sein Verschulden; indeß scheint er sich in Geislingen von schlimmeren Vergehungen freigehalten zu haben. In dem ihm vor seinem Abgang von dort abseiten des Ulmer Magistrats ausgestellten Zeugniß heißt es, daß „an seinem Lebenswandel, da er die seiner Jugend zugeschriebenen menschlichen Fehler auf geschehene Ermahnungen gebessert, nichts Sonderliches auszusetzen sei“. Dem gleichen Document, sowie einem Attest der Geislinger Stadtbehörde, ist zu entnehmen, daß, abgesehen von seinen gelegentlich gehaltenen Predigten und seiner musikalischen Tüchtigkeit, auch die Erfolge seiner Schulthätigkeit Anerkennung gefunden. Durch sein lebhaftes Naturell und alle die reichen Vorzüge seines Geistes und Gemüths vermochte er in der That den Mangel einer methodischeren Lehrweise auszugleichen und sich die Liebe und Anhänglichkeit zahlreicher Schüler zu erwerben. Von der Art seines Unterrichts gewinnen wir eine ziemlich deutliche Vorstellung aus den noch vorhandenen Geislinger Schulheften, welche eine große Zahl von S. dictirter, vermuthlich zum guten Theil von ihm improvisirter Lieder, Erzählungen, Briefe erbaulichen, scherzhaft-belehrenden oder auch nur launigen Inhalts umfassen. Zugleich arbeitete er gerade damals emsig an seiner eigenen Fortbildung, indem er nicht nur die gleichzeitige schöne Litteratur, sondern auch die Fortschritte der verschiedenartigsten wissenschaftlichen Disciplinen verfolgte. Zu selbständiger Arbeit wurde er in dieser Zeit nicht zum wenigsten durch Wieland angeregt, welcher frühzeitig die dichterischen Gaben des [591] jüngeren Landsmannes erkannt hatte, und von diesem mit lebhafter – wenn auch schon damals keineswegs kritikloser – Bewunderung verehrt wurde. Durch Wieland wurde S. zur Betheiligung an der 1767 in Lindau begründeten Wochenschrift: „Der neue Rechtschaffene“ bewogen, für welche er eine nicht geringe Anzahl von Beiträgen lieferte. Schon diese seine ersten journalistischen Versuche sind durch ehrenwerthe Tendenz und gewandte Schreibweise ausgezeichnet. Als Dichter bethätigte er sich während seiner Geislinger Periode durch seine nur allzugespreizten Oden, von denen die auf den Tod des Kaisers Franz I. ihm die Würde eines kaiserlichen gekrönten Poeten eintrug, durch seine, wenigstens theilweise von echter Poesie erfüllten „Todesgesänge“ und durch seine „Zaubereien“, die, obwohl unter dem Einfluß von Ovid, Wieland und Gerstenberg („Tändeleien“) entworfen, zu seinen originellsten Erzeugnissen gehören und von seinem Talent zu drastischer Darstellung und Satire Zeugniß geben. Für seine Biographie sind namentlich diejenigen Abschnitte der letzterwähnten Publication von Interesse, welche – freilich in mythologischer Einkleidung und mit dichterischer Uebertreibung – seinem Ingrimm über die Qualen des Schulmeisterloses und die Unbildung seiner Geislinger Umgebung Ausdruck geben. Den hier gegeißelten Verhältnissen zu entrinnen, hatte er sich lange vergeblich bemüht; da bot sich ihm die Aussicht, eine Anstellung als Organist und Musikdirector in Ludwigsburg zu erhalten. Seine Angehörigen erhoben gegen die Uebersiedlung des heißblütigen Mannes in die üppige Residenzstadt begründete Bedenken. Ihn aber reizte die Hoffnung, in eine freiere, genußverheißende Lebensstellung zu gelangen und mannigfaltigere Gelegenheit zu finden, seine Talente zur Geltung zu bringen. In der That erregte er in Ludwigsburg, wo er sich im Herbst 1769 niederließ, namentlich durch seine musikalischen Leistungen Aufsehen. Er reorganisirte und leitete die Kirchenmusik, entzückte die Zuhörer durch sein Spiel auf der Orgel, wie auf dem Flügel und wurde zugleich in den vornehmsten Kreisen als Musiklehrer gesucht. Neben dieser mannigfachen künstlerischen Wirksamkeit ließ er es sich angelegen sein, in der vorzugsweise von französischem und italienischem Geschmack beherrschten Stadt, gemeinsam mit Balthasar Haug, das Interesse für deutsche Litteratur zu wecken. Einem Kreise von Officieren hielt er Vorlesungen über Geschichte und Aesthetik. Auch veröffentlichte er damals eine Ausgabe der „kleinen poetischen und prosaischen Werke“ Klopstock’s, welche freilich von diesem verworfen wurde. Schubart’s eigene litterarische Productivität während dieser Zeit war nicht sehr erheblich. Mehr als je pflegte er die Gelegenheitspoesie des Erwerbs wegen, da sein Verkehr in der höfischen Gesellschaft, sowie mit Künstlern und Virtuosen ihn zu einem seine regelmäßigen Einkünfte überschreitenden Aufwand verleitete. Jener Umgang hatte die