ADB:Reiffenstein
Philipp, rechtskundlich ausgebildet, enge befreundet mit Erasmus, Alber, Micyll u. A., erwirbt die Mitgliedschaft der altadligen Ganerbschaft des Hauses Altenlimburg. Er lebte theils in Frankfurt, theils auf seiner schönen Besitzung zu Oberursel und starb 1551. Der um 1507 geborene jüngste Sohn des Schultheißen, Johann, war ein außergewöhnlich begabter frühreifer Jüngling, der ganz den neu erblühenden Studien lebte. Zwischen 1520 und 1522 hört er den in der ganzen Reiffenstein’schen Familie hochgeehrten Erasmus und den Goclenius in Löwen und tritt auch zu beiden Gelehrten in nähere persönliche Beziehung. Als er im Februar 1523 nach Wittenberg kommt und sofort Luther hört, findet er in Melanchthon bereits einen seiner wartenden treuen Freund des Hauses und hängt hinfort ganz an Wittenberg, besonders an Melanchthon. Als Glied des häuslichen Kreises von Jünglingen, die letzterer zur Dicht- und Redekunst anleitete, sammelte er dessen und einiger anderer Genossen lateinische und griechische Gedichte, die er im J. 1528 als „Farrago aliquot Epigrammatum Philippi Melanchthonis et aliorum quorundam eruditorum“ bei Johann Secerius in Hagenau drucken ließ. Nur ihm ist die Erhaltung der meisten dieser Verskunstübungen zu verdanken. Von dem ungefähr gleichaltrigen Grafen Ludwig zu Stolberg sammt dem gemeinsamen Freunde, dem damals ebenfalls noch recht jugendlichen Rector Micyll im benachbarten Frankfurt, zu einem Jagdvergnügen nach Königstein am Taunus eingeladen, erliegt er, wohl durch einen Schlagfluß, im frühen Sommer des Jahres 1528 den Anstrengungen des Weidwerkes, denen sein durch Ueberarbeit geschwächter Körper nicht gewachsen war. Dieses Ende hat Micyll in einem seiner schönsten Gedichte (sylvae S. 33–41) besungen.
Reiffenstein: rheinisch-harzische Humanistenfamilie, aus der einzelne Mitglieder durch ihre wissenschaftliche Thätigkeit und ihren Einfluß auf weitere Kreise bemerkenswerth sind. Angeblich jüdischer, jedenfalls niederer Herkunft erringt sich zuerst der Königstein’sche Schultheiß Wilhelm Curio R. zu Bommersheim in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch Bildung und höheres Streben eine geachtete Stellung. Von seinen fünf Söhnen, denen allen eine gründliche akademische Bildung zu Theil wird, erscheint Emmerich (seit 1522) unter den ersten Beförderern der Reformation in Frankfurt,Das merkwürdigste thatkräftigste Glied der Familie war Johann’s um das J. 1482 geborener wol ältester Bruder Wilhelm. Gleich den übrigen Brüdern auf Hochschulen gründlich vorgebildet, begann er 1502 im harzischen Stolberg von unten auf den Kanzleidienst und war seit 1507 Graf Botho’s zu Stolberg und Wernigerode Rentmeister, Rath und Kanzler. Des Grafen einflußreiche Stellung als Rath des Kaisers, Herzog Georg’s von Sachsen und des Kardinals Albrecht von Magdeburg-Mainz gab auch dem vertrauten Diener eine gewisse Bedeutung, die er wenigstens in den stolbergischen Landen nach Kräften für die Einführung der Reformation geltend zu machen suchte. In gleichem Sinne wirkte er in weiteren Kreisen auch durch materielle Unterstützung oder durch Vermittelung des Briefwechsels reformatorischer und verfolgter Männer. Hierzu benutzte R. seine regelmäßigen amtlichen Reisen zu den Messen in Frankfurt [692] a. M. und Leipzig, wobei auch stets die neuesten Schriften angeschafft und vermittelt wurden. Mit Luther, der zur Zeit des Bauernsturmes in Stolberg bei ihm in Stolberg wohnte, entfernt verschwägert, stand er dessen Mitarbeiter Melanchthon noch näher und war dann auch mit Männern, wie Justus Jonas, Johann Caesarius, Micyll, Eobanus Hessus, sowie mit Tileman Platner in Stolberg und mit Meyenburg in Nordhausen nahe befreundet. Ein Ansehnliches verwandte er von seinem Reichthum, den er durch kaufmännische Geschäfte und Theilnahme am Mansfelder Bergwerk mehrte, auf die sorgfältigste Erziehung seiner drei Söhne, deren Unterricht ganz unter Melanchthon’s Oberleitung stand. Zuerst besorgte dieser Lehrer für die Hausschule in Stolberg, und als diese seit 1533 nach Wittenberg verlegt war, betheiligte sich sogar der praeceptor Germaniae theilweise auf sein eigenes Anerbieten unmittelbar neben einem Hofmeister an dem Unterricht der für die Hochschule sich vorbereitenden Jünglinge. In Stolberg wie in Wittenberg wurde auch andern jungen Leuten, in Wittenberg selbst Ausländern, auf besonderes Ansuchen eine Theilnahme an dieser wahrhaft fürstlichen, wie Melanchthon sich ausdrückt höfischen, Jugenderziehung der R.’schen Söhne verstattet. Hatte sein Bruder Philipp sich vom Kaiser Maximilian ein Wappen ertheilen lassen, so wählte auch Wilhelm sich statt seiner ererbten Hausmarke ein echtes Humanistenwappen (der harfnende Arion auf dem Delphin), das ihm 1532 Karl V. bestätigte. Melanchthon, Caesarius u. A. widmeten ihm Schriften. Letzterer gibt Zeugniß von des Rentmeisters begeisterter Antheilnahme an dem Emporblühen der Wissenschaften und von seinem nationalen Hochgefühl, daß nun in einem Erasmus, Melanchthon u. A. auch die Deutschen mit allen Culturvölkern auf dem Felde der Wissenschaft siegreich um die Palme strebten. W. R. starb Anfangs Mai 1538 auf einem Meßbesuch zu Frankfurt, wo er auch begraben wurde. Von seinen drei Söhnen, denen Melanchthon verschiedene Schriften widmete, zog Wilhelm (Curio), der älteste (geb. gegen 1515, † 1579), nach Wernigerode, wo er dem nach der Schlacht von Mühlberg fliehenden Lehrer und väterlichen Freunde Melanchthon nebst Angehörigen, Georg Major u. A. am 17. Mai 1547 am Harz das erste gastliche Dach in seinem Haus am Markte darbot. Ihm und seinem Bruder Albrecht, der wie er eine rechtskundliche Ausbildung genossen hatte, wird große Redegewandtheit nachgerühmt.
