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ADB:Roschmann, Anton

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Artikel „Roschmann, Anton“ von Franz von Krones in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 167–173, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roschmann,_Anton&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:34 Uhr UTC)
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Roschmann: Anton R., geboren zu Hall im Unter-Innthal Tirols am 7. December 1694, † zu Innsbruck am 25. Juni 1760, tirolischer Schriftsteller, insbesondere Geschichtsforscher, Topograph und Archäologe.

Die Familie R. stammt aus Lermoos im Ober-Innthaler Landgerichte Ehrenberg und erwarb in der Person Martin’s (I.), k. Postmeisters zu Füssen und Lermoos 1553 das Recht, ein Siegelwappen zu führen. Sein gleichnamiger Sohn, „Regimentssecretär“ (Statthaltereisecretär) der oberösterr. Lande, war mit Anna v. Hörburg, dem letzten Sprossen dieser Adelsfamilie, vermählt und erwarb 1592 von Erzh. Ferdinand, dem Regenten Tirols, ein diesbezügliches Wappen; dem Enkel Friedrich wurde am 20. Februar 1644 die Erhebung in den Adelstand zu Theil und eine angesehene Amtsstellung (1663) als Salzmeieramtsdirector der Saline zu Hall. Mit ihm (1665) und seinem Bruder Christoph (Jesuiten, † 1686) erlosch diese Linie, – während ein zweiter Sohn jenes Martin’s (I.) Joseph, als Postmeister zu Füssen und Besitzer des väterlichen Erbes in Lermoos, den länger erhaltenen Zweig der Familie R. begründete. Einer seiner Nachkommen, Martin, in der bescheidenen Lebensstellung eines Salinenarbeiters, dann „Salzstossers“ zu Hall, war der Vater Anton’s R., in der Ehe mit Christine, Tochter des erzh. Chormeisters Paul Bockstaller.

Anton R., aus beschränkten Verhältnissen des Elternhauses hervorgegangen, voll Lernbegierde und Lust am Lesen, schon als Gymnasiast ein Bücherkenner, dem als solchen und als Hörer der Philosophie zu Innsbruck die Ordnung mancher Privatbibliothek übertragen wurde, wandte sich anfänglich der Theologie, dann den Rechtsstudien zu, und excerpirte nebenher eine Unsumme gelehrter Werke, ordnete die Klosterbibliothek zu Stams und übernahm bald die Katalogisirung und Inventarisirung der Ambraser Sammlung und der Innsbrucker Hofbibliothek. 1722 versah er provisorisch, seit 1727 definitiv, das bescheidene Amt des Universitätsnotars. – Die Aufgabe, zu den 27 Bildnissen tirolischer Landesfürsten auf dem Schlosse Ambras inschriftliche Lebensskizzen abzufassen, ermöglichte ihm die mit rastlosem Eifer betriebene Benutzung des großen handschriftlichen Werkes über Tirol von Matthias Burglechner („Der tirolische Adler“). Später hat er auch die Manuscripte aus der Feder des Landeshauptmannes Frhrn. Marx Sittich v. Wolkenstein und Franz Guillimann’s in Auszüge gebracht. Seine ersten dreizehn im Geschmack der damaligen Zeit abgefaßten Gelegenheitsschriften, 1720–1734, welche man damals „applausus academici“ nannte, sind für uns werthlos, aber doch ein Beweis seiner frühen litterarischen Fruchtbarkeit. Wichtiger erscheint die Thatsache, daß er damals bereits nach dem Vorbilde des Werkes von Massei, Verona illustrata, an die Sammlung massenhaften Stoffes zu einer Tirolis illustrata ging und einen ausgedehnten Briefwechsel diesbezüglich im Lande