weitere ungünstige Folge, daß sich dem leichtsinnigen Poeten Verlockungen boten, welchen er, des rechten sittlichen Halts entbehrend, auf die Dauer nicht zu widerstehen vermochte. Vorübergehende Aufwallungen der Reue verhinderten nicht, daß er immer tiefer sank. Seine Ludwigsburger Verirrungen trugen wesentlich dazu bei, den ihm schon zuvor abgeneigten Special Zilling, seinen dortigen geistlichen Vorgesetzten, noch mehr wider ihn aufzubringen. Doch haben ihm unter den damaligen Verhältnissen wahrscheinlich Unbesonnenheit und Muthwillen nicht weniger, als seine sittlichen Vergehen, Haß und Verfolgung eingetragen. Daß er in jener Zeit durch ein satirisches Lied auf einen angesehenen Hofmann und durch eine Parodie der Litanei Aergerniß erregt habe, wird von ihm selbst bezeugt. Nur Vermuthung ist es, daß er schon damals den persönlichen Groll des Herzogs auf sich gezogen. Freilich hatte er bereits in einem Brief vom Februar 1771 (mit unverkennbarer Beziehung auf Karl Eugen) seine Besorgnisse vor den „Donnerkeilen in der Hand Jupiters“ angedeutet und im Juli 1772 der Notiz, daß er der Frau (Franziska) v. Leutrum [592] Unterricht ertheile, die Worte hinzugefügt: „Es ist aber ein gar schlüpfriger Posten, weil der Herr oft selber dazukommt“. Näheres über die Beziehungen des Dichters zu der Geliebten Karl Eugen’s wissen wir jedoch nicht. Am 21. Mai 1773 wurde S., nachdem er bereits zuvor einige Zeit im Gefängniß verbracht hatte, durch einen herzoglichen Erlaß „um des in dem Publico in so mancherlei Betracht gestifteten Aergernisses willen“ aus dem württembergischen Lande ausgewiesen. Während nunmehr seine Familie nach Geislingen zurückkehrte, wanderte er selbst als ein heimathloser Abenteurer von Stadt zu Stadt. Vor dem gänzlichen Verkommen schützten ihn jedoch auch jetzt seine mannichfachen Talente. Diese, sowie sein einnehmendes und übersprudelndes Wesen verschafften ihm überall leichten Zutritt. In Heilbronn, Mannheim, Heidelberg war er in den besten Kreisen wohlgelitten. Namentlich in Mannheim wurden litterarische Verbindungen angeknüpft, welche für ihn später von großer Wichtigkeit werden sollten. In Schwetzingen erweckte er durch seine musikalischen Leistungen die Theilnahme des kunstliebenden Kurfürsten Karl Theodor, und es eröffnete sich ihm die vorübergehende Aussicht, in der Pfalz versorgt zu werden, doch verscherzte er sie nur zu bald durch ein unbedachtes Urtheil über die Akademie in Mannheim, das „Herzblatt“ des Kurfürsten. Von Mitteln entblößt, gab S. nunmehr einer Aufforderung des bairischen Gesandten am pfälzischen Hofe Gehör, ihn nach München zu begleiten und dort sein Glück zu versuchen. Es galt damals in Baiern nach erfolgter Aufhebung des Jesuitenordens das Erziehungswesen zu reformiren, wofür die Heranziehung kenntnißreicher Männer von auswärts erwünscht schien, und S. durfte dort auf ein sicheres Fortkommen rechnen, wenn er sich entschloß, zum Katholicismus überzutreten. Obwohl in Schubart’s religiösen Ansichten und Stimmungen mancherlei Schwankungen wahrzunehmen sind und er gelegentlich selbst mit freigeistigen Ideen renommirt haben mag, so kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Grundanschauungen des Protestantismus stets in seiner Seele hafteten, und daß daher der Uebertritt zum Katholicismus von ihm selbst als ein Abfall empfunden werden mußte. Trotzdem glaubte er zeitweilig auch einen solchen Entschluß über sich gewinnen zu können. In München fand er zunächst bei Adligen und Bürgerlichen, bei Künstlern und Gelehrten die wohlwollendste Aufnahme. Geheimrath v. Lori (s. diesen) räumte ihm ein Zimmer in seinem Hause ein, um ihn bei seinen Arbeiten zu Rathe zu ziehen, während Andere ihm vermuthlich vorzugsweise wegen seines musikalischen Talents Zutritt gewährten. Mehrfach wurde er veranlaßt, vor dem Kurfürsten Maximilian Joseph zu spielen. Aber alle diese Auszeichnungen und die abwechslungsreichen Anregungen, welche ihm Kunst und Geselligkeit in München gewährten, vermochten auch in dieser Zeit seiner „Sonnenferne“ die Stimme seines Gewissens nicht zu übertönen. Ein unbezwingbarer Widerwille ließ ihn jenen für seine Anstellung erforderlichen Schritt solange verzögern, bis er in einer für ihn freilich nicht sehr ehrenvollen Weise über den Conflict hinausgehoben wurde. Auf geschehene Anfrage traf aus dem Württembergischen die allerungünstigste Auskunft über ihn in München ein, und waren zufolge dessen auch an letzterem Ort plötzlich alle Aussichten für ihn geschwunden.

