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ADB:Peucer, Caspar

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Artikel „Peucer, Kaspar“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 552–556, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Peucer,_Caspar&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:04 Uhr UTC)
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Peucer: Kaspar P., der Schwiegersohn Melanchthons und Confessor des Melanchthonismus, Arzt, Polyhistor, Dichter und Kirchenpolitiker, ebenso bekannt durch sein vielseitiges Wissen wie durch sein tragisches Geschick, ist geboren am 6. Januar 1525 zu Bautzen in der Oberlausitz, † am 25. September 1602 zu Dessau. Sein Vater war Gregor Peucer (Beutzer, Beuker, Peuker), ein wohlhabener Bürger und Handwerker, seine Mutter Ottilie geb. Simon (s. die lateinische Grabschrift, die P. seinen Eltern setzte, bei Hoffmann, Scriptt. rerum Lusatic. I, S. 448). Als körperlich zarter, geistig begabter Knabe zum Studium bestimmt, besuchte er zuerst die Schule seiner Vaterstadt, dann das unter seinem berühmten Rector Valentin Friedland von Trotzendorf blühende Gymnasium zu Goldberg in Niederschlesien und bezog fünfzehnjährig im J. 1540 die Universität Wittenberg (immatriculirt als Caspar Beutzer s. Förstemanns Album S. 202). Von seinem Lehrer Trotzendorf an Melanchthon empfohlen, wurde er dessen begeisterter Schüler, Haus- und Tischgenosse, erwarb sich unter seiner Leitung, aber auch im Verkehr mit Luther und den anderen damaligen Wittenberger Berühmtheiten eine vielseitige humanistische, philosophische, historische und theologische Bildung, widmete sich aber mit besonderem Eifer dem Studium der Mathematik und Astronomie, der Naturwissenschaften und Medicin (worin die Professoren Milichius, Rhäticus, Reinhold, Stiefel u. a. seine Lehrer waren). Nachdem er 1545 Magister geworden, 1552 pro licentia disputirt hatte, begann er mit vielem Beifall zu lesen, wurde 1554 ordentlicher Professor der Mathematik, 1559 aber nach Milichius’ Tod Professor in der medicinischen Facultät und Dr. med. (30. Jan. 1560), in demselben Jahr auch Rector der Universität. Schon am 2. Juni 1550 hatte er sich, 25 Jahre alt, mit der damals 19jährigen jüngsten Tochter Melanchthons Magdalena (geb. 19. Juli 1531, † 12. Sept. 1576) verheirathet. Er wohnte in seines Schwiegervaters Haus, später, als für die wachsende Familie der Raum zu eng wurde, in einem angebauten Hinterhause, mit dem von ihm hochverehrten Lehrer und Schwiegervater in innigster Verbindung, als dessen vertrautester Freund, Arzt, Berather, Reisebegleiter und Theilnehmer an seinen häuslichen Sorgen wie an seinen wissenschaftlichen und kirchlichen Arbeiten bis an dessen Lebensende (18. April 1560), wie er denn auch dem Verstorbenen als damaliger Rector eine akademische Gedächtnißrede hielt und ihm durch Herausgabe seiner Werke und Briefe (Opera. Mel. Wittenberg 1562 ff.; Epistolae 1565; Fortsetzung seiner Chronik 1562 u. 65) ein Denkmal setzte.