unterhielt. Auch als Numismatiker versuchte er sich bei der Ordnung der Münzensammlung des Grafen Welsperg, wofür ihm die kostenfreie Reise ins Pusterthal gestattet wurde. Auf dieser Reise (1734) und auf der durchs westliche Tirol (1735/36) ging der Vollendung [168] seines dreitheiligen handschr. Werkes über Tirol (in lateinischer Sprache) voran, dessen Mängel er selbst nicht verkannte. Früher schon mit den Bollandisten in Correspondenz, wurde er 1737 von diesen aufgefordert, ein Supplement über die Acten der Heiligen Tirols abzufassen, welcher Entschluß jedoch durch die kühle Haltung des Bischofs von Brixen nicht zur erwünschten Verwirklichung gedieh. Dennoch erwuchsen aus diesen Studien die „Acta S. Nothburgae“, welche aber erst 1753 im Druck herauskamen. 1738 gelang es ihm, eine kleine gelehrte Gesellschaft, die Innsbrucker Societas silentiariorum, die Gesellschaft der Schweigenden, zu Stande zu bringen, in welcher er eines der thätigsten Mitglieder wurde. Er wünschte, solide Litteraturkenntnisse und namentlich auch die schönen Wissenschaften nach dem Muster der Italiener und Franzosen gepflegt zu sehen. Er entwarf eine diesbezügliche Anleitung und hielt 1740 einigen jungen adeligen Herrn Privatvorlesungen. Besonders suchte er auf die Lesung guter Bücher einzuwirken und verfaßte Entwürfe zu einer Hausbibliothek über kritische Kirchengeschichte, Staatsrecht und Politik und zu einer umfassenderen theologischen Bibliothek. Am 20. Juni 1740 ernannte ihn der tirolische Landschaftscongreß zu einem landschaftlich tirolischen Historicus, ohne daß ihm dies von irgend einer Seite einen Gehalt zubrachte. 1740 kam es zu einer neuen gelehrten Gesellschaft in Innsbruck, ohne besonderen Namen, die am 14. Januar 1741 zum ersten Male zusammentrat und gegen 20 Jahre, bis zum Tode Roschmann’s, ihr Dasein fristete. Die erste Abhandlung, welche R. darin zur Vorlesung brachte, beschäftigte sich mit dem Valsugan. 1742 las er seine in weitere Kreise dringende Abhandlung über Veldidena, welche er seine „litterarische Erstgeburt“ nannte; er führte darin den Nachweis, daß Veldidena zwischen Wilten und Innsbruck gelegen war. Sie erschien 1744 im Druck und wahrt dem Verfasser das bleibende Verdienst, der erste Forscher in der antiken Geo- und Topographie des Lande geworden zu sein. Sie fand auch eine ehrenvolle Aufnahme in litterarischen Kreisen. Sein heftigster Gegner wurde der Slovene Joh. Sigmund Val. Popowitsch (Prof. der deutschen Sprache zu Wien, † 1774). Auch über die bei Wilten aufgefundenen antiken Kleiderspangen (Fibeln) schrieb R. eine Abhandlung. Noch fallen in das Jahr 1742 zwei handschr. Abhandlungen über den Ursprung der Grafen von Tirol und des Klosters Stams. 1743 beschäftigte er sich auf Anregung des Grafen Karl von Firmian mit den Chronographen des 6. u. 7. Jahrhunderts, dem Abte Secundus von Trient (Gewährsmann des Paulus Diaconus). Um diese Zeit verlas er auch einen Entwurf einer Geschichte der Litteratur und des wissenschaftlichen Zustandes von Tirol in den verschiedenen Zeitaltern, mit welcher Arbeit sich eine Sammlung von Notizen über Tiroler Schriftsteller verband. Unter mehreren anderen Arbeiten verschiedener Richtung sei auch seiner „Untersuchungen zur Vita S. Corbiniani“ und der zwei historischen Karten von Tirol in der Römerzeit und im Mittelalter gedacht. 