Durch den Ruhm des jugendlichen Schwedenkönigs Gustavs III. gelockt, faßte er jetzt den Plan, nach Stockholm zu reisen; doch er führte ihn nicht aus, da er in Augsburg durch den Auftrag des Buchhändlers Stage, etwas für seinen Verlag zu schreiben, gefesselt ward und sich alsbald zu seiner wichtigsten Publication, der „Deutschen Chronik“ entschloß, einer Zeitschrift, welche er seit dem 31. März 1774 zweimal wöchentlich herausgab. S. versuchte in diesem Blatte seine Leser über die wichtigsten Erscheinungen des gesammten staatlichen und Culturlebens seiner Zeit zu unterrichten, insbesondere aber ihre Aufmerksamkeit auf die politische [593] und litterarische Entwicklung Deutschlands zu lenken. Unzweifelhaft hat er mit diesem Beginnen einen sehr glücklichen Wurf gethan. Der seiner besseren Natur entsprechende und sich während seiner Laufbahn stets von neuem äußernde Trieb, auf seine Mitmenschen anregend, aufklärend und begeisternd zu wirken, gelangte zu angemessenster Bethätigung. Förderlich war ihm dabei seine vielseitige Belesenheit, die auf seinen Wanderungen gewonnene Kenntniß der Zustände des südwestlichen Deutschlands, seine litterarischen Beziehungen, sein Gedächtniß, sein Witz und vor allem sein stilistisches Talent, die Fähigkeit, abwechslungsreich, bald enthusiastisch, bald ruhig belehrend, bald mit harmlosem Humor, bald mit scharf-geißelnder Satire, immer aber fesselnd und gemeinverständlich zu schreiben. Es erklärt sich hieraus, daß das von ihm ins Leben gerufene Organ auf die politische und litterarische Bildung eines stets wachsenden Leserkreises den günstigsten Einfluß übte. Dem löblichen Unternehmen fehlte es jedoch von vornherein nicht an Anfechtungen. Zunächst regte sich der Brotneid der privilegirten Zeitungsverleger Augsburgs, zufolge dessen S. genöthigt war, vom Mai 1774 an seine Chronik in Ulm drucken zu lassen. Er selbst blieb noch bis Ende dieses Jahres in Augsburg. Es gelang ihm hier zu einer Anzahl der angesehensten Bürger in freundschaftliche Beziehung zu treten und auch abgesehen von seiner Chronik das litterarische und aesthetische Interesse anzuregen, indem er Vorlesungen über die schönen Wissenschaften und Künste hielt und einzelne Schöpfungen der neueren deutschen Poesie, namentlich Klopstock’s Messias, mit der ihm eigenen declamatorischen Begabung vortrug. Ohne Rücksicht auf das Verdienstliche dieser Bestrebungen wurde jedoch bereits im October 1774 von der Augsburger Obrigkeit beschlossen, ihm den Aufenthalt in der Stadt nur bis zum Ablauf des Jahres zu gestatten. Es ist nicht unmöglich, daß schon diese Verfügung unter dem Einfluß der Mißstimmung erlassen wurde, welche S. durch die Haltung seiner Chronik und insbesondere durch seine Parteinahme gegen den von Clemens XIV. aufgehobenen Jesuitenorden hervorgerufen hatte. In Augsburg, wo die Bekanntmachung der Aufhebungsbulle vom Juli 1773 bisher nicht erfolgt war, übten die Jesuiten noch immer bedeutsamen Einfluß, und so geschah es, daß S. im November des Jahres 1774 wegen eines erneuten anstoßerregenden Artikels über den gefallenen Orden einen förmlichen obrigkeitlichen Verweis erhielt. Des weiteren reizte er den Zorn seiner Gegner, indem er wenige Wochen später seinen Spott über die Wunderkuren des von den Jesuiten begünstigten Pfarrer Gaßner ausließ. Seit dieser Zeit wurde er von den Anhängern des Ordens nicht nur zur Zielscheibe unablässiger litterarischer Angriffe gemacht, sondern auch in seiner persönlichen Sicherheit gefährdet. Fanatisirte Jesuitenschüler lauerten ihm zu nächtlicher Stunde auf und warfen Steine in die Fenster seiner Wohnung. Auf Befehl des Magistrats wurde ihm im eigenen Hause Arrest angekündigt, und obwohl er auf Verwendung der protestantischen Partei seine Freiheit alsbald wiedererhielt, so wurde er doch nunmehr angewiesen, die Stadt unverzüglich zu verlassen.

