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ADB:Reinecke, Johann Friedrich

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Artikel „Reinecke, Johann Friedrich“ von Paul Schlenther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 20–22, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reinecke,_Johann_Friedrich&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:35 Uhr UTC)
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Reinecke: Johann Friedrich R., einer der hervorragendsten deutschen Schauspieler des 18. Jahrhunderts, wurde 1745 zu Helmstedt als Sohn eines Advocaten geboren und genoß eine vorzügliche Erziehung, die ihm Universitätsbildung verschaffte. Zerwürfnisse mit einem älteren Bruder trieben ihn dazu, Vaterhaus und Vaterstadt heimlich zu verlassen. Als 15jähriger Bursche trat er in Hamburg bei einem Bäcker in die Lehre. Bald aber ging ihm seine Bestimmung auf. Koch spielte mit seiner Gesellschaft in Hamburg und R. verdang sich ihm zunächst als Laufjunge; aber schon 1765 entzückte er „wegen seines Liebreizes“ die Zuschauer namentlich als Lisuart in einer Schiebeler-Hiller’schen Operette. Sein unruhiger Geist zog ihn ins Weite. Er trieb sich mit kleinen Truppen, u. A. auch beim Harlekin Leppert umher und kam von Rastatt aus erst 1770 nach Hamburg zu Ackermann zurück, wo er am 18. April als Medon im „Codrus“ debutirte, ohne zunächst einen tieferen Eindruck zu machen. Hier blieb er bis zum 15. März 1777, gewann besonders seit 1774, als Borchers nicht ohne den intriganten Antrieb des Rivalen davonging, starken Spielraum und ging dann auf dem Gipfel der ihm erreichbaren Vollkommenheit zur Brandesschen Truppe über, wo er ein Wochengehalt von 30 Thaler erhielt. Bald darauf erwarb Bondini das kursächsische Privileg und Brandes sowie Reinecke ordneten sich ihm an; aber da die beiden Schauspieler mit einander keinen Frieden halten konnten, trennte der Principal die Gesellschaft in zwei Hälften. R. ging mit dem Schauspiel nach Dresden, wo er einen schweren, aber siegreichen Kampf gegen die italienische Oper führte und dem Hofgeschmack zum Trotz die häufige Darstellung Shakespearischer und anderer Tragödien durchsetzte. Er war die eigentliche künstlerische Seele der Bondinischen Gesellschaft, bei der er mit kurzer, durch rauhe Unverträglichkeit hervorgerufener Unterbrechung bis zu seinem Tode die Regie führte. Er starb plötzlich am 2. November 1787 zu Dresden. Zum letzten Mal hatte er als Minister in „Schwatzhaftigkeit um Ehrsucht“ am 25. October auf der Bühne gestanden. Sein durch Mangel an ursprünglicher [21] Genialität begrenztes Rollenfach war kleiner als seine Rollensucht. Jugendliche Helden, wie Marquis von Posa und Ferdinand von Walter eignete er sich, ebenso wie den durchtriebenen Figaro zu Unrecht an. Ein kühles, durch Bildung ernährtes Verstandeselement überwog den heißen Drang der Leidenschaft; es erschien, wie F. L. W. Meyer schreibt, glaubhafter, daß er geliebt wurde, als daß er selbst verliebt sei. Dagegen hatte er für die Darstellung des gesetzten Alters auch Herzenstöne, und seine stattliche Männlichkeit, seine stolze Haltung machten ihn vor allem für kriegstüchtige, soldatische Naturen geschaffen. Diesem Talent, das selten überraschte, aber stets das Richtige traf, kam die Entwickelung des zeitgenössischen Dramas sehr glücklich entgegen. Odoardo Galotti und der Wachtmeister Paul Werner waren für R. ebenso gelegen, wie Götz von Berlichingen, und die Gattung der Ritterdramas, die unter dem Einfluß der Goethe’schen Jugenddichtung aufwucherte, fand in R. nicht bloß einen tüchtigen Darsteller, sondern auch einen lebhaften Fürsprecher. Niemals hat er den Zögling der Hamburger Schule, den Gefolgsmann Schröder’s und