1745 erlebte R. die Verwirklichung seines Lieblingswunsches, der von Maria Theresia am 22. Mai d. J. verordneten Herstellung einer öffentlichen Bibliothek im Universitätsgebäude, welche am 2. Juli 1746 eröffnet wurde und R. zum Vorstande, mit 150 fl. Jahresgehalt(!), erhielt. Mit den geringen Dotationsmitteln leistete R. das Menschenmöglichste, legte auch eine Münz- und Kupferstichsammlung an, eine Sammlung tirolischer Originalzeichnungen und Stiche und Mineralien, alles aus Geschenken, die er rastlos zusammentrieb. Für seinen unsäglichen Sammlerfleiß spricht auch eine Sammlung der in Tirol aufgefundenen römischen Inschriften und Alterthümer in Abschrift und Nachbildung. Auch beschäftigte ihn der Plan, eine vollständige Geschichte seines Landes zu schreiben. An Vorarbeiten dazu ließ er es nicht fehlen. 1745 las er auch über den h. Valentinian, den Apostel Rhätiens, und über Juvavia akademische Abhandlungen. 1746 [169] veranlaßte ihn eine Reise ins Pusterthal, über das antike Lienz, das er für das Lontium des antoninischen Itinerars hielt, zu forschen und zu schreiben. In seiner lateinischen Rede von 1745 über den bedauerlichen Mangel einer Geschichte der tirolischen und nächstliegenden Bisthümer suchte er mit Hinweis auf die Leistungen eines Hansiz, Pez, Meichelbeck, de Rubeis und Anderer Vorschläge zu machen, wie dem abzuhelfen wäre. Die Bischöfe sollten durch gelehrte Gesellschaften an ihren Sitzen diese Forschungen in Gang setzen. Daß er gelegentlich eines „Schauspieles“ zu Innsbruck 1747 gegen dessen historische Sünden und überhaupt gegen alle die Wahrheit und Religion entstellenden Alsanzereien eiferte, sei nebenher bemerkt.

1747 kam es zu einer Roschmann’s heißesten Wünschen begegnenden Regierungsmaßregel. Derselbe wurde nämlich zufolge Vorschlages Ministers Grafen Rudolf v. Chotek zum Adjunct des k. k. Geh. Staatsarchivars Anton Dionys v. Sperges mit der Anwartschaft auf diesen Posten (15. August 1747) ernannt und von dem Universitätsnotariate enthoben, welche Stelle seinem ältesten Sohne Joseph Anton verliehen wurde. Trotz des nicht sonderlich hohen Gehaltes von 400 fl. war ihm dieser Berufswechsel äußerst willkommen, da er ihm die Thür zu den Schätzen des Innsbrucker Statthaltereiarchivs erschloß und ihn über mancherlei heimische Anfeindungen und Zurücksetzungen tröstete. Durch die Studien über den h. Cassian, den angeblichen Bischof zu Säben-Brixen gerieth R. in eine litterarische Fehde mit dem Gelehrten Trienter Tartarotti; sie knüpfte sich an seine bezügliche Denkschrift vom Jahre 1748 zu Gunsten der Brixner Tradition und währte ziemlich lange, da auch Bonelli auf die Seite Tartarotti’s trat. Selbst mit der Geschichte Innsbrucks und Botzens beschäftigte sich R., was ihm auch Gelegenheit bot, das geringe Interesse an der Landesgeschichte zu rügen. Von seinem rastlosen Fleiße gibt die Sammlung von massenhaften Auszügen aus alten und neuen Werken zur Geographie, insbesondere aber zur Geschichte Tirols Zeugniß. 1751 (Frühjahr) kam der Wirkl. Rath und k. k. Hof- und Hausarchivar Anton Theodor Taulow v. Rosenthal nach Innsbruck mit dem Auftrage, das Innsbrucker Archiv behufs Recherchen für das Wiener durchzuforschen, wobei ihm R. an die Hand ging. Rosenthal lernte da seinen Werth schätzen und blieb sein Gönner, der ihn für das Wiener Archiv in Vorschlag brachte. R., das rechte Tiroler Kind, verwachsen mit seinem Heimathsboden, den er zeitlebens nicht verlassen, lehnte dankend die Auszeichnung ab und empfahl statt seiner den hoffnungsvollen Sohn des Innsbrucker Archivars, den Praktikanten Joseph v. Sperges. 