Anfang 1775 befand sich S. in Ulm. Die hier verbrachten Jahre bilden den segensreichsten Abschnitt seines Lebens. Nachdem er schon in Augsburg seinen Sohn (Ludwig) zu sich gerufen, erfreute er sich jetzt der völligen Wiederherstellung seiner Häuslichkeit und zugleich des vertrauten Verkehrs mit dem ihm in mancher Beziehung gesinnungs- und gemüthsverwandten Dichter Joh. Martin Miller. Manche Anregung gewährte ihm das zeitweilig reichbewegte Treiben der schwäbischen Kreishauptstadt, in welcher er seinerseits durch seine musikalischen Leistungen, durch seine Dichtungen fürs Theater, wie durch seine poetischen und prosaischen Beiträge zum „Intelligenzblatt“ einen bildenden und belebenden [594] Einfluß ausübte. Auch in weiteren Kreisen gelangte er zu immer größerem Ansehen. Obwohl er in seinen Briefen hin und wieder mit litterarischen Beziehungen grundlos geprahlt zu haben scheint, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß er namentlich mit der damals aufstrebenden kraftgenialischen Dichtergeneration nahe Fühlung hatte. Veranschaulicht ja auch seine „Deutsche Chronik“ durch Inhalt und Form, in ihren litterarischen Urtheilen, wie in ihren politischen Kundgebungen das Wesen der Sturm- und Drangperiode. In dem politischen Theil der „Chronik“ äußerte sich vor allem des Dichters Enthusiasmus für Freiheit und Menschenbeglückung: er verherrlichte die republikanische Schweiz und den Freiheitskampf der Amerikaner, kargte auch nicht mit Lobesworten für jene Fürsten, welche damals durch umfassende Reformbestrebungen das Loos ihrer Unterthanen zu verbessern bemüht waren, während er es andererseits nicht an sarkastischen Ausfällen auf die Laster und Launen unheilwirkender Willkürherrscher fehlen ließ. Zu den eigenartigsten publicistischen Organen des Zeitalters gehörig, übertraf die „Deutsche Chronik“ die meisten derselben durch das überall hervorleuchtende, alles durchdringende Nationalgefühl. Mit einem seiner feurigsten patriotischen Ergüsse, dem dichterisch-prosaischen Artikel „Teuts Halle“ eröffnete S. den Jahrgang 1777 und gab hier dem Wunsche Ausdruck, daß der Genius des neuen Jahres mit seinem Schild die Edlen decke, die „wandeln an der Donau Gestaden, am Elbstrom, am Main, an den Ufern des Rheins, versunken ins Gefühl der heiligen Freiheit“, „daß sie nicht treffen die Pfeile des Höflings, des Freiheithassers aus tückischen Büschen“. Drei Wochen später war er selbst einer tückischen Nachstellung zum Opfer geworden.

Die Ursachen der Gefangensetzung Schubart’s wurden von ihm in dem 1790 erschienenen Fragment seiner Selbstbiographie ungefähr in folgender Weise dargestellt: Der kaiserliche Gesandte in Ulm, Freih. v. Ried, welcher vom Dichter durch eine Virtuosencaprice beleidigt und wider denselben durch die von jesuitischer Seite erfolgten Anschuldigungen zu noch größerer Feindschaft aufgereizt worden, habe ihn der Kaiserin Maria Theresia als einen frechen Religionsspötter dargestellt, worauf von dieser der Befehl ergangen sei, S. „heimlich aufzuheben, nach Ungarn zu führen und dort in einem unterirdischen Felsengeklüfte auf ewig zu verbergen“. Als jedoch Ried dem Herzog von Württemberg von diesem Vorhaben Anzeige gemacht, habe letzterer erklärt, die Sorge für Schubart’s Verwahrung selbst übernehmen zu wollen, da auch er gar viel an ihm auszusetzen habe. – In der späteren Publication: „Schubart’s Leben und Gesinnungen, von ihm selbst im Kerker aufgesetzt“ wird noch besonderes Gewicht auf einen Artikel der „Deutschen Chronik“ (vom 6. Januar 1777) gelegt, welcher die Nachricht enthielt, daß Maria Theresia plötzlich vom Schlage gerührt worden sei. In dieser irrthümlichen Meldung habe Ried einen hinreichenden Anlaß erblickt, um S. „aufheben und nach Ungarn in ewige Gefangenschaft führen lassen zu können“. Da Ried in der angedeuteten Weise offenbar nicht aus eigener Machtvollkommenheit hätte vorgehen dürfen, so wäre nach beiden Versionen der erste Anschlag auf Schubart’s Freiheit von der österreichischen Regierung ausgegangen. Dies ist jedoch höchst unwahrscheinlich, sowohl aus inneren Gründen, wie wegen des Umstandes, daß bisher kein einziges officielles Document gefunden worden ist, das auf eine Betheiligung der österreichischen Regierung an dem Verfahren gegen S. hinwiese. Möglich ist dagegen, daß Ried, der sich in der zweiten Woche des Januars 1777 in Stuttgart aufhielt, von Karl Eugen über seine Absicht, sich Schubart’s zu bemächtigen, verständigt worden, daß er die Ausführung des herzoglichen Vorhabens durch seine Connivenz begünstigte, und dadurch weitergehende Gerüchte über den Antheil Oesterreichs an der Vergewaltigung Schubart’s hervorrief. Die Hauptursache der Gefangensetzung des Letzteren aber [595] dürfte in der persönlichen Gereiztheit des Herzogs von Württemberg zu erblicken sein. Wahrscheinlich waren demselben spöttische Auslassungen des Dichters über ihn, wie über Franziska v. Hohenheim hinterbracht worden. Auch finden sich in der „Deutschen Chronik“ neben solchen Stellen, in welchen der Regierung Karl Eugen’s mit Anerkennung gedacht wird, verschiedene Aeußerungen, welche von diesem als Beleidigungen aufgefaßt werden konnten. Ganz abgesehen hiervon mußte die Gesammthaltung der Chronik, namentlich die Schärfe, mit welcher in derselben Despotismus und Unterdrückung gegeißelt wurden, dem autokratischen Herzog mißfällig sein. Daß S. in den von ihm herausgegebenen Schriften die gekrönten Häupter „auf das freventlichste angetastet“ habe, wurde in dem herzoglichen Erlaß vom 18. Januar 1777 als Hauptmotiv bezeichnet, um dessen willen seine Festsetzung beschlossen und der Klosteroberamtmann Scholl beauftragt ward, ihn auf württembergisches Gebiet zu locken.