Durch Melanchthons vieljährigen Freund, den kurfürstlichen Rath Ulrich Mordeisen, sowie durch den Kanzler Kiesewetter und den Geheimschreiber Jenisch, wurde P. an den Kurfürsten August von Sachsen empfohlen und trat bald zu diesem wie zu seiner Gemahlin, der Mutter Anna, und zu dem ganzen Dresdner [553] Hof in die intimsten Beziehungen. Der Kurfürst ernannte ihn zu seinem Leibarzt, bediente sich seines Rathes aber auch in vielen andern, besonders kirchlichen und wissenschaftlichen Fragen, wie bei Besetzung der Lehrstühle an der Universität Wittenberg, vermehrte auf seine Fürsprache die Einkünfte und Stipendien der Universität, beauftragte ihn mit der Oberaufsicht über das Gelehrtenschulwesen Kursachsens, ließ ihn häufig zu sich nach Dresden kommen, besuchte ihn 1570 mit der Kurfürstin in Wittenberg und bat ihn sogar zu Gevatter bei der Taufe des Prinzen Adolf 1571. P. war zu Anfang der 70er Jahre eine der einflußreichsten Persönlichkeiten am kurfürstlichen Hof und benutzte seinen Einfluß, wie auch von den Gegnern anerkannt wurde, in uneigennützigster Weise theils zum Besten der Universität und seiner akademischen Collegen, mit denen er in freundlichstem Einvernehmen lebte, theils aber allerdings auch zur Förderung der philippistischen Partei in Kursachsen d. h. der an Melanchthon sich anschließenden, zwischen dem strengen Lutherthum und dem Calvinismus vermittelnden kirchlichen und wissenschaftlichen Richtung, wie er denn insbesondere die theologischen Lehrstellen in Wittenberg mit entschiedenen Philippisten (wie Petzel, Cruciger, Moller, Widebram u. s. w.) zu besetzen, störende Elemente fern zu halten suchte. Einflußreiche Bundesgenossen hatte er bei diesen Bestrebungen an dem Geheimrath Craco, dem Schwiegersohn Bugenhagens, sowie an dem kurfürstlichen Hofprediger Schütz, wußte sich aber damals auch im wesentlichen Einverständniß mit dem Kurfürsten August selbst, der, ohne tieferes Verständniß für theologische Fragen, doch seinen Stolz darein setzte, seinem Lande den Ruf des reinen Lutherthums zu wahren, die beiden ihm gleich verhaßten extremen Richtungen aber, den Flacianismus wie den Calvinismus, gleichmäßig fern zu halten. Jahre lang gelang es denn auch der philippistischen Partei, als deren eigentlichen Führer Peucer galt, den Kurfürsten bei dem guten Glauben zu erhalten, daß die in seinem Lande vorherrschende, 1569 durch die Einführung des sog. Corpus Doctrinae Philippicum, 1571 durch den sog. Wittenberger Katechismus officiell sanctionirte Melanchthonische Lehrweise mit dem echten Lutherthum identisch sei und eben jene richtige Mitte zwischen den Extremen des Calvinismus und Flacianismus repräsentire. Seit Anfang der 70er Jahre aber ging, zwar nicht in den Anschauungen Peucer’s, wohl aber in denen des Kurfürsten eine Wandlung vor, da die Gnesiolutheraner in Nord- und Süddeutschland immer lauter die kursächsischen Theologen, besonders wegen jenes von Peucer bevorworteten und empfohlenen Wittenberger Katechismus von 1571 und der zur Vertheidigung desselben herausgegebenen sogenannten „Wittenberger Grundfeste“, der Abweichung von der reinen lutherischen Lehre und der offenen oder heimlichen Hinneigung zum Calvinismus beschuldigten und auch dem Kurfürsten diesen Verdacht beizubringen suchten. Von der im April 1574, aus Anlaß der offen calvinisirenden Abendmahlsschrift Exegesis perspicua, über die philippistische Partei plötzlich hereinbrechenden Katastrophe wurde auch P., obwohl er längst erklärt hatte, daß er mit theologischen Fragen sich nicht befasse, doch als einer der hervorragendsten Leiter der Partei, mit am schwersten betroffen. Der Rath Lindemann, der Secretär Jenisch, der Prediger Listhenius und andere Gegner der Philippisten wußten dem Kurfürsten Correspondenzen von P. in die Hände zu spielen, aus denen der Kurfürst den offenbaren Verrath der drei Parteihäupter zu erkennen glaubte. Am 1. April 1574 wurde P. in Wittenberg verhaftet, seine Papiere weggenommen, er selbst nach Dresden gebracht und ihm der Proceß gemacht unter der Anklage, daß er sich fortwährend trotz der kurfürstlichen Verwarnungen in theologische Händel gemischt, daß er mit Hofprediger Schütz und Geheimrath Craco sich verbündet habe, um durch geheime Conspirationen und Praktiken fremde sacramentirerische Lehren in Kursachsen einzuführen, daß er zu diesem [554] Zweck gefährliche Schriften verbreitet, einheimische und auswärtige Theologen beleidigt, andere gegen die sächsische Kirche aufgehetzt habe u. s. w. P. lehnte diese Beschuldigungen von sich ab, ließ sich aber doch dazu bestimmen, eine Erklärung an den Kurfürsten zu unterzeichnen, in der man ein Zugeständniß seiner Schuld sah. Das milde Urtheil des Torgauer Landtags, der lediglich beantragte, daß P. auf die Stadt Wittenberg und auf die Ausrichtung seiner medicinischen