1751, 7. August, erlangte R. die k. Erfüllung seiner Bitte, nämlich die mit seinen Verdiensten ausführlich begründete Gehaltserhöhung. 1752 bedachte ihn die Gesellschaft deutscher Benedictiner mit dem Diplom eines Ehrenmitgliedes, 1753 die Gesellschaft der Agiati in Roveredo mit der Mitgliedschaft und dem Mitgliedsnamen Cronimo. 1755 vollendete er seine Handschrift eines tirolischen Künstlerlexikons, 1756 seine Zusammenstellung aller bekannten Inschriften und Alterthümer des römischen Tirols, eine sehr beachtenswerthe Leistung. Schon 1755 wurde ihm durch ein Hofdecret aufgetragen, die alte und neuere Geschichte seines Landes systematisch zu bearbeiten. 1756/57 erschien in Handschrift der erste und zweite Zeitraum, die „celtische“ und „etruskische“ Periode seiner „Tirolis illustrata“, obschon er eigentlich in seiner besonderen Abhandlung bemüht war zu zeigen, daß es nie eine etruskische Periode gegeben habe und Livius und andere Historiker diesfalls geirrt hätten. Er brachte es dann noch zur Bearbeitung der römischen Periode. Zur „gothischen“ und „fränkisch-bojoarischen“ gelangte er nimmer. Wir begreifen daher auch, daß von Wien eine Entschließung (aber gerade an seinem Sterbetage) eintraf, der zufolge er sich mehr mit der Geschichte Tirols vom [170] 12. Jahrhundert ab beschäftigen sollte. 1756 trat R. an die Stelle des verstorbenen Archivdirectors Sperges. 1759 wurde R. auswärtiges Mitglied der k. bairischen Akademie. Zweimal verehelicht, wurde er von drei Söhnen überlebt, deren zweiter in seine Fußstapfen trat.

R. gehört vor Allem durch den unsäglichen Fleiß und die Vielseitigkeit seiner Arbeit auf Gebieten der Landeskunde, die vielfach erst von ihm betreten wurden, durch sein redliches Wollen, als Autodidakt vorzugsweise, zu den Pfadfindern tiroler Geschichtschreibung, wie sehr auch seine gedruckten und massenhaften handschriftlichen Leistungen von der Zeit überholt sind. Sie und sein Leben bilden zugleich einen Beitrag zur Litterärgeschichte Tirols. Von den 187 bekannt gewordenen Arbeiten wurden 12 gedruckt, darunter die wichtigste: „Veldidena urbs antiquissima Augusti colonia et totius Rhaetiae princeps in tractu praecipue Wilthinensi et Oenipontano eruta et vindicata …“, 1744, 4° zu Linz bei Daniel Bartholomei. Die andern 175 Schriften finden sich bis auf zwei verschollene in der Biblioth. Tirolensis ges. von Dipauli zu Innsbruck vor. Sie sind sämmtlich verzeichnet in der ausführlichen Biographie Roschmann’s, herausg. in Beiträge zur Geschichte, Statistik, Naturkunde und Kunst von Tirol und Vorarlberg. hrsg. von den Mitgliedern des Ferdinandeum: v. Mersi, v. Pfaundler und Röggel, II, Innsbruck 1826, S. 1–184. Vgl. auch A. Jäger’s Schreiben an J. Chmel über historische Arbeiten in Tirol und insbesondere über Roschmann’s Handschrift: „Inscriptiones et alia diversi generis Romana per omnem Tirolim Monumenta, maximam partem existentia ac potissimum inedita“, 1756. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch., Wien, III, Bd. 115–120.

