ADB:Rosenmüller, Johann
Tobias Michael an der Thomaskirche zur Aushülfe beigegeben sei. Da die angegebenen Jahre aber die ganze Dienstzeit Michael’s umschließen, so kann man dies unmöglich wörtlich verstehen, sondern nur in dem Sinne, daß R. anfänglich Michael’s Schüler war, und als er ausstudirt hatte, was gewöhnlich nach der Mutation in Schulpforta geschah, als Sänger oder Musikus wieder in Leipzig eintrat und daß, seitdem Michael durch lange und schmerzliche Leiden an der Ausübung seines Amtes gehindert war (siehe den Leichensermon, abgedruckt [218] in den Monatsheften f. Musikgesch. 3, 30), R. als der Begabteste unter den Capellmitgliedern als Stellvertreter des Cantors gewählt wurde. Walther und Gerber berichten in ihren Lexicis, daß R. 1647 Collaborator an der Thomasschule in Leipzig war und 1648 mit einem eigen gebildeten Chore auftrat, mit dem er wahrscheinlich öffentliche Aufführungen veranstaltete und dadurch die Aufmerksamkeit der Stadtbehörden auf sich zog, so daß man ihm darauf die Stellvertretung des Cantorats übergab. 1645 hatte er bereits eine Sammlung „Paduanen, Allemanden, Couranten, Balletten und Sarabanden mit 3 Stimmen und ihrem Basso pro Organo“ in Leipzig veröffentlicht. Das einzige bis jetzt bekannte, leider unvollständige Exemplar befindet sich in der Bibliothek der Katharinenkirche in Brandenburg a. H. 1648 folgten die „Kern-Sprüche“ aus der heil. Schrift mit 3, 4, 5, 6 und 7 Stimmen „sammt ihrem Basso continuo auf unterschiedliche Arten mit und ohne Violen gesetzt“. Sie sind zwölf Leipziger Rathsherren und Bürgern gewidmet, darunter auch dem „Director Chori Musici Tobias Michael“. 1652 ließ er diesen einen 2. Theil folgen. (Vollständige Exemplare beider Sammlungen haben sich mehrfach erhalten, z. B. in der Breslauer Stadtbibliothek, auf der königl. Bibliothek in Berlin, in Brandenburg, Elbing, Königsberg, Wien u. a. O.). R. stand seinem Ziele, das Cantorat an St. Thomas nach dem Absterben Michael’s zu erhalten, sehr nahe, da wurde er 1655 gefänglich eingezogen unter der schweren Anklage, seine Schüler verführt zu haben. Er entzog sich durch die Flucht nach Hamburg der Strafe, mag sich aber auch dort nicht sicher gehalten haben und ging nach Italien, wo er sich besonders in Venedig aufgehalten hat. v. Winterfeld in seinem evangelischen Kirchengesange (2, 241) versucht die Anklage gegen R. auf feindlich gesinnte Neider zurückzuführen und hält R. eines solchen Verbrechens nicht für fähig, muß aber doch eingestehen, daß seine an den Kurfürsten von Sachsen, Johann Georg, eingereichte Bittschrift (sie enthält die Bearbeitung des Kirchenliedes „Straf mich nicht in deinem Zorn“, dessen von ihm auch erfundene Melodie noch heute als Choralmelodie fortlebt), mehr zu seinen Ungunsten spricht, denn hätte er sich nicht schuldig gewußt, so brauchte er nicht um Gnade, sondern nur um Gerechtigkeit zu bitten. Besonders auffallend ist aber das Vorwort zu seinen oben erwähnten Kernsprüchen. Hier schreibt er: „derjenige müsse ein lebendiger Teufel sein, welcher, wenn er ein Miserere oder einen göttlichen Strafspruch in einer durchdringenden Harmonie anhöre, nicht wollte nur in etwas zur Erkenntniß seiner Sünden beweget werden; diejenige Seele müßte ihr eigener Richter und Henker sein, welche aus einem wohlklingenden Trostspruche ihr selbst unauflösliche Ketten, höllisch Feuer und die ewige Pein zusprechen und herausklauben wollte; derjenige Geist müßte nicht wohl bei Sinnen sein, welcher, wenn er von der unvergänglichen Freude des ewigen Lebens eine artige Zusammenstimmung höre, ihm doch wollte dieser Welt Wollust so sehr gefallen lassen, daß er auch nicht einmal eine Begierde nach dem Ewigen tragen