Professur beschränkt, fernere Einmischung in kirchliche Dinge ihm verboten werden solle, wurde von dem leidenschaftlich erregten Kurfürst cassirt, P. vielmehr nach wiederholten Verhören ohne rechtskräftigen Urtheilsspruch, trotz der Betheuerung seiner Unschuld und trotz der von seiner Familie, seinen Freunden, wie von auswärtigen Fürsten für ihn eingelegten Fürbitten und Verwendungen, zu Rochlitz, Zeitz, später auf der Pleißenburg in Leipzig in zwölfjährigem harten Gefängniß gehalten. Er verbrachte seine Zeit theils mit eifrigem Studium der heiligen Schrift, theils, soweit ihm das bei der Entziehung aller Schreibmaterialien möglich war, mit der Abfassung von Schriften und Gedichten, blieb aber trotz aller Versuche, ihn zum Widerruf seines angeblichen Calvinismus und zur Annahme der 1577 verfaßten Concordienformel zu bestimmen und, trotz aller auf Veranlassung des Kurfürsten von seinem Kerkermeister, dem Bürgermeister Rauscher von Leipzig, wie von den beiden Concordienmännern Andreä und Selnecker über ihn verhängten Quälereien und Bekehrungsversuche, standhaft bei seinen philippistischen Ueberzeugungen. Seine Frau, die alles gethan ihm die Freiheit zu erbitten, starb aus Gram am 12. September 1576, seine Kinder wurden zersteut. Erst nach dem Tode seiner unversöhnlichen Feindin, der Kurfürstin Anna († 1585), die es ihm nicht verzeihen konnte, daß er in seinen Briefen sich spöttische Bemerkungen über die am Dresdner Hof herrschende Gynäkokratie erlaubt hatte, schlug endlich für P. die Stunde der Erlösung. Als der 60jährige Kurfürst wenige Monate nach dem Tod seiner ersten Gemahlin am 3. Januar 1586 mit der 13jährigen Prinzessin Agnes Hedwig, Tochter des Fürsten Joachim Ernst von Anhalt, einen neuen Ehebund schloß, gelang es den gemeinsamen Fürbitten der Braut und ihres Vaters, die Freilassung des unschuldig Gefangenen zu erlangen, nachdem dieser unter Bürgschaft seiner Söhne und Verwandten einen eidlichen Revers ausgestellt, wegen der ihm widerfahrenen Behandlung weder öffentlich noch heimlich, weder mündlich noch schriftlich an dem Kurfürsten oder seinen Dienern sich rächen zu wollen. Am 8. Februar 1586 wurde P. aus dem Gefängniß entlassen, drei Tage darauf, am 11. Februar starb Kurfürst August; sein Nachfolger Kurfürst Christian I., entband ihn seines Revers mit der Bitte, ihn nicht entgelten zu lassen, was er von seinen Eltern habe erleiden müssen. P. ging nach Dessau, wurde fürstlich anhaltischer Rath und Leibmedicus, verheirathete sich am 30. Mai 1587 im 63sten Lebensjahr zum zweiten Mal mit einer Landsmännin, der wohlhabenden Wittwe des Bürgermeisters Bergmann aus Bautzen, um seinen Kindern eine zweite Mutter zu geben und seinen, durch die lange Gefangenschaft zerrütteten Vermögensverhältnissen aufzuhelfen, und verlebte, theils in treuer Arbeit, theils in wohlverdienter Ruhe, von den Seinen geliebt, von Allen geachtet, auch von auswärtigen Fürsten und Gönnern mit Ehren und Geschenken überhäuft, aber auch seinerseits gerne bereit Anderen zu helfen, mit alten und neuen Freunden in regem persönlichen und brieflichen Verkehr, noch sechzehn glückliche Jahre bis zu seinem, im 78sten Lebensjahre am 25. September 1602 in Dessau erfolgten Tod. Bei seinen 10 Kindern aus erster Ehe waren 4 frühzeitig gestorben; von den übrigen 6, zwei Söhnen und 4 Töchtern, erlebte er 41 Enkel und 7 Großenkel.

P. ist, wie sein Schwiegervater Melanchthon, von der Parteien Haß und Gunst in alter und neuer Zeit sehr verschieden beurtheilt worden. Den Ruhm [555] eines Confessors, eines Märtyrers für seine Ueberzeugungen mußte auch Kurfürst August ihm zugestehen. Mangel an Vorsicht und Menschenkenntniß, Ueberschätzung seines Einflusses auf die Person des Kurfürsten, Unbekanntschaft mit der Sphäre der Hoflust ist nicht das Schlimmste, was man ihm vorwerfen kann; auch von dem Vorwurf der Zweizüngigkeit in seinem Verhältniß zu dem Kurfürsten, der Unredlichkeit seiner Parteizwecke, der Eitelkeit und Selbstüberhebung ist er nicht freizusprechen. Wie aber auch das Urtheil über die Art und das Maß seiner Verschuldung ausfallen mag, jedenfalls unterliegt es keinem Zweifel, daß die Behandlung, die ihm geworden, daß insbesondere das persönliche Benehmen des Kurfürsten und der Kurfürstin, wie das ihrer Helfershelfer gegen ihn in einen Abgrund von Ungerechtigkeit, Roheit und Bösartigkeit hineinblicken läßt, die nur um so widerlicher und empörender sind, je mehr sie in das heuchlerische Gewand der religiösen Phrase und des kirchlichen Eifers sich hüllen. Trotz aller Beschönigungsversuche alter und neuer Orthodoxie bleibt die Geschichte der sogenannten cryptocalvinistischen Steitigkeiten und mit ihr die Geschichte Peucer’s eines der dunkelsten Blätter in der Geschichte der lutherischen Kirche wie in der Culturgeschichte des XVI. Jahrhunderts.