Cassian Anton R. v. Hörburg, Sohn des Vorgenannten aus dessen zweiter Ehe (s. Herbst 1734), mit Maria Johanna v. Feyrtag, Tochter des Meraner Arztes Franz Feyrtag (de festis), geb. zu Innsbruck 1739, † am 6. April 1806 zu Wien. Derselbe wurde noch als Gymnasiast von dem 1751 zu Innsbruck verweilenden k. k. Rath und Geh. Hof- und Hausarchivar Anton Th. Taulow v. Rosenthal mehrere Monate zu Abschriften von Urkunden des Innsbrucker Statthaltereiarchivs verwendet, und auf dessen Rath vom Vater in der eigenen Berufsrichtung weiter geschult. Ihm vermachte auch der Vater seinen handschriftlichen Nachlaß. Er wurde nochmals durch Joseph v. Sperges, denselben, welchen Anton R. dem Th. v. Rosenthal für das k. k. Geh. Hof- und Staatsarchiv empfohlen und der es bald zum Hofrathe und Referenten bei der Geh. Hof- und Staatskanzlei brachte, in das genannte Wiener Archiv berufen und starb hier als Archivar, kinderlos. Er und seine beiden Brüder, der aus erster väterlicher Ehe, Joseph Anton und der jüngste, Anton Leopold, aus zweiter Ehe, wurden mit dem Prädicat „von Hörburg“ geadelt.

Aus seinen „Opuscula“ (1778) wurde ein Lehrbuch: „Geschichte der gefürsteten Grafschaft Tirol, zum Gebrauche der studirenden Jugend“ (1778) zusammengeschweißt. Wichtiger ist sein „den vier Ständen einer löblichen tirolischen Landschaft aus patriotischer Verehrung gewidmetes“ Werk: „Geschichte von Tirol“. Der I. Band (Wien o. J.) 1792 erschienen, mit einer Landkarte von Rhätien, umfaßt in drei Abtheilungen die älteste Geschichtsperiode von der Urzeit bis auf die karolingische Epoche, mit Einschluß einer kurzen geistlichen Geschichte aller Landestheile seit Einführung des Christenthums bis auf Karl d. Gr. Der II. und „letzte“ Band (Wien o. J.), 1802 herausgekommen, gliedert sich in zwei Abtheilungen, deren erste den karolingischen Zeitraum, die zweite den des deutschen Wahlreiches bis zum Tode K. Lothar’s II. (1138) behandelt. Aus der Bemerkung des Verfassers S. 238 geht hervor, daß er einen dritten Theil, den der staufischen Zeit vorbereitete, doch kam er nicht zur Ausführung des Vorhabens. [171] Beiden Bänden fehlt es nicht an Quellennachweisen oder Belegen, aber das Werk, ein Bruchstück, ist von der Zeit und Forschung längst abgethan.

Archiv f. G. St. u. K. hrsg. v. J. Hormayr, 1816, S. 421. – Oesterr. Nationalencyklopädie, IV, 412. – Wurzbach, oe. Biogr. Lex. 26. Bd. (1874).

Anton Leopold R., Enkel Anton’s, Neffe des Vorgenannten, Sohn des gleichnamigen Vaters (der als k. k. Gubernialrath und Kreishauptmann 1796–97 bei der ersten Invasion der Franzosen thätig war und als Kreishauptmann zu St. Pölten in Nieder-Oesterreich 1819 jubilirt, am 19. Mai 1820 starb); geboren zu Innsbruck am 26. December 1771, † zu Wien am 11. Mai 1830 als Hofrath im Ruhestande. Der Eintritt Roschmann’s in den österreichischen Staatsdienst fällt in das Jahr 1800. Er spielte als kais. Unterintendant und Gehülfe seines Landsmannes Freih. v. Hormayr im ereignißreichen Jahre 1809 eine wichtige Rolle und zwar zunächst im Unter-Innthale vor und auch nach den Kämpfen um Innsbruck, denen die kurze Landesverwaltung A. Hofer’s folgte. Im September 1809 wurde er zum Landescommissär erkoren. Er begab sich dann ins kaiserliche Hauptquartier in Komorn, dann nach Keßthely und Warasdin, verließ diesen Ort den 3. October als neu ernannter k. k. General-Landescommissär