sollte“. Winterfeld glaubt, daß seine Worte zu sehr das Gepräge von Innen heraus gesprochen zu sein tragen, oder man müßte annehmen, daß er sich der schwersten Heuchelei schuldig mache. Ebensogut läßt sich aber annehmen, daß er gegen sein eigenes schwaches Fleisch predigt und von dem besten Willen beseelt ist, ein anderes Leben zu beginnen. Daß er sich während seiner freiwilligen Verbannung hauptsächlich in Venedig aufgehalten, erfahren wir durch den Componisten Joh. Phil. Krieger, der dort sein Schüler wurde. Aus dieser ganzen Zeit ist uns keins seiner Werke erhalten und es läßt sich fast annehmen, daß die Sorge um das tägliche Brot jedes künstlerische Schaffen unterdrückte. R. kehrte später wieder in sein Vaterland zurück und zwar berief ihn der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel als Capellmeister. Wahrscheinlich erhielt er die [219] Berufung in Venedig, denn die großen Herren standen in stetem Verkehr mit Italien und waren selbst Besucher desselben. Die Zeit ist unbestimmbar. Chrysander im Jahrbuch für musikalische Wissenschaft I. (Leipzig 1863, S. 184) gibt eine Geschichte der Braunschweiger Capelle, kann aber nur nachweisen, daß die Berufung unter den Herzögen Rudolf August und Anton Ulrich stattfand und zwar bald nach 1667, als die Capelle aufgelöst wurde und man zu einer Neubildung schritt. Die Documente darüber fehlen. Ebenso läßt sich der Tod Rosenmüller’s nur aus anderen Umständen schließen. Chrysander berichtet: Als die Capelle in Zeitz beim Absterben des Herzogs Moritz 1681 entlassen wurde, war ein talentvolles Mitglied derselben, Chr. Heinrich Aschenbrenner „durch Recommendation des Herrn Rosenmüller’s, vor welchem er sich privatim hören lassen, in Hochfürstl. Wolfenbüttelsche Dienste getreten; als er aber nach Zeitz gereiset, seine Familie von da abzuholen, wurde ihm nach 8 Tagen avisiret: daß Hr. Rosenmüller gestorben und hochbesagtem Hern. Herzoge der Appetit, eine gute Kapelle anzurichten, wieder vergangen sei“. Demnach muß sein Tod zu Ende des Jahres 1681 oder Anfang 1682 erfolgt sein. R. veröffentlichte, soweit unsere bibliographischen Kenntnisse reichen, erst am Ende seiner Laufbahn wieder ein Werk: Sonaten für 2–5 Instrumente, welches aber erst nach seinem Tode erschienen sein muß, denn es trägt die Jahreszahl 1682 und kam in Nürnberg bei Endter heraus (Exemplar in der königl. Bibliothek zu Berlin). Zahlreich sind aber die handschriftlich hinterlassenen Motetten, Cantaten u. a., von denen sowol in Berlin als in Königsberg i. Pr. viele aufbewahrt sind. Winterfeld widmet ihnen in etwas breiter und umständlicher Weise eine Besprechung, theilt auch zwei Beispiele mit; es ist dies bisher das einzige Werk aus neuerer Zeit, in dem R. als Componist gewürdigt wird. Aus Winterfeld’s Beurtheilung ergibt sich, daß Rosenmüller’s Schreibweise sich der von Schütz oft nähert, wenn auch seine Erfindungsgabe nicht an Schütz heranreicht. Seine Cantaten bilden aber stets ein einheitliches Ganze und wechseln zwischen Solo-, Chor- und Recitativgesang, öfter sind auch Instrumentalsätze eingestreut. Der Schlußsatz ist stets fugirt behandelt, seine Harmonie ist kräftig und seine Declamation sinngemäß. Seine Zeitgenossen hielten seine Werke sehr hoch und noch Printz und Mattheson preisen ihn als Componisten.
Rosenmüller: Johann R., ein beliebter Componist des 17. Jahrhunderts, der im Anfange des 17. Jahrh. in Kursachsen geboren ist und wahrscheinlich Sängerknabe an der Thomasschule in Leipzig war. Sicheres ist über seine Jugendzeit nicht bekannt; wir sind nur auf Muthmaßungen angewiesen. Dörffel, in seinem Führer durch die musikalische Welt (I.), sagt S. 3, daß er von 1631–1657 dem Cantor