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ADB:Süßkind von Trimberg

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Artikel „Süßkind von Trimberg“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 334–336, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:S%C3%BC%C3%9Fkind_von_Trimberg&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:40 Uhr UTC)
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Band 37 (1894), S. 334–336 (Quelle).
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Süßkind von Trimberg **), ein Spruchdichter aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, wird in der Heidelberger Handschrift C, die allein Gedichte von ihm bringt, ausdrücklich als Jude bezeichnet. Dazu stimmt der gezierte, für deutsche Juden des Mittelalters oft belegte Name, wie das Bild der Handschrift, das dem Sänger eine ausgeprägt jüdische Physiognomie und die vorschriftsmäßige Judentracht gibt. Daß ein Spruch (V 2) den Dichter die für einen Juden seltsame Aeußerung thun läßt, er wolle in alter Juden Art mit [335] langem Mantel und großem Hut demüthig wandern, hat den Zweifel erweckt, ob des Autors Judenthum von dem Sammler der Handschrift nicht eben aus dieser Stelle leichtsinnig gefolgert sei. An Parallelen dazu fehlte es nicht. Da aber auch Süßkind’s in jenem Spruche nicht genannter Name den Juden bezeugt, so scheint es mir richtiger, vielmehr die Echtheit des Tones anzuzweifeln, der eben jener Aeußerung wegen dem einzigen jüdischen Dichter der Handschrift zugetheilt wurde. Diese Lösung wird auch dadurch empfohlen, daß Ton V der letzte der Sammlung ist (denn Ton VI ist mit Ton II identisch) und daß er in seinem metrischen Charakter den übrigen fern steht. Hat man nun aber aus Ton V gefolgert, daß der Dichter ein armer Schlucker gewesen sei, dessen Kinder bittern Mangel litten, in dessen Hause Herr Dünnehabe und Herr Bigenot von Darbian regierten, dem sein hovelîcher sanc nichts einbrachte, so wird es vorsichtiger sein, diese biographischen Züge bei Seite zu lassen. Aus den sicher echten Gedichten ergibt sich für des Dichters Leben nichts Rechtes. Die alte Vermuthung Koch’s, Süßkind’s Gleichniß der Ehre als Latwerge aus fünf Pigmenten deute darauf hin, S. sei mit der Arzneikunst vertraut gewesen, wie so viele Juden der Zeit, diese erwägenswerthe Vermuthung wird abgeschwächt durch die Thatsache, daß die Latwerge als allegorisches Bild überhaupt der jüdischen Lehrweisheit geläufig war. Süßkind’s mitteldeutsche Sprache stimmt durchaus, zu seiner Heimath Trimberg (bei Schweinfurt). Das Gemälde der Handschrift zeigt ihn vor einem geistlichen Herrn stehend, dessen Wappen, schwarzes Kreuz auf silbernem Grunde, am ungezwungensten sich auf Fulda deuten ließe: aber ich zweifle, ob der Bildermaler so genaue Kenntnisse von Süßkind’s Verhältnissen besessen hat, daß man aus jenem Bilde etwa ein Schutzverhältniß zu Fulda für S. folgern dürfte. Datirungsversuche, die sich auf urkundliche Belege für den Namen Süßkind stützen oder den Dichter vor die gezwungene Einführung der Judentracht setzen, sind hinfällig, jene, weil der Judenname Süßkind überaus häufig ist, diese, weil sie von einer zweifelhaften Strophe ausgehn. Der poetische Charakter und die metrische Form, die sich grobe Betonungsfehler zu Schulden kommen läßt, aber sonst gute Tradition verräth, verweisen den Dichter unbedingt in die Neige des Jahrhunderts; dazu stimmt es auch, daß er von derselben Hand in C nachgetragen ist, die Frauenlob und Regenbogen einfügte.