und erreichte, indem er das ihm anvertraute Geld durch sichere Leute nach Tirol vorausschickte und als Bauer verkleidet fünfmal den Weg durch die italienisch-französischen Truppenaufstellungen fand, das Pusterthal, ohne daß ihn die im Auftrage des Kaisers und Erzherzogs Johann vom Feldzeugmeister v. Kerpen nachgeschickten Tiroler Mock und Plancher einzuholen vermochten. Er traf nun Anstalten zur Vertheidigung des Landes gegen Baiern und Franzosen, und zwar absichtlich mit dem Vorgeben, daß er im Auftrage des Landescommandanten Andreas Hofer handle. Sein Auftreten belebte wieder die gesunkenen Hoffnungen. Von Lienz begab er sich nach Sterzing, um hier mit Hofer zusammenzutreffen. Dieser sandte, weil kränkelnd, seine Bevollmächtigten, denen R. seine amtliche Sendung, den Bestand der Wiener Friedensunterhandlungen zugleich aber eröffnete, daß noch so gut wie Nichts entschieden sei. Von Sterzing begab sich R. nach Botzen, um dann die Streitigkeiten im Landsturmcorps Eisenstecken’s zu schlichten. Er that auch sein Möglichstes zur Sicherung des Pusterthales und des südlichen Kriegsschauplatzes, andererseits zur Bildung der Schützencompagnien im Gebiete von Meran und des Passeierthales und eilte dann in das Hauptquartier Hofer’s. Nach dem Abschlusse des Wiener Friedens (14. Oct.), der den Tirolern volle Amnestie seitens Frankreichs gewährleistete und von welchem R. gerüchtweise Kunde erhielt, sollte Hofer auf seinen Rath einen Parlamentär an den neuen französischen Commandanten Drouet absenden, um Zeit zu gewinnen und den Feind einzuschüchtern, indem man die Absicht, sich für den eigenen Landesherrn bis aufs äußerste zu schlagen kundgebe. Endlich, am 29. October traf der kaiserliche Courier, J. Freih. v. Liechtenthurn mit dem Handschreiben Erzherzogs Johann und dem Aufrufe des Vicekönigs von Italien, mit der Botschaft des Friedens und der Aufforderung, die Waffen niederzulegen im Quartiere Hofer’s auf dem Schönberge ein. Da Liechtenthurn von einem Anfalle der Epilepsie zu leiden hatte, übernahm es R., die Tiroler zur Anerkennung des Unvermeidlichen zu bestimmen, was ihm auch gelang. Er übergab dann 3000 Dukaten und 20 000 fl. an Hofer zur Vertheilung an verdiente Landsleute und fand dann nicht ohne Gefahren durch Westtirol, die Schweiz, Württemberg, Baiern und Böhmen den Weg nach Wien, wo er Mitte December 1809 eintraf.

Eine weit bedenklichere Rolle und zwar die eines Verräthers spielte schließlich R. im Frühjahre 1813, als er in Verbindung mit Hormayr und dem Vorarlberger Dr. Schneider, und im Einverständnisse mit den Vordermännern [172] des Befreiungskrieges vom Jahre 1809 (Speckbacher, Sieberer, Haspinger, Aschbacher, Wild u. a.) eine Erhebung Tirols und Vorarlbergs gegen die Fremdherrschaft plante. Erzherzog Johann sollte dieser Patriotenliga durch seine Gönnerschaft die moralische Förderung und durch seinen Einfluß Wirksamkeit verleihen. Es unterliegt nun keinem Zweife1, daß R. diesen Geheimbund dem K. Franz entdeckte, welcher über diese Compromittirung der österreichischen Zuwartungspolitik vor Frankreich und Baiern höchst ungehalten und gegen Erzherzog Johann mißtrauisch wurde. Die Thatsache, daß, während seine Genossen mit längerer Festungshaft büßten, R. nur mit kurzem Arrest, mehr nur zum Scheine, abgefunden wurde und bald wieder in bedeutender Amtsstellung nach Tirol