Peucers’s zahlreiche Schriften sind verzeichnet bei Jöcher-Rotermund III. 1475; V, 2115; bei Röse S. 454. Sie sind theils mathematisch-astronomischen (z. B. „Logistice regulae arithmeticae, quam Cossam et Algebram vocant“; „Elementa doctrinae sphaericae“; „Theoria planetarum“ etc.), theils medicinischen (z. B. „Practica s. methodus curandi morbos“; „De ratione discendi medicinam“; „De dignitate artis medicae“; „De peste, astmate, febribus, morbis contagiosis“ etc.), theils theologischen oder religionsgeschichtlichen (z. B. „Doctrina fidei justificationis“, „Tractatus historicus de Ph. Melanchthonis sententia de controversia coenae Domini“, „Comm. de praecipuis divinationum generibus“ Wittenberg 1553 und in wiederholten Auflagen), theils endlich historischen und autobiographischen Inhalts, z. B. „De origine Mysorum“, „de Friderico Landgrafio Thuringiae“, „Chronicon Carionis Lib. IV et V“, besonders aber seine „Historia carcerum et liberationis divinae“ herausgegeben von seinem Freund und ehemaligen Wittenberger Collegen Christoph Pezel, Zürich 1605. 12°, mit vielen Actenstücken, worunter auch sein im Gefängniß geschriebenes Testament. Außerdem sind lateinische Gedichte von ihm (z. B. „Idyllium, patria sive historia Lusatiae Superioris“, verfaßt 1583 im Gefängniß, gedruckt Bautzen 1594) und zahlreiche Briefe von ihm und an ihn theils gedruckt (z. B. im „Corpus Reformatorum“ Bd. VII, VIII, IX, bei Strobel in seinen Miscell. lit. Inhalts IV, 73 u. 110) theils handschriftlich (z. B. auf dem Dresdner Haupt-Staatsarchiv, in der Rhediger’schen Bibl. in Breslau, in der Bibl. des Michaelisklosters zu Lüneburg, jetzt in Hannover u. a. a. O.) vorhanden.

Eben diese seine Schriften und Briefe bilden auch die Hauptquelle für die Geschichte seines Lebens, das vielfache monographische Bearbeitungen in alter und neuer Zeit gefunden hat, so: Brendel, Leichenpredigt 1603; – Stenii Oratio de P. 1603; – Leupold, Leben Peucer’s, Bautzen 1705; - Eichstädt, narratio de C. P. 1846; – Heimburg, de C. P. Jena 1842; – C. Röse, C. Peucer 1844 und in Ersch und Grubers Allg. Enc. III, 19, S. 435 ff.; – Rettberg, ebendas. S. 457 ff.; – Koch, de vita C. P. Marburg 1856; – E. Henke, C. Peucer und Nic. Krell, Marburg 1856, auch abgedr. in dessen Sammlung von Vorträgen zur neueren K. Gesch. Marburg 1866; Mallet in der Real-Encykl. f. prot. Theol. und Kirche 2. Aufl. Bd. XI, S. 548 ff. Außerdem vgl. M. Adami vitae Medicorum Germ. S. 376; – Löscher, Historia motuum II, III;Planck, Gesch. des prot. Lehrbegriffs Bd. V, 2; – Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen. [556] 1866 bes. S. 191 ff.; – Gillet, Crato von Crafftheim und seine Freunde. Frankfurt 1860; – Joh. Janssen, Gesch. des deutschen Volks. Bd. IV, S. 343 ff.; – Kluckhohn, Sturz der Kryptocalvinisten in Sachsen in Sybel’s histor. Zeitschr. 18, 77 ff. München 1867; – Ueber Peucers historische Arbeiten s. Wegele, Gesch. der d. Historiographie. S. 209 fg.