ADB:Reineck, Friedrich Ludwig von
Goethe (Dichtung und Wahrheit, IV. Buch) sagt, daß seine „einzige“ Tochter durch den Hausfreund entführt wurde. Die Tochter erster Ehe, welche von dem Major Alexander Klenck († 1768) entführt wurde, war Maria Salome (1735 bis 1803). Die Tochter zweiter Ehe, Charlotte Sophie, geb. 1747, heirathete 1776 den Freiherrn Gustav v. Zillnhardt, königlich französischen Hauptmann des Regiments Zweibrücken. Der Sohn erster Ehe, August Christian Ludwig Konrad, fürstlich waldeckischer Geheimrath und Hofrichter, 1733–89, setzte die Familie in Waldeck fort. Mit dem Sohne zweiter Ehe, Adalbert (der „jüngere Sohn“ bei Goethe), welcher 1822 unverheirathet starb, ist die Familie in Frankfurt erloschen, und das Reineck’sche Besitzthum, auf welchem jetzt die Markthalle steht, an die Stadt gefallen.
Reineck: Friedrich Ludwig v. R., geboren 1707, war gleich seinem Vater Konrad Valentin (1657–1721) Weinhändler zu Frankfurt a. M. und wurde erst 1729 geadelt, als er sich mit Maria Juliane v. Damm verheirathete. Er wurde später Hofrath und königlich polnischer und kursächsischer geheimer Kriegsrath. Nach dem 1735 erfolgten Tode seiner Gemahlin vermählte er sich zum zweiten Male 1741 mit Susanne Gertrude v. Stockum. Er hinterließ aus jeder Ehe einen Sohn und eine Tochter. Es ist also nicht richtig, wennDa Goethe a. a. O. einige Andeutungen über die Familienzerwürfnisse im Reineck’schen Hause gibt, so wird etwas Näheres darüber wohl von allgemeinem Interesse sein. Um Maria Salome’s Hand bewarben sich nacheinander zwei vom Vater begünstigte Officiere: der kaiserliche Hauptmann v. Wallbrunn, dann der Schweizer Enderli von Marschwyg, Hauptmann eines Graubündner Regiments in holländischen Diensten; mit dem ersteren erzwang der Vater ihre Verlobung am 15. Mai 1753. Mittlerweile hatte das achtzehnjährige Fräulein ihr Herz – und mehr noch – an den 50jährigen Frankfurter Hauptmann Alex. Klenck verloren, und von diesem ließ sie sich in der Nacht vom 1./2. Juni 1753 entführen. Der Landgraf von Hessen-Darmstadt, Ludwig VIII. (regierte 1739–68) war Klenck’s Gönner und hatte selbst für ihn durch seinen Brigadier v. Rieppurg um die Hand von Reineck’s Tochter angehalten. In seinem Palast, dem „Darmstädter Hof“ auf der Zeil war die Darmstädter Post, hier stieg die entflohene Tochter mit ihrer Amme in einen Wagen, der sie nach Rüsselsheim in darmstädter Gebiet brachte; Klenck begleitete sie in einem andern Wagen und [20] fand sich am andern Morgen zu seinem Dienst in Frankfurt ein, um die harten, auf Entführung einer Minderjährigen gesetzten Strafen zu vermeiden. Nun begannen Reineck’s Leiden. Weder wollte die Tochter zurückkehren, noch war der Landgraf zu ihrer Auslieferung zu bewegen. Vergeblich war die Intercession des Frankfurter Rathes, der dem Zorne Reineck’s nicht genug thun konnte. Erst ein kaiserlicher Befehl zwang den Landgrafen, dem Fräulein v. R. den Schutz zu kündigen, während Klenck am 31. August auf die Hauptwache gebracht wurde, wo er fast vier Jahre in Haft blieb. Salome begab sich Ende September nach der Hauptstadt der Grafschaft Pappenheim, welche durch kaiserliche Privilegien berechtigt war, Jedem, selbst Dieben und Todtschlägern, eine Freistätte zu gewähren. Dort kam sie mit einem Sohne nieder, der am 14. October getauft wurde. Zu Ende dieses Jahres enterbte R. seine Tochter. Am 30. März 1757 erließ die Tübinger Juristenfacultät ihren Rechtspruch, indem sie das bisherige Verfahren gegen Klenck als „ein eclatantes Zeugniß von der beklagenswürdigen Justiz-Verfassung des deutschen Reiches“ bezeichnete; sie entschied, daß kein Verfahren gegen Klenck stattfinden solle und derselbe seines Arrestes zu entlassen sei. Nun klagte Salome gegen ihren Vater auf Alimente, R. gerieth in Proceß mit dem Rath von Frankfurt, und mit den zu Schwiegersöhnen ausersehenen Herren v. Wallbrunn und Enderli, und wurde infolge davon, wie Goethe sagt, ein zweiter Timon. F. L. v. R. starb 1775.
- L. Kriegk, Die Familie Senckenberg. Frankfurt 1869. – W. Stricker, im „Neuen Reich“, 1872, I, S. 376. – Die seltene Schrift: „Die selbst erwehlete Ehe-Verbindung“, Erlangen, bezieht sich auf die Reineck’sche Angelegenheit.