kam, spricht am lautesten dafür, daß er mit seiner Denunciation Carriere machen wollte und jenes Unternehmen absichtlich vielleicht in ein Licht stellte, das die Haltung des Erzherzoges Johann in einen falschen Schein brachte. Letzterer konnte allerdings dem Verdachte selbstsüchtiger Absichten mit Erfolg entgegentreten und wurde angesichts der allgemeinen Stimmung und des bereits längst entschiedenen Befreiungskrieges auf deutschem Boden im Juli 1813 von seinem kaiserlichen Bruder beauftragt, in Verbindung mit R. als dem Vertrauensmanne des Hofes die Rückeroberung Tirols vorzubereiten; doch vermied man beharrlich, die Persönlichkeit des Erzherzogs in Tirol zu verwerthen. R. wurde von dem Erzherzoge an das kaiserliche Hoflager nach Brandeis in Böhmen entsendet mit einer ausführlichen Darlegung der nothwendigen militärischen und politischen Maßregeln. Der Kaiser billigte im Allgemeinen den Plan und R. begab sich zu dem österreichischen Corps unter Feldmarschalllieutenant Fenner, das in Oberkärnten, bei Sachsenburg, stand und führte zwei in Klagenfurt organisirte Schützencompagnieen heimathflüchtiger Tiroler mit sich gegen Lienz. Die gegen alle Erwartung günstigen Erfolge des Vorstoßes gegen das Pusterthal ermöglichten den am 4. October 1813 von R. zu Bruneck veröffentlichten Aufruf an die Tiroler, worin er sich als Oberlandes- und Armeecommissär unterzeichnete. Ende October 1813 war ganz Welschtirol vom Feinde frei. Um so bitterer empfanden es die Deutschtiroler, daß sie zufolge des Rieder Vertrages vom 8. October 1813 bairisch bleiben sollten, wie dies auch die Weisungen Roschmann’s zu Gunsten der Unverletzlichkeit des bairisch-tirolischen Gebietes zu bestätigen schienen. Allein gerade die bairischen Zwangs- und Sicherheitsmaßregeln förderten nur die Bewegung gegen die bestehende Herrschaft, welche namentlich von den Schützencompagnieen ausging, welche sich aus jungen Leuten gebildet hatten, die sich der bairischen Conscription durch die Flucht entzogen. Das zeigen die im December 1813 in Meran, Brixen, Sterzing und Innsbruck tagenden Versammlungen und der Ueberfall Innsbrucks durch den Landsturm der Tiroler Bauern (im December). Allerdings unterließ es R. ebenso wenig als Andere durch eine Broschüre auf die Beschwichtigung der Bauerschaft einzuwirken; nichtsdestoweniger war und blieb die Bewegung im Zuge und die Wiener Cabinetspolitik suchte sie nur etwas zu hemmen, bis die Tiroler Frage zu seinem neuen Ausgleiche mit Baiern führen würde. Ein k. Cabinetsbefehl vom 28. November beauftragte R. zur Aufrichtung einer provisorischen Verfassung, welche zunächst die militärische Besetzung des Landes zur Grundlage nehme. Am 10. December wurde R. bereits zum provisorischen Landeschef für den italienischen und „illyrischen“ Antheil Tirols ernannt, d. i. für das mit dem Königreiche Italien, andererseits mit dem französischen Gouvernement Illyrien verbunden gewesene Tirol. Er hatte damals den Schützling Friedrich’s von Gentz, den querköpfigen Publicisten Adam von Müller, als k. k. Landescommissär zur Seite. Roschmann’s Einrichtungen für dieses Gebiet von Ende 1813 und Frühjahr 1814 riefen aber eine wachsende Verstimmung hervor und [173] zwar zu Gunsten der Wiederherstellung der alten Landesverfassung; es bereitete sich der Protest der Autonomisten gegen die centralistischen Maßregeln Roschmann’s vor, der