Es ist bekannt und oft hervorgehoben, daß die Juden der höfischen Dichtung gegenüber nicht theilnahmlos waren. Auch der Lyrik nicht. Aber als ausübender jüdischer Vertreter mittelhochdeutscher Lyrik steht S. allein; und diese immerhin culturhistorische Curiosität hat ihm eine so reiche Beachtung verschafft, wie er sie als Dichter nicht verdiente. Er ist kein origineller Kopf, hält sich durchaus in der Tradition der mittelhochdeutschen Spruchdichtung. Wüßten wir’s nicht, wir würden den Juden aus seinen Sprüchen nicht herauswittern. Was jüdische Gelehrte wie Grätz, Gelbhaus und namentlich Lewin für seine speciell jüdische Bildung angeführt haben, entfernt sich kaum von den Anschauungen, die der ganzen Poesie der Zeit gemeinsam sind. Und dennoch glauben wir, einmal aufmerksam geworden, den Juden zu spüren. Seine einzige religiöse Strophe zeigt eine deistische Anschauung, die für den Juden besonders gut paßt. Als die typischen Vertreter der Weisheit erscheinen bei ihm nicht die Pfaffen, sondern Nekromanten und Propheten. Im angstvollen Gedanken an den Tod und die ungewisse Zukunft nachher fehlt ihm die freudige Zuversicht, die sich bei den christlichen Sängern meist einstellt: den Stachel des Todes fühlt er schmerzhaft voraus. Mehr noch bedeutet seine nivellirende sociale Tendenz, die den emancipationslustigen Juden verrathen könnte: der Reiche soll den Armen nicht verachten; wer adlig handelt allein ist adlig; der Adel taugt nichts, der nicht adlig thut: sonst wird das Adelkleid zum Haderlumpen. Namentlich aber fällt [336] eine Strophe auf, in der S. darstellt, wie die Tugend oft nur eine Folge der Nothwendigkeit ist. Da heißt’s: manch Gehrender nähme gerne Wucherzinsen, ohne sich um Gott und der Menschen Fluch zu kümmern, wenn er nur das nöthige Capital besäße. Hört man da nicht den Juden, der sich und seine Stammesgmossen vor den fahrenden Sangescollegen gegen den typischen Vorwurf des Wuchers vertheidigt? Und das alte Fabelmotiv der Wolfsklage, das den Wolf jammern läßt, er müsse rauben, weil ihm ehrlicher Erwerb der Nahrung abgeschnitten sei, das gewinnt im Munde des mittelalterlichen Juden einen eigenthümlich melancholischen Nebensinn. Aber da interpretiren wir vielleicht schon herein. Ein steifes Frauenlob, eine Variation auf die Melodie ’Gedanken sind frei‘ wandeln gewohnte Pfade. Die Wortwahl zeigt manches Besondere; stilistisch bemerkenswerth sind die zahlreichen Bilder, namentlich die kurzen Thiergleichnisse, die für S. auch außer der Wolfsklage die Lieblingseinkleidung seiner Gedanken bilden. Saubere Technik verräth sich in der Vertheilung des Stoffes auf die Strophentheile, in der sorgfältig gegliederten Anapher. Es ist gewiß nicht unwichtig festzustellen, daß diese gute Schulung auch dem Juden zugänglich war. Wäre aber S. kein Jude, so würde er uns in der Menge der kleinen Spruchdichter eindruckslos untergehn.

Süßkind’s Gedichte stehn in von der Hagen’s Minnesingern II, 258 bis 60; vgl. IV, 536–38. Unzuverlässige Uebersetzungen geben Liv. Fürst, Illustrirte Monatshefte für die Interessen des Judenthums, 1865, S. 14 (mit einer poetischen Biographie, die an grotesk geschmackloser Verhimmelung das Unglaubliche leistet) und B. Schmolcke im Magazin f. d. Litt. d. Auslandes, 1877, S. 661 f. Die Ergebnisse localer Nachforschungen, die R. M. Meyer Zeitschr. f. d. Alterthum 38, 201–4 mittheilt, schienen mir zu zweifelhaft, um sie im Texte zu verwerthen. – Ueberschätzende Darstellungen von jüdischer Seite bei Grätz, Geschichte der Juden 6, 277 ff. und Gelbhaus, Stoffe altdeutscher Poesie, S. 73 ff., vgl. ferner Creizenach, Germania 14, 127 f. und Lewin, Jüdisches Litteraturblatt 13 (1884), S. 9 fg., 13 fg., 29 fg.

[334] **) Zu S. 186 oben.