Am 22. Januar d. J. entledigte der Letztere sich seines Auftrages, indem er den Dichter unter der Form einer freundschaftlichen Einladung veranlaßte, ihn am folgenden Morgen nach Blaubeuren zu begleiten. Ohne vorausgegangenes Rechtsverfahren und ohne Angabe des Grundes wurde S. dort seiner Freiheit beraubt und am 24. Januar in Gegenwart des Herzogs und seiner Gemahlin (Franziska) auf dem Hohenasperg in jenes dumpfe Thurmgemach geworfen, in welchem er mehr als ein Jahr, getrennt von allem menschlichen Verkehr, außer mit dem Festungscommandanten Rieger, unter körperlichen und noch schlimmeren seelischen Qualen verbringen sollte. Erst im 13. Monate seiner Gefangenschaft wurde ihm ein erträglicherer Aufenthaltsort angewiesen und überhaupt von da an sein Loos allmählich leidlicher gestaltet. Am 13. März 1778 wurde er nach längeren Verhandlungen zum Abendmahl, am 1. Februar 1779 zu dem auf dem Asperg stattfindenden öffentlichen Gottesdienst zugelassen. Um Ostern 1779 durfte er zum erstenmal wieder Orgel spielen und wurde ihm gestattet, sich in freier Luft zu bewegen. Im folgenden Jahre erhielt er Festungsfreiheit, sowie die Erlaubniß, unter Controlle des Festungscommandanten zu correspondiren und Besuche anzunehmen. Alte Bekannte, wie solche, die den durch seine Schicksale nicht weniger, als durch seine Schriften berühmt gewordenen Gefangenen persönlich kennen lernen wollten, kamen jetzt nach dem Asperg, unter ihnen Schiller (1781), auf dessen Jugenddichtungen S. einen überaus bedeutsamen Einfluß geübt hatte und noch ferner üben sollte. Erneute Erleichterungen erfuhr die Lage des Gefangenen, als Rieger gestorben und General v. Scheler, ein Mann von humanerer Denkungsart (1782–84) an seine Stelle trat; doch erst unter dessen Nachfolger, dem S. ebenfalls wohlgesinnten General v. Hügel wurde dem Dichter (im Juli 1785) die langentbehrte Freude zu theil, auch den Besuch seiner Frau und seiner Kinder empfangen zu dürfen. Den Werth der im Unglück treu und standhaft ausharrenden Gattin hatte S. erst auf dem Asperg völlig zu schätzen gelernt, wie er denn überhaupt in der Zeit der Trennung den Seinigen inniger, als zuvor, verbunden wurde. Auch in anderen Beziehungen hatte sein Wesen damals tiefgehende Wandlungen erfahren. Während der Einsamkeit in der ersten Periode seiner Gefangenschaft in martervolles Grübeln über sein vergangenes Leben versunken und durch die religiösen Mahnungen und Strafreden Rieger’s vollends in dem Gefühl seiner Sündhaftigkeit bestärkt, war er zeitweilig der Verzweiflung nahe. Wohl förderten ihn die Schriften von pietistischen Theologen, wie Joh. Arndt und Bengel, doch vermochten sie, wie er selbst meldet, „mehr sein Herz aufzuthauen, als ihm seine quälenden Zweifel zu nehmen“. Nur allmählich gelang es ihm, zu der tröstlichen Zuversicht hindurchzudringen, daß ihm der Weg zur Entsühnung und zum Heil nicht verschlossen sei. Von besonderem Werth für die Beruhigung seines Innern waren die Schriften und der persönliche [596] Zuspruch des Pfarrers Phil. Matth. Hahn, welcher ihn mehrfach besuchen durfte. Wie mächtig er von den mystisch-theosophischen Lehren sowohl des Letzteren, wie auch Oetinger’s ergriffen war, davon legen verschiedene seiner auf dem Asperg entstandenen geistlichen Dichtungen Zeugniß ab. Zufolge solcher inneren Einkehr und Vertiefung in religiöse Fragen ward er zeitweilig mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Er pries die Kerkerhaft, durch welche er vor dem Verderben behütet und zu früher nie geahnter Stille des Herzens gelangt war. Aber freilich war diese Stimmung nicht die ausschließlich herrschende. In zahlreichen Briefen, wie in einigen seiner schönsten Lieder hat er dem Gram des gefangenen Mannes rührenden Ausdruck gegeben. Auch die Regungen des Zorns und der Erbitterung waren nicht völlig gebändigt. Die „Fürstengruft“ schuf er, als er durch trügerische Freiheitsverheißungen des Herzogs getäuscht zu sein glaubte; und in seinem Lied an die „Deutsche Freiheit“ brach noch nach „neun schrecklichen Jahren“ der Ingrimm des ungerecht Gefesselten mit titanischem Ungestüm hervor. Neben derartigen, aus tiefbewegtem Innern hervorgequollenen Dichtungen, verfaßte S. auf dem Asperg auch solche, welche nur der Bestellung ihren Ursprung verdankten. Schon während der letzten Jahre Rieger’s hatte er für dessen