dem Wiener Standpunkte gemäß das wiederbesetzte Land als „eroberte Provinz“ bezeichnete. Mit dieser Strömung lief gemeinsam die wachsende Agitation zu Gunsten der Statthalterschaft Erzherzogs Johann, des Lieblings und Gönners der Tiroler, und daß es auch sein Lieblingsgedanke war, wissen wir. Diese Agitation zeigte sich im vollen Gange, gerade als am 3. Juni 1814 die Convention zwischen Oesterreich und Baiern zu Stande kam, wonach letzteres Salzburg und seinen Antheil Tirols und Vorarlbergs an Kaiser Franz I. abtrat, und sie richtete sich zugleich gegen R., den man auch für einen versteckten Gegner des Erzherzogs hielt und dem allerhand Ränke gegen die Beschickung der Wiener Conferenzen Ende Juni 1814 zur Last gelegt wurden. Jedenfalls war es bedenklich, daß er sich beeilte, den vom Kaiser selbst zurückgewiesenen Auflagen seiner Verwaltung dadurch die Spitze abzubrechen, indem er mit den Tiroler Deputirten sich zu Persenbeug vor dem Kaiser (16. August 1814) einfand und in seiner Ansprache nur der Großmuth und Gnade des Monarchen gedachte, überdies ein Comité aus den Abgeordneten erkor, die er leichter in seinem Sinne lenken konnte. Die Aufregung gegen ihn wuchs und besonders entschieden sprach sich gegen ihn die Bauernversammlung zu Mauls (8. Sept.) aus. Man that Alles, um die „alte Verfassung“ zurückzuerobern, während die Wiener Staatsraison anders dachte. Die neue Bedrohung des Weltfriedens durch die Rückkehr Napoleon’s von der Insel Elba und die Vorsorge für eine Landesvertheidigung in Tirol machten aber eine entschiedene Stellungnahme gegen die Wünsche der Tiroler minder räthlich und da R. selbst erkannte, man könne ohne Wiederherstellung der Verfassung „mit zeitgemäßen Aenderungen“ die Landmiliz nicht aufbringen, so entschloß man sich zu zwei Maßregeln, zur Enthebung Roschmann’s und Ernennung des Grafen Ferdinand von Bissingen-Nippenburg zum Gouverneur – denn Erzherzog Johann blieb in dieser Beziehung verfehmt – und andererseits zur Wiederherstellung der allerdings ziemlich abgeschwächten Landesverfassung. R. erhielt jedoch zum Beweise der kaiserlichen Gunst das goldene Civil-Ehrenkreuz und die Bestallung als Gouverneur im Rhônegebiete der zweiten österreichischen Occupation Frankreichs; es umfaßte dies Verwaltungsgebiet die Departements Lyon, Rhône, Isère, Loire, Bourg en Bresse, Aine, Leman und Montblanc. Nach dem zweiten Pariser Frieden (2. Oct. 1815) kehrte R. nach Wien zurück. 1819 trat er in den Ruhestand, er hatte sich abgenutzt und blieb bei seinen Landsleuten geächtet als Abtrünniger, Denunciant und ehrgeiziger Schleppträger der Hofpolitik. Sein erbittertster Gegner war Hormayr geworden, derselbe, der den eigenen Kredit in der Heimath gleichfalls eingebüßt.

Fh. v. Hormayr, Das Land Tirol und der Tirolerkrieg v. 1809, 1. Aufl. 1817, 2. Aufl. Leipz. 1845, 2 Bde. (wesent1ich geänderte Darstellung); Lebensbilder aus dem Befreiungskriege I. II. Abth. 3 Bde. Jena 1841–44. – C. Rapp, Tirol i. J. 1809. Ztschr. des Ferdinandeums 1852 u. in Sep.-Ausgabe. (Gegner der geschichtlichen Darstellung Hormayr’s). – Alb. Jäger, Tirols Rückkehr unter Oesterreich und seine Bemühungen zur Wiedererlangung der alten Landrechte von 1813–16. Wien 1871. – Jos. Egger, Geschichte Tirols von den ältesten Zeiten bis in die Neuzeit, 3. Bd., Innsbruck 1880. Vgl. auch Wurzbach, biogr. Lexikon XXVI, 1874.