Dieselbe Frühreife wie seinen erwähnten jüngsten gleichnamigen Oheim zeichnet den jüngsten Sohn des Rentmeisters, Johann (J. Wilhelm), aus, der, erst etwa 16 Jahre alt, am 26. November 1536 zu Wittenberg öffentlich disputirte. Außer der genannten Hochschule besuchte er wenigstens noch Basel. Sein dortiger Lehrer, Simon Grynaeus, widmete ihm die 1540 gedruckte ὑποτύπωσις des Proklos. Es wird dabei auf die erfolgreichen der Geometrie, Erd- und Weltkunde zugewandten Bestrebungen des Bewidmeten hingewiesen, wegen deren ihm bereits vier Jahre früher Melanchthon seine Ausgabe von Johann Vögelin’s Elementen der Geometrie zugeeignet hatte und Justus Jonas ihm drei Jahre nachher die Baseler Froben’sche Folioausgabe der Plinius’schen Naturgeschichte vom Jahre 1539 schenkte. Aber sein Wirken und Streben war ein vielseitiges, doch zumeist, mit Ausnahme einer kurzen Sachsen-Weimarischen Dienstbestallung, nur auf die Wissenschaften gerichtet. Seine Familienverhältnisse – wir wissen außer der Wittwe nur von einer Tochter, die er hinterließ – ließen ihm hierfür auch eine reiche Muße. Wie ernstlich ihn die Gottesgelahrtheit beschäftigte, zeigt schon sein nahes inniges Verhältniß zu Melanchthon und Jonas, den er innig verehrte, besonders aber zu Luther. In des letzteren späten Lebensjahren war er dessen Tischgenosse, und Luther übereignete ihm 1545 die damals bei Joh. Lufft in Wittenberg gedruckte Foliobibel, in [693] welche er und später Melanchthon, Bugenhagen, Creuziger sich mit Gedenkversen einschrieben. Was uns aber den strebsamen Jünger und Gönner der Gelehrsamkeit am meisten merkwürdig macht, ist seine Aufmerksamkeit auf das älteste deutsche Schriftthum. Im gelehrten Briefwechsel mit dem vielseitigen Konrad Gesner in Zürich, theilte er diesem – mit dem er sich auch über die Gesteinskunde unterhielt – Proben des gothischen Alphabets mit, dessen Zugehörigkeit zum Deutschen man damals zuerst erkannte. Er sandte ihm aber auch abschriftlich einen Theil vom 1. Capitel des Lucasevangeliums aus Otfried’s Krist, von dem er eine Handschrift in der Nachbarschaft (etwa in Ilfeld?) entdeckt hatte. Ein Theil seiner ausgewählten Büchersammlung wurde nach seinem Tode für die gräfliche Bibliothek in Wernigerode, wo eine Reihe seiner Bücher in ausgezeichneten gepreßten Pergamentbänden noch heute aufbewahrt wird, angekauft. Johann starb zu Stolberg am 19. März 1575. Da man an dieser Stelle ein Urtheil über die auf den Rentmeister Wilh. R. zurückgeführte, in den „Auserlesenen Anmerkungen über allerhand wichtige Materien und Schriften“, Anderer Theil. Frankf. und Leipz. 1705, S. 236–335 gedruckte Hist. arcana erwarten wird, so ist zu bemerken, daß diese besonders für Melanchthon sehr ungünstigen, von Arnold in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie nur zu sehr benutzten Aufzeichnungen zunächst der Zeit, von der sie handeln, wegen von dem schon im Frühjahr 1538 verstorbenen Rentmeister nicht verfaßt sein können. Auch dessen mit Melanchthon innigst vertraute Söhne können nicht wohl die Verfasser sein. Sollte ein Wilhelm R. dabei betheiligt sein, so ließe sich noch am ersten denken, daß der 1599 kinderlos verstorbene gleichnamige Sohn des wernigerödischen Wilhelm[WS 1] Curio R. väterliche oder Familienaufzeichnungen in einseitiger Auffassung verarbeitete.
- Auf Grund einer größeren handschriftlichen Arbeit über die Familie R., wovon das auf den Rentmeister und dessen jüngsten Bruder Johann bezügliche für Geiger’s Vierteljahrsschrift für Kultur und Litteratur der Renaissance Bd. II, 1, S. 72–96 verarbeitet ist. – Vgl. auch Zeitschr. des Harz-Ver. f. Gesch. u. Alterthumsk. 20 (1887), S. 262–267.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Wilhem