Soldatenbühne Singspiele und Komödien angefertigt. Später wurde er für verwandte Zwecke vom herzoglichen Theater zu Stuttgart in Anspruch genommen. Eine erfreulichere Anerkennung seines Talents bestand darin, daß es ihm gestattet wurde, in der Druckerei der herzoglichen Akademie eine Ausgabe seiner Gedichte herstellen zu lassen (1785 u. 86). Den Anstoß hierzu hatte gegeben, daß er kurz zuvor wegen der in Zürich von unberufener Seite (nach Schubart’s eigener Angabe von dem ehemaligen Karlsschüler Armbruster, nach Anderen von dem Hofgerichtsadvocaten Kausler) veröffentlichten Sammlung seiner Gedichte einem Verhör unterworfen, diese ausdrücklich mißbilligt hatte. Die von ihm selbst veranstaltete Ausgabe, welcher eine in losen Blättern, aber auch durch Zeitschriften (wie der deutsche Mercur und die Rheinische Thalia) verbreitete „Nachricht ans Publicum“ vorausging, war offenbar dazu bestimmt, ein möglichst günstiges Bild seines poetischen Könnens darzubieten, weshalb er bei der Auswahl der aufzunehmenden Dichtungen und, soweit es seine Natur zuließ, auch bei der Anwendung der Feile mit Sorgfalt zu Werke ging. Nach dem Erscheinen dieser Sammlung entstanden noch auf dem Asperg die beiden, sowohl durch die Veranlassung, bei welcher sie gedichtet, wie durch ihren poetischen Werth und die hinzugefügte Composition berühmt gewordenen Caplieder („Abschiedslied“ und „Für den Trupp“). In prosaischer Form entwarf S. in der Zeit seiner Haft die bereits erwähnte, einem Mitgefangenen dictirte Selbstbiographie und die „Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst“. Nur ein Theil des von ihm auf dem Hohenasperg Producirten ist während seiner Gefangenschaft an die Oeffentlichkeit gelangt. Doch war das Bekanntgewordene ausreichend, um die Theilnahme für sein Geschick zu erhöhen, umsomehr als aus seinen Herzensergüssen nicht nur der Dichter, sondern auch der Patriot zur deutschen Nation gesprochen. In der Vorrede zum ersten Band der akademischen Ausgabe seiner Gedichte hatte er an das Mitgefühl seiner deutschen Brüder appellirt und zugleich von seiner, auch „auf dem Ziegelboden seines ehemaligen, engeren Kerkers“ in Gebet und Thränen bekundeten Liebe für’s Vaterland Zeugniß gegeben. Im Vorwort zum 2. Bande stattete er denen, die ihm ihre Theilnahme durch Subscription bekundet hatten, in bewegter Weise seinen Dank ab und knüpfte daran das Lob der edlen Eigenschaften des deutschen Volks und die Ahnung von „Deutschlands ferneren und immer wachsenden Herrlichkeit“. Sein patriotischer Hymnus auf Friedrich den Großen, welcher dem zweiten Band seiner Gedichte eingefügt worden, sollte seine Befreiung entscheiden oder doch wenigstens zur Beschleunigung derselben beitragen. Jahre hindurch [597] waren alle Verwendungen zu Gunsten Schubart’s vergeblich gewesen, gleichviel ob sie von seinen Angehörigen, oder vom Rath der Reichsstadt Aalen, von angesehenen Vertretern der deutschen Litteratur oder von Männern aus dem Fürstenstande ausgegangen waren. Allerdings hatte Herzog Karl bereits die Befreiung Schubart’s wiederholt verheißen und im J. 1784 nicht nur diese, sondern auch die Anstellung des Dichters in Erwägung gezogen; doch war aus Gründen, bezüglich derer nur Vermuthungen gehegt werden können, die Ausführung dieses Vorhabens stets aufs neue verzögert worden. Auch die Fürsprache der gesammten Heidelberger Universität bei Gelegenheit der Jubiläumsfeier (1786), bei welcher Karl Eugen zugegen war, hatte keinen unmittelbaren Erfolg herbeigeführt. Kurz nach der Rückkehr des Herzogs aus Heidelberg begann die preußische Verwendung. Der Hymnus Schubart’s auf Friedrich den Großen, der in Berlin während der letzten Krankheit und unmittelbar nach dem Tode desselben in tausenden von Exemplaren verbreitet worden, hatte dort tiefen Eindruck gemacht und auch am Hofe Friedrich Wilhelm’s II. Interesse für den gefangenen Dichter wachgerufen. Insbesondere ließ Hertzberg es sich angelegen sein, zu seinen Gunsten zu wirken. Zufolge dessen wurde der preußische Gesandte in Stuttgart, v. Madeweiß, angewiesen, die baldige Befreiung Schubart’s im Namen seines Hofes bei Karl Eugen zu befürworten. Bereits Ende 1786 ertheilte dieser mündlich und schriftlich die gewünschte Zusage. Doch erst am 11. Mai 1787 wurde dem Dichter das Ende seiner Gefangenschaft durch den Mund der Herzogin kundgethan.