Lessing’s verleugnet. Er drang auf unbedingte Natürlichkeit; so verhaßt ihm von Jugend auf der französische Alexandriner war, dessen Herrschaft er auf deutschen Bühnen mit Lessing ausrotten half, so sehr sträubte er sich am Ende seines Lebens gegen das durch Lessing entschiedene Aufkommen des fünffüßigen Jambus. Er gab Veranlassung, daß Schillers „Don Carlos“ am 14. September 1787 in Leipzig seine erste Bühnenaufführung erlebte, aber er war auch die Ursache, daß dieses dramatische Gedicht in Prosa aufs Theater kam. Seine Begabung, welche maßvolle Leidenschaft, überlegenen Spott, kluge Täuschung und ein ruhiges Wesen am besten ausdrückte, verlangte den einfachen, natürlichen Ton der Prosa. Er hatte eine besondere Art, ohne rhetorische Heraushebung die Worte, wie aus dem Momente geboren, hinzuwerfen, und erregte eben dadurch im Gegensatz zu pathetischen Declamatoren Interesse. Später soll er diese Manier stark übertrieben haben, andererseits aber auch in den Kanzelton verfallen sein. Am beliebtesten ist er Zeitlebens in Leipzig, Dresden und Prag gewesen, weil an diesen Orten die Bondini’sche Gesellschaft den festesten Fuß hatte. In Dresden wollte man ihm ein Denkmal errichten. Sein Charakter war von einer gewissen Starrheit, die ihn einerseits in mancherlei Zwietracht brachte, ihm andererseits aber eine imponirende Machtstellung unter dem Bühnenvolk verschaffte. Man fürchtete ihn, haßte ihn, mußte aber seine geistige, künstlerische und persönliche Ueberlegenheit anerkennen. 1769 hatte sich R. in Rastatt mit der etwa 1750 geborenen Schauspielerin Sophie Venzig verheirathet, Tochter des dortigen Theaterprinzipals, die ihn 1770 zur Ackermann’schen Gesellschaft begleitete und dort am 20. April als Marwood in „Miß Sara Sampson“ debutirte. Sie hat, durch Schönheit und Bühnensicherheit ausgezeichnet, bis 1784 das Wanderdasein ihres Gatten als treue Lebens- und Kunstgefährtin getheilt; dann trennte sich das Ehepaar, Sophie ging nach Petersburg und ist dort 1788 gestorben. Auch sie war eine Schülerin Schröder’s und man weiß nicht, ob es ein Beweis für ihre Vielseitigkeit oder für den Mangel an[WS 1] Schauspielerinnen ist, wenn Frau Reinecke sowohl in Mütter- als auch in „Beinkleiderrollen“ sich hervorthat. Einen großen Erfolg hatte sie 1773 in Celle, wo zur Erheiterung der unglücklichen Karoline Mathilde von Dänemark eine Stegreifposse aufgeführt wurde. R. spielte darin einen Alten, seine Frau gab ein Kammermädchen und hielt durch ihr unerschütterliches Improvisationstalent das Ganze in Fluß, und der große Schröder bezeugt, er habe nie ein Publicum gewaltiger lachen gehört. Die große „Zungengeläufigkeit und Allgegenwart“ der Reinecke erregte auch das Staunen des theaterkundigen Oberstallmeisters von dem Busche aus Hannover. F. L. W. Meyer sagt von ihr, sie habe ihren Mann an Geist und Einsicht noch übertroffen, aber ihre Brust [22] hätte ihr nicht erlaubt, heftige Rollen so durchzusetzen, wie sie solche verstand, und ihre hohen Töne waren nicht angenehm. – Ein Sohn des Ehepaares Reinecke, der 1771 zu Hamburg geborene Georg, ging gleichfalls zur Bühne, debutirte am 19. November 1787 zu Dresden als Hamlet, ohne über eine einförmige Nachahmung seines Vaters hinauszukommen. Auch im Lustspiel erwies er sich als schwach. Nachdem er lange Zeit in Leipzig an bescheidener Stelle gute Dienste gethan hatte, zog er sich mit einer Pension vom Theater zurück und starb hochbetagt in Dresden.

Annalen des deutschen Theaters, Berlin 1788, I. – F. L. W. Meyer, F. L. Schröder I, 293 f. – Ed. Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst. Bd. II und III. – Blum-Herloßsohn-Marggraff, Allg. Theater-Lexikon 1846 VI, 174.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: als