Eine Woche später durfte S. den Hohenasperg verlassen, um, von nah und fern aufs lebhafteste beglückwünscht, nach Stuttgart überzusiedeln. Hier verbrachte er die nächsten Jahre im nunmehr ungetrübten Frieden seiner Häuslichkeit, kaum minder, als vor seiner Gefangenschaft, heiterem Lebensgenuß zugethan, doch im ganzen ernster gestimmt und fortdauernd unter dem Einfluß der religiösen Wandelung, welche er auf dem Asperg durchgemacht hatte. Da er vom Herzog zum Hofdichter, wie zum Director des Schauspiels und der deutschen Oper ernannt worden und überdies Censurfreiheit für die Fortsetzung seiner Chronik erhalten hatte, so war jede Regung persönlichen Grolls gegen seinen bisherigen Peiniger vollends in ihm getilgt. Man darf deswegen S. nicht schlechthin der Heuchelei bezichtigen, wenn er als Hofdichter seinem Landesherrn in verschiedenartigen Gelegenheitsgedichten, dem damals üblichen Stil gemäß, poetischen Weihrauch streute. Hin und wieder entschlüpfte ihm in seinen Briefen freilich auch jetzt noch ein tadelndes Wort über den Herzog. Namentlich bereitete es ihm Kummer, daß sein Bestreben, das Theater emporzubringen, bei Karl Eugen keine ausreichende Unterstützung fand. Umso eifriger widmete er seine Kraft der wieder aufgenommenen journalistischen Thätigkeit, welche auch während der letzten Zeit seines Lebens den Mittelpunkt seines schriftstellerischen Wirkens bildete. Mit derselben patriotischen Wärme, mit welcher er bis zum Januar 1777 seine „Deutsche Chronik“ geschrieben, beginnt er im Juli 1787 seine „Vaterlandschronik“. Mit heiterer Miene lächelt er seinen Landsleuten den Willkomm zu, hält Ueberschau über das, was Deutschland inzwischen Großes, Edles und Gutes geleistet hat und spricht das Gelübde aus, daß Religion und „heiße Glut fürs Vaterland und Eifer für seine Ehre“ seine Feder lenken solle. Anfänglich war es hauptsächlich der deutsche Fürstenbund, das unvollendet hinterlassene Werk Friedrich’s des Großen, welchem er seine patriotischen Hoffnungen zuwandte, und von dem er die feste Begründung der deutschen Freiheit, wie überhaupt den Beginn einer neuen glänzenden Aera des Vaterlandes erwartete. Auch der hochfliegende Geist und Reformeifer Joseph’s II. erweckte seinen Enthusiasmus, ohne daß er die Fehlgriffe und Uebereilungen desselben übersehen hätte. Neben den [598] deutschen Verhältnissen fesselten, namentlich seit dem Jahre 1789, die Vorgänge in Frankreich seine Aufmerksamkeit. Mit Entzücken erfüllte ihn das Erwachen des französischen Freiheitsgeistes, und obwohl ihm die Gefahren der Zügellosigkeit keineswegs entgingen, und die Blutthaten, durch welche die Umwälzung von Anfang an befleckt wurde, seinen Abscheu erregten, so widmete er doch den Haupttendenzen der französischen Revolution und den gesetzgeberischen Arbeiten derselben unausgesetzt bewundernde Theilnahme. Begreiflicherweise machten die der französischen Entwicklung gewidmeten Artikel allmählich den wichtigsten Bestandtheil seiner Zeitschrift aus; weshalb er seit dem Anfang des Jahres 1790 in dem Titel derselben die Beziehung auf das Vaterland wegließ und sie schlechthin „Chronik“ nannte. Dabei verwahrte er sich jedoch gegen die Deutung, als ob er seine vaterländische Haut abstreifen wolle. In der That wurde er auch als Bewunderer der französischen Revolutionshelden seinen deutschen Gesinnungen nicht ungetreu. Die Franzosen, über deren Thorheiten und Modelaster er sonst den Stab gebrochen, stellte er nunmehr nicht zum wenigsten um ihrer Vaterlandsliebe willen den Deutschen als Muster hin. Er empfahl seinen Landsleuten, von den Franzosen zu lernen, ihre politischen Neuerungen zu studiren und Einzelnes nachzuahmen. Doch lag ihm nichts ferner, als eine Verpflanzung der revolutionären Bewegung nach Deutschland für wünschenswerth zu halten. Mit Besorgniß sah er andererseits der Eventualität einer deutschen Einmischung in Frankreich entgegen. Auch für die Freiheit Deutschlands schien ihm die im Sommer 1791 unter dem Einfluß der französischen Ereignisse erfolgte Annäherung zwischen Preußen und Oesterreich bedrohlich. Dies hinderte jedoch nicht, daß er mit patriotischer Phantasie sich ausmalte, wie durch das Einvernehmen der deutschen Großstaaten die Zwietracht im Deutschen Reiche gestillt und Deutschland, zu gebieterischer Machtstellung gelangend, „die Centralsonne, von der die Strahlen aller Politik ausgehen“, „ein Damm gegen das Wogengedränge der russischen Größe“ werden könne.

In stilistischer Beziehung stehen die nach der Gefangenschaft geschriebenen Jahrgänge der Chronik hinter den früheren zurück. Zu Schubart’s Verdruß kritisirte bereits das im Anfang des Jahres 1789 erschienene „Sendschreiben an Herrn Schubart, seine Vaterlandschronik betreffend“ in zum Theil kleinlich-pedantischer, zum Theil wohlbegründeter Weise die Mängel seiner damaligen Schreibweise und rügte zugleich gewisse Einseitigkeiten seines journalistischen Urtheils. Von größerem Belang aber waren die Anfechtungen, welche die Chronik wiederholt aus officiellen Kreisen wegen anstoßerregender Aeußerungen oder wegen Mittheilung unzureichend verbürgter Nachrichten erfuhr. Jemehr S. dem preußischen Hof zu Dank verpflichtet war, umso peinlicher mußte es für ihn sein, daß er am 1. März 1791 irrthümlich die Notiz in sein Blatt aufgenommen, der bekannte Günstling Friedrich Wilhelm’s II., B.(ischoffwerder), sei als Verräther befunden und plötzlich gestürzt worden und auch W.(öllner)’s Stellung sei erschüttert. Freilich dürfte die Erregung, in welche ihn dieser Mißgriff, sowie die auf denselben folgenden Verweise und Drohungen versetzten, zum Theil auf seine schon damals erschütterte Gesundheit zurückzuführen sein. Obwohl oft von melancholischen Anwandlungen heimgesucht, hielt er sich noch während des Sommers 1791 aufrecht. Im Herbst aber wurde er von einem Schleimfieber ergriffen, dem er am 10. October d. J. erliegen sollte. Die Chronik, welcher er bis zu seiner letzten Krankheit seine besten Kräfte gewidmet, ist nach seinem Tode noch eine Zeitlang von seinem Sohne Ludwig S. und von Gotth. Stäudlin, im ganzen den Gesinnungen des Urhebers gemäß, doch nicht mit dem gleichen Erfolge fortgesetzt worden.

In Schubart’s Persönlichkeit waren edle mit minder lauteren Eigenschaften [599] gemischt. Als Dichter und Schriftsteller durch geniale Ursprünglichkeit ausgezeichnet, vermochte er doch nur selten Vollendetes zu schaffen, weil ihm harmonische Geistesbildung und geläuterter Geschmack fehlten. Immerhin hat er vermöge seiner reichen Begabung, seines feurigen Temperaments, seiner trotz aller Schwankungen und Irrwege meist dem Großen und Guten zugewandten Geistesrichtung dauernde Spuren seines Wirkens hinterlassen, und dürften schon seine Verdienste um die Belebung des deutschen Nationalgefühls ausreichend sein, ihm ein dankbares Andenken zu sichern.

C. F. D. Schubart’s, des Patrioten, ges. Schriften und Schicksale. 8 Bde. (Stuttgart 1839 und 40). – D. F. Strauß, Schubart’s Leben in seinen Briefen 2 Bde. (Berlin 1849) und Nachlese dazu in Strauß’ kleinen Schriften (Leipzig 1862); beides vereinigt in Strauß’ ges. Schriften, herausgeg. von Zeller Bd. 8 und 9. – J. G. Fischer, Mittheilungen aus Schubart’s Lehrerzeit im Morgenblatt von 1859, 3–4. – Fr. Pressel, Schubart in Ulm (Ulm 1861). – August Sauer im 81. Band von J. Kürschner’s Deutscher Nationallitteratur. – Gust. Hauff, Schubart’s Gedichte, histor.-krit. Ausgabe (Leipzig 1884) und Chr. F. D. Schubart in seinem Leben und Wirken (Stuttgart 1885). – K. Geiger, Zu Schubart’s Leben und Schriften, in Bes. Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg, Nov. und Dec. 1885 und Juni 1888 (Kritik und Ergänzung des Buchs von Hauff, der im selben Blatt Juli 1888 replicirte. Vgl. auch Hauff’s Aufsatz: Die Schubart-Biographie und Schubart-Kritik im Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen Bd. 83). – Eugen Nägele, Aus Schubart’s Leben und Wirken. (Stuttgart 1888). – Ad. Wohlwill, Weltbürgerthum und Vaterlandsliebe der Schwaben (Hbg. 1875) und Beiträge zur Kenntniß Ch. F. D. Schubart’s in (Schnorr v. Carolsfeld’s) Archiv für Litteraturgeschichte Bd. 6 u. 15 und in (Herrig’s) Archiv für neuere Sprachen und Litteraturen Bd. 87.